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Von dem, was nun folgte, habe ich nur unklare Bilder im Gedächtnis behalten.
Erinnerlich ist mir, daß ich plötzlich einen Schrei ausstieß, von dem selbst Martha in die Höhe fuhr, daß ich vor ihrem Bette niederstürzte, ihre brennenden Hände umklammerte und in einem fort rief: »Rette mich – rette mich – wach auf!«
Und dann wieder find' ich mich in meinem Zimmer, wohin Robert mich geschafft hat. – – Und wie ich dann in dem Spiegel dort mein verzerrtes, von Angstschweiß glänzendes Gesicht erkannte, wie ich eine Lache aufschlug und, vor dem eigenen Lachen schaudernd, zusammensank und wie derweilen aus allen Winkeln kichernd und zischend, von tausend begehrlichen Stimmen geraunt, der Wunsch mir in den Ohren tönte:
»O möchte sie sterben« –
wie soll ich das beschreiben, ohne von den Gespenstern jener Nacht zu Tode gehetzt zu werden?
Deutlich ist mir nur noch, daß plötzlich das liebe Gesicht des Physikus sich über mich neigte, daß ich dann etwas zu trinken erhielt, das bitterlich schmeckte, und – dann weiß ich nichts mehr.
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Bleich schimmerte das Morgenlicht durch das Fenster, als ich erwachte. Der Kopf schmerzte mich, verstört blickte ich um mich, da war's mir, als sähe ich drüben an der Kalkwand die Worte stehen:
»O möchte sie sterben!«
Ich schauderte, und dann stieg der Gedanke in mir auf: »Wenn sie nun stirbt, so ist's dein Wunsch, der sie gemordet hat.«
Ich raffte mich auf und trat vor den Spiegel.
»So also sieht eine aus, die ihre Schwester in den Tod wünscht!« sagte ich, während mein fahles Gesicht mir entgegenstarrte, und von plötzlichem Ekel erfaßt schlug ich mit der Faust gegen das Glas. Meine Knebel bluteten, aber es zerbrach nicht.
Ich Törin, die ich nicht wußte, daß fortan die ganze Welt nur dazu da sein werde, um meinem Verbrechen den Spiegel vorzuhalten.
»Aber vielleicht stirbt sie nicht!« schoß es mir durch den Kopf. Eine solche Lichtflut brach aus diesem Gedanken, daß ich wie geblendet die Augen schloß.
Und dann wieder schrie es in mir auf: »Sie stirbt! dein Wunsch hat sie gemordet!« Ich biß die Zähne zusammen, und an den Wänden entlang tastend schlich ich mich nach der Krankenstube.
Als ich an der Tür stand und kein Laut mehr aus dem Innern zu mir drang, packte mich der Gedanke: »Du wirst sie als Leiche finden.«
Nein, sie lebte noch, aber in ihr Antlitz hatte der Tod schon seine Krallen geschlagen.
Die Knorpel der Nase traten schärfer hervor, die Lippen schlossen sich nicht mehr über den schrägstehenden Zähnen, die Augen schienen in den blauen Höhlen untergesunken zu sein.
Zu ihren Füßen standen Robert und der alte Arzt. Robert hatte die Hände vors Gesicht gepreßt. Schluchzen erschütterte seinen Körper. Der Alte maß mich mit durchdringendem Blicke. Für einen Moment war's mir wieder, als schaue er mich durch und durch, als liege meine Schuld offen vor ihm ausgebreitet. Doch wie er nun auf mich, die ich wankte, zugeeilt kam und mich in seinen Armen aufrecht hielt, sah ich wohl, es war nur der Blick des Arztes gewesen, der mich fixiert hatte.
»Wie lange wird sie noch leben?« fragte ich, die Augen schließend.
»Sie stirbt!«
In diesem Augenblick erstarrte etwas in mir, wurde zu Stein. In diesem Augenblicke starb die Hoffnung in mir, und mit ihr der Glaube an mich, an das Glück, an das Gute. Eine große Ruhe kam über mich. Der Tod, der über dem Bette schwebte, hatte den düsteren Fittich auch um meinen Leib geschlagen. Mit der Klarheit einer Seherin erblickte ich das, was mir vom Dasein noch blieb, schleierlos vor meinen Blicken ausgebreitet. Als eine Tote sollte ich fortan auf Erden wandeln, als eine Tote mich ans Leben klammern, als eine Tote das Glück mir nahen sehen, das mir doch ewig verloren war.
Robert trat auf mich zu und umarmte mich. Ich ließ es ruhig geschehen, ich fühlte nichts mehr.
