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I. Teil.
Herbst

Schloßleben in Mähren

 

Im Kreislauf eines Jahres überblicke ich ein Vierteljahrhundert meines Lebens.

 

4. Oktober 1910.

Welch ein seltsamer, süßfeuchter Moderduft aufsteigt von dem dürren Laub, das in den Glutarmen der Sonne liegt ...

So wehen Erinnerungen zu mir aus längst verdorrten Tagen, wenn meine Zärtlichkeit sie streift wie ein lind wehender Hauch.

Ihr lieben Tage der Ferne – ihr welken, vom Baum des Lebens gefallenen Blätter! Ich nehme euch noch einmal auf und trinke berauscht euren Hauch, der nach Wonnen und Grausamkeit duftet ...

Ich bin nun wieder eine leidenschaftliche Jägerin geworden, vielleicht noch leidenschaftlicher, als ich es vor fünfundzwanzig Jahren gewesen. Denn jetzt trinke ich jeden Genuß mit Bewußtsein und über jedem liegt die Reife des Herbstes. Damals genoß ich wahllos und vergaß das Heute über dem Morgen. Mein Leben sprang im Prestissimo hin und im Staccato ... Nun fließt es im Adagio, das ich oft in ein Ritenuto dämpfe ...

Ich bin eine leidenschaftliche Jägerin. Wenn der Hund die Hühner aufjagt oder den Hasen und ich ihn niederknalle mit heißen, trotzigen, wilden Schüssen, so gibt mir das jedesmal ein Aufjauchzen des Sieges. Es gibt wohl keinen Sport, der an Genuß der Jagd gleichkommt, es sei denn die Liebe, weil auch sie von Wollust und Grausamkeit im tiefsten Urgrund durchglutet ist ...

Nur der Jäger kennt die Natur. Aber es ist nicht jeder ein Jäger, der schießt, und es liebt nicht jeder die Natur, der ihr nachläuft. Wer sie liebt, der versteht ihre tausend Stimmen, wie er ihre tausend Bilder erfaßt. Doch nie enthüllt sie sich völlig, sie behält noch immer viele Schleier und das ist ihre feine Klugheit. Darum fesselt sie jeden bis ans Ende, bis er ganz in ihr aufgeht. Nicht alle Geliebten sind so fein und so geschickt.

Ich glaube, daß auch der Jagdhund die Natur liebt. Er würde sonst nicht so außer sich geraten vor Jubel und Laut geben und umherspringen, sobald der Jäger die Flinte faßt. Und wenn der Schuß knallt und der Fasan von hohem Aufflug mit dumpfem Fall in die Furche stürzt, jagt der Hund der Beute nach und läge sie hundert Meter weit, irrt keinen Augenblick umher, sondern findet sie zwischen zweitausend Rübenpflanzen sogleich heraus, ergreift sie rasch, und mit stolzem Schritt trägt er sie seinem Gebieter entgegen, um sie ihm vor die Füße zu legen – und hetzt gleich wieder fort, eine neue Fährte zu suchen.

Ich habe schon viele Hunde jagen sehen, Hunde, die vom ungeschickten Nachbar mit dem Hasen zugleich niedergeschossen wurden und, zu Tode getroffen, sich noch zu ihrem Herrn zurückschleppten mit verzweifeltem, anklagendem Blick und vor seinen Füßen verendeten ... Opfer des Berufes – und der Nachbar war im Grunde froh, daß es nur der Hund gewesen und nicht der Treiber.

Nur der Hund! Doch es gibt adelige Hunde, wie es gemeine Menschen gibt.

 

Mein Mädchenbild steht vor mir und ich sehe mich – das vertrauensvolle gläubige Gesicht, der schmale Mund, die fragenden Augen, Unschuld über der Stirn – und blicke zurück in meine Jugend im Elternhaus, da ich vom Vater verzärtelt, von der Mutter behütet und von einer trefflichen Erzieherin unterrichtet wurde.

Meines Vaters Vorfahren waren protestantische Freisassen, niemals Leibeigene. Durch seine Tüchtigkeit und seine ungewöhnliche Klugheit im Erfassen der Vorteile, die die Zeit bot, brachte mein Vater es zum Besitzer zweier Güter. Meine Mutter war eines Gutsbesitzers Tochter, sie hatte viel Sinn für Schönheit, eine lebensvolle Tatkraft, unerschütterliches Gottvertrauen und freudige Lust zur Arbeit.

Mein gesundes Bauernblut gab mir seit jeher die Richtung zur Natürlichkeit. Doch als sei irgend ein Ahne von mir Künstler gewesen, hatte ich eine schwärmerische Liebe für die Kunst. Es war eine Art ratloser Schönheit in mir. Ich malte, ohne recht malen gelernt zu haben, ich dichtete, ohne zu wissen wozu und ich ritt im frohen Bewußtsein meiner jungen Kraft. Mit neunzehn Jahren noch war ich voll Unschuld und dem irdischen Leben gegenüber voll Unwissenheit. Man erzog mich als Prinzessin, für einen Grafen, dachten Erzieherin und Mutter, für einen Fabrikanten, hoffte der Vater. Trotz sorgfältigster Bildung, reicher fremder Sprachkenntnisse und geistvoller Einfälle stand ich völlig fremd dem wirklichen Leben gegenüber.

Die Wahl meines Vaters fiel auf Dr. Franz Schellenberg, der als sehr reich galt und in einem mährischen Dorf die große Zuckerfabrik seiner Familie leitete. Da ich mich zufällig in den schönen schweigsamen Mann – eine Lohengringestalt – verliebt hatte, wurde im Frühling die Verlobung gefeiert, der meine Mutter nur ungern, nach langem Widerstreben beistimmte. Sie hatte ein dumpfes Ahnen, daß diese Ehe nicht zum Glücke ihres Kindes führen würde.

Franz war der Sohn eines katholischen Großindustriellen, eines Mannes von ungewöhnlicher Bedeutung, dessen Ansehen die Grenzen des Landes weit überflog. Der alte Schellenberg war Gründer der Zuckerindustrie in Mähren, der Eisenwerke und vieler Tuchfabriken, Freund eines Kardinals und eines Rothschild. Sein Wissen und seine Erfahrungen waren gesucht, sein Geist, gefürchtet. Seine Familie galt ihm nichts. Mit dem Sohne hatte er jahrelang nichts gesprochen, doch als er hörte, Franz habe sich verlobt, gab er ihm die Stelle eines Direktors, kraft seiner väterlichen Gewalt.

Im Herbst folgte die prunkvolle Hochzeit, bei der die Tafeln sich bogen unter den Silbergeschenken unserer beiderseitigen reichen Verwandten. Als wir aus der Sakristei der katholischen Kirche traten, wo wir getraut worden waren und in die protestantische Kirche fuhren, wo eine zweite Trauung vorgenommen werden sollte, sagte mein junger Gemahl lächelnd zu mir: »Jetzt kannst du mir nicht mehr durchgehen –.« Er schien besser als ich unsere innere Verschiedenheit erkannt zu haben.

Meine Mutter hatte zu dem Hochzeitsessen ein Meißner Tafelservice für 72 Personen bestellt und einen Koch von Sacher aus Wien. Der Koch ließ 72 junge Hühner schlachten und besäufte sich mit dem Madeira, den er für eine Sauce bestellt hatte, worauf die Dorfköchinnen die Hochzeitstafel retten mußten.

Während des Mahles wurden zahlreiche Depeschen vorgelesen, bei einer schluchzte mein Mann auf und barg sein Gesicht in den Händen. Sein Vater, der weder Begräbnisse noch Hochzeiten besuchte, sandte Glückwünsche, seit Jahren den ersten Gruß, der den Sohn tief erschütterte. Zwei Stunden später hing ich weinend am Halse meiner Mutter. Erst, da ich von ihr getrennt wurde, empfand ich die ganze Schwere meines Verlustes, und eine drohende Angst vor der Zukunft.

Wir fuhren gleich nach Ruppin in unser neues Wohnhaus neben der Zuckerfabrik, die mir wie ein langer Sarg erschien in der hingestreckten reizlosen Ebene. Später ist sie zum wirklichen Sarg für mich geworden, für meine Träume und Wünsche, meine Hoffnungen und Zärtlichkeiten.

An den ersten Nachmittagen, die der Hochzeit folgten, ritten und jagten wir, doch schon die Abende brachten mir eine wachsende Enttäuschung. O diese furchtbaren Stunden, da ich erkannte, daß wir einander nichts zu sagen hatten, dies Durchblättern von Familienzeitschriften bei trostlosem Schweigen, indeß aus der Küche gedämpft heiteres Lachen herüberklang. Wie oft lief ich neidisch zu meiner Dienerschaft, um ihre Fröhlichkeit zu hören, aber sie verstummte ehrfurchtsvoll in der Nähe der jungen »Gnaden«. Wir hatten viele Diener – wir waren ja reich. Und ich mußte von ihnen erzogen werden, verstand ich doch nichts von einer vornehmen Hausführung.

Nach vierzehn Tagen sagte ich Franz, daß ich dies lähmende Schweigen nicht aushielte, daß ich sprechen wolle ... Er stierte in die Oellampe, deren Tropfen mit entsetzlicher Beharrlichkeit niederfiel, als ob er mir das Hirn aushöhlen sollte. Als ich meine Klage wiederholte, sagte mein Mann: »Willst du reden, so geh hinüber in die Kanzleien und sprich mit den Beamten.« Das war so hart wie abweisend. Mich tröstete es nicht, wenn Franz mich des Abends brutal in die Arme nahm und mich als seine Sache behandelte. Nach Seele schrie ich und die fand ich nicht. Ich sah die Liebe wie einen goldenen Traum und wollte in diesem Traum leben, küssen, geliebt werden ... Doch mit meiner Sehnsucht ging ich Franz auf die Nerven.

O diese entsetzliche Öde meiner Flitterwochen!

Ich horchte mit traurigen Augen auf die Koselaute, die Franz seiner Hündin Diana gab, – wenn er nur einmal so zärtlich und innig zu mir gesprochen hätte, wie er zu jener dreißigmal im Tage sprach! Meine brennende Eifersucht fiel auf sie, die Eifersucht eines Kindes, das nur Tränen und nagendes Weh kennt, keinen Zorn, keinen Haß, das seine Rivalin nicht vergiftet oder erschießt, sondern nur wehmütig anblickt.

 

17. Oktober.

Ich bin im Walde ...

Dieser wunderbare Glanz über dem Wasser, ein Perlmutterflimmer – die Fische hüpfen und schnellen vor Vergnügen empor. Wie grüne Tropfen hängen die Blätter an den Zweigen. Die weißen Brüste fliegender Wildtauben schimmern nieder. Eine Wurzel reckt sich hoch, wie ein Geriff, von Hopfenranken umschlungen. Nichts ist arm und elend genug, daß es nicht einem andern Stütze böte und Schutz, Nahrung und Hilfe.

Ich sitze unter der alten Eiche – in einem grünen Dom. Geheimnistiefe Stille ringsum, wie in einem Zauberwald. Die Natur scheint immer zu warten, auf etwas Unendliches, Ewiges, in Ruhe zu warten.

Durch die Spitzbogen über mir schimmert es blau – und in dem Blau ruhen Welten, die mein Auge nicht zu gewahren vermag. Wie wunderbar ist das alles – Welten über mir, und Wildtauben und kleine Mücken, die belästigen mich mehr als die Welten. Bin ich eine Welt, oder Taube, oder Mücke?

 

Wir waren drei Wochen verheiratet, als mein Schwiegervater uns besuchte, ein Riese von starkem Knochenbau mit einem gewaltigen Schädel, dessen Stirn allerlei Ausbuchtungen seines starken Willens zu tragen schien. Ein blonder Vollbart umstachelte seine Wangen und sein Kinn.

Der alte Herr kam unerwartet und traf seinen Sohn anstatt in der Kanzlei, auf einer Leiter in der Wohnung, Geweihe der selbstgeschossenen Hirsche und Gemsen an die Wände nagelnd. Franz fiel aus Schrecken beinahe zu Boden.

»Na – du scheinst viel freie Zeit zu haben«, sagte der Vater und sprach dann mit mir und wunderte sich wohl über meine Furchtlosigkeit, denn er war es gewöhnt, alle vor sich zittern zu sehen. Später als wir ihn in seinem Wohnhaus in Schlesien besuchten, nahe dem von ihm geschaffenen Eisenwerk, wo er mit fünfzig Hunden hauste, des abends alle Söhne und Töchter davongelaufen waren, blieb ich allein bei ihm sitzen und plauderte, als wäre er meinesgleichen. Die Kinder, Franz mit inbegriffen, fragten mich nachher aus: »Was hat er gesagt?« »Wie lang bleibt er zu Hause?« »Wohin fährt er dann?«

So ängstlich Franz seinem Vater gegenüber war, so herrisch zeigte er sich gegen mich.

Es war mir oft, als fände er ein Vergnügen daran, meine zärtlichen Gefühle zu verletzen. Seine Stiefmutter besuchte uns, eine gütige kranke Frau, die seit Jahren unter demselben Dache mit ihrem Manne, aber von ihm völlig geschieden lebte.

Sie sahen sich nie.

Sie blickte mich jetzt kummervoll an; an meiner Blässe manches Herzeleid erratend, sagte sie zu ihrem Stiefsohn am nächsten Tage: »Aber Franz, du bist ja gar nicht lieb mit deiner Frau und ihr habt doch kaum geheiratet! Du bist so kalt mit ihr!« –

»Findest du,« fragte er mit spöttischem Lachen. »Na, so komm her, Vally, daß ich dir vor der Mutter einen Kuß geb'!« Er stieß mich aber gleich wieder fort und sagte höhnend: »Jetzt wird sie wieder jubeln: Ich bin so glücklich – so glücklich!« Und er äffte meine Stimme nach, obwohl er das Wort selten genug von mir gehört. Die Stiefmutter war entsetzt, ich aber floh in mein Schlafzimmer und weinte bitterlich.

