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Schweißbedeckt verließ Vater Dieter den Lehrer, es hatte einen harten Kampf gekostet, bis Bella zum ersten Male mit einer Tasche auf dem Rücken, neben Josef in die Schule ging, um ohne Ausweispapiere das ABC zu lernen. Morgens vor acht Uhr war die Straße mit lauter kleinen Leuten gefüllt, von welchen sittsam und bedächtig allein oder paarweise die einen, toll und abenteuerlich, raufend und balgend die andern den täglichen Weg in die Schule gingen, um dann vier lange Stunden seufzend auf den Schulbänken zu sitzen und aufzupassen.
Als Bella und Dieter zum erstenmal unter diese Schar gerieten, bildete sich ein Spalier von Kindern, die zischten, tuschelten, riefen und auf die Schwarze mit Fingern zeigten. Darüber erbost, riß Bella die Schultasche vom Rücken, hieb damit nach rechts und links gleichmäßig um sich, so daß sie die Gasse frei bekam und rief trotzig den davoneilenden nach: »Pamschabel verfluchter, Saubüttelböhm«, oder was ihr sonst an tschechischen und deutschen Schimpfworten geläufig war, die auf alle Feinde und Gelegenheiten sich reimen, wie pack dich auf ich schlag dich!
Im Schulzimmer gab es ein ähnliches Halloh und ähnliche Abwehr, nur daß Bella dort einen blonden Zopf zu packen kriegte und den zugehörigen Kopf hin und her zog wie einen Glockenschwengel, mit dem schönen mitgebrachten Lineal wie mit einem Negerschwert um sich hieb und schließlich verflucht, gefürchtet, verspottet und gemieden als eine wahrhafte afrikanische Gottesgeißel in der letzten Bank allein saß. Aber sie durfte sich nur zwei Tage lang unter den weißen Kindern aufhalten, denn der Lehrer bekam wegen der menschenfreundlichen Aufnahme der wilden Negerin so nachhaltige Beschwerden der Eltern zu hören, die über Mißhandlungen ihrer Töchter, über blaue Flecke, Beulen, ausgerissene Haare, ruinierte Kleider, zerrissene Bücher, um die Köpfe geschlagene Hefte unter Vorweisung der betreffenden Schäden so entschiedene Klagen vorbrachten, daß er Bella dem Herrn Dieter schließlich als gänzlich unbrauchbar und leider bürgerlich unmöglich wieder zur Verfügung stellte.
Josef, der sich in der Rolle des Beschützers und Begleiters einer schwarzen Königstochter gefallen hatte, war über diese schnöde Behandlung wie sein Vater entrüstet und trug in der nächsten Zeit mehrere Ehrenbeleidigungen ritterlich aus, welche ihn und seine Gefährtin verunglimpften.
Bella fand sich aber bald in ihre Unbildung, rieb und scheuerte und begnügte sich damit, wenigstens von außen ihrer angeborenen und verfluchten Schwärze Herr zu werden, ließ sich doch im Grunde auch ohne das Einmaleins auf der Welt sein.
Aber die ruhigen Zeiten hörten auf, in denen Bella getrost gelebt hatte, wie ein Sommervogel in der Wärme des blauen Julitages. Wolken zogen auf. Bella sah sie zuerst nicht einmal, bis sie schwarz und schwer über ihrem Haupte hingen und das Ungewitter dastand, so unverschuldet wie unabwendbar. Die Frau Dieter war immer schon müde gewesen, das Gehen fiel ihr schwer, sie konnte die täglichen Arbeiten nicht mehr bewältigen, und eines Abends kam aus ihrem stöhnenden Munde ein kleiner, roter Blutstrahl, und dann mußte sich die Arme niederlegen und erhob sich nicht mehr von ihrem Bette, hustete immer stärker, schwerer, mühseliger, wurde immer blässer und immer röter und lag tagelang mit halbgeschlossenen Augen da, die fleißigen Hände kraftlos auf der Decke, die Finger auf dem Tuche irrselig spielend, wie törichte Kinder.
Und über die vertraute Stube sank von selbst, ohne daß irgendwer es geboten hätte, eine zaghafte Stille. Alle flüsterten, Bella saß in einer Ecke und sah mit unwissenden Augen auf die Frau im Bette und was mit ihr geschah. Josef kam aus der Schule und setzte sich dazu und redete kein lautes Wort. Jetzt gab es kein Wasserschaff am Abend, kein Schaukeln auf Herrn Dieters Knieen und eines Tages hatte die arme Frau die Augen ganz geschlossen, sie rief nicht einmal mehr ihren Mann und ihren Buben zu sich, sie hatte kein letztes Lächeln und strich nicht einmal mehr über Josefs blonden Scheitel, sie schlief hinüber, und auf einmal war sie aus der kleinen Welt fort. Dieter stand vor ihr und schüttelte den Kopf und wußte nicht, was er sagen sollte. So früh schon! Sie hatte doch einen so kleinen Jungen und hätte sich noch durch ein gutes Stück Plage arbeiten müssen, bis sie vielleicht auch an dem Buben ein wenig Freude gehabt hätte. Er führte die beiden Kinder zu dem Bett und ließ sie die Tote anschauen, die mit müden strengen Zügen wachsgelb dalag und schwieg. Josef barg seinen Kopf an dem Knie des sitzenden Mannes und sah, daß der Tod unerbittlich war, ein furchtbarer Gott. Bella schaute von der Toten zu den Lebenden, ratlos, irr und bekümmert, bis sie bitterlich heulte, denn dazu bedurfte es keiner Belehrung, zu erfahren, daß da etwas Rechtes gestorben und zerstört, eine Pflegemutter ihr genommen war, die sie allein weiß und rein machen konnte.
Man bestattete die Tote und kehrte in die verlassene Behausung zurück. Aber es war nicht mehr das alte Leben, das man aufnahm. Eine Waschfrau half bei der kleinen Wirtschaft und Bella rieb und scheuerte ohne Dank. Niemand besah mehr ihre roten Handflächen und fand sie blasser.
