Ludwig Thoma
Die Lokalbahn
Ludwig Thoma

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Siebente Szene

Der Bürgermeister. Schweigel.

Der Bürgermeister steckt die Hände in die Hosentaschen und geht auf und ab. Schweigel setzt sich im Laufe des Gespräches auf den rechts vorne stehenden Rohrsessel. Es tritt allmählich Dämmerung ein.

Schweigel I mag net hoam geh'. Die Fragerei is mir so z'wider. Sie wissen ja, wie die Frauen san.

Bürgermeister Bleiben Sie hier! Wir trinken ein Glas Bier zusammen, wenn es Ihnen recht ist.

Schweigel Warum nit? Der Bürgermeister klingelt. Wissen S', Herr Bürgermoasta, i ko's meiner Alten aa net verdenken. Jetzt hamm ma den Garten Gott woaß wie lang, mir hamm selber so a bissel mit g'arbet, hamm unser Freud dro g'habt – und jetzt müassen wir zuaschaug'n, daß'n de Eisenbahn in der Mitt ausanandaschneid't.

Bürgermeister Ja, ja! Seufzt. Und was haben wir für Hoffnungen auf diese Bahn gesetzt!

Das Dienstmädchen tritt von links ein.

Bürgermeister Marie, holen Sie zwei Glas Bier!

Marie Ja, gnä Herr! Ab.

Schweigel I saget no nix, wenn ma sehet, daß die Abtretung notwendig is zu'n allgemeinen Besten. Aber wenn ma woaß, daß die ganze Stadt no dazu an Schaden davo hat, und daß's grad zum Trotz g'schieht – da vageht oam da Glauben.

Bürgermeister Ja, wirklich.

Schweigel Es is scho merkwürdig, heutzutage

Bürgermeister Sie können sich denken, wie mir dabei zumut ist.

Kleine Pause. Marie kommt von links mit Bier. Sie stellt die zwei Gläser auf den Gartentisch rechts.

Schweigel No, stoßen ma'r amal o! 's Wohlsei, Herr Bürgermoasta!

Bürgermeister Prosit, Herr Schweigel, prosit! Sie stoßen an und trinken.

Schweigel Warum 's grad mit uns a so umgengan?

Bürgermeister Das haben wir nicht verdient.

Schweigel I geh am Sonntag in mei Kirchen, i wähl anständig, i bi Veteran und Feuerwehrhauptmo, i bi überhaupt, wia ma sagt, a loyaler Bürger.

Bürgermeister Das muß jeder zugeben.

Schweigel Scheint aber net, oder vielleicht gilt dös nix mehr heutzutage

Bürgermeister Das wäre schlimm für den Staat, Herr Schweigel.

Schweigel Allerdings. Also Prost, Herr Bürgermoasta!

Bürgermeister Prosit!

Stoßen an und trinken.

Schweigel Guate Bürger braucht der Staat. Ja! Und bal oana so viel Steuern zahl als wia'r i, nacha nimmt ma'r eahm sein Garten.

Bürgermeister Nimmt ihm den Garten.

Der Major tritt von links ein.

Achte Szene

Die Vorigen. Major.

Schweigel Dös is net klug und weise, dös is net diplomatisch. Auf de Weis ziagt ma Sozialdemokraten her.

Bürgermeister Hoffentlich nicht! Hoffentlich nicht!

Schweigel Was denn? De, wo nix hamm, san's a so scho; jetzt brauchan bloß no de Sozialdemokraten wer'n, de wo was hamm; nacha werd's bald gar sei. Hab i recht, Herr Major?

Major Vollständig. Sie wollen also jetzt zur äußersten Linken übertreten, Herr Schweigel?

Schweigel No, ma hat ja no sei Religion im Leib! Aba ma soll oan aa net zu stark reizen.

Bürgermeister Es wird eben darauf gesündigt, daß der kernige Bürgerstand sich nicht vom rechten Weg abbringen läßt.

Major Der kernige Bürgerstand ist bloß selber schuld, wenn man ihm auf die Zehen tritt.

Bürgermeister Erlaub du mir!

Major Jawohl. Jeder Stand wird so behandelt, wie er sich's gefallen läßt.

Bürgermeister Wir lassen uns nichts gefallen, wir schweigen nur manchmal der staatlichen Ordnung zulieb.

Major Und aus sonstigen Gründen.

Bürgermeister Wir wollen nicht mit der Regierung auf dem Kriegsfuß leben.

Major Ist ja nicht notwendig, aber die Bürger sollen sich wenigstens Respekt verschaffen.

Bürgermeister Den Respekt verweigert man uns nicht.

Schweigel Da taten mir aa no a Wörtl mit reden.

Major Ich kann nicht finden, daß der Bürgerstand mit besonderer Hochachtung behandelt wird.