Meinen Geburtstagsmorgen – der meinen Eltern ein Fest gewesen – ließ er unbeachtet vorübergehen. Schon das schmerzte mich tief. Nachmittags sagte er plötzlich: »Heute hast du ja Geburtstag!« Ich erglühte. »Ich habe dir eine Überraschung gemacht, geh hinauf auf dein Zimmer, dort findest du sie!« Überglücklich lief ich in meine blauweiße Stube. Ich suchte alles durch – und entdeckte nicht den kleinsten neuen Gegenstand. Kleinlaut kam ich zurück. »Ich finde nichts«, sagte ich. – – »Sehr richtig«, lachte er, »das ist eben die Überraschung, daß ich dir nichts geschenkt hab'!« Nicht einmal einen Glückwunsch brachte er über sich. Ich eilte fort und wie so oft, warf ich mich weinend auf mein Bett. Er verhöhnte meine Sehnsucht, denn er hatte Sehnsucht nie gekannt.

Er liebte Tafelfreuden über alles. Jede Woche bestellte ich auf sein Geheiß Delikatessen aus Wien, Austern, Hummer, Seefische. Die Beete im Garten waren mit Austernmuscheln eingefaßt. Jedes Mittagessen galt als ein Diner. Das Menu mußte auf einer Porzellantafel aufgeschrieben vor ihm stehen.

Wir hatten eine Köchin vom Sacher und einen Kammerdiener, der bei Rothschild erzogen worden war. Jean Paul – niemand ahnte, daß er den Namen eines Dichters trug – mußte noch einen zweiten Diener zur eigenen Bedienung haben. Beide hatten meist nichts zu tun. Sie soffen hinter meinem Rücken Champagner und fraßen Kaviar mit Löffeln aus den großen Dosen. Köchin und Stubenmädchen stahlen mir Hemden und Leintücher aus den Schränken. Würden Pferde stehlen, so würden uns unsere sechs Pferde auch bestohlen haben, aber sie waren so ehrlich wie ihr trefflicher Kutscher Thomis und sein Gehilfe. Ich wußte nicht, was ich mit diesem großen Hausstand anfangen sollte.

Ich verstand gar nichts und war die Überflüssigste von allen.

 

18. Oktober.

Wonniger Herbstesglanz, prunkvoller als alle Süße des Lenzes! Wissen ist in dir, nicht Ahnen, – du blickst zurück auf einen Sommer voll heißer Ernte, du blickst vor dich in die kühle, weiße Stille des Winters und leuchtest selig, beglückend, denn in dir ruht die Pracht des Lebens – die Erkenntnis voll reifer Kraft und weicher Güte. Du bist reicher als Blütenhoffnung und Erntestolz – du bist die Weisheit der Natur!

Solcher Festtage voll schaffender Ruhe hat die Natur 365 in jedem Jahre ...

Als Franz einmal für mehrere Tage auf Jagden gefahren war und ich ihm täglich einen liebevollen Brief geschickt hatte, sagte er bei seiner Rückkehr:

»Geschrieben hast du mir, gelesen hab' ich's nicht –« Wie solche Worte gleich Schwertern in meine zärtliche Seele fuhren!

Ich hatte damals eine Jungfer aus Wien von junonischer Gestalt, gewissenlos und ebenso schmeichlerisch. Nini hielt heuchlerisch zu mir: »Wenn doch die Gnädige einen Freund hätte«, sagte sie. »Meine Gnädigen haben immer einen Freund gehabt. Die Ehe ist da dann viel glücklicher.« Ich wollte von dieser Arznei, diesem Narkotikum nichts wissen. Da ward die schöne Nini meines Mannes Freundin. Vielleicht hatte sie das Mittel bei den Wiener Herrschaftshäusern auch erprobt. Ich habe natürlich von dieser Beziehung nichts geahnt, aber meine Ehe ward darum nicht glücklicher.

Meine Mutter rang zu Hause schluchzend die Hände, weil sie durch irgendwelches geheimnisvolle Ahnen von meinem Herzeleid wußte. Zu spät! Zu spät! Die eherne Fessel der Ehe hatte mich an einen Felsen geschmiedet. Meine Mutter dachte daran, die Fessel zu zerbrechen. Einmal sagte sie mir: »Du klagst nicht, aber ich sehe dir doch alles an. Laß dich scheiden und komm zu uns zurück!« – »Nein, Mutter, du bist im Irrtum, wir leben sehr gut«, log ich, denn ich war zu stolz, um das Unglück meiner Ehe einzugestehen.

 

20. Oktober.

Ich habe alle Reiche des Glückes durchmessen, – war gefeiert und geliebt, habe allen Zauber der Geselligkeit kennen gelernt und überall gab es Schmerz und Enttäuschung. Ich habe in der Leidenschaft der Liebe gelitten, wie in der Leidenschaft des Hasses, bin angefeindet worden vom Neid, zerrissen von Feindseligkeit und habe erkannt, daß Liebe flieht und Freundschaft stirbt, – daß es nur Eines gibt, das beglückt: Güte, die sich selbst hinstreut, ohne an Gegengabe zu denken. Solche Güte macht froh.

Und weil der Mensch auch in der stolzen Kraft seiner Einsamkeit einer Seele bedarf, die mit ihm fühlt, jubelt und leidet, habe auch ich mir eine Gefährtin erwählt zu seltener Zwiesprach: die Seele der Natur. Oh, welch' eine wundervolle Freundin ist sie! Wie versteht sie zu schweigen, zu lindern, zu trösten, mitzutoben und mitzuweinen. –

 

Eines Tages hatten die Förster des benachbarten Grafen Steinberg mich mit meinem Mann über die Felder streifen und Rebhühner schießen sehen und der Graf wurde neugierig auf mich. Er besuchte uns und lud uns ein. Wir erwiderten den Besuch.

Die Gräfin saß in einem kleinen Salon von olivenfarbigem Atlas und hatte irgend ein häßliches Kleid an, dessen Farbe ich vergessen habe. Rings im Zimmer dufteten Monatsrosen in kleinen Schalen. Das wußte die Gräfin vielleicht selbst nicht, wie schön die rosenroten Blüten zu dem tiefen, seidenen Olivengrün der Lehnstühle stimmten und zu dem gelbüberleuchteten Braun der Boulesschränke. Ich wußte es auch nicht, warum das alles so schön wirkte und die Gräfin so wenig schön, aber es blieb mir unvergessen.

Graf Leo hatte einen schwarzen Schnurrbart und dichtes Haar, das tief in die Stirn hineinwuchs, wie ein Pelz. Seine Lippen waren aufgeworfen, blutrot, sein Blick hatte eine rasende Sinnlichkeit. Aber das wußte ich nicht. Ich fand nur, daß er besonders und eigenartig aussah und weil er ein Graf war, gefiel er mir sehr und ich hatte ihn vom ersten Augenblick lieb in warmer Herzlichkeit.

Der Graf lehnte in einem Lehnstuhl, sprach viel und lud uns zu seinen großen Fasanjagden ein. Die Gräfin saß auf dem Sofa und ich erinnere mich, daß sie sagte: »Ich bin am liebsten zu Hause wie ein Vogel im Käfig.« – Mein Mann sprach auch irgend etwas, aber sein Bild sehe ich nicht mehr vor mir.

Ich trug ein bordeaurotes Seidenkleid aus Wien und den gleichen Capothut mit schweren Bändern, am linken Ohr zu einer Masche geknüpft. Der Hut rutschte trotz der Masche auf meinem Kopf umher, je nachdem ich ihn nach rechts zum Grafen oder nach links zur Gräfin bog. Der Graf sprach sehr warm und herzlich. Die Lider über seinen Augen verschwanden, wenn er aufblickte. Seine Nasenflügel öffneten sich weit und gierig. Das fand ich so hübsch. Zu seiner Frau sagte er »Mimerl« und ich beneidete sie sehr um seine Zärtlichkeit. Mimerl kam mir uralt vor mit ihrem roten Gesicht. Ihre kleinen, auseinanderstehenden Mausezähne, die an den Rändern gezackt waren, mißfielen mir sehr.

»Wie alt ist die Gräfin?« fragte ich später meinen Mann.

»Fünfundzwanzig vielleicht –.«

Ach, so alt war sie schon!

Als wir dann fortfuhren aus dem großen Schloß und überall Diener umherstanden, ein Vorhof nach dem andern unseren Wagen aufnahm, über allen Toren die gräflichen Wappen prunkten und wir endlich über die letzte gemauerte Brücke polterten, die den Burggraben überstreckte, wurde mir ganz froh und stolz zu Mut.

Ich mußte immer an den feinen Kiefernduft denken, der das Vorzimmer der Gräfin erfüllte und an die rosigen Monatsrosen in kleinen Schalen über den fremdartigen Tischchen.

An die Gräfin dachte ich nicht, doch an den Grafen. Er war gut und ehrlich, sie aber hatte etwas Verstecktes, – etwas Unfreies.

 

22. Oktober.

Der alte Kalus.

Ich bin heute im Dorf gewesen und an der Hütte vorübergegangen, die der alte Kalus seit Jahren bewohnt. Er stand im Abendlicht auf der Schwelle, hatte die Hände gefaltet und betete. Zeitlebens hat er Fässer gerollt, Sommer und Winter, vom Wagen herab, auf den Wagen hinauf, nun ist er selbst so stumpf und dumm wie eine Tonne. Fässer gerollt und dabei so viel verdient, daß er nicht zu verhungern brauchte, ja von Zeit zu Zeit sich einen neuen Rock, ein neues Hemd kaufen konnte. Sein Denken dreht sich um Fässer. Er erinnert an jene Vierfüßler in den Menagerien, die zum großen Jubel des Zusehers mit den Vorderfüßen ein Fäßchen vor sich hinrollen. Er ist so ein Vierfüßler geworden.

Nun stand er da und schaute vor sich hin ... Als ich ihn so sah, halb Mensch, halb Tier, da fühlte ich plötzlich namenloses Mitleid mit ihm. Ich trat auf ihn zu und leerte den Inhalt meiner Börse auf seine Hand aus. Erst sah er mich kaum an – ich war ja kein Faß, was hätte er mit mir zu tun haben sollen, – als er aber das Geld in der Hand fühlte, schien er überrascht und dankte. Es ging etwas Seltsames über die verwitterten Züge, er lächelte, wie mancher Hund lächeln mag, wenn man ihn beim Namen ruft.

Dann setzte er sich nieder. So ein Leben hinter sich zu haben, so ein Leben vor sich mit dem Ausblick in dämmernder Ferne, wenn das Alter die müden Knochen so mürbe gemacht haben wird, daß sie keine Fässer mehr rollen können, ein Pfründner zu werden und von der Gemeinde die Gnade zu erlangen, jeden Montag betteln zu dürfen ...

Zeitlebens gearbeitet zu haben ohne die Möglichkeit, sich ein sorgenfreies Alter zu sichern – und dabei noch zufrieden zu sein, die Hände zu falten und dem lieben Gott für die Gnade zu danken – die Generation, die das vermag, ist mit dem alten Kalus im Aussterben begriffen.

 

23. Oktober.

Goldzauber umspinnt die Kronen der Bäume, Gold ist über den Wald geschüttet. Schwelgend ruht es über den Gräsern, spannt sich wie ein Netz über die Stämme und unmerklich langsam bewegt es sich fort – als zöge eine milde Hand es in die Weite.

Fern, einen Wald von alten Bäumen überragend, sehe ich mein graues väterliches Schloß, die Trutzburg, im dreizehnten Jahrhundert von Erzbischöfen gebaut zum Schutz gegen die Überfälle der Polen. Ihren Turm haben die Schweden zertrümmert. Viele Herren sind durch ihre Tore gezogen, Ritter und Fürsten und Knappen, bis zu jenem französischen Grafengeschlecht, dem mein Vater gefolgt ist. Den unterirdischen Gang der alten Wasserburg suchte ich als Kind zu ergründen – doch bald störten mein Vorwärtsdringen Steine und Geröll.

So manche Wege wurden mir seither verschüttet, doch immer grub ich wieder mich ans Licht empor.

 

Sie sind nun fast alle tot, die bei den ersten Jagden in Olschau gewesen ... Der Graf und mein Mann und der Förster so viele, und der Beamten, sogar die junge Tochter des Grafen aus erster Ehe, die gertenschlanke Baisée, und der schöne Kammerherr mit dem gewählten Lächeln – alle sind tot – nur die Gräfin lebt mit ihren Kindern – und ich –.

Es ist furchtbar, wie solche zwei Jahrzehnte über die Scharen der Lebenden hinsausen, einer eisernen Walze gleich – und sie niederbrechen.

 

24. Oktober.

Schon färbt der wilde Wein sich blutigrot. Wie ein schwerer Purpurmantel hängt es über den Mauern des Schlosses. Die warme Herbstluft hat etwas wonnig Schmeichelndes, ruhevoll Sanftes ... Nichts, das aufreizt wie der Frühling. Dies ist ein Tag der schwelgenden Natur – da der Herbst sich selber beschaut in gesättigter Kraft. So mag es gut sein zu sterben, wenn man solche Hoheit erreicht, soviel Glanz und so tiefe Schönheit ...

»Ich bin am liebsten zu Hause – wie ein Vogel im Käfig«, hatte die Gräfin gesagt und die Worte bezeichneten ihren kurzen Verstand.

Ein Vogel ist nicht am liebsten im Käfig – aber die Gräfin war am liebsten zu Hause, weil man sie nirgends empfangen hätte.

