Rudolph Stratz
Seine englische Frau
Rudolph Stratz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4

Es war Ostersonntag. Englischer Sabbat. Grau der Himmel. Grau und öde das Meer. Grau die Luft. Kirchhofsruhe im Bungalow, in den Landsitzen umher, in der ganzen Stadt. Die Hähne krähten nicht, die Hunde bellten nicht, die Wellen am Strand hatten ihr Plätscherspiel eingestellt. Die Straßen lagen verödet. Im Wildingschen Hause war keine Menschenseele geblieben. Alles, die Familie und ihre Gäste und die Dienerschaft hatten die Kirche aufgesucht, wie es achtbaren Briten ziemte.

Helmut Merker streifte müßig in den Wohnzimmern und dem Garten umher. Er konnte doch nicht wohl in den anglikanischen Gottesdienst gehen. Aber er kam sich jetzt, wo all die anderen Menschen, Mitglieder der Hochkirche, Presbyterianer, Methodisten, schwarzgekleidet und mit respektablen Mienen den Bethäusern zuströmten, beinahe wie ein Heide vor. Er war auch allseitig bedauert worden, daß ihm kein evangelischer Ritus zur Verfügung stand. Die Hand der Hausfrau hatte ihm unauffällig eine englische Bibel in sein Zimmer gelegt. Man dachte wohl, daß er in der Stille seines Kämmerchens sich erbauen würde. Er versuchte es auch. Er las, den Kopf auf die Hand gestützt, das Vaterunser und buchstabierte mechanisch dreimal hintereinander: »Thy will be done! – Dein Wille geschehe!« und stand seufzend wieder auf. Seine Gedanken waren anderswo. Er wiederholte es sich: »Dein Wille geschehe!« – Ja. Er war in der Hand des lieben Gottes. Er wußte nicht, was ihm der Aufenthalt unter diesem Dache bringen würde: Sieg oder Niederlage. Unerhörtes Glück oder einen trüben, trüben Rückzug, der – das fühlte er – auf lange hinaus einen Schatten über sein Leben werfen würde.

Oder das dritte und wahrscheinlichste: er hatte keinen Mut! Er fand nicht den Entschluß zu dem Wagnis. Er reiste einfach übermorgen ab und alles war gewesen und alles war zu Ende. In einer eigenen Schwermut schlenderte er im Freien dahin, trat in den Palmgarten, besuchte die Treibhäuser der Orchideen, die in feuchtwarmer Tropenluft ihre bizarren, buntgefleckten Schuhe und Löffel und Sterne entfalteten, er sah die Automobilgarage, den Stall mit den Luxusboxen der Pferde, durch das ebenerdige Fenster den behaglichen Salon der Dienstboten und rang im Weitergehen die Hände und sagte sich in heller Verzweiflung: Guter Gott – wenn sie doch ein bißchen weniger hätte! Wenn sie nicht so unmenschlich reich wäre!

Er wanderte ziellos durch die Straßen von Bonchurch. Sie waren wie ausgestorben. Aus einer Kirche am Wege tönten helle Stimmen. Die Ladies sangen andächtig im Kirchenchor. Ein silberner Sopran schwang sich über die anderen hinaus. Er dachte sich: Am Ende ist das sie! Er hatte Sehnsucht nach Edith. Er war fiebernd unruhig. Auf dem Rückweg traf er einen der Gäste des Hauses, einen dort offenbar sehr vertrauten jungen Gentleman, der vom Gottesdienst kam. Sie sprachen zuerst wie immer vom Wetter. Dann konnte der junge Deutsche nicht an sich halten. Er frug: »Es ist so viel Wohlstand in Ihrem Lande. Ich möchte gerne einen Maßstab haben: Ist Mr. Wilding, mein Onkel, zum Beispiel nach Ihren Begriffen ein reicher Mann?«

Der Gentleman nahm die kurze Pfeife aus den Zähnen. Er war in der City daheim. Er meinte: »Well, der alte Wilding, der Vater des jetzigen, war schon ein Zehntausendpfundmann. Jetzt hat er wohl das Doppelte und mehr!«

»Im Jahr? An Einkünften?«

»Ja natürlich!« sagte der junge glattrasierte Minenspekulant halb lächelnd über den Ausländer.

In Helmut Merkers Herz schlich eine tiefe Trauer. Er rechnete sich im Gehen: An fünfmalhunderttausend Mark Rente jährlich! Nein! Ein zehnfacher Millionär gab ihm, dem Leutnant Merker aus Alsheim an der Bergstraße, doch nie und nimmer seine Tochter zur Frau . . .

