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Vier Wochen nach Ferdinands Beförderung erlangte der Obereinfahrer die väterliche Einwilligung in seine Heirath, und nun wurde seine Verlobung öffentlich bekannt gemacht. Schicklicherweise konnte Brunhild nun nicht länger in der Pension bleiben, sondern mußte bis zu ihrer Vermählung im Vaterhause wohnen. Da war jetzt alle Sorge auf Vollendung der bräutlichen Ausstattung und Vorbereitung zu einer würdigen Hochzeitsfeier gerichtet. Mit bangem Herzklopfen sah Hedwig, der jetzt die ganze Hauswirthschaft zufiel, das Herbeischleppen all der kostbaren Gegenstände, welche der eitlen Mutter zur Ausstattung der künftigen Baronin unerläßlich schienen, mit Kopfschütteln und Murren beobachtete der Großvater das Treiben; zumal als der Erbschaftsproceß, auf den seine Schwiegertochter pochte, kein Ende nehmen wollte, und der Schichtmeister selbst anfing, eine sehr besorgte Miene zu zeigen.
Da jetzt der Obereinfahrer öfters auf dem Vater Abraham einsprach, um seine Braut zu sehen, so wachte die Schichtmeisterin strenger als je darüber, daß Ferdinand sich ihrem Familienkreise fernhielt. Doch fand sich bei ihren häufigen Stadtbesuchen und Brunhild's freundlicher Gesinnung für die Liebenden Gelegenheit genug, sich zu sehen und gegenseitig zu ermuthigen. Ferdinand ging jeden Tag mit frischer Hoffnungsfreudigkeit an sein schweres Tagewerk; er war seinen Untergebenen, von denen nur der bei der Steigerwahl durchgefallene Meier ihm mit Mißmuth gehorchte, ein Vorbild an Fleiß und Pünktlichkeit im Dienst und sah streng auf die Pflichterfüllung jedes Einzelnen. Aber er sorgte auch für die Verbesserung ihrer Lage. Die Anbrüche hielten aus, und ehe drei Monate um waren, erfuhr er durch seinen Gönner Mickley, daß die letzte Erzlieferung von der Schmelz-Administration doppelt so hoch bezahlt worden sei, als jede frühere Lieferung von gleichem Gewicht. Mußte Ferdinand, der keine so auffallende Veredlung des Ganzen wahrgenommen hatte, dies Ergebniß Wunder nehmen, so äußerte er doch nichts hierüber, vielmehr ergriff er diese Gelegenheit sogleich, um für seine Häuer eine Lohnaufbesserung zu beantragen.
»Na,« sagte der Gelbgießer; »ich werde die Sache dem Ausschuß vorlegen. Es ist schön von Ihm, daß Er Seiner armen Kameraden gedenkt und für sich nichts begehrt. Wenn der Vater Abraham so höflich bleibt wie jetzt, so glaub' ich, die Gewerkschaft wird sich billig finden lassen. Ich werde mich gewiß dafür verwenden. Aber jetzt muß ich Ihm was zeigen.« Er holte aus einem Wandschrank eine Erzstufe. »Woher glaubt Er wohl, daß diese Stufe ist?« fragte er.