Sie war die zweite Frau des Grafen, dessen erste großmütig alle Rechte an die Nachfolgerin abgetreten, und sich in irgend eine Hauptstadt zurückgezogen hatte.

Die reizende gertenschlanke Baisée, das Mädchenkind von fünfzehn Jahren, nannte die Stiefmutter Mimi und sprach höflich mit ihr – aber selten ...

Baisée hatte des Vaters gierigen Blick, die niedrige Stirn, die unersättlichen Lippen, die zwei roten Schlangen gleich sich lieblich kräuselten, die Nasenflügel, die immer irgend einen Duft zu wittern und einzusaugen schienen. Ihr überreiches Haar schimmerte im Braungold der Kastanie. Von ganz besonderer Schönheit war Baisées Gestalt, schlank und zart in den Hüften, biegsam wie eine Reitgerte. Der Busen aber wölbte sich mit schier unerhörter Pracht, als wäre alle Kraft und Schönheit dieses Leibes in ihn geströmt.

Baisée trug dies Doppelreich ihrer Schönheit mit bewußter aufregender Ruhe.

Mein Mann verliebte sich in Baisée und ein Kammerherr verliebte sich in mich. Er seufzte und warf mir beglückte Blicke zu und schritt neben mir hin im Walde, wenn wir von einem Trieb zum nächsten gingen, und sagte mir leise allerhand Schmeicheleien.

Baisée hatte immer etwas Zerrissenes an sich oder etwas Schmutziges und wirkte darum nur noch hinreißender, weil sie eine Gräfin war.

Ich entsinne mich eines Diners nach der Jagd.

Wir saßen im großen Speisesaal, der über dunklen Tapeten und neben köstlichen Gemälden einen seltsamen Waffenschmuck trug, von den Vorfahren des Grafen vielleicht erbeutet, türkische Krummschar und uralte Gewehre, Lanzen, Schwerter.

Wir saßen in großer Tafelrunde – ich hatte den Platz zur Rechten des Hausherrn – mir gegenüber saß stets der Kammerherr Baron Brück und lächelte süß und bog den Kopf und hatte seinen blonden Kaiserbart und sehr viele Unebenheiten auf Stirn und Wangen. Aber er war freundlich und artig und nicht dümmer, als es sich für einen Kammerherrn schickt.

Rechts von der Gräfin saß mein Mann und neben ihm Baisée.

Sie hatte sich heute noch nicht die Ohren gewaschen, weil es sie langweilte, und die Spitzen an ihrem Hals waren staubgrau und zerrissen, aber einen Strauß wundervoller violetter Stiefmütterchen trug sie an dem herrlichen Busen und einen zweiten Strauß im Haar – vielleicht eine kleine Aufmerksamkeit für die Stiefmutter – aber das fiel mir erst später ein. –

Sie lachte und schwatzte mit Franz und sog mit ihren unersättlichen Nasenflügeln, die sich öffneten und bebten wie die Flügel des Schmetterlings, irgend einen Hauch ein, der sie berauschte.

Ich hatte Franz nie so entzückt, so belebt, so frisch und heiter gesehen, wie in diesen Stunden mit dem Niederblick auf den wunderschönen Busen des Mädchens.

Ich sprach mit dem Kammerherrn und dem Grafen und sah die Beamten an, die an den beiden Tafelrunden saßen und wie Waldmenschen aussahen, mit langen Bärten und roten Köpfen, wie Gnomen, irgendwo hervorgekrochen, wo der Gebrauch der Seife noch unbekannt war. Aber in Wirklichkeit sah ich doch nur meinen Mann und Baisée – sah seine verliebten Blicke, die sie küßten, und hörte seine gurrende Stimme, die sie umwarb.

Indessen liefen die Diener umher und bedienten mit großen Schüsseln und rochen deutlich nach Pferdestall und waren so korrekt, als hätten sie lauter Grafen und Gräfinnen vor sich. Und es war doch für einen echten Grafen eine traurige Gesellschaft, die da um ihn herumsaß, ein paar pensionierte Beamte, die ihr lebenlang gestohlen hatten und ein Fabriksdirektor mit seiner jungen Frau. Es zählten eigentlich nur der Kammerherr und Baisée, denn der Gräfin mit der Talmikrone hörte und sah man es noch an, daß sie eine geborene Schwab war. Möglich, daß sie sich mit zwei a schrieb – darauf kam es nicht an. Manchmal, und das war das Schrecklichste, fingen die Beamten an zu erzählen; der Verwalter hatte, wie er meinte, köstliche Erinnerungen an einen Ochseneinkauf in Ungarn, die er zum besten gab. Die Glanzgeschichte des Rentmeisters war sein Heldenstück aus dem Kriegssommer 1866, da er aus dem Hinterhalt sieben Preußen nacheinander niedergeschossen hatte, die über einen Steg gingen. Dabei lachte er mit seinem vollen, roten, schwarzumbarteten Gesicht und mir lief das kalte Grauen über den Rücken.

 

25. Oktober.

Heute hatten wir Totenmesse in der Schloßkapelle. Der Herr Pfarrer sagt sie immer für halb 7 Uhr früh an. Das wollen so die Leute, denn es paßt ihnen diese Stunde am besten. Da gehen sie vorher ein bischen stehlen und nachher auch gleich wieder und in die Mitte fällt die Messe.

Die alte Katharina ist die Vorbeterin, denn sie hat keine Stimme. Darum singt sie lieber als alle. Die beiden kleinen Ministranten lassen alle Schlauheit im Dorfe und bringen zur Kapelle nur eine heilige Gottesfurcht, mit der sie herumhantieren, bald heben sie die Kännchen, bald tragen sie die heiligen Bücher, die fast größer sind als sie selbst. Ich habe es immer angestaunt, daß sie so genau wissen, wann sie die Glöckchen zu heben und zu schwingen haben. Der hochwürdige Herr Pfarrer sieht aus wie ein wirklicher Bischof in dem festlichen Pluvial. Er ist gläubig und sein Glaube teilt sich den Betern mit und heiligt auch sie für diese kurze Stunde, wie ein starkes Licht alle Umstehenden in seinen Kreis bannt. Ich dachte an meinen verstorbenen Mann, für den der Priester die Messe las, und die große Versöhnung des Todes breitete ihre weißen Schleier um jedes Erinnern. Der ehrfürchtige Diener Gottes kniete nieder und begann laut zu beten und alle Heiligen zu nennen, und die Katharina fiel ein mit ihrem nur an der Frömmigkeit geschulten Chor, und es waren eitel Dissonanzen in dem heiligen Raum und schlugen sich an den Purpurwänden krumm. Inbrünstig und lange flehten die Stimmen um Gnade und Erhörung, bis endlich der Pfarrer sich erhob, den verhüllten Kelch erfaßte und ihn hochhaltend vom blumengeschmückten Altare wegschritt. Ein Rascheln und Scharren kündete mir, daß die Beterinnen sich erhoben hatten. Nur die Mutter des Pfarrers, die Neunzigjährige, blieb noch sitzen, sie weiß, daß sie etwas Einziges ist – die Mutter des Priesters, dem Himmel näher als die andern. – –

 

Wir alle suchten uns vornehm zu geben, und wenn wir im roten Samtsalon auf den echten Empiresesseln den schwarzen Kaffee tranken, erinnerten wir dunkel an eine Hofgesellschaft, dargestellt von den Schauspielern der letzten Provinzbühne ...

An einem Abend rief Baisée mich zu sich in eine tiefe Fensternische, ihre Wangen brannten, sie hatte sich mit meinem Mann »königlich unterhalten«, was mir noch nie begegnet war.

»Du – er ist entzückend«, sagte sie mir. Wir duzten uns seit acht Tagen. »Und so witzig –.« Davon hatte ich keine Ahnung ... »Du – ist er sehr leidenschaftlich?« Ihre Nasenflügel bebten, ihre Blicke loderten. »Sehr leidenschaftlich? Ach – erzähl' mir – erzähl' mir – drei Wochen seid ihr verheiratet, nicht wahr? Das muß wundervoll sein ...« Die Stiefmütterchen an ihrer Brust verschoben sich im Eifer und zwei weiße Hügel tauchten auf – eine Schneelandschaft.

Ich wußte ihr nichts zu erzählen. Was hätte ich erlebt haben sollen? Ein paar Umarmungen, die nach Gleichgültigkeit schmeckten, eine völlig reizlose Liebe ... Aber das wollt' ich nicht gestehen. »Sehr schön – es ist sehr schön«, log ich mit blassen Blicken. »Du wirst es einmal selbst wissen – wenn du heiratest –.«

»Geh – du erzählst nichts«, sagte sie schmollend. »Ich werd' das einmal anders erzählen.«

Der Kammerherr näherte sich uns mit beglücktem Lächeln. »Sie entziehen sich der Gesellschaft«, klagte er.

» Der Gesellschaft!« hätte er betonen müssen, aber er war ein höflicher Mann.

Wir kehrten zu der Gesellschaft zurück. Die Gräfin spielte noch irgend einen Walzer auf besonderen Wunsch ihres Mannes. Daß sie gut spielte, war kein Geheimnis, war sie doch Baisées Klavierlehrerin gewesen ...

Dann bereitete der alte Kammerdiener mit dem Kartoffelgesicht den Spieltisch und Graf und Gräfin, Fabriksdirektor und Frau, sowie der Kammerherr begannen den ungarischen Tarock zu spielen. Einer von uns war immer König, der schwatzte dann mit Baisée ... indes die Beamten als Kibitze umherstanden und Bier tranken.

Wir Spieler spielten um hohes Geld.

»Es ist mir doch lieber, ich hab' die hundert Gulden verloren, als ich hätte sie gewonnen«, sagte ich am ersten Abend zu meinem Mann, als wir in unserem Zimmer standen. Ich war damals sehr dumm. Er sprach nicht viel, aber er küßte mich und zog mich an sich mit einer Zärtlichkeit, die ihm sonst fremd war. Ich freute mich darüber. Hatte ich ihm in meinem weißen Atlaskleid so gut gefallen? An Baisée dachte ich nicht. Ich war damals wirklich ungewöhnlich dumm.

 

26.Oktober

Heilig ist der Wald. Alte Bäume mit seltsam vorgestreckten Armen starren sich an und leben – und schützen tausend Leben mit ihrem einzigen, und schweigen ruhevoll und warten auf das große Geheimnis, das an jedem Abend sich zu ihnen niedersenkt und an jedem Morgen schwindet – auf das Geheimnis der Nacht.

Haselnüsse hab' ich in diesem Wald gesucht, als ich ein kleines Kind gewesen, – die Haselstauden stehen noch immer da, viel neue sind seither dazugewachsen und manche gestorben und vermorscht – aber ich suche keine Haselnüsse mehr. Andere Nüsse – harte Nüsse bietet mir das Leben. – Da sind wieder kleine Mädchen, die Haselnüsse suchen und Liebesküsse finden. –

Ich küsse nicht mehr – denn ich glaube nicht mehr an Liebe, nur an Haselnüsse glaube ich noch. Ich sehe auf die Liebe nieder wie auf das Spielzeug der kleinen Mädchen und Knaben. Es ist furchtbar, so hinabzusehen auf die Liebe und sie für den notwendigsten Betrug der Natur zu halten. Ich weiß, daß etwas Eisernes in mir ist, etwas Steinernes vielleicht – das war nicht immer so ... Durch den Herbstwald bin ich gelaufen und habe an den Frühling gedacht.

Ich weiß, daß ich stark bin – aber viel glücklicher war ich, da ich mich schwach und klein fühlte in den Armen des Mannes, der mich liebte. – –

 

Franz war froh und stolz, wenn ich gut schoß. Oft nahm er mich auf den Schnepfenanstand mit. Da stand ich dann nicht weit von ihm, wo das niedere Gesträuch über feuchten Tümpeln sich hob, lauschte gespannt in den sinkenden Abend, hörte den schmelzenden Ruf der Amsel, die als letzte ihre Stimme ertönen läßt, und paßte angestrengt auf, ob nicht die Schnepfe mit ihrem scharfen pssswss – pssswss – im Zickzackflug den Gefährten lockte. Blitzschnell mußte dann dem Anschlag der Schuß folgen.

An einem Abend schoß ich zwei Schnepfen. Franz beneidete und bewunderte mich abwechselnd. Es war ein Ereignis für die ganze Jägerwelt der Umgebung. Mein Andenken im Walde war für Jahrzehnte gesichert. Ferne Jäger noch werden einander den Platz zeigen, auf dem zwei Schnepfen vor den Flintenlauf einer Frau geflogen sind.

Oft zogen wir in die Uhuhütte und saßen dicht aneinander geschmiegt, ich voll zärtlicher Gedanken, Franz aber beobachtete nur den Uhu, der etwa fünfundzwanzig Meter von uns entfernt auf einer Stange saß und mit den Bewegungen seines Kopfes und seiner Flügel, dem Aufwärtsblicken seiner gelbumrandeten Augen jeden nahenden Raubvogel und dessen Stärke uns verriet.

Tauchte in Himmelsferne wie ein Punkt ein besonders großer Geier auf, dann warf der Uhu sich zur Erde und hob die Krallen zum Kampfe empor. Doch zu diesem kam es nicht. Denn ehe noch der Geier zu Boden stieß, war er von dem Schuß meines Mannes erreicht und sank mit zerschossenen Schwingen vor dem betroffenen Gegner nieder.

Die großen Raubvögel erlegte Franz selbst, die Krähen überließ er mir. – –

 

Brodle und schäume, du wundersamer Kessel der Vergangenheit. Steigt auf, ihr Dämpfe, aus denen sich lichtumwallte Gestalten heben – die Geister entschwundener Zeiten ...