Mittlerweile war Hesky in der Welt emporgestiegen und ein hoher Herr geworden. Er hatte sein fertiges Werk in glänzendem Prachtbande dem Monarchen überreicht, ein stattliches Honorar geerntet, seine gewesene Braut befriedigt, nun reiste er in ganz Österreich umher, hielt Vorträge, feierte Triumphe, rüstete zu einer neuen Reise, kehrte doppelt bedeutend wieder in seinen geliebten Prater zurück und fand nur mehr wenig Zeit, sich um seinen alten Freund zu kümmern. Doch nicht etwa aus gröblicher Undankbarkeit, wie es auch von dem bescheidenen Dieter nicht dafür gehalten wurde, sondern es war eben der einfache, natürliche Lauf der Dinge. Er hatte jetzt für seine Lebensaufgabe zu sorgen, ging beim Unterrichtsminister aus und ein, besprach mit Hofräten seine Pläne und wurde nicht nur von dem Präsidenten der ethnographischen Gesellschaft, sondern von allen wichtigen Leuten im Lande mit Achtung und Teilnahme angehört. Früher als wunderlicher Narr und bescheidener Abenteurer mit gutmütigem Spotte angeschaut, war er nun ein wichtiges Mitglied der wissenschaftlichen Kreise, eine Hoffnung, ein Stolz des engeren tschechischen, des weiteren österreichischen Vaterlandes, nicht mehr auf den wackeren Chaloupka, den Vater der Reisenden angewiesen, sondern jedem hochwillkommen, bei dem er zu erscheinen für gut fand. Alle Türen standen ihm offen, alle Geldbeutel knöpften sich vor ihm auf, was war Dieter jetzt für ihn? Der hatte ihm redlich und nach bestem Willen und Wissen gedient, hatte ihm wörtlich und in jedem weiteren Sinne auf den Sattel geholfen, und Hesky verstand zu reiten und ritt nun davon, das war natürlich und auch berechtigt. Dieter schaute ihm stolz nach und zufrieden, daß sein Schützling dabei eine so gute Figur machte.
Zu Hause kramte Dieter einmal im Schrank seiner Frau unter ihrer Wäsche, ihren Kleidern, ihren kleinen bescheidenen Andenken, Schmucksachen und Papieren und stieß auf eine große Schachtel, die er öffnete. Da standen alle Medikamente, die ihr der Doktor Hesky verschrieben hatte, unbenützt, nur gerade geöffnet. Da lagen Briefe an seine Frau von ihrer Mutter, und er las, wie die Alte ihre Tochter vor den Heilmitteln des Afrikareisenden inständig gewarnt, denn der habe ihren Mann gewonnen und wolle sie nur aus dem Wege räumen, um ihn nach Afrika als Reisegefährten mitzubekommen. Sie solle lieber die und jene Sympathiemittel brauchen, ein Husten sei nichts Besonderes und werde schon von selbst sich wieder bessern wenn sie sich nur vor bösen Menschen hüte. Da lagen diese Fläschchen und Mixturen, da lag das ganze Schicksal seiner armen törichten Frau, und er hatte nichts davon gewußt. Recht eigentlich ihm zuliebe war die Arme wehrlos zugrunde gegangen, er hatte sich eines fremden Menschen angenommen und dabei dem nächsten Liebsten wehegetan, ohne davon zu wissen, schuldig ohne Arg. Kopfschüttelnd packte Dieter die ganze Schachtel und warf sie ins Feuer.
Bella hatte, scheinbar vom ewigen Scheuern und Reiben, wunde Hände bekommen. Sie achtete nicht darauf, aber Dieter behandelte sie mit Fett und suchte die aufgesprungenen Finger damit zu heilen, ohne daß das Übel heilte.
Um die Kleine während seiner Geschäftsgänge nicht in der verödeten Wohnung allein zu lassen, wo sie unbewacht irgend etwas anstellen konnte, aber auch damit sie unter Menschen komme und Leute sehe, nahm er sie und Josef nachmittags auf seine dienstlichen Besuche mit. Er mußte nämlich die schön gedruckten Jahresberichte der Gesellschaft den Mitgliedern ins Haus tragen, bei denen er bekannt und freundlich aufgenommen war, hatte er doch selbst diese Mitglieder größtenteils angeworben und für die Ethnographie gewonnen; alle schätzten den zuverlässigen, bescheidenen und in seiner Art geschickten Mann, der sich mit dem natürlichsten Betragen eines geraden, schlichten Menschen, ohne je den Respekt zu verletzen, doch als wahrhaft gleichberechtigt zu benehmen wußte und nach seinen Kräften auch manchem Höhergestellten, stand es bei ihm, den und jenen guten Dienst erwies. So war er überall willkommen, wenn er seinen Bericht mit geziemendem Gruß überreichte und den Jahresbeitrag bei dieser Gelegenheit einkassierte. Man bot ihm einen Stuhl, eine gute Zigarre, ein Gläschen Wein oder Schnaps, sprach über die Neuigkeiten des Tages und schied dann in alter, guter Freundschaft.