»O ja, Wilding und Kompanie sind ein feines Haus!« wiederholte der Gentleman neben ihm nach einer Weile nachdenklich. »Im Salpetergeschäft steckt Geld – wissen Sie!«

Der andere nickte nur trübe und betrat mit ihm den Bungalow. Da war eben alles aus der Kirche zurück. Edith schüttelte ihm die Hand. Es wurde ihm wieder frei ums Herz. Er erkundigte sich fröhlich: »Na – was machen wir jetzt?«

Sie blickte ihn aus ihren blauen Augen erstaunt, beinahe verweisend an. Er kannte nun schon diesen abwehrenden Gesichtsausdruck hierzulande, wenn ein Festländer irgend etwas sagte oder tat, was nicht britisch war. Am heutigen Tage tat man doch natürlich nichts. Es war doch Sabbat. Klavierspielen so gut eine Sünde, wie Fußballschleudern oder Golfschlagen. Die Damen rückten sich mit Romanbänden in der Hand in Sofaecken zurecht, die beiden alten Herren gingen auf ihre Zimmer und beteten da nicht, sondern schrieben heimlich Geschäftsbriefe, die jungen Gentlemen saßen sinnend beschaulich vor dem flackernden Kaminfeuer, lächelten still, die Hände in den Taschen, oder blätterten in Sportnummern. Draußen tröpfelte matt der Regen auf die menschenleeren Straßen. Es rührte sich nichts. Der junge Deutsche sah es staunend. Die Leblosigkeit in diesen gemütlichen Räumen erinnerte ihn an das satte Behagen von Wiederkäuern.

Neben ihm klapperte etwas. Edith Wilding hatte eine Platte mit einem halbfertigen Puzzlespiel vor sich. »Du kannst mir helfen!« sagte sie. Er setzte sich an ihre Seite vor das mächtige Viereck dieses Puzzle und frug, was es vorstellte.

»Der Einzug des Vizekönigs von Indien in Delhi, nach dem Durbar, weißt du – nach der Krönung . . .«

Das, was sie am meisten interessierte, hatte sie schon früher fertig gemacht: die Gestalt der Vizekönigin. Die große Dame saß majestätisch im Palankin auf dem Elefantenrücken, die Hände im Schoß, den Blick geradeaus, steil aufgerichtet, im Profil wie eine ägyptische Herrscherin neben dem Pharao, ihrem Gemahl. Nun galt es, auch den und sein buntes Gefolge zusammenzusetzen. Es war nicht leicht. Und wie allmählich diese Reihen schreitender Elefanten, diese edelsteinübersäten indischen Fürsten, diese prunkvollen Leibwachen und Trabanten und Palmen und Tempel entstanden, da wehte es selbst aus diesen geschnörkelten, farbigen Holzstückchen den jungen deutschen Offizier wie ein Hauch des gewaltigen britischen Weltreiches an und war ihm, trotz der gähnenden Gentlemen und schmökernden Misses umher, zu einem Sinnbild seines Reichtums, seiner Selbstsucht, seines Blicks über See.

Ihre Hände berührten sich, während sie die Bausteine suchten. Sie probierten und tauschten sie und nahmen sie sich gegenseitig weg und schlugen einander auf die Finger, wenn sie an einen Irrtum des anderen glaubten, und lachten halblaut und steckten wieder die Köpfe zusammen und waren glücklich, beieinander zu sein. Zuweilen, wenn sie zu heiter wurden, schaute irgend jemand im Zimmer nicht auf sie, sondern mißbilligend in die leere Luft hinein. Dann machten sie schuldbewußte Gesichter und vertieften sich schweigend, voller Ernst, in ihre Aufgabe und begannen bald wieder zu tuscheln und zu raunen, und die Zeit verrann ihnen im Fluge. Sie fuhren ungläubig auf, als der Diener plötzlich sich hinter ihnen räusperte und meldete, daß der Lunch bereit sei. Sie wußten wirklich nicht, wo diese drei Stunden eigentlich geblieben waren. Sie waren verwirrt ohne rechten Grund und kamen mit roten Köpfen in den Speisesaal.

Dort herrschte eine eigentümlich kühle Stimmung, bei aller Höflichkeit gegen den Gast. Mrs. Wilding war frostig und säuerlich liebenswürdig, ihr Mann gemessener, trocken verbindlich, wie damals in der City. Dickie, der rundliche, rosige Hausherr, war maulfaul wie gewöhnlich. Bill, der jüngere Bruder, hatte ein Monokel in seiner glattrasierten, faltigen Physiognomie und zwinkerte die Tafelrunde durch das Glas humoristisch an, als wollte er plötzlich von einem Geheimnis zu reden anfangen, das auf allen Lippen lag. Es machte die anderen geradezu erregt. Sie waren bei diesem stillen Grinsen so unruhig, als es ihnen ihr fischblütiges Temperament überhaupt gestattete. Helmut Merker sah es wohl. Es war ihm beklommen zumut. Es war ja nichts geschehen. Niemand konnte ihm einen Vorwurf machen. Aber es lag etwas in der Luft. Nur Edith selber, der eigentliche Mittelpunkt dieser Mißbilligung, blieb völlig unbekümmert. Gleich nach Tisch warf sie sich ein Wollmäntelchen um die Schultern, band sich einen Schleier um und sagte laut und harmlos: »So! Jetzt mache ich meinen Gesundheitsspaziergang! Kommst du mit, Vetter?«