Ferdinand nahm sie, wog und betrachtete sie genau. »Soll sie aus dem hiesigen Revier sein?« fragte er nach einer Weile. Der Gelbgießer bejahete, und der junge Metallurg begann seine Prüfung von Neuem. Endlich sagte er: »Die Gangart ist ganz die unsrige, und ich glaube nicht, daß im hiesigen Revier noch irgendwo Weißgiltigerz mit gediegenem Silber zugleich so in den Quarz einbricht, wie auf dem Vater Abraham. Ich kenne hier herum wohl jedes Gestein, wo man auf Silber baut, aber nirgends sonst hab' ich dergleichen gesehen, wie dieses ist.«
»Hm!« sagte der Gelbgießer, »ich dachte mir's auch – aber ich traute doch meinen Augen nicht ganz. Nun will ich Ihm auch sagen, wie ich zu der Stufe gekommen bin. Der Goldschmied Reichel hat seinen Lehrjungen mißhandelt, daß er ihm davongelaufen ist. Da er nicht wieder zu ihm und lieber Gelbgießer werden wollte, so bat mich sein Vater, es mit ihm zu versuchen. Nun, es scheint ein anstelliger Junge zu sein; deshalb brauchte ich ihn bei der neuen Einrichtung meines Stufen-Cabinets nach dem Breithaupt'schen System. Da sagte er, er hätte auch ein paar Stufen zu Hause, ob ich sie haben wolle. Nun, ich bin ein Liebhaber von dem Zeug und hieß ihn danach gehen. Da brachte er mir die schöne Silberstufe da, aber nur diese, die andere hatten seine Geschwister verschleppt. »Aber, Junge!« rief ich erstaunt, »wo hast Du die prächtige Stufe her?« Ganz unbefangen gab er zur Antwort, er habe sie beim Kartoffelabkeimen für seine Meisterin im Keller unter den Kartoffeln gefunden, und weil es gerade Weihnachten gewesen, wo bei seinen Eltern das Bergwerk für die Kinder aufgebaut worden, da habe er beide Stufen mit hingenommen und in das Bergwerk gethan. Was sagt Er dazu?«
»Ich weiß nicht, was ich denken soll,« sagte Ferdinand, »wie können die Stufen vom Vater Abraham in den Keller des Goldschmieds gekommen sein, der nicht einmal zu den Gewerken gehört?« Bei sich mußte er wohl an die Anspielung des alten Hutmanns auf ein Verbrechen des Steigers Meier denken; aber er wagte nicht, den Gedanken laut werden zu lassen.
Der Gelbgießer sah den jungen Mann forschend ins Gesicht, doch nicht mißtrauisch, denn dieses Gesicht war ihm ein treuer Spiegel des fleckenlosesten Gemüthes. »Ich will Ihm was sagen, Steiger,« nahm Mickley endlich das Wort, »dem Goldschmied hab' ich nie getraut, er ist ein Wucherer, und wer einmal Wucher treibt, der ist auch zu andern Schlechtigkeiten fähig! Wer nur einmal in seinem Kartoffelkeller nachgraben könnte, der fände vielleicht noch mehr Erz vom Vater Abraham.«
»Wenn er es nicht bei guter Zeit fortgeschafft hat,« fiel Ferdinand ein. »Aber Sie haben Recht, wo die zwei Stufen gelegen, da können auch noch mehr gelegen haben. Nur ist es mir ein Räthsel, wie sie hingekommen.«
»Weiß Er noch, wie ich Ihn vor einem Vierteljahr fragte, wie hoch Er das gelieferte Erz schätze, und wie wenig die Ausbeute Seiner Schätzung entsprach? Junger Freund,« fuhr er seine Hand fassend fort, »wir sind jetzt unter uns, und was wir reden, bleibt unter uns: ist Ihm denn noch nicht der übermäßige Aufwand unseres Schichtmeisters aufgefallen?«
»Seiner Frau, wollen Sie sagen,« versetzte Ferdinand, »denn der Schichtmeister selbst ist ein schlichter Mann, nur leider zu gut gegen seine Frau. Allerdings ist das für einen Schichtmeister eine sehr theure Ehehälfte.«
»Zumal jetzt,« fiel der Gelbgießer ein, »wo sie Schwiegermutter eines Barons wird. Es ist ja übertrieben, was die Frau zusammenkauft – borgt, wollt' ich sagen; aber später oder früher muß es doch einmal bezahlt werden. Wovon aber? he? etwa von dem da?« Er deutete auf die Stufe.