Nach vielen solchen Besuchen gelangte er mit seinen beiden Kindern, dem schwarzen und dem weißen, wobei das schwarze gleichsam als Sinnbild der interessanten Bestrebungen des Vereins und seiner, Dieters besonderer, bewährter Mühewaltungen um Österreichs größten Afrikareisenden nach Gebühr angestaunt, befragt, beschenkt wurde, zu einem vielbeschäftigten Arzte, der ihm herzlich gewogen war. Als sich dieser nach Dieters Verhältnissen und gegenwärtigen Umständen erkundigte, mit Bedauern vom Tode seiner Gattin hörte und neugierig die kleine Negerin betrachtete, fiel es dem sorglichen Familienvater ein, den sachverständigen Mann auch wegen Bellas Handübel zu fragen, das sich leider gar nicht bessern wollte. Der Arzt besah sich die staunende Afrikanerin und ihre Finger, schüttelte den Kopf und sagte leise zu Dieter: »Mein lieber Freund, die Kleine ist im höchsten Grade skrophulös. Das Klima, die ganzen Lebensgewohnheiten wirken mit, da muß etwas geschehen, sonst geht sie Ihnen drauf, vor allem dürfen Sie sie nicht zu Hause bei Ihrem Buben behalten. Das wäre ein ganz sträflicher Leichtsinn.«
»Ja, ja! Alles recht schön und gut. Aber was soll ich mit ihr anfangen?«
»In ein Spital mit ihr! Augenblicklich! Bei ordentlicher Behandlung wird sie gesund. Der Hesky reist nach einem halben Jahre ohnehin wieder nach Afrika, dann mag er sie mitnehmen. Dort gehört sie hin. Es wäre doch schade um ein solches Negerprachtstück. Das ist ja ein Hauptexemplar von einem wilden Weibchen. Also unverzüglich ins Spital!«
Dieter hörte ehrerbietig zu, sah mit einem traurigen Seitenblicke auf die Kinder, die bei der Eingangstür vertraulich nebeneinander standen, dann sagte er schönen Dank, der Arzt nickte ihm ein freundliches »Gott befohlen«, und er ging mit seinen beiden Schützlingen betrübt fort.
Auf der Gasse fiel ihm der gute, schlimme Rat bedenklich aufs Herz., denn er hatte sich an die kleine Schwarze recht gewöhnt, und sie war ihm lieb, ist es doch der Güte gemäß, an einem anvertrauten menschlichen Wesen nicht nur ordentlich zu handeln, sondern dabei das eigene Gefühl so freigebig zu betätigen, daß ein fremdes Geschöpf einem unversehens teuer wird, wie das nächste. So hatte er die arme Negerin wie ein eigenes Kind gehalten. Nun sollte er sie wie ein gleichgültiges Ding wieder weggeben und verlassen, hinausstoßen unter fremde Leute in ein Spital, wo keiner sie verstand. Denn wußte Bella auch nicht viel zu reden und besaß nur die einfachsten Gebärden und Ausdrücke ihrer Wünsche und Gefühle, so hatte sie doch sicherlich wie jedes Menschenkind eine ganze weite Welt des Inneren, um welche er wie ein Vater Bescheid wußte, und die er lächelnd, aber liebevoll würdigte, als hätte er sie gezeugt. Am Ende hätte er gar seinen eigenen Buben leichter aus den Händen gelassen, dem ja ein stärkeres, reichlicheres Erbe mitgegeben war, indes die fremde Negerin doppelt arm schien, da sie von dem Überschuß seiner Gaben lebte und vielleicht bitterlich verhungerte ohne das Gnadenbrot der Liebe.
Aber was sein mußte, war einmal nicht zu ändern, und so schien es ihm das beste, sofort zu handeln und den argen Entschluß auch gleich zu Ende zu führen. Daher schlug er den Weg zum Krankenhause ein, nahm Bella an seine rechte Hand, Josef an die Linke und begann der Kleinen zu erzählen, der Herr, bei dem sie eben gewesen, sei ein großer Medizinmann, ein Njaka, ein Zauberer, der jedem Menschen auf den Grund sehe und das Schicksal lese, der habe ihm gesagt, sie wolle weiß werden. Er habe recht erstaunt gefragt, woran der Njaka das erkenne. Der aber habe ihm geantwortet, an ihren Händen, die schon ganz blaß seien. Doch habe sie, um recht vollkommen weiß, wie die Leute hier alle und auch ganz gesund zu werden, noch andere Dinge zu tun und mannigfache Beschwörungen und Zaubermittel anwenden zu lassen, die er, Dieter, nicht kenne, denn er sei leider kein Njaka und verstehe nichts davon. Darum bringe er sie jetzt zu einem großen Hause, wo viele mächtige Njakas wohnten, die sie erst gescheit behandeln müßten, so daß sie auch wirklich weiß würde. Und da standen sie schon vor dem fremden Gebäude. Er ging mir den Kindern hinein und ließ Josef vor der Kanzlei warten. Drin aber sprach er mit dem anwesenden Arzt, der Bellas Hände besah und sie bereitwillig aufnahm. Dann bat Dieter noch, sie möge hübsch brav sein, damit dem Medizinmann die große Kur auch gelinge, es werde ihr schon gut ergehen in dem Zauberhause, und sie solle der Krankenschwester folgen, welche dastand und auf Bella wartete.
Die zeigte ein merkwürdiges Gesicht. Ihm war, als müßten Afrikas wilde Tiere so blicken vor dem Ansprung auf den Menschen. Bei Gott, es wäre ihm recht und billig erschienen, wenn Bella ihm mit ihren weißen Zähnen an den Hals gefallen wäre. So sah sie aus, wie auf dem Sprung. Und zugleich hatte ihr Auge einen Ausdruck, den er nie mehr in seinem Leben vergaß, der sagte nichts weiter, als ein stummes, entsetztes: Auch du! Sie war durch die Hände aller Menschen gegangen, einer hatte sie dem anderen weitergegeben, als ein kurioses Ding, sie hatte zu essen bekommen, Schläge gekriegt, gebrüllt, gelacht, vergessen, sie hatte ihre Besitzer vertauscht wie die Gegenden, die sie gesehen und wieder verlassen, bis sie in das kleine Haus gekommen war, zu seiner braven Frau, zu ihm, und da hatte sie sich zum ersten Male fest und sicher gefühlt. Jetzt erwies sich alles als falsch und treulos, wie immer, man gab sie wieder aus der Hand. Oh, hätte sie ihm doch eines ihrer herzhaften Schimpfworte zugerufen, um sich geschlagen, sich gewehrt, ein Wort nur gesagt, das ihn vor sich selbst gerechtfertigt hätte. Aber das tat sie nicht, sondern schaute ihn nur diesen einen Augenblick lang an. Und dann ging sie mit gesenktem Kopfe hinaus, der Krankenschwester nach.
