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Getraut und Ungetraut

Der Assessor ging an einem schönen Frühlingsabend vor den Thoren spazieren. Da hörte er Musik und Gesang aus einem der Sommertheater schallen, und sah das Licht durch die hohen Fenster seinen Schein auf die frischbelaubten Linden werfen.

Er ging hinein, setzte sich an einen leeren Tisch in der Nähe der Estrade und liess sich einen Grog geben.

Erst sang ein Komiker ein sehr betrübtes Lied über »Die tote Ratte«. Dann trat ein rosagekleidetes junges Mädchen auf und sang das Couplet »Und nichts geht über eine Mondscheintour«. Sie sah verhältnismässig unschuldig aus, und adressierte ihren Gesang ausschliesslich an unsern unschuldigen jungen Assessor. Geschmeichelt durch diese Auszeichnung knüpfte dieser eine Reihe von Unterhandlungen an, die mit einer Flasche echten Lilienholms begannen und mit zwei möblierten Zimmern samt Küche und Zubehör endeten. Eine Analyse der Gefühle des jungen Mannes fällt nicht in den Plan dieser Arbeit, ebensowenig wie eine Beschreibung der Möbel und sonstigen Einrichtung des jungen Paares.

Genug, sie waren gute Freunde.

Indessen, angesteckt von den sozialistischen Zeitströmungen, und von dem Wunsche beseelt, sein Glück immer vor Augen zu haben, beschloss der Assessor, selbst in diese Wohnung zu ziehen und seine kleine Freundin als Haushälterin anzustellen, worauf sie mit Freuden einging.

Aber der junge Mann hatte eine Familie; das will sagen, seine Familie betrachtete ihn als zu sich gehörig, und sobald man herausgefunden hatte, dass er die allgemeine Moralanschauung verletzte, und damit dem Ansehen der Familie Abbruch that, wurde er vor den aus Eltern und Schwestern bestehenden Familienrat zitiert, um eine Verwarnung zu erhalten. Da er sich aber für dergleichen zu alt hielt, wurden alle weiteren Unterhandlungen und aller Verkehr zwischen ihm und den Seinigen abgebrochen.

Das fesselte ihn noch mehr an sein eigenes Heim, und er wurde ein sehr häuslicher Ehe-, oder vielmehr Nicht-Ehemann. Sie waren sehr glücklich, denn sie liebten sich und fühlten sich nicht von einer Fessel gedrückt. Sie lebten in der beständigen frohen Sorge, einander ja nicht zu verlieren und thaten daher ihr Möglichstes, um einander zu behalten. Nur eins fehlt ihnen: Verkehr. Die Gesellschaft wollte sie nicht haben, und Einladungen in die grosse Welt nahm der Assessor nicht an.

Am Tage vor Weihnachten bekam der Assessor, als er beim Morgenkaffee sass, einen Brief. Er war von einer seiner Schwestern, die ihn in rührenden Worten bat, den Weihnachtsabend mit ihnen zu verleben, sie rührte alte Saiten an, und er wurde ganz unschlüssig. Sollte er sie, – seine Freundin, sein Weib, an einem solchen Abend allein sitzen lassen? – Nein! – Sollte sein Platz am elterlichen Weihnachtstisch leer bleiben, wo er noch nie gefehlt hatte? – Hm! – So standen die Sachen, als er sich an die Arbeit begab.

Um die Frühstückszeit traf er einen Kameraden, der ihn so vorsichtig wie möglich fragte: »Verlebst Du den Weihnachtsabend in der Familie?«

Der Assessor wurde rot. Sollte der eingeweiht sein? Oder was meinte er damit.

Der andre sah, dass er auf ein Hühnerauge getreten hatte, und fuhr daher fort, ohne eine Antwort abzuwarten:

»Ja, siehst Du, wenn Du allein gewesen wärst, dachte ich, hättest Du zu mir kommen können, zu uns, meine ich. – Du weisst doch wohl, hm, dass ich da ein kleines Verhältnis habe, hm, – ein sehr prächtiges, nettes Mädchen übrigens, weisst Du.«

Das klang ja sehr schön und der Assessor war gern bereit, den Vorschlag anzunehmen, wenn sie beide kommen durften; natürlich durften sie das, und damit war die Weihnachtsabend- und Verkehrsfrage gelöst.

