Jonathan Swift
Gullivers Reisen
Jonathan Swift

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel III.

Der Verfasser wird an den Hof geholt. Die Königin kauft ihn seinem Herrn, dem Pächter, ab, und schenkt ihn dem König. Er disputiert mit Seiner Majestät grossen Gelehrten. Dem Verfasser wird bei Hofe ein Gemach eingerichtet. Er gewinnt sich die besondre Gunst der Königin. Er tritt für die Ehre seines Heimatlandes ein. Seine Streitigkeiten mit dem Zwerg der Königin.

Die häufigen Anstrengungen, die ich jeden Tag zu ertragen hatte, riefen innerhalb weniger Wochen einen vollständigen Wandel in meinem Befinden hervor: je mehr mein Herr durch mich verdiente, um so unersättlicher wurde er. Ich hatte meinen Appetit vollständig eingebüsst und war fast zum Skelett geworden. Der Pächter bemerkte das sehr wohl, und da er daraus schloss, dass ich sterben würde, so beschloss er, noch soviel aus mir herauszuschlagen, wie er nur konnte. Während er nun bei sich selber solchen Gedanken nachhing und diese Entschlüsse fasste, kam ein Slardral oder Kammerherr vom Hofe und befahl meinem Herrn, mich auf der Stelle zur Unterhaltung der Königin und ihrer Damen dorthin zu bringen. Einige dieser Damen hatten mich schon besichtigt und seltsame Dinge über meine Schönheit, mein gutes Benehmen und meinen Verstand berichtet. Ihre MajestätVermutlich ist die Gattin des Prinzen von Wales gemeint. und deren Umgebung waren über die Massen entzückt von meinem Auftreten. Ich liess mich auf die Knie nieder und bat um die Ehre, Ihren Kaiserlichen Fuss küssen zu dürfen; aber die huldreiche Fürstin hielt mir (nachdem ich auf einen Tisch gesetzt worden war) ihren kleinen Finger hin, den ich mit beiden Armen umschlang, wobei ich seine Spitze in höchster Ehrfurcht an die Lippen drückte. Sie stellte mir ein paar allgemeine Fragen über meine Heimat und meine Reisen, und ich antwortete so deutlich und mit so wenig Worten, wie ich nur konnte. Sie fragte, ob ich mich freuen würde, wenn ich bei Hofe leben sollte. Ich verbeugte mich bis zum Rand des Tisches und erwiderte in Demut, ich sei der Sklave meines Herrn, aber wenn ich über mich selbst verfügen könnte, so würde ich stolz darauf sein, mein Leben dem Dienst Ihrer Majestät zu widmen. Da fragte sie meinen Herrn, ob er bereit sei, mich um einen guten Preis zu verkaufen. Er, der besorgte, ich hätte keinen Monat mehr zu leben, war ganz damit einverstanden, sich von mir zu trennen, und verlangte tausend Goldstücke, die ihm auf der Stelle angewiesen wurden; jedes Goldstück war etwa so gross wie achthundert Moidors; wenn man aber in Betracht zieht, in welchem Verhältnis alle Dinge jenes Landes zu denen Europas stehn und wie teuer sie unter ihnen sind, so entsprach die Summe kaum der von tausend Guineen in England. Dann sagte ich zu der Königin, da ich jetzt Ihrer Majestät demütigstes Geschöpf und ihr Vasall sei, so müsse ich um die Gunst bitten, dass Glumdalklitsch, die mich stets mit soviel Sorgfalt und Güte gepflegt und das so trefflich gelernt hätte, ebenfalls in ihren Dienst aufgenommen würde, damit sie auch fernerhin meine Amme und meine Lehrerin bliebe. Ihre Majestät bewilligte meine Bitte und erlangte leicht des Pächters Einwilligung, denn er war nur zu froh, seine Tochter in einer Hofstellung zu sehn; und auch das arme Mädchen selbst vermochte ihre Freude nicht zu verbergen. Mein ehemaliger Herr zog sich zurück, indem er Abschied von mir nahm und sagte, er lasse mich in einem guten Dienst zurück; ich erwiderte ihm kein Wort, sondern machte ihm nur eine leichte Verbeugung.

