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19.
Napoleons Rückkehr von Elba. Wiederausbruch des Krieges 1815

Auf dem Nordabhange des Monte Orello, fast genau in der Mitte der Insel Elba, lag die Villa Napoleone.

Man schrieb den 26. Februar 1815. In der kleinen Cappella di San Martino läutete der Kirchendiener zur Frühmesse. Da trat der kleine Mann, dessen gewaltiger Geist einst die Welt erzittern machte, jetzt der Herrscher der unbedeutenden Insel, aus der offenen Türe des Kasinos und blickte sinnend über das Tal von San Martino hinunter nach dem Golf, an dem das freundliche Städtchen Porto Ferrajo lag. An was dachte er wohl?

Daran, daß er, Napoleon Bonaparte, mit 1140 Mann ihm treu gebliebener Soldaten Frankreich den Bourbonen entreißen, sich wieder zum Kaiser machen und von neuem der ganzen Welt gebieten wolle.

Das waren wohl Wahnvorstellungen eines Irrsinnigen?

Mit nichten! Es waren die kühnen Pläne des gewaltigsten Feldherrngenies, das die damalige Erde kannte.

Des Adlers letzter Flug, der noch Tausenden und Abertausenden von Menschen das Leben kosten sollte, begann.

Den Tag brachte der Kaiser in seinem Stadt-Palast auf dem Felsen zwischen dem Falcone und der Stella, zwei Festungswerken, zu und beobachtete von einem Fenster der Nordfront aus die Einschiffung seiner Getreuen. Um vier Uhr nachmittags war alles bereit. Ein Stunde später begab sich der Kaiser an Bord der kleinen Brigg »Inconstant«, gab ein Zeichen und die winzige Flotte von sechs Segelschiffen stach in See, eine Welt zu erobern. Sein Gefolge bestand aus den Generalen Bertrand, Drouot, Cambronne, Molet, Raoul, Jerzmanousky und einer Anzahl von Offizieren, ferner aus 400 Mann alter Garde, 200 Linieninfanteristen, 100 leichten polnischen Reitern und 200 Jägern.

Der Himmel leuchtete in seinem schönen Blau über diesen kühnen Männern; Napoleon selbst war ruhig und heiter, das kleine Heer voller Begeisterung, alles blickte zuversichtlich gegen Westen und, als man das freie Meer gegen Frankreich sehen konnte, rief's wie aus einem Munde, gleichsam schwörend: »Paris oder der Tod!« –

Die Bourbonische Herrschaft in Frankreich häufte Mißgriffe auf Mißgriffe. König Ludwig XVIII. hatte guten Willen, Besserungen vorzunehmen, aber er scheiterte infolge seiner Schwäche an dem Widerstande aller jener beschränkten Köpfe, welche die Forderungen der Zeit nicht zu erfassen vermochten. Die Konstitution, welche König Ludwig dem Lande gab, stieß durch einen außerordentlich hohen Zensus, welchen sie für das Wahlrecht in das Parlament festsetzte, den bürgerlichen Kreisen gründlich vor den Kopf, da nur die Höchstbesteuerten in das Parlament eintreten konnten, ja sogar das aktive Wahlrecht durften nur diejenigen ausüben, welche wenigstens 300 Franken direkte Steuern bezahlten. Die größte Schwierigkeit für das neue Regiment bildete aber die Armee, die in allen ihren Überlieferungen an Napoleon hing. Es war eine der ersten Anordnungen König Ludwigs XVIII. gewesen, diese Armee auf den Friedensstand zu setzen. Die alten Offiziere und Soldaten Napoleons, die sich viel darauf zugute taten, für den Ruhm Frankreichs ihre beste Kraft und teilweise ihr Blut geopfert zu haben, wurden auf Halbsold gesetzt und dadurch selbstverständlich zu erbitterten Gegnern des neuen Systems. Selbst das Landvolk, welches durch die fortwährenden Rekrutenaushebungen Napoleons schließlich zu entschiedenen Gegnern des Kaisers geworden war, entfremdete man sich wieder durch äußerst lästige Abgaben. So hatten es die Bourbonen und ihre Anhänger in noch nicht einem Jahre dahin gebracht, daß die Franzosen mit wenig Ausnahmen ihrer schon wieder recht überdrüssig waren.

