August Strindberg
Die Inselbauern
August Strindberg

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Fünftes Kapitel

Man schlägt sich beim dritten Aufgebot, geht zum Abendmahl und hält Hochzeit, kommt aber doch nicht ins Brautbett.

Dass niemand besser ist, als wenn er stirbt, und keiner schlechter, als wenn er sich verheiratet, musste Carlsson bald erfahren. Gustav hatte gebrüllt wie ein hungriger Seehund, hatte drei Tage lang, während Carlsson eine kleine Reise unter irgend einem Vorwand unternahm, getobt.

Der alte Flod. wurde aus der Erde ausgegraben und nach allen Seiten gewendet, um für den besten Menschen erklärt zu werden, der bisher geschaffen worden. Dagegen kehrte man Carlsson um wie alte Kleider, um ihn auf der innern Seite voller Flecken zu finden. Man entdeckte, dass er Bahnarbeiter und Reiseprediger gewesen, von drei Stellen fortgejagt worden, einmal ganz sicher geflüchtet, einmal, nach nicht verbürgter Angabe, wegen Schlägerei bestraft worden sei.

Das alles hielt man Frau Flod unter die Nase; aber die Flamme war nun einmal entzündet, und mit der Aussicht, dass der Witwenstand zu Ende sei, schien die Alte wieder aufzuleben und sich ein dickes Fell anzulegen, dass sie alles vertragen konnte.

Die Feindseligkeiten gegen Carlsson hatte ihre Wurzel darin, dass er, der Fremdling, jetzt durch die Heirat in Besitz dieses Stückes Landes kommen sollte, das die Eingeborenen gewissermassen als ihr Eigentum betrachtet hatten.

Da die Alte wahrscheinlich noch manches Jahr leben würde, verringerten sich des Sohnes Aussichten, einmal sein eigener Herr zu werden; und seine Stellung auf dem Hof würde künftighin wohl die eines Knechtes sein, und zwar unter der Vormundschaft und dem guten Willen des frühern Knechtes. Es war also ganz natürlich, dass der Abgesetzte raste. Er gab der Mutter scharfe Worte, drohte zur Polizei zu gehen, Anzeige zu machen und den künftigen Stiefvater fortjagen zu lassen.

Noch böser wurde er, als Carlsson von seiner kleinen Reise im schwarzen Sonntagsrock und der Seehundsmütze des seligen Flod zurückkam, die er bei der ersten zärtlichen Gelegenheit als Morgengabe erhalten hatte. Gustav sagte nichts, bestach aber Rundqvist, Carlsson einen Schabernack zu spielen.

Eines Morgens, als man sich an den Frühstückstisch setzte, lag auf Carlssons Platz ein Handtuch, das eine Menge unsichtbarer Dinge verbarg. Carlsson, der nichts Böses ahnte, hob das Handtuch auf und sah sein Tischende mit all dem Plunder gedeckt, den er in seinen Sack gesammelt und unter dem Bett auf seiner Kammer verborgen hatte. Da standen leere Hummerbüchsen. Sardinendosen, Champignonkrüge, eine Porterflasche, unendlich viel Korke, ein gesprungener Blumentopf und anderes mehr.

Ihm wurde grün in den Augen; er wusste aber nicht, gegen wen er losbrechen sollte.

Rundqvist verhalf ihm zu einem Ableiter, indem er erklärte, das sei ein üblicher »Spass« in der Gegend, wenn sich jemand verheirate.

Unglücklicherweise kam Gustav gerade hinzu, um sein Erstaunen auszusprechen, dass der Lumpensammler so früh im Herbst gekommen, während er sonst sich nicht vor Neujahr zu zeigen pflege. Gleichzeitig griff Norman ein, um zu erklären, es sei kein Lumpensammler da gewesen, das seien Carlssons Andenken an Ida; mit denen habe Rundqvist dem Carlsson einen Streich spielen wollen, da es jetzt zwischen den beiden aus sei.

Nun fielen scharfe Worte. Das Ende war, dass Gustav zur Pfarre segelte. Dort gelang es ihm, Carlssons Hochzeit auf sechs Monate zu verschieben, da dessen Papiere nicht in Ordnung waren.

Das war für Carlsson ein Strich durch die Rechnung. Doch er suchte den, so gut er konnte, wieder auszukratzen, indem er sich einen Ersatz verschaffte.

Zuerst hatte Carlsson seine neue Stellung feierlich aufgefasst; als das aber übel ablief, beschloss er, sie wenigstens den Leuten auf dem Hof gegenüber scherzhaft zu nehmen. Das gelang ihm auch, nur mit Gustav nicht; der unterhielt beständig einen unterseeischen Kampf, ohne irgend ein Zeichen zur Versöhnung blicken zu lassen.

So verging der Winter, langsam und still. Man haute Holz, flickte Netze, fischte auf dem Eis. Dazwischen spielte man Karten und trank Kaffeehalbe. Feierte Weihnachten durch einen Schmaus. Lag der Vogeljagd ob.

 

Es wurde wieder Frühling. Der Eiderstrich lockte aufs Meer hinaus; aber Carlsson setzte alle Kräfte an die Bestellung, um auf eine gute Ernte rechnen zu können. Die war nötig, um den Ausfall zu ersetzen, den die Hochzeit bringen würde; besonders da man die Absicht hatte, eine grosse Hochzeit zu halten, an die man noch Jahre lang denken sollte.

Mit den Zugvögeln kamen auch die Sommergäste. Der Professor nickte freundlich wie im vorigen Jahr und fand, es sei alles »schön« wie früher, besonders dass man Hochzeit halte. Glücklicherweise war Ida nicht dabei. Sie hatte im April den Dienst verlassen und sollte sich bald verheiraten. Ihre Nachfolgerin war nicht besonders anziehend; auch hatte Carlsson zu viel Eisen im Feuer, um sich mit ihr einzulassen; zumal er das Spiel in der Hand hatte und nicht geneigt war, es zu verlieren.

Am Mittsommertag wurden sie aufgeboten und die Hochzeit sollte zwischen Heumahd und Kornernte stattfinden; dann war immer eine Ruhepause in der Arbeit, sowohl zu Land wie zur See.

Nach dem Aufgebot machte sich eine Aenderung in Carlssons Wesen bemerkbar, die nicht gerade angenehm war. Frau Flod war die erste, die sie zu empfinden hatte. Nach der Sitte des Landes hatten sie seit der Verlobung wie verheiratete Leute gelebt; und der Bräutigam, den der Aufschub bedrohte, wusste sein Benehmen immer nach den zwingenden Umständen einzurichten. Als die Gefahr aber vorüber war, trug er den Kopf hoch und zeigte die Klauen.

Das machte jedoch auf Frau Flod, die sich ebenfalls sicher fühlte, keinen andern Eindruck, als dass sie auch die Zähne zeigte, so viel sie noch hatte. So gerieten sie am Tage des dritten Aufgebots an einander.

Die ganze Bevölkerung der Insel ausser Lotte war nach der Kirche gefahren, um das Abendmahl zu nehmen. Wie gewöhnlich hatte man das kleinste Boot genommen, um, falls man rudern musste, so wenig Mühe wie möglich damit zu haben. Es war also eng im Boot, zumal man Proviant, Fische für den Pastor und Lichter für den Küster mitführte; ausserdem hatte man alle möglichen Kleidungsstücke zum wechseln mitgenommen; ganz abgesehen von Segel und Riemen, Schöpfgefässen und Eimern, Schemeln und Tritten.

Nach Gewohnheit hatte man ein besseres Frühstück gegessen; hatte einander aus Krügen und Flaschen zugetrunken. Heiss war es auch auf See, und niemand wollte rudern; ein kleiner Streit brach unter den Männern aus, von denen keiner Lust hatte, schwitzend in die Kirche zu kommen. Die Frauen traten dazwischen; und als man in die Kirchbucht kam und die Glocken hörte, die man seit Jahr und Tag nicht vernommen, wurde der Zwist beigelegt.

Es läutete erst zum erstenmal; man hatte also noch viel Zeit. Frau Flod ging darum mit den Fischen nach der Pfarre hinauf.

Der Pastor rasierte sich gerade und war bei grimmiger Laune.

– Seltenen Besuch hatte die Kirche heute, da die Hemsöer kommen, grüsste er und prüfte das Messer am Zeigefinger.

Carlsson, der die Fische trug, konnte in die Küche gehen, um sich einen Schnaps geben zu lassen.

Dann ging man mit den Lichtern zum Küster; und dort gab es auch einen Schnaps.

Schliesslich trafen sich alle vor der Kirche, sahen sich die Pferde des Grossbauern an, lasen die Grabsteine und begrüssten Bekannte. Frau Flod machte dem Grabe Flods einen Besuch, während Carlsson beiseite ging.

Als es zum letzten Male geläutet hatte, trat die Gemeinde in die Kirche ein.

Da die Hemsöer, nachdem die alte Kirche verbrannt war, keinen eigenen Kirchenstuhl hatten, mussten sie auf dem Gang stehen. Heiss war es, und fremd fühlten sie sich in dem grossen Raum; aus reiner Verlegenheit schwitzten sie; sie sahen aus wie eine Bande aus der Besserungsanstalt.