Die Königin bemerkte meine Kühle und fragte mich, als der Pächter das Gemach verlassen hatte, nach dem Grunde. Ich erkühnte mich, Ihrer Majestät zu sagen, dass ich meinem ehemaligen Herrn für sonst nichts verpflichtet sei, als dass er einem armen, harmlosen Geschöpf, das er zufällig in seinen Feldern fand, nicht den Kopf zerschlagen habe; diese Verpflichtung aber habe ich reichlich wett gemacht durch den Verdienst, den ich ihm gebracht hätte, als er mich durch das halbe Königreich hin sehn liess, sowie auch durch den Erlös, um den er mich jetzt verkauft hätte. Das Leben, das ich seither geführt habe, sei mühselig genug gewesen, um auch ein Tier von der zehnfachen Kraft zu töten. Meine Gesundheit sei schwer geschädigt durch die beständige Sklaverei, während ich zu jeder Stunde des Tages hätte den Pöbel amüsieren müssen; und hätte nicht mein Herr mein Leben bereits für gefährdet gehalten, so würde Ihre Majestät mich vielleicht nicht so billig bekommen haben. Da ich aber jetzt von jeder Furcht vor schlechter Behandlung befreit sei und unter dem Schutz einer so grossen und guten Kaiserin stände, die die Zierde der Natur, der Liebling der Welt, die Wonne ihrer Untertanen und der Phönix der Schöpfung sei, so hoffe ich auch, dass meines ehemaligen Herrn Befürchtungen sich als unbegründet erweisen würden, zumal ich bereits merke, dass durch den Einfluss ihrer erhabensten Gegenwart meine Lebensgeister neu erfrischt seien.

Das war der Inhalt meiner Rede, die ich mit viel Ungeschicklichkeiten und unter vielem Zögern vortrug; die zweite Hälfte war ganz in dem Stil gehalten, der jenem Volke eigen ist und von dem ich durch Glumdalklitsch ein paar Wendungen gelernt hatte, während sie mich an den Hof trug.

Die Königin war, obwohl sie mit meiner mangelhaften Redeweise grosse Nachsicht haben musste, doch erstaunt, in einem so winzigen Wesen soviel Witz und Verstand zu finden. Sie nahm mich selbst in die Hand und trug mich zum König, der sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte. Da Seine Majestät, ein Fürst von grosser Würde und strengem Gesichtsausdruck, meine Gestalt auf den ersten Blick nicht genauer beachtete, so fragte er die Königin in kühlem Ton, seit wann sie sich in Splaknucks verliebt habe: denn für einen solchen hielt er mich offenbar, als ich in der rechten Hand Ihrer Majestät auf meiner Brust lag. Die Fürstin aber, die viel Sinn für Witz und Humor hat, setzte mich sanft mit den Füssen auf den Schreibtisch und befahl mir, Seiner Majestät über mich selbst Bericht zu erstatten, was ich auch in wenig Worten tat; und Glumdalklitsch, die an der Tür des Arbeitszimmers stand, da sie es nicht ertragen konnte, mich aus den Augen zu lassen, bestätigte, als sie hereingerufen wurde, alles, was seit meiner Ankunft in ihres Vaters Hause geschehn war.

Der König ist zwar ein so gelehrter Mann wie nur irgend einer in seinem Reich, und er war im Studium der Philosophie und besonders der Mathematik emporgewachsen; als er aber meine Gestalt genauer ansah und erkannte, dass ich aufrecht ging, dachte er, ehe ich zu reden begann, dass ich wohl eine Art Uhrwerk sein möchte (in solchen Dingen hat man es in jenem Lande zu grosser Vollkommenheit gebracht), ersonnen von einem scharfsinnigen Künstler. Doch als er meine Stimme hörte und erkannte, dass, was ich sagte, den Regeln und der Vernunft entsprach, konnte er sein Staunen nicht mehr verbergen. Er war keineswegs mit dem Bericht zufrieden, den ich über die Art gab, wie ich in sein Reich gekommen war, sondern hielt ihn für eine zwischen Glumdalklitsch und ihrem Vater vereinbarte Geschichte, die mich eine Reihe von Worten gelehrt hätten, um mich zu einem höheren Preise verkaufen zu können. In diesem Gedanken stellte er mir noch mehrere andre Fragen; und wieder erhielt er vernünftige Antworten, die nur infolge eines ausländischen Akzents und einer unvollkommenen Kenntnis der Sprache mangelhaft waren und ferner ein paar bäurische Wendungen enthielten, wie ich sie im Hause des Pächters gelernt hatte und wie sie nicht zu dem gebildeten Stil bei Hofe passten.