Schon daß sie allein im ganzen Hause ihn ›du‹ nannte und immer herausfordernd mit ihm Deutsch redete, gab ihnen beiden eine Sonderstellung. Ihr Vater und alle anderen verkehrten, seit sie sein fließendes Englisch gehört hatten, nur noch in ihrer Landessprache mit ihm. Helmut Merker hatte, als sie vor das Haus traten, die Empfindung: Sehr wohlwollend schauen die drinnen dir jetzt nicht nach! – Er und Edith gingen die Küste entlang nach Ventnor. Das Wetter war inzwischen wieder rauh und böig geworden. Schwere kalte Regentropfen klatschten ihnen ins Gesicht. Ediths schlanker Körper bog sich in seinen flatternden Kleidern wider den Sturm, der ihnen entgegenwehte. Sie hielt mit der einen Hand ihren Hut fest und raffte mit der anderen ihren Rock. So lief sie wie ein junges Pferd, das froh ist, aus dem Stall zu kommen, mit Siebenmeilenstiefeln drauflos. Sturm und Nässe störten sie gar nicht. Wer in England auf Windstille und Himmelsblau rechnen wollte, konnte lange daheim am Kaminfeuer sitzen.

Dann kamen sie an einen der ›Chines‹ der Engpässe am Meer. Hier war die Luft stiller. Sie schritten auf dem weichen feuchten Sand zwischen See und Felsenufer dahin und schwiegen eine Weile. Er dachte wieder an die Einladung über das ›lange Wochenende‹. Übermorgen, am Dienstag vormittag, mußte er fort! Er frug: »Was hast du denn in nächster Zeit vor, Edith?«

»Ich weiß noch nicht . . .«

»Ich glaubte, du hättest immer eine Unmasse Einladungen und Vergnügungen!«

»Ja. Viele. Aber es ist nichts darunter, womit ich die Meinigen genug ärgern kann!«

Er mußte lachen.

»Warum willst du sie denn ärgern?«

»Weil sie's auch tun!«

Sie stieß im Gehen Steinchen mit der Fußspitze vor sich her und verstummte, den Zug zähen britischen Eigensinns um die Mundwinkel, den er an ihr kannte.

»Oh . . . es ist schimpflich!« sprach sie endlich und machte einen Seitensprung, um einer heranwallenden Welle zu entgehen.

»Wer tut dir denn was, Edith? . . . Sag's!«

»Nun, Pa zum Beispiel gestern abend . . . Und heute früh vor der Kirche . . . Wenn es nicht meine Eltern wären, würde ich sagen: Es ist höchst gewissenlos und unchristlich, Citygeschäfte mit solchen Dingen zu vermengen. Noch dazu am Sonntag. Das ist doch Sabbatbruch! Ist's nicht?«

»Ja – ich weiß ja gar nicht, was . . .?«

»Möchtest du Augustus Fleck heiraten?«

»Nein!« gestand er lachend und aus vollster Überzeugung.

»Well Ich noch weniger!«

Das junge Mädchen sprach das trocken und geschäftsmäßig. Sie achtete nicht darauf, daß jetzt doch ein paar Schaumspritzer ihre Knöchel netzten, schüttelte nur im Weitergehen die Schuhe, daß die Tropfen flogen, und fuhr im gleichen Ton fort: »Überhaupt Manchester! . . . Es ist kein feines Volk dort . . . Viel schlecht erzogene Leute . . . Und nicht von der Spinnerei wegkönnen . . . Und wieviel Geld man auch hat, man bleibt von Amerika und dem New-Yorker Markt abhängig . . .«

Er mußte wieder über ihre Nüchternheit lachen.

»Na – das hast du dir ja schon alles, scheint's, gründlich überlegt!«

»Schon lange!« sagte sie halb verächtlich. »Das geht so schon Jahre. Aber jetzt quälen sie mich damit! Das lasse ich mir nicht gefallen!«

Ein ganz unenglisches Temperament brach bei ihr durch. Sie stampfte, einen Augenblick stehen bleibend, mit dem Fuß.

»Ich bin doch ein erwachsener Mensch! . . . Ich bin frei! . . . Ich bin unabhängig. Ich hab' auch, wenn Pa einmal nicht ist, meine Rente! Ich kann machen, was ich will! Ich geb's Pa schriftlich! Ich heirate Augustus Fleck gewiß nicht!«

Er war völlig verdutzt über ihre Offenheit. Es kochte heiß in ihm. Er dachte sich: wenn sie dir das sagt, dann bist du ihr mehr, als du hoffst! Die Stunde kehrt nie wieder. Nutze sie! . . . Jetzt sie festhalten – jetzt sie küssen – jetzt ihr sagen: du bist mein . . .

Da war plötzlich etwas von deutschem Stolz. Etwas Hemmendes. Er sah die frostig höflichen Mienen im Bungalow vor sich. Er war dort alles, nur kein willkommener Gast. Er wiederholte sich: Der Alte schmeißt dich einfach 'raus, wenn du ihn um die Hand seiner Tochter bittest! Nein, er wollte sich nicht vor diesen Engländern und Halbengländern demütigen lassen, als abgewiesener armer deutscher Vetter mit Schimpf und Schande abziehen . . .

Edith Wilding ging rasch und leichtfüßig neben ihm her und blinzelte gegen die Stöße der Böen . . . Wenn ihn der Vater hinterher an die Luft setzte – ja . . . Was half denn hier eine Verlobung – ein Kuß unter der regentriefenden Agavenhecke da an der Klippe? . . . Der Abschied wurde dann erst recht schwer und bitter . . .

