Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
(Dasselbe Zimmer. – Die Vorhänge sind heruntergelassen; es ist Nacht. Eine Nachtlampe brennt auf dem Tisch.)
Luise.
Luise (steht gebückt vor einem Schrank, in welchen sie Wäsche einpackt). Es ist schon Mitternacht vorbei. – (Mit einem tiefen Seufzer.) Ach Gott! – Wie still alles umher ist, – still wie ein Totengewölbe; – mir bangt allein zu sein, und doch mag ich nicht zu Karln gehn. Ob ich jetzt gehe? – Nein, nur noch ein paar Minuten. – Es schlug so dumpf zwölf Uhr. – Nun war' ich ja ganz mit Einpacken fertig, – und nun will ich auch gehn. Ach! ich möchte so gern, daß ich hier noch etwas zu thun hätte, – aber es ist leider nicht wahr, – Ich bin so allein, – und Ferdinands Bildnis sieht mich so wehmütig an, – nein, ich kann es nicht länger hier aushalten, – ich will gehn. (Sie ist im Begriff abzugehn, die Thür öffnet sich, und Ramstein tritt herein.)
Luise. Ramstein.
Ramstein. Luise!
Luise. Gott! Du schläfst noch nicht?
Ramstein. Ich kann nicht schlafen, – mir ist so sonderbar.
Luise. Was fehlt dir? Dein Auge sieht so starr –
Ramstein. Ich weiß nicht, – es ist eine Kinderei, – hast du es wohl hören Zwölfe schlagen, Luise?
Ramstein. War es nicht schrecklich?
Luise. Es klang so hohl, so dumpf –
Ramstein. Mir klang es wie meine Sterbeglocke.
Luise. Deine Sterbeglocke?
Ramstein. Der letzte Schlag, – so hart, – so fürchterlich schließend, – und hernach alles so still, kein Laut in der ganzen Natur, – alles tot! tot, Luise! – Mir war, als würd' ich es nicht hören Eins schlagen.
Luise. Wie kömmst du darauf?
Ramstein. Der Wind zittert so in den Fenstern, es ist für mich eine schreckliche Nacht, – als ich mich so allein im Zimmer sah, überfiel mich plötzlich ein sonderbares Entsetzen, – es war, als ständen fremde Männer um mein Bett, die mir mit fürchterlichen Gesichtern den Zugang versperrten.
Luise. Du bist sehr krank, – lieber Ferdinand, – und doch steckst du mich mit deiner Furcht an, – seh' ich eben so blaß aus wie du?
Ramstein. Du bist sehr matt.
Luise. Horch! wie der Wind um die Ecke der Straße winselt, – es ist wirklich schauerlich. – Das Licht brennt so bleich und matt, – es macht durch die Dämmerung das kleine Zimmer wie einen großen, weiten Saal. – (Sie schließt sich näher an Ramstein. Waller tritt leise herein und bleibt im Hintergrunde, in der Dunkelheit stehn.)
Ramstein. Wir sind krank, Luise, und in der Krankheit wird der Geist wieder zum Kinde.
Luise. Du hast recht. – Ach, Ferdinand!
Ramstein. Warum seufzest du so tief?
Luise. Wir sehn uns nicht wieder.
Ramstein. Diesseits nicht.
Luise. Diesseits nicht.
Ramstein. Vielleicht auch nicht jenseits, – ich fange an, an allem zu zweifeln.
Luise. Ich habe es nie so gefühlt, als grade jetzt, was es heißt: dich nicht wieder zu sehn! – Ach, Ferdinand, ich liebe dich noch, ich kann's mir nicht verhehlen, du hast mich unglücklich gemacht. – Dich nicht wiedersehn und unglücklich sein.
Ramstein. Unglücklich?
Luise. Ich werde nie dein bleiches Gesicht vergessen, nie diesen trüben Blick, der sich so langsam aufhebt; – und auch Karl ist mir fremd geworden.
Ramstein. Wie das?
Luise. Du hast es nicht bemerkt? O gewiß, du hast es; so wie heut' war er noch nie, so ernst, so in sich brütend, ohne ein Wort zu sprechen. Nur zuweilen sah er mich seitwärts mit einem festen, prüfenden Blick an, – ich konnte nicht sprechen. – ich suchte die ängstliche Stille einmal durch ein Husten zu unterbrechen, und mein Gesicht glühte eine halbe Stunde, daß ich sie unterbrochen hatte, – er konnte es für Furcht, böses Gewissen, wer weiß wofür, erklären. – Er hatte dein Bild erkannt.