Dann setzte ich mich dicht an das Bett der Schwester und sah sie an – ihren Tod erwartend.
Aufmerksam verfolgte ich jedes Symptom des langsamen Erlöschens. Mir war, als hätte mein Bewußtsein sich von mir losgelöst, als sähe ich mich selber wie ein Steinbild dasitzen und der Sterbenden ins Antlitz starren.
Kein Fieberwahn, keine krankhafte Selbstbeschuldigung störte nun mehr den Lauf meiner Gedanken. Daß mein Wunsch nicht in Wahrheit die Kraft haben konnte, ihr den Tod zu bringen, das war mir nun klar, und doch – für mich und mein Gewissen blieb es allein der Wunsch, der sie getötet hatte.
So saß ich, als ihre Mörderin, an ihrem Bette und wartete auf ihren Tod, der auch der meine war.
Es dauerte lange. Die Stunden des Tages vergingen, sie lebte immer noch. Ihr Puls schlug schon lange nicht mehr, ihr Herz schien stille zu stehen, und noch immer flog der Atem in leisen, rapiden Stößen aus und ein. Man hatte ihr, während ich im Morphiumschlafe lag, als letztes Rettungsmittel eine Moschusinjektion gemacht, ihre Kräfte noch einmal zu beleben. Davon zehrte sie nun. Der Moschusdunst aber, vermischt mit den Karboldämpfen, erfüllte wie ein schwerer, greifbarer Körper das Zimmer, drückte auf meinen Scheitel und preßte mir die Schläfe zusammen. Mir war, als sog ich mit jedem Atemstoße aufquellende Lasten in mich hinein.
Am Nachmittage kamen Roberts Eltern. Ich, die ich der Tante noch gestern nur Stolz und Mißachtung gezeigt hatte, küßte ihr heute in Demut die Hand. Das war der Beginn der Buße, die ich mir an Marthas Sterbelager auferlegt hatte und die dauern soll, solange ich lebe.
Es wurde Abend. Martha atmete noch immer. Mit weitgeöffnetem Munde, die erstorbenen Augen von einer Schleimschicht überzogen, stierte sie mich an. Ihr Körper schien immer kleiner und kleiner zu werden, ganz zusammengeschrumpft lag sie da. Es schien fast, als wage sie nicht, sich im Tode den geringen Platz zu gönnen, den sie im Leben eingenommen hatte.
Die Tante erfüllte das Haus mit ihrem widrigen Geschluchze, auch die Andern weinten; nur ich blieb tränenlos.
Als sie gegen elf Uhr den letzten Atemzug getan hatte, fiel ich in Raserei.
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Eben kehre ich von der Burg zurück.
Er war lieb und gut zu mir, und in seinen Augen glomm eine halbversteckte, schüchterne Zärtlichkeit, die meine Seele gierig in sich aufsog. Mir ist zumute, als müßte ein neuer Frühling kommen, in meinem Herzen lächelt's und lacht's, und wenn ich die Augen schließe, tanzen goldene Sonnenstrahlen um mich herum.
Aber nun sei's genug mit dem schlaffen Glücksgefühl.
Wenn er mich lieben lernte, um so schlimmer für ihn! Ich gab ihm keinen Anlaß – wahrlich nicht! Ich müßte ausspeien vor mir wie vor einer verworfenen Dirne, hätt' ich's getan. Ich habe seit meiner Genesung mehr als ein Jahr lang treu und ehrlich sein Haus verwaltet – ohne den Anspruch, ihm zu gefallen, ohne den Wunsch, ihm unentbehrlich zu sein. Und doch bin ich's geworden. Das hat ja selbst meine Frau Tante einsehen müssen, die mir ihre Gastfreundschaft beinahe aufzwingt, so verhaßt ich ihr persönlich bin. Sie ist eine viel zu gute Wirtin, um nicht zu wissen, daß ohne mich die Wirtschaft zugrunde gegangen wäre in jenen Tagen, da Robert in dumpfer Trauer um die Tote vor sich hinstarrte, teilnahmlos selbst für das Kind, das sie ihm als Pfand gelassen. Ohne mich läge auch das arme Würmchen längst unter der Erde. – – Ich will nicht aufzählen, was ich in dieser Zeit geschafft und erarbeitet habe. Es ziemt sich wahrlich nicht für mich, die Pharisäerin zu spielen.
Auch von Sühne will ich nicht reden. Wie pomphaft klingt das Wort, und welch ein elender Selbstbetrug pflegt dahinter zu stecken! Wie soll ich abwaschen, was mich besudelt? Man sühnt eine tragische Schuld, ein großes Verbrechen selbst sühnt man, doch eine Gemeinheit, wie ich sie begangen habe, bleibt ewig an der Seele kleben.