Das alles stürmte blitzschnell auf ihn ein. Und da war schon diese Felsenecke. Und jenseits der Ecke Menschen. Der Blick ins Weite. Ein Strand mit dem unvermeidlichen Pier. Ein hochgetürmtes Städtchen darüber.

Seine Begleiterin wies mit der Hand darauf hin und sagte: »Ventnor . . . Ist das nicht der schönste Platz an der Seeseite? Ich wollte, der Bungalow läge hier. Hier gibt es viel mehr Leute!«

Sie war ganz wie sonst. Er schaute sie ein paarmal erregt und ungewiß von der Seite an, aber er konnte ihrem regelmäßigen, jugendlichen Profil nichts anmerken. Sie klomm so flink die steilen Gassen des Städtchens empor, daß weniger straffe Gentlemen als der junge deutsche Offizier sich hätten anstrengen müssen, um ihr zu folgen. Zu sehen gab es da oben eigentlich nichts. Sabbatstimmung. Regenverwaschene, menschenleere Straßen, geschlossene Läden, tiefes Schweigen.

Sie waren umgedreht und wanderten nun hoch über den Klippen zurück. Unten dröhnte und kochte das Meer in einem meilenlangen weißen Schaumstreifen längs der Küste, frei flog der Blick über seine grenzenlose Fläche, schwere Rauchfahnen von Dampfern qualmten fern am Horizont. Edith Wilding sagte unvermittelt: »Findest du das eigentlich auch in der Ordnung, daß in Deutschland alle Frauen am Herd stehen müssen?«

Er mußte lachen.

»Wer hat dir denn das aufgebunden, Edith?«

»Das weiß man doch! . . . Alle Frauen bei euch sind Köchinnen!«

»Ach, Unsinn . . .«

»Oder sie wischen Staub oder sie stricken Strümpfe. Sie sind dazu da, die Männer zu bedienen. Sie sind wie die Mägde! Deswegen sind sie auch so weit hinter den Frauen anderer Länder zurück!«

»So? . . . Das sind ja nette Neuigkeiten! Das muß ich sagen!«

»Neuigkeiten!« Sie hob verächtlich die Schultern. Sie war merkwürdig gereizt. »Das war von jeher so! Dafür seid ihr berühmt in der ganzen Welt! . . .«

»Das war vielleicht mal so! Anderswo auch! . . . Aber ihr Engländer begeht immer und ewig den Fehler, Deutschland nach der Zeit von Anno Tobak zu beurteilen. Ihr kneift krampfhaft die Augen zu gegen alles, was unterdessen bei uns passiert ist. Daher kommen dann eure komischen Urteile . . .«

»Anno Tobak war ich noch nicht auf der Welt!« sagte Edith Wilding. Sie fing plötzlich an, eigensinnig Englisch zu sprechen. »Aber ich war voriges Jahr wieder mit mother in Deutschland. Wir haben alle Plätze besichtigt. Überall waren Bierhäuser, größer als die Klubhäuser in Piccadilly – vier Stockwerke hoch in Berlin, und hinter den Fenstern viele tausend Männer, die Bier tranken. Wo haben sie ihre Frauen? Zu Hause! Da flicken sie unterdessen die Wäsche! Oh . . . ich möchte nicht Frau in Deutschland sein! . . . Ich nicht!«

Sie versetzte es mit leidenschaftlicher Überzeugung. Er biß sich auf die Lippen. Das war die Folge von vorhin. Natürlich war das eine Dummheit gewesen. Und er konnte doch nicht anders. Er ging ärgerlich dahin. Sie fuhr in mitleidig-überlegener, englischer Kühle fort: »Das wirst du doch selbst zugeben, Vetter, daß die Frauen in Deutschland von Eleganz keine Ahnung haben. Sie sind lächerlich kleinstädtisch . . . im Anzug . . . in allem . . . Sie sind ja auch so breit gewachsen! Oh . . . ich möchte nicht unter ihnen leben!«

Er fuhr auf.

»Du redest da wie der Blinde von der Farbe, Edith! . . . Ihr alle, hierzuland, in eurem Dünkel! . . . Ihr kocht auch mit Wasser, glaub' mir! . . . Denkt ihr denn, daß ihr alle durch die Bank so wunderschön seid? . . . Pah! Viel zu mager seid ihr!«

»Danke!« sagte sie spöttisch.

»Dich mein' ich nicht! Du kannst schon bleiben, wie du bist! Aber du bist eine Ausnahme! . . . Im allgemeinen kriegt ihr viel zu scharfe Züge durch den Sport . . . und laßt die Schultern vornüber hängen und . . . wenn ich in London eine hübsche Erscheinung gesehen hab', war's immer eine Amerikanerin!«

Das machte sie ganz wütend.

»Natürlich: die Amerikanerinnen!« meinte sie verächtlich. »Die sind eben auch zu dreiviertel keine Ladies! . . . Die haben auch das Unkultivierte . . . Sie beißen sich die Nägel und schreien durch den ganzen Saal . . .«

Jetzt wurde er auch über ihren britischen Hochmut zornig.

