Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Genossen! Am Anfang meines Referates möchte ich die große Bedeutung unserer heutigen ZK.-Sitzung feststellen. Wenn wir einen kurzen historischen Rückblick nehmen auf die Zeit vom 6. Weltkongreß bis heute, so sehen wir, daß die Komintern auf den wichtigen Tagungen in der Zwischenzeit, z. B. auf dem 10. Plenum des Ekki im Herbst 1929, oder auf der Sitzung des erweiterten Präsidiums im Februar v. J. auf Grund der Analyse der Situation die Kampfformen und taktischen Methoden stets auf einer höheren Stufe neu zu stellen vermochte. Nehmen wir z. B. die letzte Tagung des erweiterten Präsidiums und den Bericht über diese Tagung, den wir im März v. J. im Zentralkomitee hatten. Damals stellten wir fest, daß das Tempo des revolutionären Aufschwungs in Deutschland einen beschleunigten Charakter annimmt. In Uebereinstimmung der Beschlüsse des erweiterten Präsidiums versuchten wir an Hand verschiedener Tatsachen an der Geschichte der Revolution aufzuzeigen, daß keine starre Grenze zwischen dem Entwicklungsstadium des revolutionären Aufschwungs und dem Hinausreifen in eine revolutionäre Situation bestehen kann.
In der heutigen ZK.-Sitzung steht vor uns die wichtige Fragestellung, welche Erscheinungen sich bis jetzt gezeigt haben, daß die ökonomisch-politische Krise in Deutschland bereits Tendenzen der revolutionären Krise ausgelöst hat. Diese wichtige Problemstellung und die sich daraus ergebenden Aufgaben sind die Hauptlinie des heutigen Referats.
Wenn wir in dieser Zentralkomiteesitzung die Veränderungen vom Juniplenum vorigen Jahres bis heute überprüfen, so ergibt sich, daß es zweckmäßig war, nicht schon eher eine ZK.-Sitzung einzuberufen. Das heutige ZK. hat viel größere Möglichkeiten, eine neue Analyse der gegenwärtigen Situation und eine politisch klare Perspektive anzugeben, was vor zwei oder drei Monaten keineswegs in diesem Maße schon möglich war. Nehmen wir einige besondere Merkmale der Entwicklung vom Juniplenum bis heute. In der Weltwirtschaftskrise, die sich auf der Grundlage der Verschärfung der Krise des ganzen kapitalistischen Systems entwickelt hat, sehen wir, daß die Hoffnungen der Bourgeoisie auf eine Erholung Amerikas aus der Krise und zugleich eine Ankurbelung der Konjunktur im Weltmaßstabe oder auch nur auf einen Umschwung in die Depression durch die ganze Entwicklung völlig widerlegt wurden. In Deutschland erleben wir z. Zt. eine Krise, über die das amtliche Konjunkturinstitut mit vollem Recht erklären mußte, daß sie von kaum jemals erlebter Schwere ist. Wenn wir die Faktoren des Umschlagens der ökonomischen Krise in Deutschland in eine Erschütterung des politischen Ueberbaues und die Entstehung von Tendenzen der revolutionären Krise betrachten, so haben wir als deutlichsten Ausbruch des revolutionären Aufschwungs die Reichstagswahlen vom 14. September, den Metallarbeiterstreik in Berlin und jetzt, mit einem ganz neuen, politischen, offensiven Charakter, den Ruhrkampf mit dem oberschlesischen Streik; dazu der politische Massenstreik gegen die von den Nazis gestützte Regierung in Danzig. Schließlich auch die ansteigende Massenwelle des antifaschistischen Kampfes und die Gärungserscheinungen und Zersetzungsfaktoren in der Sozialdemokratie und besonders in der sozialistischen Arbeiterjugend. Das alles sind neue Faktoren des revolutionären Aufschwungs. Auf der anderen Seite bemerken wir, wie die Anstrengungen der Bourgeoisie wachsen, einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise durch neue Methoden der Faschisierung zu finden. Eine weitere weltbedeutende Tatsache ist der Umstand, daß die Sowjetunion im Verlauf der Durchführung des Fünfjahrplans in die Periode des Sozialismus eingetreten ist. Im Weltmaßstabe beginnt ein gewaltiges Ringen zwischen dem Aufbau des sozialistischen Systems und dem Niedergang des kapitalistischen Systems. Dieses Ringen wird auch für Deutschland und alle anderen kapitalistischen Länder in Gegenwart und Zukunft die allergrößte Bedeutung haben.
Das Wichtigste in diesem ZK.-Plenum scheint mir zu sein:
1. eine genaue Analyse der gegenwärtigen Situation und der Perspektive der Entwicklung.
2. An Hand dieser Analyse die Problem- und Aufgabenstellung für die Politik der Partei.
Im ersten Teil des Referats werde ich versuchen, die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise zu umreißen und demgegenüber die Entwicklung der Sowjet-Union aufzuzeigen. Es wird sich sodann darum handeln, die besonderen Merkmale der gegenwärtigen Krise und die Versuche der Bourgeoisie zu ihrer Ueberwindung zu erläutern. Schließlich steht das Problem des kapitalistischen Auswegs und andererseits die Perspektive für die Herbeiführung einer revolutionären Krise. In diesem Zusammenhang werden wir uns ausführlicher mit der Frage der faschistischen Diktatur zu beschäftigen haben.
Im zweiten Hauptteil des Referats werden folgende Punkte stehen:
1. Das Problem der Volksrevolution und der Massenkampf gegen die faschistische Diktatur, bzw. gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur.
2. Die Frage der Einheitsfrontpolitik und der Gewinnung der entscheidenden Schichten des Proletariats und der Werktätigen.
3. Die RGO. als das zentrale Problem in der gegenwärtigen Phase der Entwicklung für den Tageskampf der Partei und des Proletariats.
4. Die Fortschritte und Mängel in unserer Parteiarbeit und
5. die Aufgaben der Wehrhaftmachung des Proletariats.
Das sind die wichtigsten Fragen, die wir heute zu behandeln haben.
Und nun, Genossen, zu den Fragen der heutigen Situation. Ich wies bereits darauf hin, daß die bürgerlichen und sozialdemokratischen Oekonomen noch im vorigen Sommer eine Ueberwindung der Krise ankündigten. Die ökonomischen Tatsachen haben die Hoffnungen der Bourgeoisie zerschlagen. Heute finden wir, daß selbst die bürgerlichen »Wissenschaftler« die Schärfe der Krise nicht mehr zu leugnen wagen. Solche Eingeständnisse der Bourgeoisie sind natürlich für uns wertvoll. Andererseits dürfen wir nicht in den Fehler verfallen, uns mit diesen bürgerlichen Eingeständnissen zu begnügen, und selbst auf eine theoretische, wissenschaftliche, marxistische Analyse zu verzichten. Die bürgerlichen Oekonomen begnügen sich bestenfalls mit der Wiedergabe der äußeren Erscheinungen. Unsere Aufgabe ist es demgegenüber, die tieferen Zusammenhänge und Hintergründe bei der marxistischen Analyse aufzuzeigen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an ein Wort des Genossen Stalin erinnern, wo er u. a. auf die Notwendigkeit hinweist, mit den Methoden der marxistischen Wissenschaft die neuen Probleme zu erforschen. Genosse Stalin sagt dort:
»Die Bedeutung dieser Fragen besteht vor allem darin, daß ihre marxistische Bearbeitung die Möglichkeit gibt, alle und jede Art bürgerlicher Theorie, die zuweilen – zu unserer Schande – von unseren kommunistischen Genossen verbreitet wird, und die die Köpfe unserer Praktiker verwirrt, mit Stumpf und Stiel auszurotten.«
Auch wir müssen die Frage der theoretischen Vertiefung in der Partei und in den Massen scharf stellen. Denn wir brauchen eine wirklich klare und gründliche Orientierung der Massen, einen Zustand, wo man sagen kann, daß fast jeder Genosse von uns, wenn er im Betrieb, auf der Straße, überall, unseren politischen Gegnern entgegentritt, das Bewußtsein hat, diese klare marxistische Orientierung zu besitzen. Allein aus der Analyse der wirklichen ökonomischen Zusammenhänge und Hintergründe können wir eine richtige Perspektive ableiten.
Deshalb zunächst einige entscheidende Tatsachen über den Verlauf der Weltwirtschaftskrise und ihren Stand. Welches sind die Hauptmerkmale?
1. Der ungeheure Rückgang der Produktion in allen industriellen Ländern, die Nichtausnutzung der Produktionsmittel und die damit verbundene Schwierigkeit für den Kapitalismus, eine neue Basis zu finden, auf der das Kapital verwertbar wird. Hierzu nur einige der wichtigsten Ziffern und Tatsachen. Die Produktion ist in den Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber dem letzten Höchststand bereits im 3. Vierteljahr von 1930 um 28,3 Prozent zurückgegangen. In Deutschland beträgt dieser Rückgang 26 Prozent, in England 17,1 Prozent. Der Durchschnitt dürfte bereits für das 3. Quartal 1930 etwa 25 Prozent betragen.
2. Mit diesem außerordentlichen Produktionsrückgang gegenüber der letzten Hochkonjunktur ist jedoch die Nichtausnutzung der Produktionskapazität noch keineswegs völlig wiedergegeben. So ist die deutsche Industrie nur zu 53,4 Prozent ihrer Stundenkapazität und nur zu 59 Prozent ihrer Raumkapazität beschäftigt gewesen. Diese Ziffern entsprechen dabei einem Stand von 3½ Millionen Erwerbslosen, während inzwischen die Zahl für Deutschland schon auf über 4½ Millionen gestiegen ist. Die Zahl der Arbeitslosen in der ganzen Welt betrug schon auf Grund der viel zu geringen amtlichen Ziffern des Konjunkturforschungsinstituts 15 bis 18 Millionen.
3. Die dritte wichtige Tatsache, die sich bei der Betrachtung der Weltwirtschaftskrise ergibt, ist die Masse der angestauten Waren. Gegenüber dem tiefsten Stand der Vorratsstauung auf den Weltrohstoffmärkten ergibt sich schon für September 1930 eine ungeheure Steigerung. Sie beträgt für Weizen ein Anwachsen von ca. 3½ Millionen auf fast 15 Millionen Tonnen. Bei Steinkohle von knapp 3 Millionen auf über 16 Millionen Tonnen, bei Baumwolle von einer halben Million auf 1½ Millionen, bei Zucker von 1,6 Millionen auf 3,6 Millionen, bei Kaffee von 0,3 auf 1,6 Millionen Tonnen. Dabei hält das Wachsen der Vorräte auch im Dezember 1930 trotz des weiteren Sinkens der Produktion noch immer an.