Plötzlich, am 1. März 1815, erschien im Golf von Juan zwischen Antibes und Cannes die kleine vor zwei Tagen aus Porto Ferrajo ausgelaufene Flotille. Zwei Stunden später stand der Kaiser Napoleon wieder auf französischem Boden. Seine Offiziere und Soldaten umringten ihn jubelnd und da sprach er die prophetischen Worte: » L'aigle avec les couleurs nationales volera de clocher en clocher jusqu'aux tours de Notre-Dame.« Von Kirchturm zu Kirchturm wird der Adler mit den nationalen Farben fliegen bis auf die Türme von Notre-Dame! (der Kathedrale von Paris).

Am 1. März klang es als Phrase, am 20. März war es eine weltgeschichtliche Tatsache.

Der Kaiser setzte sich mit seinen Getreuen sofort gegen Lyon in Marsch. Die königlichen Behörden erklärten sich beim Erscheinen der blauweißroten Fahnen sofort für den Kaiser oder entflohen, die Truppen, welche den Adlerflug aufhalten sollten, traten ohne weiteres zu ihrem früheren Kriegsherrn über. Wo sie einige Augenblicke zögerten, wirkte die Macht der Persönlichkeit Napoleons so bezaubernd, daß, wenn er allein vor diese Truppen ritt und nur wenige Worte sprach, sofort die Gewehre entladen wurden und der brausende Ruf » vive l'Empereur« den begrüßte, den man verhaften sollte.

Am 5. März erfuhr man die überraschende Kunde hiervon in Paris. Anfangs war man darüber fast erfreut. »Man packt und erschießt diesen Schurken von Bonaparte und dann ist nicht weiter von ihm die Rede.« So meinte der königliche Polizeidirektor Dandré. Bald aber wurde man anderer Ansicht. Als ein Truppenteil nach dem anderen, eine Behörde nach der anderen, statt den Aufrührer gefangen zu nehmen, sich ihm anschloß, als der Marschall Ney mit seinem ganzen dem Kaiser entgegengeschickten Armeekorps zu letzterem übertrat, da ging dem guten aber schwachen König Ludwig XVIII. und seinen Hofschranzen ein Licht auf, daß sie dem Empereur und seinen schlachterfahrenen, kriegsergrauten Generalen, Offizieren und Soldaten weichen müßten. In den Tuilerien herrschte nun ein entsetzliches Durcheinander und in der Nacht vom 19. zum 20. März verließen der König und was zu ihm gehörte Paris, um zunächst nach Lille und dann nach Gent zu entfliehen. Am Abend des gleichen Tages zog, vom Jubel der Menge empfangen, Napoleon in dem kaum verlassenen Schlosse ein. Auf ihren Armen trugen ihn seine vor Entzücken berauschten Offiziere die Treppen hinauf, der Kaiseradler kehrte in seinen alten Horst auf dem Turme von Notre-Dame zurück.

Nicht treffender kann man die Wandlungen, welche die Hauptstadt in den letzten 15 Tagen durchgemacht, schildern, als es Lamothe-Langon tut. Er schreibt:

»Das Ungeheuer hat die Insel Elba verlassen. Der Räuber landete in der Bucht von Cannes. Der Usurpator ist in Grenoble eingezogen. Der Korse hat zu Lyon die Behörden empfangen. Bonapartes Armee wurde durch die des Marschall Ney verstärkt. Der furchtbare Rival der Bourbons befindet sich zu Fontainebleau in demselben Gemach, in dem er seine Abdankung unterzeichnete. Seine kaiserliche Majestät wird noch heute abend in den Tuilerien sein.«

