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Jawohl, auch wir Dürnbucher haben unsere Revolution gehabt, oder einen Krawall, und es war damals, wo der Buchdrucker Schmitt, Gott hab ihn selig, als Major von der alten Landwehr vom Messerschmied Simon unter den Tisch geschlagen worden ist und sozusagen betäubt war ... aber ich will die Geschichte der Reihe nach erzählen.
Ihr könnt euch denken, daß wir Dürnbucher Anno 66 einen großen Haß auf diese Preußen gehabt haben, und wenn der Feind damals bis zu uns gedrungen wäre, dann hätte es geraucht. Ich weiß noch gut, wie die privilegierte Schützengesellschaft zum Ausrücken bereit war; und der alte Büchsenmacher Weinzierl ist jeden Tag auf den Kapellenberg gegangen, wo er das Terrain studiert hat. Die Bürgergarde oder Landwehr älterer Ordnung, wie man auch sagt, ist zweimal in der Woche ausgerückt und hat im Buchwald exerziert, und der Major, was der Buchdrucker Schmitt war, Gott hab ihn selig, ist zum Messerschmied Simon gegangen und hat sich öffentlich, daß es jeder gesehen hat, den Säbel schleifen lassen.
Überhaupt herrschte eine furchtbare Aufregung, und der Provisor von der Marienapotheke hat für den Ernstfall ein Sanitätskorps gebildet, wo er der Vorstand war, und die Frau Landrichter Hefele hat sich auf der Stelle zur Krankenpflege gemeldet, und dann haben sich die meisten Frauen einschreiben lassen.
Alles war bereit, und jeden Tag hätte es losgehen können. Einmal hat man geglaubt, es ist schon so weit.
Mitten in der Nacht hat es auf dem Marktplatz geschossen, zweimal hintereinander. – –
Beim Spanninger sitzt alles käsweiß in der Gaststube und still, eine Maus hätte man laufen hören, und der Hausknecht hat die Geistesgegenwart und riegelt das Tor zu, und am Kirchturm schlägt die Glocke an, weil der Mesner Benno die Schüsse auch vernommen hat, aber es war bloß der alte Büchsenmacher Weinzierl.
Der ist immer mit dem Doppelläufer ins Wirtshaus gegangen, damit er die Waffe bei der Hand hatte, und auf dem Heimweg hat er sich lebhaft vorgestellt, wie es jetzt wäre, wenn beim Glaser Spannagl ums Eck die Preußen kämen, und er ist aufgefahren und hat geschossen.
Zwei wären es gewesen, hat er oft gesagt, und dann Adieu Weib und Kind, denn zum Laden wäre er nicht mehr gekommen. Aber zwei wären es gewesen.
Das war das einzigemal, wo auch bei uns so eine Art Kriegslärm war; später hat man nichts mehr gehört, und die Preußen sind nicht gekommen.
Übrigens, daß ich es recht sage, einer war schon anwesend in Dürnbuch. Ein windiger Buchbindergeselle, und der hat das Maul so preußisch spitzen können, daß es einem siedig heiß geworden ist. Wie die Nachricht von der Schlacht bei Kissingen gekommen ist, da waren viele Bürger im Kollergarten beim Bier und haben über das Unglück geredet.
Auf einmal steht der Schmied Kasenbacher auf und schaut über ein paar Bänke hinüber, wo der preußische Buchbinder war.
Man hat nicht gewußt, lacht er höhnisch oder lacht er nicht, denn er hat das Maul immer so hinaufgezogen.
»Himmelkreuzdonnerwetter!« hat der Kasenbacher geflucht, »jetzt wenn ich es aber wissen täte!«
Die Bürger sind aufgesprungen und haben den Preußen umringt, und ein paar Bräuknechte haben schon die Hemdärmel aufgekrempelt.
Aber der Buchbinder ist gegangen, und das war sein Glück, denn wir Dürnbucher haben damals keinen Spaß verstanden.
Also, ich habe erzählen wollen von der Revolution, wie der Messerschmied Simon den Buchdrucker Schmitt, Gott hab ihn selig, unter den Tisch geschlagen hat.
Das war ein Jahr später, aber es hängt mit diesem furchtbaren Haß gegen die Preußen zusammen.
Nämlich Anno 1867 haben wir schon das neue Militärgesetz gehabt, und es war die erste Kontrollversammlung angesagt.