4. Eine vierte Haupttatsache ist die Verflechtung der Industriekrise mit der Agrarkrise, wobei sich Industriekrise und Agrarkrise gegenseitig steigern und verschärfen. Eine wichtige Erscheinung der Agrarkrise ist die sich ausweitende Schere zwischen den Weltmarktpreisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die z.B. für pflanzliche Nahrungsmittel einen Rückgang von 70 bis 80 Prozent, für tierische Nahrungsmittel 20 bis 30 Prozent, für Textilrohstoffe 50 bis 70 Prozent, für Häute 50 Prozent, für Zucker 80 Prozent aufweisen und den Preisen der industriellen Produktion, die bei Produktionsmitteln nur um 5 bis 16 Prozent und bei industriellen Konsumgütern um 8 bis 16 Prozent auf dem Weltmarkt gesunken sind. Es ist klar, daß gerade gegenwärtig bei der Anwendung von Technik, Elektrizität und Chemie im Dienste der Landwirtschaft, der Ruin der minderbemittelten Wirtschaften, der Klein- und Mittelbauern und der Farmerwirtschaften in Amerika, Australien, Kanada, durch diese Schere zwischen Agrar- und Industriepreisen beschleunigt wird. Darüber hinaus bleibt die Landwirtschaft überhaupt immer stärker hinter der Industrie zurück, was die Krise verstärkt.
5. Eine fünfte Haupttatsache liegt im Bereich der sogenannten »Geographie der Krise«, Es ist die noch nie dagewesene Tatsache, daß die Krise sich wirklich über die ganze kapitalistische Welt ausbreitet. Nicht nur keine Erholung der amerikanischen Krise, die doch entscheidend bei der Auslösung der Weltwirtschaftskrise mitwirkte, sondern auch Frankreich, das letzte Land einer gewissen Prosperität, einer günstigen Konjunktur, wird von den Anfängen der Krise erfaßt.
6. Die sechste, besonders bedeutungsvolle Tatsache, die sich bei der Betrachtung der Weltwirtschaftskrise ergibt, ist das Problem der Preisgestaltung. Wir sahen schon die Differenz zwischen den Agrar- und Industriepreisen, die naturgemäß eine Erhöhung der Schwierigkeiten mit sich bringen. Nicht viel stärker ist das bei der Preisentwicklung bezüglich der Differenz zwischen den monopolistischen Inlandspreisen und denen des freien Weltmarktes der Fall. So beträgt der Rückgang für Roheisen von Oktober 1929 bis Oktober 1930 beim Weltmarktpreis 25 Prozent, auf dem deutschen Markt dagegen nur 2 Prozent, in den Vereinigten Staaten 14 Prozent, in England 12 Prozent, in Polen 0 Prozent, während in Frankreich sogar eine Preissteigerung um 3 Prozent vorlag. Ein ganz ähnliches Mißverhältnis ist bei allen Preisen vorhanden. Für Deutschland ist die Differenz zwischen den inlandsbestimmten Preisen und den auslandsbestimmten Preisen für industrielle Rohstoffe und Halbwaren vom September 1929 bis Oktober 1930 um fast 300 Prozent gestiegen. In allen diesen Tatsachen drückt sich der monopolistische Charakter der kapitalistischen Wirtschaft in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsstufe aus: mit Hochschutzzöllen und Kartellbindungen werden die Preise auf dem Inlandsmarkt in nahezu allen Ländern künstlich hochgehalten. Auf diese Weise versucht die Bourgeoisie in allen Ländern, die Monopolprofite auf dem Binnenmarkt herauszuholen, um gleichzeitig auf dem Weltmarkt ein um so schärferes Dumping bei der imperialistischen Konkurrenz betreiben zu können,
7. Eine siebente Haupttatsache sind die Gold- und Währungsprobleme. Hier können wir z. B. schon heute auf den Goldabfluß von England nach Frankreich hinweisen, der ein solches Ausmaß angenommen hat, daß die englische Währung bedroht ist. So kann Frankreich es sich bereits bei den englisch-französischen Verhandlungen über die Einschränkung des Goldabflusses erlauben, England die Rückführung des Goldes in Form von Industrieanleihen anzubieten, worin sich wiederum nur die Ungleichmäßigkeit der imperialistischen Entwicklung, einer der wichtigsten Krisenfaktoren nach Lenin, widerspiegelt.
8. Nachdem die Welt aufgeteilt ist, wesentlich neue Exportmöglichkeiten nicht mehr ohne kriegerische Lösung erschlossen werden können, die Absatzfrage aber im Mittelpunkt der Krise steht, setzt im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise auch eine Art von Youngkrise, eine Krise der imperialistischen Friedensverträge usw. ein. Die deutschen Reparationsverpflichtungen sind nach wie vor ein Hebel zur künstlichen Forcierung des deutschen Exports. Nur durch einen Ueberschuß in der Handelsbilanz vermag Deutschland seine drückenden Reparationsverpflichtungen zu erfüllen. So ist die Ausfuhr Deutschlands im Verhältnis zu den anderen von der Krise betroffenen Ländern am wenigsten zurückgegangen. Damit haben sich im Gefolge der Krise die Bedingungen, unter denen der Youngplan vom Standpunkt der einzelnen imperialistischen Mächte seinerzeit zustande kam, erheblich verändert. Schließlich ergibt sich mit den Schwierigkeiten, überhaupt eine Basis für die Verwertbarkeit des Kapitals zu finden, auch das neue Problem, wieweit die Reparationsgläubiger überhaupt ein Interesse an der Zahlung von Reparationen haben. Naturgemäß gibt es hierbei sehr verschiedenartige Interessen, die z. T. gegensätzlich sind. Der letztgenannte Gesichtspunkt schied für Frankreich, das bis zuletzt von der Krise verschont blieb, naturgemäß aus.
9. Mit der allgemeinen Verschärfung des Kampfes um die Absatzmärkte, mit der Dumping-Politik der imperialistischen Staaten, mit dem Zwang, trotz der Aufteilung der Welt neue Absatzmärkte für die Produkte und neue Anlagemöglichkeiten für das überschüssige Kapital zu suchen, verschärft sich ungeheuer die Kriegsgefahr. Dabei schlagen die imperialistischen Konflikte untereinander besonders auch in eine Steigerung des Hauptgegensatzes zwischen den imperialistischen Mächten und der Sowjetunion um.
So ergibt die Betrachtung des Standes der Weltwirtschaftskrise bei der Jahreswende 1931 ein katastrophales Bild für den Weltkapitalismus. Der bekannte englische Liberale Norman Angell muß selbst in seiner Monatsschrift über auswärtige Angelegenheiten vom Januar 1931 unter dem Titel »Oekonomisches Chaos und internationale Zukunft« folgendes trübe Bild malen:
»Der ökonomische Orkan, der die Welt verwüstet hat, ist mit seiner Universalität und Intensität die Tatsache des verflossenen Jahres, hinter der alle anderen zurückstehen. Die Geschichte kennt keine Tatsache von dieser Art. In den drei großen Industrieländern der Welt sind nicht weniger als 10 Millionen – vermutlich eine noch größere Zahl Arbeiter erwerbslos. In dem goldenen Amerika, das vor 10 Jahren in den Augen der Europäer einen höheren Typus ökonomischer Schöpfung zu verkörpern schien, in diesem Eldorado liegen die Arbeiter zu Hunderttausenden auf der Straße, Banken stellen ihre Zahlungen ein, Bankiers erschießen sich, Vermögen, die so fest gegründet zu sein schienen wie Gibraltar, verflüchten sich in nichts. Und noch dauert die Depression an. Die ökonomische Krise wird begleitet von gewissen politischen Erscheinungen ... Ein Beobachter bemerkte vor kurzem, die Demokratie in Europa befindet sich im Niedergang. Ein anderer Beobachter meint: laß das Preisniveau um weitere 20 Punkte sinken und Europa wird zerrissen sein zwischen faschistischer und kommunistischer Diktatur.«
Genossen, ich glaube, dieses Zitat zeigt schon, wie selbst bürgerliche Oekonomen die jetzige Situation einschätzen. Vor einem Jahr sah die Bourgeoisie der ganzen Welt die gesamte Entwicklung hoffnungsvoller an. Z.B. beim Ausbruch der Krise in Amerika war es Hoover, der sagte, daß es ihnen gelingen würde, die Krise in kürzester Zeit zu überwinden. Noch vor kurzem erklärten englische Kapitalisten und »Oekonomen« der Sozialdemokratischen Partei, daß sie von der Verbilligung des Leihkapitals in Europa, als Folge des amerikanischen Börsenkrachs, eine Besserung der wirtschaftlichen Lage in Europa erhoffen. Heute stehen Oekonomen der Bourgeoisie und Theoretiker der Sozialdemokratie der Krise verständnislos gegenüber und wir haben nicht nur die Tatsache des verständnislosen Gegenüberstehens zu verzeichnen, sondern einige von ihnen sind gezwungen, wenn auch unbewußt, die völlige Unfähigkeit des Kapitalismus zuzugeben. Eine »Leuchte der Nationalökonomie« in England, Herr Keynes, schrieb im »Wirtschaftsdienst« vom 19. November 1930 u. a.:
»Wir haben uns heute in einen heillosen Wirrwarr hineinmanövriert, denn wir haben uns bei der Handhabung einer empfindlichen Maschine (die kapitalistische Wirtschaftsmaschine) deren Gesetze wir nicht verstehen, gröblich versehen.«
Und einer der größten Führer des amerikanischen Finanzkapitals, T. W. Lamont, der Kompagnon von Morgan, erklärt in der Neuyorker »Times« vom 15. November 1930 folgendes:
»Alle unsere wirtschaftlichen Untersuchungen haben bisher in den Bestrebungen, der Welt zu zeigen, wie sie die übertriebenen Stimmungen des industriellen Zyklus verhindern könnten, fehlgeschlagen.«
Ich glaube, diese beiden Zitate zeigen, daß selbst die Kapitalisten – ich sage unbewußt – gezwungen sind, die Unfähigkeit des ganzen Systems zu irgendeiner wirklichen Lösung zuzugeben.
Die höhere Stufe in der gesamten historischen Entwicklung bei der gegenwärtigen Tagung des Zentralkomitees gegenüber dem letzten Plenum im vergangenen Juli spiegelt sich vor allem in dem kühnen Vormarsch des Sozialismus in der Sowjetunion. Die letzte Plenarsitzung des Zentralkomitees unserer bolschewistischen Bruderpartei, an der die Delegation unseres Polbüros teilnehmen konnte, hat die Kontrollziffern für die Wirtschaft im Jahre 1931 beschlossen. Wir wollen in aller Kürze die wichtigsten gigantischen Tatsachen feststellen, die sich bei der Durchführung und Ueberholung des Fünfjahrplanes ergeben. Ich verweise dabei auf den letzten Artikel des Genossen Heinz Neumann in der Parteipresse. Was brachten die ersten zwei Jahre des Fünfjahrplanes?
1. In der Produktion von Produktionsmitteln allein im letzten Jahre eine Steigerung um 40 Prozent gegenüber 24 Prozent, die der Fünfjahrplan vorgesehen hatte. Also um 16 Prozent übersteigert. In der Stahlproduktion in beiden Jahren 10,2 Millionen Tonnen statt 9,9 Millionen Tonnen auf Grund des Fünfjahrplanes. In der Elektroindustrie 781 Millionen Rubel in Produkten, statt 588 Millionen Rubel. In der Erdölproduktion 30,6 Millionen Tonnen, statt 28 Millionen Tonnen.
In der gesamten Industrie Verdoppelung des Vorkriegsniveaus während der letzten beiden Jahre.
