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Einleitung des Herausgebers.

Tiecks erste dichterische Versuche sind dramatische Exerzitien. Als Sechzehnjähriger schrieb er (1789) die liebenswürdigen Szenen »Die Sommernacht«, in denen er dem Genius Shakespeares seine erste, kindliche Huldigung darbrachte; dann folgten fünf vollendete Schauspiele und der Anfang eines sechsten, alle im Jahre 1790. Und nach einer kaum zweijährigen Pause gelingt ihm, gegen Ende 1792, bereits das technisch Vollendetste, was seine ganze dramatische Thätigkeit aufzuweisen hat: der im zwanzigsten Lebensjahre stehende Göttinger Student schreibt das zweiaktige Trauerspiel »Der Abschied«. Der Anlaß dazu kam von außen her. Des Dichters Freund Bernhardi in Berlin, der als Dilettant zuweilen Komödie spielte, forderte ihn auf, »ihm eine Tragödie von zwei, höchstens drei Personen zu senden«, Vgl. »Schriften«, Bd. 1, S. XXXVII, und Köpke, »Ludwig Tieck«, Bd. 1, S. 153. und Tieck lieferte das genannte Stück, das sich als ein bürgerliches Trauerspiel darstellte. Ob es aufgeführt wurde, ist nicht bekannt; wohl aber fand es den lebhaften Beifall der Berliner Freunde. Köpkes Bericht, daß Bernhardi das Stück für sein Werk ausgegeben habe, wird widerlegt durch eine Stelle in einem Briefe Wackenroders, »Briefe an Ludwig Tieck«, Bd. 4, S. 245 (Januar 1793) an der dieser schreibt, er habe »das kleine Drama«, das Tieck an Bernhardi geschickt, noch nicht lesen können, weil letzterer es »einem neuen hiesigen Buchhändler, Nauke, zur Probe Deines Stils geliehen hat«, und durch eine andre, A. a. O. S. 263 (5. März 1793). an der er dem Freunde versichert, Bernhardi habe sich nie der von Tieck erwähnten List bedient, das Drama für sein Werk auszugeben. – Das Stück blieb ziemlich lange Manuskript; erst 1797 Der Titel lautet: »Der Abschied. Ein Trauerspiel in zwey Aufzügen Berlin, bei Langhoff 1798«; Wackenroder starb aber schon Anfang 1798. ließ es der treue Wackenroder drucken, um den auf einer Reise begriffenen Freund zu überraschen.