Das hat besonders draußen auf dem Land böses Blut gemacht. In Dürnbuch waren die Leute ja vernünftiger, denn man hat doch eine andere Schulbildung, und man hat seine Zeitung, aber unter den Bauernburschen ist die Rede gegangen, daß jetzt alle preußische Soldaten werden müssen.
In Stockach hat es der Pfarrer auf der Kanzel gesagt.
Er hat die Arme zum Himmel gehoben und hat gerufen, daß es wenigstens von dort oben noch weiß und blau herunterschaut, wenn es gleich auf der Welt nicht mehr altbayrisch sein soll.
»Werdet nicht lutherisch!« hat der geistliche Rat in Sassau gepredigt. »Buben, werdet nur ja nicht lutherisch und behaltet euren heiligen Glauben!«
Und das hat man überall gehört; in der ganzen Umgegend ist das gleiche gesagt worden, und die einen waren voll Angst und die andern waren voll Wut.
Daß es unter den Bauern nicht mehr richtig war, hat man schon ein paar Wochen vor der Kontrollversammlung gemerkt.
Wenn sie nach Dürnbuch auf die Schranne gekommen sind, haben sie in den Wirtshäusern Spektakel gemacht und drohende Reden geführt.
Und der Respekt vor der Obrigkeit war überhaupt vollständig weg.
In der Post ist ein Bauer zum Beamtentisch hingegangen, wo die Herren ihren Tarock gespielt haben, und er schaut dem Bezirksamtmann in die Karten und klopft ihm auf die Schulter.
»Du glaubst schon, du hast alle Trümpf in der Hand,« sagt er, »aber paß auf, ob nicht am End wir das Spiel gewinnen.«
»Sie sind ein Flegel,« sagt der Bezirksamtmann, »überhaupt, was wollen Sie?«
»Manderl!« sagte der Bauer, »überleg dir die Sach noch, ob ich ein Flegel bin.«
»Ich lasse Ihnen arretieren,« schreit der Herr Bezirksamtmann, »wo ist die Polizei?«
»Heb dir deine Polizei auf,« sagt der Bauer und lacht ganz merkwürdig, »vielleicht kannst sie noch gut brauchen,« und dann ist er gegangen. Unter der Tür hat er sich nochmal umgedreht und sagt: »Wennst an den König von Preußen schreibst, kannst ihm einen schönen Gruß ausrichten von den Stockacher Bauern.«
Die Herren waren durchaus verblüfft und haben nicht mehr gewußt, was sie denken sollen. Der Bezirksamtmann – Alois Reich hat er geheißen, und er war aus der Rheinpfalz – hat die Karten hingelegt und ist wütend auf den Marktplatz hinaus.
Aber von den Bauern war nichts mehr zu sehen, und der Bürgermeister von Stockach, der gleich am andern Tag hereinzitiert worden ist, hat keine Auskunft geben können oder wollen.
»Sie müssen es wissen, wer der Kerl ist,« sagt der Bezirksamtmann.
»Wenn Sie einen Kerl suchen,« antwortet der Bürgermeister ganz kalt, »hernach müssen Sie schon bei einer andern Gemeinde anfragen. Wir Stockacher haben keinen Kerl unter uns.«
»Aha! Pfeift der Wind aus dem Loch? Ich will Ihnen was sagen. Innerhalb dreimal vierundzwanzig Stunden erfahre ich, wer mich gestern beleidigt hat. Der Mann ist leicht zu eruieren, schon an seinen Redensarten über Preußen und so weiter. Erhalte ich keinen Bescheid, dann sollen Sie mich kennen lernen.«
»Ist nicht notwendig,« sagt der Bürgermeister, »ich hab ja schon länger die Ehr. Und wenn das ein Kennzeichen ist, daß einer nicht preußisch werden will, dann müssens wir Stockacher alle miteinander gewesen sein. Und ich kann gleich dableiben,« sagt er, »denn ich bin der Allererste dagegen.«
Eine solche Auflehnung hat man damals überall gemerkt, heimlich und offen, und eigentlich haben wir Dürnbucher uns darüber gefreut, wenn es nur keine Konsequenzen gehabt hätte.
Unter gebildeten Leuten hat das keine Gefahr. Man sagt seine Meinung, oder man denkt sich seinen Teil, und vergißt aber nicht den Anstand.
Aber bei den gewalttätigen Bauern sind natürlich die Konsequenzen eingetreten. Nun muß ich es der Reihe nach erzählen, obwohl es eigentlich schwer ist, weil man in dem Krawall den Kopf verloren hat, und keiner hat recht gewußt, wo der Anfang war.