Seine Majestät schickte nach drei grossen Gelehrten, die gerade nach der Sitte jenes Landes ihren wöchentlichen Dienst versahen. Nachdem diese Herren meine Gestalt eine Weile mit grosser Genauigkeit untersucht hatten, kamen sie zu einer verschiedenen Ansicht über mich. Sie waren sich darin einig, dass ich nicht nach den gewöhnlichen Naturgesetzen erzeugt sein könnte, denn ich sei in keiner Weise imstande, mein Leben zu verteidigen, weder durch Geschwindigkeit, noch durch die Fähigkeit, Bäume zu erklettern oder Löcher in die Erde zu graben. Sie erkannten an meinen Zähnen, die sie sich sehr sorgfältig ansahn, dass ich ein fleischfressendes Tier war; da mir aber die meisten Vierfüsser überlegen seien, die Feldmäuse jedoch nebst einigen andern zu behend, so könnten sie sich nicht denken, wie ich imstande sein sollte, mich zu erhalten, es sei denn, ich nährte mich von Schnecken und andern Insekten; dass ich das aber auch unmöglich tun könnte, machten sie sich anheischig, durch viele gelehrte Argumente zu beweisen. Einer dieser Kenner schien zu glauben, ich könnte wohl ein Embryo sein oder eine Fehlgeburt. Aber diese Ansicht wiesen die beiden andern zurück, da sie sahen, wie vollkommen und ausgebildet meine Glieder waren, zumal ich bereits eine Reihe von Jahren gelebt haben musste, wie es aus meinem Bart erhellte, dessen Stoppeln sie durch ein Vergrösserungsglas deutlich erkennen konnten. Sie wollten nicht zugeben, dass ich ein Zwerg sei, da ich über jeden Vergleich hinaus klein war; denn selbst der Lieblingszwerg der Königin, der kleinste, von dem man in jenem Königreich je gehört hatte, war noch annähernd dreissig Fuss hoch. Nach langen Debatten zogen sie schliesslich den einstimmigen Schluss, ich sei nur ein »Relplum Skalkath«, was wörtlich übersetzt »lusus naturae« heisst; eine Definition, die der modernen europäischen Philosophie sehr genehm sein muss; haben doch deren Bekenner, die alte Ausflucht der »verborgenen Ursachen«, mit der die Nachfolger des Aristoteles vergebens ihre Unwissenheit zu verkleiden suchen, verschmähend, gleichfalls eben diese wundervolle Lösung aller Schwierigkeiten erfunden, und zwar zum unsäglichen Nutzen alles menschlichen Wissens.