Schweigsam und bekümmert entfernte sich Dieter mit seinem Jungen und kehrte in die stille Wohnung heim, wo ihn der eine wunde, grimme Blick aus jedem Dinge ansah, das diese kleine Negerin in Händen gehabt hatte, so daß jedes still das gleiche Bittre sagte und verschwieg: Auch du!
In der nächsten Zeit machte sich Dieter einmal auf, um seinen alten Freund Hesky doch wiederzusehen als anerkannt großen Mann und im Glücke. Wie lange schon war er nicht mehr in dem einsamen Praterpavillon gewesen, der unter den Bäumen vornehm weiß hervorschimmerte. Nachdenklich betrat er den vertrauten Saal, der einen ungewohnten, neuen, behaglichen Eindruck machte, denn ein paar reinliche Möbel, Teppiche und Hausgeräte standen wohlgeordnet da, eine Lampe hing über einem rechtschaffenen Tische, ein bürgerliches Lager, kein aufgeklapptes Feldbett, wie es der Doktor Hesky sonst immer benützt, zeigte sich sauber gebettet in der Ecke und afrikanische Waffen, Gewehre, Dolche und Hörner hingen zu einem abenteuerlichen, doch geordneten Zimmerschmuck gruppiert, an der Wand, weiße Vorhänge gaben dem früher kahlen Raume ein freundliches Ansehen, man bemerkte gleich, um den unbekümmerten Doktor Hesky trug jetzt ein auf die tägliche kleine Wohlanständigkeit bedachtes weibliches Wesen Sorge. Dieter hätte nicht ein braver Ehemann sein müssen, um dies nicht gleich kopfschüttelnd bei sich festzustellen. Kaum hatte er sich erst recht umgesehen, so war dieser wirkende Geist der Sauberkeit auch schon zur Stelle und begrüßte ihn freundlich: die Anna, des Hausverwalters Tochter, welche stattlich, mit herzlichem Lachen und dem eigenen munteren Behagen, das er kannte, vor ihn trat, ein bißchen ansehnlicher, als sonst, zwar wie immer in ihrer Alltagskleidung mit Schürze und Bluse, Kopftuch und aufgeschürzten Ärmeln, mit bloßen, festen wohlgerundeten Armen, aber irgendwie selbstbewußter oder vornehmer. Wie soll ein Mannsbild all die kleinen Finten und körperlichen oder seelischen Witze kennen, die ein Frauenzimmer aufsteckt, wenn es sich hervortun und würdig machen will!
Der Doktor Hesky sei ausgeritten, käme aber wohl recht bald zurück und würde sich freuen, den Herrn Dieter zu sehen. »Es ist schön, daß Sie sich wieder einmal um ihn kümmern, warum sind Sie denn so rar geworden?«
»Der Doktor Hesky hat ja jetzt ganz andere Leute, der braucht mich nicht mehr, ihm ist gewiß das Fräulein Anna lieber, als ich altes Möbel.«
»Warum nicht gar? Ich bitt' Sie, dem Doktor Hesky fällt's keinen Augenblick ein, wie ich ausschau'. Ja, wenn ich ein Roß wär', oder ein afrikanischer Affe oder ein zerraufter afrikanischer Neger! Ein weißes Frauenzimmer aber wie ich sieht er nicht einmal darauf an, ob's eine Alte oder Junge ist«
»Aber daß Sie ein Frauenzimmer sind, weiß er schon, und das ist die Hauptsache.«
Sie lachte.
»Nun, was machen Sie denn sonst, Fräulein Anna? Noch keinen Mann in Aussicht? Ich hab' Sie schon lange verheiraten wollen.«
»Männer genug, aber zum Heiraten ist die Auswahl zu groß! Da man nur einen nehmen kann, geht's gar so schwer. Der eine hat das, der andere das, irgendwas Gutes kommt auf irgendwas Schlechtes, und man kann sich's nicht so zusammenklauben, wie man will.«
Dieter schüttelte interessiert den Kopf. Sie sah wirklich ganz danach aus, als ob sie an jeder Falte einen Anbeter hängen hätte. Von dem Gewichte solcher Verehrung wird ein Frauenzimmer statt niedergedrückt, ganz besonders grad und groß und schupft die Achseln. Er kannte die Gebärde. Das war's, weshalb sie so übermütig dreinschaute. Belustigt fragte er sie aus mit seinem gutmütig verständnisvollen Blick, dem man unwillkürlich Vertrauen schenkte, so daß man gar kein Geheimnis vor ihm zu haben brauchte, da er ohnedies alles wußte, was einen anging und alles auch verstand.