Am Tag der Kontrollversammlung sind aus allen vier Himmelsrichtungen die Bauernburschen in die Stadt gekommen.
Nicht einzeln oder paarweis, sondern in Haufen, und alle haben schon in der Herrgottsfrühe Spektakel gemacht.
Wo ein Haufe mit der Ziehharmonika angerückt ist, das hat man sich noch gefallen lassen. Aber die meisten haben geschnackelt, gepfiffen und gejohlt, und andere haben durch Kuhhörner geblasen, als wenn sie Feuerlärm geben müßten, und wieder andere haben bloß geschrien, daß die Fenster gezittert haben.
Die Bürger sind erschrocken aus den Betten gestürzt und haben in die Gassen hinuntergeschaut, und den meisten hat schon nichts Gutes geahnt.
Am Marktplatz sind alle Haufen zusammengekommen; so oft ein neuer aufmarschiert ist, haben die andern ihn mit furchtbarem Lärm begrüßt, sie haben gejuchzt und geblasen und Blechdeckel aufeinander geschlagen, und es war wie ein Haberfeldtreiben.
Aus dem Stern und dem Goldenen Lamm und aus dem Rappen haben sich die Burschen Bierfässer geholt und auf den Platz gerollt, wo gleich angezapft worden ist.
Die Bräuknechte haben sie hergeben müssen und die Maßkrüge dazu, denn an einen Widerstand war nicht zu denken.
Der lange Martl vom Rappenbräu hat Bezahlung verlangt, aber da ist ein allgemeines Gelächter gewesen, und ein Bursche hat gerufen:
»Heut sind wir zechfrei; heut zahlt alles der König von Preußen.«
Und sie sind her über das Bier, wie die Wilden; den Hahnen haben sie nicht mehr zugedreht, und was nicht in den Krügen Platz gehabt hat, ist auf den Boden gelaufen.
Mit dem Trinken ist der Lärm ärger und ärger geworden; einer hat den andern überschrien, und weil ihnen das noch nicht laut genug war, haben sie mit den Stecken auf die Fässer geschlagen.
Der Bürgermeister Wieser schaut zum Fenster herunter und glaubt, der Jüngste Tag ist gekommen.
Er hat aber den Kopf schnell zurückgezogen, denn wie ihn herunten ein paar gesehen haben, pfeifen sie durch die Finger und brüllen hinauf, ein Wort gröber wie das andere.
»O du Herrgottssakrament, tu deinen Gipskopf hinein, oder es geht dir schlecht!«
Endlich kommt der Polizeidiener Kraus hinter der Kirche herum, den Helm auf, den Säbel umgeschnallt, und blaß wie der leibhaftige Tod.
Er hat später oft erzählt, daß er Reu und Leid gemacht hat, bevor er in den Haufen hinein ist.
Er kann sich zuerst nicht verständlich machen; aber nach und nach zieht sich ein Kreis um ihn, und ein Bursche steigt auf das nächste Bierfaß und schreit:
»Ruhe! Seid ruhig eine kleine Weile, jetzt müssens mir hören, wie lang wir noch bayrisch bleiben.«
»Meine Herren!« sagt der Polizeidiener Kraus, »machen Sie doch keine solchene Ruhestörung! Ich muß Sie aufmerksam machen, daß das verboten ist.«
»Steht das im preußischen G'setz?« fragt der Bursche vom Bierfaß herunter.
Und in dem Augenblick geht der Lärm auf ein neues an. Wie auf Kommando singen alle zu gleicher Zeit:
»Schenkt's mir amal was boarisch ein!
Boarisch woll'n wir lustig sein,
Schenkt's mir amal was boarisch ein,
Boarisch woll'n wir sein!«
Den Kraus packen drei oder vier und schieben ihn voran, und gleich schieben noch ein paar mit, und vor er richtig umschaut, fliegt der Polizeidiener in den Hauseingang vom Rappenbräu hinein, und vom Hauseingang in die Gaststube und von der Gaststube in die Küche.
»Hebt's ihn gut auf!« schreit einer zu den Weibsbildern hin, »denn wenn er nochmal rauskommt, könnt's leicht sein, daß er zerbrochen wird.«
Der Kraus hat nicht daran gedacht, noch einmal auf den Platz zu gehen, denn er hatte seine Pflicht schon erfüllt und betrachtete sich für kampfunfähig und gefangen.