Sie fanden sich um sechs Uhr bei dem Freunde ein, und die Männer setzten sich wie Paschas zu ihrem Portwein, während die Frauen in der Küche herumpusselten.

Dann halfen alle vier beim Decken; und die Frauen hatten sich so rasch befreundet, sie fühlten sich einander so nah, zusammengehalten von dem gemeinsamen Bande, was man »das Urteil der Welt« nennt. Sie achteten einander, behandelten sich gegenseitig mit Taktgefühl und Teilnahme, und vermieden die hässlichen zweideutigen Gespräche, mit denen sich verheiratete Leute zu unterhalten pflegen, sobald die Kinder aus Hörweite sind, gleich als wollten sie sagen: wir haben ja das Recht dazu.

Bei der Torte hielt der Assessor eine kleine Rede über das eigene Heim, wohin wir fliehen aus der Welt, von den Menschen fort, und wo wir mit unseren wirklichen Freunden unsere besten Stunden verleben.

Hier begann Marie Louise zu weinen, und als er sie fragte, ob sie betrübt wäre, ob sie nicht glücklich sei, brachte sie schluchzend hervor, sie merkte wohl, dass er seine Mutter und Schwestern vermisse.

Er versicherte sie, das wäre ganz gewiss nicht der Fall, im Gegenteil, wenn sie jetzt hier erschienen, würde er sie sicher weit fort wünschen.

Ja, aber weshalb sie sich denn nicht heirateten!

Aber waren sie denn nicht verheiratet?

Doch nicht so ganz richtig.

Wie denn, richtig! Mit einem Pastor? Er fand, ein Pastor sei auch nichts anderes, als ein examinierter Student, und seine Beschwörungsformeln wären in seinen Augen Mythologie, nichts weiter.

Das verstand sie nicht, aber sie wusste, dass es nicht ganz so war, wie es sein sollte, und die Leute, die sie kannten, zeigten mit Fingern auf sie.

So mochten sie doch!

Hier fiel Sophie ein, – sie wisse wohl, dass sie den Verwandten ihres Mannes nicht fein genug sei, aber daraus machte sie sich nichts. Jeder muss sich mit dem Platz begnügen, auf den er hingehört.

Durch dieses Zusammensein war der Umgang angebahnt, und man lebte so einträchtig zusammen, wie es unter Familien selten vorkommt.

Aber nach einigen Jahren sah der Assessor seine Verbindung mit einem Sohne gesegnet. Dadurch war die Geliebte zu dem Range der Mutter seines Kindes erhoben. Durch die Leiden und Sorgen für das Neugeborene hatte sie sich verändert, und der Gedanke, der Wunsch, ihrem Manne zu gefallen, sich seine Liebe zu sichern, hatte aufgehört, ihr einziger Gedanke zu sein.

Im Verkehr mit der Freundin zeigte sich bereits eine leichte Überlegenheit, und ihrem Manne gegenüber grössere Sicherheit.

Eines Tages kam er strahlend mit einer grossen Neuigkeit zu ihr. Er hatte die älteste Schwester auf der Strasse getroffen, die natürlich von allem unterrichtet war. Sie schien neugierig, ihren kleinen Neffen zu sehen, und hatte ihren Besuch versprochen.

Nun begann Marie Louise alles gründlich aufzuräumen, zu kehren und abzustäuben, und der Assessor musste ihr endlich ein neues Kleid kaufen. Nun wartete sie acht Tage lang; die Gardinen wurden gewaschen, die Messingbeschläge an Thüren und Öfen geputzt, denn die Schwester sollte sehen, dass es eine ordentliche Person war, mit der ihr Bruder sich zusammengethan hatte.

An dem Tage, als die Schwester nun endlich kommen sollte, wurde ein strammer Vormittagskaffee gekocht.

