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Erstes Kapitel

Beschreibung unsres Städtchens und erstes Aufblitzen des Diamanten.

 

Als ich von meinem ersten Urlaub nach London zurückkehrte, schenkte meine Tante Hoggarty mir eine Diamantbusennadel, d. h. es war damals keine Diamantnadel, sondern eine große altmodische Brosche, von Dubliner Arbeit aus dem Jahre 1795, die der selige Herr Hoggarty stets bei den Bällen des Lordstatthalters und anderswo zu tragen gepflegt hatte. Er trug sie, seiner Aussage nach, auch in der Schlacht bei Vinegar Hill, wo sein dicker Zopf sein Haupt vor dem Abschlagen schützte, – aber das gehört ja eigentlich nicht hierher.

In der Mitte der Brosche war Hoggarty in der scharlach-roten Uniform seines Milizkorps abgebildet, rundherum waren dreizehn Haarlocken, von den dreizehn Schwestern des alten Herrn; und da all diese kleinen Löckchen die Familienfarbe, ein brennendes Lohbraun, trugen, so erschien Hoggartys Porträt dem phantasievollen Beschauer als ein mächtiges, rotes rundes Stück Rindfleisch, umgeben von dreizehn Mohrrüben. Das Ganze war auf einer blauen Emailleschüssel aufgetischt, und die erwähnte Lockensammlung schien aus dem »Großen Hoggarty-Diamanten« (wie wir ihn in der Familie nannten), gleichsam herauszuwachsen.

Meine Tante ist reich, wie ich wohl kaum zu erwähnen brauche, und ich meinte, ich könne einmal ebensogut ihr Erbe sein, wie irgend ein andrer. Während meiner vierwöchentlichen Ferien war sie ganz besonders gütig zu mir gewesen; sie ließ mich oft Tee bei sich nehmen (obgleich es eine gewisse Person im Dorf gab, mit der ich an jenen goldnen Sommerabenden gern auf den Heufeldern umhergestreift wäre!), und sooft ich ihren Bohea getrunken hatte, hatte sie mir auch versprochen, bei meiner Rückkehr nach London etwas Schönes für mich zu tun, – je drei- oder viermal hatte sie mich auf 3 Uhr zu Tisch eingeladen und zu einer Partie Whist oder Cribbage hinterher. Ich hatte nichts gegen dieses Kartenspielen; denn obgleich wir gewöhnlich sieben Stunden in einem Zuge spielten und ich immer verlor, überstieg mein Verlust doch niemals mehr als neunzehn Pence; aber da wurde der verdammte saure schwarze Johannisbeerwein, den die alte Dame immer bei Tisch gab, um zehn Uhr nocheinmal mit einem Imbiß präsentiert, und den wagte ich nicht abzulehnen, obwohl er mich, auf Ehrenwort, jedesmal hundeelend machte.

Nun, nach all dieser Willfährigkeit von meiner Seite und nach den wiederholten Versprechungen meiner Tante, glaubte ich, die alte Dame würde mir wenigstens ein paar Dutzend Guineen schenken, (von denen sie eine Menge im Schubkasten liegen hatte), ja, so fest war ich davon überzeugt, ein solches Geschenk für mich wäre beabsichtigt, daß eine junge Dame, namens Fräulein Mary Smith, mit der ich von der Sache gesprochen, mir tatsächlich eine kleine grünseidne Börse dazu gestrickt hatte, die sie mir (hinter Hicks Heuschober, da wo's rechts nach Churchyard Lane geht), in ein Stück Silberpapier gewickelt, überreichte. Wenn aber die ganze Wahrheit gesagt werden soll, so muß ich auch sagen, daß in der Börse etwas drin war, nämlich, erstens eine dicke Locke des glänzendsten, schwarzen Haares, das man jemals sah, zweitens drei Pence, oder vielmehr die Hälfte eines silbernen Sechspencestückes an einem schmalen blauen Bande befestigt. Ach, wo die andre Hälfte des Geldstücks sich befand, das wußte ich und beneidete das glückliche Stückchen Silber darum! Den letzten Tag meiner Ferien mußte ich natürlich Frau Hoggarty widmen. Meine Tante war außerordentlich gütig und spendierte diesmal gar zwei Flaschen ihres Johannisbeerweins, von denen ich den größten Teil trinken mußte. Am Abend, als alle Damen, die zu dieser Gesellschaft versammelt gewesen waren, sich mit Galoschen und Dienerinnen entfernt hatten, blies Frau Hoggarty, die mir ein Zeichen zum Bleiben gegeben hatte, zuallerletzt drei von den Wachskerzen aus, die im Besuchszimmer brannten, nahm dann die vierte in die Hand und trat zu ihrem Schreibpult, das sie aufschloß.