Bis jetzt war eigentlich nichts geschehen; aber in dem Augenblick, wo es acht Uhr schlug, ging es wie auf Befehl über das Rathaus her.
Auf die Stunde war die Versammlung angesetzt, und die Burschen haben geglaubt, daß sie jetzt die preußischen Offiziere erwischen könnten.
Natürlich war überhaupt keiner in Dürnbuch, aber es war allgemein gesagt in der ganzen Gegend.
Also, die Kannibalen stürzen über die Stiege hinauf und nehmen den Gemeindeschreiber bei der Gurgel.
»Wo sind die Preußen?«
»Heraus damit!«
»Es sind keine Preußen da! Tut mir nichts, ich hab Weib und Kind!«
»Kerl, wenn wir sie finden, bist du auch hin!«
Die Haufen verteilen sich und suchen das ganze Haus ab, treten Türen ein, reißen Schränke auf, werfen die Akten herum, zerschlagen die Fenster, johlen und brüllen.
Jetzt hätte die Bürgergarde einschreiten müssen.
Der Messerschmied Simon, der als Leutnant dabei war, hat sich ein Herz gefaßt und ist aus seinem Hause heraus und zum Buchdrucker Schmitt in die Kirchgasse gelaufen.
Denn der Schmitt war Kommandeur, und alles mußte auf seinen Befehl geschehen.
»Revolution! Revolution!« schreit der Simon und reißt an der Glocke. Die Türe wird vorsichtig aufgemacht, und der Schmitt, Gott hab ihn selig, steht im Schlafrock da und zittert wie im Frostfieber. Aber der Simon war ein martialischer Mensch, wie jeder weiß, der ihn kennt.
Er macht die militärische Ehrenbezeugung und sagt:
»Ich melde gehorsamst, Herr Major, in der Stadt herrscht Aufruhr! Die Bauern stürmen das Rathaus!«
»Wir sind alle sündige Menschen,« sagt der Schmitt, »um Gotteswillen, Simmerl, glaubst du, daß sie jeden umbringen, oder bloß die Magistratsrät?«
»Ich bitte den Herrn Major gehorsamst um Befehl zum Alarm!«
»Sei so gut, Simmerl! Ist der Spektakel nicht schon arg genug?«
Jetzt wird der Messerschmied Simon zornig.
»Schmitt,« sagt er, »du weißt, daß es bei Revolutionen allemal über die Druckereien hergeht; wenn du jetzt nicht gleich deine Uniform anlegst und mitgehst, dann können sie von mir aus dein Geschäft demolieren.«
Und das war auch richtig.
Wo man von einem Aufstand was zu lesen kriegt, steht immer dabei, daß Druckereien erstürmt worden sind.
Der Schmitt hat das selber gewußt, und er ist in Gottes Namen mit dem Simon gegangen, aber er hat noch nie so schwer an seinen Epauletten getragen, wie diesmal.
Auf der Gasse sagt der Messerschmied wieder ganz militärisch:
»Herr Major sammeln vielleicht das Korps in der obern Stadt, ich alarmiere am Kühberg, und meine Rotten stoßen mit den Ihrigen am Marktplatz zusammen, dann ist der Feind in die Mitte genommen.«
»Simmerl, sei g'scheit und bleib bei mir!«
Aber der Messerschmied Simon fragt barsch: »Befehlen der Herr Major, daß Bajonett aufgepflanzt wird?«
»Tu was d' magst,« seufzt der Schmitt. »Mit dir komm' ich heut noch ins Unglück.«
Und er schleicht langsam an den Häusern vorbei.
Der Simon rennt wie ein Feuerreiter in die untere Stadt. Er holt seinen Stabstrompeter, den Schuhmacher Batz, und läßt ihn Alarm blasen.
Der Batz ist nicht faul und schmettert sein Signal durch die Wäschergasse und die Kreuzstraße, über das Petersbergl und überall.
Aber kein Mensch kommt heraus.
Im Gegenteil, wo der Batz mit seiner Trompeten sich hören läßt, schließen die Bürger ihre Fensterläden und verrammeln sie von innen.
Jetzt rasselt auch die Trommel.
Ein Geselle vom Schmied Kasenbacher ist gehorsam auf den Alarm erschienen und schlägt auf das Kalbsfell los.
Rataplan! Rataplan!
Die Spielleute tun ihre Schuldigkeit, aber von der Mannschaft läßt sich keiner blicken.