Bürgermeister Die Eisenbahnen sind nun einmal staatlich, und...

Major Es handelt sich nicht bloß um eure Bahn, und nicht bloß um euch Dornsteiner. Die Nichtachtung sieht man überall und bei jeder Gelegenheit.

Schweigel Dös waar g'spaßi!

Major Man sieht auch recht gut, wo es bei den Bürgern fehlt.

Bürgermeister Wo fehlt es?

Major An der richtigen Festigkeit.

Schweigel Entschuldigen S', Herr Major, wenn i da aa'r a bissel mitred. Aba i moan, Sie gengan da entschieden zu weit.

Major Nein, nein, Herr Schweigel.

Schweigel Wo steht denn dös, daß mir koa Festigkeit net hamm? Da müaßten mir aa was wissen.

Während der Szene ist es Nacht geworden. Schöne Mondnacht.

Major Das zeigt sich überall.

Bürgermeister Zum Beispiel?

Major Ihr nehmt tausend Rücksichten, auch da, wo ihr gar nichts davon habt. Ihr schimpft über Vorurteile und beugt euch davor. Ihr macht Opposition und schmeißt wieder um.

Schweigel Ah! Ah! Sie san guat!

Major Man nimmt euch nicht ernst. Das müßt ihr doch selber sehen.

Bürgermeister Du übertreibst aber wirklich, Karl.

Schweigel Wia Sie so reden könna, Herr Major, wo Eahna Bruder ein solches Beispiel geben hat!

Major Ja so!

Schweigel I glaab, daß dös a Festigkeit is, wenn ma si traut und an Minister a so z'sammpackt.

Neunte Szene

Die Frau Bürgermeister von links mit einer Gartenlampe. Die Vorigen.

Frau Bürgermeister Die Herren sitzen ja im Dunkeln.

Schweigel I hab gar net g'merkt, daß's scho so spat is. Dös kummt vom Politisier'n.

Frau Bürgermeister Sie bleiben noch ein bißchen?

Schweigel Na, na! I muaß jetzt hoam. Mei Alte woaß gar net, wo i bi.

Frau Bürgermeister Wir schicken unser Mädchen hinunter. Ein Glas Bier müssen Sie noch trinken.

Schweigel No, vo mir aus. Aba wenn i nachgib, sagt der Herr Major wieder, daß mir Bürger koa Festigkeit hamm.

Major An der Festigkeit habe ich nie gezweifelt.

Zehnte Szene

Beringer und Suschen von links. Die Vorigen.

Bürgermeister Grüß Gott, Adolf! Ich hab' dich noch gar nicht gesehen.

Beringer Grüß Gott! Nun, wie ist es gegangen?

Bürgermeister Ich habe nichts ausgerichtet.

Beringer Das war vorauszusehen.

Bürgermeister Reden wir nicht mehr davon. Wir wollen heute recht vergnügt sein.

Das Dienstmädchen bringt Bier und stellt es auf den Tisch links.

Bürgermeister So. Platz nehmen.

Alle setzen sich.

Beringer War der Minister gut gelaunt?

Bürgermeister verlegen. O ja! Gott!

Schweigel Am Anfang vielleicht scho!

Beringer Wieso, am Anfang?

Schweigel lacht. Der Bürgermeister schneuzt sich verlegen.

Bürgermeister Er war wie immer. Du weißt ja. Aber lassen wir das gut sein. Prosit!

Gegenseitiges Zutrinken.

Schweigel Herr Bürgermoasta, Sie san a Volksheld!

Beringer Lauter Anspielungen. Warum erzählst du nichts?

Bürgermeister Es ist nichts zu erzählen, Adolf. Ich habe meine Pflicht getan, weiter nichts.

Schweigel Sie san zu bescheiden, Herr Bürgermoasta!

Bürgermeister Absolut nicht. Suschen, willst du nicht Klavier spielen?

Suschen Gerne. Was willst du hören?

Bürgermeister Irgendwas. Das ist mir gleich.

Schweigel Nur nix klassisch'. Dös is so fad!

Suschen Ich hole was Lustiges, Herr Schweigel. Ab nach links.

Schweigel I muaß sag'n, Frau Bürgermoasta, Eahne Fräul'n Tochta g'fallt mir allaweil besser. So was Liabs!

Frau Bürgermeister Sie macht uns viel Freude.

Bürgermeister Jawohl.

Schweigel Und jetzt kriagt s' bald an braven Mo. Eahna Wohl, Herr Amtsrichter!

Beringer steif. Sehr angenehm.

Frau Bürgermeister Wie geht es Ihrer Tochter im jungen Ehestand, Herr Schweigel?

Schweigel I dank der Nachfrag. Guat! No, schlecht kann's ihr aa net geh.