Ramstein. Daher rührte seine Laune? Das Bild hatt' ich ganz vergessen. – O Luise, wir sind sehr unbesonnen gewesen, ich hätte durchaus noch fortgehen sollen, ehe er mich erkannte, – ich dachte gar nicht an dieses verwünschte Bild!
Luise. O schilt es nicht, – ich hatte es auch vergessen, bis ich mit den Lichtern zurückkam. – Du glaubst nicht, mit welchem Herzen ich spielte; du mußt es gesehn haben, wie meine Finger zitterten und kaum den Ton anzuschlagen wagten, und wie ich endlich in der quälendsten Angst fast die Saiten zersprengte. – Was sprach er denn mit dir im Garten?
Ramstein. Nichts, – er ging stumm neben mir, ich hatte sonderbare Empfindungen, – der Mond glänzte wunderbar durch das verschlungene Weinlaub, die Bäume standen so ernst da und rauschten so wehmüthig, ich war die ganze Zeit über wie bezaubert, ich hatte alles vergessen; ich verlor mich in Phantasien meiner Kindheit, – aber als wir zurückkamen, – da sah er mich an, mit einem Blick, – o, ich werde diesen fürchterlichen Blick nie vergessen, – es lag viel in diesem starren, bedeutungslosen Drehen des Auges, – so kalt, so durchbohrend, so wild, als wollt' er durch mein Auge hindurch auf den Grund meiner Seele schauen.
Luise. Er ist fürchterlich, wenn er zürnt. – Er wird sich vielleicht nie mit mir aussöhnen, – Ferdinand, ich habe deiner Liebe ein großes Opfer gebracht.
Ramstein. Nein, das nicht. – Ich sterbe –
Luise. O sprich nicht so, lieber Ferdinand –
Ramstein. Ich sterbe – und werde nicht mehr genannt. Mit dem toten Feinde versöhnt man sich so leicht, – du erzählst ihm unsre ganze Geschichte, – er müßte ein Unmensch sein, wenn er dich nicht ebenso wie vorher lieben sollte.
Luise. Aber ich kann dich nicht wieder vergessen.
Ramstein. Ach, Luise, – ich will dich nicht noch einmal daran erinnern. – Ich sterbe, – und Luise vergißt mich, – sie weint, trauert – und lächelt endlich wieder. – Ferdinand ist dann tot und kömmt nicht wieder zurück, sie in ihren Umarmungen zu stören.
Luise. Ach Ferdinand, du lässest mich viel dulden.
Ramstein. Laß doch morgen das Haus sehr früh öffnen, ich muß noch vor Sonnenaufgang fort, – ich kann deinen Mann nicht wiedersehn! Luise, nun laß uns Abschied nehmen. – Es ist eine feierliche Stunde.
Luise. Du scheidest von mir.
Ramstein. Ich scheide. – Liegt itzt nicht alles, was ich je litt, worüber ich mich je freute, wie ein Traum vor mir? Mir ist, als wäre so etwas nie wirklich gewesen. – Daß ich dich liebte, daß ich dich verlor, diese beiden Empfindungen sind die einzigen, die ich aus dem Ruin gerettet habe; alles übrige liegt in wilden Trümmern.
Luise. Nun, dann ist auch aller Zorn in dir untergegangen?
Ramstein. Luise, ich liebe nicht mehr, aber ich kann auch nicht mehr hassen, – ich nehme als Geist von dir Abschied. – Warum fährst du vor diesem Gedanken zurück? – Und nun, Luise, wirst du mir nun meine letzte Bitte abschlagen?
Luise. Was verlangst du?
Ramstein. Umarme mich zum letztenmal, deinen Kuß will ich dann mit ins ruhige Grab nehmen. – Thu es, Luise, ich werde dann freudiger sterben. (Luise umschlingt ihn mit ihren Armen, er küßt sie). Dieser Kuß ist das letzte Andenken, das ich dir gebe. Hörst du, Luise? zuweilen denk' noch an mich, ( Luise weint und kann nicht sprechen.) Wenn's auch nur so kalt und vorübergehend ist, wie man an einen gleichgültigen Bekannten denkt, nur denk' zuweilen noch an mich, daß ich mit dem Troste sterben kann, ich sei in deinem Gedächtnis nicht ganz gestorben. – Versprichst du mir das, Luise?