Es gab schönere Frauen als Baisée, doch keine hatte den gierigen Rassezug des unersättlichen Jungtiers, die fiebernde Sinnlichkeit in den blutroten bebenden Lippen, den flackernden Glutenblick.

Und sie zählte fünfzehn Jahre ...

Ein junger Leutnant kam manchmal zu den Jagden aus Wien, er war ein entfernter Verwandter des Grafen. Sie duzten sich. Der Graf duzte sich übrigens mit jedem.

Der Leutnant, Baron Ferry genannt, hatte ein überlegenes Lächeln und einen überlegenen Geist und ließ seine Überlegenheit vor allem der Komtesse fühlen. Er zählte dreiundzwanzig Jahre und gab sich wie ein Mann von vierzig. Oft sprach er mit einem Freimut zu Baisée, vor dem ich erschrak. Sogar ihre ein bischen zu dicke Nase warf er ihr vor.

Dagegen begegnete er der Gräfin mit ausgesuchter Höflichkeit. Noch allerlei neue Gäste trafen ein. Da kam ein Rechtsanwalt aus Dresden mit seiner Frau. Er hatte dem Grafen die zweite Ehe besorgt. Der Mann hieß Schulze, er hätte aber ebensogut Meyer oder Schmidt heißen können.

Er ging mit dem Regenschirm auf die Jagd und seine Frau im hochgerafften Schleppkleid mit schwarzem Capothut, von dem knallrote Mohnblüten jedes Wild verjagten. Sie hieß Rike und war der Schrecken aller Schützen. Vermutlich war sie jung; doch niemanden erschien sie so.

Ich beobachtete sie oft, wenn sie hinter ihrem Gatten saß während eines Waldtriebes und sah dann, daß sie unaufhörlich zu meinem Mann hinüberblickte. Er war schöner als alle und er gefiel der Sächsin. Wir standen, jeder etwa fünfzehn Schritt vom andern entfernt auf irgend einer Waldstraße und erwarteten das Wild, das uns zugetrieben wurde. Der Sachse, unvertraut mit allen Regeln des echten Weidwerks, führte halblaute Gespräche mit Rike.

»Passen Se mal uf – dort kommt 'n Reh«, rief er einmal seinem Nachbar zu und ein wütender Blick lohnte ihn.

Was da heranlauerte, schlich, sprang, sich barg, sah jeder Schütze allein und erlegte es mit sicherem Schuß, ungern dem Nachbar auch nur den Blick auf sein Wild gönnend.

Rike sah immerfort auf meinen Mann. Staunend oder bewundernd? Das wußte ich nicht, ich wußte nur, daß er ein wundervolles Bild bot mit seiner reckenhaften Gestalt, das Bild eines jungen Riesen in blonder Schönheit. Seine Haut war von zartester Frische, seine Augen von tiefstem Blau. Und er war prächtig gekleidet, weidgerechter als jeder andere Jäger. Die langen englischen Strümpfe trug jeder gleich ihm, allein beim Grafen formten sie ein X, beim Freiherrn verrieten sie ein O und ein pensionierter Oberst, Graf Jaromir, ließ nur auf eine reiche Vergangenheit schließen.

Viele Frauenaugen wandten sich der jungen Heldengestalt meines Mannes zu. Dem aber war der Fasan wichtiger als das Weib. Er hielt den Hund an einer Schnur, die am Gurt befestigt war – und zog der Hund zu heftig an, dann gab es dem ganzen hohen Siegfriedrecken einen jähen Riß und mit gewaltigem Ruck warf er das Tier auf jene Seite, wohin es gehörte.

Nur die Gräfin schaute nicht nach Franz. Ihr beschränkter Geist faßte nicht einmal die Schönheit eines Mannes. Sie sah nur manchmal mit Stolz auf die grünen X-Beine ihres Gatten. Da war Frau Rike klüger, trotz Capothut und hochgerafftem Schlepprock. Sie war keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß ihr Schulze eine jämmerliche Figur gab. Aber das störte sie nicht. Es war nicht sein Beruf Weidmann zu sein. Er nahm es so mit, – wie er anderes mitnahm – unter anderem die wertvollen Geschenke des Grafen. Der Graf war sehr freigebig. Was man lobte, erhielt man. Später hätte er vielleicht auch gewünscht, daß jemand seine Frau lobe, aber das fiel keinem ein. Man fürchtete die Großmut des Grafen.

 

27. Oktober.

Nicht an Stunden denken, den Tag hinnehmen, wie eine Flut von Sonne, Wärme, voll reifer, selig hinträumender Schönheit. Noch rauscht der Wind seidenweich durch grüne Blätter, der Laubfrosch ruft im Gebüsch – Grillen zirpen – und doch ist Stille umher, in den Lüften, in dem dunklen Blau dort oben, das so friedvoll sich über uns wölbt, so heilig, so gut. Unermeßliche Wonnen der Erde – wer vermag euch auszuschöpfen, dich auszusagen, unsagbare Herrlichkeit der Flur! Weiße Schmetterlinge tändeln über die Wiesen, grobe Bienen mit haarigem Leib hängen sich schwer an gelbe Blüten, daß sie zitternd sich neigen und noch lange beben, wenn der Gast längst davongeflogen ist ...

 

Der Kämmerer Baron Brück bewarb sich offen um die Gunst Baisées, heimlich um die meine. Aber die Komtesse hatte nur Spott für ihn wie für den Leutnant. Sie kokettierte wahnsinnig mit meinem Mann. Eines Abends, während wir Karten spielten und Baisée tolle Blicke mit Franz wechselte und dabei neben dem Leutnant auf dem roten Samtdivan saß, sah ich, wie ihr Taschentuch zur Erde fiel, ihr Nachbar sich danach bückte, es rasch verbarg und dann gierig zu den Lippen führte, daran biß und kaute und es, in einen kleinen Ballen gerollt, in der geschlossenen Faust unaufhörlich an den Mund gepreßt hielt.

Sie mußte es merken, wie ich, aber sie sagte nichts und verriet mit keinerlei Regung irgend eine Empfindung für das stürmische Bekenntnis seines Herzens.

Am nächsten Tag erzählte der Graf beim Frühstück, daß Baisée seit Wochen mit dem Leutnant verlobt sei – fast seit Jahren.

Unser Staunen war groß.

Baisée machte es die größte Freude, uns alle so prächtig getäuscht zu haben. Nun gab ihr das Verlobtsein keine solche Lust mehr, da es so poesielos in die Öffentlichkeit getreten war.

Mein Mann gratulierte ihr wie alle anderen und sie blieb während der Jagd zumeist neben ihm auf seinem Stand. Er schoß schlechter als sonst und sie lachte ihn aus.

Des abends braute Schulze eine Pfirsichbowle, seine Spezialität; er brauchte dazu sehr viel Champagner und Moselweine und sehr wenig Pfirsiche. Eine Rede hielt er um die andere, wobei sein breites rotes Gesicht, das allerlei Querfalten aufwies, immer röter glänzte. Schließlich nannte er sich eine deutsche Eiche, einen knorrigen Stamm – doch dabei geriet er ins Wanken. Rike faßte nach ihm und führte die knorrige Eiche sorgsam zu Bett.

 

28. Oktober.

Heute Nacht bin ich im Traum in meines Mannes Armen gelegen als Wissende. Was wußte ich einst von Liebe und Genuß! Verliebt war ich – das war alles. Klein und spielerisch waren meine Gefühle, keusch mein innerstes Wesen.

Heute Nacht küßte er mich, wie er mich nie geküßt vor fünfundzwanzig Jahren. Was galt ich ihm damals! In meinen Barchentröckchen, die sich an den Hüften zu dicken Falten bauschten, stand ich vor seinen verwöhnten Augen, reizloser als eine Magd. Und er ahnte nicht, wie seltsam ich mich später entfalten sollte. Und daß ich über ihn und seine reckenhafte Größe hinauswachsen würde, so hoch, bis er im Staube vor mir lag und mein Schritt ihn zermalmte.

Gedankenlos bin ich in die Ehe getreten und denken lernte ich durch das Erleben. Ich war gar nicht die Frau, die in Reichtum und Wohlleben erstickte, aus der geistigen Unzulänglichkeit heraus entwickelte ich mich. – –

Ein alter Onkel des Kämmerers erschien eines Tages. Er war Ministerresident und kam direkt von der Botschaft aus Paris. Baron Renke trug einen sorgfältig schwarzgefärbten Bart, glänzend geteiltes Haar, sehr viele Halsbinden von Flanell, wenn er zur Jagd ging, und brauchte drei Stunden zum Ankleiden. Er bekannte vierundfünfzig Jahre und verschwieg sechzehn. Sein Pariser Frack war tadellos, seine Pariser Geliebte sollte es gleichfalls sein.

Seine Gewehre, Pelze und Kleinodien hatte er im Haag gelassen und borgte sich alles nötige vom Hausherrn aus. Er verriet der Gräfin seine Lieblingsspeisen, dem Grafen seine Lieblingszigarren und Weine und tadelte an jedem Tage die Jagd wie das Essen. Er gehörte zu den liebenswürdigen Gästen. Vor mir rügte er die abwesende Komtesse und meinte, daß sie sich bei so jungen Jahren noch nicht schminken sollte, er vermutete falsche Zähne im Munde des Leutnants, falsche Waden beim Grafen, seinen Neffen erklärte er für einen Schwachkopf, die Gräfin für ein Unglück – so wußte er sich bei jedem beliebt zu machen, indem er ihm etwas Erfreuliches über den Nächsten sagte. Mich hatte er für maßlos kokett erklärt und meinen Mann für einen Bären.

Er blieb in dieser ihm unerträglichen Runde zwei Monate zu Gaste und immer noch waren seine Kleider, Gewehre und Kleinodien an der französischen Grenze zurückgehalten.

 

30. Oktober.

Ich war heute in Kronstadt. Das ist eine verwunschene Märchenstadt. Man schreitet durch sie hin und sieht schlafende Menschen wandeln, langsam, mit sanftem Schlenkern der Arme und ausdruckslosen Gesichtern. Man glaubt, irgendwo müßte einer erwachen – aber man wartet vergeblich darauf, die dünne durchsichtige Schlafschicht bleibt über allen.

In den Läden gehen sie umher und sprechen miteinander, Käufer und Verkäufer, und lächeln und kennen sich seit Jahrzehnten und nicken sich zu wie im Traum. Sie gehen einzeln oder in Paaren und immer kennen sie sich seit ihren Kindesbeinen – das ist das Merkmal der schlafenden Städte.

Sie haben gewiß auch Kämpfe, die Bürger und Parteien, Zwistigkeiten aller Art und es gibt Emporkömmlinge unter ihnen und Herabgekommene – aber über allen liegt der feine Schleier des Schlafes.

Von Zeit zu Zeit gibt es einen Erwachenden in Kronstadt, der fühlt sich dann sehr unglücklich, sieht mit einem Male alles doppelt scharf und es ist dann das Klügste, wieder einzuschlafen in den Reihen der Anderen. Sie dulden keinen Wachen zwischen sich, er reizt sie zum Zorn, er gibt ihnen öffentliches Ärgernis, sie nennen ihn überspannt, verrückt.

Schulkinder liefen über die Straßen, die Mädchen immer zu zwei oder drei ineinander eingehängt, wie zum Kranz vorbereitete Blüten; die Knaben einzeln, jeder ein freier Mann. Die Mädchen warfen kokette Blicke umher und hatten merkwürdig erwachte, gedehnte oder gerundete Bewegungen. Die Vierzehnjährigen schienen die einzigen Wachen in dieser Stadt, doch schon als Bräute schliefen sie ein.

Eine Frau schritt im blauen Reformkleid hin, das war so unglücklich genäht, daß sie aussah, als wäre sie hinten guter Hoffnung. Ein paar Soldaten gingen nebeneinander – ihr Ausdruck war noch dämlicher als jener der Zivilisten. Verkäufer standen vor den Läden – sie lugten nicht einmal nach Käufern aus, denn sie wußten, um diese Stunde kam keiner, – sie lugten nach dem Leben aus.

Auch auf öffentlichen Plätzen, bei der Stadtmusik oder im Theater schliefen die Menschen. Der Schlaf tut ihnen wohl, sie werden alt dabei, die langen Männerbärte färben sich weiß. Die Frauen vergessen allmählich, wann sie den letzten Hut gekauft haben und tragen immer den gleichen, oft mit einem dauerhaften Veilchensträußchen geschmückt und schwarzen Spitzen statt der Straußfedern, die die Töchter auf ihre eigenen Hüte gesteckt haben. – –

 

In jedem Herbste hatten wir diese wundervollen Jagden in Olschau beim Grafen. Allmählich wich in der Nachbarschaft die Scheu von seiner zweiten Ehe und neue Gäste fanden sich ein.

Manche kamen auch uns zu Liebe, so die junge Gräfin Mira aus Wien mit ihrem Gatten, einem Ungar von behaglicher Lebensfreude. Ich war seit mehreren Jahren mit beiden befreundet und vermittelte ihre Einladung.

Sie war entzückend, die reizende Gräfin Ada, eine ehemalige Schauspielerin. Ihr Lachen hatte etwas Herzerquickendes. Es war fast so schön wie ihre Zähne. Sie brachte reizende Festkleider mit, eines davon war weiß, mit gemalten Rosen, und Schlafröcke hatte sie, bei deren Anblick jedem der Schlaf verging. Überdies, da sie ja schließlich zu Jagden eingeladen war, zeigte sie sich in einem kurzen Lodenkleid mit Gamaschen. Dazu trug sie eine neue Flinte, wie zum Ballkleid einen Fächer. Und sie betrachtete sie auch als Spielzeug.

Der Hausherr gab ihr den besten und verläßlichsten Büchsenspanner auf den Stand mit, da sie durchaus schießen wollte.