Während Napoleon sich schon auf dem Wege nach Paris befand, tagte noch in Wien der große Kongreß zur Regelung der Ergebnisse der Jahre 1813 und 1814. Es war bei dieser Verhandlung der vier verbündeten Mächte über die Neuordnung Deutschlands und Europas die überraschende Tatsache in die Erscheinung getreten, daß der infolge schlecht angebrachter Zuvorkommenheit des Kaisers Alexander nach Wien geladene französische Minister des Auswärtigen, Fürst Talleyrand, neben Metternich daselbst den eigentlich maßgebenden Einfluß gewann. Selbstverständlich verwertete er denselben im nacktesten französischen Interesse, welches erklärtermaßen dahin ging, die »Kleinen« stets auf Kosten der »Großen« zu schützen und zu befriedigen. Das bedeutete aber für Deutschland die Stärkung der Kleinstaaten und die Schwächung des gefährlichen Preußens, und diese Gedanken fanden in dem österreichischen Minister Fürst Metternich ein offenes Ohr. So ergab es sich denn, daß dem deutschen Volke als Lohn für die großen Opfer, die es gebracht, das Trugbild einer deutschen Bundesverfassung dargeboten wurde, die so eingerichtet war, daß darin tatsächlich der kleinste Staat so viel zu sagen hatte wie das mächtige Preußen, Bayern so viel wie Lübeck, und daß das mit dem Schwerpunkte seiner Interessen nach Ungarn und Italien hinneigende Österreich darin verfassungsmäßig den ewigen Vorsitz haben sollte. Von einer Einigung war aber noch keine Rede, als am 6. März nachmittags ein Kurier auf schweißtriefendem Rosse zur Hofburg in Wien einsprengte. Im Nu war die freilich kaum glaubliche Nachricht: »Napoleon ist bei Cannes gelandet!« überall bekannt. Anfangs Bestürzung und Durcheinander allerorts. Bald aber raffte man sich auf und erkannte, daß nur ein durchaus einmütiges Vorgehen gegen den französischen Kaiser und eine vollständige Vernichtung desselben den Völkern Europas den sehnlich begehrten Frieden erhalten, bezw. wiederbringen könne. Sämtliche Mächte, welche den Pariser Frieden des vergangenen Jahres unterschrieben hatten, erklärten sich bereit, den Krieg sofort mit aller Macht wieder zu beginnen und nicht zu rasten, bis das erwähnte Ziel erreicht sei. Über den wortbrüchigen Napoleon wurde am 13. März feierlich die Acht verhängt, die allen im geheimen sich wieder regen wollenden rheinbündlerischen Bestrebungen von Anfang an die Spitze abbrach.

Die Verbündeten beschlossen sofort, vier große Armeen aufzustellen und zwar eine englisch-deutsche unter dem durch seine Siege in Spanien berühmt gewordenen englischen Nationalhelden Herzog von Wellington in Belgien, eine preußische am Niederrhein unter dem alten Feldmarschall Fürst Blücher, eine russische am Mittelrhein unter Feldmarschall Graf Barclay de Tolly und eine österreichisch-deutsche am Oberrhein unter dem Fürsten Schwarzenberg.

Diese vier Armeen standen anfangs Juni in einer Gesamtstärke von etwa 715 000 Mann bereit und in ihrem Rücken wurden Reserven und Nachschübe von etwa 300 000 Mann gebildet. Als allgemeines Ziel der Operationen wurde diesmal sofort Paris bezeichnet. Die Stimmung der Völker bei den überraschenden Nachrichten über den neuen bevorstehenden Krieg war aber eine sehr geteilte. Mit einer derjenigen des Jahres 1813 nahekommenden Begeisterung eilte man nur in Preußen zu den Fahnen. Hier allein hatte der Haß gegen Napoleon die Volksseele im tiefsten ergriffen und loderte in alter Weise auf, als die Nachricht von der Landung des Eroberers bekannt wurde. Man war in Preußen überdies, und zwar mit vollem Recht, über die beim Friedensschluß von 1814 gezeigte Mäßigung äußerst unzufrieden gewesen und man hoffte, die Abrechnung mit dem »Erbfeind« nun desto gründlicher vornehmen zu können. Als Blücher die große Neuigkeit von der Rückkehr Napoleons von Gneisenau und Nostitz erfahren hatte, da fühlte er sich gleichsam um zwanzig Jahre jünger geworden und sagte: »Dies ist das größte Glück, was Preußen begegnen konnte, nun fängt der Krieg von neuem an und die Armee wird alle in Wien begangenen Fehler wieder gut machen.«