Die Uhr wurde elf, ehe man zum Kanzellied kam; die Hemsöer hatten einige zwanzig Male die Beine umgestellt und die Füsse gewechselt. Die Sonne schien so heiss in die Kirche, dass der Schweiss ihnen von den Stirnen perlte; aber sie standen wie in einer Zange und konnten sich nicht nach einem schattigen Fleck retten.

Da kommt der Kirchendiener und setzt Nummer 158 des Gesangsbuchs ein. Die Orgel spielt ein Vorspiel und der Küster beginnt mit der ersten Strophe. Die wird mit Lust und Leben gesungen, da man unmittelbar nach ihr die Predigt erwartete. Aber siehe, es kommt Strophe zwei und drei.

– Es kann doch nicht sein Ernst sein, alle achtzehn durchzunehmen? flüsterte Rundqvist Norman zu.

Aber es war Ernst! In der Tür zur Sakristei war Pastor Nordströms zorniges Gesicht zu sehen, das die Gemeinde trotzig und herausfordernd anblickte; er hatte beschlossen, ihr eine gehörige Lehre zu geben, da er sie einmal unter den Händen hatte.

Und alle achtzehn Strophen wurden gesungen; die Uhr war halb zwölf, als der Pastor endlich auf die Kanzel kam. Da aber waren sie weich, so weich, dass sie auf ihr Angesicht niederfielen und einschliefen.

Lange dauerte jedoch der Schlaf nicht, denn eins, zwei, drei schrie der Pastor sie an, dass die Schlummernden auffuhren, die Köpfe in die Höhe warfen und den Nachbar dumm anstarrten, als fragten sie, ob Feuer ausgebrochen sei.

Carlsson und die Alte hatten sich so weit vorgedrängt, dass ein Rückzug nach der Tür unmöglich war, ohne Aufsehen zu erregen. Die Alte weinte aus Müdigkeit und infolge ihrer engen Stiefel, die um so ärger drückten, je höher die Wärme stieg. Zuweilen warf sie ihrem Bräutigam einen bittenden Blick zu, als flehe sie ihn an, sie an die See hinunter zu tragen; der aber war so in den Gottesdienst vertieft, wie er da in Flods weiten rossledernen Stiefeln stand, dass er die Ungeduldige nur mit bösen Blicken strafte.

Die andern dagegen waren achteraus gesackt und unter die Orgelempore gekommen; dort war es kühl und man hatte etwas Schatten. Dort entdeckte Gustav auch die Feuerspritze, liess sich darauf nieder und nahm Clara auf den Schoss.

Rundqvist lehnte sich an einen Pfeiler und Norman stand neben ihm, als die Predigt begann.

Es waren Worte und keine Lieder und sie dauerte sechs Viertelstunden. Der Text handelte von den klugen und törichten Jungfrauen; da keiner von den Mannsleuten den auf sich bezog, schlief die ganze Gesellschaft; schlief sitzend, hängend, stehend.

Als eine halbe Stunde vergangen war, stiess Norman Rundqvist, der sich die Stirn mit der Hand hielt, als sei ihm nicht wohl, an und zeigte mit dem Daumen nach Clara und Gustav auf der Feuerspritze. Rundqvist drehte sich behutsam zur Seite, sperrte die Augen auf, als sehe er den Bösen selber; schüttelte den Kopf und lächelte, als habe er verstanden. Clara hatte nämlich die Augen geschlossen und liess die Zunge hängen, als ob sie in schmerzlichen Träumen schliefe; Gustav aber starrte unverwandt Pastor Nordström an, als wolle er jedes Wort aufessen und strenge sich an, das Stundenglas rinnen zu hören.

– Aber die sind ja toll, flüsterte Rundqvist, ging langsam und vorsichtig rückwärts, behutsam mit den Fersen tappend, um nicht heftig gegen die Ziegelsteine zu stossen.

Norman aber hatte Rundqvists Gedanken schon gelesen: schnell wie ein Aal war er zum Kirchhof hinaus geschlüpft. Dorthin folgte Rundqvist ihm bald. Beide eilten dann zusammen nach dem Boot hinunter.

Draussen wehte ein kühler Seewind, und die hastig eingenommenen Erfrischungen setzten ihre Kräfte bald wieder in Stand. Leise, wie sie gekommen, kehrten sie wieder in die Kirche zurück.

Dort war Clara in des schlafenden Gustavs Armen entschlummert; die umfassten sie aber so hoch oben, dass Rundqvist sie etwas hinunterschieben zu müssen glaubte. Dabei erwachte Gustav jedoch und umfasste seinen Raub von neuem, als habe jemand ihm das Mädchen nehmen wollen.

Eine halbe Stunde dauerte noch die Predigt; und dann ging noch eine halbe darauf mit dem Kirchenlied, ehe das Abendmahl begann.

Unter starker Erregung wurden die Gnadenmittel genommen. Rundqvist weinte.

Als die feierliche Handlung zu Ende war, wollte sich Frau Flod in einen Kirchenstuhl drängen. Dabei wäre es beinahe zu einem Streit gekommen, und sie wurde aus dem Stuhl wieder hinausgewiesen. So brachte sie die letzte halbe Stunde hinter dem Stuhl des Kirchenvorstehers zu, auf den Hacken stehend, als verbrennten die Ziegelsteine ihr die Sohlen. Wie der Pastor das Aufgebot vorlas, wurde sie ganz wild, weil die Leute sie ansahen.

Endlich war alles aus, und man stürzte nach dem Boot hinunter. Frau Flod konnte nicht mehr warten, sondern zog, sobald sie die Glückwünsche vor der Kirche empfangen, ihre Schuhe aus und trug sie hinunter zum Boot. Dort steckte sie die Füsse ins Wasser und schalt Carlsson aus.

Dann warf man sich über den Mundvorrat her. Als man entdeckte, dass die Pfannkuchen fehlten, wurde Lärm geschlagen. Rundqvist hielt es für wahrscheinlich, dass sie vergessen waren; Norman meinte, jemand habe sie auf dem Hinweg aufgegessen; dabei warf er einen argwöhnischen Blick auf Carlsson.

Schliesslich stieg man ins Boot. Da aber erinnerte sich Carlsson, dass er ein Fass Teer aus dem Kirchenschuppen abzuholen habe. Das gab einen Sturm. Die Frauen schrien, sie wollten keinen Teer im Boot haben; um keinen Preis, da sie neue Kleider anhätten. Doch Carlsson holte die Teertonne und verstaute sie.

Da entstand wieder ein Leben über die Frage, wer neben dem gefährlichen Gefäss sitzen solle.

– Worauf soll man denn sitzen? jammerte Frau Flod.

– Nimm die Röcke hoch und setze dich auf den Hintern, antwortete Carlsson, der sich jetzt, nachdem er aufgeboten war, sehr viel mehr zu Hause fühlte.

– Was sagte er? zischte die Alte.

– Ja, das sage ich: setz dich ins Boot, damit wir fortkommen!

– Wer hat den Befehl auf See, möchte ich wissen? fiel Gustav ein, der fand, dass man seiner Ehre zu nahe trat.

»Und Gustav setzte sich ans Steuer, liess aufhissen und nahm die Schot in die Hand.

Das Boot war tief beladen, der Wind war äusserst schwach, die Sonne brannte heiss und die Köpfe befanden sich in Gärung. Das Boot kroch dahin »wie eine Laus auf geteerter Birkenrinde«, und es half nicht, dass die Mannsleute einen Segelschnaps nahmen.

Die Geduld verging ihnen bald und das Schweigen, das eine Weile geherrscht hatte, wurde von Carlsson unterbrochen, der die Segel reefen und rudern wollte. Das wollte Gustav aber nicht:

– Wartet nur! Sobald man aus den Kobben heraus ist, kann man schon segeln, meinte er.

Und man wartete. Schon war draussen im Gatt zwischen den Inseln ein dunkelblauer Streifen zu sehen, und man hörte die See gegen die äusseren Schären branden. Ein starker östlicher Wind war im Anzug, und Leben kam in die Segel. Gerade als man um eine Landzunge bog, kam solcher Wind, dass sich das Boot legte, wieder hoch hob und dahin schoss, dass es hinter ihm gurgelte.

Jetzt musste die ganze Gesellschaft einen Schnaps nehmen. Alle lebten auf, als das Boot guten Gang machte.

Dann aber frischte der Wind auf; das Boot lag leewärts unter Wasser, wurde aber vom Wind durchgedrückt.

Carlsson ward bange, hielt sich an den Tauen fest und bat, man solle reefen und zu den Riemen greifen.

Gustav antwortete nicht, sondern holte die Schot an, dass Wasser ins Boot kam.

Da erhob sich Carlsson, wurde wild und wollte einen Riemen auslegen. Aber die Alte packte ihn beim Rock und zog ihn nieder.

– Sitz still im Boot, Mensch, in Jesu Namen! schrie sie.

Carlsson setzte sich wieder, aber sein Gesicht war weiss. Aber er sass nicht lange, als er auffuhr und, ganz ausser sich, den Rockschoss aufhob.

– Alle Wetter, leckt der Racker! heulte er und schlug mit dem Rockschoss.

– Was leckt? fragten alle auf einmal.

– Das Teerfass!

– Herr Jesus! riefen alle und rückten von dem Teerfluss fort, der allen Bewegungen des Bootes folgte.