Luise ( leise). Ja. – ( Sie fährt erschrocken aus seinen Armen, laut schreiend.) Es steht jemand hinter uns!
Ramstein. Wo? – wo?
Luise ( ohne sich umzudrehen, hinter sich nach der Wand zeigend). Dort!
Ramstein. Es sind unsere Schatten, Luise, – sieh, wie gräßlich verzerrt sie sich hin und her bewegen.
Luise. Ich mag nicht hinsehn. – Lebe wohl!
Ramstein. Lebe Wohl, – wenn ich fortdaure, soll mein Geist dich stets umschweben.
Luise. Nein, Ferdinand, nein – das nicht, o, ich bin zu schwach, – ich fühl's, ich könnte wahnsinnig werden. – Höre, wie der Wind die Wetterhähne wirft! Es ist eine fürchterliche Nacht.
Ramstein. Nun, so lebe dann wohl!
Luise. Lebe wohl! – ( Sie sieht ihn lange und bedeutend an.) Ach Gott, – Ferdinand!
Ramstein. Warum starrst du mich so an?
Luise ( langsam). Du siehst fürchterlich aus, – ganz wie eine Leiche! – ( Erschrocken zurückfahrend.) Hinweg! – Ich glaube, du bist tot!
Ramstein. Luise! ( Er will auf sie zu eilen.)
Luise. Weg von mir! – ( Sie geht schnell ab.)
Ramstein ( sieht ihr lange nach! eine Pause; – mit schwerer Stimme.) Es war vorbei! – ( Er öffnet die Thür und geht schweigend in sein Zimmer)
Waller (steht wie betäubt und tritt hervor. Er geht auf und ab, seine Brust keucht, sein Gesicht glüht, er will sprechen, er kann nicht. Eine Pause.)
Verrat! – Verrat! – Himmel und Erde! – So stehn wir miteinander, Luise? – Betrogen! Ha, wie es siedend zu meinem Herzen strömt! Lust, – Lust! – ( Er geht umher und steht wieder still.) Wie kalt bin ich auf einmal, – wie wüst ist mein Kopf, – mir schwindelt! – – Luise! – Ein elendes, gemeines Weib! – Ich liebe sie nicht, – ich habe sie nie geliebt, – ich verachte, – ich hasse sie! – Verflucht sei ihr Name! – – Was sie mögen gesprochen haben, – alle meine Sinne waren betäubt, – ich hörte nur einzelne Worte, – aber seine Umarmung, – sein Kuß – O! – Was hielt mich zurück, daß ich nicht hervorsprang und sie mit diesen Händen erwürgte? – ( Er geht umher, steht still, er tritt ans Klavier und findet die Hälfte des Apfels, den er Luisen gegeben hatte. Er schlägt den Blick empor, steht nachdenkend und scheint seine Begriffe zu ordnen.) War es nicht heute, als ich ihr diesen Apfel gab? – heute? – Es ist nicht möglich, – bis zur Unkenntlichkeit fern liegt die Zeit, in der ich sie liebte, – und doch war es heut'! – Wie hat sich alles geändert! – Dies war ein Geschenk von mir, – dem meine Liebe einen so hohen Wert beilegte, – und sie warf es verächtlich hieher! – O hätte sie es nur aus seiner Hand, aus seiner Hand gehabt! – Ha! ihre Eide gehn in Erfüllung! ich ernte den Lohn meiner Liebe ein! – Liebe! Des Klangs ohne Sinn! – Noch niemand hat geliebt, – mir, mir Unglückseligen ward diese Empfindung aufbehalten, um aus ihr eine Hölle zu saugen. – Ha! die schöne Zukunft nimmt ihren Anfang, – meine goldenen Träume werden wirklich! – Das Messer, mit dem ich diesen Apfel spaltete? – Ist mir doch, als sollt' ich mir diesen Stahl ins Herz stoßen! – Es braust und donnert um mich her, eine unbekannte Gottheit drängt diese Spitze gegen meine Brust, – wenn – o dann wäre ja alles vorüber. – Und ich sollte ihr diesen Triumph gönnen? – Ha! wie würde sie den voreiligen Thoren belachen! – Sie liebt ihn, – mein Leichnam wäre der Grund, auf dem sie ihr Glück bauten, – nein, diesen Reiz hat das Leben noch für mich, daß mein Dasein sie quälen wird. – Oder kehre diese Schneide gegen diese Schlange selbst! O, Rache, Rache muß so süß sein! – So gelassen sollt' ich es hinnehmen? – Himmel! itzt erst fühl' ich das ganze Gewicht ihres Verbrechens, – mein Blut war in Eis erstarrt, – ich war fühllos wie ein Stein! – So schändlich ward noch kein Mann betrogen. – ( Gegen das Bild gekehrt.) Ha! verdammtes Gesicht! Hatte nun meine mißtrauische Ahndung nicht Recht, Betrüger? – Du lächelst? – so kalt, so verächtlich lächelst du auf mich herab? – ( Er durchsticht es mit dem Messer.) Sieh! Dies ist meine Rache! – Noch Lächeln? – ( Er zerfetzt das Gesicht.) Sieh! Schändlicher! das ist deine Strafe! – ( Er hält ein, lachend.) Wahnsinniger! Es ist ja nur sein Bild! – Er ruht in stolzer Sicherheit und verlacht deine Ohnmacht! – In Sicherheit? – Und wer macht ihn sicher? Wer? – Hier schallte sein Kuß, – hier drückte er sie an sein Herz, – o, diesen Druck muß ich wieder von seinem Herzen holen! – Er schläft, indes tausend Qualen meine Seele nagen! – Er schläft, der Bösewicht! indes mich die Verzweiflung peitscht, – O, schlafen soll er nicht, ich will ihn wecken! – ( Er geht rasch in das Nebenzimmer.)