Und wenn ich nicht wüßte, welch ein geheimes Begehren im Grunde meines Herzens lauert!
Wozu verlangte ich sonst, rein dazustehen vor meinem Gewissen, als um ihm einst angehören zu dürfen? Als wenn nicht das ewige Schicksal selbst eine Mauer zwischen uns aufgerichtet hätte, die von den Tiefen ihres Grabes bis zu den Sternen reicht!
Und wenn ein Dämon ihm jemals den Rat ins Ohr flüsterte, die Hand nach mir auszustrecken, was könnte ich Andres tun, als ihn von mir zu weisen wie einen Verwegenen? – Doch er wird es nie. Ich habe ihn fernzuhalten gewußt. Mag er glauben, ich denke gering von ihm, mag er glauben, ich sei hochmütig und in Eigenliebe erstarrt, ich werde das Geheimnis meines Herzens zu wahren wissen.
Wenn nur eines nicht wäre!
Manchmal, besonders zur Nachtzeit, wenn ich in das Dunkel starre, kommt ein Begehren über mich mit so wahnwitziger Gewalt, daß ich glaube, darin untergehen zu müssen. Es packt mich wie ein Fieberrausch, es umnebelt mir die Sinne und läßt das Blut in meinen Adern kochen, es ist das Begehren, einmal nur an seinem Halse zu liegen und mich dort auszuweinen nach Herzenslust. Denn mir sind in jenen Nächten die Tränen versiegt. Ich habe nicht mehr weinen können seit dem Tage, da ich Martha auf dem Krankenlager liegen fand.
Vierzehn Tage später.
Es ist geschehen. – Er liebt mich. Er ist gekommen, um mich zu werben. Nun weiß ich, daß es eine Sühne gibt! – Wenn diese Qualen nicht rein brennen! – – Jesus, ich habe den Kinderglauben an dich verloren, aber du warst Mensch, du littest wie ich – dich fleh' ich an – nein, das ist Wahnwitz! – Besinne dich, Weib – nimm dich zusammen. Gibt es nicht eine ewige Ruhe, in die du dich flüchten darfst nach freiem Entschlusse, wenn deine Kraft dem Jammer dieses Lebens nicht mehr gewachsen ist? – Wer hält dich zurück?
Er liebt mich. – Ich hab's erreicht. – Doch, damit er mich liebe, mußte erst Martha zugrunde gehen, mußte ich selbst in einem Abgrund von Schuld und Schmach versinken, aus dem keine Macht des Himmels und der Erde mich erretten kann.
Tot bin ich. – Tot soll mein Wünschen und mein Hoffen sein, und das widerspenstige Blut, das siedend aufwallt bei dem Gedanken an ihn – ich will es schon zur Ruhe zwingen; und wenn nicht – –
Oh, wie er vor mir stand, schüchtern Wort für Wort hervorpressend, wie sein Auge scheu und hilfebittend das meine suchte und doch kaum wagte, sich vom Boden zu erheben, wie er in seiner Beklommenheit die Bartenden um die Finger wickelte und mit dem Fuße aufschlug, wenn er das rechte Wort nicht finden konnte! Oh, du mein armes, liebes großes Kind, sahst du denn nicht, wie's mir in allen Gelenken zuckte, auf dich loszustürzen und dich festzuhalten für Zeit und Ewigkeit, sahst du denn nicht, wie meine Lippen bebten in der Versuchung, sich auf die deinen zu pressen und dort zu hangen bis zum letzten Atemzug?
Sahst du das alles nicht?
Mußtest du den Worten glauben, die ich, halb ohne Besinnung, zu dir sprach? Mein Herz weiß nichts von ihnen, ich schwör' es dir. Ich liebe dich, solang' ich denken kann – mein letzter Hauch wird ja dein Name sein.
Und pfui, wenn du meinem Vorwand Glauben schenktest! Ich dich einer Reichen lassen! Dich, für den ich betteln möchte auf den Straßen, für den ich mir die Augen wund und die Finger blutig nähen möchte, wenn du es brauchtest!
Denkst du an jene Nacht im Elternhause, als du um Martha warbst? Denkst du daran und darfst mir den Schimpf antun, meiner elenden Ausrede zu trauen?
Und als ich dir zum Abschiede die Hand gab, warum mußtest du mir da so traurig und so demütig ins Auge schauen? Wußtest du nicht, daß dieser Blick mich nun quälen wird Tag und Nacht, wie der Vorwurf einer schweren Schuld, die ich an dir begangen?