– Sitzt still im Boot, brüllte Gustav; sonst segle ich euch um.

Carlsson hatte sich wieder erhoben, gerade als eine Brise kam. Rundqvist sah die Gefahr, hob vorsichtig ein Tauende auf und gab ihm einen Streich, dass er niederstürzte.

Eine Schlägerei stand bevor. Frau Flod geriet ausser sich und schritt ein. Sie ergriff ihren Liebsten am Rockkragen und schüttelte ihn.

– Was ist das für ein Tropf, der noch nicht gesegelt hat? Weiss er nicht, dass man im Boot still sitzen muss?

Carlsson wurde böse, riss sich los, verlor aber ein Stück vom Rockkragen.

– Reisst du meine Kleider kaput, Weibstück! schrie er und setzte die Stiefel auf die Bootsseite, um sie vorm Teer zu schützen.

– Was sagt er? flammte die Alte auf. Seine Kleider? Von wem hat er denn den Rock gekriegt? Weibstück für solch einen Laichhering, der nichts hat ...

– Schweig, brüllte Carlsson, in seinem empfindlichsten Punkt getroffen; sonst antworte ich mit der Wahrheit!

Gustav fand, nun ging es zu weit, und stimmte einen Schottischen an; in den fielen Norman und Rundqvist ein. Das giftige Gespräch flaute ab, um auf den gemeinsamen Feind überzugehen, den Pastor Nordström, der sie fünf Stunden hatte stehen und achtzehn Strophen hatte singen lassen.

Die Flasche machte die Runde, der Wind wurde gleichmässiger, die Gemüter beruhigten sich. Die beste Stimmung herrschte, als das Boot in die Bucht einfuhr und an der Brücke anlegte.

 

Die Vorbereitungen für die Hochzeit, die drei Tage dauern sollte, nahmen ihren Anfang. Man schlachtete ein Ferkel und eine Kuh; kaufte hundert Kannen Branntwein; legte den Strömling in Salz und Lorbeerblätter; scheuerte, backte, braute, kochte, briet, mahlte Kaffee. Gustav ging während all dieser Zurüstungen mit einem geheimnisvollem Gesicht umher; Hess die andern gewähren und äusserte keinerlei Ansicht.

Carlsson dagegen sass meist vor der Klappe des Sekretärs und rechnete; fuhr nach dem Badeort Dalarö; ordnete alles an, wie ers haben wollte.

Der Tag vor der Hochzeit war da. Zeitig am Morgen packte Gustav seine Tasche, nahm die Flinte und ging. Die Mutter erwachte und fragte, wohin er wolle. Gustav antwortete, er wolle hinausfahren, um nachzusehen, ob der Badefisch schon gekommen. Damit drückte er sich.

Sein Boot hatte er mit Mundvorrat für mehrere Tage versehen; auch nahm er eine Bettdecke, einen Kaffeekessel und andere Sachen mit, die für einen Aufenthalt auf den Schären nötig waren.

Unten am Strand setzte er sofort Segel. Statt aber in die Buchten einzubiegen, um nachzusehen, ob der Kühling auf die warmen, sandigen, seichten Ufer zum »baden« hinauf gegangen sei, hielt er geradeswegs zwischen die Kobben hindurch.

Der Morgen war jetzt Ende Juli blendend klar, der Himmel blauweiss wie abgerahmte Milch; Inseln, Holme, Schären, Kobben, Riffe lagen so weich und schmelzend im Wasser, dass man nicht sagen konnte, ob sie der Erde oder dem Himmel angehörten. Ins Land hinein standen Fichten und Erlen, und auf den Landzungen lagen Sägergänse, Trauerenten, Taucher, Möwen. Nach dem offenen Meer zu waren nur Meerkiefern zu sehen, und Teiste, Alke, schwarze, papageiähnliche, schwärmten frech ums Boot, um den Jäger von den in den Bergschluchten versteckten Nestern abzuleiten.

Schliesslich wurden die Schären niedriger, nackter; und hier draussen war nur eine vereinzelte Kiefer übrig gelassen, um den Nistkasten zu tragen, in dem man Eider und Jägergänse ihre Eier legen liess; oder eine Eberesche, über deren Krone eine Wolke von Mücken sich im Wind schaukelte. Dahinter lag das offene Meer. Dort hielt die Raubmöwe ihre Jagd, in Fehde mit Seeschwalben, Möwen und Blaumänteln. Dorthin lenkte der Meeradler seinen schweren Flug, um vielleicht eine liegende Eiderente zu packen.

Dorthin, nach der letzten Schäre, steuerte jetzt Gustav, an der Ruderpinne dösend, die Pfeife im Mund. Von einer lauen südlichen Brise liess er sich schleppen; gegen neun ging er auf der Schäre Norsten an Land.

Es war eine felsige Insel, einige Morgen gross, mit einer Talmulde in der Mitte. Einige kahlköpfige Ebereschen standen zwischen den Steinen; auch wuchs der prachtvolle Spindelbaum mit seinen feuerroten Beeren in den Klüften; und die Talmulde war mit einer dichten Matte aus Heidekraut, Krähenbeere, Multebeere bedeckt; die letzten hatten angefangen, gelb zu werden. Vereinzelte Wachholderbüsche lagen wie platt getreten an den Felsen und schienen sich mit den Nägeln festzuhalten, um nicht fortgeweht zu werden.

Hier war Gustav zu Hause; kannte jeden Stein; wusste, welchen Wachholderbusch er heben musste, um die brütende Eider zu finden, die sich den Rücken streicheln liess und ihn ins Hosenbein biss. Er steckte seine Gabelstange in einen Bergspalt und zog die Alke heraus, um ihnen den Hals umzudrehen, da er sie zum Frühstück haben wollte.

Hier draussen fischten die Hemsöer ihre Strömlinge. Hier hatten sie zusammen mit einer andern Fischergesellschaft einen Schuppen gebaut, in dem sie Nachtherberge zu nehmen pflegten. Dorthin lenkte auch Gustav seine Schritte, nahm den Schlüssel von seinem gewöhnlichen Ort unterm Dachbart und trug seine Gerätschaften hinein. Der Schuppen bestand nur aus einem Raum ohne Fenster, hatte aber Bettkojen, die fachförmig übereinander aufgeschlagen waren; einen Herd, einen Tisch, einen Dreifuss zum sitzen.

Nachdem er seine Sachen verstaut hatte, kletterte er nach dem Dach hinauf, um die Schornsteinluke zu öffnen. Als er wieder herunter kam, holte er die Streichhölzchen von ihrem Platz unter einem Balken und machte Feuer im Herd; dort hatte der letzte Besucher, nach altem Brauch, einen Arm voll Brennholz für seinen Nachfolger zurecht gelegt Dann setzte er den Kartoffelkessel auf, und legte einige gesalzene Fische über die Kartoffeln. Während er wartete, rauchte er eine Pfeife.

Als er gegessen und getrunken hatte, nahm er die Flinte und ging zum Boot hinunter, wo er die Lockvögel hatte. Ruderte die hinaus und verankerte sie vor einer Landzunge. Kroch dann in die Schiesskoje, die aus Steinen und Reisig gebaut war.

Die Lockvögel schaukelten auf den langen Wellen, die hereinbrachen, aber keine Eider fielen ein. Das Warten wurde ihm lang, und er ermüdete. Trieb sich auf den Strandsteinen umher, um eine Otter aufzuscheuchen; sah aber nur schwarze Nattern und Wespennester zwischen glänzendem Weiderich und vertrocknetem Sandhafer.

Es schien ihm aber auch nichts daran zu liegen, etwas zu bekommen; er trieb sich mehr herum, um sich herumzutreiben; um nicht daheim sein zu müssen; es machte ihm Vergnügen, sich hier draussen herumzutreiben, wo niemand ihn sah, niemand ihn hörte.

Nach dem Mittagessen legte er sich in den Schuppen nieder und schlief.

Zur Vesperzeit ruderte er mit der Dorschleine hinaus, um sein Glück auf diese Art zu versuchen. Die See lag jetzt blickstill, und er sah, wie sich das Land gleich dünnem Rauch in der goldenen Strasse der sinkenden Sonne ausstreckte. Es war still um ihn wie in einer windstillen Nacht, und er hörte das Dunken der Ruderdollen meilenweit. Die Seehunde badeten in gehöriger Entfernung, steckten ihre Schwachköpfe aus dem Wasser, blökten, pusteten und tauchten wieder unter.

Der Dorsch biss wirklich; es gelang Gustav einige Weissbäuche heraufzuholen, die mit ihrem grossen aber ungefährlichem Schlund nach Wasser schnappten und mit ihren Augen in der Sonne blinzelten, als sie aus ihrer dunkeln Tiefe hervorgeholt wurden und über die Reling ins Boot sprangen.

Gustav hatte auf die nördliche Schäre zu gehalten; als es schnell Abend wurde und er wendete, um zurückzufahren, merkte er erst, dass der Schornstein des Schuppens rauchte. Er fragte sich, wer das sein könne, und machte, dass er so schnell wie möglich hin kam.

– Bist dus? hörte er von innen und erkannte die Stimme des Pastors.