»Da wäre zum Beispiel der Wachmann draußen, Sie kennen ihn ja, den großen blonden, der hier immer Inspektion hat.«
Freilich kannte er den: »Ein hübscher Mensch!«
»Ganz leidlich, ein bissel dumm, aber verliebt.«
»Eben darum, und der andere?«
Sie errötete und lächelte, ein wenig verlegen, ein wenig verschämt, halb stolz, halb demütig: »Sie wissen schon!«
»Ach so, also der! Und was sagt er denn dazu?«
»Er? Mein Gott, der wird doch nicht reden, den muß man eben nehmen, wenn man ihn haben mag. Dem fällt doch sowas von selbst nicht ein, aber wenn ich will, wird's ihm schon recht sein. Wüßte ich nur selber, ob ich soll. Was glauben Sie? Der Wachmann oder er?«
»Der Wachmann ist ein hübscher Kerl, groß, schaut nach was Rechtem aus, hat eine Figur, nicht wahr?«
»Ja, das wär' alles recht schön. Aber der andere ist doch wer! Der hat so etwas gewisses Heimliches und stellt in der Welt doch mehr vor, kriegt Geld und Orden und kommt herum. Der Wachmann freilich hat wieder seine Uniform, und über den lacht kein Mensch. Der Doktor Hesky ist allerweil ein bissel komisch.«
»Ich möcht' an Ihrer Stelle den Wachmann nehmen. Was fangen Sie mit einem Afrikareisenden an?« – »Mitfahren müßt' ich!« – »Nach Afrika, warum nicht gar?« – »Meinen Sie, ich könnte nicht auch reisen, jagen, reiten und schießen, Lust hätt' ich schon dazu?« – »Aber, wenn Sie den Wachmann nehmen, brauchen Sie das alles nicht. Der Hesky wird nie so recht ordentlich ausschauen, die Uniform macht viel.«
Anna dachte nach und wog lächelnd die beiden Schicksale ab, wie sie wohl oft schon im stillen getan, doch ehe sie sich entscheiden konnte, vernahm man draußen Schritte, sie legte ernsthaft und Schweigen gebietend den Finger an den Mund und eilte zur Tür hinaus, noch ehe Hesky eintrat. Der begrüßte den seltenen Gast mit alter Herzlichkeit, und rasch war das Gespräch im Gange über alles, was in der Zwischenzeit geschehen. Dieter lenkte die Rede ein paar mal auf die neue, schöne Ordnung der Wohnung und auf Anna, die dies alles so hübsch zustande gebracht und gehalten. Vielleicht wußte sein Schützling doch von ihrer besonderen Zuversicht. Der bestätigte indes immer nur recht gedankenlos, die Anna sei ein ganz tüchtiges Frauenzimmer und halte seine Sachen zusammen, aber in Bälde komme er doch endlich hinaus nach Afrika. Es sei höchste Zeit, daß er wieder reise. Hier könne ihm der ganze Ruhm gestohlen bleiben, denn ein Afrikareisender gehöre eben nach Afrika. So war aus ihm nichts anderes herauszubringen, als was eben in ihm lag: seine ferne Welt, während ihn die nahe vielleicht schon mit Beschlag belegt hatte, ohne daß er es nur merkte. Hesky hörte interessiert von Bellas Krankheit und Unterkunft und verhieß, sie mitzunehmen, wenn er aufbrach.
Dieter aber ging nachdenklich heim: auf ja und nein wird der Doktor Hesky wieder eine Braut haben, diesmal eine, die ihn nicht ausläßt, wenn sie sich für ihn entscheidet und gegen den Wachmann. Es kam nur darauf an, ob ihr Ehrgeiz oder die Uniform am Ende stärker war. Das Schicksal seines Schützlings hing wie von so vielen unbekannten äußeren Mächten jetzt vom Belieben dieser resoluten Person ab. Warnen? Augen öffnen? Warum nicht gar! Man mußte jeden Menschen gehen lassen, den Blinden blind, den Wissenden wissend. Am Ende war die noch besser, als manche andere. Hatte sie kein Geld, so war sie doch ein kräftiges, wohlbeschaffenes Frauenzimmer und konnte den ungeschickten Träumer wenigstens ordentlich lenken und instandhalten. Irgendwie wurde der Doktor Hesky einmal geheiratet, ob sich Dieter drein mengte oder nicht. Man muß dem Schicksal seinen Lauf gönnen, es weiß schon, was es will. Er würde sich nicht den Mund verbrennen! Und wie ein interessierter Zuschauer beobachtete Dieter das alte, wohlvertraute Spiel, wie sich eine hübsche Figur wendete und drehte, schlau und selbst wieder an unsichtbaren Drähten gezogen, während zwei Mannsbilder, ein strammer Wachmann in Uniform und Österreichs größter Afrikareisender, nichts Arges ahnend, sich um die stattliche Puppe so lange bewegten, bis einer an sie hinfiel und die Komödie aus war, nein, von neuem begann.
Wiederum vergingen etliche Monate, und da hatte sich die Anna für den Afrikareisenden entschieden. Wie dieser aber endlich an die wohlgefällige Puppe hingezogen wurde, machte eine Besonderheit des kleinen Welttheaters aus, durch welche dieses eben seinen Possen und Trauerspielen immer das wunderlich neue Ansehen zu verleihen weiß. Der Doktor Hesky hätte nämlich noch eine ganze Weile sorglos an seine neue Reise denken und das ferne Afrika für näher halten können, als seine künftige Ehegattin, ja nicht im entferntesten sich als Freier vorgestellt, oder sie als Werberin, wäre er nicht von jener unwiderstehlichen Gewalt, die sein äußeres Leben nun einmal bestimmte, eines Tages sich als unwissender Bräutigam und unmittelbar vor dem bürgerlichen Trauhimmel zu finden gedrängt worden.