Und die junge Gräfin saß gedankenvoll auf dem alten Jagdsessel, in die Träume ihrer Triumphe versunken. Mit einem Male gewahrten die Nachbarn, die sie verliebt beobachteten, wie sie mit dem Gewehr spielte, als wäre es ein Sonnenschirm und mit dem Laufende kleine Zirkel ausstach im weichen Waldboden vor sich. Ein Schrei des Entsetzens drang aus Männerkehlen.

Die Gräfin lachte. »Sie sind ja entsetzlich ängstlich«, rief sie lustig –, »es geschieht ja doch nichts!« – Sie sprach wie alle Leichtfertigen.

Da durchbrach ein Reh das Dickicht – Gräfin Ada drückte los und – der Büchsenspanner der Gräfin Mimerl lag auf der Strecke. Er hatte den Schuß in die Wade bekommen. Das Entsetzen war groß – alles lief zusammen.

Der Jagdherr schrie die schöne Wienerin an, wie sie noch nie angeschrien worden war. »Und wenn Sie meine Frau zusammengeschossen hätten?« tobte er.

»Beruhige dich doch, es ist ja nichts geschehen!« suchte Mimerl ihren Gemahl zu besänftigen.

Nichts geschehen! Nur ein alter Förster war angeschossen worden. Das hatte keine Bedeutung für uns. – Der Verwundete, notdürftig mit Taschentüchern verbunden, suchte uns von seinem peinlichen Anblick zu befreien und hinkte davon.

Das Jagdpersonal hatte stets Rücksicht für die gräflichen Schützen und ihre Gäste.

Die Jagd ging weiter. Doch der Jäger hatte sich eine gewisse Nervosität bemächtigt. Graf Mira erlegte im letzten Trieb die Jagdhündin meines Mannes.

Mit einem sterbenden Blick, den ich nie vergessen werde, schleppte sich Diana zu den Füßen ihres Herrn, um vor ihm zu verenden.

Franz war außer sich, – der Graf sehr betroffen. Daß er überhaupt etwas treffen würde, hatte er nie vermutet.

Am Abend perlte das Gespräch mit gewohnter Frische. Graf Mira entschuldigte sich bei meinem Mann.

An den weidwunden Förster dachte niemand mehr.

 

Unsere abendlichen Spielereien hatten an Schärfe gewonnen. Es ging nun hoch her. Die Silbergulden rollten über den Tisch und Graf Mira las die Banknoten so sicher auf wie die Noten am Klavier, wenn er mit der Hausfrau vierhändig spielte.

Aber das Tarockspiel machte uns allen mehr Vergnügen als die Musik.

Eines Morgens sagte die Gräfin Mimerl beim Frühstück: »Eigentlich spielen wir gar nicht hoch. Ich hab' gestern fünfhundert Gulden gewonnen – das ist doch nicht viel.« Der schöne Graf Jaromir, der zu den wiedergewonnenen Gästen zählte, sah mich über den Tisch herüber an. »Für eine ehemalige Klavierlehrerin genug«, sagte er mir später, »die zwei Gulden für die Stunde bekam ...«

Wir lebten in einer lachenden Welt. Wir waren alle heiter, eine Gesellschaft, die sich vergnügte. Ein guter Einfall belustigte uns lange. Ernste Gedanken langweilten uns.

Wir nahmen die Tage anmutig hin, wie ein Kartenspiel aus unsichtbarer Hand. Uns war alles ein Spiel, eine Jagd, ein Flirt. Damals gabs keine großen Leidenschaften unter uns, keine Tiefe und keine Stille, nur ein fröhliches Plätschern über weißen Kieselgrund.

 

31. Oktober.

Da ich ein ganz kleines Kind gewesen, dachte ich mir Gott als einen sichtbaren Greis mit langem weißem Bart und blauen Augen. Nie vergesse ich die Enttäuschung, die mir wurde, als Tante Sophie mir sagte, daß ich mir Gott als einen Geist denken müsse, daß er unsichtbar und allgegenwärtig sei.

Ich habe sie lange nicht verstehen können. Nicht sehen. Aber es war ja nicht möglich. – Was hatte ich denn von einem Geist. Wenn ich Gott nicht sehen und fühlen konnte, dann wollte ich gar nichts von Gott wissen. Ins Ungreifbare, Weite zerfloß seine ehrwürdige Gestalt, als Unendliches sollte ich sie suchen – wie konnte ich sie je mehr finden! Es war mein erster tiefer Schmerz und ich habe lange an ihm gelitten.

Mit der Liebe ging es mir ähnlich, aber im umgekehrten Verhältnis. Ich habe die Liebe immer für einen Geist gehalten, für etwas unsagbar Großes, Herrliches, das alle Gedanken an sich zog und alle Gefühle, das Beseelte im Unsichtbaren, Heiligen, Unermeßlichen ... Als ich zum erstenmal erkannte, daß die Liebe einen Körper habe, war meine Enttäuschung furchtbar. Ich ging wie betäubt umher. Das also war sie – zu dieser engen Körperlichkeit schrumpfte die unergründliche Schönheit der Gefühle zusammen. Eine Empfindung, eine Seligkeit, die alle Himmel erfüllt hatte, verengte sich in jämmerlicher Erdlichkeit – ich konnte es nicht fassen – eine Welt war vor mir zertrümmert.

Später habe ich es gelernt, zertrümmerten Welten die Größe wieder zu geben, im Unendlichen meinen Gott zu fühlen wie im Beschränkten das Göttliche zu erfassen. – Im Makrokosmos den Einen zu spüren, im Mikrokosmos die Gewalt des Andern zu erkennen. – –

Eines Tages brachte Franz einen Gast ins Haus, seinen Freund und Nachbar, Baron Alphonse Kollins, der Franz wohl an Höhe nicht erreichte, aber weit leuchtendere Augen hatte, als mein Mann. Kollins war der Erste, der die Sprüche las über den Türen meines Heimes, der die Bilder betrachtete, die ich gemalt, selbst Maler, verständig über sie sprach und mir aufmerksam zuhörte. Während des Mittagmahles schilderte er, von seinen Reisen erzählend, die Stierkämpfe in Spanien mit so leuchtender Glut, daß ich hingerissen war von der Farbenpracht, die er vor uns aufleuchten ließ. Als er aufsprang und in den ausgestreckten Händen das rote Tuch markierte, mit dem der Toreador den Stier reizt – es zurückzog und wieder aufflackern ließ, glaubte ich mich in der Arena von Sevilla. Franz hörte ihm schweigend zu mit unbeweglichem Gesicht – er hatte nie in seinem Leben Begeisterung gezeigt – außer wenn es sich um heimatliche Jagderlebnisse handelte. Ich habe jenen Besuch von Alphonse nie vergessen, jenes erste Diner, bei dem die Diener eine Verwechslung um die andere ausführten und nichts klappte, der Gast statt einer Serviette ein Handtuch entrollte und die Mehlspeise als Salat serviert wurde.

Kollins kam nun öfter. Er war unverheiratet und seiner Begabung nach Künstler, doch sein ehrsüchtiger Vater, ein Mann in hoher politischer Stellung, suchte seinen einzigen Sohn im Geschäftsleben festzuhalten, um ihm später einen politischen Aufstieg zu sichern.

Franz veranlaßte den mehr gesellschaftfeindlichen als gesellschaftliebenden Freund, sich bei den Jagden des Grafen Steinberg einführen zu lassen und so gehörte Kollins bald zu unserem Kreise.

Wir fuhren von Schloß zu Schloß, von Jagd zu Jagd. Und überall war das gleiche fröhliche Treiben, die schönen Frauen, die als Raupen zur Jagd kamen und des Abends sich in Schmetterlinge verwandelten, die vornehmen Männer, deren größtes Ziel drei Rehböcke zu sein schienen oder zweihundert Fasanen, hundert Hasen – oder ein einziges Weib ...

Es funkelte noch so viel französischer Geist in der Gesellschaft, die Zeit Maria Theresias und Antoinettes lebte auf, die holde Rokokozeit mit ihrem sprühenden Leichtsinn. Man sprach französisch und gab sich nach der französischen Etikette.

Die Hausherren eiferten, ihren Gästen die besten Jagdplätze anzuweisen; die Hausfrauen mühten sich, die feinsten und besten Festmahle herstellen zu lassen, das leckerste Jagdfrühstück und die froheste Stimmung in die Tafelrunde zu bringen.

Jedes Diner war eine Sehenswürdigkeit für die Augen und ein tötlicher Ansturm an die Blutgefäße. Die Köchinnen ergriff der Ehrgeiz der Hausfrauen. Die letzte süße Speise erschien in immer gewaltigerem Aufbau. Gefrorenes als Frucht genossen, reizte uns längst nicht mehr, in Schüsseln aus wirklichem Eis, in dem blühende Blumen schliefen, war es uns langweilig geworden; keine Hausfrau würde mehr gewagt haben, ein so abgebrauchtes Kunststück zu widerholen; das Eis stellte sich uns vor in Form von hochragenden Türmen, Burgen, Schlössern, mit Moos überwachsen, von Blumen umsprossen. Jede Küche war zum Atelier geworden, jede Köchin zur Malerin; auf ihrer Palette hatte sie köstliche Naturfarben, das Grün des Spinats, das Rot der Rübe, Alkermesfrucht, Dottergelb, Reisweiß und alle hellen Töne. Aus gebranntem Zucker spann sie braunseidene Fäden wie goldschimmerndes Haar, mit dem sie manch ein Kunstwerk umhüllte.

Es waren auch Kinder in den einzelnen Schlössern, aber die zeigte man nicht oft. Hasen und Fasanen waren zur Jagdzeit wichtiger. Die Kinder erschienen, von der Französin bis an die Tür geleitet, nach dem Mahle zum schwarzen Kaffee als Zuckerl, in weißen Kleidern, Hand in Hand. Sie gingen erst zu Mama und Papa, dann von einem Gast zum andern, artig knixend, die Hand reichend, nie den Mund, und zogen endlich zur Freude aller Gäste in stillem Abmarsch der Tür zu.

Die glänzendsten Diners fand unsere Gesellschaft bei der Herrin von Schloß Wildstein, der schönen Baronin Gina Gastner, der ältesten Schwester meines Mannes, einer Frau von junonischer Gestalt, griechischer Lebensfreude und dem feinsten französischen Geschmack. Es war auch der Besitzer des Gutes da, aber der zählte wenig – seine Frau alles.

Die Jagden galten hier als Nebensache. Sie waren so lange verschoben worden, bis das Wild sich in Nachbargebiete verzogen hatte und die Deckchen für die Gastzimmer gestickt waren.

Die blonde Gina war unermüdlich im Ersinnen von Überraschungen. Vor jedem Jagdtrieb ließ sie von vier Waldhornbläsern wohleingeübte alte Fanfaren blasen – zum Entsetzen der echten Jäger, die so das wichtigste Gebot, das Wild nicht zu beunruhigen, durch den Willen einer Frau zerstört sahen.

Sie liebte eine übertriebene Reinlichkeit. Bei unserer Rückkehr von der Jagd hieß sie uns im Dienerzimmer die Stiefel ausziehen und jeder Gast mußte in ein paar reizenden Pantoffeln, die er als Geschenk erhielt, den Weg in sein Zimmer antreten.

Es war eine wunderliche schwüle Luft der Liebe in dem köstlichen weißen Schloß mit den vier Türmen. Man erzählte sich heißblütige Märchen von der Hausfrau, die aus der herrlichen Schönheit ihres Körpers nicht immer ein Geheimnis gemacht hatte. Neben dem Gatten war stets irgend ein hoher Herr anwesend, zumeist ein General, der sich in die Dienste der Herrin teilte.

Hier, in diesem Zauberschloß war's, als ein Teil der Gesellschaft Karten spielte, ein anderer der Hausfrau lauschte, deren girrendes Lachen berückend klang, daß ich auf ihren Befehl mit Baron Kollins vierhändig Klavier spielte. Wir waren allein im Musikzimmer und darüber froh.

Mir zitterten die Hände ein wenig; ich trug einen roten Rubin auf dem Finger und spielte den Baß, mein Partner die Melodie. Ich liebte seine Nähe, sie gab mir eine wohltuende Befangenheit und doch ein Gefühl der Sicherheit, des Vertrauens in seine Kraft.

Wir waren heute die letzten geblieben in der langen Schar der Gäste, mit denen die Herrin den großen Zug durch das Haus angetreten hatte, »le tour du propriétaire«, wie sie sagte. Kollins hatte mich oft so eigen angesehen mit seinem großen dunklen, brennenden Blick und mir stockte dann jäh der Herzschlag und eine süße Schwere zog mir ins Blut.

Jetzt aber, als wir Klavier spielten, sah er mich nicht an; er blickte immerfort nieder, trotzdem verwirrte er die Melodie – stockte, brach mit einem Male ab und sprang auf – »Ich halte das nicht aus!« stieß er leise hervor. – »Ihre kleinen weißen Finger machen mich toll. Es schwirrt mir vor den Augen – ich sehe alles rot vor mir – verstecken Sie Ihre Hände – um Gotteswillen – oder ich zerbreche sie –.« Erschrocken stand ich da, nicht wissend, wie ich diesen Ausbruch jäher Wildheit deuten sollte.

»Sie spielen nicht mehr?« rief die Hausfrau aus dem Nebenzimmer. »Ach, spielen Sie doch weiter. Man kann gar nicht sprechen, wenn es so still ist.«

Kollins tat der schönen Frau nicht den Gefallen.

In dieser Nacht lag ich mit wachen Augen neben meinem Gatten und spürte zum ersten Mal die Gewalt eines fremden Willens und die unnennbare Süße der eigenen Schwäche.