»Was heißt denn das: ›auch‹? Bezieht sich das auf unsere deutschen Damen? . . . Die kennst du ja gar nicht . . . Da hast du ja gar keinen blassen Schimmer . . . am wenigsten von Offiziersdamen! Sieh dich doch gefälligst einmal um – zum Beispiel bei uns im Regiment, was da für elegante junge Frauen sind! Die sind vom Rhein! Die haben Geld! . . . Die . . .«

»Ein paar vielleicht! . . . Dafür sind die anderen gewiß alle bettelarm!«

»Neue sträfliche Unwissenheit!« sagte er. »Kein Leutnant bei uns darf heiraten, wenn er nicht achtzig- bis hunderttausend Mark hinterlegen kann! Außerdem muß sie auch von sehr guter Familie sein! Also unter Köchinnen kommst du bei uns nicht! Das darfst du mir schon glauben!«

Das junge Mädchen antwortete nicht. Diese Sicherung der gesellschaftlichen Höhe im deutschen Offizierkorps schien plötzlich wieder beruhigend auf sie zu wirken. Sie machte ein sehr nachdenkliches Gesicht.

In ihm zitterte der Ärger noch nach. Er versetzte: »Und im übrigen ist die Deutsche natürlich eine gute Hausfrau und ist stolz darauf und soll es sein! Die Frau gehört ins Haus!«

»Nach euren veralteten deutschen Anschauungen natürlich!« Miß Wilding sprach immer noch herausfordernd Englisch und sah ihrem deutschen Vetter aus ihren klaren blauen Augen, in denen ein zäher Eigensinn glänzte, fest ins Gesicht. »Die englische Frau gehört dahin, wohin sie will. Ich lasse mir meine Freiheit von niemandem auf der Welt nehmen. Auch von meinem Mann einmal nicht, wenn ich je heirate . . .«

Er zuckte die Achseln und ging wortlos dahin. Es hatte sich eine Kluft zwischen ihnen aufgetan. Sie schauten sich zuweilen im Weiterwandern an. Aber sie schwiegen beide hartnäckig. Keiner wollte den ersten Schritt zur Wiederannäherung tun. So langten sie unversöhnt vor dem Bungalow an und traten tropfnaß in das Haus, und Edith lief sofort die Treppe empor und kam bis zum Dinner nicht mehr zum Vorschein.

Das Mittagmahl um sieben Uhr abends verlief steif und kühl. Helmut Merker wußte nicht: war das englische Nüchternheit und Sabbatstimmung an sich oder galt es ihm? Doch ihm! Er hatte die drückende Empfindung, daß hier ein störendes Element war, und das war er. Die Zeitungen hatten von neuen Reibereien und Sticheleien zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien berichtet. Als die Gentlemen nach Tisch beim Portwein saßen, kam die Rede darauf, und er war ganz entsetzt, zu sehen, wie wenig dies Angelsachsenvolk, das doch drei Viertel der Erde beherrschte und um die ganze Erde reiste, von seiner deutschen Heimat wußte. Er gab es auf, ihnen zu widersprechen. Er rauchte in trüben Gedanken seine Zigarre. Was er da um sich hörte, das waren, von anderen Lippen und in anderer Art, Ediths Anschauungen von heute nachmittag. Dann hatte er, gerade ehe man aufstand, noch einen neuen Zusammenstoß mit Augustus Fleck, der stark getrunken hatte und es plötzlich merkwürdig fand, daß alle Kellner in England Deutsche seien. Die Vorliebe gerade für diesen dienenden Beruf deute doch auf eine wunderbare Anpassungsfähigkeit der teutonischen Rasse.

»Na – die haben Sie selber ja auch bewiesen!« sagte der Leutnant trocken, und folgte den anderen. Hinter ihm wurde gelacht. Aber er fühlte wohl: Er verbesserte seine Stellung im Hause nicht . . .

Drüben im Drawing-Room spielte man Bridge. Edith war mit darunter. Ebenso mit Leib und Seele dabei wie ihre Landsleute. Sie beugte sich gespannt über den Tisch. Helmut Merker kannte das Spiel nicht. Er stand schweigend abseits und sah zu. Sie schaute nicht zu ihm hin. Sie trotzte. Er auch.

Nach Beendigung der Partie setzte sie sich mit zwei anderen jungen Mädchen in eine Ecke. Es waren ein paar rosige Schafe. Gott mochte wissen, was sie denen alles Wichtiges anzuvertrauen hatte! Sie redete unablässig auf die Wesen in weißem Mull ein und lachte dazu. Der junge Offizier beobachtete sie düster. Er hatte nur den einen Trost, daß sie sich auch um Mr. Augustus Fleck nicht kümmerte. Der Deutschenfresser gab sich auch keine Mühe, sich ihr zu nähern. Er saß im Nebenzimmer ganz behaglich hinter seinem Brandy und Soda und wartete. Natürlich. Er hatte Zeit. Er blieb. Sein Nebenbuhler mußte übermorgen früh sein Bündel schnüren. Jetzt, wo er sich mit Edith verzankt hatte, erschien dem dieser Entschluß als die Befreiung aus einer unhaltbaren Lage. Er stand, nachdem sich die Gäste getrennt, oben in seinem Zimmer und schaute in die dunkle, sturmbewegte Frühlingsnacht hinaus, in der man das nahe Meer wohl rauschen hörte, aber seine weißen Schaumkronen so wenig wie das Flimmern eines Sterns sah, und fühlte das Frösteln der Fremde. Und Edith Wilding selber war ein Mädchen aus der Fremde. Sie kam und ging. Schwand aus seinem Leben. Es blieb nur die Erinnerung . . .