– Nein, Sie sinds, Herr Pastor, rief Gustav erstaunt, als er den Geistlichen am Herdfeuer sitzen und Heringe braten sah. Sind Sie allein draussen?

– Ich bin herausgefahren, um Dorsch zu fischen; ich habe auf der Südseite gesessen, deshalb habe ich dich nicht gesehen. Aber warum bist du nicht zu Hause und hilfst die Hochzeit rüsten?

– Ich werde die Hochzeit' nicht mitmachen, meinte Gustav.

– Ach Geschwätz, warum willst du sie nicht mitmachen ?

Gustav erklärte, so gut er konnte, seine Gründe; aus denen ging hervor: er wollte einmal ein Fest nicht mitmachen, das ihm widrig war; zweitens wollte er den brandmarken, der sein Widersacher war.

– Aber deine Mutter? wandte der Pastor ein; ist es nicht schade um sie, so blossgestellt zu werden ?

– Das kann ich nicht finden, antwortete Gustav. Es ist eher schade um mich: ich kriege diesen Knoten zum Stiefvater und kann den Hof nicht erben, solange der darauf sitzt.

– Ja, mein Junge, das ist jetzt nicht mehr zu ändern; vielleicht aber kann man später einmal was dabei machen. Jetzt musst du morgen ganz früh dein Boot nehmen und heimsegeln. Die Hochzeit musst du jedenfalls mitmachen!

– Daraus wird nichts, da ichs mir einmal in den Kopf gesetzt habe, versicherte Gustav.

Der Pastor liess den Stoff fallen und fing an, auf dem Herdstein seine Heringe zu essen.

– Du hast wohl keinen Schnaps bei dir? begann er von neuem. Siehst du, meine Alte schliesst alles Starke ein, und ich kriege so früh nichts.

Gustav hatte Branntwein. Der Pastor nahm sich einen gehörigen Schluck. Darauf wurde er gesprächig und schwatzte alles mögliche über die Angelegenheiten des Kirchspiels, sowohl die äusseren wie die innern.

Auf den Steinen vorm Schuppen sitzend, sahen sie die Sonne untergehen und die Dämmerung sich wie ein melonenfarbiger Nebel über Kobben und Wasser legen. Die Möwen gingen auf der Tangbank zur Ruhe, und die Krähen zogen nach den inneren Schären, um in den Wäldern Nachtquartier zu suchen.

Es ward Zeit, zu Bett zu gehen. Erst aber mussten die Mücken aus dem Schuppen verjagt werden. Zu diesem Zweck wurde die Tür geschlossen und der Raum mit »Schwarzem Anker« vollgeraucht; darauf wurde die Tür wieder geöffnet und die Jagd mit Ebereschenzweigen angestellt.

Die beiden Fischer warfen die Röcke ab und kletterten in ihre Kojen.

– Jetzt musst du mir noch einen Flohschluck geben, bettelte der Pastor, der schon sein gehöriges Teil erhalten hatte.

Auf dem Bettrand gab Gustav ihm die letzte Oelung. Dann wollte man schlafen.

Es war dunkel im Schuppen; nur der eine und der andere Streifen Tageslicht brach durch die undichten Wände. Doch in der schlechten Beleuchtung fanden einzelne Mücken ihren Weg zu den Schläfrigen, die sich in ihren Kojen wanden und warfen, um den Quälgeistern zu entgehen.

– Nein, das ist doch toll! stöhnte schliesslich der Pastor. Schläfst du, Gustav?

– Bewahre! Heute nacht wird wohl nichts aus dem Schlafen werden. Aber womit soll man sich die Zeit vertreiben?

– Wir müssen wohl aufstehen und wieder Feuer machen; einen andern Rat weiss ich nicht. Wenn wir nur ein Spiel Karten hätten, könnten wir eine »Mariage« machen. Du hast wohl keins?

– Nein, ich nicht, aber ich glaube zu wissen, wo die Qvarnöer ihres haben, antwortete Gustav, kletterte aus dem Bett, kroch unter die letzte Koje und kam wieder heraus mit einem Spiel Karten, das etwas abgegriffen war.

Der Pastor hatte Feuer geschlagen, legte Wachholderreisig auf den Herd und steckte einen Lichtstumpf an. Gustav setzte den Kaffeekessel auf und zog eine Strömlingstrommel herbei; die wurde zwischen die Knie gelegt und diente als Spieltisch. Man steckte die Stummelpfeifen an. Bald tanzten die Karten.

Die Stunden vergingen.

– Drei frische, passe, Trumpf, war zu hören; dazwischen ein Fluch, wenn eine Mücke unversehens ihren Schröpfkopf auf Nacken und Knöchel der Spieler ansetzte.

– Hör mal, Gustav, unterbrach der Pastor, der seine Gedanken anderswo als bei Karten und Mücken gehabt zu haben schien, schliesslich das Spiel, könntest du ihm nicht einen Streich spielen, ohne gerade der Hochzeit fern zu bleiben? Es sieht ja feig aus, wenn du diesem Knoten aus dem Weg gehst! Willst du ihn ärgern, so weiss ich bessern Rat.

– Wie sollte ich das anfangen? fragte Gustav, dem es allerdings leid tat, um die Bewirtung zu kommen, die noch dazu von seinem väterlichen Erbe genommen wurde.

– Komm am Nachmittag, unmittelbar nach der Trauung, heim; sag, du seist auf der See aufgehalten worden. Das ist genug Schikane. Dann nehmen wir beide zusammen uns den Carlsson vor und machen ihn betrunken, damit er nicht ins Brautbett kommt; auch sorgen wir dafür, dass die Burschen ihren Spass mit ihm treiben. Ist das vielleicht nicht genug?

Gustav schien nicht abgeneigt zu sein. Der Gedanke, drei Tage allein auf der Schäre zu hausen, um nachts von den Mücken aufgefressen zu werden, machte ihn weich; zumal er sich wirklich danach sehnte, all die Herrlichkeiten, die er hatte zubereiten sehen, auch sich schmecken zu lassen.

Der Pastor entwarf also den Plan, wie das Abenteuer auszuführen sei, und Gustav erklärte sich bereit, bei der Ausführung mitzuwirken.

Mit sich selber und einander zufrieden, krochen sie schliesslich in ihre Kojen, als schon Tageslicht durch die Türspalten drang und die Mücken ihres nächtlichen Tanzes müde geworden waren.

 

Carlsson hatte am selben Abend von heimkehrenden Strömlingsfischern gehört, dass man sowohl Gustav wie den Pastor nach der Schäre Norsten habe steuern sehen. Er zog daraus den richtigen Schluss, es sei eine Teufelei im Werke. Gegen den Pastor hegte er einen heftigen Groll, einmal, weil der die Hochzeit sechs Monate verschoben hatte; zweitens, weil der Pastor ihm eine nie ermüdende Geringschätzung zeigte. Carlsson hatte vor ihm gekrochen, ihm geschmeichelt, aber ohne Erfolg. Waren sie im selben Zimmer, drehte ihm der Pastor immer seinen breiten Rücken zu; hörte nie auf das, was er sagte; erzählte immer Geschichten, die sich sehr wohl auf den vorliegenden Fall anwenden liessen.

Statt nun abzuwarten, wie der Pastor und Gustav ihre Absichten gegen ihn ausführen würden, entwarf Carlsson einen Plan, wie er ihnen begegnen könne. Der Seesoldat der Küste befand sich zufällig auf Urlaub und war augenblicklich als Mundschenk und Handlanger auf Hemsö angestellt; dort war seine Gewandtheit als Leiter bei Tänzen und dergleichen wohl bekannt und geschätzt. Carlsson hatte richtig gerechnet, wenn er glaubte, der Seesoldat werde mitwirken, um dem Pastor einen Streich zu spielen; Rapp, so hiess der Bootsmann, war nämlich vom Pastor nicht zur Konfirmation vorgelassen worden, weil er hinter Mädchen hergewesen; dieser Verlust eines Jahres hatte ihm Schwierigkeiten bei der Marine gemacht.

Die beiden Pfaffenhasser spannen also bei einer Kaffeehalben ihren Plan. Der Streich, den sie dem Pastor spielen wollten, lief auf nichts Geringeres hinaus, als ihn betrunken zu machen; was dann weiter zu tun war, würden die Umstände schon ergeben.

Die Minen waren also von beiden Seiten gelegt; und der Zufall musste entscheiden, welche die wirksamere war.

Der Hochzeitstag brach an.

Alle erwachten müde und schlechter Laune, infolge der vielen Vorbereitungen.

Als die ersten Gäste zu früh anlangten, da die Wasserverbindungen niemals pünktlich sein können, empfing sie niemand; verdutzt strichen die Gäste um die Häuser, als seien sie zum schmarotzen gekommen.

Die Braut war noch nicht angezogen. Der Bräutigam eilte in Hemdsärmeln umher, um Gläser abzutrocknen, Flaschen aufzuziehen, Lichter in die Leuchter zu stecken.

Die Stuga war gescheuert und belaubt; alle Möbel waren hinaus getragen und hinter einer Ecke aufgestellt, dass es aussah, als sei Auktion. Auf dem Hofe war eine Flaggenstange errichtet; auf der hatte man die Zollflagge gehisst, die man für die Feier vom Zollaufseher geliehen hatte. Ueber der Haustür hingen Kranz und Krone aus Preisselbeerreis und Gänseblumen; zu beiden Seiten standen Birkenbüsche.