Nach diesen entscheidenden Schlussfolgerungen bat ich, auf ein oder zwei Worte gehört zu werden. Ich wandte mich an den König und versicherte Seiner Majestät, dass ich aus einem Lande käme, das voll sei von mehreren Millionen Leuten beiderlei Geschlechts und meiner eignen Statur; die Tiere, Bäume und Häuser entsprächen dort meinen Verhältnissen, und also sei ich dort ebenso gut imstande, mich zu verteidigen und meinen Lebensunterhalt zu finden, wie hier nur irgend einer der Untertanen Seiner Majestät; das halte ich für eine ausreichende Antwort auf die Argumente dieser Herrn. Sie erwiderten nur mit einem verächtlichen Lächeln und sagten, der Pächter hätte mir meine Lektion gut beigebracht. Der König, der einen weit bessern Verstand besass, entliess seine Gelehrten und schickte nach dem Pächter, der zum Glück die Stadt noch nicht verlassen hatte. Nachdem er ihn also zunächst allein verhört und ihn dann mir und dem Mädchen gegenübergestellt hatte, begann Seine Majestät allmählich zu glauben, es könnte doch wohl wahr sein, was wir ihm erzählten. Er bat die Königin, anzuordnen, dass man ganz besonders für mich sorgen sollte; er war der Ansicht, dass Glumdalklitsch auch ferner ihr Amt als meine Pflegerin behalten müsste, da er wohl sah, dass wir sehr aneinander hingen. Ihr wurde ein passendes Gemach im Palast eingeräumt, und es wurde eine Art Gouvernante ernannt, die für ihre Erziehung sorgen sollte; ferner eine Zofe, die sie anzukleiden hatte, und zwei weitere Dienstboten für niedrige Dienste; die Sorge für mich aber wurde ausschliesslich ihr anvertraut. Die Königin befahl ihrem eignen Schranktischler, nach einem Muster, über das Glumdalklitsch und ich uns einigen würden, eine Schachtel zu entwerfen, die mir als Schlafzimmer dienen sollte. Dieser Mann war ein geistvoller Künstler, und nach meinen Anweisungen vollendete er in drei Wochen ein hölzernes Gemach von sechzehn Fuss im Geviert und zwölf Fuss Höhe mit Schiebefenstern, einer Tür und zwei Kabinetten, das einem Londoner Schlafzimmer glich. Das Brett, aus dem die Decke bestand, liess sich in zwei Scharnieren auf und ab bewegen, um ein Bett hineinsetzen zu können, das von Ihrer Majestät Tapezierer fertig geliefert wurde; Glumdalklitsch setzte es jeden Tag aussen in die frische Luft, machte es mit eigner Hand und setzte es abends wieder hinein, indem sie das Dach über mir schloss. Ein geschickter Handwerker, der wegen kleiner Kuriositäten berühmt war, unternahm es, mir aus einem Material, das dem Elfenbein nicht unähnlich war, zwei Stühle mit Rücken- und Seitenlehnen, zwei Tische und einen Schrank zu machen, in den ich meine Kleider legen konnte. Das Zimmer war auf allen Seiten gepolstert, und ebenso auf dem Boden und unter der Decke; man wollte verhindern, dass mir durch die Unvorsichtigkeit derer, die mich trugen, etwas widerfahren könnte, und die Gewalt der Stösse brechen, wenn ich etwa in einer Kutsche sass. Ich bat um ein Schloss für meine Tür, um Ratten und Mäuse am Eindringen hindern zu können; und nach mehreren Versuchen machte mir der Schmied das kleinste, das man je unter ihnen gesehn hatte; und freilich ist mir am Tor des Hauses eines englischen Landedelmanns schon ein grösseres vorgekommen. Ich richtete es so ein, dass ich den Schlüssel in einer meiner eignen Taschen tragen konnte, denn ich fürchtete, Glumdalklitsch möchte ihn verlieren. Die Königin bestellte ferner die feinsten Seidenstoffe, die zu finden waren, um mir Kleider machen zu lassen; sie waren nicht viel dicker, als eine wollne Bettdecke in England, aber bis ich mich an sie gewöhnt hatte, sehr hinderlich. Sie waren gemacht nach der Mode des Reiches, die einerseits an die persische, andrerseits an die chinesische erinnert und eine sehr würdige und anständige Gewandung ergibt.