Und sie kam, steif wie eine Latte, und streckte eine ebenso steife Hand zum Grusse hin. Sie inspizierte die Möbel im Schlafzimmer, liess sich herab, Kaffee mitzutrinken, und sah der Schwägerin nicht ins Gesicht. Für das Neugeborene zeigte sie einiges Interesse; darauf ging sie fort.

Aber Marie Louise hatte ganz genau den Schnitt ihres Mantels, die Güte ihres Kleiderstoffes und ihre Haarfrisur in Augenschein genommen. Auf viel Herzlichkeit hatte sie sich nicht gefasst gemacht. Der Besuch an sich war ihr für den Anfang ganz genug, und bald wusste das ganze Haus, dass die Schwägerin dagewesen war.

Der Kleine wuchs heran und hatte bald eine kleine Nachfolgerin.

Jetzt begann Marie Louise sich um die Zukunft ihrer Kinder Sorge zu machen, und der Assessor bekam es täglich zu hören, dass der Segen der Kirche die einzige Rettung sei.

Dazu kamen die Andeutungen der Schwester, dass die Eltern sich zu einer Versöhnung herbeilassen wollten, wenn das Paar nur rite getraut wäre.

Nach zweijährigem, täglichem und stündlichem Kampf beschloss er endlich, um der Zukunft der Kinder willen, die mythologische Ceremonie über sich ergehen zu lassen.

Aber wen sollte man zur Hochzeit bitten, – die Marie Louise durchaus in der Kirche gefeiert haben wollte. Da konnte doch Sophie nicht mit dabei sein! Das ging bestimmt nicht an: ein Mädchen wie sie! Marie Louise verstand schon das Wort »Mädchen« mit einem ganz besonders moralischen Accent auszusprechen. Der Assessor erinnerte sie daran, dass sie doch gute Freundinnen gewesen wären, und dass man nicht undankbar sein dürfe, aber Marie Louise hielt ihm vor, er müsse um der Kinder willen seine Privatsympathien aufgeben, – und er gab nach.

Die Hochzeit kam heran und ging vorüber. Keine Einladung von Seiten der Alten. Ein grober Brief von Sophie und vollständiger Bruch zwischen beiden Paaren.

Nun sass Marie Louise als Frau da. Einsam, – einsamer als vorher. Verdriesslich über ihre falsche Rechnung und ihres Mannes sicher, der nun gebunden war, begann sie bald sich alle die Freiheiten herauszunehmen, die einer Ehefrau zukommen. Was früher aus Liebe und aus freiem Willen gegeben wurde, nahm sie jetzt als schuldigen Tribut hin.

Sie verschanzte sich hinter dem Ehrentitel der »Mutter seiner Kinder«, und von daher machte sie ihre Ausfälle. Einfältig, wie alle von Weibern erzogenen Männer, konnte er nie begreifen, was denn eigentlich für eine besondere Heiligkeit darin lag, »Mutter seiner Kinder« zu sein; irgend jemand musste es doch sein; auch dass seine Kinder merkwürdiger sein sollten als andere Kinder und als er selbst, konnte er durchaus nicht fassen.

Indessen, beruhigt durch die Legitimierung, die er seinen Kindern hatte angedeihen lassen, begann er, kleine Ausflüge aus seinem Heim zu machen, und sich in der Welt umzusehen, die er anfangs, im ersten Liebesrausch, fast vergessen und auch später noch vernachlässigt hatte, aus Abneigung, Frau und Kinder allein zu Haus zu lassen.

Diese Freiheiten missfielen seiner Frau, und da sie sich nun nicht mehr in Acht zu nehmen brauchte, und ausserdem eine aufrichtige Natur war, sagte sie es ihm gerade heraus.

Er, der alle juristischen Winkelzüge studiert hatte, war um Antwort nicht verlegen.

»Findest Du es anständig, die Mutter Deiner Kinder zu Hause sitzen zu lassen, während Du Dich in der Kneipe aufhältst?«

»Ich dachte nicht, dass Dir etwas fehlte, mein Kind,« sagte er in ruhigem Ton.