 

1. November.
Allerseelen.

Allerseelen ... Das holde Märchenspiel des Friedhofes ist wieder erwacht. Ich ging abends zu den Gräbern. Zauberisch glänzten die alten Linden im Widerschein der Kerzen. Wie kleine Christbäume lagen die Hügel in Lichterpracht. Oft war nur eine Rasenfläche zu sehen und über ihr kniete eine gebückte Gestalt und pflanzte Flämmchen in den grünen Grund.

»Wer ruht hier?« fragte ich einen Knaben.

»Mein Schwesterchen – das ist vor neun Jahren gestorben!« sagte er, wühlte die Kerzen tiefer und kam sich wichtig vor in seinen Mühen. Das Schwesterchen war längst vergessen, nur das Lichterspiel weckte alljährlich sein Andenken wieder auf.

Es gab wenig Trauer umher. Die Dorfleute nehmen sich nicht die Mühe, Lügen zu weinen. An den Gräbern der Kinder standen die Mütter mit neuen Kindern im Arm, die ihnen der Himmel zum Dank geschenkt für die Engel, die sie ihm gespendet. An den Gräbern der jung verstorbenen Frauen standen die längst wieder verehelichten Männer mit ihren Frauen von heute und den Kindern aus der zweiten Ehe und der ersten. Die Nachfolgerinnen schmückten liebevoll die Gräber jener, die ihnen vorangegangen waren in der Umarmung ihrer Männer.

Wo Eltern ruhten, da fiel erst recht keine Träne, war es doch selbstverständlich, daß das Herbstlaub von den Bäumen fiel.

Eine einzige große Familie wandelte hier oben und schlief dort unten. Wer schwer krank war, den bedrückte nicht einmal die Sorge allzuschwer, denn was konnte ihm schlimmeres geschehen, als von der Familie im obern Stockwerk zu der Familie im Erdgeschoß hinunter zu gehen?

In der Kirche brannten Kerzen, ruhig und stetig, wie Herzen schlagen, die längst keine Wünsche mehr tragen, und die Statue der Muttergottes sah wachsbleich auf Betende nieder.

Draußen reckten alte Linden die braunen riesigen Arme hoch und schienen den Paradiesestraum der Lebenden wie der Toten zu umfangen und hielten die schwarze Nacht zurück, daß sie nicht eindringe in die bunten goldenen Märchen der Seelen.

Vom Kirchturm aber schwang sich der Klang der Glocken und grüßte die Sterne, das blitzende Allerseelenspiel des Himmels ...

 

Alphonse Kollins fehlte nun auch auf keiner Jagd beim Grafen Steinberg. Doch er schien mich nicht zu beachten. Nur selten sah ich durch die Weite seinen Blick auf mir ruhen und mir war dann, als leuchteten zwei Sterne im Waldesdunkel auf und riefen mich durch alle Erdennot zu sich.

Alphonse beschäftigte sich niemals mit mir. Er machte der jungen Gräfin Mira den Hof, ich sah es mit zuckendem Herzen, wie die schöne Frau ihn beglückt anlachte.

Einmal stellte mich mein Mann durch irgend eine taktlose Bemerkung bloß. Da richteten sich Kollins Augen auf mich, schützend, tröstend. Er blieb nach der Jagd zum ersten Mal an meiner Seite und suchte mich nun öfter auf. Die Gespräche mit ihm waren mir eine unbeschreibliche Freude. Ich hatte noch nie einen Mann von so feiner Kultur des Geistes kennen gelernt. In seiner Nähe gab es keine langweiligen Menschen, auch der Ödeste mühte sich sein Bestes zu geben.

Es lag ein Zauber in der Art, wie er der Frau begegnete. Er hatte die Ideale der Romantiker, die über die Begierde die Sehnsucht stellen.

»Man muß die Wirklichkeit zu sich erheben«, sagte er einmal, »niemals zu ihr hinabsteigen.« Er lächelte oft, er lachte nie. Franz hingegen lachte oft und lächelte nie. Ihm war das Erglänzen der Seele fremd.

Gegen mich war Kollins von einer zarten Ritterlichkeit, die an mein Herz rührte und mich alle niedern Instinkte meines Mannes doppelt qualvoll empfinden ließ. Alphonse hatte die Hand des Künstlers. Seine Finger waren schmal, doch voll Festigkeit und zumeist geschlossen. Franzens Hand verriet in ihrer steten Offenheit den Verschwender. Aber damals wußte ich noch nichts von der Sprache der Hände.

 

4. November.

Die Sonne ist untergegangen; über dem Acker leuchtet es rot von ihrer letzten Glut, die Büsche über den Wiesen ruhen wie kauernde Greise.

Weiß reckt sich die Mühle, breit und groß, ein mächtiger Mehlsack. Aus ihren Fenstern schaut gelbes Licht. Im Laden seh ich den Müller stehen, er verkauft und rechnet. Im Torweg aber schreitet der junge Müllerbursch hin und spielt Harmonika. Wird er auch einmal rechnen? Hat der Alte auch einmal gespielt? – – –

Die Gesellschaft verwöhnte mich. Eines Morgens wurden die Nummern der Jagdstände gezogen. Der Zufall fügte, daß Alphonse die Nachbarnummer des meinen erhielt. »Unglaublich –«, rief Graf Steinberg, »– der einzige von uns, der Ihnen nicht den Hof macht, wird nun den ganzen Tag neben Ihnen sein –.«

O, über die Wonnen erwachender Liebe! Wenn eine Gesellschaft, die dir öde und leer erschien, mit einem Mal für dich entzückend wird, weil Er eingetreten – wie du es beseligt spürst, daß dein Bestes in dir erwacht. Wie alle Nebel sich heben von deinem innersten Wesen und eine Sonne auf dich niederleuchtet und deine geheimsten Kräfte weckt – dich überglutet mit goldener Wärme! Du fühlst dich in einer Minute götterreich und in der nächsten bettelarm – du schwankst vom Jubel zur Verzweiflung – je nachdem du dich geliebt glaubst – oder nicht geliebt ...

Ach, noch einmal die Wonnen jener Jahre fühlen, die göttliche Fröhlichkeit, die beseligte Freude! Noch einmal jene Zeit genießen, da die Tage Flügel haben und wie bunte Schmetterlinge in die blauen Höhen flattern, da die Stunden singen wie muntere Vögel und Blumen in den Lüften sprießen und in duftenden Kränzen sich auf dein Haupt niedersenken, wo immer auch du weilen magst – ach, noch einmal jene Schauer fühlen, da die Berührung deines Fingers dich aufzittern läßt vor beseligter Lust, ein Blick dich in Bande schlägt, ein Wort dich bezwingt und du doch in aufjauchzendem Glück die siegende Stärke deiner Macht empfindest.

Wenn Alphonse mir Blumen schenkte, dann waren es jene, die ich liebte. Franz hatte mir nie Blumen geschenkt außer dem Brautbukett und vor diesem ein junges Wildschwein, bei dessen Ankunft mein Vater gefragt hatte: »Du, Vally, was bedeutet Wildschwein in der Blumensprache?«

Durch Alphonse lernte ich zum erstenmal den Zauber des Zartgefühls kennen.

Einmal traf ich Alphonse im Zuge und wir fuhren zusammen ein paar Wegstunden weit. Auf der Reise zeigen sich die Charaktere in ihrer Nacktheit. Ich verglich ihn mit Franz, der nie sprach, mir nie behilflich war, mich nicht beachtete, brutal ausstieg, ohne mir die Hand zu reichen und die Sorge um mich jedem Mitreisenden überließ. Alphonse aber war nur auf mein Wohl bedacht und diente mir, seine Blicke flammten in Zärtlichkeit, wenn sie über mich hinglitten und sie taten nichts anders, als über mich hinzuschmeicheln. Er suchte mir die Ärgerlichkeiten der Reise zu mildern oder sie mitzutragen. Franz verstärkte sie noch durch seine üble Laune und die unaufhörlichen Kränkungen, die er mir bereitete. So erschien mir Alphonse als Erlöser. Alles, was er sprach, hatte einen besonderen Adel. Er nannte einmal den Körper »den feigen Zweck der Liebe. Seele und Geist einer Frau zu gewinnen, damit beginnt und darin vollendet sich die Liebe«, sagte er.

Nun war mir jeder Tag verklärt. Es war alles Schönheit um mich und Lieblichkeit. Ich fühlte eine Seele, die mir diente und die meine nicht vergewaltigte. Ich dachte nur an ihn. Wenn ich erwachte, durchflog es mich wie ein Leuchten, eine Sonne ging mir auf – sein Name. Nie hatte ich mich so verstanden gefühlt. Was ahnte der Mann, dem ich angetraut war, von mir? – Das Beste, was ich ihm geben konnte, war meinem Empfinden nach, daß ich ihn nicht störe bei seiner Jagd, seinem Kartenspiel und seinem Verkehr mit den Freunden. Was ich tat, war ihm völlig gleichgültig. Die Bilder, die ich malte, sah er nicht an, meine Einfälle beachtete er nicht, mein Klavierspiel störte ihn – er hielt Musik für eine peinliche Aufeinanderhäufung von Tönen und zog ihr das Geheul seiner Hunde vor. – Ich machte Vergleiche. – Gewiß, Franz war von stattlicher, gewinnender Schönheit – aber hatte er je nach mir gefragt? Was war ich ihm mehr als ein Weibchen. Hatte er sich die Mühe genommen, meine Gedanken, meine Gefühle, meinen Geist zu erkennen? Nach unsichtbarem verlangte er nicht, dessen große und unerschütterliche Gewalt er nicht ahnte. Im Unsichtbaren aber liegt die weltbezwingende Idee – liegt das Göttliche.

Franzens Gespräche gingen nicht über den Alltag hinaus. Was er gelernt hatte, war in ihm verschüttet. Er nahm sich nicht die Mühe, es zu suchen. Und hier war Einer dessen Augen aufleuchteten, wenn ich zu sprechen begann, dem mein ganzes Wesen sich enthüllte. Er war wie das Erdreich, dessen ich bedurfte, um die Wunder meines Erblühens zu erfüllen. So lebte ich neben Franz wie neben einer toten Mauer, während Alphonse die schöpferischen Kräfte meines Innern entfesselte.

 

6. November.

Ich sah einen feurigen Busch auf dem Felde – er war über und über mit roten Blättern bedeckt. Sie zuckten im Windhauch über ihn hin wie flammende Zungen. In solchem Busch hat Moses Gott erschaut, aus dem Sturme sprach er zu ihm.

Noch immer dröhnen gewaltige Stimmen aus Stürmen und flammende Büsche stehen umher, aber keine Propheten gehen vorbei, daß sie sie hörten. – –

Auch bei uns war eine Jagd. Ich hatte alle Vorbereitungen getroffen, einen besonderen Tafelschmuck ersonnen, den mir keine Hausfrau nachmachen konnte, und freute mich auf die Überraschung der Gäste. Mein Mann hatte alles getan, um den Wildstand der kürzlich gepachteten Jagdgebiete zu erhöhen, hatte Hasen und Fasanen gekauft und sie ins Revier eingelassen, damit die Gäste ein erhöhtes Vergnügen fänden.

Wir sollten in Streifen jagen. Bunte Lappen wurden an lange Seile geknüpft, um den flüchtenden Hasen das Durchbrechen zu verwehren und sie den Schützen zuzutreiben. Wochenlang dauerten die Vorbereitungen.

Mein Mann leitete die Jagd zu Pferde. Die bunten Lappen taten ihre Schuldigkeit, die Hasen liefen im Felde vor die Flintenläufe, bei den Waldtrieben zeigten sich die Treiber als geschulte Herde, die jeden überflüssigen Laut vermied; die Fasanen zogen tadellos herbei, die Strecken ergaben eine überraschende Wildmenge und die Gäste unterhielten sich vorzüglich.

Als sie nach Hause kamen, wurden ihnen die Stiefel nicht ausgezogen – sie strampelten in ihre Zimmer und die Herren genossen der Ruhe, die Damen aber begannen sogleich die Verwandlung aus den Raupen zu den Schmetterlingen. Eines Augenblickes entsinne ich mich genau.

Ich trug ein helles Atlaskleid, über die Schultern fiel ein Gewirr schmaler bunter Seidenbändchen, die den Ärmel ersetzten und etwas Moosiges, Blumenhaftes hatten. Rasch eilte ich in die Empfangsräume, um zu sehen, ob dort alles vorbereitet sei, und im Vorübergehen streifte mein Blick den Spiegel. Befangen blieb ich stehen. Wie schön war mein Kleid – und mich selbst hatte ich so noch nie gesehen, mit dem großen erwartungsvollen Ausdruck in dem blassen Gesicht, dessen Linien so schmal waren.

Da trat Kollins ein. Langsam kam er auf mich zu, küßte mir die Hand und sah mich an. Ich fühlte mich erzittern und lebte in seinem Blick.

»Sie haben einen großen Fehler, gnädige Frau, Sie sind –«, er sagte mir eine Schmeichelei.

Mein Mann trat aus seiner Tür herein. Er überblickte uns argwöhnisch, er verstand nicht französisch.

Eine Stunde später saß die bunte Gesellschaft beim Mahle. Da gab es manche Überraschung. Die großen Tischkarten trugen auf der Rückseite lustige Jagdbilder in Federzeichnungen. Ich hatte sie aus den fliegenden Blättern zusammengesucht und gezeichnet. Einzelne Bonbons hingen an kleinen Holztäfelchen, die als Lesezeichen dienen konnten, gemalten Blumenschmuck trugen und französische Sprüche, wie ich sie ersonnen.

Kollins griff nach einem solchen Täfelchen. Seine Nachbarin, die Gräfin Mira, nahm es ihm aus der Hand und las: »Qui bien aime – jemais oublie –.«

Große Heiterkeit erweckten zusammengerollte Blätter, mit bunten Bändern umwickelt, die in lustigen Reimen die Eigenart der einzelnen Schützen feierten.