Eben hatte er sein Frühstück verzehrt und wollte hinunter gehen, sein geliebtes Pferd zum gewohnten Morgenritte zu besteigen, als der Hausverwalter eintrat und ihn um eine kurze Unterredung ersuchte. Hesky hätte ihn am liebsten abgewiesen, da er gerade um diese Zeit, wo ihm seine Ungestörtheit am teuersten war, am wenigsten Lust zu Gesprächen mit fremden Leuten spürte, aber als höflicher Mensch mußte er den Herrn doch anhören, blickte ihn also ziemlich abwesend an und wartete auf das Anliegen. Der Hausverwalter, ein ansehnlicher, hochgewachsener Mann warf sich in seine militärische Positur, denn er war ein ausgedienter Soldat, der zwei Feldzüge mitgemacht hatte und zur Belohnung auf seinen Ruheposten gesetzt worden war. Eine Medaille an der Brust zeigte deutlich, mit wem man die Ehre hatte. Er sprach auch mit der gedrungenen Kürze des Soldaten, dem vorzeiten so viel kommandiert worden ist, daß er jetzt diese Redeweise selbst als eine Art Befehlshaber gebraucht. Zuerst stellte er sich als Mann von Ehre vor, der zwar arm sei, wie jeder wisse, aber ein Herz in der Brust habe und vor den Leuten ein Ansehen genieße, das nicht verletzt werden dürfe. Auch der Ausdruck von einem blanken Ehrenschilde, der nicht zu beflecken sei, kam vor; er kannte ihn wohl von den patriotischen Ansprachen, die das Gefühl der Krieger vor jeder Schlacht heben sollen, so daß alle entschlossen sind, sich niederschießen zu lassen, da Blut bekanntlich den Ehrenschild besonders rein hält. Hesky wußte nicht, warum der Mann gerade ihm diese ernsten Wahrheiten verkündigte, erst als der finster dreinblickende auf seine Würde als Gatte und Vater kam und von seiner Tochter sprach, die er gehütet und in Ehren groß gezogen habe, begann Hesky den schicksalsvollen Zusammenhang zwischen dem Zierstück eines hellen Ehrenschildes und sich selber, einem dunklen Afrikaforscher, entfernt zu ahnen. Endlich machte ihm der Hausverwalter eine unter Männern deutliche, wenn auch peinliche Eröffnung und zog daraus den Schluß, daß derlei in Ehren nur auf eine anständige Weise ausgetragen werden könne, die er ihm nicht erst nahelegen zu müssen hoffe. Dabei klirrte es in seiner Stimme wie von einem unsichtbaren Säbel. So stand Hesky unversehens als unbewußter Freiwerber da, als ein kümmerlicher Bräutigamsrekrut. Wenn die Sache so war? Also die Anna? Der Vater brauchte nicht zu erröten, seine Tochter war ein anständiges Mädchen, er hatte sie in Ehren erzogen, und trotzdem er arm war, konnte sie sich vor jedem sehen lassen. Hesky nickte: ja, ja, denn er wollte nicht noch einmal hören, was der strenge Veterane auch zwei- und dreimal mit wachsendem Nachdruck zu versichern bereit war. Wenn es denn sein mußte, er war zwar nicht darauf vorbereitet, und was die Schuld betraf, wer konnte davon reden, wo eben auf der Welt Männlein und Weiblein sich seit Adam und Eva mit derlei beschäftigten. Auch kam auf eine Männin nicht immer ein Mann, und wer konnte ihm verbürgen, daß gerade er diese Schuld begangen und sie deshalb bezahlen mußte, aber nun war es einmal so gekommen, wie ihm der Vater versicherte, so mochte es denn wahr sein, also ja in Gottesnamen, aber jetzt habe er keine Zeit, er wolle endlich ausreiten.
Ob er alles weitere ihm überlasse, fragte der Verwalter. »Ja, in Dreiteufelsnamen.«
Und da ein ernsthafter Schwiegersohn sogar fluchen darf, wenn er nur heiraten will, lächelte der Alte freundlich, bot seinem künftigen Eidam die Rechte und begab sich gut verrichteter Dinge fort, während Hesky verstimmt nach dem Stalle ging, seinen Hengst bestieg und ausritt. Der schöne Morgen war ihm gründlich verleidet. So wurde, ohne daß Hesky sich weiter um die Angelegenheit kümmerte, die Hochzeit gerüstet, nach Lage der Sache möglichst rasch, während der Bräutigam sich nicht anders betrug, als ein unwilliger Gast, der nicht recht weiß, wie er dazu kommt, die aufgetragene und eingebrockte Suppe auszulöffeln. Dieter wurde als alter Freund und Vertrauter eingeladen, Heskys Trauzeugen abzugeben. Nach der einfachen Feierlichkeit im engsten Kreise sollte es gleich nach Afrika gehen, denn für die neue Reise hatte Hesky längst schon besser vorgesorgt, als für seine Heirat. Seine Ausstattung war aufs ansehnlichste bestellt, seine englische Flinten und Jagdgeräte, Schuhwerk und Kleider aller Art, Meßapparate und Ferngläser, Mikroskope und Präparierzeug, viele Kisten mit Glasperlen und Zinnsoldaten, mit billigen Püppchen und Holzspielwaren zum Tausche, Medizinen und Konserven, kurz was da draußen nötig, nützlich oder angenehm war; auch an Geld mangelte es ihm nicht, das er durch Vorträge und Sammlungen reichlich aufgebracht hatte. Tesař der Zimmermann sollte ihn begleiten, und da es nun einmal nicht anders ging, mochte auch Anna mitkommen, die unerläßliche Gattin, obgleich von ihr so wenig wie möglich gesprochen wurde.
Dieters gelehrter Freund war in diesen vielbeschäftigten Tagen mit allem anderen mehr befaßt, als mit der Vorbereitung für den Ehestand, wich jeder Andeutung des unvermeidlichen Ereignisses aus, wie wenn er es dadurch wegschieben könne, daß er es verschwieg und benahm sich eigentlich so, als warte er auf irgendein günstiges Eingreifen geneigter Götter, die ihn am Ende allein, in eine Wolke gehüllt, dem europäischen Treiben, der Drohung einer lächerlichen und unnützen Verbindung entführen und plötzlich nach Afrika versetzen würden, oder auf sonst welchen glücklichen Zufall, der den Helden vor den Folgen jener Handlungen beschützt, die er nicht in seinen eigentlichen Absichten, sondern als Mann sozusagen im übertragenen Wirkungskreise verübt.
