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Was ich gefürchtet hatte, meine Herren, traf nicht ein. Offenbar hatte ich mein Ansehen und meine Beliebtheit im Kreist unterschätzt. – Die Verlobung fand die Billigung eines hohen Adels wie des wohllöblichen Publikums, und wo sich mir eine Hand zum Glückwünschen entgegenstreckte, da sah ich auch ein strahlendes Gesicht.
Freilich ist ja in solcher Zeit die ganze Welt wider einen verschworen, um einen mit freudigen Mienen und Gebärden noch tiefer in sein Verhängnis hineinzulocken, um dann in dem Momente, in dem die Sache schief zu gehen droht, einem die gefletschten Zähne entgegenzukehren.
Wie dem auch sei, ich gewöhnte mir allmählich ab, mich zu schämen, und tat, als hätte ich ein Recht auf so viel Jugend und Schönheit.
Rührend benahm sich meine alte Schwester, obwohl sie die einzige war, die durch meine Heirat direkten Schaden hatte, denn sie sollte am Hochzeitstage Ilgenstein verlassen und auf Gorowen, unserem alten Witwensitze, kaltgestellt werden.
Sie vergoß Ströme von Freudentränen, erklärte, das Gebet ihrer Nächte sei erhört, und war in meine Braut verliebt, noch eh' sie sie kannte.
Was würde erst Pütz gesagt haben, der in die Grube gefahren war, ohne sich den Kuppelpelz verdient zu haben?
An seinem Sohne, dacht' ich, soll's vergolten werden.
Vorerst schrieb ich ihm einen langen Brief, bat quasi um Verzeihung, daß ich im Hause seines Erbfeindes auf die Freite gegangen war, und sprach die Hoffnung aus, es werde auf diese Weise der alte Zwist zu seinem Ende kommen.
Die Antwort ließ lange auf sich warten. – Ein paar dürre Worte als Gratulation und hinterdrein die Erklärung, er werde seine Rückkehr so lange verzögern, bis die Hochzeit gefeiert sei; es würde ihn schmerzlich berühren, an meinem Ehren- und Freudentage in der Heimat zu sein und trotzdem an meiner Seite fehlen zu müssen. –
Das, meine Herren, wurmte mich, denn ich hatte den Schlingel wirklich lieb.
Ach ja – und meine Braut machte mir Sorgen.
Schwere Sorgen, meine Herren.
Es war keine rechte Freudigkeit in ihr, wissen Sie. Wenn ich eintrat, fand ich ein blasses, kaltes Gesicht, und ihre Augäpfel verschwammen unter den Lidern, so trübe war ihr Blick. Erst wenn ich sie in die Ecke nahm und frisch darauflos redete, dann erheiterte sie sich allgemach und zeigte mir selbst eine gewisse kindliche Zärtlichkeit.
Aber, meine Herren, wie fein benahm ich mich auch! Scheußlich fein, sag' ich Ihnen! Ich ging mit ihr um, als wäre sie die berühmte Prinzessin mit der Erbse gewesen. – Jeden Tag entdeckte ich neue Fähigkeiten zur Herzensfeinheit in mir. Ich wurde ordentlich stolz auf meine zarte Konstitution; nur manchmal bekam ich Sehnsucht nach einer klobigen Zote oder einem fetten Donnerwetter.
Und das ewige Aufpassen, wissen Sie, das strengte mich an. Ich habe ja, Gott sei Dank, ein weiches und warmes Herz, und das weiß sich in die Bedürfnisse eines andern Herzens wohl zu finden. Auch ohne Gehabe und Getue. Aber mir war doch wie etwa dem Seiltänzer, der mit verbundenen Augen losmarschiert. Ein Fehltritt rechts – oder ein Fehltritt links – plumps – er liegt unten.
Und wenn ich heimkam in mein großes, leeres Wohnhaus, wo ich nach Herzenslust gröhlen, quietschen, knallen, fluchen, pfeifen und weiß Gott was sonst noch konnte, ohne daß ich einen beleidigte und er vor mir schauderte – da kribbelte mir das alte Behagen wohltätig am Genick herunter, so daß ich mir manchmal sagte: »Gott sei Dank, noch bist du ein freier Mann.«
Nicht auf lange mehr. Der Hochzeit stand nichts entgegen. Sie sollte in sechs Wochen gefeiert werden.