Er setzte sich an den Tisch und stützte das Haupt auf die Hand. Er war erbittert und verbittert. Er steigerte sich selber immer mehr in einen düsteren Zorn. Einen Ärger über alles, was geschehen! Eine Furcht, durch längeren Aufenthalt hier sich lächerlich zu machen. Er. Ein deutscher Offizier. Er hatte das doch weiß Gott nicht nötig. Er drängte sich diesen Leuten nicht auf . . . Krämerseelen . . . pah . . . Jetzt ging sein hitziges Blut mit ihm durch . . . Er bekam einen roten Kopf. Und wenn er zehnmal nur der bürgerliche Leutnant Merker von der Linieninfanterie war – so viel wie jemand, der mit Salpeter handelte und um Baumwolle feilschte, war er noch lange . . .

Er schlief elend diese Nacht. Am nächsten Tag, dem Ostermontag, war der englische Sabbat in neuer Auflage. Wieder Stille. Wieder Regen. Wieder Kirchgang. Wieder Stumpfsinn bis zum Lunch. Er hatte Edith bis dahin noch nicht zu Gesicht bekommen. Aber auch jetzt war ihr Platz am Tisch leer. Sie war nach dem Gottesdienst zu einer befreundeten Familie gegangen und schien, da sie sich nicht zeigte, dort geblieben zu sein.

Das gab seiner Stimmung den Rest. Die allgemeine Unfreundlichkeit kam dazu. Man unterhielt sich wohl während des Essens mit ihm. Aber gleich nachher ging alles wieder seiner Wege. Niemand kümmerte sich um den Fremden. Er wartete noch ein paar Stunden bis vier Uhr nachmittags. Edith kam nicht. Da hatte er auf einmal genug. Er ging durch das leere Haus und suchte den Butler.

»Sagen Sie mal, haben Sie jemanden zur Hand, der meinen Koffer zur Bahn trägt?«

»Jetzt, Sir?«

»Zu dem Abendzug! Ich muß leider fort!«

»Sehr wohl, Sir!«

Es war Helmut Merkers Absicht, oben in seinem Zimmer ein paar höfliche Abschiedsworte des Dankes an die englischen Verwandten zu schreiben und seine plötzliche Abreise mit unaufschiebbaren Geschäften zu begründen. Sie würden schon verstehen, wie er es meinte. Es war ja eigentlich verrückt. Er gestand es sich in einem lichten Augenblick selbst zu. Aber dann kam es wieder über ihn, trübte sein Denken, trieb ihn wieder in den Trotz hinein . . . Er war nicht mehr Herr seiner selbst. Er war zu verliebt. Und war es zu hoffnungslos . . .

Alle die Fremdenzimmer des Oberstocks um ihn waren leer. Keine Menschenseele daheim. Auch kein dienstbarer Geist auf sein Klingeln hin zu erblicken. Er brauchte Tinte – denn die seine war ausgetrocknet – und trat auf den Flur hinaus. Leichte Schritte kamen rasch die Treppe empor. Er dachte, es sei das Hausmädchen, und ging ihr entgegen und stand vor Edith Wilding.

Sie war ganz außer Atem.

»Der Butler sagt, du wolltest fort?«

»Ja.«

»Aber warum denn? . . . Ich bin so angstvoll, es zu hören!«

»Ich hab' schlechte Nachrichten aus Deutschland bekommen . . . ich . . .«

»Helmut, schäm dich! . . . Heute, am Ostermontag, gibt es keine Post . . .«

Beide waren eine Sekunde still. Dann brauste er auf.

»Sag mal selbst: was tu' ich denn noch hier? Ich bin doch hier überflüssig! . . . Das sieht doch ein Blinder. Man läßt's mich auch merken! . . . Du besonders! Du kommst ja gar nicht mehr zum Vorschein! Dieser Fatzke, dieser Vetter Augustus . . . Mit dem Gewächs krieg' ich Krach, ehe es noch einmal Tag wird . . . Da mache ich lieber freiwillig Schluß! . . . Denkt, was ihr wollt! . . . Ich denk' mir auch mein Teil . . .«

Er brach ab und setzte ruhiger hinzu: »Das ist übrigens alles Unsinn! Der Augustus und die anderen sind mir total wurst! Bloß deinetwegen geh' ich weg, weil du mich so schlecht behandelst!«

Jetzt erst sah er, daß ihre Wangen blaß und ihre Augenlider leicht gerötet waren. Sie hatte sich die Tränenspuren sorgfältig abgewaschen. Aber sie mußte heute schon viel geweint haben, den Tag über. Sie frug gepreßt, mit sich kämpfend: »Wohin denn?«

Der junge Offizier machte eine Bewegung des Unmuts in die Ferne hinaus.