Frau Bürgermeister Ihr Schwiegersohn hat ein großes Anwesen?

Schweigel Ja. Und sie hat ja aa was Schön's mitkriagt. De Leuteln tean sie ganz leicht.

Frau Bürgermeister Ihre Frau sagte mir neulich, es sei schon was Kleines auf dem Wege?

Schweigel Freili! Jetzt wer'n ma bald Großvata. No, bei Eahna schlagt's aa no ei, Herr Bürgermoasta.

Bürgermeister Stoßen wir darauf an!

Alle stoßen an. Beringer zurückhaltend. Suschen von links mit Notenblättern unter dem Arme.

Schweigel Haha! Fräul'n Suschen, wenn S' wisseten, auf was mir jetzt trunken hamm!

Suschen Darf man das nicht hören?

Bürgermeister Das muß dir Adolf erzählen.

Schweigel Recht hoamli.

Lachen. Man hört in der Ferne Musik einen Marsch spielen.

Major zu Schweigel. Prost!

Schweigel Prost, Herr Major! I woaß net, i bin heut so lusti, trotz mei'n Garten. I glaab, dös kummt daher, weil i mi heut so über'n Herrn Bürgermoasta g'freut hab'.

Beringer Eine solche Geheimniskrämerei! Was ist denn passiert?

Schweigel Dös will i Eahna scho sag'n, Herr Amtsrichter. Sehg'n S', Sie san was, Sie san a Beamter. Aba Sie derfen stolz sei, daß Sie an solchen Schwiegervater kriag'n.

Die Musik intoniert bedeutend näher wieder einen Marsch.

Major Was ist das für eine Musik?

Frau Bürgermeister Ich habe schon vorhin was gehört.

Das Zimmermädchen stürzt atemlos durch die Gartentüre herein.

Marie Herr Bürgermeister! Herr Bürgermeister! Die Liedertafel kommt!

Bürgermeister Wo? Zu wem?

Marie Zu uns. Sie wollen ein Ständchen bringen.

Suschen Dem Papa?

Frau Bürgermeister Fritz!

Bürgermeister Nur geschwind meinen Gehrock! Marie!

Suschen und Marie eilig nach links ab. Gleich darauf kommen sie wieder mit dem Gehrock herein. Die Musik ist nun im Garten angelangt. Brausender Marsch. Lampionträger marschieren auf und bilden einen Kreis um die Liedertafelsänger. Währenddessen ist die Unterhaltung im Verandazimmer weitergegangen.

Beringer Ich begreife das alles nicht.

Schweigel Sehg'n S', Herr Amtsrichter. So ehrt die Stadt Eahnan Schwiegervater!

Bürgermeister Schnell! Schnell! Meinen Rock!

Suschen und Marie helfen ihm hinein.

Frau Bürgermeister Ach Gott, Fritz? Wenn ich mich nur recht freuen könnte!

Gruppe im Zimmer. Die Frau Bürgermeister lehnt sich an ihren Mann. Suschen legt die Hand auf die Schulter ihres Verlobten. Alle stehen. Die Musik schweigt plötzlich, und ein Quartett singt die erste Strophe des Liedes:

Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da droben?

Nach Beendigung der Strophe tritt Stelzer unter die Gartentüre und spricht halb gegen die Zuschauer, halb gegen den Garten zugewendet.

Stelzer Unser mutiger Vorkämpfer, der allverehrte Herr Bürgermeister soll leben hoch! Hoch! Hoch!

Die Leute im Garten stimmen brausend in den Hochruf ein. Die Musik spielt einen Tusch. Kiermayer, Stelzer, Heitzinger betreten das Zimmer. Der Bürgermeister geht auf sie zu.

Bürgermeister Aber, meine Herren! Diese Ehre! Schüttelt jedem die Hand, dann tritt er unter die Gartentüre und spricht halb zu den Zuschauern gewendet.

Bürgermeister Mitbürger! Dornsteiner! Sie haben mir eine Ehrung bereitet, die mich auf das tiefste ergreift. Ich spreche Ihnen meinen Dank aus. Meinen innigsten Dank. Ich kann nicht mehr sagen, als daß ich allezeit für mein liebes Dornstein meine schwachen Kräfte einsetzen will, jetzt und allezeit. In guten und bösen Tagen. Mit Gut und Blut! Und in diesem Sinne stimmen Sie mit mir ein: unser Dornstein, hoch! Hoch! Hoch!

Die Leute im Garten sowie Kiermayer, Heitzinger, Schweigel, Stelzer rufen mit. Die Musik spielt wieder einen Tusch. Die Liedertafel intoniert sofort den Sängerspruch:

Schneidige Wehr,
Blanke Ehr,
Lied zum Geleit,
Gib Gott allezeit!

Während des Singens fällt der Vorhang.


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