Ferdinand erschrak – »Herr Mickley!« rief er, – »Sie thun unserm Schichtmeister Unrecht.«
»Ich sage nicht, daß er schon auf solche Art gezahlt hat, aber es kann dazukommen; Schulden und Schuld und Schuft – es ist nur ein Unterschied von wenig Buchstaben, gewöhnlich geht's vom ersten zum letzten.«
»Aber nicht Jeder, der Schulden hat, ist oder wird ein Schuft.«
»Das sag' ich ja nicht, ich habe selbst einen Schuldner, einen Poeten, der hier die Schule besuchte; ein strebsamer, offener Kopf, aber armer Teufel, der hinter dem Webstuhl verkommen wäre, hätte er keine Schulden machen wollen. Nun, er hat als Student und Poet mehr Schulden machen müssen, als ich zu bezahlen haben möchte; aber er ist darum doch eine grundehrliche Haut und wird's auch bleiben, denn bei allem hohen Geist hat er ein demüthiges Herz. Aber wo Schulden eine Frucht der Hoffart und des Uebermuthes sind, da hat der Teufel sein Spiel.«
»Für den Schichtmeister bin ich gut,« sagte Ferdinand warm, »und was die Frau betrifft, so hab' ich helle Augen, und wäre ich auch blind, so würde kein Häuer, kein Hundejunge ihr zu einem Unterschleif behülflich sein, drehte es sich auch nur um eine Bleiglanzstufe wie ein Daumenglied groß.«
»Nun, ich will Ihm glauben,« sagte der Gelbgießer, – »eine sonderbare Sache bleibt es mit der Stufe, – aber es läßt sich vor der Hand nichts damit machen. Ein Glück, daß wir jetzt einen tüchtigen Steiger haben, – der alte, – na, man soll die Todten ruhen lassen. – Seh' Er nur wacker zum Rechten, – es wird Sein Schade nicht sein. Da fällt mir noch etwas ein. Neulich wurde im Ausschuß die Frage aufgeworfen, ob es nicht gut wäre, den alten Schacht wieder einmal zu untersuchen, es könnten die bösen Wetter wohl gewichen sein. Vor Jahren wurde schon einmal ein Gutachten darüber von unserm Schichtmeister verlangt. Der fand den Versuch nur unter der Bedingung möglich, daß wir einen neuen Stollen zur Wetterlosung vom Höllengrund aus treiben ließen. Das war und blieb uns ein zu kostspieliges Unternehmen. Jetzt wollen wir den Schichtmeister geradezu mit der Untersuchung beauftragen, weil wir glauben, bei gehöriger Vorsicht sei die Sache nicht nothwendig lebensgefährlich. Einen gemeinen Bergmann hinabzulassen, wie es vor Zeiten geschehen, das würde wenig nützen. Gesetzt aber, der Schichtmeister lehnte den Auftrag ab, was dem Vater einer so zahlreichen Familie Niemand verdenken könnte, hätte Er wohl den Muth, das Wagstück zu unternehmen?«
»Wenn mir's befohlen wird, – ja!« erklärte Ferdinand fest, »aus bloßem Vorwitz wär' es wohl strafbar, aber bei Erfüllung einer Pflicht giebt man sich in Gottes Hand. Da muß ja jeder Bergmann täglich sein Leben wagen!«
»Er ist ein echtes Bergmannsblut!« rief der Gelbgießer. »Nun weiß Er was, ich hab' mir ein Plänchen erdacht. Wird der alte Schacht wieder gangbar, so müssen wir doch dort neue Bergleute anlegen und mehr als am neuen. Da reicht nun ein Schichtmeister mit einem Grubensteiger und Hutmann nicht aus, und wenn wir schon dem Frenzel die Leitung beider Gruben als Schichtmeister lassen, so brauchen wir doch noch ein paar Grubensteiger für den oberen Schacht und für beide Schächte einen tüchtigen Obersteiger. Und der wird Er und kein Anderer. Dann denk' ich, soll Er auch Sein Mädchen bekommen.«
Ferdinand drückte dem Redner freudig die Hand. »Wenn über mich befohlen wird,« sagte er, »so gehorche ich. Aber den Schichtmeister übergehen Sie nicht! Und wenn er das Wagstück auf sich nimmt, so wollen die Herren Gewerken hübsch an seine Familie denken.«
»Daran soll's nicht fehlen,« sagte Mickley und Ferdinand nahm Abschied.