2. In der Landwirtschaft Steigerung der Anbaufläche im Jahre 1930 von 113 Millionen Hektar auf 127,7 Millionen Hektar. Die Getreideernte stieg von 71,7 Millionen Tonnen 1929 auf 86,5 Millionen Tonnen 1930, also um 20,6 Prozent. 21,5 Prozent aller Bauernwirtschaften waren bereits am 1. Oktober kollektivisiert. 36 Millionen Hektar wurden bereits kollektiv bewirtschaftet, während der Fünfjahrplan für das letzte Jahr (1933) nur 20,6 Millionen vorgesehen hatte.
3. Die bisherigen Erfolge ermöglichen eine ungeheure Steigerung in der Aufgabenstellung. Die Gesamtproduktion der sozialistischen Staatsindustrie wird in einem Jahr (1931) um 45 Prozent gesteigert. Das ist ein Weltrekord. In den letzten vier Jahren betrug die Steigerung durchschnittlich 23,6 Prozent, während sie in Deutschland im Durchschnitt der letzten 16 Jahre 5-7 Prozent betrug. Für die Landwirtschaft wird in den entscheidenden Getreidebezirken die Kollektivisierung von 80 Prozent aller Bauernwirtschaften, in der zweiten Gruppe der Getreidegebiete die Kollektivisierung von 50 Prozent durchgeführt. In der Traktorenfabrikation werden statt der im Fünfjahrplan vorgesehenen 6 500 Traktoren im Jahre 1931 fast das Zwanzigfache, mehr als 120 000 Traktoren produziert.
4. Den Millionen Erwerbslosen in allen kapitalistischen Ländern stehen in der Sowjetunion Null Erwerbslose gegenüber. Im Jahre 1931 wird sich die Zahl des Proletariats in der Sowjetunion durch die Einbeziehung von neuen 2 Millionen Personen in den Produktionsprozeß weiter erhöhen.
5. Mit dem sozialistischen Aufbau Hand in Hand vollzieht sich die Hebung des sozialen Niveaus der Massen. Das gilt für die Arbeiterschaft, von der am 1. Oktober 1930 bereits 43,5 Prozent gegenüber 19,1 Prozent im Jahre 1929 den Siebenstundentag besaßen und Ende 1931 92 Prozent besitzen werden. Der Reallohn stieg während der ersten 2 Jahre des Fünfjahrplanes um 12,1 Prozent pro Kopf. Die Sozialpolitik steht im Zeichen der Ausgabensteigerung des proletarischen Staates für diese Zwecke auf allen Gebieten.
Die Hebung des sozialen Niveaus betrifft aber ebensosehr die werktätigen Bauernmassen, die durch die Kollektivisierung von den primitiven und menschenunwürdigen Arbeitsmethoden erlöst und in ihrem gesamten Lebensniveau gehoben werden.
Was ergibt sich aus allen Tatsachen? Der völlige Sieg der Generallinie. Früher sagten wir gegen Trotzki: Nep bedeutet keine Erneuerung des Kapitalismus, sondern den erfolgreichen Wettlauf, der sozialistischen Elemente in der Industrie und Gesamtwirtschaft mit den privatwirtschaftlichen Elementen. Heute ist dieser Wettlauf in der Industrie längst entschieden.
Früher stellte Bucharin die These auf, die Kulaken in den Sozialismus wachsen zu lassen. Heute ist die Liquidierung des Kulakentums als Klasse weit fortgeschritten.
Früher warnte Bucharin vor einem raschen Tempo und vor der Generallinie der Partei. Heute nähern wir uns dem Zeitpunkt, wo auch in der Landwirtschaft die sozialistischen Elemente die privatwirtschaftlichen verdrängen.
Beim Beginn der bolschewistischen Revolution sagte Lenin: Als wir zur Macht schritten, kannten wir nur die allgemeine Linie des Sozialismus in ihren großen Zügen. Das wußten wir. Aber – so fuhr er fort:
»Weder die Formen der Umgestaltung, noch das Tempo, die Schnelligkeit der Entwicklung, der konkreten Organisation, haben wir gekannt.«
Und heute?
Mit vollem Recht konnte Stalin in seinem Schlußwort auf dem 16. Parteitag feststellen: »Wir sind bereits in die Periode des Sozialismus eingetreten!«
Zwei Systeme stehen sich gegenüber in der Welt: Das bankrotte System des Kapitalismus in seiner Profitwirtschaft auf der einen Seite. Der kühn vorwärtsmarschierende, siegreiche Sozialismus auf der anderen Seite. Die Dumpinghetze der Bourgeoisie gegen die Sowjetunion und ihren Export zeigt nur die Angst der Imperialisten vor dem Vormarsch des Sozialismus. Dabei geht die Kriegshetze gegen die Sowjetunion Hand in Hand mit der Verschärfung der Krise in den kapitalistischen Ländern, mit der Angst vor dem eigenen Proletariat. So schreibt das führende englische Organ, die »Times«, vom 2. Januar, unter dem Titel: »Europa am Scheidewege«:
»In diesem Augenblick, wo das Jahr 1930 in das Jahr 1931 übergeht, herrscht auf dem Kontingent ohne Zweifel ein allgemeines Gefühl der Unruhe und Erwartung, eine nervöse Hoffnung auf eine Wendung und die Ueberzeugung von ihrer Unvermeidlichkeit ... Im deutschen Parlament verfügt die Kommunistische Partei über 77 Sitze und bei den kürzlichen Wahlen zum Danziger Parlament verdoppelten die Kommunisten ihre Stimmenzahl. Es ist eine Tatsache, daß der Kommunismus selbst in so entfernten Ländern wie Bulgarien und Spanien wächst ... Die Anhänger von Marx und Lenin sind – es wäre albern, das zu verkennen – von einem großen Eifer für die Propaganda ihrer Ideen beseelt und sie streben nach einer außerparlamentarischen Regierungsform auf der Grundlage der Sowjets. Zwischen ihnen und den Faschisten geraten die Mittelparteien Europas in größte Bedrängnis.«
Noch deutlicher äußert sich das führende Blatt der französischen Bourgeoisie, »Temps«:
»Das Jahr 1930 war eine Enttäuschung in jeder Hinsicht ... Obwohl noch keine unmittelbare Gefahr besteht, so gebietet die Wendung in der internationalen Lage doch um so größere Wachsamkeit, als ohne Zweifel die Sowjetunion entschlossen ist, alle Mißverständnisse und alle Mißstände und internationalen Komplikationen auszunützen. Die russische Wunde im Leibe Europas bleibt das größte Unglück unserer Epoche, und, so lange diese Wunde nicht ausgebrannt ist, wird die Welt fortfahren, in Wirrsalen und Unruhen zu leben.«
In den gesamten Darlegungen der Weltpresse, aus Anlaß der Jahreswende, aus denen die angeführten Zitate der »Times« und des »Temps« nur eine Probe darstellen, spielt die Lage in Deutschland die Hauptrolle. Die Entfaltung der Krise in Deutschland hat auch nach den bürgerlichen Darlegungen einen besonders hohen Grad angenommen. Bevor man von der allgemeinen Darstellung des gegenwärtigen Standes der Krise zur Untersuchung ihres besonderen Charakters und damit zu einer Prognose über ihre weitere Entwicklung übergeht, ist es noch notwendig, einige der wichtigsten Tatsachen der ökonomischen Lage Deutschlands anzuführen:
1. Es wurde schon bei der internationalen Betrachtung auf die Tatsache hingewiesen, daß die Nichtausnutzung der Produktionskapazität in Deutschland bereits einen solchen Grad angenommen hat, daß die gesamte Industrie nur zu 53,4 Prozent nach dem Bericht des »Instituts für Konjunkturforschung«, der mit dem Oktober 1930 abschließt, beschäftigt ist. Im einzelnen ergeben sich dabei folgende Tatsachen: Der Beschäftigungsgrad, gemessen in der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in Prozenten der Arbeitsstundenkapazität, beträgt in der Produktionsgüterindustrie 56,2 Prozent, in der Verbrauchsgüterindustrie 62 Prozent. Bei Nahrungs- und Genußmitteln 69,9 Prozent, bei Textilien 59,4 Prozent, bei Wohnungs-, Luxus- und Kulturproduktion 56,1 Prozent, bei Grundstoffen 52,8 Prozent, bei Konstruktionen sogar nur 42 Prozent. Das Tempo des Rückganges der Beschäftigung in den einzelnen Monaten des Jahres 1930 ergibt ein Fallen vom Januar bis September von 62,2 Prozent auf 56 Prozent. Vom September zum Oktober beträgt der Rückgang dann allein in einem Monat 2,6 Prozent. Wenn man in Betracht zieht, daß die Ziffer des Oktober hinsichtlich der Erwerbslosigkeit 3½ Millionen war und inzwischen selbst nach der amtlichen Statistik über 5 Millionen Erwerbslose angewachsen ist, so ergibt sich daraus, wie weit die Nichtausnutzung der Produktionsmittel in Deutschland in immer rascherem Tempo gestiegen ist.
Die Massenerwerbslosigkeit mit ihrer Herabsetzung der Konsumkraft der Arbeiterklasse bewirkt ebenso wie der direkte Lohnraub eine dauernde Verengerung des inneren Absatzmarktes.
2. Wie im Weltmaßstabe zeigt sich auch in Deutschland der. gleiche dauerhafte Charakter der Agrarkrise. Die Hochschutzzölle, die einen Versuch darstellen, die Schere zwischen Industrie- und Agrarpreise zu schließen, werden für die Bauern, für den Kleinbesitz, völlig wirkungslos gemacht. Zwar steigen die Preise der Waren der Landwirtschaft, aber zugleich werden die Herstellungskosten, besonders Futtermittel, Düngemittel, Maschinen, Geräte, Werkzeuge außerordentlich verteuert. Andererseits drückt der Rückgang der Nachfrage infolge der Konsumdrosselung durch Erwerbslosigkeit usw. gerade das Preisniveau der bäuerlichen »Veredlungswirtschaft« (Fleisch, Molkereiprodukte, Eier, Obst, Wein, Gemüse). Hinzu kommt noch der Widerspruch zwischen dieser bäuerlichen »Veredlungswirtschaft« und der großagrarischen Verwertungswirtschaft. (Futter- und Brotgetreide, Hochfrucht.)
Ein weiteres Problem ist die große Masse von Zwerg- und Kleinbauern in Deutschland, rund 4 Millionen Betriebe, die zum größten Teil auf einen Nebenverdienst durch Lohnarbeit angewiesen sind. Die Massenerwerbslosigkeit trifft auch diese halbproletarischen Elemente und verschärft die Agrarkrise. Der Bodenhunger dieser zwerg- und kleinbäuerlichen Elemente wächst und steigert damit auch die Pachtzinsen für Parzellen. Auf der einen Seite also sinkende Einnahmen, auf der anderen Seite höhere Pachtbelastung. Die Verschuldung und Zinsbelastung wächst dauernd. Sie stieg nach bürgerlichen Angaben von 8 Milliarden Ende 1925 auf 11,7 Milliarden Ende 1930. Bei den staatlichen Krediten erhalten die Großagrarier fast alles, der bäuerliche Kleinbesitz fast nichts oder nur minimale Beträge.