Am Kühberg wohnt der Büchsenmacher Weinzierl.
Das ist ein erprobter Scharfschütz, und ein tapferer Mann, aber leider sind auch bei ihm Fenster und Läden zu.
Der Messerschmied Simon ist wütend. »Hans!« schreit er, »komm heraus!«
»Warum?« fragt der Weinzierl durch das Guckloch im Fensterladen.
»Ja, hörst du denn nichts von dem Spektakel? Alarm wird geblasen. Die Bauern sind über uns.«
»Ich schieß bloß auf die Preußen,« sagt der Weinzierl und gibt keine Antwort mehr.
Der Simon hält Kriegsrat.
»Ich habe dem Major versprochen, daß ich mit meinem Hilfskorps zu ihm stoße. Wenn ihr mitgeht, ist's recht; sonst gehe ich allein hin.«
Der Batz und der Schmied Maxl standen aber fest zu ihrem Leutnant. »Nur,« sagt der Schuster Batz, »keine Attacke können wir nicht machen, denn wir sind zu wenig, und mit einer Trompeten kann man den Rammeln die Köpfe nicht einschlagen.«
»Wir machen eine Streifpatrulle,« erklärte Simon, »und schleichen uns an den Feind heran. Wenn die Sternbräustiege frei ist, kommen wir gedeckt hinauf, und dann sehen wir schon, wie es weiter geht.«
Die drei liefen schnell zum Alzufer hinauf und hatten das Glück, daß unterwegs noch der Zimmermann Heiß zu ihnen stieß, der ein Pionier bei der Bürgergarde war und mit der Axt ausrückte.
Vom Fluß weg geht direkt eine überwölbte Stiege in den Hof des Sternbräu, wo man dann mitten am Marktplatz war.
Der Batz schlich voran, hinterdrein der Simon, dann kamen die andern zwei.
Es war niemand um den Weg, denn beim Sternbräu war das Tor geschlossen; aber im Hof stand der Bezirkskommandeur, Oberst Hingerl mit Namen, und sein Feldwebel war bei ihm.
Er wollte die Kontrollversammlung bei dem Tumult nicht abhalten und blieb in seiner Wohnung, und das war sein Glück.
Denn wenn ihn die Kannibalen im Rathaus gefunden hätten, wäre wahrscheinlich ein Unglück passiert.
Er sagte aber, er werde schon noch mit den Herren zusammentreffen, wenn ihnen der Rausch vergangen wäre, und es ist auch ein paar Wochen später so gekommen.
Also jetzt stand er im Hof vom Sternbräu und machte ein fuchsteufelswildes Gesicht. Den Messerschmied Simon, der ihn militärisch grüßte, fuhr er gleich an: »Wer sind Sie?«
»Melde mich zur Stelle, Leutnant Simon vom Landwehrbataillon.«
»So? Von den Hasenfüßen? Ihr benehmt euch schön und laßt die besoffenen Lümmel die ganze Stadt auf den Kopf stellen!«
»Zu Befehl, Herr Oberst, ich tu meine Bürgerpflicht, und will mit meinem Korps zum Major Schmitt stoßen, daß wir die Ordnung herstellen.«
»Ist das Ihr ganzes Korps?« fragt der Oberst und schaut den Trommler an und den Trompeter und den Pionier.
»Das Gros befehligt der Herr Major Schmitt,« sagt der Simon, der auf unsere Dürnbucher Garde nichts kommen lassen will.
»Wo steckt denn Ihr tapferer Kommandeur? Ich höre und sehe nichts von ihm.«
»Er flankiert den Feind und bricht hinter der Kirche vor.«
»Also frisch drauf los!« ruft der Oberst.
Aber der Messerschmied Simon war ein besonnener Mensch, der seine Truppen nicht blindlings aufs Spiel setzte.
»Zuerst müssen wir rekognoszieren,« sagte er, »und uns mit dem Gros verständigen.«
Er ging bis ans Tor, und der Pionier Heiß mußte die Axt einklemmen, daß man eine Spalte hatte, durch die der Batz als der längste Umschau hielt.
Vom Marktplatz herein hörte man nur mehr einen schwachen Spektakel, denn in der Zwischenzeit waren die meisten Burschen schon abgezogen. Wie sich im Rathaus kein Preuße finden ließ, marschierten sie in die Ludwigstraße ans Bezirksamt und schmissen die Fenster ein und liefen dann johlend auseinander.