Mein liebes Ilgenstein geriet unter die Tyrannei einer Schar von frechen Handwerkern, die nach Belieben alles von oben nach unten kehrten und alle meine Wünsche mit der Redensart: »Herr Baron, das ist nicht geschmackvoll«, einfach in Grund und Boden bohrten. Und – Gott! – ich ließ sie gewähren.
Denn vor dem sogenannten »guten Geschmack« hab' ich damals noch einen Heidenrespekt gehabt. Erst viel später bin ich mir klar geworden, daß in den meisten Fällen nichts wie Schwäche und eine gewisse verschämte oder auch unverschämte Armut dahinter steckt.Na, kurz und gut, unter dem Schutze dieses verfluchten guten Geschmacks hauste die Bande so mörderlich, daß in meinem braven, alten Schlosse schließlich nichts mehr übrig blieb als mein Jagd- und mein Arbeitszimmer. – Hierdrin hatte ich mir jeden guten Geschmack auf das Energischste verbeten. –
Und mein altes, schmales Feldbett, natürlich! Daran durfte mir keiner rühren.
Ach ja, meine Herren! dieses Bett!
Und nun hören Sie zu: Eines Tages kommt meine Schwester, die übrigens mit den Schweinekerlen ganz unter einer Decke steckte, zu mir ins Zimmer – mit einem so gewissen bittersüßen und verschämten Lächeln, wie's alte Jungfern allemal an sich haben, wenn die Frage gestreift wird, wie die Kinder zur Welt kommen.
»Ich habe mit dir zu reden, George«, sagt sie, räuspert sich und guckt in die Ecken.
»Na, bitte, leg los«, sag' ich.
»Wie denkst du dir«, stottert sie – »ich meine natürlich, mein' ich, siehst du – in dem abscheulichen Bett mit dem Strohsack und den Gurten wirst du doch nicht länger schlafen können.«
»Nanu, laß mir doch mein Vergnügen«, sag' ich.
»Du verstehst mich nicht«, lispelt sie immer verschämter, »ich meine nachher – wenn nämlich – das heißt nach der Hochzeit.«
Potz Deiwel! daran hatt' ich noch nicht gedacht! Und ich alte Schwarte mache ein verschämtes Gesicht – gerade so wie sie. –
»Man wird mit dem Tischler reden müssen«, sag ich.
»Mein lieber George«, meint sie sehr wichtig, »du verzeihst, wenn ich davon mehr verstehe als du.«
»Ei, ei«, sag' ich und droh' ihr mit dem Finger, denn ihre Jungfräulichkeit 'n bißchen in Verlegenheit zu setzen, war von alters her mein Hauptvergnügen.
Sie wird ganz rot und sagt: »Ich habe bei meinen Jugendfreundinnen, der Frau von Housselle und der Gräfin Finkenstein, Schlafzimmereinrichtungen gesehen – wundervoll –ganz wundervoll – so was mußt du dir anschaffen.«
»Na, man zu«, sag' ich.
Nämlich, weil ich wußte, daß mein Schwiegervater, der alte Ruppsack, auch für die Aussteuer am liebsten keinen Heller ausgeben wollte, hatte ich einmal geäußert, es sei alles vorhanden, und hatte rasch das Nötige in Berlin und Königsberg bestellt. – Das Bett aber natürlich hatt' ich vergessen.
»Was möchtest du wohl lieber«, fängt sie wieder an, »rosa Seide mit schlichtem Tüll darüber oder blau mit Valenciennesspitzen? Vielleicht sagen wir auch dem Maler, der den Speisesaal ausmalt, daß er den Plafond mit ein paar Amoretten schmückt.«
Ach – ach – ach – meine Herren, wie wurd' mir da zumute!
Ich und Amoretten!