3. Zur Industrie- und Agrarkrise tritt die permanente Krise der Staatsfinanzen. Alle Versuche, die immer neuen Löcher zuzustopfen, die sich im Budjet des kapitalistischen Staatsapparates ergeben, werden durch die verschiedenen Faktoren der Krise stets von neuem durchkreuzt. Einmal drückt die Massenerwerbslosigkeit mit ihrer Belastung auf die Staatsfinanzen und wirft alle Berechnungen über den Haufen, wie es sich im vergangenen Jahr mehrfach zeigte. Hinzu kommt die ungeheure Belastung durch Reparationszahlungen und sonstige ausländische Kapitalsverschuldung. Auf Grund der Goldklausel des Youngplanes erhöhen sich die deutschen Reparationsleistungen im Zusammenhang mit der Goldwertsteigerung um zirka 15 Prozent. Der Kreditbedarf für Reich, Länder und Gemeinden im zweiten Rechnungshalbjahr 1930 wurde selbst nach vorsichtigen, bürgerlichen Schätzungen mit 700 Millionen Mark angesetzt.
4. Die Krise im Geld- und Kreditwesen, die insbesondere im September-Oktober, im Anschluß an die Reichstagswahlen, eine ungeheure Verschärfung erfuhr und zu einer Kapitalausfuhr von rund 1,6 Milliarden Mark führte, bleibt auf Grund des Youngplanes dauernd bestehen. Allein für Reparationszahlungen besteht ein monatlicher Devisenbedarf von rund 240 Millionen Mark, der ausschließlich entweder durch Kapitaleinfuhr und neue Verschuldung, oder durch Ueberschüsse der Handelsbilanz gedeckt werden kann. Die Ueberschüsse der Handelsbilanz im vergangenen Jahr, die in den ersten zehn Monaten 1,325 Millionen betrugen, sind zum großen Teil nicht nur auf eine Einschränkung der Einfuhrmengen mäßig zurückzuführen, sondern auch auf die verschiedene Entwicklung der Preise. Die Preise sind in der Einfuhr erheblich stärker als in der Ausfuhr gesunken. Die verhältnismäßige günstige Lage des deutschen Exports, im Vergleich zu anderen Ländern im vergangenen Jahre, hängt einmal mit dem besonders niedrigen Lohnniveau der deutschen Arbeiter, zweitens mit einem gewissen Vorsprung der deutschen Industrie gegenüber den konkurrierenden imperialistischen Mächten, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten in der Frage der technischen Rationalisierung, und drittens mit der Tatsache zusammen, daß der deutsche Export zu einem entscheidenden Teil nach Frankreich ging, das von der Krise am längsten verschont blieb. Die Auswirkungen der ökonomischen Krise auf den politischen Ueberbau, die sogenannte Vertrauenskrise, hat wiederum ökonomische Rückwirkungen. Wenn z.B. deutsches Kapital ins Ausland geht und von dort wieder nach Deutschland als Auslandskapital ausgeliehen wird, wie es z. B. auf Grund der Kapitalflucht im September-Oktober in besonders heftigen Formen, aber auch sonst während des ganzen Jahres 1930, vor sich ging, so bedeutet das eine außerordentliche Belastung des deutschen Kapitalmarktes. Nach bürgerlicher Schätzung handelt es sich dabei um 1,2 Milliarden Reichsmark jährlich an Zinsverlust, die der deutsche Kapitalmarkt erleidet. Das ins Ausland gebrachte Kapital wird dort zu etwa 4 Prozent verzinst und von den ausländischen Vermittlern wiederum zu Zinssätzen von 7½ bis 11 Prozent in Deutschland investiert. Auch alle bürgerlichen Finanzsachverständigen sind sich darüber klar, daß jede neue Erschütterung in der Art der Krise im deutschen Geld- und Kreditwesen im September-Oktober vorigen Jahres nicht nur eine vollkommene Transfer-Krise, d.h., die Unmöglichkeit der Abführung der Reparationszahlungen in ausländischer Valuta, sondern einen Zusammenbruch des gesamten Kreditwesens und damit eine vollkommene Stockung des ganzen Wirtschaftslebens weit über den Stand der gegenwärtigen Krise hinaus mit sich bringen würde.
Welche sozialen Auswirkungen die Wirtschaftskrise für die arbeitende Bevölkerung zeitigt, ist auf Grund der geschilderten Tatsachen klar. Es ist nicht von ungefähr, daß Silverberg, der bekannte Großkapitalist, vor einigen Wochen die Frage stellte, die Bestimmungen des Youngplans seien nur durchzuführen, wenn es der deutschen Industrie gelingt, die Löhne der deutschen Arbeiter auf das Niveau der chinesischen Kulis und Bauern herabzudrücken. Wenn man in Betracht zieht, daß die deutsche Bourgeoisie zirka 1,6 Milliarden Mark an Zinsen an das Auslandskapital, dazu durchschnittlich ungefähr 2 Milliarden Mark auf Grund des Youngplanes zu zahlen hat, so ergibt sich die außerordentliche Gefährdung der gesamten Wirtschaft, die Einschnürung der Kapitalsakkumulation und damit der Antrieb für die Kapitalisten zu immer neuen Angriffen auf das Lebensniveau der Massen. Heute hat Deutschland im Ausland kurz- und langfristige Anleihen von 8,8-10,8 Milliarden Mk., während reine Schulden ans Ausland 26,1-27,1 Milliarden Mark betragen. Für heute ergibt die Aufrechterhaltung der beiden Gegenposten eine Verschuldung Deutschlands von 16-17 Milliarden Mark Der Großindustrielle Duisberg spricht z. B. von 6 Milliarden Mark jährlicher Akkumulation des deutschen Kapitals. Das ist bestimmt zu wenig gerechnet, aber selbst wenn man rechnet, daß über 8 Milliarden akkumuliert werden, so ginge doch ein Drittel des angesammelten Kapitals auf Reparationsleistungen und Kapitalszinsen drauf. Selbstverständlich tritt somit eine außerordentliche Verschärfung der Klassengegensätze ein. Wir wollen nur ganz kurz die Hauptmerkmale der sozialen Auswirkungen der Krise in Deutschland aufzählen. Worum handelt es sich?
1. Die riesige Massenerwerbslosigkeit stellt einen dauernden indirekten Lohnraub an der Gesamtheit der Arbeiterklasse dar, zu dem die Kurzarbeit noch erheblich beiträgt.
2. Die ungeheure Lohnabbauoffensive der Unternehmer, unterstützt von den Reformisten und Christen und dem Staatsapparat, bringt darüber hinaus einen direkten Lohnraub, der von Mitte 1930 bis April 1931 durchschnittlich 15 Prozent beträgt.
3. Dazu tritt die Herabsetzung der Reallöhne durch die künstliche Teuerung mit Hilfe der Zoll- und Monopolpolitik. Der verhältnismäßig geringfügige Preisrückgang auf dem Inlandsmarkt, besonders bei allen Verbrauchsgütern der Massen, im Vergleich zu den Weltmarktpreisen auf Grund des Zollwuchers oder mit Hilfe der kartellgebundenen Preise, stellt naturgemäß eine dauernde Entwertung der Nominallöhne, einen indirekten Lohnraub, eine indirekte Senkung der Reallöhne dar. Ein bürgerlicher Journalist schrieb z. B. in der »Neuen Leipziger Zeitung« Nr. 142 einen Artikel unter der Ueberschrift »Deutschlands Kartelltribute, Gesamtbelastung wahrscheinlich höher als die Reparationen«, in dem es u. a. heißt:
»Deutschland, das die ungeheure Last der Reparationen aufzubringen hat, muß überdies an die Monopolisten seinen Tribut leisten, den diese auf Grund ihrer organisierten Macht diktieren können. Ziffernmäßig läßt sich diese Tributleistung nur mit einer minimalen Summe veranschlagen ...
Der Tribut, den Deutschland an seine Kartelle zahlt, wird jährlich auf 1,7 Milliarden zu beziffern sein. Man wird die These aufstellen können, daß Deutschland an seine Kartelle jährlich mindestens ebenso viel, wahrscheinlich aber viel mehr Tribut zahlt als den ehemaligen feindlichen Mächten.«
4. Der Abbau der Sozialpolitik auf allen Gebieten, in der Frage der Erwerbslosen, der Kranken, der Rentner und Invaliden, bei gleichzeitiger Steigerung der Soziallasten der Betriebsarbeiter, bei dauernder Verschärfung des Steuerwuchers, bedeutet eine weitere Tatsache, die zur Senkung des Lebensniveaus der Massen beiträgt. Man kann heute signalisieren, was für die RGO. von größter Bedeutung ist, daß in dem Maße, wie die Periode der Lohnabbauoffensive zum Abschluß gelangt – was natürlich heute noch nicht der Fall ist –, eine neue Offensive auf die sozialen Leistungen sich vollzieht. Man kann heute schon sagen, daß die Bourgeoisie versuchen wird, 30 bis 40 Prozent der ganzen sozialen Leistungen, die der kapitalistische Staat für diese Schichten aufbringt, in nächster Zeit abzubauen. Es sei denn, daß der Widerstand und die Rebellion der Massen so stark sein werden, daß die Bourgeoisie vielleicht nicht in der Lage ist, diesen Abbau durchzuführen.
5. Die Lage der Mittelschichten in Stadt und Land ist von der des Proletariats nicht zu trennen. Der Lohnraub an den Arbeitern, Angestellten, Beamten drückt durch die Herabsetzung der Konsumkraft der Massen unmittelbar auf die Existenz der Kleingewerbetreibenden und Handwerker in der Stadt sowie der bäuerlichen Kleinproduzenten. Nehmen wir z. B. die Auswirkung des Ruhrkampfes auf den städtischen Mittelstand. Hier hatten die Streikenden an vielen Orten die volle Sympathie des Mittelstandes. Oder nehmen wir den Streik von 40 Betrieben am Niederrhein. Auch hier drückt sich die Sympathie des Mittelstandes, den Streikenden gegenüber, überall sehr stark aus. Worauf ist das zurückzuführen? Der Mittelstand sieht durch die Offensive der Unternehmer seine eigene Existenz bedroht. Man kann von einem beginnenden Klassenbewußtsein sprechen, von einer gewissen Annäherung an das Proletariat. Hier müssen wir unsere Arbeit ungeheuer verstärken und verbessern. Bei der jetzigen Preisabbaukampagne, diesem Schwindel, der zur Täuschung für den Massenlohnraub getrieben wird, richtet das Finanzkapital selbstverständlich den Angriff niemals auf die Monopolpreise, sondern allein auf die des Kleinhandels und des Handwerks. Im Kampf um die Preise spielt sich lediglich der Kampf um die Anteile an der Profitrate ab, wobei naturgemäß die Kleinproduzenten erdrückt werden.