Bei den anderen Völkern zeigte man sich lauer. Man hätte es an vielen Orten gerne gesehen, wenn man Napoleon ruhig als Kaiser von Frankreich belassen und mit ihm so, wie seine Proklamationen es andeuteten, Frieden geschlossen hätte. Trotz dieser Lauheit wurden die Kriegsvorbereitungen verhältnismäßig schnell durchgeführt.

Durch die Achterklärung vom 13. März erfuhr Napoleon, daß ihm kein friedlicher Ausweg bleibe, daß er den Kampf aufnehmen müsse, auch wenn er nicht wolle, und zwar einen Kampf auf Leben und Tod. Er tat es denn auch, aber er war nicht mehr der energische Herrscher von früher. Um nach seiner Landung schnell wieder die Neigung der Franzosen zu gewinnen, hatte er sich auf konstitutionelle Zugeständnisse eingelassen, welche sein Handeln beschränkten. Das ganze Volk zu den Waffen zu rufen, wie es die Revolution getan, wollte er nicht. Es gelang ihm auch nicht, seine Streitkräfte auf eine Erfolg versprechende Höhe zu bringen. Bis zum 1. Juni hatten sie nur eine Stärke von 276 900 Mann erreicht, wovon aber nur 200 000 marschbereit waren.

Dennoch beschloß er zunächst gegen die schon am weitesten vorgeschrittenen und durch die Personen ihrer Führer am gefährlichsten erscheinenden Armeen der Verbündeten in den Niederlanden, nämlich gegen die von Wellington und jene von Blücher angriffsweise vorzugehen. Er hoffte, beide Armeen einzeln nacheinander so schlagen zu können, daß er sich dann ohne Scheu auf die Russen und zuletzt auf die Österreicher werfen könnte.

Bei den Verbündeten war zuerst die preußische Armee bereit. Deren Oberbefehl hatte, wie erwähnt, wieder der alte Blücher, mit Gneisenau als Generalstabschef, erhalten. Blücher betrieb mit größtem Eifer die Kriegsbereitschaft seiner Armee. Es wurden vier Korps gebildet und den Generalen von Zieten, von Borstell, von Thielmann und von Bülow unterstellt. Ferner war der Armee das aus den Hessen, den thüringischen und oldenburgischen Truppen zusammengestellte Korps des Grafen Kleist zugeteilt. Mit diesem betrug die Stärke der Blücherschen Armee Ende Mai 1815 etwa 135 000 Mann.

Zu gleicher Zeit, als sich diese preußische Armee um Jülich sammelte, vereinigte sich die englisch-deutsche um Brüssel, und zwar in der Stärke von 33 000 Engländern, 25 000 Niederländern, 16 000 Hannoveranern, 7500 deutschen Legionären, 6700 Braunschweigern und 7300 Nassauern, also im ganzen von rund 95 000 Mann.

Schon am 10. April war Blücher mit seinem Adjutanten Grafen Nostitz nach Lüttich abgereist und Ende Mai hatte er die ihm unterstellten vier Korps fast vollzählig in der Gegend um Lüttich versammelt. Da zu gleicher Zeit die Korps des bayerischen Feldmarschalls Fürst Wrede und des Kronprinzen von Württemberg bei Mannheim am Rhein sich vereinigt hatten, so bat Blücher ersteren, die preußische Armee im Falle eines Angriffes auf sie durch Napoleon zu unterstützen, was der bayerische Feldherr mit größter Bereitwilligkeit zusagte. Unbesorgt um seine Flanke, zog nun Blücher auch seine letzten Truppen nach den Niederlanden und überließ die Deckung des Unterrheins den Bayern und Württembergern.