Ferdinand hatte in der einzigen Buchhandlung des Ortes ein Buch über Naturlehre bestellt und wollte sehen, ob es angekommen sei. Er mußte da an dem Hause des Goldschmieds vorbei und begegnete vor der Thür desselben dem Schichtmeister mit ganz verstörtem Gesicht. Er konnte sich nicht helfen, er trat mit einem Glückauf auf ihn zu und fragte, ob ihm etwas fehle. Der Gefragte starrte ihn an, – nach einer Weile sagte er: »Was soll mir fehlen? Ich suche meine Frau, – hat Er sie gesehen?«
Da Ferdinand verneinte, so ließ ihn der Schichtmeister stehen und eilte in die nächste Seitengasse. Ferdinand sah ihm bedenklich und beklommen nach. Schon seit längerer Zeit war ihm eine zunehmende Abmagerung und Verdüsterung des sonst so vollen und freundlichen Gesichtes seines Vorgesetzten aufgefallen, und er und Hedwig hatten darüber oft ihre Besorgnisse getauscht; aber so verstört war ihm dieses Gesicht nie erschienen. Mit trüben Gedanken ging er in den nahen Buchladen; hier eingetreten, fand er sich dem Obereinfahrer und – dem Doctor Meier gegenüber. Ferdinand bot dem Ersteren seinen bergmännischen Gruß und fragte dann nach seinem Buch. Es war nicht angekommen.
»Wollen Sie das Buch für sich?« fragte der Baron, und als Ferdinand bejahete, sagte er: »Dann können Sie sich die Ausgabe ersparen; vielleicht ist das Buch noch gar nicht verschrieben, oder man macht die Bestellung rückgängig. Ich habe eine sehr gute Physik zum Selbstunterricht, – irre ich nicht, so sind Sie der neue Steiger auf dem Vater Abraham, den ich mit geprüft habe, kommen Sie mit zu mir, ich schenke Ihnen das Buch.«
Ferdinand war ganz überrascht von dieser Güte. Bis jetzt war der Herr nur immer an ihm vorübergegangen, ohne von ihm weiter Notiz zu nehmen, und nun kam er ihm aus einmal mit einem so freundlichen und werthvollen Geschenk entgegen. Hatte vielleicht Brunhild ihre Furcht vor der Mutter und ihre Schüchternheit vor dem vornehmen Bräutigam so weit überwunden, daß sie ihm von Hedwigs Liebe zu Ferdinand geplaudert? Während dieser hierüber nachsann, sagte der Obereinfahrer zu dem Doctor: »Es bleibt dabei, Robert: Du wohnst die wenigen Tage Deines Hierbleibens bei mir. Willst Du jetzt Deine Mutter begrüßen, was nicht mehr als billig ist, so geh' und komm' zurück, wann es Dir beliebt!« Dann ging er mit Ferdinand fort. Düster blickte diesem der Doctor nach und machte sich dann langsam ebenfalls auf den Weg. Auf dem Markte begegnete er der Schichtmeisterin mit ihrer zweiten Tochter. »Ei! da ist ja der Herr Doctor wieder!« rief ihm die Frau entgegen. Nach gewechselter Begrüßung fragte sie: »Wie geht's auf Hallbach? Was machen die gnädigen Herrschaften?«
»O, die sind in dulce jubilo, weil ich den Papa gichtfrei aus Kissingen zurückgebracht habe. Sie senden die herzlichsten Grüße an die Braut ihres lieben Sohnes und ihr ganzes Haus, aber der gnädige Herr will nun auch die künftige Schwiegertochter sehen. Ich komme als außerordentlicher Botschafter, um sie mit ihrer Frau Mama und dem Bräutigam abzuholen!«
»O welche Ehre! die treffliche Herrschaft!« rief die Schichtmeisterin; »Clotilde, da gilt es, schnell etwas Garderobe in Stand zu setzen!« dann stellte sie noch manche Frage eitler Neugier, die der Doctor zur größten Befriedigung beantwortete. »Aber was hab' ich hören müssen?« sagte er darauf, – »der Mensch, – wie heißt er doch! – nun, der früher Ihr Schwiegersohn werden wollte, der ist ja Steiger auf dem Vater Abraham geworden!«
»Das erfahren Sie jetzt erst?« versetzte die Schichtmeisterin, »freilich ist er's geworden, so sehr ich dagegen gekämpft, er hat sich die Gunst der Gewerke erschlichen und schon auf den Tod ihres Vaters gelauert.«