Die gesamte Verelendung der arbeitenden Bevölkerung Deutschlands, die sich in dem allgemeinen Konsumrückgang ausdrückt, ist auch eine der Ursachen für früher geschilderten Rückgang der Einfuhr, die im vergangenen Jahr allein einen Exportüberschuß und damit die Erfüllung des Youngplanes möglich machte. Hier zeigt sich die unlösliche Verknüpfung zwischen der Youngpolitik der deutschen Bourgeoisie und dem steigenden Massenelend, das eine Voraussetzung der Youngpolitik darstellt.
Die Gesamtheit der aufgezeigten Haupttatsachen und Faktoren der Krisen ermöglicht uns, die entscheidende Frage nach dem Charakter der jetzigen Krise zu beantworten.
Die erste Frage ist die: Handelt es sich bei der jetzigen Krise um eine »formale« sogenannte zyklische Krise der kapitalistischen Wirtschaft, wie sie in der Vorkriegszeit periodisch alle 5 bis 15 Jahre aufzutreten pflegte? Oder handelt es sich lediglich um die allgemeine Krise des Kapitalismus in der Nachkriegszeit, ohne besondere Erscheinungen der konjunkturellen, zyklischen Krise? Oder drittens, welchen Charakter hat die Krise, falls wir die beiden ersten Fragen verneinen müssen? Die Bourgeoisie und Sozialdemokratie sind sich in dem Bestreben einig, die heutige Krise als eine ganz gewöhnliche »normale«, wenn auch besonders schwere darzustellen. Das deutsche »Institut für Konjunkturforschung«, das in seinem letzten Bericht dieser Frage einen besonders breiten Raum einräumt, geht bis auf die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück, um einen Vergleich für die heutige Krise zu finden. Natürlich ist die Sozialdemokratie völlig mit dieser Einstellung der Bourgeoisie einverstanden. Ihr Haupttheoretiker, der Hilferding immer mehr verdrängt, der ehemalige bürgerliche Börsenredakteur Naphtali, schreibt z. B. in seiner Broschüre über »Wirtschaftskrise und Erwerbslosigkeit« wörtlich:
»Weder Youngkrise noch Rationalisierungskrise, noch gänzlicher Zusammenbruch des kapitalistischen Systems als Vorbote der Weltrevolution, sondern typische Krise des kapitalistischen Systems, mit historischen Besonderheiten, wie sie jede Krise aufzuweisen hat.«
Ein Teil der Bourgeoisie macht, worauf Naphtali anspielt, speziell den Youngplan für die Krise verantwortlich.
Um den sozialdemokratisch-bürgerlichen Schwindel zu widerlegen, daß die jetzige Krise eine einfache »normale« zyklische Krise wie in der Vorkriegszeit sei, ist es notwendig, zunächst ganz kurz die Besonderheiten der jetzigen Krise aufzuzählen.
1. Der allgemeine weltumfassende Charakter der Krise, der keinen Teil der kapitalistischen Welt ausläßt, nachdem die Krise jetzt auch Frankreich, Niederlande, Schweiz und die skandinavischen Länder einbezieht. Das ist eine völlig neue Tatsache.
2. Der Bestand der Sowjetunion und ihr sozialistischer Vormarsch. Die Tatsache, daß die proletarische Diktatur auf Grund der Beherrschung der Kommandohöhen den planmäßigen Aufbau der sozialistischen Wirtschaft, unabhängig von der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, durchzuführen vermag.
Genossen, ich will, um die Bedeutung zu illustrieren, die auch von Seiten der Bourgeoisie der Tatsache des sozialistischen Aufbaues der Sowjetunion beigemessen wird, einige Zitate aus dem bekannten Artikel des englischen liberalen Führers Lloyd George über den Fünfjahrplan anführen. Lloyd George schreibt u. a.:
»Die kommunistischen Führer haben sich an die Durchführung eines Planes gemacht, der an Umfang und Bedeutung alles in den Schatten stellt, was die Geschichte an großen und kühnen Unternehmungen bietet. Die Aufgaben Peters des Großen sinken im Vergleich zu Stalins Vorhaben zur Bedeutungslosigkeit herab. Stalin unternimmt es, Rußland, welches größer ist, als das gesamte Europa und zugleich von allen europäischen Ländern am schlechtesten organisiert ist, mit den modernsten Fabriken, Maschinen und Werkzeugen auszurüsten. Der gesamte Ackerbau eines ungeheuren Landes, in dem noch die primitivste Form der Bewirtschaftung herrscht, soll mechanisiert und die Bodenbestellung soll in einem Lande vergesellschaftet werden, in dem das übliche Mißtrauen des Bauern noch durch krassere Umbildung verschärft wird.«
Am Schluß des Artikels von Lloyd George heißt es:
»Auf jeden Fall macht Stalin Geschichte in großem Maßstabe. Hat er Mißerfolg, so ist der Kommunismus auf Generationen hinaus abgewirtschaftet und tot. Ist ihm aber Erfolg beschieden, so tritt damit der Kommunismus in den Kreis der Gedanken, deren Durchführbarkeit erwiesen ist und die deshalb von Volkswirtschaft und Sozialforschung ernst genommen werden müssen. Vielleicht die wichtigste Folge würde sein, daß in diesem Falle Rußland mit seiner ungeheuren Bevölkerung – alles ausgezeichnetes Kampfmaterial – eines der reichsten und damit mächtigsten Länder der Erde werden würde.«
Ich glaube, daß diese Zitate aus dem Artikel eines so exponierten bürgerlichen Politikers, wie es Lloyd George ist, deutlich erkennen lassen, welche Bedeutung die bloße Existenz der Sowjetunion und die Durchführung des Fünfjahrplans für die revolutionäre Entwicklung und zum Schaden des Kapitalismus darstellt.
3. Die Tatsache, daß im Zeichen des Monopolkapitalismus die Krise nicht zu einem allgemeinen Preissturz der industriellen Produkte führt, der in der Vorkriegszeit stets der regulierende Faktor war, der den Umschwung von der Krise zur Depression mit sich brachte. Der jetzige Preissturz auf dem Weltmarkt ist z. T. nur ein fiktiver, da die imperialistische Zollpolitik und Kartellpolitik mit ihren Monopolpreisen auf den Märkten der einzelnen Länder die Auswirkungen des Rückganges der Weltmarktpreise stärker oder schwächer illusorisch macht.
4. Auch in den Zeiten der Hochkonjunktur wurde die Produktionskapazität nicht voll ausgenutzt und bestand ebenfalls eine Dauererwerbslosigkeit.
5. Der Preis der Ware Arbeitskraft ist bereits seit längerer Zeit unter den Wert herabgedrückt. Selbst in der Hochkonjunktur steigen die Löhne nicht annähernd wie der Wert der Arbeitskraft. Die absolute Verelendung greift also über die Erwerbslosen und Kurzarbeiter auch auf die Vollbeschäftigten über.
6. Damit entsteht eine dauernde Herabsetzung der Konsumkraft der Massen, eine dauernde Verengerung der Absatzmärkte.
7. Mit der allgemeinen Verelendung entfällt in der Mehrzahl der Länder das Sparpolster, das während der Krise aufgezehrt werden könnte.
8. Die Industriekrise tritt in engster Verflechtung mit der Agrarkrise auf, wobei sich beide Erscheinungen gegenseitig verschärfen.
9. Mit der raschen technischen Entwicklung wird der Verschleiß des konstanten Kapitals in der Produktion beschleunigt, die Frist zur Erneuerung des konstanten Kapitals verkürzt. Damit wird der technische Umschwung unter dem Monopolkapitalismus zu einem Hebel, der die Fristen des Industriezyklus verkürzte, die Perioden des Aufstieges zeitlich einengte. Diesen verkürzten Fristen der vorhergehenden Konjunktur steht die verlängerte Zeitdauer der Krise wie auch die längere Zeitdauer der vorhergehenden Depressionsperioden gegenüber. Allein die lange Dauer der Krise bewirkt eine verstärkte Aufzehrung aller Sparmittel selbst in den Ländern mit einem stärkeren Sparpolster.
Alle diese Tatsachen beweisen, wie lächerlich die Darstellung der Reformisten ist, die die heutige Weltwirtschaftskrise mit den »normalen« typischen Krisen der Vorkriegszeit einfach auf eine . Stufe stellen wollen.
Andererseits muß auch die Theorie einzelner roter Professoren zurückgewiesen werden, als hätten wir es heute lediglich mit der allgemeinen strukturellen Krise des kapitalistischen Systems der Nachkriegszeit zu tun. Ein bestimmter konjunktureller Charakter der jetzigen Krise liegt unbestreitbar vor. Das gilt für Amerika, das nach einer langen Periode der Prosperität 1929/30 über die Finanzkrise in die allgemeine Wirtschaftskrise geriet und zugleich zur Verschärfung der Weltwirtschaftskrise ausschlaggebend beitrug. Das gilt für Frankreich, das bis zuletzt einen Aufstieg erlebte und erst jetzt aus der Konjunktur in die Krise übergeht. Das gilt für England, wo es im Jahre 1929 einen gewissen Aufstieg im Verlaufe der allgemeinen Depression des englischen Kapitalismus gab. Das gilt für Deutschland, .wo kurze Aufstiegsperioden und dauernde Krisen in der ganzen Nachkriegszeit abwechselten. Nach 1920 Konjunktur, dann Inflationskrise 1922/23, darauf Belebung im Jahre 1924, dann wieder Depression 1925/26. Darauf rascher Aufstieg 1927/28, dann 1929 Depression, Krisenerscheinungen und 1930 die schwerste und tiefste Krise.
Es sind also gewisse zyklische Erscheinungen vorhanden. Andererseits eine Reihe von Faktoren, die sich prinzipiell von den Erscheinungen der periodischen Vorkriegskrisen des Kapitalismus unterscheiden. Was ergibt sich daraus?
Der Charakter der heutigen Krise ist der einer zyklischen Krise auf dem Boden der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems im Zeitalter des Monokapitalismus. Hier müssen wir die dialektische Wechselwirkung zwischen der allgemeinen Krise und der periodischen Krise verstehen. Einerseits nimmt die periodische Krise heftige und noch nie dagewesene Formen an, weil sie sich auf dem Boden der allgemeinen Krise des Kapitalismus vollzieht, weil sie von den Bedingungen des Monopolkapitalismus beherrscht wird. Andererseits wirken wiederum die Zerstörungen durch die periodische Krise vertiefend und beschleunigend auf die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems und rufen Erscheinungen hervor, die zweifelsohne auch durch keinen etwaigen Umschwung in die Depression oder irgendeine Erholung wieder ausgeglichen werden könnten. Dabei muß betont werden, daß für einen solchen Umschwung gegenwärtig selbst nach allen bürgerlichen Feststellungen keinerlei Anzeichen vorhanden sind.