An einem der letzten Maitage trafen sich Blücher und Wellington, um ihre beiderseitigen Maßregeln zu besprechen. Beide Feldherrn hatten sich, wie erwähnt, in Paris kennen gelernt und soweit Zuneigung füreinander gefaßt, als es zwischen zwei so vollständig verschiedenen Naturen überhaupt möglich war. Freilich konnte man sich kaum verschiedenere Charaktere denken, als die beiden Oberbefehlshaber. Blücher, ein echter Husar, ehrlich, wohlwollend, geradeaus, derb, jeder Verstellung feind, ein vorzüglicher Feldherr, der klar sah und stets mit vollem Bewußtsein jede Verantwortung auf sich nahm, von seinen Truppen unendlich geliebt, persönlich ein Held und als Führer immer zum angriffsweisen Vorgehen geneigt. Dagegen ein Mann von geringer wissenschaftlicher und noch geringerer staatsmännischer Bildung, in seinen rauhen Formen öfters geradezu das Entsetzen besonders der höfischen Kreise und von den Diplomaten wegen der kaum verhehlten Verachtung, die er für sie hegte, in hohem Maße gehaßt.

Ihm gegenüber war der Herzog von Wellington der Typus eines kalten, zurückhaltenden, diplomatisch vorsichtigen, in seinen Formen gemessenen Hofmannes, der mit klarem Blick einen eisernen Willen verband, alles rein sachlich nur mit dem Verstand beurteilte, diplomatische Verstellung durchaus nicht verschmähte und in seinen Neigungen als Feldherr mehr für eine zähe Verteidigung als einen kühnen Angriff eingenommen war, obwohl er auch letzteren bis zum äußersten durchzuführen verstand, wenn er ihn als notwendig erkannt hatte. Schon im gewöhnlichen Auftreten unterschieden sich beide Feldherrn. Der lebendige, laut sprechende, nicht selten drein wetternde, ja fluchende Blücher mit seinem borstigen Schnurrbart und dem häufig schlecht rasierten Gesicht stach sehr gegen den wortkargen, steifen, fast nie lachenden, glatt rasierten, bartlosen Engländer ab. Nur in einem waren sich beide ähnlich. Aus beider Augen sprach nämlich Geist, Kühnheit und außerordentliche Tatkraft.

Diese Männer hatte das Geschick auserlesen, lange ehe die Hauptarmeen Rußlands und Österreichs bereit und deren Monarchen wieder auf dem Kriegsschauplatz erschienen waren, den großen Friedensstörer Europas vollständig niederzuwerfen, Paris einzunehmen und der Welt den endgültigen und nun erst dauerhaften Frieden zu erkämpfen.

Das Ergebnis der Abmachungen zwischen Blücher und Wellington war: »Wir wollen unsere Armeen so aufstellen, daß wir uns gegenseitig innerhalb 24 Stunden mit aller Macht unterstützen können und es verpflichtet sich jeder, dem andern schleunigst zu Hilfe zu eilen, wenn derselbe von Napoleon angegriffen wird.«

Demgemäß rückte Blücher mit seinen Preußen im Maastal vorwärts, um einstweilen links der englischen Armee Ortsunterkunft zu beziehen. Am 27. Mai stand das Korps von Zieten in und neben dem Sambre-Tal zwischen Marchienne und Fleurus, dahinter das von Pirch I. (an Stelle des Generals Borstell) um Namur.