In den Fenstern waren Flaschen aufgereiht, deren Schilder in den stärksten Farben leuchteten; wie in einem Branntweinladen. Carlsson hatte Sinn für starke Effekte. Der goldgelbe Punsch schien wie Sonnenstrahlen durch das seifengrüne Glas; der Purpur des Kognaks leuchtete wie Kohlenfeuer; die silberähnlichen Zinnkapseln, welche die Korke bedeckten, funkelten wie blanke Geldstücke.

Einige der Kühnsten unter den jungen Bauern traten näher und gafften, als ständen sie vor einem Ladenfenster; sie fühlten den Vorgeschmack eines angenehmen Kratzens im Schlund.

Auf jeder Seite der Tür lag ein Fass von sechzig Kannen; wie grobe Mörser bewachten sie den Eingang. Das eine enthielt Branntwein, das andere Dünnbier. Hinter ihnen lagen in Haufen, Kugelpyramiden gleich, zweihundert Bierflaschen.

Der Anblick war prachtvoll und kriegerisch, und Bootsmann Rapp ging umher wie ein Gefreiter, den Korkzieher am Bauchriemen, und ordnete das Kriegsgerät, das unter seinem Befehl stand. Er hatte die Fässer mit Fichtenreisern verziert, sie angestochen und mit Metallkrähnen versehen; er schwang seinen Spundhammer wie einen Kanonenwischer und klopfte dann und wann an die Gefässe, um hören zu lassen, dass etwas in ihnen war.

In Paradeuniform mit blauer Jacke und umgeschlagenem Kragen, weissen Hosen und Glanzlederhut, jedoch der Sicherheit halber ohne Seitengewehr, flößte er den Bauernburschen grossen Respekt ein. Ausser seiner Befassung als Mundschenk hatte er den Auftrag, Ordnung zu halten, Unfug zu verhüten, bei Bedarf hinauszuwerfen, bei Schlägereien einzuschreiten. Die reichen Burschen taten so, als verachteten sie ihn; das war aber nur Neid; sie hätten so gern die Uniform angezogen und der Krone gedient, wenn sie nicht das Tau und die kitzlichen Kanoniere gefürchtet hätten. In der Küche standen zwei Kochtöpfe für den Kaffee auf dem Herd, und zusammen geliehene Mühlen krachten und knirschten. Zuckerhüte wurden mit dem Beil zerschlagen und Kaffeekuchen war in den Fenstern aufgeschichtet. Die Mägde liefen hin und her zwischen Küche und Vorratsschuppen, der mit Gekochtem und Gebratenem aller Art und mit Säcken voll frischgebackenem Brot behängt war.

Zuweilen steckte die Braut, mit losem Haar und in Hemdsärmeln, den Kopf durchs Kammerfenster und rief, bald nach Lotte, bald nach Clara.

Segel auf Segel bog in die Bucht ein, fuhr geschickt um den Brückenkopf und legte unter Flintenschüssen an. Aber die Leute wagten sich noch nicht in die Stuga hinauf, sondern strichen in Scharen um den Hof.

Ein glücklicher Zufall hatte es gefügt, dass des Professors Frau und Kinder landeinwärts zu einem Geburtstage reisen mussten, und nur der Professor zu Hause war. Der hatte daher freundlich die Einladung angenommen, gab auch seinen grossen Saal für die feierliche Handlung her und seinen Rasen unter den Eichen für Kaffeetrinken und Abendschmaus. Da waren lange Bretter auf Böcke und Fässer gelegt, um Tische und Bänke zu bilden; die Tische waren bereits mit Decken versehen und mit Kaffeetassen gedeckt.

Auf der Höhe vor der Stuga bildeten sich jetzt kleine Gruppen. Rundqvist, Seehundstran im Haar, frisch rasiert, in schwarzer Jacke, hatte sich selber die Aufgabe gestellt, die Gäste durch spöttische Anmerkungen zu erheitern.

Norman hatte den Auftrag erhalten, zusammen mit Rapp den Ehrengruss zu donnern, hauptsächlich mit Dynamitpatronen; er hielt sich hinter der Hausecke und übte sich in kleinerem Massstab mit einem Terzerol. Dafür hatte er aber seine Harmonika hergeben müssen; die war heute in Acht und Bann getan, weil man den besten Geigenspieler der Gegend, den Schneider aus Fifong, berufen hatte; und dieser Herr war sehr empfindlich, wenn man in seine Kunst eingriff.

Dann kam der Pastor. Er war in scherzhafter Hochzeitslaune, bereit, mit dem Brautpaar zu scherzen, wie der Brauch es forderte. Er wurde von Carlsson auf der Schwelle empfangen und willkommen geheissen.

– Nun, müssen wir auch gleich taufen? grüsste Pastor Nordström.

– Nein, potztausend, so eilig ists denn doch nicht! antwortete der Bräutigam, ohne verlegen zu werden.

– Bist du deiner Sache auch sicher? fragte der Pastor, während die Bauern grinsten. Ich habe schon mal auf einer Hochzeit getraut und getauft, aber das waren auch flinke Leute, die sichs leisten konnten. Im Ernst, wie stehts mit der Braut?

– Hm. diesmal ist keine Gefahr; aber man kann nie wissen, wanns los geht, antwortete Carlsson, indem er dem Pastor seinen Platz anwies, zwischen der Mutter des Kirchenvorstehers und der Witwe von Ovassa, die der Pastor mit Fischerei und Wetter unterhielt.

Der Professor kam, in Frack und weissem Halstuch, mit schwarzem hohen Hut. Der Pastor nahm ihn sofort als ebenbürtige Standesperson in Anspruch und fing ein Gespräch an, das die Frauen mit gespannten Augen und Ohren belauschten; sie waren nämlich davon überzeugt, der Professor sei ein grundgelehrter Mann.

Aber Carlsson kam und verkündete, alles sei bereit; man suche nur Gustav noch, um anfangen zu können.

– Wo ist Gustav? rief man jetzt auf dem Hof und wiederholte es bis zur Scheune.

Niemand antwortete. Keiner hatte ihn gesehen.

– Oh, ich weiss es wohl, wo er ist, erklärte Carlsson.

– Wo kann er denn sein? höhnte Pastor Nordström so, dass Carlsson es merkte.

– Man hat ihn draussen auf Norsten gesehen, hat ein Vogel gezwitschert; und ein Fuchs war mit ihm, der ihn zum trinken veranlasste.

– Wenn er in schlechte Gesellschaft geraten ist, hat es keinen Zweck, auf ihn zu warten, meinte der Pastor. Es ist jedenfalls unrecht von ihm, sich nicht zu Haus zu halten, wo er so gute Vorbilder und so treue Freunde hat. Aber was sagt die Braut? Sollen wir anfangen oder sollen wir warten?

Die Braut ward gehört. Ob sie gleich rechtraurig war, wollte sie doch, dass man anfange, weil sonst der Kaffee kalt werde.

So begann man aufzubrechen, während hinten auf den Bergfelsen der Dynamit donnerte. Der Spielmann harzte und schraubte, der Pastor zog den Talar an, die Brautdiener gingen voran. Der Pastor führte die Braut. Die war in schwarze Seide gekleidet, trug den weissen Schleier mit dem Myrtenkranz und war sehr geschnürt; was verborgen werden sollte, wurde um so sichtbarer.

So zog man in den Saal des Professors hinauf, während die Geige knirschte und die Schüsse knallten.

Die Braut warf noch im letzten Augenblick unruhige Blicke um sich, um nach dem verlorenen Sohn zu spähen; als sie zur Tür hinein sollte, musste der Pastor sie schleppen, während sie die Augen hinten hatte.

Sobald sie in den Saal kamen, stellten sich die Gäste rings an den Wänden auf, als bildeten sie die Wache für eine Hinrichtung. Das Brautpaar nahm vor zwei umgekehrten Stühlen Platz, die mit einem Brüsseler Teppich bedeckt waren.

Der Pastor hatte das Buch genommen, befühlte seinen Kragen und wollte sich gerade räuspern, als die Braut ihre Hand auf seinen Arm legte.

– Nur noch einen Augenblick, dann kommt Gustav wohl!

Es wurde fast ganz still im Zimmer; man hörte nur das Knarren von Stiefeln und das Knittern gestärkter Hemden; nach einigen Augenblicken hörte das auf, man sah einander an, wurde verlegen, hustete; dann ward es wieder still. Schliesslich sagte der Pastor, an dem aller Blicke hingen:

– Jetzt beginnen wir; länger können wir nicht warten! Ist er noch nicht gekommen, so kommt er auch nicht.

Dann begann er:

– Teure Christen, die Ehe ist von Gott selber gestiftet ...

Eine gute Weile war vergangen, die älteren Frauen rochen an ihrem Lavendel und weinten, als plötzlich ein Knall vom Hof zu hören war, und das Geklirr von Glasscherben. Man horchte einen Augenblick auf, liess sich aber nicht weiter stören; nur Carlsson rührte sich etwas unruhig und schielte zum Fenster hinaus. Bald aber kam ein neues puff! puff! puff!, als entkorke man Champagnerflaschen; die Jungen, die an der Tür standen, fingen an zu kichern.