Die Königin gewann meine Gesellschaft so lieb, dass sie nicht mehr ohne mich speisen konnte. Es wurde auf die Tafel, an der Ihre Majestät ass, an ihrem linken Ellbogen für mich ein Tisch gestellt, und ebenso ein Stuhl, auf dem ich sitzen konnte. Glumdalklitsch stand dicht bei meinem Tisch auf einem Schemel am Boden, um mir zu helfen und auf mich zu achten. Ich hatte einen ganzen Satz silberner Schüsseln und Teller nebst allem andern Gerät, das im Verhältnis zu dem der Königin nicht viel grösser war als jenes für die Einrichtung eines Puppenhauses, wie ich es in ähnlicher Art in einem Londoner Spielwarenladen gesehn habe: meine kleine Amme bewahrte es in einer silbernen Dose in ihrer Tasche auf und gab mir bei den Mahlzeiten, was ich brauchte; sie säuberte es immer selbst. Mit der Königin speiste niemand ausser den beiden königlichen Prinzessinnen, deren ältere damals sechzehn, die jüngere aber dreizehn Jahre und einen Monat alt war. Ihre Majestät pflegte mir ein Stück Fleisch auf eine meiner Schüsseln zu legen, und ich schnitt mir davon ab, wobei es ihr ganzes Vergnügen ausmachte, mich in Miniatur essen zu sehn. Denn die Königin (die freilich nur einen schwachen Magen hatte) nahm auf einen Bissen soviel, wie in England ein Dutzend Pächter in einer Mahlzeit zu essen vermochten, was für mich eine Zeitlang ein sehr ekelhafter Anblick war. Sie zermalmte den Flügel einer Lerche mitsamt den Knochen zwischen ihren Zähnen, obwohl er neunmal so gross war wie der eines ausgewachsenen Truthahns; und sie schob sich ein Stück Brot in den Mund, das so dick war wie zwei Zwölfgroschenlaibe. Aus einem goldnen Becher trank sie mehr als ein Oxhoft mit jedem Schluck. Ihre Messer waren zweimal so lang wie eine Sense, die man gerade an ihren Stiel gesetzt hätte. Die Löffel, Gabeln und andern Geräte waren dementsprechend. Ich entsinne mich, wie ich, als Glumdalklitsch mich zu einer der Tafeln im Palast trug, die ich zu sehn begierig war und an der zehn oder zwölf dieser ungeheuren Messer und Gabeln gleichzeitig gehoben wurden, glaubte, in meinem ganzen Leben noch keinen so entsetzlichen Anblick gehabt zu haben.

Es ist Sitte, dass der König und die Königin mit dem königlichen Nachwuchs beiderlei Geschlechts an jedem Mittwoch (denn, wie ich schon bemerkt habe, ist das ihr Sabbath) im Gemach Seiner Majestät, bei dem ich jetzt in hoher Gunst stand, gemeinsam speisen; und jedesmal wurden mein kleiner Stuhl und mein Tisch zur Linken des Königs vor einem der Salznäpfe aufgestellt. Es machte dem Fürsten Vergnügen, sich mit mir zu unterhalten und sich nach den Sitten, der Religion, den Gesetzen, der Regierung und der Gelehrsamkeit in Europa zu erkundigen; ich gab ihm, so gut ich konnte, über alles Auskunft. Seine Fassungskraft war so klar und sein Urteil so scharf, dass er sehr kluge Anmerkungen und Betrachtungen zu allem anstellte, was ich sagte. Aber ich gestehe, wenn ich ein wenig zu wortreich geworden war im Bericht über meine geliebte Heimat, über unsern Handel und unsre Kriege zur See und zu Lande, über unsre Spaltungen in der Religion und unsre Parteien im Staat, dann überwältigten ihn die Vorurteile seiner Erziehung doch so stark, dass er es sich nicht versagen konnte, mich in die rechte Hand zu nehmen, mich mit der andern sanft zu streicheln und nach einem herzlichen Lachanfall zu fragen, ob ich liberal sei oder konservativ. Und indem er sich zu seinem ersten Minister wandte, der mit einem weissen Stabe von annähernd der Grösse des Mastes auf dem »Royal Sovereign« hinter ihm stand, bemerkte er, wie verächtlich die menschliche Grösse doch sei, da so winzige Insekten, wie ich, sie nachzuäffen vermöchten; »und doch«, sagte er, »möchte ich wetten, dass diese Geschöpfe ihre Titel und Ehrenauszeichnungen haben, und sie schaffen sich kleine Nester und Bauten, die sie Häuser und Städte nennen; sie spielen eine Rolle in ihren Kleidern und Equipagen; sie heben und kämpfen, sie streiten sich, betrügen und verraten.« Und so fuhr er fort, während ich bald erblich, bald errötete vor Entrüstung, da ich unser edles Land, die Herrin der Künste und Waffen, die Geissel Frankreichs, die Schiedsrichterin Europas, den Sitz der Tugend, der Frömmigkeit und Wahrhaftigkeit, den Stolz und den Gegenstand des Neides der ganzen Welt, so verächtlich behandeln hörte.