Ich kann versichern, mein Herz klopfte, obgleich ich tat, als wenn ich ganz unbefangen wäre.

»Lieber Sam,« sagte sie, während sie mit den Schlüsseln klapperte, »schenke dir noch ein Glas Rosoglio ein (so nannte sie dies verwünschte Getränk), es wird dir gut tun.« Ich nahm es, und man hätte meine Hand zittern sehen können, daß die Flasche kling! kling! an das Glas schlug. Als ich den Wein hinuntergespült hatte, war auch die alte Dame mit ihrem Geschäft am Schreibpult fertig und trat, mit der Wachskerze in der einen Hand und einem großen Paket in der anderen, auf mich zu.

Na endlich! dachte ich.

»Samuel, mein lieber Neffe,« sagte sie, »deinen Rufnamen empfingst du von deinem seligen Onkel, meinem geliebten Manne, und unter meinen Neffen und Nichten bist du der, dessen Lebensführung mir die meiste Freude gemacht hat.«

Wenn man bedenkt, daß meine Tante sechs verheiratete Schwestern hatte, daß alle Hoggartys in Irland verheiratet und Mütter zahlreicher Kinder waren, so muß ich sagen, daß meine Tante mir da wirklich ein schönes Kompliment machte.

»Teure Tante,« entgegnete ich mit leiser, bewegter Stimme, »ich habe Sie oft sagen hören, daß Sie im ganzen nicht weniger als dreiundsiebenzig Geschwisterkinder besitzen; die hohe Meinung, die Sie von mir haben, ist mir daher wirklich sehr schmeichelhaft, – glauben Sie mir; aber ich bin ihrer nicht würdig, – wirklich nicht.«

»Von dem irischen Gesindel,« sagte meine Tante ziemlich scharf, »sprich mir nicht; ich hasse sie und all ihre Mütter,« (dieser Haß rührte von einem Prozeß her, der um die Hoggartysche Erbschaft geführt worden war), »aber von all meinen anderen Verwandten bist du, Samuel, der gehorsamste und anhänglichste gewesen. Deine Prinzipale in London loben deine Ordentlichkeit und deine gute Führung. Mit deinen achtzig Pfund Gehalt jährlich (was ja auch ein recht anständiges Salär ist), hast du keinen Schilling mehr als dein Einkommen ausgegeben, wie es andere junge Leute getan hätten, und deine Ferien deiner alten Tante gewidmet, die dir, das versichere ich dir, dafür dankbar ist.«

»O Tante!« sagte ich. Das war alles, was ich hervorbringen konnte.

»Samuel,« fuhr sie fort, »ich versprach dir ein Geschenk, und hier ist es. Ich hatte zuerst daran gedacht, dir Geld zu geben, aber du bist ein ordentlicher Mensch und brauchst keins; du bist über Geld erhaben, lieber Samuel. Ich will dir das geben, was mir das Liebste auf Erden ist – das P,– das Po–, das Po–orträt meines verklärten Hoggarty« (Tränen), »das sich in der Brosche mit dem kostbaren Diamanten befindet, von dem du mich oft hast sprechen hören. Trage es um meinetwillen, lieber Sam, und denke dabei an jenen Engel im Himmel und an deine dich liebende Tante Susy.«

Sie legte das Paket in meine Hand; es hatte etwa den Umfang eines Rasierbeckens, und ich hätte ebensogut daran denken können, einen dreieckigen Hut und einen Haarbeutel zu tragen, wie dies Ding. Ich war so ärgerlich und enttäuscht, daß ich wirklich kein einziges Wort zu sagen vermochte.