Die Herren lasen laut die Verse und suchten nach immer neuen Bonbons.

»Das können wir dir freilich nicht nachmachen«, sagte die Gräfin Mimerl Steinberg mit einem leichten Mißvergnügen und ihr Gatte nannte mich lärmend und entzückt »die Perle des Landes«. Er hatte eben wieder einige »Bruderschaften« getrunken.

Mein Mann war beinahe stolz auf mich. Kollins sah mich nicht an. Das Täfelchen lag nicht mehr neben seinem Gedeck. Hatte er es geborgen oder seine Nachbarin? Ach, für ihn nur hatte ich alle Zeichnungen gemacht, alle Bildchen gemalt, alle Sprüche und Verse gedichtet.

Und nun kein Wort der Anerkennung! Ich wußte nicht, was er von meinen kleinen Arbeiten hielt. Doch nach Tisch beim schwarzen Kaffee im Rauchzimmer mußte er mir die Hand geben – ich wartete darauf. Er tat es mit schweigender Verbeugung. Da konnt' ich's nicht länger ertragen. Ich fragte: »Haben Sie die Verse verdrossen?«

»Wie wär' das möglich? Mich interessiert alles, was Sie tun. Aber Sie haben eine Art des Geistes, die Ihr Mann leider nie verstehen wird. Auch ich werde oft irre an Ihnen –«

»Weshalb.«

»Das will ich Ihnen ein anderes Mal sagen.«

Wir wurden getrennt. Man spielte diesmal an zwei Tischen Tarock, später wurde Bakkarat daraus. Die Frauen wurden leidenschaftlich und nahmen die Geldbörsen ihrer Männer zur Hand.

Kollins spielte nicht. Ich habe ihn nie Karten spielen sehen. Er stand bei den einzelnen Tischen und sah zu, sah wohl auch auf schöne Nacken nieder, und die Frauen hoben die Blicke zu ihm, als wäre das Spiel ein überaus wichtiger Ernst.

An diesem Abend mied er mich.

Einzelne Gäste fuhren um sieben Uhr früh fort. Mein Mann und ich saßen verschlafen auf der Stiege, um ihnen beim Herabkommen Lebewohl zu sagen. Wütend war Franz über diese Störung der Morgenruhe. »Die Gäste, die so zeitlich wegfahren, soll der Teufel holen«, murmelte er.

 

13. November.

Der erste Frost! Diese gereinigte Luft! Der Atem fliegt leichter, die Augen blicken klarer in das Licht umher. Von den Bäumen tanzen die Blätter nieder, als wäre das Sterben eine neue Lust. Zwischen den Ästen schweben die umtauten Netze der Spinnen. Perle reiht sich an Perle, ist auch ein Stückchen Kette unterbrochen – beginnt der weiße Reigen doch wieder und du siehst nicht, was den Anfang zum Ende bindet. – – –

Im nächsten Sommer kam Kollins in den kleinen Badeort in den Sudeten, den zu besuchen mein Mann mich gezwungen hatte, weil ihm dort die Möglichkeit gegeben war, Hochwildjagden mitzumachen.

»Was willst denn du da?« fragte mein Mann, als Kollins erschien.

»Einsamkeit«, sagte dieser und mied uns. Das verdroß und kränkte mich.

Das Bad lag in voller Bergesstille von Wäldern eingeschlossen. Nur wenige Wohngebäude aus Holzbalken über dem steinernen Unterbau zusammengefügt, boten den Gästen einfache Unterkunft. Großartig aber war der alten Fichtenwälder Pracht. Doch für diese hatte ich damals wenig Sinn. Eines Tages traf ich Kollins im Walde. Er zeichnete eine Felsengruppe. Auch ich hatte mein Skizzenbuch bei mir und zeichnete ihn, dann wieder er mich. Aber aus seiner Studie wollte nichts Rechtes werden. Es war ganz still und einsam um uns; der Himmel trüb, die Steinmassen blickten drohend und furchtbar nieder, wie Riesenhäupter der Jahrtausende. Mit einmal begann es zu regnen. Da öffnete ich den Schirm und hielt ihn über Kollins und seine Zeichnung und versicherte ihn, daß mich eine Eiche beschütze, die auch den Schirm über mich spanne. Er ließ den Griffel sinken und sah mich an.

»Ich wollte es Ihnen schon einmal sagen: ich werde oft irre an Ihnen. Wenn ich Sie in der Natur sehe, dann scheinen Sie wie das frischeste und natürlichste Geschöpf der Welt, und wenn ich Sie in Gesellschaft beobachtete, mit Ihrer raffinierten Koketterie, mit der Sie vielleicht unbewußt die Männer an sich locken und sie zu rasender Verliebtheit bringen, dann erscheinen Sie mir wie eine der großen Liebenden der Rokokozeit, la grande amoureuse ... Wie rasend verliebt haben Sie den Brück gemacht und manchen anderen. Und alle diese Opfer kamen zu mir und schütteten mir ihr Herz aus und ich mußte sie in ihren Leiden trösten – und leide mehr als alle, denn ich bin nicht nur verliebt – es ist grotesk!« Er sprach immer bewegter und sah mich nicht mehr an. »Sie können hoheitsvoll sein wie eine Königin, zutraulich wie ein Kind, kühn wie ein Adler, schlicht wie ein Sperling. Ich studiere Sie, wie Sie noch niemand studiert hat. Denn niemand hat sich noch Mühe gegeben in die Vielseitigkeit Ihrer Art einzudringen. Ihre Eltern sahen nur die geliebte Tochter in Ihnen und verwöhnten Sie – Franz kümmerte sich nicht um Sie, er ist auch gar nicht fähig, Ihnen zu folgen. Das Prickelnde Ihres Wesens, das mich entzückt und das so anziehend ist, stößt ihn eher ab. Frauen werden Sie nie mögen, weil Sie den Männern zu gefährlich sind. Dabei haben Sie eine Fraulichkeit, die hinreißend ist. Sie haben viel gelernt und lernen noch immer mit dem feurigen Geist eines Jünglings und freuen sich wie Aspasia, wenn Sie ein Herz geknickt haben. All die Männer, die Ihr Mann zu den Jagden einlädt, sind ja nur Opfer dieser platonischen Aspasia ... Doch damit sind die Gegensätze auf dem Grunde Ihrer Seele noch lange nicht erschöpft. Sie haben Kräfte, von denen die anderen nichts ahnen, am wenigsten Franz – nicht einmal Sie selbst. – Es kommt nur auf den Nährboden an, ob er sie zur Entwicklung bringt oder nicht. – Der Graf sagte letzthin in unserem Männerkreis, in dem oft von Ihnen gesprochen wird, daß Ihr Leben sehr interessant werden dürfte. Sie wären die unruhigste Frau, die ihm je begegnet ist. Er verglich Sie mit einer bekannten Fürstin und meinte: »auch Ihnen wäre die Welt zu klein.«

Ich fühlte beglückt, daß er über mich nachdachte, wie noch kein Mensch über mich nachgedacht. »Ich weiß nicht, wie ich bin«, sagte ich leise, »ich bin immer so, wie es mir der Augenblick eingibt –.«

Wir gingen jetzt den Berg geradeaus hinab.

In der Tiefe rauschte der Bach, der über Steingeröll sprang. Keine Brücke war zu finden und der Abend drohte.

Wir eilten am Ufer entlang und suchten einen Übergang. »Kommen Sie, ich trage Sie hinüber«, sagte Kollins, nahm mich in seine Arme und hob mich empor. Ich legte die Hände um seinen Nacken. So trug er mich in die Flut. Als er in der Mitte des Baches stand, schwankte seine Gestalt, ein Zittern durchlief ihn – er zögerte, als fände er nicht die Kraft, weiter zu schreiten. Ich bebte so nahe an seiner Wange, an seinem Herzen, ich hätte sterben mögen vor Wonne in diesen Augenblicken. O möchte er nie das Ufer erreichen! flog es mir durch den Sinn – da hatte er schon den Fluß überschritten, ließ mich sanft zu Boden gleiten und ging heiter und gefaßt neben mir hin. – –

Am nächsten Tage sah ich ihn nicht. Dann wieder bat er mich, mit ihm zu zeichnen. Wir nahmen eine kleine Mühle auf mit Räderwerk und alten Holzgebäuden. Ich führte zage Striche über das Blatt und er belehrte mich.

Da kam mein Mann mit der Flinte einen Waldpfad herauf. »Ich stör' euch wohl«, meinte er gutmütig.

»Wie könntest du uns stören?« sagte Kollins und zeichnete weiter ohne aufzublicken.

Mein Mann ging gleich vorüber, er wollte einen Bock schießen, der Förster erwartete ihn. Ich atmete auf, als er fort war.

 

20. November.

Der erste Schnee fällt nieder in weißen Sternchen, breitet sich über die Erde, über Rasen und Sträucher, über Fichten und Buchen. Und unaufhörlich gleitet es nieder, wie Schleier, die unsichtbare Hände droben lösen und über die Erde breiten.

O diese lichte zarte Freude der Kindheit, da die Seele so flockenrein war und lieblich taumelte im Reigen der Schwestern. Noch wußte sie nichts vom Blühen und Glühen, ahnte nicht den Frühling mit seinem wild begehrenden Duft; in kühlen Sternchen schimmerte sie, frisch vom Himmel gefallen, und schmiegte sich zärtlich an dürre Zweige und tote Äste, an alles, was sie berührte. Noch vermochte sie nicht zu unterscheiden. O selige, kühle, flockenzarte Kindheit, du lichter Winter der Seele ...

Oft sprachen Kollins und ich über die Liebe.

»Liebe muß veredeln, neue Kräfte geben, beglücken, erheben«, sagte er einmal. »Liebe ist eine Kraft der Seele, eine Stärke des Geistes; ihr körperliches Teil füllt nur Sekunden aus, ihr Reich aber liegt im Unsichtbaren, das sie durch Jahre unaufhörlichen Genusses erfüllen kann. Darum ist die wirkliche heilige Liebe selten, wie alle wahre Schönheit selten ist, wie alle große Kunst. Liebe ist die tiefste, veredelte Natur ... Die Menschen verwechseln so oft Verliebtheit mit Liebe, so wie sie Sensation mit Ruhm verwechseln. Es ist so viel Verwirrung in den Köpfen, daß der klare Begriff erst mühsam herausgeholt werden muß ...«

Er rief viel Gutes in mir wach. Liebe hat keinen Wert, wenn sie nicht Weckerin wird, sagte ich mir. Wer uns nicht weckte und formte, den haben wir nie geliebt.

Ich liebte Alphonse. Er brachte mir Bücher, sprach mit mir über sie, formte mein Urteil, wies mir meine Fehler nach, lehrte mich noch tiefer die Künste lieben, und erschloß mir neue Reiche des Wissens. Er schien mir der erste Mann von Würde und Geist, dem ich begegnet war.

Von dem Ruf der Hirschjagden angelockt, waren auch unsere Nachbarn gekommen, Graf Steinberg mit Mimerl und Graf Mira mit seiner schönen lachenden Frau.

Mimerl hatte sich von ihrer französischen Bonne und ein paar nähenden Geistern des Dorfes zwölf neue Kleider verfertigen lassen, denn sie wollte nicht hinter der eleganten Gräfin Mira zurückstehen und benützte jetzt den Landaufenthalt, um uns täglich durch ein anderes Gewand aufs neue zu entsetzen. Es war geradezu unglaublich, was die vereinten Kräfte an Geschmacklosigkeiten in dem Nähzimmer des alten Schlosses geleistet hatten – unter dem Vorsitz Mimerls, die sich einbildete, Kleider von Pariser Schick zu haben.

Die Männer gingen nun fast täglich jagen, Franz zeigte dabei seine vollendete riesenhafte Gestalt, Graf Steinberg seine X-Füße in grünen Strümpfen. Kollins war das Jagen zu langweilig. Graf Mira zu beschwerlich. Der Ungar brachte die Vormittage in langgestreiften englischen Morgenanzügen zu aus weichen mit Seide gefütterten Stoffen, in seidenen Hemden und Halbschuhen, lächelte und freute sich an seinen Witzen und den Einfällen der anderen. Klavier spielen mochte er nicht, das Klavier im Kursaal war ihm zu schlecht und das Aufsehen zu groß, wenn er spielte.

Ein Kartenspiel trug er immer in der Tasche – für alle Fälle – zu einem kleinen Bakkarat auf den Holzbänken des Waldes. Oft auch spielten die beiden Grafen mit meinem Mann und Mimerl Tarock. Ich hatte alle Vorliebe für das Spiel schon lange verloren, spielte zerstreut und ward bald ausgeschlossen. –

Mein Mann war ein Hypochonder an den Tagen, an welchen nicht gejagt wurde. Lag er bis neun Uhr früh zu Bett, so rief er sorgenvoll: »Ich weiß nicht, was das wieder ist, daß ich heut' so lang lieg'!« Einmal blieb er den ganzen Tag zu Bett, weil ein verdorbener Maximalthermometer bei den stündlichen Messungen ihm ein nicht weichen wollendes hohes Fieber anzeigte.

Franz hatte dreißig Hüte in den schlichten Gebirgsort mitgenommen, entsprechend viele Anzüge, einen Diener, einen Kutscher, ein Paar Wagenpferde, zwei Wagen und unsere Reitpferde. Ich hatte meine Kammerjungfer bei mir. Wenn wir wissen wollten, wie viele Badegäste sich noch im Ort befanden, brauchten wir nur die gesattelten Pferde vor unser Wohnhaus führen lassen. Da liefen alle zusammen.