»Ich hab' England jetzt dick! Gründlich dick! . . . Urlaub hab' ich noch! . . . Da geh' ich lieber noch auf vierzehn Tage heim zu Muttern in den Odenwald! . . . Da ist's still! Da stört einen keine Menschenseele . . . Da kann man zu sich kommen und über allerhand nachdenken, wie's gekommen ist . . . und wie's nicht gekommen ist . . . und nicht hat sein sollen . . .«

Seine Augen wurden plötzlich feucht, seine Stimme schlug über . . . er rang dagegen. Auch bei ihr sah er wieder helle Tränen . . . das gab ihm einen Schrecken . . . nein . . . mehr . . .

»Ja – nun heulen wir uns womöglich noch was vor!« sprach er erbittert. »Warum denn? Weshalb schaust du mich denn so an?«

»Bleib doch noch ein paar Tage hier!«

Er mußte zornig lachen.

»Hier? . . . Das gäbe ja bei euch eine Riesenfreude! Edith – nun gesteh einmal: Wer von euch möchte denn das wünschen?«

Er stand dicht vor ihr. Er war einen halben Kopf größer als sie. Sie hob ihre klaren, trotz des feuchten Glanzes ruhigen Augen zu ihm auf und versetzte einfach: »Oh . . . ich wäre so froh!«

Da verstand er sie. Er beugte sich zu ihr nieder und legte den Arm um sie und küßte sie. Und küßte sie wild und küßte sie immer wieder und sie ihn.

Niemand störte sie. Sie standen in dem stillen Gang im Oberstock, durch dessen Flurfenster fern unten das graue Meer dämmerte. Der Abend brach herein. Schatten krochen aus den Ecken. Sie küßten sich immer noch, allein in dem weiten Haus. Dann dröhnte unten die Türe. Stimmen hallten herauf. Die Familie Wilding oder ihre Gäste kehrten heim. Das brachte sie beide zur Besinnung. Sie ließen einander los und horchten. Edith nickte.

»Oh . . . das ist Pa . . . Laß mich jetzt machen! Warte hier!«

Sie und er küßten sich rasch noch einmal. Dann raffte sie ihren Rock und sprang leichtfüßig, mit offenen Lippen, eine atemlose Entschlossenheit auf den Zügen, hinab ins Erdgeschoß.

Dort saß John Wilding vor seinen Papieren, hatte, nach seiner Gewohnheit, die Augen geschlossen, fuhr mit der Hand darüber und seufzte leise. Sie schlenderte unbefangen nickend mitten durch das Zimmer auf ihn zu. Er wandte den gefurchten Kopf.

»Ach, du bist's!« sagte er matt und freundlich. »Störe mich jetzt lieber nicht!«

»O doch, Pa! . . . Ich muß! Es ist etwas Wichtiges!«

Sie setzte sich vor ihm auf die Platte des Schreibtisches, ließ die Füße hinunterhängen und schaute, die Hände im Schoß, bestimmt lächelnd, auf ihn hernieder, während von der Seite her das Lampenlicht ihre klaren regelmäßigen Mädchenzüge mit einem weichen Schimmer übergoß.

»Ich habe mich nämlich eben verlobt, Pa!«

»Was?«

»Mit Helmut! . . . Bleib nur ruhig sitzen, Pa! Es ist ja nun schon geschehen!«

Sie legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter, um ihn am Aufstehen zu hindern, und lächelte versöhnlich. Der alte Herr behielt seinen Platz. Er hatte in seinem langen Leben so viel britische Kühle in sich aufgenommen, daß er sich äußerlich ganz in der Gewalt hatte. Er sagte nur mit großer Ruhe: »Daraus wird nichts!«

»Oh . . . Pa!«

»Frag nur mother!«

»Mother ist froh, wenn sie mich los wird! Es kommt nur auf dich an.«

»Der junge Mann wird morgen abreisen!« versetzte John Wilding geschäftsmäßig in seiner stillen und trockenen Art. »Für solch einen Schwiegersohn dank' ich!«

»Pa!«

»Du sollst einen Kaufmann heiraten! . . . Einen englischen Kaufmann! Einen Mann, der mich endlich im Geschäft entlastet!«

Jetzt wurde Miß Wildings bisher bittender und weicher Gesichtsausdruck verächtlich.

»Pa . . . ich hab' dir vorgestern schon gesagt: Ich bin nicht aus Salpeter! Ich hab' nichts mit der City zu tun! . . . Ich denke nicht an dein Geld! Ich denke an mich!«

»Kurz und gut: Ich gebe meine Einwilligung nicht!«

Das junge Mädchen ließ sich lebhaft vom Tisch heruntergleiten und stellte sich auf die Beine.

»Oh . . . Pa . . . dann heiraten wir ohne die!«

»Um Gottes willen!« sagte John Wilding leise und ganz entsetzt.

