Auguste Supper
Herbstlaub
Auguste Supper

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                  Himmelfahrt

Sie sagen, er sei vor vielen Jahren
Von einem Berge gen Himmel gefahren.
Es grünten die Wälder, es lachte die Au,
Und oben im seligen Himmelsblau
Schwamm eine Wolke, die nahm ihn auf.

Wenn ich dies hörte, ich sag' es frei,
Dacht' ich, daß alles ein Märchen sei.
Nicht ein Märchen, in Dämmerstunden
Für die lauschenden Kleinen erfunden.
Nein, ein Märchen, wie sie auf Erden
Aus der Verzweiflung geboren werden,
Aus der brennendsten Herzensnot.
Wie ein Lichtstrahl durch Nächte dringt,
Kommt es gegangen und klingt und singt. –
Für ein Märchen von dieser Sorte
Hielt ich bis heut die alten Worte.

Aber nun kam der Lenz ins Land,
Trieb mich hinaus an des Baches Rand.
Hieß mich den ragenden Berg ersteigen,
Wollte mir lachend die Erde zeigen.
Und nun sah ich, was jüngst noch tot,
Plötzlich von Blust und Glanz umloht. 30
Wälder und Hecken, die gestern kahl,
Grüßten heut schimmernd herauf vom Tal.
Lautlos über der grünenden Au
Zog eine Wolke im Himmelsblau.

Weiß nicht, was weiter mit mir geschah. –
War denn nicht eben mein Heiland da?
Hat mich sein seliger Blick getroffen?
Stand nicht der strahlende Himmel offen,
Dort, wo die Wolke im Äther schwimmt?
Warum brennst du, mein Herz, in mir?
Fühlst du, wie heilig die Stätte hier,
Wie jedes Zeichen mit damals stimmt?

Selig glänzen die blühenden Lande.
Könnte, o könnte ich Hütten bau'n
Hier an des Hügels blumigem Rande,
Und nach der schwebenden Wolke schaun! 31


                            Julzeit

»Ein tolles Stück! Im schneeverwehten Forst
Am alten Wall beim großen Rabenhorst
Soll ich dem Kind, dem jungen Adalrich,
Dem Sohn des Herrn noch heut' die Armbrust spannen
Und Zapfen schießen von verschneiten Tannen?
Beim Donar, Weib, das ist kein Amt für mich!
Wer brachte den Befehl, Gerlind? sag an! – – –«
»Es war ein alter, fremder Wandersmann,
Und dringend sprach er, flehend klang sein Wort –
Eh' ich nur fragte, wandte er sich fort. –«

Der Jäger geht mit finsterem Gesicht.
Nach Knabenspiel steht heut der Sinn ihm nicht.
Er kommt zur Stelle, zum verlassnen Wall.
Vom schneeverhangnen Himmel tanzen nieder
Die weißen Flocken jetzt in weichem Fall.
Berchtold späht rechts und links nach dem Gebieter.
Umsonst, der Schnee im weiten Kreise trägt
Nicht Fuß- noch Rossesspur, vom Herrn zu sagen,
Nur eine Schar der Wodansvögel regt
Sich in den Wipfeln, die die Horste tragen.
Der Abend sinkt. Kein Adalrich erscheint.
Der Sturm nur jagt die Flocken toll im Reigen. 32
Es ächzt im Holze, daß der Jäger meint,
Das Heer der Lüfte werde sich ihm zeigen.
Er kauert nieder, deckt die Augen zu.
Kein Sterblicher, der Wodans Zug gesehen
Fand jemals wieder Freudigkeit und Ruh,
Für immer ist es um sein Glück geschehen.
Wie Berchtold lauscht, in heimlich Graun versenkt,
Da ist es ihm, als hör' er nahes Stöhnen.
Beim letzten Lichte, das der Tag noch schenkt,
Forscht er, von wo die Menschenlaute tönen.
Im Schnee gebettet an des Walles Rand
Liegt regungslos ein Mann in weißen Haaren.
Sein Hut, sein Stab, sein härenes Gewand
Verraten, daß er weit durchs Land gefahren.
Der Jäger zaudert nicht. Die starre Last
Trägt er zur Hütte in den starken Armen.
»Gerlind tu auf! Ich bring dir einen Gast,
An unsres Herdes Glut soll er erwarmen.«
Verwundert schaut das Weib den Fremdling an.
»Berchtold, er ist's: es ist der Wandersmann,
Der dich zum Walle rief. Ich kenn' ihn wieder.«
Still legt der Jäger seine Bürde nieder.

