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Über ein paar alte Münzen

Man findet Münzen von den Königen Mostis, Sarias Abdissar und der Königin Philistis. Das Gepräg einiger verrät eine nicht gemeine Veredlung der Kunst. Künste folgen nur auf die Erfindung der Notwendigkeiten, und der Gebrauch des Geldes setzt Verfeinerung der Begriffe, eine gesellschaftliche Verfassung, gemilderte Sitten und Gesetze voraus. Also herrschten diese Könige nicht über Barbaren. Aber ihr Leben, selbst der Name ihrer Länder ist aus der Geschichte vertilgt; kein Chronolog weiß sie in irgendein Verzeichnis einzupassen.

An ihrem Hofe blähten sich unstreitig sehr wichtige Männer; Minister wachten und Helden kämpften, alle für die Unsterblichkeit; manches Genie rührte mit seinem Nacken an die Sterne und sah auf sein Zeitalter verächtlich herab. – Alle diese Unsterblichen mit ihrem Gewühl und Schriften und Taten sind verschlungen im Abgrund des Nichtseins! Und ihr – emporgejauchzte Ephemeren eines Tages, ihr Belustiger müßiger Knaben, ihr Gaukler um Blumen und Mädchen und Fluren, ihr Tongeber eines kleinen Zirkels eines kleinen Teils einer kleinen Provinz – euch wandeln schon Schauer der Ewigkeit an? Ihr ahndet Wonnedank künftiger Geschlechter? für Witz, der wie ein Regenbogen nur schimmert, solang die Tropfen noch schweben? Mancher unter euch reckte schon vom Thron herab gefällig die Hand nach dem Kranze und beugte sich vorwärts, wollte haschen das Dunstbild und – fiel, und fällt jahrtausendelang, und man nennt seinen Namen nicht mehr; recht wie der Ritter von St. nbsp;Georg in Schottland durch offne Briefe den Tag seiner Krönung feierlich ansetzte und – eh der Tag ankam, schon auf allen vieren durchs Wacholdergebüsch an seinen Kahn kroch.

Fähnleinweise zogen sie hinab nach den Wohnungen des Orkus, Schäfer und Barden und Empfindler und Krittler; bald folgen ihnen Ebenteurer und Ritter und die borstigen, ungekämmten Kalibanen und die kraftgefühlvollen Patagonen – ohne Waden. Wer ist unter euch, »cuius aetas quartum trepidavit claudere lustrum?« Und doch ist Montesquieu euch nur ein Witzling, Voltaire ein elender Radoteur, Diderot ein Schwärmer, Pope ein Franzos, Addison ein moralischer Schwätzer und die größten Geschäftsmänner aller Zeiten ein kaltblütiger Haufen, der nur zum Handeln, zur Tätigkeit taugt – also nichts taugt.

Unserm Volk, unserm Jahrzehent allein erschienen die Vertrauten der Götter – zermalmten die eisernen Fessel der Regel und stürzten die verehrten Idolen von ihren hohen Altären, gewannen lieb die Matrone Natur, zeugten mit ihr Kinder, heißen Werke des Genies, und die Matrone buhlt nur in ihrem Kränzchen herum wie ein otaheitisches Kebsweib.

Lieber Jünger, wenn dich eine Laune des Volks auf irgendeinem Jahrmarkt für den Wundermann ausruft, erhebe dich dessen nur wenig! Mag sein, daß du heute deine Tinktur für gediegenes Gold austropfest, wird aber nicht immerhin dauern; denn das Volk kömmt und geht wie Ebbe und Flut und verläßt zuweilen den kaiserlich-privilegierten Operator und läuft nach der weisen Frau bei Hannover. Diese Frau, Mama genannt, hat, allen Wunderverleumdern zum Trotze, ohne Teufel unglaubliche Kuren vollbracht, und das im Jahr Eintausendsiebenhundertundsiebenundsiebenzig; ich schreibe mit Buchstaben, damit kein künftiger Kommentator die Zahl Tausend als einen Druckfehler wegstreicht. Es war um die Zeit, als in Spanien die Inquisition sich wieder erhob, als in Portugal die Nuntiatur ihre Bude wieder aufschloß, als in Neapel der Zelter wieder überreicht ward, als man in Frankreich ein Parlamentsdekret gegen die Jesuiten unterdrückte, als in England der Doktor Meyersbach mit Arzneien, aus Bleizucker zwanzigtausend Pfund Sterling gewann, als man in Deutschland Jakob Böhmen für ein Genie erklärte und keine neue Wahrheit mehr bewies, sondern fühlte – alle dem gingen nahe vorher Schröpfer und Gaßner und Mesmer. Es dämmert eine sanfte Abendröte im aufgeklärten Europa.

Alsdann stehst du einsam und frierst, in deiner allen Winden offnen Bude, mitten unter deinen Murmeltieren und Affen, Robert, es vermahnt uns beide der heutige Text« usw. oder predigst wie Swift in der leeren Kirche zum Küster: »Meister Wenn du rührst und gefällst in deinem Kirchspiel, wage dich nicht gleich auf die größere Bühne, das Lächeln, die Tränen deiner Nachbarin sind noch nicht Huldigung deiner Nation; und du träumst schon zu wirken auf fremde Völker, auf die Folgezeit.

Dein Vaterland teilt oft verschwenderisch genug sein Eichenlaub aus, nimmt's aber zurück, wenn es näher beäugt und entkleidet hat die vornehm aufgestutzte Trivialität.

Eine menschenfreundliche, biedre Tat, welche deinem Bruder frommt und gedeiht, ist verdienstlicher als deine Herkulesarbeit zum Besten der Welt. Sei Mann deines Weibes, Vater deiner Kinder, Bürger deines Städtchens, und lehre nicht gleich die Fürsten regieren. Das allgemeine Wohl hängt wahrlich nicht am Faden in der Hand irgendeines Genies, sondern tausend Räder wälzen sich unaufhaltsam fort, und das Universum wandelt unter dem Finger Gottes. Geister, die zerrütteten, umschafften, bildeten, sind zum Glück der Erde nur selten. Ja, wenn du die Geschichte nicht bloß an ihren Zipfeln anfassest, wenn du nicht mit Einfällen über ganze Perioden hinfährst, sondern kalt und geduldig wägest und prüfst, so findest du, daß die Halbgötter alle durch Glück und Zufälle mächtiger wirkten als durch eigentümliche Kraft; denn glaube mir: Brobdingnace an Weisheit und Tugend, ungeheure Dimensionen gibt es unter den Sterblichen nicht. Nachruhm ist ein blind geworfenes Los, das aus der Schale des Schicksals nicht immer auf den Würdigsten fällt. Alfred und Titus sind weniger bekannt als Pontius Pilatus. Und was ist vollends Schriftstellernachruhm? in unsrer allzulebendigen Sprache, die, ewig veränderlich, Bedeutungen und Wörter auswirft und aufnimmt? Hätte die Religion nicht die Sprache der Alten erhalten, wo wären Homer und Virgil?

»Omnes una manet nox
Et calcanda semel via leti.«

Denkt an die vortrefflichen Männer am Hofe der Königin Philistis!


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