Als sich die Unruhe wieder legte, fragte der Pastor den Bräutigam:

– Vor Gott dem Allwissenden und in Gegenwart dieser Gemeinde frage ich dich, Johannes Edvard Carlsson, ob du diese Anna Eva Flod zur Ehefrau haben und sie in Lust und Leid lieben willst?

An Stelle der Antwort schmetterte eine neue Salve Flaschenkorke, Glasscherben klirrten und der Hund fing an ganz toll zu bellen.

– Wer zieht denn da draussen Flaschen auf und stört den heiligen Akt? brüllte Pastor Nordström wütend.

– Danach wollte ich gerade fragen, platzte Carlsson heraus, der seine Neugier und Unruhe nicht länger zurückhalten konnte. Ist es Rapp, der diesen Spektakel macht?

– Was soll ich machen, rief Rapp, der in der Tür stand und sich von dieser Zumutung verletzt fühlte.

Puff! puff! puff! knallte es unaufhörlich.

– Geht doch um Himmels willen hinaus und seht nach, was los ist, damit nicht noch ein Unglück geschieht, schrie, der Pastor; nachher fahren wir fort.

Einige Hochzeitsgäste stürzten hinaus, andere drängten sich an die Fenster.

– Das ist das Bier! schrie jemand.

– Das Bier platzt! wiederholte der Professor. – Wie kann man aber auch das Bier in den Sonnenschein legen!

Wie Kugelspritzen lagen die Bierflaschen in ihren Haufen und knallten und brausten, dass der Schaum auf die Erde rann.

Die Braut war über die unerwartete Unterbrechung der heiligen Handlung erregt; das bedeutete nichts Gutes! Der Bräutigam wurde gescholten, weil er seine Anordnung schlecht getroffen hatte; beinahe wäre er in eine Schlägerei mit dem Bootsmann gekommen, auf den er die Schuld schieben wollte. Der Pastor war zornig, dass die heilige Handlung von den Flaschen gestört worden. Draussen aber standen die Jungen und tranken die Reste aus den Flaschenböden; während ihrer Rettungsarbeit bargen sie auch einige halbvolle Flaschen, aus denen nur die Korke heraus gesprungen waren.

Als sich schliesslich der Sturm gelegt hatte, versammelte man sich von neuem im Saal, allerdings nicht mehr so andächtig wie vorher. Nachdem der Pastor die Frage an den Bräutigam wiederholt hatte, wurde die heilige Handlung zu Ende geführt, ohne dass sie von etwas anderm unterbrochen wurde als dem Kichern, das die Jungen im Flur nicht zu unterdrücken vermochten.

Die Glückwünsche regneten auf die Neuvermählten nieder; und so schnell man konnte, verliess man den Saal, der nach Schweiss, Tränen, feuchten Strümpfen, Lavendel und welken Blumensträussen roch.

Eilig gings an den Kaffeetisch.

Carlsson nahm zwischen Professor und Pastor Platz; aber die Braut hatte nicht die Ruhe zum Sitzen, sondern musste hierhin und dorthin eilen, um nach den Zurüstungen zu sehen.

Die Sonne schien glänzend an diesem Juliabend, und unter den Eichen plauderte und lachte man. Der Branntwein floss in die Kaffeetöpfe, als die zweite Tasse kam, in die man nicht mehr den Kuchen tauchte. Doch oben am Kopfende beim Bräutigam wurde Punsch geboten; weder Bauern noch Burschen sahen scheel darauf. Es war ein Getränk, das man sich nicht alle Tage leistete, und der Pastor liess sichs aus seinem Kaffeetopf wohl bekommen.

Heute war er ungewöhnlich mild gegen Carlsson und trank ihm unaufhörlich zu, rühmte ihn und zeigte ihm die grösste Aufmerksamkeit. Doch vergass er den Professor nicht, dessen Bekanntschaft ihm mehr Vergnügen machte, weil er so selten einen gebildeten Mann traf. Aber es war nicht leicht, ihn im Gespräch zu finden, da Musik nicht die starke Seite des Pastors war und der Professor aus Höflichkeit das Gespräch auf das Gebiet des Pastors zu bringen suchte, dem dieser gerade entkommen wollte. Da man einander so schwer verstand, konnte der eine dem andern auch nicht näher kommen. Ueberhaupt sprach der Professor, der gewohnt war, seinen Gefühlen in Musik Luft zu machen, nicht viel.

Jetzt kam der Spielmann, dem es sehr schwer wurde, unbemerkt dazusitzen, zum Hochsitz hinauf; durch Kaffeehalbe in seinem Mut gestärkt, wollte er mit dem Professor über Musik sprechen.

– Bitte um Verzeihung, Herr Kammermusikus, grüsste er und knipste an seiner Geige; wir haben ja gewissermassen etwas gemeinsam, denn ich spiele auch, wenn auch nur auf meine Art.

– Geh zur Hölle, Schneider! Sei nicht unverschämt! wies ihn Carlsson ab.

– Ich bitte um Verzeihung, aber ihn gehts nicht an, Carlsson! Versuchen Sie nur diese Geige. Herr Kammermusikus, und sagen Sie mir, ob die nicht gut ist; sie hat zehn Reichstaler gekostet.

Der Professor knippste die Qvinte, lächelte und sagte freundlich:

– Recht gut!

– Wenn sich nur jemand darauf versteht, dann kann man ein wahres Wort hören! Aber über Kunst sprechen mit diesen – er wollte flüstern, aber die Stimmittel weigerten sich, zu nuancieren, und er schrie – Bauernlümmeln ....

– Gebt dem Schneider einen Tritt in den Hintern! schrie man im Chor.

– Hör mal, Schneider, du darfst dich nicht betrinken: dann können wir nicht tanzen!

– Rapp, du musst auf den Spielmann achten, dass er nicht mehr trinkt.

– Bin ich nicht zum trinken eingeladen? Bist du vielleicht geizig, du Preller?

– Setz dich, Friedrich, und sei ruhig, meinte der Pastor, sonst kriegst du Schläge.

Aber der Spielmann wollte unbedingt über seine Kunst schwatzen; um seine Behauptung, dass die Geige vortrefflich sei, zu bekräftigen, fing er an zu quinkelieren.

– Hören Sie nur, Herr Kammermusikus, diese Bässe; die klingen ganz wie eine kleine Orgel .... – Der Schneider soll das Maul halten! ... Um die Tische entstand Bewegung und der Rausch nahm zu.

Da schrie jemand:

– Gustav ist da!

– Wo? Wo?

Clara sagte, sie haben ihn unten beim Holzhaufen gesehen.

– Sag es mir, wenn er drinnen ist, bittet der Pastor; aber nicht früher, als bis er drinnen ist, hörst du!

Die Groggläser werden vorgesetzt, und Rapp zieht die Kognakflaschen auf.

– Das geht etwas hitzig, meinte der Pastor abwehrend.

Carlsson aber fand, es gehe, wie es gehen soll.

Rapp forderte alle heimlich auf, mit dem Pastor anzustossen. Bald hatte der seinen ersten Grog geleert und musste den zweiten bereiten.

Der Pastor beginnt mit den Augen zu rollen und kaut. Er betrachtet so genau, wie er kann, Carlssons Züge und sucht zu ergründen, ob der seine volle Ladung erhalten. Das Sehen aber fällt ihm schwer, darum beschränkt er sich darauf, mit ihm anzustossen.

Da kommt Clara und ruft:

– Jetzt ist er drinnen, Herr Pastor! Jetzt ist er drinnen!

– Nein, was sagst du, zum Teufel, ist er schon drinnen!

Der Pastor hatte vergessen, um wen es sich handelte.

– Wer ist drinnen, Clara? widerhallte es im Chor

– Gustav natürlich!

Der Pastor erhob sich, ging in die Stuga hinunter und holte Gustav. Scheu, verwirrt, kam der zu Tisch. Der Pastor liess ihn mit einer Tasse Punsch und Hurrahrufen begrüssen.

Dann stiess Gustav mit Carlsson an und sagte ein kurzes:

– Glück auf!

Carlsson wurde gefühlvoll und trank bis auf den Grund aus; erklärte, er sei ihm ein grosses Vergnügen, ihn zu sehen, wenn er auch spät komme, und er wisse von zweien, deren alten Herzen es wohl tue, ihn zu sehen, wenn er auch spät komme.

– Und glaub mir, schloss er, wer den alten Carlsson richtig zu nehmen versteht, der weiss auch, wo er ihn hat.

Hingerissen war Gustav nicht, aber er forderte Carlsson auf, ein besonderes Glas mit ihm zu trinken.

Die Dämmerung kam, die Mücken tanzten, die Leute schwatzten, Gläser klangen, Lachen schmetterte. Hier und dort in den Büschen waren bereits kleine Notschreie zu hören, unterbrochen von Kichern und Hurrahen, Hallohen und Schüssen, unter dem Himmel des lauen Sommerabends. Draussen auf den Wiesen zirpte das Heimchen und snarpte die Wiesenknarre.