Wir kommen nunmehr zur Prognose der künftigen Entwicklung. Welche Perspektiven ergeben sich? Das ist ja das Wesen unserer marxistischen Untersuchung, daß wir über die Beschreibung der Situation hinaus eine wirkliche Analyse der Triebkräfte der Wirtschaft und Gesellschaft geben können und aus dieser Analyse imstande sind, die richtigen Perspektiven abzuleiten, was wiederum eine Voraussetzung für eine richtige Politik bildet. Mit Stolz können wir feststellen, daß gegenüber dem Bankrott aller bürgerlichen und reformistischen Theorien die Kommunistische Internationale mit ihren Prognosen völlig recht behalten hat, weil sie eben allein die einzige wissenschaftliche Methode des Marxismus-Leninismus anwandte. Auf dem VI. Weltkongreß gab es noch große Schwankungen von Seiten der Rechten und Versöhnler unter der Führung Bucharins, so daß die Analyse nicht in allen Punkten ausreichend war. Das X. Plenum des EKKI holte das nach, was auf dem VI. Weltkongreß ungenügend hinsichtlich der Analyse war. Das Erweiterte Präsidium des EKKI im Februar stellte vollkommen richtig die Perspektive der herannahenden Weltwirtschaftskrise in ihrem ganzen Ausmaß, wie wir es inzwischen erlebt haben. Die Perspektiven, wie sie damals Genosse Manuilski darlegte, sind völlig durch die geschichtliche Entwicklung bestätigt worden. Wenn wir z. B. die Resolution des X. Plenums in bezug auf die Lage Deutschlands und die Auswirkungen des Reparationsproblems betrachten, so finden wir dort folgende Stelle:
»Die Reparationslasten führen innerhalb Deutschlands zur raschen Verschärfung des Klassenkampfes, der einerseits in der rücksichtslosen Offensive des Unternehmertums, andererseits in großen Massenaktionen des Proletariats zum Ausdruck kommt. Die doppelte Belastung des deutschen Proletariats durch die Reparationszahlungen und durch den Druck der eigenen Bourgeoisie, beschleunigt das Heranreifen einer revolutionären Krise in Deutschland.«
Heute sehen wir als eine bereits erwiesene Tatsache, daß diese Prognose des X. Plenums absolut richtig ist. Das X. Plenum hat mit diesen wenigen Worten den ganzen Charakter der jetzigen Entwicklung signalisiert. In unserer heutigen Resolution können wir auf Grund der jetzigen konkreten Analyse einen Schritt weitergehen. Wir sagen an einer Stelle unserer Resolution folgendes:
»Mit der weiteren Verschärfung der ökonomischen und politischen Krise in Deutschland entstehen bereits Tendenzen einer revolutionären Krise im Lande. Wieweit diese Tendenzen wachsen und sich entfalten, hängt in erster Linie vom Gang des Klassenkampfes, von der Kraftentfaltung und Massenaktivität des revolutionären Proletariats unter Führung der Kommunistischen Partei ab.«
Wir sagen, es entstehen Tendenzen der revolutionären Krise. Man könnte vielleicht sogar schon von einigen Elementen der revolutionären Krise in Deutschland sprechen. Es ist auch klar, daß in einigen Monaten wir in dieser Frage wiederum eine noch präzisere Formulierung werden wählen können, weil das Tempo der Entwicklung ein sehr rasches ist.
Was haben wir jetzt für eine Prognose zu stellen?
1. Zum großen Teil ergibt sich schon aus den angeführten besonderen Merkmalen der jetzigen Krise eine solche Perspektive, daß der Tiefstand auf Grund dieser Merkmale noch keineswegs erreicht ist, sondern eine weitere Verschärfung eintreten muß. Aber diese Prognose läßt sich noch durch eine Fülle weiterer Tatsachen beweisen. Die Gründe, die für Deutschland bisher eine verhältnismäßig günstige Lage in der Frage des Exports ergaben, als für die meisten anderen kapitalistischen Staaten (einen geringen Exportrückgang), fallen in steigendem Maße fort. Viele Faktoren, die bisher dem deutschen Hungerexport zugute kamen, schalten in Zukunft aus. Einmal wird durch die deutsche Lohnrauboffensive eine internationale Lohnabbauwelle angekurbelt, so daß hierdurch ein bestimmter Vorteil der deutschen Bourgeoisie fortfällt. Zweitens wird der Vorsprung in der technischen Rationalisierung, den die deutsche Bourgeoisie hat, in nächster Zeit in den Industrien der anderen kapitalistischen Konkurrenzen aufgeholt werden, wobei der zuletzt Rationalisierende den Vorteil hat, auf den besten Erfahrungen fußen zu können. Drittens fällt die Tatsache erschwerend ins Gewicht, daß der deutsche Export sehr stark nach Frankreich, in ein bisher von der Krise verschontes Land ging, während mit Frankreichs Eintritt in die Krise auch speziell Deutschlands Export nach Frankreich stark zurückgehen wird. Viertens wird der Kampf Deutschlands auf dem Weltmarkt erschwert durch die Schwierigkeit des Kapitalexports, der zur gleichen Zeit ein Motor des Warenexportes ist. Diese Schwierigkeit besteht einmal in der Belastung des deutschen Kapitalismus mit den Reparationen, die einen Zuschuß für die Konkurrenz und eine Verminderung der jährlichen Akkumulationssummen des deutschen Kapitalismus darstellen, zum anderen auch in der Zinsbelastung, weil der kapitalistische Aufbau in Deutschland mit geliehenem Kapital erfolgte. Fünftens fehlen der deutschen Bourgeoisie auf Grund des verlorenen Weltkrieges jene imperialistischen Machtmittel, wie Flotte usw., die in der kapitalistischen Weltwirtschaft beim Kampf um die Absatzmärkte einen offen kaufmännischen Faktor darstellen. Allen diesen negativen Umständen steht allein die Senkung der Rohstoffpreise als positiver Faktor der Erleichterung des Exports gegenüber. Die zunehmenden Schwierigkeiten des Exportes bringen aber nicht nur gleichfalls eine Verschärfung der Erwerbslosigkeit, sondern vor allem auch eine Verschlechterung der Handelsbilanz, damit eine Verstärkung der Young-Krise und neue Faktoren einer Krise auf dem Geldmarkt und im Kreditwesen, wie im September-Oktober vorigen Jahres. Eine Steigerung der Arbeitslosigkeit auf 5 Millionen bis zum Februar ist wahrscheinlich. Dieses weitere Wachstum der Erwerbslosigkeit bringt zugleich mit dem Zusammenwirken der Dauer der Erwerbslosigkeit eine Verstärkung der Finanzschwierigkeiten für Reich, Länder und Gemeinden mit sich.
Der Januar mit der Fälligkeit von Steuer, Hypothekenzinsen, Mieten, Pachten usw. muß zusammen mit der dauernden Senkung des Massenkonsums ein Fortwirken und eine Verschärfung der Agrarkrise sowie erhöhte Schwierigkeiten für die werktätigen Mittelschichten mit sich bringen. Ein Ansteigen der Konkurswelle ist mit Sicherheit zu erwarten.
2. Die Mehrzahl dieser für Deutschland vorliegenden Faktoren, die eine weitere außerordentliche Verschärfung der Wirtschaftskrise in Deutschland mit sich bringen, haben auch international Geltung.
Ganz besonders der Eintritt Frankreichs in die Krise zeigt erneut, wie das von Lenin festgestellte Gesetz der ungleichförmigen Entwicklung im Zeitalter des Imperialismus sich zu Ungunsten des Kapitalismus auswirkt. Das ungleichförmige Tempo, in dem die einzelnen kapitalistischen Länder von der Weltwirtschaftskrise erfaßt werden, führt gerade zu einer Erhöhung der Schwierigkeiten im internationalen Maßstabe, sobald dieses »verspätete« Einmünden in die allgemeine Entwicklung der Krise erfolgt. Das traf s. Zt. für Amerika zu und heute für Frankreich.
Die zunehmenden Auswirkungen der ökonomischen Krise auf den politischen Ueberbau erzeugen wiederum eine verschärfende Krisenwirkung ökonomischer Natur. Das gilt z. B. für die Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Kreditwesens infolge der politischen Vertrauenskrise. Das gilt auch für die Young-Krise allgemein.
Mit dem internationalen Charakter der vor uns liegenden Verschärfung der Weltwirtschaftskrise tritt zugleich eine gewisse Bindung der Bourgeoisie der einzelnen Länder im Klassenkampf ein. Die Voraussetzungen für einen gleichzeitigen Aufschwung der Arbeiterbewegung in allen entscheidenden kapitalistischen Ländern, wenn auch in verschiedenem Tempo, sind gegeben. Damit wird die Lage für das Proletariat in dem Lande, wo die Krise und der revolutionäre Aufschwung am weitesten fortgeschritten sind, objektiv günstiger. Andererseits steht die Frage des kapitalistischen Auswegs aus der Krise durch den Faschismus gegen das eigene Proletariat und durch den imperialistischen Krieg im internationalen Maßstabe.
3. Wie steht also die Aussicht für ein Umschlagen der Weltwirtschaftskrise beziehungsweise der Krise in Deutschland in eine revolutionäre Situation?
Wir müssen hier die Frage untersuchen, was Lenin in verschiedenen Dokumenten bezüglich der Vorbedingungen für die Entstehung einer revolutionären Situation gesagt hat. Wenn wir z. B. die im Jahre 1920 geschriebene Broschüre »Der Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus«, nehmen, so heißt es dort u. a.:
»Erst wenn die ›unteren Schichten‹ nicht mehr wollen und die ›oberen Schichten‹ nicht mehr in der alten Weise leben können, erst dann kann die Revolution siegen. Mit anderen Worten ausgedrückt, lautet diese Wahrheit: die Revolution ist unmöglich, ohne eine allgemeine nationale (sowohl die Ausgebeuteten als auch die Ausbeuter berührende) Krise.«
Und in einem Artikel über den Zusammenbruch der II. Internationale, der bereits aus dem Jahre 1915 stammt, sagte Lenin folgendes über die revolutionäre Situation:
»Welches sind überhaupt die Merkmale der revolutionären Situation? Wir werden sicherlich nicht fehlgehen, wenn wir folgende drei Merkmale nennen:
1. die Unmöglichkeit für die herrschenden Klassen, ihre Herrschaft in unverändertem Zustand zu erhalten; die eine oder andere Krise der ›oberen Schichten‹, eine Krise der Politik der herrschenden Klasse, die einen Riß entstehen läßt, durch den die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen durchbricht. Damit die Revolution ausbricht, genügt es in der Regel nicht, daß die ›unteren Schichten‹ nicht in der alten Weise leben können.
2. Die Verschärfung der Not und des Elends der unterdrückten Klassen über das übliche Maß hinaus.
3. Bedeutende Steigerung der Aktivität der Massen infolge der erwähnten Ursache, der Massen, die sich in der friedlichen Epoche ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen durch die ganze Situation der Krisen, wie auch durch die ›oberen Schichten‹ selbst zu selbständigem historischen Handeln gedrängt werden.«
Und, Genossen, als letztes Zitat über die objektiven und subjektiven Merkmale der revolutionären Situation, wie sie Lenin schildert, folgendes:
»Nicht aus jeder revolutionären Situation entsteht eine Revolution, sondern nur aus einer solchen Situation, in der zu den oben aufgezählten objektiven Veränderungen noch subjektive hinzukommen, nämlich: wenn hinzukommt die Fähigkeit der revolutionären Klasse zu revolutionären Massenaktionen, die genügend stark sind, um die alte Regierung zu stürzen (oder zu erschüttern), die niemals, sogar in der Epoche der Krise nicht, ›fallen‹ wird, wenn man sie nicht ›stürzt‹.«
Diese drei Zitate zeigen zur Genüge, welches die entscheidenden Fragen bei der Bestimmung einer revolutionären Krise sind. Wie steht es nun mit dieser Möglichkeit in Deutschland?