»Fehlte! Ich finde, wenn der Hausherr immer aus ist und das Wirtschaftsgeld vertrinkt, dann fehlt dem Hause nur allzuviel.«

»Fürs erste trinke ich nicht, sondern ich esse nur mein bisschen Abendbrot und trinke eine Thräne Kaffee dazu; fürs zweite ist es nicht das Wirtschaftsgeld, denn das hast Du eingeschlossen; – ich habe nämlich noch etwas anderes Geld, was ich ›vertrinke‹.«

Unglücklicherweise verstand sie, wie die meisten Frauen, keinen Spass, und diese scherzweise von ihm ausgeworfene Schlinge bekam er sofort zurück und um den Hals.

»Jedenfalls giebst Du doch also zu, dass Du trinkst?«

»Ich? Bewahre! Ich habe das Wort doch nur ironisch gebraucht.«

»Ironisch! Jetzt wird man also ironisch mit seiner Frau. Früher war das anders.«

»Du hast ja die mythologische Geschichte selbst gewollt! Weshalb ist es denn jetzt nicht mehr wie früher?«

»Natürlich weil wir verheiratet sind!«

»Jawohl, teils deswegen und teils weil es einmal in der Natur des Rausches liegt, zu verfliegen.«

»So, also bei Dir ist es nur ein Rausch gewesen?«

»Nicht nur bei mir, – bei Dir auch, und ebenso bei allen anderen. Es handelt sich nur um die Dauer, verstehst Du.«

»Ja, bei den Männern ist die Liebe wohl nur ein Rausch.«

»Nein, bei allen.«

»Ein Rausch ist sie also doch?«

»Ja, ja, ja! Aber man kann ja trotzdem gut Freund bleiben.«

»Dann braucht man sich doch aber gar nicht zu heiraten.«

»Das fand ich eben auch.«

»Du? Wolltest Du nicht selbst, dass wir uns trauen liessen?«

»Ja, weil Du es wolltest, tagaus, tagein, drei volle Jahre lang.«

»Aber Du wolltest es doch auch?«

»Nur weil Du es wolltest. Danke mir jetzt dafür.«

»Ich soll Dir dafür dankbar sein, dass Du Dich um Weib und Kind nicht kümmerst, und in den Kneipen herumsitzest?«

»Nein, dafür nicht, sondern dafür, dass ich mich mit Dir habe trauen lassen.«

»Also dankbar soll ich jedenfalls sein?«

»Jawohl, wie jeder anständige Mensch dankbar sein muss, wenn er seinen Willen durchsetzt.«

»Na, ich kann Dir sagen, ein Vergnügen ist es nicht, verheiratet zu sein, wenigstens nicht so wie ich; nicht 'mal von Deinen Verwandten werde ich achtungsvoll behandelt.«

»Was gehen Dich meine Verwandten an? Ich habe mich ja mit Deinen auch nicht verheiratet.«

»Ja gewiss, weil sie Dir nicht fein genug sind.«

»Aber meine Verwandten sind Dir jedenfalls fein genug; wenn sie Schuhmachersleute wären, würde Dir gewiss weniger an ihnen liegen.«

»Schuhmachersleute! Taugen die etwa nichts? Sind das etwa nicht auch Menschen?«

»Ja, ja, ganz gewiss, – und doch glaube ich, Du würdest ihnen nicht besonders nachlaufen.«

»Nachlaufen? Ich laufe überhaupt niemandem nach.«

»Na, dann ist es ja gut.«

Aber es war doch nicht gut, und es wurde nie wieder gut. Ob es nun an der Trauung lag, oder an etwas anderem, aber Marie Louise fand jedenfalls, dass es nicht mehr so war wie früher; es war nicht mehr so »kreuzfidel«, wie sie sich ausdrückte.

Der Assessor aber war der Meinung, dass doch nicht die Trauung die Schuld trug, nachdem er nämlich gesehen hatte, dass auch verschiedene Civilehen mit der Zeit brüchig geworden waren. Auch sein Freund und Sophie, die er heimlich ab und zu besuchte, machten eines Tages »Schluss«, wie sie es nannten; und sie waren nicht getraut. –

Es konnte also wohl nicht daran liegen!


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