»Das scheint mir selbst so,« sagte der Doctor, »und nun ist er Ihnen ein Stück näher gerückt; ich meine in Betreff seiner Heirathsabsichten.«
»Das mag er sich einbilden, aber daß er sich täuscht, dafür bin ich da!«
Er scheint aber ein Fuchs zu sein, hat er doch auch schon den Baron für sich eingenommen. Der hat ihn jetzt freundlich zu sich eingeladen, um ihm ein Buch zu schenken. Wenn der Mensch da nur nicht von seiner Liebschaft plaudert!«
»Das wäre ja gräßlich! Was meinen Sie, da wäre der Baron wohl im Stande, die Verlobung rückgängig zu machen?«
»Das schon nicht,« erwiederte der Doctor lächelnd der erschrockenen Frau, »dazu liebt er die Brunhild zu innig; ja ich glaube, er könnte mit seinem guten Herzen wohl der Fürsprecher des Schleichers werden, aber auch dadurch sein eigenes Glück gefährden. Ich weiß, was es bedurft hat, den alten Herrn für die Verbindung mit einer so anständigen Familie, wie die Ihrige ist, zu gewinnen. Hätte ich nicht meine eigene Angelegenheit vor ihm einstweilen in den Hintergrund treten lassen, so weiß ich nicht, ob Sie so bald Hochzeit halten würden, als es nun der Fall sein wird.«
»O, Sie guter, lieber Herr Doctor!«« sagte die Frau, seinen Arm drückend, »wie dankbar müssen wir Ihnen sein! Aber verlassen Sie sich auch darauf, daß wir Ihren Empfehlungen keine Schande machen werden. Lassen Sie nur erst die Hochzeit vorbei sein, dann muß das Frauenzimmer zu fernen Verwandten. Jetzt bei dem Drasch, den wir haben, kann ich sie nicht entbehren.«
Leise flüsterte der Doctor ihr zu: »Lassen Sie das Mädchen lieber da, vielleicht findet sich ein Mittel, den Steiger unschädlich zu machen – wir sprechen weiter darüber – auf Wiedersehen!« Damit trennten sie sich.
Die Schichtmeisterin begab sich jetzt nach der Pension ihrer Kinder, wo sie ihrem Manne das Rendezvous gegeben, das sie aber um eine Stunde versäumt hatte. Er hatte, wie wir gesehen, sie inzwischen gesucht, war aber zuletzt wieder an den verabredeten Ort gegangen und traf, abermals zum Suchen ausgehend, sie unter der Thür.
»Endlich!« rief er, »Du bist aber doch auch gar zu sorglos, Frau!«
»Sorglos? Ich?« rief sie erstaunt. – »Nun bitt' ich einen Menschen, zu entscheiden, wer mehr sorgt und schafft in dieser Zeit wie ich!«
»Geh hinauf, Klotilde,« sagte der Schichtmeister, »ich muß mit Deiner Mutter noch einen Weg gehen.«
Klotilde gehorchte, und der Schichtmeister nahm den Arm seiner Frau, blieb aber in der Hausflur stehen und sagte: »Weißt Du auch, daß wir verloren sind? Morgen ist der Wechsel fällig, und die Post ist wieder angekommen, ohne eine Entscheidung Deiner Angelegenheit, geschweige gar Geld zu bringen!«
»Nun, der Goldschmied wird wohl prolongiren,« sagte sie.
»Nicht eine Stunde. – Ich war bei ihm, bat ihn, fiel ihm bald zu Füßen, – umsonst: er erklärte, er könne nicht anders, er habe in jüngster Zeit solche Ohrfeigen von unsicheren Schuldnern bekommen, daß er nicht mehr schonen könne. Wenn der Wechsel morgen nicht gedeckt wäre, müsse er nach Wechselrecht verfahren.«
»Um des Himmels willen!« rief die Frau, die Hände zusammenschlagend; »was wird da aus meinen Kindern? was aus Brunhild? Dich setzen lassen, – Herr des Himmels! das wäre ja ein Schlag, der alle Hoffnungen vernichtete! Komm, Mann! ich will selbst mit zum Goldschmied gehen, – er muß noch warten, ich will ihm meine Erbschaft verpfänden, – komm!«
Sie gingen zu dem Wucherer. Er empfing sie mit triumphirender Miene und führte sie in sein Zimmer. »Ist vielleicht die Erbschaft angelangt?« sagte er, »das wäre mir höchst erwünscht.«
Die Schichtmeisterin berichtigte seinen vermeintlichen Irrthum und brachte ihren Vorschlag an.