Thielmanns Korps war im Maastal und östlich davon in die Gegend von Dinant und Cinay vorgeschoben, und das Korps von Bülow bildete die Reserve von Lüttich. Diese vier Armeekorps hatten zusammen eine Stärke von 115 000 Mann. Das Korps des Grafen Kleist stand um dieselbe Zeit mit seinen 20 000 Mann noch um Trier.

Die Engländer bezogen in den gleichen Tagen mit ihren Hauptmassen Ortsunterkunft in und um Brüssel, mit den übrigen Truppen im ganzen Lande verstreut westlich und südlich der Hauptstadt.

Gegen diese beiden Armeen konnte Napoleon bis zum Anfang des Juni nur 130 000 Mann in den Korps Mortier (die Garde), Drouet d'Erlon, Reille, Vandamme, Gérard, Lobau und Grouchy aufbringen. Er hielt diese Zahl aber für genügend, Blücher und Wellington zu schlagen, vereinigte mit unübertrefflicher Geschicklichkeit die Armee bei Beaumont östlich von Maubeuge, verließ am 11. Juni Paris, traf am 14. bei seinen Truppen ein und begann sofort den Vormarsch gegen den Feind.

Bei den Verbündeten versah man sich noch keineswegs eines so baldigen Beginnes der Feindseligkeiten. Da jagten am 14. Juni mittags zu allen preußischen Hauptquartieren mit verhängten Zügeln Reiter der Vorpostenkavallerie und meldeten kurz und bündig: »Die Franzosen rücken mit aller Macht an.« Zwei Deserteure bestätigten später ihre Angaben.

Der alte Blücher erteilte umgehend die Befehle zur schleunigsten Zusammenziehung der Armee in der Gegend von Sombreffe bei Ligny und schickte genaue Mitteilung seiner Vorpostenmeldungen an Wellington. Wellington blieb bei seiner vorgefaßten Meinung, daß Napoleon gegen seine englische Armee, d. h. gegen den rechten Flügel der Verbündeten vorgehen werde, nahm an, das feindliche Auftreten gegen die Preußen bedeute nur ein Scheinmanöver, und tat vorläufig noch nichts. Blücher schickte neue äußerst klare und dringende Meldungen, aber der Engländer rührte sich noch den ganzen 15. Juni nicht. Nur so weit ließ er sich bestimmen, den Truppen Marschbereitschaft zu befehlen. Dann begab er sich auf einen von der Herzogin von Richmond in Brüssel veranstalteten Ball und bewegte sich dortselbst mit der ruhigen sicheren Haltung des vornehmen Weltmannes, als ob er noch vier Wochen tiefsten Friedens vor sich habe.

Um Mitternacht trafen die Meldungen des englischen Vorpostengenerals von Dörenberg ein, welche die Angaben der Preußen vollständig bestätigten. Jetzt erteilte Wellington freilich den Befehl zum sofortigen Abmarsch seiner Truppen, – doch zu spät, um dem am 16. früh von den Franzosen mit aller Macht angegriffenen Blücher zu Hilfe zu kommen. Für seine Person leistete sich der englische Herzog noch ein besonderes Stückchen. Nach Erteilung des inhaltsschweren Befehls tanzte er bei der Herzogin weiter, plauderte in diplomatischer Feinheit von dem und jenem, nur nicht von der Armee und verabschiedete sich endlich morgens um fünf Uhr – es war der entscheidungsvolle 16. Juni – in zeremonieller Weise, um sogleich vor dem Palast der Herzogin zu Pferde zu steigen und von da ab los auf das Schlachtfeld von Quatrebras zu jagen. –

Am 15. früh 2½ Uhr waren die französischen Reiter des Generals von Domont in den Sattel gestiegen und trabten auf der Straße von Charleroi vor. Die ganze Armee folgte ihnen. Man hatte Napoleon noch am 14. gemeldet, in Brüssel, Namur und Charleroi sei alles ruhig. Deshalb hoffte er, die Verbündeten vollständig zu überraschen. Darin täuschte er sich aber doch. Freilich bei den Engländern ahnte außer dem schweigsamen Feldherrn und einigen Offizieren niemand den bevorstehenden Sturm. Bei den Preußen aber wußte man schon in der Nacht vor der Eröffnung dieses Feldzuges, daß der Feind am nächsten Tage einen gewaltigen Stoß ausführen werde.