Die Tische wurden abgeräumt; es sollte zum Abendbrot gedeckt werden. Rapp hing farbige Laternen, die er vom Professor geliehen, in die Aeste der Eiche. Norman trug Haufen von Tellern. Rundqvist lag auf den Knien und zapfte Dünnbier und Branntwein. Die Mädchen trugen Butter in Schobern herbei, Strömling in Diemen auf Schneidebrettern, Pfannkuchen in Stapeln, Fleischklösse in Hocken.

Als alles fertig war, klatschte der Bräutigam mit den Händen:

– Bitte! nehmt ein Butterbrot! lud er ein.

– Aber wo ist der Pastor? sperrten sich die alten Frauen.

Ohne den Pastor wollte niemand anfangen.

– Und der Professor? Wo sind sie geblieben? Es geht wirklich nicht, dass man ohne sie anfängt!

Man rief und suchte, aber keine Antwort.

In Gruppen umstand man die Tische, wie hungrige Hunde mit funkelnden Augen, bereit, sich aufs Essen zu stürzen; aber keine Hand rührte sich und das Schweigen wurde bedrückend.

– Vielleicht sitzt der Pastor im Häuschen! ertönte Rundqvists unschuldige Stimme.

Ohne weiteren Aufschluss abzuwarten, ging Carlsson hinunter, um den geheimen Ort aufzusuchen. Ganz richtig, bei offener Tür sassen da Pastor und Professor, jeder seine Zeitung in der Hand, und waren in lebhaftem Meinungsaustausch begriffen. Die Laterne stand auf dem Boden und warf ein Rampenlicht auf die beiden Thronbesteiger.

– Entschuldigen Sie, meine Herren, aber die Butterbröte werden kalt!

– Bist dus, Carlsson? Achso! Fangt nur an; wir kommen sofort!

– Ja, aber alle Leute warten; mit Respekt zu sagen: die Herren könnten sich wohl etwas beeilen!

– Kommen gleich, kommen gleich ! Geh nur; geh nur!

Carlsson hatte mit Befriedigung zu bemerken geglaubt, dass der Pastor »gerührt« war; er entfernte sich und beeilte sich, die Gesellschaft mit der Erklärung zu beruhigen, der Pastor mache sich zurecht und werde gleich kommen.

Einen Augenblick später irrte eine Laterne über den Hof und näherte sich den gedeckten Tischen; zwei schwankende Schatten folgten.

Das bleiche Gesicht des Pastors ward bald am obern Ende des Tisches sichtbar. Die Braut trat mit dem Brotkorb auf ihn zu, um dem peinlichen Warten ein Ende zu machen. Carlsson aber hatte etwas anders im Sinn; indem er mit einem Messer an die Schüssel mit den Fleischklössen klopfte, schrie er mit lauter Stimme:

– Still, gute Leute, der Herr Pastor will einige Worte sagen!

Der Geistliche starrte Carlsson an, schien nicht zu verstehen, wo er zu Hause war; sah, dass er einen glänzenden Gegenstand in der Hand hatte; erinnerte sich, dass er letzte Weihnacht eine Rede gehalten, während er eine silberne Kanne in der Hand gehabt; hob die Laterne wie einen Pokal in die Höhe und sprach:

– Meine Freunde, wir haben heute ein frohes Fest zu feiern.

Er starrte Carlsson an, um etwas über Charakter und Zweck des Festes zu erfahren, denn er war bereits so vollständig abwesend, dass sich Jahreszeit, Ort, Ursache, Absicht verflüchtigt hatten. Aber Carlssons grinsendes Gesicht löste ihm das Rätsel nicht. Er starrte in die Luft, um irgend einen leitenden Faden zu entdecken; sah die farbigen Laternen in der Eiche und erhielt die schwankende Vorstellung von einem riesengrossen Weihnachtsbaum: da hatte er die Spur gefunden.

– Dieses frohe Fest des Lichts, stiess er hervor, da die Sonne der Kälte weicht, und der Schnee – er sah das weisse Tischtuch sich wie ein grosses Schneefeld unendlich weit ausbreiten – meine Freunde, da der erste Schnee sich wie eine Decke über den Schmutz des Herbstes legt ... nein, ich glaube, ihr treibt euern Scherz mit mir ...

Er wandte sich fort und machte einen krummen Rücken.

– Der Herr Pastor ist kalt geworden! sagte Carlsson; er will sich niederlegen! Bitte, fangt an, meine Herrschaften!

Man liess sich das nicht zweimal sagen, sondern stürzte auf die Schüsseln los, indem man den Pastor seinem Schicksal überliess.

Dem Pastor war die Bodenkammer des Professors zum Nachtquartier angewiesen worden; um zu zeigen, dass er nüchtern war, lehnte er alle Angebote von Hilfe ab, indem er mit Schläge drohte. Die Laterne an den Knien, zusammengefallen, als suche er Nadeln in dem tauigen Gras, steuerte er auf ein Fenster zu, das erleuchtet war. Aber an der Gartentür strauchelte er und stiess so heftig gegen den Türpfosten, dass die Laterne zerbrach und erlosch. Wie ein Sack schloss sich die Dunkelheit um ihn und er sank auf seine Knie nieder; aber das Fenster mit dem Licht leuchtete ihm wie ein Leitfeuer. Beim Weitergehen verspürte er das unangenehme Gefühl, dass die Knie seiner schwarzen Hosen bei jedem Schritt feucht wurden, und seine eigenen Kniescheiben schmerzten, als schlügen sie gegen Steine.

Schliesslich kriegt er etwas sehr Grosses, Rundes und Feuchtes zu fassen; er tappt und sticht sich an einem Brief Stecknadeln oder dergleichen; steckt die Hand in eine Bootsdolle oder ähnliches: da hört er das Brausen von Wasser und fühlt, dass er nass wird. Von der Furcht, in die See gegangen zu sein, aufgescheucht, erhebt er sich am Mast und findet in einem lichten Augenblick, dass er an einem Türpfosten steht; kommt mit einer Krängung in einen Flur; fühlt eine Treppenstufe an den Knien; hört eine Magd schreien: »Herr Jesus, das Dünnbier!«

Von einem dunkeln bösen Gewissen getrieben, kriecht er die Treppe hinauf, stösst sich die Fingerknöchel an einem Schlüssel, kriegt eine Tür auf, die nach innen nachgibt; stürzt in eine Kammer hinein und sieht ein grosses gemachtes Bett für zwei; hat soviel Kraft, die Decke aufzuschlagen; kriecht mit Kleidern und Stiefeln hinein, um sich zu verstecken, da man ihn unten mit Schreien verfolgt; glaubt zu sterben oder zu erlöschen oder zu ertrinken, und meint, die Menschen rufen nach Dünnbier!

Ab und zu erwachte er wieder zum Leben, ward wieder angesteckt, aus der See gezogen, lebte und stand am Weihnachtstisch; und dann wurde er wieder ausgeblasen wie ein Licht, erlosch, starb, sank und wurde nass.

 

Inzwischen wurde das Abendbrot unter den Eichen fortgesetzt und mit Bier und Branntwein so stark befeuchtet, dass keiner an den Pastor dachte.

Als man das Essen soweit verschlungen hatte, dass der Boden in Tellern und Schüsseln zu sehen war, ging man in die Stuga hinunter, um zu tanzen.

Die Braut wollte dem Pastor etwas Gutes auf die Kammer schicken; aber Carlsson überzeugte sie davon, dass der Pastor am liebsten Ruhe haben wolle; es sei nicht richtig, ihn zu stören. Und dabei blieb es.

Gustav hatte sich von seinem Bundesgenossen abgewandt, als er merkte, dass der überlistet war; er gab sich seinen Vergnügungen hin und vergass allen Groll im Rausch.

Der Tanz ging wie eine Mühle. Der Spielmann sass auf dem Herd und fiedelte. In den offnen Fenstern kühlten sich schwitzende Rücken an der Frische der Nacht. Draussen auf der Höhe sassen die Alten, rauchten, tranken und scherzten im Halbdunkel, im schwachen Feuerschein, der durch die Scheiben der Küche fiel, und bei den Lichtern in der Tanzstube.

Draussen aber auf Wiesen und Höhen wanderte Paar um Paar in dem tauigen Gras unter dem schwachen Schimmer des Sternenhimmels, um bei Heuduft und Heimchengezirp das Feuer zu löschen, das die Wärme des Hauses, der starke Geist des Kornweins, der wiegende Schritt des Tanzes in ihnen entzündet hatten.

Mitternacht tanzte vorbei und der Himmel begann sich im Osten zu lichten; die Sterne zogen sich zurück, und der grosse Wagen streckte die Deichsel in die Luft, als sei er nach hinten umgekippt. Die Enten schnatterten im Schilf. Die blanke Bucht spiegelte bereits die Zitronenfarben der Morgenröte wieder, zwischen den Schatten der dunkeln Erlen, die im Wasser auf dem Kopf zu stehen schienen und bis auf den Seegrund reichten.

Das währte aber bloss einen Augenblick; dann zogen Wolken von der Küste auf und es wurde wieder Nacht.

Da ertönte ein Geschrei in der Küche.

– Der Glühwein! Der Glühwein!

In Zugordnung kamen die Männer mit einer Kasserolle, die von brennendem Branntwein flammte und einen blauen Schein um sich warf, während der Spielmann einen Marsch spielte.