Doch ich war nicht in der Lage, empfangenen Schimpf nachtragen zu können, und also begann ich nach reiflicher Überlegung daran zu zweifeln, ob ich überhaupt beschimpft worden war oder nicht. Denn nachdem ich mich seit mehreren Monaten an den Anblick und den Verkehr dieser Leute gewöhnt und erkannt hatte, dass alles, worauf mein Blick fiel, von entsprechender Grösse war, hatte sich das Grauen, das ihr Umfang und ihr Anblick mir zunächst eingeflösst hatten, so weit abgeschliffen, dass ich, die Wahrheit zu sagen, in Versuchung gewesen wäre, ebenso kräftig zu lachen, wie der König und seine Grossen über mich lachten, wenn ich damals eine Gesellschaft englischer Grosser mit ihren Damen erblickt hätte, wie sie in ihrem Putz und ihren Geburtstagskleidern auf die höfischste Weise ihre verschiedenen Rollen spielen und sich spreizen und verbeugen und schwätzen. Und wahrlich, ich konnte mich nicht enthalten, über mich selber zu lächeln, wenn die Königin mich auf ihrer Hand vor einen Spiegel hielt, so dass mir unsre beiden Erscheinungen in voller Grösse vor Augen traten; und freilich konnte nichts lächerlicher wirken als dieser Vergleich; so dass ich tatsächlich zu glauben anfing, ich sei um viele Grade unter meine eigne Grösse zusammengeschrumpft.

Nichts erzürnte und demütigte mich so sehr wie der Zwerg der Königin, der den niedrigsten Wuchs besass, den man je in jenem Reich gesehn hatte (ich glaube, er war wirklich nicht einmal dreissig Fuss hoch) und deshalb unverschämt wurde, als er ein Geschöpf sah, das so viel kleiner war als er; er pflegte sich stets aufzublähn und sich ein stolzes Ansehn zu geben, wenn er im Vorzimmer der Königin, wo ich auf einem Tisch stand und mit den grossen Herrn oder Damen vom Hofe sprach, an mir vorüberkam; und selten versagte er sich ein oder zwei scharfe Worte über meine Kleinheit; ich aber konnte mich nur dadurch rächen, dass ich ihn meinen Bruder nannte und ihn zum Ringkampf herausforderte und was dergleichen Erwiderungen im Munde der Hofpagen mehr sind. Eines Tages war dieser boshafte kleine Kerl bei Tisch so erbittert über irgend etwas, was ich zu ihm gesagt hatte, dass er sich an der Stuhllehne Ihrer Majestät emporhob, mich beim Gürtel ergriff, als ich mich, nichts Arges denkend, setzte, und mich in eine grosse silberne Schale voll Rahm warf, um dann, so schnell er konnte, davonzulaufen. Ich versank bis über die Ohren im Rahm, und wäre ich nicht ein guter Schwimmer gewesen, so hätte es mir schlimm ergehn können; denn Glumdalklitsch stand gerade am andern Ende des Zimmers, und die Königin war so erschrocken, dass sie nicht die Geistesgegenwart besass, mir zu Hilfe zu kommen. Aber meine kleine Amme lief herbei und holte mich heraus, nachdem ich schon über einen Viertelliter Rahm geschluckt hatte. Ich wurde ins Bett gebracht, erlitt aber keinen weitern Schaden, als dass mein Gewand vollständig verdorben war. Der Zwerg wurde gebührend durchgepeitscht und zur weiteren Strafe gezwungen, die Schale voll Rahm, in die er mich geworfen hatte, auszutrinken: auch wurde er nie wieder in Gnaden aufgenommen, denn bald darauf schenkte die Königin ihn einer Dame von hohem Stande, so dass ich ihn zu meiner grossen Genugtuung nicht mehr sah; denn ich konnte nicht wissen, wie weit ein so boshafter Knirps in seinem Groll gehn mochte.

Er hatte mir schon vorher einmal einen erbärmlichen Streich gespielt, über den die Königin lachen musste, obwohl sie sich zugleich von Herzen ärgerte und ihn auf der Stelle fortgejagt hätte, wäre ich nicht so grossmütig gewesen, mich ins Mittel zu legen. Ihre Majestät hatte sich einen Markknochen auf den Teller genommen, und nachdem sie das Mark herausgeklopft hatte, stellte sie den Knochen aufrecht, wie er zuvor gestanden hatte, in die Schüssel zurück. Der Zwerg wartete auf den Augenblick, als Glumdalklitsch zum Anrichtetisch ging, stieg auf den Schemel, auf dem sie stand, wenn sie bei Tische auf mich acht gab, fasste mich mit beiden Händen, drückte meine Beine zusammen und zwängte sie bis über meine Hüften in den Markknochen hinein, in dem ich eine Weile stecken blieb und eine sehr lächerliche Figur abgab. Ich glaube, es dauerte fast eine Minute, bevor irgend jemand merkte, was mit mir geschehn war, denn ich hielt es für unter meiner Würde, zu schreien. Da jedoch Fürsten ihre Speisen selten heiss erhalten, so wurden mir die Beine nicht versengt, nur waren meine Strümpfe und meine Hose in schlimmer Verfassung. Der Zwerg erhielt auf meine Bitte keine andre Strafe als eine tüchtige Tracht Prügel.