Nachdem ich mich ein wenig gefaßt hatte, nahm ich die Brosche aus dem Papier (die »Brosche«, hm! Sie war so groß wie das Vorlegeschloß eines Scheunentors), und steckte sie langsam in mein Vorhemd. »Ich danke, liebe Tante,« sagte ich, nicht ohne boshafte Hintergedanken. »Ich werde dies Geschenk immer Ihretwegen, die es mir gab, werthalten und mich dabei meines Onkels und meiner dreizehn Tanten in Irland erinnern.«

»Du sollst es aber, so wie es jetzt ist, mit den Haaren der abscheulichen rotköpfigen Frauenzimmer, nicht tragen!« kreischte Frau Hoggarty. Die Haare mußt du herausnehmen lassen.«

»Dann wird die Brosche verdorben, liebe Tante.«

»Was kommt's auf die Brosche an, laß sie doch neumachen!«

»Oder wie wäre es,« sagte ich, »wenn ich die Fassung, die doch für die jetzige Mode etwas zu groß ist, ganz beiseite ließe und das Porträt meines Onkels lieber unter Glas und Rahmen neben dem Ihrigen über dem Kamin aufhängte. Es ist ein schönes Miniaturporträt.«

»Diese Miniatur,« entgegnete Frau Hoggarty feierlich, »war des großen Mulcalhys chef d'oeuvre.« (Sie sprach das Schaidjuer aus, und es war ein Lieblingswort meiner Tante und machte nebst den Worten bongtong und ally mode de Parry ihren ganzen französischen Wortschatz aus.) Du kennst die schreckliche Geschichte jenes armen, armen Künstlers. Als er dies wundervolle Bildnis für die selige Frau Hoggarty auf Castle Hoggarty, Grafschaft Mayo, vollendet hatte, trug diese es auf dem Balle des Lord-Statthalters an der Brust, während sie mit dem kommandierenden General eine Partie Pikett spielte. Warum sie die Haarlocken ihrer plebejischen Töchter rings um Michaels Porträt hatte anbringen lassen, begreife ich nicht, aber die Brosche war damals so wie heute. ›Madame‹ sagte der kommandierende General, ›wenn dies nicht mein Freund Mick Hoggarty ist, so will ich ein Hollunder sein!‹ Das waren Sr. Lordschaft eigene Worte. Frau Hoggarty auf Castle Hoggarty nahm die Brosche ab und zeigte sie ihm. ›Wer hat das Bild gemacht?‹ fragte Mylord. ›Es ist die wunderbarste Aehnlichkeit, welche ich je in meinem Leben gesehen habe!‹

›Mulcalhy,› sagte sie, ›am Ormondskai.‹

›Wahrhaftig, dem werde ich meine Kundschaft zuwenden!‹ sagte Mylord; aber plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht, und er gab das Bild mit enttäuschter Miene zurück. ›Das Porträt hat einen großen Fehler,‹ sagte Seine Lordschaft, der ein Fanatiker in bezug auf strengste militärische Ordnung und Disziplin war, ›und ich begreife nicht, wie mein Freund Mick, der doch Soldat ist, das hat übersehen können.‹

›Worin besteht der Fehler?‹ fragte Frau Hoggarty auf Castle Hoggarty.

›Madame, er ist ohne sein Degenkoppel gemalt!‹ Damit nahm er die Karten unwillig wieder auf und beendigte das Spiel ohne ein weiteres Wort.

Der Vorfall wurde Herrn Mulcalhy am nächsten Tage hinterbracht, und der unglückliche Künstler verfiel darüber auf der Stelle in Wahnsinn! Er hatte seine ganze Ehre in dies Bild gesetzt und erklärt, es solle fehlerlos werden. Das war die Wirkung der Nachricht auf sein leicht verletzliches Herz! Als Frau Hoggarty starb, nahm dein Oheim das Porträt an sich und trug es immer bei sich. Seine Schwestern sagten zwar, er tue es nur um des Diamanten willen, die undankbaren Geschöpfe! während er doch den Schmuck einzig um ihrer Haare willen und aus Liebe zur Kunst zu besitzen wünschte. Was den armen Künstler betrifft, mein Lieber, meinten freilich einige Leute, er habe sich durch allzu reichlichen Genuß von Spirituosen das delirium tremens zugezogen, aber ich glaube das nicht. Trink' doch noch ein Glas Rosoglio.«

Die Erzählung dieser Geschichte versetzte meine Tante immer in sehr gute Laune; sie versprach mir schließlich, die neue Fassung des Diamanten zu bezahlen, und forderte mich auf, ihn bei meiner Ankunft in London zu dem großen Juwelier, Herrn Polonius, zu bringen und ihr die Rechnung zuzuschicken. »Die Brosche hat freilich, wie sie jetzt ist,« sagte sie, »allerwenigstens fünf Guineen Goldwert, und die neue Fassung wird nicht mehr als zwei kosten, aber du kannst das Geld immerhin behalten, lieber Sam, und dir dafür kaufen, was du gerade haben möchtest.«

Damit sagte die alte Dame mir Lebewohl.