Hier muß man an die Fragestellung auf dem letzten Plenum des Zentralkomitees im Juli vorigen Jahres erinnern. Schon damals wiesen wir auf die These Lenins hin, wonach es auf Grund der objektiven Faktoren allein keine absolut auswegslose Situation für den Kapitalismus geben kann. Der Zusammenbruch des Kapitalismus, wie ihn Marx und Lenin aufzeigen, ist ein historischer Zusammenbruch, kein mechanischer, kein automatischer. Wir müssen die Situation auswegslos für den Kapitalismus machen!
Heute ist es noch viel klarer, wie notwendig diese leninistische Fragestellung für uns ist. Wir haben auf der einen Seite den verzweifelten Versuch der Bourgeoisie, auf Kosten der Massen, durch eine ungeheuerliche Verelendung einen kapitalistischen Ausweg aus der Krise mit Hilfe faschistischer Methoden zu erzwingen. Wir haben andererseits den wachsenden revolutionären Aufschwung. Noch sind nicht alle objektiven Bedingungen der revolutionären Situation, wie sie Lenin formulierte, völlig gegeben. Aber die Rolle des subjektiven Faktors wird immer klarer. Und so lautet unsere Antwort auf die Frage nach dem Entstehen einer revolutionären Situation:
Wir müssen die revolutionäre Situation organisieren!
Schon der Ruhrkampf hat gezeigt, ein wie gewaltiger krisenverschärfender Faktor jeder Lohnkampf auf Grund seiner heutigen politischen Bedeutung werden kann, wenn ihn das Proletariat unter richtiger Führung durch die RGO. entfacht. In Offensivgefechten, in der Gegenoffensive, im revolutionären Massenkampf des Proletariats liegt der Schlüssel zur revolutionären Situation.
Wir kommen nunmehr zum Problem der politischen Auswirkungen der Krise. Im politischen Ueberbau der kapitalistischen Wirtschaft zeigt sich besonders deutlich der dialektische Prozeß, in dem die zyklische Krise durch die allgemeine Krise des Kapitalismus beeinflußt wird und wiederum diese allgemeine Krise verschärft und auf eine höhere Stufe treibt.
1. In den Mittelpunkt unserer Betrachtungen müssen wir den revolutionären Aufschwung stellen. Welches sind die wichtigsten Tatsachen der letzten Zeit, in denen er sich widerspiegelt? Da sind zunächst die Reichstagswahlen vom 14. September. Eine Analyse des Wahlergebnisses, die wir z. Zt. vorgenommen haben, zeigt außerordentlich demonstrativ die Zuspitzung der Klassensituation. Auf der einen Seite der Einbruch der Kommunistischen Partei ins Lager des Reformismus. Die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterschaft in wichtigen proletarischen Bezirken. Ein Prozeß der Zusammenballung der proletarischen Klassenkräfte unter Führung der KPD. Auf der anderen Seite der Faschismus, der das Erbe der alten bürgerlichen Parteien antritt, denen die Massen in Scharen weglaufen. Die soziale und nationale Demagogie der Hitlerpartei erweist sich als ein letzter Schutzwall, um den Prozeß der Abwanderung dieser Massen ins Lager der Revolution aufzuhalten. Aber der Vormarsch der Kommunistischen Partei gerade an den wichtigsten Knotenpunkten des Klassenkampfes, die soziale und klassenmäßige Einheitlichkeit in der Anhängerschaft des Kommunismus, das Nachlassen des Masseneinflusses des Reformismus, das sind wichtige Tatsachen, die den 14. September zu einem gewaltigen Erfolg der revolutionären Klassenfront machten.
Auf den 14. September folgte der Berliner Metallarbeiterstreik. Er brachte den Beweis, daß der Erfolg der Kommunisten bei den Reichstagswahlen kein parlamentarischer, sondern ein außerparlamentarischer Erfolg in der Massenmobilisierung für den revolutionären Klassenkampf gewesen ist.
Wenn man von Einzelheiten absieht, muß als drittes wichtigstes Faktum der Ruhrkampf und der oberschlesische Bergarbeiterkampf genannt werden, der schon in viel höherer, reiferer Form als der Berliner Metallarbeiterstreik die Zuspitzung des revolutionären Klassenkampfes zeigt. Wir werden auf die Rolle dieser Kämpfe und ihre Lehren noch zurückkommen.
Ein vierter Faktor des revolutionären Aufschwungs ist überhaupt die heutige, viel bedeutsamere Rolle der RGO., die auch äußerlich in der Schaffung von roten Gewerkschaften, wie der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins oder jetzt der Einheitsverband der Bergarbeiter des Ruhrgebiets in Erscheinung tritt.
Ein fünfter, besonders wichtiger Faktor, ist die gewaltige Welle des antifaschistischen Massenkampfes, die sich in Deutschland entfesselt.
Im Zusammenhang damit steht die Radikalisierung der SPD.-Arbeiter und der proletarischen Mitglieder der SAJ. und auch von Teilen der proletarischen Elemente des Reichsbanners.
Die organisatorischen Fortschritte der Partei, ihr rasches Wachstum und ebenso die Erfolge des Kommunistischen Jugendverbandes spiegeln gleichfalls den revolutionären Aufschwung wider.
2. Als Gegenwirkung des revolutionären Aufschwungs im Verlauf der Krise vollzieht sich die Krise und Faschisierung der bürgerlichen Parteien, einschließlich der Sozialdemokratie. Diese Faschisierung ist die Antithese des dialektischen Prozesses, der sich in den Klassenbeziehungen vollzieht. Der Prozeß der Faschisierung, der gerade in den letzten Wochen in ein neues, höheres Stadium getreten ist, hat seit mehr als einem Jahr in heftigeren Formen eingesetzt. Wenn wir die Vorgeschichte der jetzigen faschistischen Entwicklung Deutschlands etwas zurück verfolgen, so ergibt sich, daß schon die Spaltung der Deutschnationalen Partei, die Abwanderung des sogenannten gemäßigten Flügels, die ja bekanntlich ratenweise erfolgte, einen wichtigen Ausgangspunkt darstellte. Einerseits bildeten die abgespaltenen, gemäßigten Deutschnationalen unter Westarp und Treviranus die Brücke, auf der die bürgerlichen Mittelparteien, Zentrum und Volkspartei von der großen Koalition mit der SPD. weg zu der neuen Bürgerblockfront sich umformieren, aus der der heutige Brüning-Block entstand. Andererseits war die Entwicklung der deutschnationalen Rumpfpartei, unter Führung Hugenbergs, von einer reaktionären zur faschistischen Partei ein entscheidender politischer Prozeß. Man muß einmal diese Rolle Hugenbergs in ihrer ganzen klassenmäßigen Bedeutung feststellen. Die Hugenbergpolitik bedeutet nichts anderes, als den Versuch des klassenbewußten extremsten Teils des deutschen Finanzkapitals, selbst auf Kosten der Zerschlagung des Organismus der alten deutschnationalen Partei, die bis dahin die stärkste bürgerliche Partei gewesen war, die Hitlerpartei im Sinne des Finanzkapitals zu erziehen. Sie muß, wie sich neuerdings auch die Deutsche Volkspartei ausdrückt, »kanalisiert« werden, um im Sinne des Finanzkapitals regierungsfähig zu werden. Klassenmäßig bedeutet dieser Vorgang, daß die Großbourgeoisie, respektiv Teile der Großbourgeoisie in die Hitlerpartei direkt oder indirekt »hineingehen«, um sich hier ein geeignetes politisches Organ zur Ausübung der faschistischen Diktatur heranzubilden. Gleichzeitig mit diesem Prozeß in einer dauernden Wechselwirkung vollzog sich die faschistische Entwicklung des anderen Teils der Bourgeoisie, der durch Brüning repräsentiert wird und an dessen Spitze das Zentrum steht. Wir haben schon auf den vorangehenden Tagungen des Zentralkomitees aufgezeigt, wieso gerade das Zentrum in dieser Periode zur Führung der Politik der deutschen Bourgeoisie besonders befähigt war und die führende Rolle innerhalb der Bourgeoisie, die eine zeitlang der Volkspartei gehörte, übernommen hat. Ein gewisser Wendepunkt in dieser ganzen Entwicklung war der Fußtritt der Bourgeoisie für die SPD. im März vorigen Jahres, der die Hermann-Müller-Regierung erledigte. Gegenwärtig sehen wir nun, daß der gesamte Prozeß, wobei die beiden Lager des Faschismus natürlich nicht schematisch von einander getrennt sind, eine bestimmte höhere Entwicklungsstufe erreicht hat.
3. Wenn die deutsche Bourgeoisie heute unmittelbar an die Durchführung der faschistischen Diktatur herangeht, so ist das kein Ausdruck ihrer Stärke, auch kein Ausdruck einer Schwäche oder Niederlage des Proletariats, sondern im Gegenteil: Die Bourgeoisie greift zur äußersten Herrschaftsform, sie benutzt den Faschismus als Sturmbock gegen die proletarische Revolution. Hier zeigt sich jener geschichtliche Vorgang, daß die Revolution mit ihrer höheren Entwicklung zugleich eine höhere Stufe der Konterrevolution produziert und wenn sie diese überwindet, zur höchsten Kraftentfaltung heranreifen kann. Jenen Prozeß schildert in ähnlicher Form schon Karl Marx in den »Klassenkämpfen in Frankreich«, wo er ausführt, daß der revolutionäre Fortschritt sich »in der Erzeugung eines Gegners, durch dessen Bekämpfung erst die Umsturzpartei zu einer wirklich revolutionären Partei heranreift«, Bahn gebrochen habe.
4. Welches sind die wichtigsten Tatsachen, in denen sich der Uebergang der Bourgeoisie zu faschistischen Herrschaftsmethoden ausdrückt? Hier ist einmal der Bankrott des Parlamentarismus. Die Bourgeoisie regiert nur noch mit Notverordnungen. Die Diktaturmassnahmen auf Grund des Ausnahmeparagraphen 48 sind keine Ausnahmen mehr, sondern werden zur Regel. Der Reichstag darf nur noch zusammentreten, um gelegentlich seinen Totenschein zu unterschreiben, indem er den diktatorisch verordneten Gesetzen nachträglich seine Zustimmung gibt.
Der Reichsrat wird auch schon ohne formelle Verfassungsänderung in der Praxis der Bourgeoisie zu einer ersten Kammer im Sinne eines faschistischen Umbaues des Staatsapparates. Auf der gleichen Linie liegen die Pläne bezüglich des Reichswirtschaftsrates als eines »Ständeparlamentes« und alle Pläne der Reichs- und Verwaltungsreform.
Die »kommunale Demokratie« ist nahezu völlig abgeschafft. Anstelle der selbständigen Finanzgebahrung der städtischen und sonstigen Kommunalparlamente sind in nahezu allen wichtigen Städten von oben eingesetzte Staatskommissare getreten, die diktatorisch, ohne Rücksicht auf die kommunalen Mehrheiten und ihre parlamentarischen Beschlüsse vorgehen.