Oft zog die Königin mich wegen meiner Furchtsamkeit auf, und sie pflegte mich zu fragen, ob die Leute in meiner Heimat alle solche Feiglinge seien wie ich. Der Anlass war dieser: das Königreich wird im Sommer sehr von Fliegen heimgesucht; und diese scheusslichen Insekten, deren jedes so gross war wie eine Lerche, liessen mir kaum jemals Ruhe, wenn ich bei Tisch sass, so summten und brummten sie mir um die Ohren. Bisweilen setzten sie sich auf meine Speisen und liessen dort ihre ekelhaften Exkremente oder Eier zurück, die mir sehr sichtbar waren, wenn auch den Eingebornen jenes Landes nicht; denn ihre grossen Augen waren nicht so scharf wie meine, wo es galt, kleinere Dinge zu sehn. Bisweilen flogen sie mir auf die Nase oder die Stirn, und dann stachen sie mich sehr schmerzhaft; und sie rochen höchst unangenehm, und ich konnte leicht jene klebrige Masse erkennen, die diese Geschöpfe, wie unsre Naturforscher uns lehren, befähigt, mit den Füssen nach oben eine Decke entlang zu laufen. Ich hatte viel zu tun, um mich gegen diese abscheulichen Tiere zu verteidigen, und ich konnte ein Zusammenschrecken nicht unterdrücken, wenn sie mir aufs Gesicht kamen. Der Zwerg hatte es sich angewöhnt, eine Anzahl dieser Insekten mit der Hand zu fangen, wie es bei uns die Schuljungen tun, und sie dann plötzlich unter meiner Nase in Freiheit zu setzen; all das eigens, um mich zu erschrecken und die Königin zu amüsieren. Meine Abwehr war die, dass ich sie mit meinem Messer in Stücke schnitt, während sie durch die Luft hin flogen; meine Gewandtheit darin wurde viel bewundert.

Ich entsinne mich, dass eines Morgens, als Glumdalklitsch mich in meiner Schachtel auf ein Fensterbrett gesetzt hatte, wie sie es an schönen Tagen in der Regel tat, damit ich frische Luft schöpfen konnte (denn ich wagte die Schachtel nicht vor dem Fenster an einen Nagel hängen zu lassen, wie wir es in England mit Käfigen tun), und als ich eins meiner Fenster geöffnet und mich an meinen Tisch gesetzt hatte, um einen Brocken süssen Kuchens zum Frühstück zu essen, von dem Duft gelockt, etwa zwanzig Wespen ins Zimmer geflogen kamen, die lauter summten als ebensoviel Basspfeifen am Dudelsack. Einige von ihnen packten meinen Kuchen und trugen ihn in Brocken davon; andre umflogen mir Kopf und Gesicht und machten mich ganz wirr mit dem Geräusch, während ich zugleich vor ihren Stacheln in höchster Angst schwebte. Ich hatte aber trotzdem den Mut, aufzustehn, meinen Hirschfänger zu ziehn und sie in der Luft anzugreifen. Vier von ihnen erschlug ich, aber der Rest entkam, und ich schloss alsbald mein Fenster. Diese Insekten waren so gross wie Rebhühner; ich zog ihnen ihren Stachel heraus und sah, dass er anderthalb Zoll lang und nadelscharf war. Ich bewahrte sie alle sorgfältig auf, und nachdem ich sie später mit manchen andern Kuriositäten in den verschiedenen Gegenden Europas gezeigt hatte, schenkte ich drei davon dem Gresham-College, den vierten aber habe ich selbst behalten.


 << zurück weiter >>