Nein, mein Freund, du bist der einzige auf Erden, der mir nichts vorzuwerfen hat. An dir hab' ich ehrlich gehandelt – und am ehrlichsten heute, wenn du auch nie so unerhört betrogen wurdest wie heute!
Dürft' ich's dir nur sagen, wie lieb ich dich hab'! Wie gern wollt' ich sterben noch in derselben Stunde. Einmal an deinem Halse hängen – einmal den Kopf an deiner Schulter bergen und weinen, weinen – Blut und Tränen weinen!
Du mußt mich nie wieder so ansehen, mein Riese, als ob ich dich mit Recht verschmäht hätte, als ob du zu schlicht und zu schlecht wärest für mich – ich weiß nicht, was ich dann tue! – Gott schütze dich vor mir und meiner Liebe!
Acht Tage später.
Und nun hab' ich's doch getan. – An seinen Hals hab' ich mich geworfen, an seinen Küssen hab' ich mich satt getrunken, in seinen Armen hab' ich mich satt geweint!
Ich bin ruhig – ganz ruhig. Was das Leben mir Sünderin an Glück noch bieten konnte, ich hab' es genossen.
Doch was nun?
Stundenlang steh' ich nun schon vor der letzten, großen Frage: Fliehen oder sterben?
Eins oder das Andre muß diese Nacht geschehen; denn morgen wird er kommen, mich an Marthas Grab zu führen.
Ehe ich ihm dorthin folge, eher sterb' ich!
Doch ich will selbst annehmen, ich wäre Heuchlerin genug, nicht an dem Grabe niederzusinken und ihm alles zu gestehen, ich will annehmen, ich erstickte nicht an dem Grauen vor mir selber, ich fände den elenden Mut, ihm als sein Weib zu folgen, – welch ein Leben würd' ich führen an seiner Seite?
Was hilft es, sich anzuklammern an ein Glück, das man sich längst verscherzte? – Würde ich nicht daherschleichen wie eine arme Sünderin auf ihrem letzten Gange, ewig gemartert von der Angst, mich ihm zu verraten – und dennoch von dem Verlangen erfüllt, meine Schuld in alle Welt hinauszurufen? Wie soll ich schlafen in dem Bette, aus dem heraus ich sie ins Grab gewünscht habe, wie soll ich wachen zwischen den Wänden, auf denen mit Flammenschrift noch immer geschrieben steht:
»O möchte sie sterben!«
Ich will ganz ruhig und vernünftig mit mir reden, wie's einem geziemt, der das Fazit seines Lebens zieht.
Daß ich sein Weib nicht werden kann, das weiß ich wohl.
Fliehen? – Was soll ich in der Fremde? Ich kenne sie. – Kenne die Menschen und verachte sie. Sie haben mir Übles getan, sie werden mich auch ferner quälen. Aller Glaube, alle Liebe, alle Hoffnung, die mir noch übrig sind, ruhen einzig in ihm.
Also sterben! – Die Morphiumflaschen stehen wohlverwahrt im Winkel meines Schubfaches. Mir hat wohl geahnt, daß ich sie einst brauchen würde, als ich sie mir, dem alten Ohm Doktor zum Trotz, heimlich absparte. Die paar Stunden Schlaf, die ich dadurch verlor, bringen sich nun reichlich wieder ein.
Noch einen Brief an den Ohm Doktor, er soll mein Erbe und mein Mitwisser sein. Vielleicht, daß er mir hilft, die Tat zu vertuschen, damit Robert nichts davon ahne.
Ihm nicht einen Gruß. – Das ist das Schwerste, aber es muß sein.
– – – Ich bin heimlich hinausgelaufen und habe den Brief in den Kasten geworfen. Der Wächter blies Mitternacht. – Wie leer, wie dunkel die ganze Welt. – In den Linden schauert der Wind. Hie und da schimmert trübselig ein Licht, als leuchte es geheimen Sorgen. – Ein Betrunkener kam brüllend des Weges und wollte mich anfallen. – Dunkel, Not und Roheit draußen – drinnen Schuld und nie zu stillende Sehnsucht – das wäre meine Zukunft. Wahrlich, dieses Leben hat mir nichts mehr zu bieten.
Man spricht und schreibt so viel von der Angst des Todes. Ich spüre nichts davon. Mir ist nun wohl, daß ich mich satt geweint habe. – Die verhaltenen Tränen lasteten schwer auf mir. – Und Weinen macht schläfrig, sagt man. Gute Nacht!
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