Am Hochzeitstage waren alle im ausgeräumten, nunmehr wieder unwirtlichen Saale des Pavillons versammelt, Dieter hatte seinen alten schwarzen Rock zur Feierlichkeit angelegt und sogar eine weiße Halsbinde umgetan, die zugehörigen Handschuhe behielt er einstweilen im Sack, Tesař der Zimmermann zeigte seine gewohnte strenge Miene, die für jede ernste Angelegenheit schon im voraus paßte, Anna, die Braut, sah in einem einfachen hellen Kleide recht angenehm aus und verriet das unbefangenste, heiterste Wesen und lachte vergnügt, ohne die mindeste Aufregung, Angst oder Befangenheit, als gäbe es auf der ganzen Welt keinen bedrohten Ehrenschild oder sonstige Gefahr. Sie war ihrer Sache sicher und konnte ihren künftigen Mann wohl festhalten, da sie es wollte und sich einmal gegen die Uniform eines Wachmannes und für die Afrikaforschung entschieden hatte. Wie wäre auch dem Weibe eines kühnen Entdeckers ein zimperliches Verhalten angestanden? So ging sie lachend, voll Munterkeit von einem zum andern, schenkte Wein ein und trank den Gästen zu, während der Hausverwalter stramm seine Kriegsmedaille aufwies, die ihm diesen letzten Strauß so wacker bestehen geholfen, recht als ein Sinnbild und Amulett aller vaterländischen und Familienehre. Nur der Bräutigam fehlte, die nicht wohl entbehrliche Person des Tages.
Wo mochte er denn sein? War er ausgeritten? Nein, sein Pferd stand unten im Stalle und fraß ruhig seinen Hafer. Wann war er fortgegangen? Frühmorgens, wie sonst. Er machte doch wohl keine Dummheiten? Es war höchste Zeit, in einer Stunde sollte die Trauung stattfinden. Man mußte in die Kirche fahren. Wo steckte er nur?
Dieter besann sich, daß Hesky ihm letzthin erzählt hatte, er fühle sich in der Mineralogie etwas schwach und studiere jetzt im Naturalienkabinett die hauptsächlichsten Gesteine seines Forschungsgebietes, um sich die nötigen Kenntnisse rasch noch anzueignen. Dort würde er wohl zu finden sein. Dieter sagte nicht, wo er seinen Freund vermute, um ihn nicht vor aller Welt als so gleichgültig und gefühllos zu verraten, sondern verkündete bloß, er glaube zu wissen, wo der Vermißte anzutreffen, werde ihn abholen und gleich in die Kirche mitbringen, man möchte ihn nur dort erwarten. Flugs setzte er sich in einen Einspänner und eilte zum Museum. In der Tat traf er dort in einem einsamen Saal den Doktor Hesky versunken in die unbekümmerte Betrachtung der in den Glasschränken wohlgeordnet ausliegenden mannigfaltigen Steine. »He da, lieber Doktor! Was machen Sie denn hier? Es ist ja die höchste Zeit!« –»Was denn, was gibt's denn?« fuhr der Angeredete aus seinen Gedanken. – »Hochzeit Verehrtester! Sie müssen gleich mitkommen.« – »Ich? Ah! Ist ja gar nicht notwendig. Sie soll allein heiraten.« – »Aber Doktor, jetzt ist's schon einmal so weit, da kann man nichts machen. Ohne Sie geht die Geschichte nicht, zum Heiraten gehören immer zwei!«
»Ich habe doch schon früher ja gesagt. Was soll ich denn jetzt noch dabei. Laßt mich in Ruh, ich habe keine Zeit!«– »Gescheit sein, Freunderl! Es dauert ja nicht lang. Weh tut's auch nicht. Kommen Sie schön mit, nachher können Sie ja wieder hierher zurück!«
Damit nahm er den Unwilligen unter den Arm, der ihn nicht viel anders ansah, als Bella, wie er sie im Spital verlassen hatte: Auch Du? Aber Hesky gehorchte und ließ sich zur Kirche fahren.
Die Trauung, in welche sich der Bräutigam mit einem schmerzlichen Lächeln ergab, wurde rasch beendet, und nachher lud der Schwiegervater die wenigen Gäste zu einem kleinen Imbiß ein, während der Auserwählte sich mit aller Eile entschuldigte, daran nicht teilnehmen zu können, da er wieder ins Naturalienkabinett müßte. Die Zeit drängte, er wollte noch die wichtigsten Studien machen, daher empfahl er sich kurz und ging davon, während die übrigen mit der jungen Frau an der Spitze ein ganz vergnügtes Hochzeitsmahl hielten.
Wenige Wochen später versammelte sich eine weit ansehnlichere Gesellschaft auf dem Bahnhofe, um dem abreisenden Forscher das Ehrengeleite zu geben, da er wieder nach Afrika fuhr, seinem eigenen Wissensdrange zu folgen und die Ehre des Vaterlandes in den unbekannten Ländern des dunklen Erdteiles zu verbreiten, wo dies nur möglich war. Zu diesem Abschied nahm Dieter seinen Jungen mit, denn der Bub sollte die Erinnerung an einen bedeutenden Augenblick, an einen merkwürdigen Mann fürs Leben bewahren. In der eisenüberwölbten weiten Halle wimmelte es von Leuten. Da waren Deputationen aus Heskys engerem Vaterlande, schwarzbefrackte Herren mit verschiedenen Vereinsabzeichen und slawischen Trikoloren, Chaloupka, der Vater der Reisenden darunter, glückstrahlend und stolz auf den zu hohen Ehren emporgestiegenen Schützling, da waren die Professoren der Universitäten, die ihrer Pflicht genügten und die Stutzer und Narren, die der Eitelkeit entsprechend, nirgends fehlen wollen, wo ein anderer etwas gilt, während sie selber am fremden Ruhm die eigene Stadtbekanntheit aufzuwärmen hoffen. Da waren Damen, schön geputzt und vergnügt, sich bei guter Gelegenheit in allem Glanze zeigen zu dürfen. Man trug Sträuße und Kränze. Mancher hielt eine besondere Gabe bereit, um sie dem verehrten Abreisenden zu widmen. Da war der Herr Unterrichtsminister, gefolgt von seinem unvermeidlichen Präsidialisten, einem schlanken, nach allen Seiten hin ebenso verbindlich wie gefühllos sich verneigenden eleganten Manne, der seinem Chef die nötigen Eingebungen des Augenblicks zuzuflüstern, ihn auf wichtige Persönlichkeiten aufmerksam zu machen, vor etwaigen Verstößen zu warnen die ehrenvolle Ausgabe hatte. Da war der Präsident der ethnographischen Gesellschaft, welcher immerzu jedem, der es hören wollte, versicherte, er hätte niemals geglaubt, daß dieser Hesky wirklich so bedeutende Unternehmungen zustandegebracht. Man müsse den Mann nur daraufhin ansehen, ob ihm derlei etwa zuzutrauen sei. Und schließlich kam sogar eine Hofequipage mit einem Leibjäger angefahren: Der Erzherzog, welcher dazu auserlesen war, alle Bestrebungen der Wissenschaft und Kunst mit höflichen Worten und durch die Tat, das heißt durch seine hohe Anwesenheit zu fördern, hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich dem Abschiede des verdienten Forschers beizuwohnen.
