Ludwig Thoma
Der Jagerloisl
Ludwig Thoma

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In Enterrottach war fröhliches Leben.

Von weitem hörte man die hellen Klänge einer Trompete, die sich verloren, um gleich darauf wieder jubelnd in die Höhe zu klettern.

Kam man näher, so mischte sich das tiefe Brummen der Baßgeige darein, und dann übertönte ein wütendes Stampfen die Musik. Von der Brücke aus bot sich ein Bild bewegten Treibens. Über dicht gedrängten Menschenhaufen wehten Adlerflaume auf den Hüten der Mädel; die weißen Hemdärmel der Burschen leuchteten heraus, und das lachte und lärmte durcheinander und drängte sich zu den Tanzbühnen, die im Freien aufgeschlagen waren. Zwischen ihnen schoben sich die zahlreichen Sommergäste durch. Alle Plätze im Wirtsgarten waren besetzt; der Schlegel donnerte auf den Zapfen im Bierfaß, Kellnerinnen liefen durch die Reihen und konnten kaum auf alle Rufe hören, immer wieder kamen Leute, suchten nach Plätzen und schleppten Stühle herbei.

Ein Wagen nach dem andern fuhr vor, Herrschaftsequipagen, Lohnfuhrwerke; elegante Damen stiegen ab und mischten sich fröhlich ins Gewühl, dicke Herren, die im Geschäftsleben etwas bedeuteten, gingen in Joppen und Lederhosen herum, Scharen von Burschen und Mädeln radelten über die Brücke heran und liefen zur Tanzbühne, kaum daß sie abgestiegen waren.

»Is das nich echt?« fragte Herr Fehse. »Sehen Sie mal die zwei Burschen dort; was das für baumstarke Kerls sind!«

»Es gibt so ne und so ne...« antwortete Redantz und wies auf einen kleinen, unangenehm aussehenden Burschen hin.

Er hatte den Hut ins Genick geschoben und in die Stirne hinein Simpelfransen gestrichen.

Es war der Kreillinger Hans. Er merkte, daß ihn die beiden Herren betrachteten, und redete sie an.

»Zahlt's a Maß, ös Stadtfrack!«

»Was sagt er?«

»Bier möchte er haben. Nee, Verehrtester, Ihnen nich...«

»Habt's koa Geld? Na' leich i enk oans!«

Da sich Fehse unwillig abwandte, ging er lachend weg.

»Wir wollen dorthin sehen«, schlug Frau Geheimrat Calmon vor und deutete mit dem Sonnenschirm nach der nächsten Tanzbühne.

Eine Schar trat gerade an; jeder Bursche führte sein Mädel an der Hand.

»Sehen Sie die zweite, da vorne! Ist sie nicht reizend? Und der Bursche, jetzt dort, der eben an der Ecke ist...«

Die Paare tanzten einen langsamen Landler, und wie die Klarinette gellend einfiel, ließen die Burschen ihre Tänzerinnen los und stampften im Takte auf die Bretter. Dann plattelten sie, patschten sich auf Schenkel und Knie, schmissen die Haxen in die Höhe, und jeder zeigte seine Gelenkigkeit.

»Famos!« rief Fehse. »Der große Bengel dort macht's am besten. Donnerwetter ja!... Nu mal los!...«

Kaum war der Tanz beendet, begann gleich wieder ein neuer.

»Was die Kerls für Lungen haben!«

»Sie müssen auch die Mädchen beobachten«, belehrte ihn Frau Calmon, die eine langjährige Erfahrung voraus hatte. »Wie sich jede zierlich dreht und den Burschen zu fliehen scheint. Das ist der Sinn des Tanzes, dieses Liebeswerben des Burschen, der immer stürmischer wird, und das schamhafte Widerstreben des Mädchens.«

Der Kreillinger Hans schlug gerade mit dem Fuße seiner Tänzerin die Röcke in die Höhe. Man sah ein paar sehr tüchtige Waden und rote Strumpfbänder.

»Zum Schlusse... sehen Sie... kommt dann die Erhörung, die Vereinigung«, erklärte Frau Calmon.

Sie bemerkte etwas indigniert, daß Fehse ihr nicht aufmerksam zuhörte.

Die Musik verstummte.

»Dort steht ja Ihr Jäger von neulich«, sagte Redantz und wies auf Loisl, der nur etliche Schritte entfernt war.

»Richtig ja... Ich werde ihn mal ansprechen.«

Loisl hatte seine Bekannten schon längst gesehen, und es war kein Zufall, daß er so nahe bei ihnen stand.

Henny wandte sich nach ihm um und lächelte; sie kam mit ihrem Papa auf ihn zu.

»Tanzen Sie nich?« fragte Fehse. »Sie verstehen sich doch sicher gut darauf.«

»Wenn 's Fräulein erlaubt...«

Henny lachte.