Das älteste Urteil, das uns über den »Abschied« erhalten ist, ist das Wackenroders, der im Januar 1793 von Berlin aus an den Verfasser schrieb: »Briefe an Ludwig Tieck«, Bd. 4, S. 255 f. »Du hast mir wieder eine sehr glückliche Stunde gemacht, hast mich ganz hineingezaubert in die Zeiten, da mir noch hier zusammen lebten und zusammen empfanden ... Ich fühl' es, ich fühl' es, wie alles aus dem Strom der Empfindung eines vollen Herzens geschöpft ist. Wovon soll ich anfangen? Es hat mich gerührt, entzückt! Ganz in dem Goetheschen Geist des Werthers, der Stella, gedichtet! Ganz Gemälde, treustes Gemälde der erhabenen, ätherischen und schwärmerischen Gefühle, die wir so manches Mal in den Stunden der Seligkeit miteinander wechselten. Hast Du bei der Stelle, wo Luise das von ihrem Geliebten komponierte Lied: ›Wie war ich doch so wonnereich›, spielt, an mich gedacht, so dank' ich dir: glücklich fühl' ich mich, wenn mein Andenken Dich in solchen Stunden umschwebt. Wie lautere Natur ist Ramstein! ... Wie unnachahmlich die zwei Szenen zwischen Luise und Ramstein! Wie wahr der glühende und kochende Ehemann! Wie wahr die lenkbare Schwachheit des weiblichen Charakters! Überall die feinsten Züge verstreut! ... Vielleicht hätte das Ende etwas besser ausgearbeitet sein können; und noch gewisser wage ich zu behaupten, daß zuweilen der Dichter die Personen noch immer mehr von ihrer Empfindung sprechen, als sie, ihrer Empfindung gemäß, sich ausdrücken läßt. Doch der Glanz des Ganzen verschlingt diese Flecken. Wärst Du hier, wir wollten's zusammen lesen, und jeden Augenblick würde ich Dir mein Entzücken zu erkennen geben. Aber so kann ich nichts auszeichnen, es ist zu viel, und ich bin zu voll. O laß doch die Reimerei Bezieht sich auf eine halb in Prosa, halb in Versen abgefaßte, uns nicht erhaltene Erzählung Tiecks »Der Roßtrapp«, die Wackenroder auf das schärfste getadelt hatte. sein! Hier ist Dein Wirkungskreis, im Feld des Tragischen und der trüben Melancholie.« Bei aller Überschwänglichleit begibt sich Wackenroder doch, wie man sieht, durchaus nicht der Kritik; die tadelnde Bemerkung, daß die Personen zuweilen mehr von ihrer Empfindung sprechen, als die Empfindung einfach ausdrücken, ist sein und zutreffend. Aber auch sein Lob ist nicht unbegründet, und die neuere Kritik hat ihm recht gegeben. Während ein Rezensent der »Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek« Band 43 (1799), S. 85 f.; Verfasser war Hofrat Pockels in Braunschweig. durchaus nichts Anziehendes in dem »schwülstigen Trauerspiele« finden konnte, und noch Köpke das wenig beachtete Drama zu den »minder bedeutenden Kleinigkeiten« rechnet, urteilt Haym »Die romantische Schule«, S. 40. darüber folgendermaßen: »Auf dem kleinen Raum, in welchem das Stück spielt, hat Tieck alle Sorgfalt und alle Geschicklichkeit – mehr als das, hat er alle dramatische Kraft und Leidenschaft, deren er fähig war, versammelt. Das Feuer dieser Leidenschaft ist wohl auch hier mehr gemaltes als wirkliches Feuer – aber er versteht doch zu malen! Die Verwickelung, die er diesmal darstellt, ist wieder zu sehr durch die willenlose Weichheit der Handelnden, durch ihr Blut und Temperament bedingt, aber sie ist doch einfach und menschlich verständlich. Die Stimmungen, die sich daraus ergeben, sind nicht nur bloß phantasierte Reflexionsstimmungen; der Fehler besteht hauptsächlich nur darin, daß sie zu sehr ins Dunkle schattiert sind, daß sie zu sehr wieder in jene ratlose Melancholie hinein klingen, die nur in der eignen Gemütslage des Dichters individuelle Wahrheit und Berechtigung hatte. Es ist wesentlich eine Stimmungstragödie. Die Luft ist schwül und bang, die Beleuchtung düster und grausig. Der rückkehrende Geliebte vor allem ist eine finstre, hypochondrische Figur.« Vor dem zuletzt ausgesprochenen Tadel zwar möchten wir den Dichter in Schutz nehmen, da die trübe Stimmung Ramsteins genügend motiviert ist und die Luft erst mit dessen Auftreten schwül wird; einen andern wunden Punkt des Stückes aber, den auch Haym hervorhebt, hat Tieck selbst in spätern Jahren »Schriften«, 11. Bd., S. XXXVIII aufgedeckt: es ist jene bedenkliche Auffassung des Tragischen, die schon an das spätere Schicksalsdrama erinnert, »An ein Bild, Messer, selbst an einen Apfel war etwas Verhängnisvolles geknüpft, was, durch die Erfüllung der Vorahndung zum Orakelmäßigen erhoben, eine tragische Wirkung hervorbringen sollte.« Und daß die ganze Vorgeschichte des Stückes auf einem »Ohngefähr, einem unglücklichen Mißverstand« beruht, wirkt peinlich, obschon nicht so stark, als wenn das rein Zufällige vor unsern Augen geschähe, wie in den Schicksalsdramen seit Werner. An einer andern Stelle weist Tieck auf das Drama hin, aus dem er unzweifelhaft jene fatalistische Anschauung geschöpft hatte. Es war das einaktige Schauspiel »Blunt oder der Gast« von Karl Philipp Moritz, das 1782 zu Berlin erschienen war und dessen Verfasser ihm persönlich nahe stand. Die Vorlage dieses Stückes ist eine 1737 gedichtete dreiaktige Tragödie »Die verhängnisvolle Neugierde« von dem Engländer George Lillo (1693–1739). Zwei in der äußersten Dürftigkeit lebende Eheleute nehmen hier einen Fremden, der sie um ein Nachtlager bittet, bei sich auf, ermorden ihn aber, um sich seines Geldes zu bemächtigen, wobei sich denn zuletzt herausstellt, daß der Ermordete ihr Sohn ist. Vergleicht man die Brutalität dieses Stoffes mit den Voraussetzungen, auf denen sich Tiecks »Abschied« aufbaut, so wird man zugeben, daß letztere weit weniger verletzend sind, da sie dem freien Empfinden und Handeln der Personen einen viel größern Spielraum lassen. Der Litteraturkundige aber erkennt, daß jenes Trauerspiel Lillos oder die Moritzsche Umarbeitung die Quelle war, aus der 1809 Zacharias Werner seinen »Vierundzwanzigsten Februar« schöpfte, die erste eigentliche Schicksalstragödie von litterargeschichtlicher Bedeutung, insofern sie eine lange Reihe Dramen, die von ähnlichen roh fatalistischen Anschauungen erfüllt waren und mit stürmischem Beifall aufgenommen wurden, hervorrief. Tiecks zartere Dichtung, auf die außer der von Wackenroder citierten »Stella« auch Goethes »Clavigo«, Lessings »Sara Sampson« und Schillers »Kabale und Liebe« deutlich eingewirkt haben, blieb dagegen ebenso wie sein 1797 zum erstenmal gedrucktes Ritterschauspiel »Karl von Berneck«, in dem allerdings der Schicksalsspuk in ganz plumper Gestalt auftritt, dem größern Publikum unbekannt. Erst im zweiten Bande der »Schriften« erlebte »Der Abschied« 1828 seine litterarische Auferstehung, aber auch jetzt ohne gebührend beachtet zu werden, obwohl er durchaus bühnengerecht ist und an poetischem Gehalt die meisten der Stücke weit übertrifft, die in den zwanziger und dreißiger Jahren laute Erfolge errangen. Daß Tieck selber in Dresden niemals die Aufführung eines seiner größern romantischen Dramen veranlaßte, ist begreiflich; daß er aber auch die Bühnenwirksamkeit dieses kleinen Jugendwerkes sich nie erproben ließ, müßte wundernehmen, wenn nicht die vornehme Zurückhaltung des Dichters in diesem Punkte bekannt wäre und wenn er nicht selbst die Verkehrtheit der Schicksalstragödie unermüdlich an den Pranger gestellt hätte, als deren Vorläufer vor dem Publikum zu erscheinen, er billig Bedenken trug.


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