Die Glocke schlug zwölf, als ich ins Städtchen hinunterging, denn die Geschichte von Mulcalhy dauerte immer eine Stunde, und ich war nicht mehr ganz so niedergeschlagen wie im ersten Augenblicke, als ich das Geschenk empfing. Schließlich, dachte ich, ist eine Diamantnadel doch immer etwas Hübsches; sie wird mir ein distinguiertes Air geben, wenn auch meine Kleider etwas abgetragen sein mögen – und abgetragen waren sie wirklich. Und dann, dachte ich weiter bei mir, werden die drei Guineen, die ich übrig behalten werde, gerade hinreichen, um mir ein Paar »Unaussprechliche« zu kaufen – die ich, unter uns gesagt, sehr notwendig gebrauchte, denn ich war damals stark im Wachsen begriffen, und meine Beinkleider waren vor wenigstens anderthalb Jahren gemacht.

So ging ich denn die Straße hinab, die Hände in den Taschen; ich hatte dort die Börse der guten Mary, aus der ich die Sächelchen herausgenommen, die sie mir am Tag vorher gegeben hatte; ich trug sie jetzt – na – anderswo; denn damals hatte ich ein Herz, und noch dazu ein sehr warmes: ich hatte Marys Börse für das Geschenk meiner Tante in Bereitschaft gesetzt, das ich nun nicht bekam, und rechnete mir aus, daß ich von meiner eigenen kleinen Kasse, die die Spielpartien bei der Frau Hoggarty immerhin um wenigstens fünfundzwanzig Schillinge leichter gemacht hatten, nach Abzug der Reisekosten etwa zwei Siebenschillingstücke wieder mit nach London bringen würde.

Flüchtigen Fußes schritt ich die Straße entlang, so eilig, daß ich, wenn dies möglich gewesen, die zehnte Stunde noch eingeholt haben würde, die vor zwei Stunden geschlagen hatte, als ich Frau Hoggartys endlosen Erzählungen bei ihrem schrecklichen Rosoglio zuhören mußte. Die Wahrheit zu gestehen, hatte ich für zehn Uhr ein Stelldichein unter den Fenstern einer gewissen kleinen Person verabredet gehabt, die um diese Zeit in ihrer reizend gefältelten Nachthaube mit aufgewickelten Löckchen nach dem Monde sehen wollte.

Jetzt waren die Fenster geschlossen, und keine Kerze erhellte sie; und obgleich ich mich räusperte, hustete, am Gartenzaun pfiff und ein Lied sang, das die gewisse Jemandin sehr liebte, ja sogar ein Steinchen ans Fenster warf, das gerade an die Oeffnung des Rahmens traf, – so erwachte doch niemand, außer einer großen Bestie von Haushund, welcher bellte und heulte und durch den Zaun und darüber hinweg nach mir sprang und schnappte, so daß ich jeden Augenblick glaubte, er würde meine Nase zwischen die Zähne bekommen.

So mußte ich denn so schnell wie möglich machen, daß ich fortkam. Am nächsten Morgen um vier Uhr hielten meine Mutter und meine Schwestern das Frühstück bereit; um fünf Uhr fuhr die sechsspännige Postkutsche nach London ab, und ich nahm meinen Platz auf ihrem Verdeck ein, ohne Mary Smith noch einmal gesehen zu haben.

Als wir am Hause vorüberkamen, schien es mir, als würde die Gardine in ihrem Zimmer ein ganz kleines bißchen zur Seite geschoben. Jedenfalls war das Fenster, das ich diese Nacht geschlossen gesehen, jetzt offen; aber die Postkutsche rollte weiter, und Städtchen, Landhäuschen, Dorfkirchhof und Hicks Heuschober, waren mir bald aus dem Gesicht verschwunden.

»Der Tausend, was für 'ne Busennadel,« sagte ein Stallknecht, mit einer Zigarre im Munde, zu unserem Schaffner, sah mich dabei an und legte den Finger an seine Nase.

Tatsächlich hatte ich mich seit dem gestrigen Gesellschaftsabend bei meiner Tante nicht umgekleidet, und da ich verstimmten Gemüts all meine Kleider noch einpacken mußte und dabei an ganz was anderes dachte, so hatte ich Frau Hoggartys Brosche, die ich am Abend zuvor in mein Vorhemd gesteckt, ganz vergessen.


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