»Es thut mir leid, verehrte Frau,« entgegnete der Goldschmied, »darauf kann ich mich nicht einlassen. Ich bin schon zu sehr geprellt worden, – verzeihen Sie, – aber in Geldsachen keine Freundschaft! – bis morgen Abend um fünf hab' ich mein Geld, oder der Herr Schichtmeister sitzt im Stockhaus. Ich kann's nicht ändern.«
»Aber Mann! Sie werden doch kein solcher Tyrann sein?« rief die Schichtmeisterin. – »Sie werden uns doch nicht unglücklich machen wollen? Denken Sie doch an meine Kinder, meine armen, unschuldigen Kinder, – meine Brunhild, die dieser Schlag auf der Stelle tödtete!«
»Die Kinder, – hm, – die Kinder,« sagte der Wucherer im Tone des Mitleidens, – »um ihretwillen könnte man schon ein Uebriges thun.« –
»O Sie Guter!« rief die Frau, dem Manne fast um den Hals fallend, und der Schichtmeister sagte: »Ja, Herr Reichel, um meiner Kinder willen lassen Sie Billigkeit walten. – Nur noch kurze Zeit Geduld, und Sie sollen mit gutem Zins bezahlt werden.«
»Die Zeiten sind schlecht, sehr schlecht,« sagte der Wucherer, eine Thräne im Auge, – »aber Ihre Fräulein Tochter ist ein herrliches Geschöpf, – ja, die Natur hat sie sichtlich zu etwas Hohem bestimmt; es wäre jammerschade, wenn sie an der Schwelle ihres Glückes ins tiefste Elend geschleudert würde.« –
Die Schichtmeisterin schluchzte laut auf, dem Schichtmeister blutete das Herz.
»Ich will Ihnen etwas sagen,« fuhr der Goldschmied fort, »borgen kann ich nicht länger, aber aus Erbarmen mit Ihrer lieben Fräulein Tochter will ich – könnte ich – nun, man ist auch ein Mensch – ich könnte – für Sie freilich ist es ein Leichtes, ich riskire doppelt und dreifach dabei, aber was thut man nicht aus christlicher Liebe! – ich könnte mich allenfalls zur Annahme von Waare an Zahlungsstatt verstehen.«
»Waare?« rief die Frau; »was für Waare sollen wir Ihnen denn bringen? Ich habe unbeschränkten Credit bei den Schnitt- und Modehändlern.«
»Sie verstehen mich nicht,« sagte der Goldschmied lächelnd, »ich kann doch keinen Schnittladen etabliren! Ich meine: der Herr Schichtmeister soll mir von seiner Waare liefern.«
»Von meiner Waare?« rief der Schichtmeister zusammenfahrend, »was hab' ich denn für Waare?«
»Ich glaube, die Frau Schichtmeisterin versteht mich nun, ich kann mich nur auf Waare einlassen, die in mein Fach schlägt, denken Sie, ich wäre der Schuster und Sie der Gerber, liefern Sie dem Schuster Leder!«
Der Schichtmeister sah starr zur Erde. Der Wucherer wechselte mit der Frau einen Blick der Verständigung.
»Ich sehe, Sie sind unentschlossen,« sagte er dann zu dem Schichtmeister, »und Unentschlossenheit steckt an, ich finde doch, es sei gut, daß ich mir die Sache selbst erst noch überlege. Was Ihnen bedenklich scheint, muß es mir doppelt sein. Gut! ich will aus warmem Antheil an Ihrem Familienglück den Wechsel um acht Tage prolongiren, bis dahin wollen wir uns den Handel überlegen, aber ich schwöre, daß ich länger keinen Augenblick warten kann.«
Wie Verhungernde ein Brodkrümchen, ergriffen die beiden Gatten die dargebotene Frist. Sie schmeichelten sich mit der Hoffnung, daß inzwischen der Erbschaftsstreit sich entscheiden und sie in den Besitz der nöthigen Zahlungsmittel bringen müsse. So gingen sie heim.