Luise (die leise und furchtsam zurückkommt).
Hier ist er auch nicht, ich kann ihn nirgends finden, – und doch muß ich ihn finden, – ich muß ihm alles sagen, – es zerdrückt mir's Herz: – mag er mich nicht mehr lieben, – mag er mich hassen, – mich verabscheun, – ich muß es ihm sagen. – Hier ist er nicht, im Garten auch nicht, – ich wag' es nicht, noch einmal in den Garten zu gehen, – er muß dort sein! – Die Einsamkeit steht dort so stumm, die stille Nacht wandelt mit leisen Schritten übers Feld. – Karl! – Karl! – Ein banges Ächzen von der Wand her antwortet mir. – Ich kann nicht noch einmal rufen. – Mich schaudert! – ( Sie erblickt das Gemälde.) Ha! es ist aus! – Wahrhaftig, das hat Karl gethan! – Still! War's doch, als ob mir jemand antwortete. – Ach Ferdinand! du siehst entsetzlich aus! – Was ist das? – Das Bild, – das Bild bewegte sich, – seh' ich nicht sein Blut herabfließen? – Mich dünkt, es seufzt, jetzt stirbt er! – Er ist tot! – Sein Geist schaut wild aus den zerschnittenen Zügen hervor; – ich kann nicht mehr. – Welch Geräusch im Zimmer dort? – Es ist sein Geist! – (Sie sinkt betäubt aufs Sofa, halb ohnmächtig.) Komme was da will, ich kann nicht mehr als sterben!
Luise. Waller.
Waller (der zurückkommt, leise für sich, mehr murmelnd als sprechend) Er schlief, – in seinen Kleidern, – er schlief, hartherziger Mörder! – Nun, und was ist es denn mehr? Er schläft ja noch! – es wird ihn niemand stören, – er entschlief sanft. – Wunderbar! Warum läuft mein Blut nicht mehr so schnell, wenn ich an ihn denke? – Er hatte mich tödlich beleidigt, – warum zittr' ich so? ich habe ihn ja nur gestraft. – Und was hat er an dieser Welt verloren? Nichts! – Qualen – folternde Schmerzen! – Er hat gewonnen! – Ich bin sein Wohlthäter, – er hätte ja doch einmal sterben müssen. – Der Mond schien ihm grade aufs Gesicht, sein Gesicht war mir seltsam fremd; – er starb ohne zu zucken, – ohne eine Bewegung, – Ein Menschenleben ist doch sehr zerbrechlich! – Fort!
Luise (sich erhebend), Ferdinand!
Waller (laut). Wer ist da?
Luise. Ich – – ich –
Waller. Was willst du?
Luise. Ach!
Waller. Warum siehst du mich so starr an?
Luise. Bist du Karl?
Waller. Denkst du, ich habe etwas Böses gethan, daß du mich so anstarrst?
Luise. Ach nein! nein! – Nicht wahr? Du bist mein lieber Karl?
Luise. Wohin?
Waller. Wohin? – Was weiß ich's?
Luise. Karl, – ich merk' es recht gut, – wir sprechen beide ohne Bewußtsein, – aber ich kann nicht dafür, – ich bin sehr krank!