Gegen früh sieben Uhr – es war ein herrlicher Sommermorgen – erkannten die aufmerksamen Vorposten des preußischen Majors von Monsterberg den anrückenden Feind. Dieser ließ auch nicht lange Zeit zu weiteren Vorbereitungen, sondern griff mit der Division Jérôme Bonaparte das von westfälischen Landwehrleuten besetzte Städtchen Thuin an. Eine Stunde lang hielten sich die tapferen Westfalen, dann waren sie ganz umringt. Gefangen geben? Nein! »Drauf mit dem Bajonett«, »Durch«, und in kurzer Zeit war man mit der rückwärtigen Unterstützung des Oberstleutnants von Woisky vereint. Freilich mußte man mit dieser den Rückzug unverzüglich weiter fortsetzen und erlitt durch französische Reiterangriffe noch sehr schwere Verluste. Merkwürdigerweise folgte der Feind nicht so schnell nach, als man es früher von den Franzosen gewohnt war. Immerhin griff er die Stadt Charleroi entschieden an und nahm sie etwa um elf Uhr vormittags trotz des tapferen Widerstandes der Westpreußen des Majors von Rohr ein.

Mit der Einnahme von Charleroi befanden sich die beiden Sambre-Brücken von Thuin und Marchienne in den Händen der Franzosen. Außerdem stand man jetzt auf der großen Gabelung der Straßen über Quatrebras nach Brüssel und über Fleurus nach Namur und Lüttich. Napoleon befahl nunmehr die Abbiegung des Korps von Reille auf der ersteren gegen Gosselies, wo die preußische Brigade des Generals von Steinmetz stand. Als sich gegen diese immer mehr Truppen entwickelten, zog sie sich dem erhaltenen Befehle gemäß gegen Abend auf Fleurus zurück.

Die Straße von Charleroi direkt gegen Fleurus und Sombreffe schlugen bald nach Mittag die Franzosen unter General Grouchy, verstärkt durch das unterdessen herangekommene Korps von Vandamme ein. Nach einiger Zeit stieß man bei Gilly wieder auf Preußen und zwar auf die Brigade des Generals von Pirch II. Letztere hatte eine so günstige Stellung eingenommen, daß die Franzosen bis sechs Uhr abends zögerten, zum Angriff dagegen vorzugehen. Erst als Napoleon selbst erkundete, dann das Korps Vandamme in der Front und die Kavallerie des Generals Exelmans in der linken Flanke der Preußen entwickelte, erfolgte ein Angriff. Nach heftiger Gegenwehr zogen sich auch hier die Preußen zurück, und zwar bis Fleurus, welcher Ort jedoch wieder gehalten wurde.

Die Franzosen folgten nicht weiter, sondern biwakierten hinter dem Walde vorwärts Fleurus.

Nachmittags vier Uhr, gerade als Napoleon aus Charleroi abreiten wollte, meldete sich bei ihm der »Bravste der Braven«, Marschall Ney. Der Kaiser übergab ihm sofort den Befehl des ganzen linken Flügels der Armee. Es waren dies die nunmehr gegen Quatrebras entsendeten Korps von Reille, Drouet d'Erlon und die Kavallerie des Korps von Vandamme, sowie die leichte Garde-Kavallerie unter Lefèbvre-Desnoëttes, im ganzen 45 000 Mann.