– Mit dem ersten Glas zum Pastor hinauf! schrie Carlsson, in der Hoffnung, seinem Werk die Krone aufsetzen zu können.

Mit Hurrahrufen wurde der Vorschlag angenommen. Der Zug setzte sich nach der Stuga des Professors in Bewegung. Mit mehr oder weniger sichern Schritten enterte man die Treppe.

Der Schlüssel sass in der Kammertür und man stampfte hinein, nicht ohne eine gewisse Furcht, mit Hieben empfangen zu werden. Drinnen war es still, und bei dem blauen zitternden Schein der Kasserolle sah man, dass das Bett unberührt und leer war.

Eine schwarze Ahnung von einem furchtbaren Rückschlag erfasste Carlsson; aber er verbarg seinen Argwohn und machte der Ungewissheit und den Vermutungen ein Ende mit der Erklärung: er erinnere sich jetzt, dass der Pastor gesagt habe, er wolle sich auf den Heuboden legen, um den Mücken zu entgehen.

Da man sich mit dem Feuer nicht dem Heu nähern durfte, gab man die Sache auf. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, um den Rückweg anzutreten, hinunter nach dem Hof, wo das Trankopfer dargebracht wurde.

Carlsson ernannte eilig Gustav zum stellvertretenden Wirt. Dann nahm er Rapp beiseite und teilte ihm seine schrecklichen Ahnungen mit.

Ohne dass die andern es merkten, schlichen die beiden Verschworenen die Treppe zur Brautkammer hinauf; einen Lichtstummel und Streichhölzchen hatten sie mitgenommen.

Rapp schlug Feuer, und im Brautbett sah Carlsson seine schlimmsten Erwartungen übertroffen.

Auf dem weissen mit Hohlsaum genähten Kopfkissen lag ein zottiger Kopf, ähnlich dem eines nassen Hundes, dessen Mund weit offen stand.

– Potztausend, knirschte Carlsson, das hätte ich doch nicht gedacht, dass der Halunke sich wie ein Schwein betragen würde. Gott erbarme sich! Und auch die Stiefel hat er an, der Stänker!

Hier war guter Rat teuer! Wie sollte man den Kranken fortschaffen, ohne dass die Leute etwas erfuhren, vor allem, ohne dass die Braut etwas merkte?

– Wir müssen ihn durchs Fenster hinausschaffen! erklärte Rapp. Mit einer Talje gehts; dann schleppen wir ihn in die See. Lösch nur das Licht, und dann nach der Scheune hinauf und die Geräte geholt!

Die Tür wurde von draussen verschlossen und der Schlüssel herausgezogen. Dann schlichen die beiden Rächer auf einem Umweg nach der Scheune hinauf. Carlsson fluchte und schwor:

– Wenn wir ihn nur erst heraus haben, dann wollen wir ihn schon kriegen!

Zufällig stand das Hebezeug noch vom letzten Schlachten her da. Nachdem sie die Spiere heruntergenommen und Block und Seil gefunden hatten, schleppten sie die Geräte auf Umwegen hinter die Stuga, bis an den Giebel unter das Fenster des Pastors.

Rapp holte eine Leiter, scherte die Spiere und machte sie mit einer Latte am First fest. Darauf splisste er eine Strippe, befestigte den Block und schnitt die Talje ein. Darauf kroch er in die Kammer, während Carlsson unten mit einem Bootshaken stand, um abzustossen.

Nachdem Rapp in der Kammer eine Weile gearbeitet hatte, pustend und schnaubend, sah Carlsson ihn den Kopf herausstecken und hörte ihn leise den Befehl geben:

– Holen!

Carlsson holte, und bald erschien ein schwarzer Körper draussen auf dem Fensterbrett

– Hol steif! befahl Rapp.

Carlsson holte an. Draussen auf dem Hebezeug baumelte jetzt der schlaffe Körper des Pastors, der sich unglaublich verlängerte, wie der eines Gehängten.

– Fieren! befahl Rapp wieder. Hol an!

Aber Carlsson hatte schon losgelassen; wie ein Haufen lag der Pastor in den Nesseln, ohne einen Laut von sich zu geben.

Im Nu war der Bootsmann zum Fenster hinausgeklettert, und eilte die Leiter hinunter. Beide schleppten den Pastor nun nach der Waschbrücke.

Als sie ans Seeufer kamen, brach Carlsson los:

– Jetzt sollst du baden, du Halunke!

Es war seicht am Strand, aber sehr schlammig, weil man Jahre lang das Eingeweide der Fische dorthin geworfen hatte. Rapp packte die Strippe, die er um den Leib des Schlafenden befestigt, und warf ihn in die See.

Da erwachte der Pastor und stiess einen Schrei aus, wie ein Ferkel beim Schlachten.

– Holen! befahl Rapp, der merkte, dass die Leute oben aufhorchten und schon herbeieilten.

Carlsson aber legte sich auf die Knie und wälzte den Pastor im Schlamm; dann rieb er mit den Händen dessen schwarzen Anzug so ein, dass jede Spur von dem Unglück, das im Brautbett geschehen, vertilgt war.

– Was ist da unten los? Was ist? riefen die Leute, die herbeieilten.

– Der Pastor ist in die See gefallen! antwortete Rapp und holte den schreienden Geistlichen.

Jetzt entstand eine Volksversammlung. Carlsson spielte den edelmütigen Retter und machte den mitleidigen Samariter, indem er frömmelte und wehklagte.

– Könnt ihr euch denken: ich komme ganz zufällig hierher, da höre ich etwas plätschern und quellen, dass ich glaube, es sei ein Seehund. Als ich näher komme, sehe ich, es ist unser lieber Herr Pastor. Herr Jesus, sage ich, zum Bootsmann, ich glaube, das ist Pastor Nordström selber, der dort liegt und mit den Flügeln schlägt. Und dann sagte ich zu Rapp: Rapp, lauf nach einer Trosse! Und Rapp lief nach einer Trosse. Als wir aber die Strippe um den dicken Herrn schlangen, fing er an zu schreien, als wollte man ihn ausweiden. Und wie er aussieht!

Der Pastor sah wirklich unbeschreiblich aus. Die Männer betrachteten ihren Hirten mit Verdruss, aber auch mit unausrodbarer Ehrerbietung; sie wollten ihn so schnell wie möglich fortschaffen.

Aus zwei Paar Rudern wurde eine Bahre gemacht, auf die man den Pastor legte. Acht starke Schultern trugen ihn nach der Tenne hinauf, wo man ihn umkleiden wollte.

Der Spielmann, der ganz betrunken war, glaubte, es handle sich um irgendeine Posse; er stiess zu ihnen und zog mit, während er Bellmans Trinklied »Macht Platz da, macht Platz da der Bahr des alten Schmidt«! fiedelte.

Burschen kamen aus den Büschen hervor und gesellten sich dazu. Der Professor glaubte seine verlorene Jugend wiedergefunden zu haben, setzte sich an die Spitze und sang. Norman hatte seine Harmonika vorgeholt, da er seine musikalische Svada nicht unterdrücken konnte.

Als sie aber auf den Hof kamen, stürzten die Frauen herbei; sobald die den Pastor in seiner traurigen Verfassung sahen, wurden sie von Mitleid ergriffen und erbarmten sich über den Bewusstlosen. Frau Flod holte eine Bettdecke, die sie, trotz Carlssons Warnungen, über den Jammer warf. Dann setzte man warmes Wasser auf und borgte vom Professor Wäsche und Anzug.

Als man zur Tenne hinauf kam, wurde der Kranke, wie man ihn nannte – niemand hätte zugegeben, dass der Pastor betrunken sei – auf trockenes Stroh gelegt.

Rundqvist kam mit dem Schnäpper, um den Pastor zur Ader zu lassen, wurde aber fortgejagt. Da bat er, den Kranken wenigstens besprechen zu dürfen, denn er könne wassersüchtige Schafe besprechen. Er durfte sich aber durchaus nicht mit dem Geistlichen befassen, und auch kein anderer von den Mannsleuten.

Carlsson aber schlich sich wieder in die Brautkammer hinauf, dieses Mal allein, um die Spuren seiner Demütigung zu verwischen. Als er die Verwüstung in dem beschmutzten Brautbett sah, überkam ihn einen Augenblick Schwäche; ermüdet, wie er von den Arbeiten der letzten Tage und den Anstrengungen dieser Nacht war. Er dachte daran, wie anders es mit Ida gewesen wäre, wenn ihr Verhältnis zustande gekommen. Er trat ans Fenster und blickte lange und schwermütig über die Bucht.

Die Wolken hatten sich zerstreut und die Nebel sammelten sich in weissem Flor über dem Wasser; die Sonne ging auf und strahlte in die Brautkammer hinein, beschien das bleiche Gesicht und die ausgewässerten Augen, die sich zusammen kniffen, als kämpften sie gegen hervorbrechende Tränen. Das Haar lag in feuchten Zotten auf der Stirn, das weisse Halstuch war befleckt, der Rock hing schlaff herunter. Die Sonnenwärme liess ihn erschauern; mit der Hand über die Stirn fahrend, wandte er sich ins Zimmer hinein.

– Aber das ist doch ganz furchtbar! sagte er zu sich selber, riss sich aus seiner Schlaffheit und fing an, die Bezüge von den Betten zu ziehen.


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