»Ich hab das noch nie...«

»Dös geht von selm. Sie brauchen Eahna bloß a bissel drah'n.«

»Nu mal los!« drängte der Papa, da eben die Trompete ein Zeichen gab.

Alle sahen dem Paare nach. Frau Calmon führte ihr Lorgnon ans Auge, Frau Redantz klatschte Beifall, und Mama Fehse lächelte vergnügt.

»Wenn i Eahna los lass'«, erklärte Loisl, »nacha machen Sie's, wia de andern; tanzen S' grad a bissel rum, bis i wieda kimm...«

»Ich werde mich sicher blamieren.«

»Dös sell glaab i net.«

Er lachte und hielt ihre Hand fest in der seinigen.

Es war ihr ein sonderbares, aber gar nicht unangenehmes Gefühl, ihre zarten Finger so derb umspannt zu fühlen.

Und als nun der Landler anfing, wunderte sie sich, wie leicht und eigentlich elegant er sich mit ihr drehte.

Sie errötete vor Vergnügen.

Und dann plattelte Loisl, immer noch um eins schneidiger wie die andern, schnackelte, pfiff, schlug die Haxen nach hinten aus und sprang in die Höhe, daß Papa Fehse in Beifallsstürme ausbrach.

»Ich wußte es ja! Sagt ich es nich? Das is'n Kerl! Hurrjeh, wie er die Beine schmeißt! Das is 'n Staat!«

Als der Tanz aus war, wollte Henny gehen.

»Setz ma no oan drauf!« bat Loisl, und sie war gleich dazu bereit.

Frau Fehse, neben der Stresow stand, hob ihren Sonnenschirm in die Höhe, um Schluß zu signalisieren.

Aber da quiekte schon die Klarinette und brummte der Baß, und das Paar drehte sich mit den andern im Kreise herum.

Das nächste Mal bat Loisl nicht mehr um Fortsetzung, sondern führte Henny zu ihren Leuten zurück.

Sie wurde mit Beifall empfangen.

Frau Calmon versicherte ihr, sie wären das schönste Paar gewesen, und Frau Redantz sagte, sie hätte nie so was Echtes gesehen.

Fehse hielt Loisl fest.

»Sagen Sie mal, das muß doch kolossal anstrengend sein! Tut denn das nich weh? Sie schlagen sich ja mit einer Vehemenz auf die Beine, daß es nur so knallt!«

»Wenn ma's g'wohnt is, g'spürt ma's net. De erst Zeit brennen oan d'Händ...«

»Die Hände brennen? Donnerwetter ja, das will ich wohl glauben.«

»Jetzt schmeckt aber a Moßl?« fragte Redantz, der den Dialekt nicht lassen konnte.

»Vo dem bissel tanzen kriagt ma koan Durscht.«

»Ah, da kommt der Justizrat! Schade, daß Sie das versäumt haben; Henny hat eben mit unserm Freunde hier getanzt... geschuhplättelt... un so was Echtes! Das hätten Sie sehen müssen!«

»Läßt sich das nicht wiederholen?«

»Wollen mal sehen... vielleicht später. Rauchen wir eine?« wandte er sich an Loisl, der sich bescheiden dankend eine Zigarre nahm.

»Also auf Wiedersehen!«

Der Jäger grüßte höflich und ging in den Wirtsgarten. Bei einem der ersten Tische wurde er angerufen.

»No net gar a so stolz!«

Er wandte sich um und grüßte das Mädel, eine Bauerntochter von Reitrain.

»Ah... grüaß di Gott, Sephi! Bist d'aa herin?«

»I scho. Was is denn? Tanz'st du heut grad mit die Herrischen? Oda san ma dir aa no guat gnua?«

»Geh zua, was redst denn? I bin ja grad kemma.«

»Hab di scho tanz'n sehg'n. Du, i kimm fei auf die Kothalm.«

»Wia dös? Was tuast denn du drob'n?«

»'s Miadei is krank wor'n, jetzt muaß i aufi. Kehrst d' bald amal zua?«

»Wann i auf'n Weg bi, warum net?«

»Koan Umweg is dir net wert?«

»I hab weng Zeit.«

»O Jessas! Bei dir müassat ma gar no bitt schö sag'n...«

»Helfat aa net allemal.«

»Na laß halt bleib'n! Du bild'st da scho a bissel gar viel ei...« Sephi wandte sich schmollend ab.

Da schrie eine rohe Stimme vom Tischende herüber: »Dem greana Hund muaßt guate Brocka geb'n, na lafft er dir scho zua...«

Es war der Kreillinger.

Ein paar Burschen, die bei ihm saßen, lachten höhnisch, aber da hatte Loisl den frechen Kerl schon am Halsbund gefaßt, riß ihn aus der Bank heraus und warf ihn gegen das Tischeck.

Die Burschen sprangen auf und schrieen wütend durcheinander.

»Schlagt's 'n nieder, den Hergottsackerament!«

»No zua!« rief Loisl.