Trotzdem General von Zieten wiederholt den Engländern Meldungen über das Vorgehen der Franzosen gesendet hatte, erfuhren deren Truppen doch erst gegen vier Uhr nachmittags etwas von dem Angriff des Feindes. Das in Frasne vorwärts Quatrebras gelegene nassauische Bataillon Normann wurde daher auch überrascht und zurückgeworfen. Als sich später die ganze Division des niederländischen Generals von Perponcher bei Quatrebras ansammelte, war hier die nächste Gefahr wegen einer Überrumpelung durch die Franzosen verhütet. Letztere hegten auch keinerlei derartige Absicht und begnügten sich mit ihren erreichten Erfolgen.

Das Ergebnis des Tages war, daß die Franzosen in verschiedenen Kolonnen die Grenze der Niederlande überschritten, die preußischen Vortruppen zurückgedrängt und ihnen einen Verlust von 1200 Mann zugefügt hatten. Es gelang nicht, die Armee Blüchers, wie Napoleon gehofft, noch vollständig zerstreut in den Quartieren zu überraschen.

In der Nacht vom 15. zum 16. lagerten die Franzosen in drei großen Kolonnen, nämlich die Truppen Neys bei Frasnes, Gosselies und Wangenies, die Garde, deren Führer Marschall Mortier erkrankt an der Grenze zurückgeblieben war, ein Teil der Truppen Vandammes und Grouchys in und vorwärts Charleroi und der Rest noch südlich der Sambre.

Blücher hatte in der gleichen Nacht drei seiner Armeekorps, nämlich das I. (Zieten), das II. (von Pirch I.) und das III. (Thielmann) zwischen Fleurus, St. Amand, Ligny, Mazy, Onoz und Namur vereinigt. Das IV. Korps (Bülow) vermutete man bei Hannut, etwa in der Mitte zwischen Lüttich und Brüssel. Es befand sich aber noch größtenteils bei Lüttich, und zwar deshalb, weil die dem älteren General von Bülow zugegangene Weisung Gneisenaus nicht befehlend war und Bülows Truppen schon starke Märsche zurückgelegt hatten. Ein am 15. abgeschickter Feldjäger mit einem zweiten erläuternden Schreiben Gneisenaus traf den General von Bülow statt in Hannut noch in Lüttich, aber erst abends fünf Uhr. Wenige Worte klärten den säumigen Korpsführer auf. »Mein Gott, warum hat man mir das nicht gesagt!« So rief er zu Tod erschrocken. Gleich darauf wirbelten die Trommeln durch die Stadt und die Truppen setzten sich zu einem ganz außerordentlichen Gewaltmarsch in Bewegung. Allein es war menschenunmöglich, am 16. das Schlachtfeld noch zu erreichen. Der aus dem Stabe Bülows zum Feldmarschall entsendete Hauptmann von Below meldete diesem am Abend des 15. Juni die wahren Verhältnisse über das IV. Korps. Von da an rechnete Blücher nicht mehr zuverlässig auf dessen Eintreffen am 16. Juni.

Die Maßregeln der Preußen lassen deutlich erkennen, daß man im Laufe des 15. Juni die Angriffsrichtung Napoleons genau erkannt hatte und darauf vorbereitet war, den Stoß auszuhalten. Es stand ja dem Marschall Blücher jetzt noch die Annahme der Schlacht oder das Vermeiden derselben vollständig frei. Er konnte sich weiter zurückziehen und sich dadurch die Vereinigung mit den Engländern und mit seinem IV. Armeekorps sichern. Allein dazu wäre ein Flankenmarsch in nordwestlicher Richtung nötig gewesen, was vielleicht üble Folgen haben konnte. Vor allem aber widersprach es dem festen und kühnen Charakter Blüchers, an der Spitze von 80 000 Mann dem Gegner den Rücken zu bieten, besonders wo er sicher annehmen durfte, gegen Abend von 50-60 000 Mann der Wellingtonschen Armee unterstützt zu werden. Er beabsichtigte also schon am 15. Juni abends, am nächsten Tage den Angriff Napoleons in der Stellung von Sombreffe und Ligny anzunehmen. Den festen Entschluß hiezu faßte er aber erst am 16. vormittags und dadurch entstand die Schlacht von Ligny.


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