Auf dem Marktplatz blieb nur ein schwaches Dutzend zurück und soff das Bier aus.
Jedoch davon wußte der Simon noch nichts, und er ließ den Batz scharfe Umschau halten.
»Was ist los, Batz?«
»Bei der Mariensäule hocken etliche Burschen, und daneben sind andere, und sie schreien immer noch.«
»Das hör ich selber. Aber siehst du nichts vom Major?«
»Nein, da sieht man gar nichts.«
»Schau an die Kirche hin. Zum Seifensieder Gumpold. Aus der Gasse müssen sie kommen.«
»Nein, man sieht nichts.«
»Heiß, druck fester an, daß der Spalt größer wird! Jetzt schau genau hin!«
»Man sieht keinen Menschen nicht.«
»Kreuzteufel, was ist das? Dem Schreien nach sind nicht mehr viel Burschen auf dem Platz.«
»Es sind höchstens noch zehn oder zwölf.«
»Dann ist der Herr Major den Lackeln nachgerückt. Wir müssen hinaus.«
»Jawohl und rasch!« rief der Oberst.
»Nur Zeit lassen!« kommandierte der Messerschmied Simon. »Du, Heiß, schiebst den Riegel zurück, aber stad, daß man es nicht hört! Batz und Schmied Maxl, ihr bleibt hart neben mir, und schreit's recht! So, jetzt das Tor geschwind auf! Hurra! Hurra!«
Die vier stürzten hinaus. Wie die Burschen das Feldgeschrei hören, packen sie zusammen, und auf und davon, was sie laufen können.
Zwei sind in der Besoffenheit liegen geblieben, die hat dann hinterher die Polizei heimgenommen.
»Viktoria!« schreit der Messerschmied Simon, »wir haben sie! Jetzt schnaufen wir aus, und dann wollen wir unsern Brüdern zu Hilfe kommen.«
Er hat seinen Tschako abgenommen und auf dem Schlachtfeld Umschau gehalten.
Der Platz hat grauslich ausgesehen; Maßkrüge und Scherben sind herumgelegen, Bierlachen sind überall gewesen, und auf dem Pflaster unterm Rathaus war alles voll Glasscherben und Papier und Aktendeckeln.
Jetzt sind aber in allen Häusern die Fensterläden zurückgeschlagen worden, und die Leute haben herausgeschaut und dem Simon ein Bravo zugerufen.
Den tapferen Messerschmied hat es gefreut, und er hat militärisch mit dem Säbel gedankt.
»Aber,« hat er gesagt, »das ist nur der erste Sieg; der schwerere kommt noch.«
Indem pfeift der Rappenbräu-Martl und winkt dem Heiß.
»Was willst?«
»Da geht's her. Nehmt's euern Major mit!«
»Was für einen Major?« fragt der Simon.
Jetzt erzählt ihm der Martl, daß der Herr Major Schmitt sich in den Rappenbräu geschlichen und überhaupt kein Gros gesammelt hat.
»Ist er noch drin?« fragte der Simon.
»Und wie!« lacht der Martl. »Schaut's ihn nur an.«
Sie gehen durch die Gaststube in die Küche, und da macht der Hausknecht die Speistür auf, und richtig sitzt der Herr Major Schmitt neben dem Polizeidiener Kraus auf dem Anrichttisch, und sie schauen grasgrün vor lauter Angst, wer denn kommt. »Ah, du bist's, Simmerl!« ruft der Major, »Gott sei Dank, i hab schon was anderes geglaubt.«
Aber der Simon sagt kein Wort; er macht einen Schritt vorwärts und haut seinem Vorgesetzten eine Watschen herunter, daß er unter den Tisch gefallen ist und sozusagen betäubt war.
Das ist die Geschichte von unserer Dürnbucher Revolution, welche sich Anno 67 durch den Preußenhaß zugetragen hat.
Die Bauernburschen sind hinterher bös eingegangen; die Rädelsführer sind ins Zuchthaus gekommen. Viele haben als Soldaten zweiter Klasse in Ingolstadt Sand schieben müssen, und die anderen haben in den Kasernen auch nicht das schönste Leben gehabt.
Die Bürgerwehr ist bald nachher aufgelöst worden, weil Thron und Altar jetzt anderweitig geschützt sind.
Aber der Buchdrucker Schmitt, Gott hab ihn selig, ist acht Jahre später doch noch in der Majorsuniform in den Sarg gelegt worden. Denn er hat es ausdrücklich so gewünscht.