Von allen Tischen liefen Leute heran; schnell bildete sich ein Kreis um die Streitenden.

Loisl stand ruhig, die andern schrieen auf ihn ein.

Ein behäbiger Mann, den die blau und weiße Schleife an der Achsel als Festordner bezeichnet, drängte sich durch die Leute.

»Was gibt's denn da? Bei uns werd net grafft.«

Er kannte den Jäger.

»Heiß, was is denn mit Ihnen?«

»Der Kerl da hoaßt mi an greana Hund.«

»O'packt hat da Jaga«, schrie einer von den Burschen. »Der hat o'gfangt.«

»Is net wahr. Der ander hat'n g'schimpft«, sagte ein älterer Mann.

»Also, i bitt mir a Ruah aus...« entschied der Festordner. »Heiß, san S' g'scheidt und lassen S' de G'schicht geh', und ös da, gel, wann's ös an Krach macha wollt's, lass'n mir enk außi toa.«

»Hamm mir was to? Der hat an Hans'n o'packt. Hat der 's Recht?«

»No staad sei! I kenn an Kreillinger scho länger. Mir lass'n de Gäst net schimpfen, und an Spektakl leid'n mir net.«

Loisl ging mit dem Manne weg, und die Zuschauer verliefen sich.

Fries, der mit Mucki und Morton an einem Tische saß, eilte auf seinen Jäger zu. »Was hat's denn gegeben?«

»Nix b'sonders, is scho wieder vorbei. Der Bazi, den S' neuli g'sehg'n hamm, hat mi g'schimpft, und i hab'n a weng g'faßt.«

»So ein Frechje!«

»Ja, das is kein guter«, sagte der Festordner, ein Rottacher Bürger. »An Ihrer Stell, Heiß, tät ich mich mit dem Kerl net abgeb'n. Dem trau ich alles zu.«

»Der kannt lang wart'n, bis i mi abgab damit, aber vor de Leut an grean Hund hoaß'n lassen, dös sell gibt's na do net.«

»Verklagen Sie den Kerl!«

»Na, Herr Baron. Auf's G'richt laffen, dös mag i net. Heut hat er seine Schmiergel, und vielleicht hab i drauß'd im Revier amal die Ehr unter vier Aug'n. Na zoag i eahm, wia'r a greana Hund beißt.«

»Aber heut nimmer, bei uns da!« sagte der Bürger.

»Na... na!«

»Kommen Sie an unsern Tisch!«

»Herr Baron, entschuldigen S', Sie wern ma's net übel nehma, aber i gang jetzt liaba.«

Loisl war zorniger, als er zeigte.

Was mochten die Herrschaften, die vorhin so freundlich gewesen waren, von ihm denken? Und das Fräulein?

»Warum wollen Sie gehen? Sie waren in Ihrem Recht?« sagte Fries.

»Scho, aber i kenn's, i derleid heut nix mehr, und de Burschen san wepsig. Kannt mi oana dumm o'schaug'n, und na gang's dahi...«

»Wie Sie meinen. Ich will Sie nicht aufhalten.«

Loisl ging aus dem Garten und stellte sich vor die Tanzbühne, als wollte er zuschauen; dabei sah er sich unauffällig nach den Herrschaften um. Er konnte sie nirgends entdecken. Endlich sah er sie von weitem auf der Valepper Straße herankommen; sie hatten offenbar einen kleinen Spaziergang gemacht und von dem Vorfalle nichts bemerkt.

Da war es ihm leichter zumut, und er ging unauffällig weg.

Fries war zu seiner Gesellschaft zurückgekehrt.

»Was hast du, Schnucki? Du bist so aufgeregt.«

»Nicht im mindesten. Wieso?«

»Ich seh's dir doch an...«

Mia war zärtlich besorgt.

Aber es waren in den letzten Tagen ein paar Fäden zerrissen, oder die Sinne des gutmütigen Fries waren schärfer geworden. Er hörte deutlich den falschen Ton heraus. Eine Falte zeigte sich zwischen seinen Augenbrauen.

»Schade, daß es nicht zu einer solennen Keilerei gekommen ist«, sagte Morton. »Zu einem bayrischen Volksfeste gehört das als notwendiges Appendix.«

Er erhielt keine Antwort.

»Hoffentlich is doch nix vorgekommen, was Sie persönlich gekränkt hat?" fügte er hinzu.

»Nicht fragen!« mahnte Mia. »Wenn er verstimmt ist, reizt ihn alles. Man muß ihn allmählich zur Ruhe kommen lassen...« Sie sprach vor Dritten oft so von ihm. Wie von einem Bubi, oder von einem Hunderl, das sie dressierte.

Früher hatte er das überhört, jetzt ging es ihm durch und durch.

Kam es daher, daß Mucki dem gräßlichen Menschen mit so viel Selbstverleugnung ihre Zeit opferte?

Nicht bloß daher.


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