Seine Tochter nickte. »Er ist bald achtzehn Tage im Land. Ich meine, da können wir sehr leicht in London getraut werden. Ich ziehe zu Lizzie Hunter und heirate von dort aus!«

Der alte Citymann war noch immer fast sprachlos.

Sie fügte hinzu: »Du wirst uns dann schon nicht als ›Paupers‹ herumlaufen lassen, Pa! Es wäre ja zu peinlich für die Firma!«

»Und wenn ich es doch tu'?«

»Dann mache ich einen Putzladen in Regentstreet auf. Alle meine Freundinnen werden kommen und kaufen. Ich helfe mir schon . . . Aber ich fürchte, mother würde das peinlich sein!«

Sie lächelte, schaute den Vater innig an und meinte: »Und du bist ja viel zu gut, um es dazu kommen zu lassen, Pa!«

Der alte John Wilding war gut, fast schwach. Er hatte kein Rückgrat gegen die Seinen. Er war wehrlos gegen das zähe Angelsachsentum seiner Frau und seiner Kinder. Er vermied es, Edith anzublicken und schüttelte stumm den Kopf.

»Sieh mal, Pa!« sagte das junge Mädchen eindringlich, vor ihm stehend und mit seinem Rockknopf spielend. »Du klagst immer, du hättest so viel Ärger und Sorgen. Da machst du nun doch einmal ein ganz ausgezeichnetes Geschäft, mit mir! . . . Er braucht doch nur fünftausend Pfund Kaution, in seiner Stellung, um mich zu heiraten! Damit wirst du mich los!«

Der Alte schwieg. Seine Mienen glätteten sich etwas.

»Denk einmal, wieviel Mitgift du Lucy hast geben müssen! Und ich mach' es so billig! Ich schädige die Firma wirklich nicht! . . . Die paar tausend Pfund! Du sagst immer, ich soll beim Heiraten an dich und das Geschäft denken. Siehst du: ich tu's ja! . . . Ich nütze, wie ich nur kann . . .«

John Wilding stand auf und ging langsam durch das Zimmer. Es war, als ob er wider Willen im Kopf rechnete. Die Worte der Tochter machten Eindruck auf ihn: das Lebensblut einer Firma, das Kapital, schonen – an Geld, an der Mitgift, sparen – freilich . . . Dann runzelte er wieder die Stirne: »Und dann . . . ein Ausländer, Edith!«

Es lag die ganze, selbst ihm allmählich zum Instinkt gewordene Abwehr alles Nichtenglischen darin. Sie rang die Hände.

»Ein Verwandter, Pa! . . . Dein eigener Neffe . . .«

»Aber aus Deutschland!«

»Du warst doch auch einmal Deutscher!«

»Ja. Ich war es einmal!« sagte der alte Herr still. Nach einer Weile fügte er hinzu: »Da wart ihr alle noch nicht auf der Welt! Das ist so lange her. Und siehst du: wie du da stehst . . . mit deiner Dickköpfigkeit . . . und nur an dich denkst und an nichts sonst . . . das stammt aus diesem Lande hier. Das hast du nicht von mir! . . .«

Sie fühlte an seiner kleinlauten Art: sie hatte gesiegt! Sie lief auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Graukopf und küßte ihn.

Er meinte traurig: »Dank mir nicht erst! Was soll ich denn machen!? Du tust ja doch, was du willst! Ihr alle! Ich bin's schon gewohnt! . . . Ich kann's nicht ändern!«

Er hielt die Hände seiner Tochter fest und schaute ihr in die glänzenden jungen Augen.

»Sonderbar!« sagte er. »Da führt dich das Leben wieder in die Gegend zurück, aus der wir einst hierher ins Land gekommen sind. Frankfurt ist gar nicht weit von der Bergstraße. Ich hab's nicht wiedergesehen, seit ich damals mit zwanzig Jahren mein Bündel geschnürt hab'.«

»Du besuchst uns, Pa . . .«

Er beugte sich vor und küßte sie auf die Stirne.

»Ach – was red' ich denn von mir? . . . Ich bin ein alter Mann . . . Edith: ist's auch wirklich der Rechte?«

»Ja.«

»Ganz gewiß?«

»Ganz gewiß!«

Er schwieg. Sie stand ernst und wartete. Es war schon wieder steigende Ungeduld auf ihren Zügen. Das merkte er. Er fürchtete sich vor einem neuen Zusammenstoß mit ihrem Trotz. Er sagte plötzlich leise und hastig: »Nun gut denn! Schick ihn mir in Gottes Namen her!«

Sie flog die Treppen hinauf und Helmut Merker, der immer noch auf dem Flur stand, um den Hals. Er hörte aus ihren abgerissenen Worten an seiner Brust: Es wird alles gut! . . . Er fühlte ihre Last in seinem Arm . . . Um ihn drehten sich die Wände, die Fenster, und draußen Meer und Nacht und ein fernes Schiffslicht auf den Wellen. Ein Fahrzeug in der Richtung nach Dover. Vor kaum vierzehn Tagen hatte er dort englischen Boden betreten – in ahnungsloser Neugier – in den Tag und in sein Schicksal hinein. Und hielt nun da alles Glück auf Erden. Ihm war es wie ein Traum . . .



 << zurück weiter >>