Waller. Krank?
Luise. Ja, Karl, und du bist es auch.
Waller. Nein, – nein, ich bin gesund! – Was sollte mir fehlen?
Luise. Ich werde bald sterben, ich fühl' es –
Waller. Sterben? – Sterben? – –
Luise. Zürne nur nach meinem Tode nicht weiter auf mich.
Waller. Luise!
Luise. Wir wollten glücklich sein, aber das grausame Schicksal rief: Nein!
Waller. Fürchterlich rief es: Nein!
Luise. Ich liebte dich – –
Waller. Wirklich?
Luise. Wie meine Seele –
Waller. Du lügst!
Luise. Ich konnte nicht dafür, daß ich früher als dich Ferdinand liebte.
Waller (wie aus einem tiefen Schlaf erwachend). Ha! das war es! – dieser Name ruft alles in mir zurück! – Steh' ich doch schon so lange und sinne, was mein Schmerz sei, – du triffst die brennende Wunde. – Dieser Name hat mich wahnsinnig gemacht.
Luise. Ja, Karl, ich will es dir gestehen, ich liebte ihn einst.
Waller. O, gesteh es nur, du liebtest ihn? – nicht wahr? – O, ich bin ja dein Freund, mir darfst du es schon vertrauen, – nicht wahr, du zärtliche Gattin?
Luise. Ich will es, – hasse mich, – fluche, oder verzeihe mir dann, – wie du willst!
Waller. O Luise! Luise! – Geh! geh! fort von mir, Schändliche! du bereust nicht einmal dein Verbrechen? – O, hinweg!
Luise. Karl, ich liebte ihn, eh' ich dich sah.
Waller. Nein! Nein! es ist falsch! – Ich sah ja, wie du ihn umarmtest, – itzt eben, – hier, – sieh, so umschlang er dich, – der Schall eures Kusses flog glühend in mein Ohr, – dieser Ton zerriß meinen Verstand, – dieser Augenblick löschte alles in mir aus, dunkle Nacht wohnt seitdem in mir, dunkel wie der Tod. – Du liebst ihn noch!
Luise. Nein! bei Gott!
Waller. Du liebst ihn noch!
Luise. Als Freund, – sowie das Andenken eines entfernten Freundes –
Waller. Du liebtest ihn nicht noch?
Luise. Bei allem –
Waller (mit schrecklicher Kälte). Warum zweifl' ich denn noch länger? – Jetzt wirst du ihn freilich nicht mehr lieben.
Luise. Nein, Karl –
Waller. Beteur' es nicht, ich glaube dir; denn sieh – (Er zieht das Messer unter seinem Rocke hervor.)
Luise. Karl!
Waller. Nun, – was ist dir –
Luise. Er ist tot!
Waller. Ja, – dies ist sein Blut. (Luise sinkt nieder.) O, Künstlerin! – nur ruhig! – Eine Ohnmacht? – Bei Gott! so natürlich, als ich je eine sah, man möchte sie fast für echt halten. – Steh auf! – (Er reicht ihr die Hand.)
Luise (richtet sich matt auf). Sein Blut?
Waller. Das in seinem Herzen noch ebenso warm für dich schlug. – O, Luise! dein Werk ist sein Tod, – dein Werk, daß ich in Verzweiflung umherirre; über dich komme sein Blut!
Luise. Über mich? – Er ist nicht mehr? O, hinweg von mir, Mörder! hinweg! – Er ist also tot? – Berühre mich nicht mit deinen blutigen Händen! – hinweg!
Waller. Luise, – sieh, ich bin nun wieder kalt, – mache mich nicht von neuem wütend.
Luise. O, sein Blut komme zehnfach über dich! – O, ich hasse, ich verabscheue dich, – hassen? Nein, Verachtung, » Franz: Du hassest mich? Amalia: Ich verachte dich, geh!« Schillers »Räuber« I, 9. – mitleidige Verachtung gebührt dem gemeinen Mörder,
Waller (mit den Zähnen knirschend). Luise!
Luise. O geh, geh, Gebrandmarkter, – siehst du die Henker nicht, die dich fortschleppen wollen? – Dich nannt' ich mein? meinen Karl? – O, du gehörst dem Hochgericht.
Waller. Weib!
Luise. Ich will nicht mit dir sprechen, – selbst dein Blick entehrt mich. – O, wie tief war ich herabgesunken, von seiner Liebe zu dir! – O Himmel! von ihm so tief herab bis zu dir! – So niedrig ward noch keine Liebe verschleudert, so entehrt ward sie noch nie, als daß ein Mädchen dich liebte.