Graf Steinberg hatte gleichfalls Pferde und Dienerschaft bei sich. Doch er besaß ein Vermögen von Millionen. Wir dagegen besaßen nur unsere Jugend und unseren Leichtsinn, Kapitalien, die gewiß in ihrer Art wundervoll sind, aber wenig Sicherheit bieten.

An manchen Tagen, zu manchen Stunden war eine Feststimmung in mir, ich hätte jauchzen mögen, so lerchenfroh war mir zu Mut und dann wieder ohne jede Ursache ging ich wie betäubt umher, wie unter einem schweren Leid und Tränen überströmten meine Augen und mein Herz war bedrückt von einem tiefen Weh. Mir war todestraurig, als wäre ich mir für immer entrissen worden. War es ein Ahnen des Leides, das auf dem Grunde jeder großen Liebe ruht?

Eines Abends fand ein Fest im Kurhaus statt. Wir besuchten es nicht.

Wir gingen in großer Gesellschaft den Kurplatz auf und nieder bei der spärlichen Beleuchtung von ein paar Sternen und zweier Laternen, die am Verwalterhaus hingen.

Von Zeit zu Zeit traten wir an den Holzbau des Kursaales und suchten durch die Fensterscheiben die tanzenden Paare zu sehen.

Ich dachte nicht an die Tanzenden, ich hörte nicht nach den Gesprächen meiner Bekannten, ich fühlte nur seine Nähe. Jedes Wort, das er zu anderen sprach – zu mir sprach er ja nicht – fing ich auf, dürstend, verschmachtend, nach einem Sinn suchend, den es für mich haben könnte.

Aber ich fand keinen. Er sprach lustig und lebhaft mit der Gräfin Mira, die in einem kostbaren Abendmantel neben ihm stand und deren weiße Zähne verführerisch durch das Dunkel blitzten. Sie schien beseligt, da Kollins selten genug ein Gespräch mit ihr suchte.

Ich empfand Schmerz und Eifersucht. Mein Mann erzählte dem Grafen Steinberg eine Jagdgeschichte. Musik klang herüber zu uns – wir neigten uns vor und spähten nach den Paaren, die mit den Staubwolken um die Wette sich im Wirbel drehten.

Meine Hand sank an meiner Jacke nieder. Mit einmal fühlte ich eine zarte feine Berührung an meinem kleinen Finger. Ich zuckte zusammen, als hätte ich einen elektrischen Schlag empfangen. Mein Körper zitterte, ich hätte kein Wort sprechen können ohne eine tiefe Bewegung zu verraten.

Ich schwieg und blieb regungslos. Und wieder fühlte ich dies leise Streifen meines Fingers, diesen beseligenden Gruß einer Seele, die ich liebte.

Kollins sagte irgend etwas Gleichgültiges zur Gräfin. Doch als ich den Blick hob, traf mich ein leuchtender Strahl seiner Augen, der alle Finsternis durchhellte und zündend in mein Herz fiel.

»Seht ihr denn hier gar so viel?« fragte mein Mann und trat zu uns. »Da schaut's, die Oberförsterstochter –«, er war so durchaus Weidmann, daß ihn nur die Frauen und Töchter der Förster fesselten –, »ein sauberes Mädel –.«

Ich wußte, daß seine Blicke jetzt lüstern die tanzenden Paare umspannten.

Ich aber hätte sterben mögen für den Augenblick der Seligkeit, den ich genossen. Lag in dem leisen Suchen meiner Hand – in seinem Blick nicht das Bekenntnis seiner Liebe?

Am nächsten Morgen ging ich mit Kollins durch den Wald in einem roten geblümten Kleid aus slowakischen Tüchern und schlang mir grünes Moos um den Kopf wie einen Kranz. Die langen, frei herabfliegenden Ranken legten sich um mein Haar und starrten wie Dornen mir über die Stirn. Wir schritten waldein, ich bog die grünen Fichtenzweige zur Seite und Alphonse folgte mir schweigend. Da wandte ich mich um und sah seine Blicke auf mich gerichtet in leuchtender Glut. »Petite diablette rouge«, rief er, »tu m'entraînes à l'enfer –.« – »Kleine Teufelin – du führst mich zur Hölle –.« Rückwärts schreitend ging ich hin mit pochenden Pulsen, die Blicke in die seinen getaucht, flammend in ihnen, und er folgte mir wie besinnungslos durch das Grün des Waldes, bis wir die Straße erreichten und der Spuk verflogen war.

Aber sein dunkles »diablette, tu m'entraînes à l'enfer –«, klingt mir noch heute im Ohr und der Blick seiner flammenden Augen glüht mir noch heute durchs Herz. –

Wieder schritten wir durch den Wald, über moosige Wege diesmal. Ich sprang vor Kollins hin, als lockte ich ihn mir nach.

Nun spielte ich die Teufeline und nannte ihn l'homme de fer, den Mann von Eisen. In mir war eine jubelnde Lust, ein wildes Triumphgefühl.

Er wollte umkehren, da lockte ich ihn tiefer in den Wald.

Er warf sich auf den Boden und riß die roten Beeren aus.

Und ich legte mich zu ihm nieder auf die braune zermürbte Waldeserde und sah zu ihm auf mit dem siegenden Lachen der Teufelin. – Jetzt kannte ich meine Macht.

Er verhüllte sich die Augen mit den Händen und ließ die Hände doch wieder sinken und sah mich an. Es war ein tolles, übermütiges, gefährliches, waghalsiges Spiel, das ich spielte, ich die Herzdame, mit ihm, dem Herzkönig.

Stumm stand er auf und ging fort – und ich warf mich wieder nieder und rief ihn zurück durch nichts als durch meine Blicke und mein Lachen.

Der Wald war still und feierlich.

Wir waren ganz allein.

Zwischen uns wuchsen einzelne grüne Gräser, Halme, Blüten, und ich neigte meinen Kopf ganz nahe zu dem seinen hinüber – und er bog sein Haupt ganz nahe zu dem meinen. – Und so ruhten wir lange, stumm, bebend, und doch in wundervoller Ruhe und in der beseligenden Gewißheit, daß ein Kuß zwischen uns erblühe in der heiligen Waldesstille, den wir pflücken mußten – er von meinen Lippen – ich von den seinen. Und wie einen wundervollen Genuß sparten wir diesen ersten Kuß uns auf, der unsere Arme, unsere Herzen vereinen sollte und sahen uns so an und ließen die Blicke ineinander tauchen, verschmelzen, dann neigten wir uns noch ein weniges und vereinten unsere Lippen in einer sanften heiligen Berührung und glitten wieder auseinander und sahen uns an ...

Er vermochte so wenig zu sprechen wie ich. Wir erhoben uns und gingen Hand in Hand weiter, wortlos. Und über uns folgte wie auf leisen Schwingen das Schicksal. Wir spürten seinen Flug in der Luft und eine fromme Ruhe senkte sich in unsere Herzen. Ich lachte nicht mehr – aus der Teufelin war ein Weib geworden, dessen Herz zu bluten begann.

Zwei Tage ließ er sich nicht blicken. Als ich ihn wiedersah, erschrak ich. Er war gelb und verfallen. Seine großen leuchtenden Augen lagen in ihren Höhlen, von den buschigen Brauen überschattet.

Er sagte mir, daß er einen Herzkrampf gehabt habe, seinen Koffer packen ließ und mittags abreise. Ich beschwor ihn, zu bleiben. Ich wußte, daß ich ihn für immer verliere, wenn er seine Absicht ausführte.

Und ehe er es hindern konnte, ging ich mit ihm.

Wir schritten durch den hohen ernsten Fichtenwald, über dem die Sonne lag. Goldene Rosen spielten über dem Grün des Waldbodens. Wir spürten keinen Lufthauch, aber die Wipfel rauschten einen Festchoral. Wie fernes Meeresbrausen wogte es über unseren Häuptern. So schön war diese Welt – so wunderbar schön – aber nur so lange er an meiner Seite schritt, war sie für mich schön. Wenn ich mir vorstellte, daß er morgen schon mich verlassen haben könnte, ergriff mich eine wilde Verzweiflung. Ich hätte den Kopf in das grüne Moos pressen und mich unter die grauen Felsen wühlen mögen – ach! Felsen fühlte ich ja über meinem Leben lasten!

Ihm war so ernst wie mir. Wir sprachen wenig, wir küßten uns nicht. Einmal nur griff ich nach seiner Hand und ich spürte, wie ein Schauer ihn durchfuhr.

Als wir bergab schritten und den ersten hölzernen Häusern des Badeortes uns näherten, fühlte ich, daß ich gesiegt hatte in dem stummen Kampf der Gedanken und Gefühle. Seine Blicke hellten sich auf und weiche Zärtlichkeit glomm in ihnen.

»Ich bleibe also noch ein paar Tage«, sagte er seufzend, aber ich wußte, daß seine Seele sich über meinen Sieg freute ...

Mein Mann hatte an dem Tage zwei Hirsche geschossen und war glücklich.

 

12. Dezember.

Der Sturm pfeift, die Äste biegen sich. Ein dürres Blatt tanzt durch die Luft. Schwer kämpft ein schwarzer Vogel gegen den Sturm mit raschem Flügelschlag, doch wo er sich vom Gegner tragen läßt, fliegt er pfeilschnell mit ausgespannten Schwingen hin ...

Wir saßen im Walde, abseits vom Wege, ganz allein in einer Mulde, in die das Sonnenlicht geglüht hatte am Vormittag und die warm war von Duft und Leuchten. Uns umragten die hohen Stämme der Riesenfichten, ihre grauen Bärte wallten in der Luft. In uns aber war Schönheit, Liebe und Kraft.

Ich saß auf einem gefällten Baumstamm. Er lag mir zu Füßen und las mir Gedichte vor, mit zitternder Stimme, unruhig zu mir aufblickend. Ich war glücklich, aber ich hörte nicht auf die Verse, nur auf seine Stimme, die mich berauschte.

Dann legte er das Buch fort, sah mich an und dann – dann – umfing er mich mit glühenden Küssen.

Ich trug eine Weste ohne Ärmel, darüber ein offenes Jäckchen; das schlug er zurück und brannte seine Lippen in meinen nackten Arm, dann fiel er vor mir nieder, umklammerte meine Knie, blickte mit den Augen des Wahnsinns zu mir empor, vergrub seinen Kopf in meinem Schoß – und begann zu schluchzen – bis ein Wehgeheul aus ihm brach, so schauerlich – wie der Schrei des Hirsches. Das hallte zwischen den Stämmen, drohend, furchtbar.

Ich wußte nicht, was ihm geschehen, sah diesen gefällten Mann vor mir liegen, die Lippen in den Waldgrund pressend, um seinen Schrei zu ersticken, und ich kniete neben ihm und wollte ihn streicheln, ihn küssen in der Todesangst um ihn, sehend, wie sehr er litt. – Er aber stieß mich fort und ich mußte abseits stehen und warten, bis seine furchtbare Nervenkrise langsam verebbte.

Dann stand er auf, wir gingen auf geteilten Wegen nach Hause. In den nächsten Tagen sah er mich nicht mehr an. Er war blaß und verfallen.

Als wir uns wieder im Walde trafen, hatte er kein Buch, wir gingen nicht zu der Fichtenmulde, wir blieben auf dem festgetretenen Wege.

Er wich meinem Blick aus und sagte mir mit ruhiger Stimme, daß er mich meiden müsse, denn er ginge an meiner Tugend zugrunde. Mich erfaßte ein wilder Schmerz. Was sprach er da! Ich konnte doch nicht ohne ihn leben! Er wollte mich zurückstoßen in den Tod meiner einsamen Tage, neben die kalte, vernichtende Gleichgültigkeit des Mannes, dem ich eine Last gewesen – von der ersten Stunde unserer Ehe.

Jetzt, da ich alles beseligte Glück einer innigen grenzenlosen Liebe kannte, wollte er mich aus dem Himmel stürzen in die verzweifelte Leere, in die Pein einer Hölle. –

»Es gibt nur Eines – du verweigerst dich mir nicht länger – – –.

Ich erschrak. – Das war's! Ich sollte leiden, was ich nicht leiden wollte. Die Seele hatte ich dem Freunde gegeben – die ganze schauernde, beglückte und ach! oft so wehe Seele – aber den Leib wollte ich – dem Anderen bewahren, der sein gesetzlich verbrieftes Recht auf ihn hatte.

»Dann gibt es eben nur die Trennung«, sagte er weich. »Ich kann einen solchen Nervenanfall wie letzthin nicht wieder durchleiden – ich liebe dich zu heiß, zu übermächtig, um die Rolle des Freundes zu spielen, der sich mit Küssen begnügt. – Ich kann es nicht, auch wenn ich es wollte – ich ginge zugrunde ...«

Mein trostloses Leben, das nun folgen würde, stand vor mir. Ich sollte wieder wie eine Bettlerin durch meine Tage gehen, an den Türen der Dienerschaft neidvoll lauschen, um Stimmen zu hören, die lustig und heiter schwatzten, – ich sollte zusammenbrechen unter der furchtbaren Schwermut meiner Einsamkeit – und das alles, nur um dem Buchstaben treu zu bleiben. – Und wenn ich dem Buchstaben die Treue brach, das Opfer brachte, denn ein Opfer war's – meine Sinne verlangten nichts – dann gewann ich für ewig die volle ungeteilte Liebe des Mannes, der mich begehrte, der vielleicht zu Grunde ging ohne sie. – Mit Schauer hörte ich noch immer seinen qualvollen Schrei, der das Schweigen des Waldes durchbrochen. –

Ein Wort von mir würde den Mann beseligen, den ich liebte, sein Leben an das meine binden, mich erretten aus meiner Verzweiflung zu einem Himmel des Glücks. Und doch – ich brachte es nicht über die Lippen.


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