»Das Bettgestelle«, fährt sie unbarmherzig fort, »kann ja fertig nicht mehr hergestellt werden.«
»Nanu?« sag' ich, »in sechs Wochen kein Bettgestelle?«
»Aber, George! ... Die Zeichnungen, die Pläne brauchen allein einen Monat.«
Ich schielte ganz traurig nach meiner alten, lieben Klappe ... für die waren keine Pläne nötig gewesen ... die war aus sechs Brettern und vier Pfählen in einem Vormittag zusammengeschlagen worden.
»Das beste wäre«, meint sie weiter, »wir schrieben an Lothar, daß er das Schönste und Kostbarste aussucht, was in den Berliner Magazinen zu finden ist.«
»Mach, was du willst, und laß mich in Ruh'», sag' ich ärgerlich, und wie sie gekränkt weggehen will, schrei' ich ihr noch nach: »Aber schärf du ja dem Maler ein, daß die Amoretten mir ähnlich werden.«
Da haben Sie, meine Herren, ein Beispiel von meiner Bräutigamsstimmung.
Und je näher die Hochzeit rückte, desto unheimlicher wurde mir.–
Nicht daß ich Angst gehabt hätte – oder vielmehr ja – ich hatte eine Heidenangst – aber abgesehen davon, es war das Gefühl einer Schuld, eines Unrechts, eines – wie soll ich sagen?
Wenn ich nur gewußt hätte, an wem? – An ihr nicht – denn sie wollte es so. An mir nicht – ich war ja ein sogenannter Glücklichster aller Sterblichen.
An Lothar? – Vielleicht! – Dem armen Jungen, der auf mich hoffte wie auf seinen zweiten Vater, zog ich den Boden unter den Beinen weg, indem ich mit Sack und Pack in das Lager seiner Todfeinde überging.
So hielt ich das Wort, das ich Pütz auf dem Totenbette gegeben hatte.
Meine Herren, wer sich jemals unter dem Druck der Verhältnisse im Heerlager der Schufte vorgefunden hat – und fast jedem braven Manne passiert das im Leben einmal – wird mich verstehen.
Ich sann und sann Tage und Nächte und biß mir die Nägel blutig. Und da ich keinen andern Ausweg fand, beschloß ich den Zwist auf meine Kosten aus der Welt zu schaffen.
Leicht wurde es mir nicht, denn Sie wissen, meine Herren, wir Landwirte hängen an unseren paar Groschen. Aber was tut man nicht, wenn man offiziell »ein guter Kerl« heißt?
Ich geh' also eines Nachmittags zu meinem Schwiegervater ins sogenannte Arbeitskabinett, wo er sich gerade auf der Chaiselongue räkelt, und mach' ihm etwas zaghaft den Vorschlag einer Versöhnung. – Um auf den Busch zu klopfen – natürlich. – Wie ich erwartet habe, kriegt er sofort den Koller, schimpft, verschluckt sich, wird blaurot und erklärt, mir die Türe weisen zu wollen.
»Wenn er nun aber sein Unrecht einsieht und den Prozeß verloren gibt?« frag' ich.
Meine Herren, haben Sie einmal einen Dachs gekitzelt? Ich meine: einen gezähmten oder halbgezähmten. Wenn er Sie mit den verschlafenen, kleinen Augen halb argwöhnisch und halb wohlgefällig anblinzelt und dazu leise vor sich hinfaucht? ...
Genau so benahm sich der Alte.
»Tut er nich«, sagte er dann.
»Wenn er's aber doch tut?« frag' ich.
»Dann bist du derjenige, der den ganzen Rummel bezahlt«, sagt mir der Schlauberger auf den Kopf zu.
»Soll ich leugnen?« denk' ich... »Ach, hol's der Teufel!« Und ich geh' die Sache zu.
»Ne!« sagt er kurzweg. »Is nich, mein Jungchen, nehm' ich nicht an.«
»Aber warum nicht?«
»Wegen der Kinder natürlich. – Ich muß doch an meine Enkelkinder denken, falls deine Großmut mir welche beschert. ... Ich geb' ihnen schon keine Mitgift, soll ich ihnen auch noch das Stroh aus dem Neste stehlen, in dem sie geboren werden? Den Prozeß gewinn' ich sowieso, wenn's auch noch ein paar Jahre dauert; ich kann warten.«
Ich lege mich also aufs Zureden. »Das Geld bleibt doch in der Familie«, sag' ich. »Ich zahl' es, und du bekommst es. Nach deinem Tode fällt es ja doch an mich zurück.«
»Aha! du wartest wohl schon auf meinen Tod?« sagt er und fängt von neuem zu kollern an. »Willst wohl, ich soll mich lebendig in die Grube legen, damit du dich mit Krakowitz arrondieren kannst? Ist dir wohl schon lange ein Dorn im Auge, mein schönes Krakowitz?«
Da mit so viel Unvernunft nicht zu streiten war, beschloß ich ein Gewaltmittel.