Waller (mit unterbrochener Stimme). Sieh, – sieh – ich bin in Verzweiflung, – meine Hand zittert, – ich bin verrückt, – fürchte mich –
Luise. Dich fürchten? – den ich verachte? – O, meine letzte Kraft will ich aufbieten, dir meinen Haß entgegenzurufen. – Ich war schwach, aber gegen dich –
Waller. Fürchte den Verzweifelten, – fleh – ich – ich – ich, ich kann nicht sagen, was ich thun könnte – aber es ist schrecklich! – Ich bitte dich, Luise, liebste Luise, schweig! –
Luise. O, nenne mich nicht. – Flieh! flieh, ehe der Tag dämmert, flieh unter dem Schutz der Nacht, so wie es Mördern geziemt. – Dich wollt' ich um Verzeihung bitten? – Dich? – O schändlicher Gedanke! – Gegen deine That ist meine Schwachheit Tugend! – O Scheusal!
Waller (stürzt rasch auf sie zu und stößt das Messer in ihre Brust; eine Pause; sie sinkt nieder, er betrachtet sie stumm und kalt). Du hast es gewollt! – (Pause.) Luise!
Luise. Karl? – Was willst du?
Waller. Luise, um Gotteswillen, wecke mich auf, – ich träume fürchterlich! – (Schreiend.) Weck' mich auf!
Luise. Ich kann nicht, Karl, – wollte Gott, du träumtest!
Waller (bitter). O, das dacht' ich wohl, daß es wahr sein würde! das dachte ich wohl! – Wenn wäre Unglück ein Traum? – O, alle meine Freuden sind nur ein Traum gewesen, erst seit heute bin ich erwacht!
Luise. Karl! – Lebe Wohl, ich sterbe –
Waller. Du stirbst? –
Luise. Ich fühle meine Kräfte schwinden, verzeih mir, ich habe dich wohl sehr gescholten?
Waller. Nein! ach nein! – Du willst sterben? – O, warum willst du das? – Glaubst du nicht, daß ich schon elend genug bin? – Stirb nicht! – Ich leide genug.
Luise. Gib mir deine Hand, – ich werde fortgerissen –
Waller (stürzt neben ihr nieder). Du sollst, du darfst nicht sterben! – Nein! nein! – O, es kann, es wird noch alles wieder gut werden, – nur nicht sterben, o, das wäre zu viel. – Ha! mir zum Trotz, mich zu zermalmen, wollte das Schicksal vielleicht alle Qualen auf einmal auf mich herabgießen? – Das soll es nicht können, – halt' dich an mein Leben fest, Luise, halt' dich fest, – ich will dich umschlungen halten – (Er nimmt sie in seine Arme.) Wir beide werden doch wohl den Tod abkämpfen können!
Luise. Unmöglich!
Waller (küßt sie wüten). Hier bin ich, furchtbares Verhängnis! – Ich wage es, mit dir zu kämpfen, – mag der Himmel und die Erde Nein drein donnern, – ich sage: sie soll leben!
Luise. Du rasest, – Karl, – lebe wohl – – denk auf deine Sicherheit – – ich kann nicht weiter –
Waller. Ha! wie die bösen Geister meiner Ohnmacht lachen! Wie der hinterlistige Tod grinst und spottet, – Es schleicht so eiskalt ihre Wangen hinab – ihr Auge bricht – es schleicht die Brust hinab – (Sie erschrocken hinwerfend.) Jetzt brach ihr Herz entzwei, (Er steht auf.) Sie ist tot! – (Er betrachtet sie lange stumm.) Ja wahrlich, sie ist tot! – (Er wirft das Messer auf den Leichnam.) Sie wird nie zurück kommen! – Ha! wie kalt, wie leer ist alles in mir, ich könnte lachen, – aber nein! nein! – Die Haare würden sich mir aufrichten! – (Auf- und abgehend, nach einer Pause.) Mörder! – das Wort hat doch wahrlich wenig Bedeutung. – (Er setzt sich neben dem Leichnam auf die Erde.) Ich wohne unter Leichen, – ich bin hier der einzige Lebende. – Deine Hand ist so kalt, Luise! – – Hier will ich sitzen bleiben! – hier will ich thronen, wie der Sieger auf dem Schlachtfelde – Tot! Tot! – (Er sieht stumm aus die Leiche.)