Die Polizeimaßnahmen gegen die ganze Berliner kommunistische Stadtverordnetenfraktion nach dem Muster des Lappo-Faschismus, die Entlassung aller kommunistischen Beamten unter frechem Hohn auf die Weimarer »Verfassung«, schließlich die geplante, zum Teil schon praktisch eingeführte Arbeitsdienstpflicht sind weitere Tatsachen der Faschisierung.
5. Ein ganz besonderes Kapitel stellt die Außenpolitik dar, bei der sich die Zeichen der imperialistischen Kriegstendenzen außerordentlich verschärfen. Die offene Ankündigung der Notwendigkeit, den Youngplan zu revidieren, Deutschlands Aufrüstung zu betreiben, die chauvinistische Hetze gegen Polen, die Ostreise Brünings, die allerdings durch uns durchkreuzt wurde, die nationalsozialistischen Truppenformationen in Schlesien und Ostpreußen, das alles kennzeichnet den kriegerischen Kurs in der Außenpolitik. In welcher Richtung entwickelt sich diese Kriegspolitik des deutschen Imperialismus? Die Zuspitzung des deutsch-polnischen Gegensatzes und damit ein bestimmter Druck auf Frankreich, einige finanzielle Konzessionen und wirtschaftliche Abmachungen zu erreichen, sowie die gesamte Revanchehetze der Nationalsozialisten bedeutet keine Abschwächung, sondern eine Steigerung der Gefahr des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion. Solche Konflikte der imperialistischen Mächte untereinander können leicht umschlagen. Man »einigt« sich zum gemeinsamen Raubzug gegen den klassenmäßigen Feind aller imperialistischen Mächte, gegen die Sowjetmacht.
Die faschistische Entwicklung Deutschlands schließt den Ring der imperialistischen Interventionsfront gegen die Sowjetunion. Wie frech diese Kriegshetze bereits betrieben wird, zeigt ein Zitat der »Hamburger Nachrichten«, in dem es heißt:
»Man kann von der Bildung eines in sich festgefügten deutsch-französischen Blocks die Zukunft Europas abhängig machen. Und es ist durchaus richtig, daß ein solcher Block dem alten, müd gewordenen Erdteil Europas noch einmal große schöpferische Kraft sowohl in der Richtung nach Afrika, wie in der Richtung auf Asien verleihen könnte. Es ist durchaus richtig, daß dieser Block dem trunkenen Blick ungeahnte wirtschaftliche Perspektiven eröffnen würde. Vor ihm würde die Rätemacht in Moskau dahinschwinden, das große, weite Rußland, Rußland mit Sibirien, läge den kolonialen Bestrebungen deutsch-französischer Wirtschaftsunternehmungen offen. Alles, was der Irrsinn der Rätewirtschaft in dem weiten Reich mit seinen fast 150 Millionen Menschen zerstört hat, könnte wieder erobert werden zugunsten der mittel- und westeuropäischen Wirtschaft.«
1. Von ausschlaggebender Bedeutung für die faschistische Entwicklung Deutschlands ist die verschiedenartige Rolle, die einerseits der Sozialfaschismus, andererseits der Faschismus spielt, und ihr Verhältnis zueinander.
Wir sehen zunächst die abwechselnde Ausnutzung der beiden Kräfte seitens des Finanzkapitals, wie sie sich einerseits in der Preußenregierung mit der Sozialdemokratie, andererseits der Thüringischen und braunschweigischen Regierung mit den Nazis zeigt. Die Politik der Sozialdemokratie hat nicht nur den Nazis den Weg geebnet, sondern die heutige Rolle des Sozialfaschismus ist förmlich die einer Hilfspolizei des Faschismus. Wenn z. B. die Sozialdemokratie die parlamentarische Stütze der Brüningregierung ist, so gibt sie gerade mit dieser Unterstützung Brünings, die angeblich gegen eine Hitlerregierung wirken soll, in Wirklichkeit den Nazis einen Spielraum, so daß sich diese in einer gewissen Scheinopposition erst recht eine breitere Massenbasis schaffen können. Das Wichtigste an der jetzigen Rolle des Sozialfaschismus ist seine außerparlamentarische Stützung der Brüningdiktatur mit Hilfe der reformistischen Gewerkschaften bei der Durchführung des Lohnraubes und des Abbaues der sozialen Leistungen. Auf der anderen Seite stellen die Nazis in allen Fragen der Außenpolitik aber auch zum Teil in der Innenpolitik die entscheidende außerparlamentarische Massenbasis für die Bourgeoisie bei der Durchführung der faschistischen Politik. Das beste Beispiel ist die Rolle der Göbbelsbanden beim Verbot des Remarque-Filmes.
Mit der revolutionären Zuspitzung wächst die Bedeutung der bewaffneten Konterrevolution als Massenbewegung für die Bourgeoisie. Diese aber können nur die Nazis in ausschlaggebendem Maße stellen, nicht die Sozialdemokratie. Selbst in der Noske-Zeit wurde ja die damalige bewaffnete Konterrevolution zwar politisch von der Mehrheitssozialdemokratie eingesetzt und geleitet, faktisch jedoch nicht von den sozialdemokratischen Organisationen, sondern von den Freikorps, diesen Keimzellen der heutigen Nazipartei, durchgeführt. Mit der Verschärfung des Klassenkampfes und andererseits mit dem dauernden Rückgang des Masseneinflusses der SPD. wächst daher die Rolle der Nazis. Wenn gegenwärtig die Volkspartei zum Teil auf die Linie der Hugenbergpolitik, der Heranziehung und »Kanalisierung« der Nazis einschwenkt, während andererseits das Zentrum, besonders Kaas, sich gegen die jetzige Ausschaltung der Sozialdemokratie wendet und Absagen an die Nationalsozialisten richtet, so spiegeln auch diese Gegensätzlichkeiten nur die Zerklüftung im kapitalistischen Klassenlager auf Grund der Krise wider.
2. Zweifellos stellen die geschilderten Tatsachen der Faschisierung eine neue höhere Phase gegenüber jener Entwicklungsstufe dar, wie sie in der ersten Periode der Brüningregierung nach dem Fußtritt für die SPD. vorhanden waren. Wenn die Partei die neu auftauchenden Probleme mit aller Kühnheit in Angriff genommen hat, so ist das zweifelsohne ein Verdienst, das auch dadurch nicht geschmälert wird, wenn wir bei der genaueren Analysierung nicht von vornherein alle Fragen sofort zu klären vermochten.
3. Wie steht es mit der Frage der faschistischen Diktatur? Was ist der klassenmäßige Inhalt des Begriffs faschistische Diktatur? Wenn man dieses Problem untersucht, ergibt sich, daß der klassenmäßige Inhalt einer faschistischen Diktatur zweifelsohne die Diktatur des Finanzkapitals ist, wie in der bürgerlichen Demokratie. Also nicht etwa der Klasseninhalt ändert sich, sondern die Methoden. Die Herrschaftsformen wechseln, nicht der Herrschaftsinhalt, sofern die bürgerliche Demokratie durch die faschistische Diktatur ersetzt wird.
Was sagt das Programm der Komintern zur Frage der faschistischen Diktatur? Es heißt dort:
»Unter besonderen historischen Bedingungen nimmt der Prozeß der Offensive der bürgerlich-imperialistischen Reaktion die Form des Faschismus an. Solche Bedingungen sind: Die Labilität der kapitalistischen Beziehungen; das Vorhandensein sozial-deklassierter Elemente in beträchtlicher Zahl; die Verarmung breiter Schichten des städtischen Kleinbürgertums und der Intelligenz; die Unzufriedenheit der ländlichen Kleinbourgeoisie; schließlich die ständige Gefahr proletarischer Massenaktionen.«
Es kann keinen Zweifel geben, daß alle diese Bedingungen in Deutschland vorliegen. Nun heißt es im Programm weiter:
»Um ihrer Macht größere Stetigkeit und Festigkeit zu sichern, ist die Bourgeoisie im steigenden Maße gezwungen, vom parlamentarischen System zu der faschistischen Methode überzugehen, die von Beziehungen und Kombinationen zwischen den Parteien unabhängig ist. Der Faschismus ist eine Methode der unmittelbaren Diktatur der Bourgeoisie, ideologisch verkleidet mit der Idee der Volksgemeinschaft und der Vertretung nach Berufsständen. (Das heißt eigentlich Vertretung der verschiedenen Gruppen der herrschenden Klasse.) Er ist eine Methode, die durch eine eigenartige soziale Demagogie (Antisemitismus, gelegentliche Ausfälle gegen die parlamentarische Schwatzbude), die Unzufriedenheit der Massen des Kleinbürgertums, der Intellektuellen und anderer ausnützt.«
Auch hier finden wir verschiedene Anhaltspunkte für die gegenwärtige Situation in Deutschland. Das gilt sowohl für die Unabhängigkeit der Brüning-Regierung von Beziehungen und Kombinationen zwischen den Parteien, als auch für die unmittelbare Ausübung der Diktatur der Bourgeoisie und schließlich für die Verkleidung dieser Diktatur mit den Ideen der Volksgemeinschaft und berufsständischen Vertretung. Die weiteren Ausführungen des Programms, die sich auf den Aufbau der faschistischen Kampfverbände usw. beziehen, treffen zwar für die Hitlerpartei zu, aber nicht für die heutige Herrschaftsform der Bourgeoisie mittels der Brüning-Regierung. Schließlich heißt es dann weiter im Programm:
»Die Hauptaufgabe des Faschismus ist die Vernichtung der revolutionären Vorhut der Arbeiterklasse, d. h. der kommunistischen Schichten des Proletariats und ihrer führenden Kader. Die Verquickung von sozialer Demagogie und Korruption mit dem aktiven weißen Terror, sowie die zum äußersten gesteigerte imperialistische Agressivität der Außenpolitik sind charakteristische Züge des Faschismus.«
Auch in diesen Sätzen sind Anhaltspunkte, die sich auf die heutige Situation in Deutschland und das Brüning-System anwenden lassen.
Insgesamt ergeben sich aus den Darlegungen des Programms Anhaltspunkte dafür, schon heute in Deutschland von faschistischen Herrschaftsformen zu sprechen. Andererseits sieht das Programm einen solchen Zustand nicht vor, wo die Bourgeoisie bereits mit faschistischen Methoden regiert, die faschistische Massenpartei sich aber noch außerhalb der Regierung, sogar in einer Scheinopposition befindet. Schließlich ist es klar, daß im industriellen Deutschland mit seiner großen Arbeiterklasse und starken Kommunistischen Partei der vollen Entfaltung der faschistischen Herrschaft ernste Hindernisse entgegengesetzt werden.
Es ergibt sich nach alledem als konkrete Analyse das, was wir auch in der Resolution aussprechen:
Wir haben in Deutschland den Zustand einer ausreifenden, wenn auch noch nicht ausgereiften faschistischen Diktatur. Die Regierung Brüning ist in ihrer jetzigen Entwicklungsphase die Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur. Gegen sie und alle ihre Hilfskräfte müssen wir den schärfsten Kampf der Massen führen!