»Hör mein letztes Wort, Vater«, sag' ich. »Ausgleich und Versöhnung mit Lothar Pütz ist die einzige Bedingung, unter der ich in deine Familie treten kann. Willigst du nicht ein, so muß ich Jolanthe bitten, mich freizugeben.«
Da wurde er weich.
»Man kann mit dir auch kein gefühlvolles Wort reden«, sagt er. »Ich denke an deine Kinder, die armen, ungeborenen Würmer, und du denkst sofort an Verlobungaufheben und dergleichen. – Wenn du die Sache durchaus auf diese Weise ordnen willst, so werd' ich dir dein Vergnügen nicht stören Gegen den Lothar Pütz persönlich hab' ich gar nichts. Im Gegenteil! Er soll ja ein strammer Junge sein – schneidiger Reiter, flotter Courmacher – aber, mein alter Sohn, ich rate dir gut: du kriegst eine junge Frau ins Haus. Wäre sie nicht meine Tochter und infolgedessen über jede Anfechtung erhaben, so würde ich dir an die Hand geben: Verfeinde dich mit ihm, fordere ein altes Darlehen zurück, anstatt daß du ihm ein neues gibst. Sicher ist sicher, weißt du.«
Meine Herren, bis zu diesem Augenblicke hatt' ich ihn humoristisch genommen, von jetzt an haßte ich ihn. – Na, erst die Hochzeit! hernach wollte ich ihn mir schon vom Halse halten.
Noch war ein schweres Stück zu tun, nämlich Lothar zu überzeugen, daß der Alte sein Unrecht eingesehen habe und auf die Fortführung des Prozesses zu verzichten entschlossen sei.
Der Streich gelang.
Lothar wunderte sich so wenig, daß er sogar das Danken vergaß.
Na, meinetwegen! –
Von meiner Braut hab' ich Ihnen schon erzählt. Lassen Sie's damit genug sein.
Das Gewebe solcher Beziehungen mit ihren Annäherungsversuchen und Erkältungen, mit ihrem Auf und Nieder von Vertrauen und Scheu, von Hoffnung und Niedergeschlagenheit ist zu fein gesponnen, als daß meine plumpen Hände versuchen sollten, es vor Ihnen auseinanderzufasern.
Zu ihrer Ehre sei's gesagt: sie versuchte redlich, sich in mein Wesen hineinzuleben.
Sie lauschte mir meine Neigungen ab, ja sie suchte sogar ihre Gedanken den meinigen anzupassen. Da war leider nicht mehr viel zu holen. Wo ihr junger, frischer Geist lebendige Interessen bei mir voraussetzte, gab es oft nichts als längst erstorbenes Ödland. – Denn das ist ja das Entsetzliche des Alters, daß es langsam einen Nerv nach dem andern in uns abstumpft. Kommen wir erst gegen die Fünfziger, dann werden Arbeit und Ruhe in gleicher Weise unsere Mörder.
Damals waren rote Schlipse modern. – Ich trug einen roten Schlips, ich trug auch spitze Stiefel und ließ mir seidene Aufschläge auf meine Rockklappen nähen.
Ich machte ihr reiche Geschenke. Ein Perlenkollier, das zwölftausend Mark kostete, und einen berühmten Solitär, der in Paris zur Auktion gekommen war. Frische Rosen und Orchideen kamen jeden Tag mit der Bahn für sie an, denn die Blumen aus eigener Zucht waren weniger wert als meine Fohlen.
Überhaupt, wissen Sie, meine Fohlen – aber nein, davon wollt' ich ja nicht erzählen.