In Berchtolds Hütte glimmt die Herdesglut,
Das Schifflein fliegt, die Spule klappert leise.
Am Ehrenplatze warm gebettet ruht 33
Der fremde Gast nach böser Winterreise.
Am frühen Abend, wenn der Kienspan brennt,
Entquillt die seltsam unerhörte Kunde
Von einem Frieden, den die Welt nicht kennt,
Des alten Mannes warm beredtem Munde.
Von einem Kind spricht er, im Krippenstroh,
Das Schuld und Leid der Menschenerde löse.
Das klingt wie Lerchenlied so lenzesfroh
Trotz Wintersturm auf rauher Waldesblöße.
Das bittre Joch, das Menschenrecht umdroht,
Es sei zertrümmert, und ein neu Gebot,
So sagt der Greis, sei uns ins Herz geschrieben:
»Mensch, du sollst Gott und deinen Bruder lieben!«
Berchtold schaut auf. »Und das, was seither war,
Wodan und Donar mit bewehrten Lenden,
Der lichte Balder mit dem Sonnenhaar
Und Freia mit den milden Segenshänden
Und all die andern, Fremdling, sage an,
Sind sie nur Truggebilde, Fabelwesen,
Nur öde Schatten, blöder Menschenwahn,
Nicht hehre Götter, wie dein Gott, gewesen?«
»Gott ist nur Einer!« fällt der Alte ein.
»Doch, was ihr hattet, Sinnbild war's und Zeichen,
War ferner Abglanz, war ein lichter Schein
Vom wahren Wesen, das wir jetzt erreichen. 34
Ein brünstig Suchen, hungrig Gottverlangen
Ist durch die Welt seit Ewigkeit gegangen.
Und dieses Suchen schuf sich Bild um Bild
Vom Strom der Wahrheit, der im Kinde quillt.
Nicht darf ich Berchtold dir die Götter schmähen:
Was wir von Götterlicht umflossen sehen
Ist immer hell: doch allen Lichtes Kern
Liegt nur in einem Gott, in meinem Herrn.«
Gerlinde setzt ihr Schifflein jetzt in Ruh.
»Von einem Kind im Krippenstroh sprachst du;
War's dieses Kind vielleicht, um das du jüngst
Berchtold zum Wall hinaus zu holen gingst?
Ich dacht' an Adalrich, den Fürstensohn,
Dieweil mein Herr den Knaben früher schon
Zur lichten Sommerszeit im Armbrustschießen
Am alten Wall hat öfters unterwiesen.«
Betroffen schaut der fremde Mann empor.
»Nie sah ich vordem dieser Hütte Tor:
Nie rief ich Berchtold. Als ich krank und schwach
Im sturmdurchrasten Forst zusammenbrach,
Da bat ich Gott, daß um des Kindleins willen
Er meine bange Seele möge stillen.
Dann schlief ich ein. Erst unter diesem Dach
Ward ich, ihr wißt's, zu neuem Leben wach.«
Gerlinde fühlt des Herzens wildes Pochen. 35
»So hat dein Gott für dich mit mir gesprochen.
Sag mehr von ihm, auf daß ich lauschen mag,
Bis durch die Wipfel bricht der junge Tag.
Mir klang von Anfang an so licht und froh
Die Mär vom Knaben in der Krippe Stroh.«

Der Wintersturm braust weiter durch den Tann:
In Berchtolds Hütte spricht der fremde Mann
Vom lichten Lenz, der sieghaft kommen werde,
Ein Retter für die weite Menschenerde. 36


                      Bethlehem

Im Schweigen tiefer Nacht verklungen
War, bis auf eine leise Spur,
Was Engelschöre hell gesungen
Auf Bethlehems geweihter Flur.
Heimwärts zur unbekannten Ferne
Zog still die sel'ge Sängerschar,
Indes der hellste aller Sterne
Dort aufging, wo das Kindlein war.
Da plötzlich über fernem Hügel
Erglänzt ein seltsam lichter Schein:
Mit wandermüdem, schwerem Flügel
Naht nun ein Engel ganz allein.
Sein ernstes Auge hängt am Sterne,
Der sich auf Stall und Krippe neigt.
Aus waldesdunkler, kalter Ferne
Hat ihm der Stern den Weg gezeigt.
Der Engel trägt nicht Gold noch Schimmer,
Weihrauch und Myrrhen bringt er nicht:
Ein Tannenreis im Schneegeflimmer
Legt er zur Krippe hin und spricht:
Dich, Fürst des Lebens, zu begrüßen
Komm ich aus schneebedecktem Land.
Das schlichte Reis zu deinen Füßen, 37
Mein Deutschland hat es dir gesandt.
Dich wird einst eine Welt verhöhnen,
Und Tausende dich nicht verstehn:
Wo du willst helfen und versöhnen,
Da wirst du blut'gen Zwiespalt sehn.
Dein Reich, das nicht von dieser Erden,
Es wird verspottet und verlacht,
Schwer wird das Herz, o Kind, dir werden,
Eh' du dein Lebenswerk vollbracht.
Blick' dann, Gequälter, gegen Norden,
Blick nach Germaniens wald'gen Höhn!
Du, den sie unter Palmen morden,
Wirst unter Tannen auferstehn!
Blauäug'ge Kindlein, blonde Frauen
Und bärt'ge Männer treu und stark,
Sieh, wie sie nach der Krippe schauen,
Ergriffen bis ins tiefste Mark.
Durch Schnee und Eis wird hell erklingen
Die Botschaft von der Liebe Macht,
Germanenkindlein werden singen
Von einer stillen, heil'gen Nacht!
Der Knabe, bei des Engels Worten,
Er lächelte in süßer Ruh.
Der Engel aber zog nach Norden,
Mit schwerem Flügel Deutschland zu. 38



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