Da gab es nun ein Vorstellen, Verbeugen, Schmeicheln, Lächeln, Redensartenhersagen, Kopfnicken, eifersüchtig Sichvordrängen und unversehens Zurechtgewiesenwerden, ein Zuviel an Wollen und zu wenig an Dürfen, ein Hin und Her, wie eben in der großen Welt immer, wo sie am kleinsten ist. Dieter trat möglichst weit abseits von diesem Trubel, wie es sich gebührt, da er ganz wohl wußte, daß er nicht dazu gehörte und seinen Platz in der geziemenden Entfernung von den Hauptpersonen der Ereignisse mit natürlicher Bescheidenheit einzunehmen verstand. Seinem Sohne aber prägte er die Namen derer ein, die zu merken es sich verlohnte. Endlich trat auch der Gefeierte, Erwartete und Begrüßte ein, Hesky. Und siehe da, am Arme seiner Gattin! Die hatte es aber verstanden! In einem wirklich vornehmen englischen Reisekostüm bewegte sie sich mit ihrer natürlichen Munterkeit und Ungezwungenheit, lachte mit dem blühendsten Mund und den weißen Zähnen, verbeugte sich nach allen Seiten, hatte für jeden den gebührenden Gruß, das rechte Wort. Weiber sind doch gleich in einem fremden Stande zu Hause und brauchen nur die Kleider, um Leute zu sein. Hesky erschien weit ungeschickter. Er trug als an einem warmen Maitage seinen gelben Khakianzug, seinen Tropenhelm und war mit allerhand Dingen beladen, mit einem Photographenapparat, einer Flinte in braunem Leinenfutteral, einer Hutschachtel und einem Pompadour von weiblicher Zugehörigkeit, er sah blaß und aufgeregt drein und wußte nicht, wen er zuerst begrüßen, wem er Zeit widmen, wen er rasch abzuschütteln habe, so daß er ängstlich dahin und dorthin schoß, eine bedeutende Unterredung abbrach, um irgend etwas Nichtiges zu besorgen, oder einen hohen Gönner etwa um einen unbekannten Fahrtanschluß zu befragen. Seine Frau erregte als schönes Zierstück des Tages die Aufmerksamkeit mehr, als er, da der berühmteste Mann nur für die Unsterblichkeit, eine hübsche Dame aber für das bessere sterbliche Teil der Menschen bestimmt ist. So kam es, daß der Herr Unterrichtsminister den braven Doktor wohlwollend mit einer herablassenden Rede kurz abfertigte, um sich dann desto ehrerbietiger der Gattin des Forschers zu widmen, die ihn mit schnippischen Antworten und lustigen Blicken gar rasch in den gewissen Zustand besinnungslosen Anbetungstaumels versetzte, dem alte Herren auch in Amt und Würden sich mit unverantwortlicher Begeisterung überlassen. Auch gegen den Erzherzog, dem sie vorgestellt wurde, benahm sie sich mit der ungezwungensten Liebenswürdigkeit, jeden halben Satz mit einem wohlangebrachten »kaiserliche Hoheit« verzierend, wodurch die natürliche Einfalt ihrer Rede hübsch auf das höfische Maß gebracht war, ohne an Freiheit zu verlieren. Und endlich kam Tesař. Wen schleppte der mühselig nach sich wie ein sich wehrendes und sperrendes Kälbchen? Bella, die kleine Negerin, in einem langen schwarzen Kleide mit einem weißen blumengeschmückten Strohhut und einem tränenüberströmten, elenden Gesichte. Sie war nur mit größter Not herbeizuzerren und stand nun erstaunt, fassungslos in der Menge, die lachend und tuschelnd das neue Wunder des Tages begaffte.
Mitten in dem Getümmel hatte sie plötzlich mit dem sicheren Blicke, den nur die höchste Not verleiht, weit entfernt von allen übrigen, Dieter und seinen Sohn, ihren Spielkameraden bemerkt, riß sich unversehens von Tesař los, zerteilte den Schwarm der Leute mit harten Fäusten und rannte zu dem Buben, klammerte sich an den Erstaunten und begann jämmerlich zu schreien und zu heulen, so daß sich aller Augen mit einemmal auf den bescheidenen Dieter und seinen Knaben richteten.
Mittlerweile näherte sich die Zeit der Abfahrt, schon war das Coupé bereit, alles Gepäck hingeschafft, und es hieß, einsteigen, aber Bella hing an dem erstaunten Knaben fest, und als Dieter ihr zuredete, doch abzulassen und schön brav mitzureisen, brüllte sie ihm laut entgegen und sah ihn dabei aus ihren wilden Augen so entsetzlich an, daß er schwieg. Nichts schien übrig, als sie mit Gewalt zu verladen, aber wie peinlich für die illustre Gesellschaft, einem solchen Auftritte beizuwohnen! Hesky zuckte die Achseln und wußte nicht, was er tun sollte. Da trat seine Frau auf die Gruppe zu und sagte mit ihrer eigentümlichen Bestimmtheit: »So jetzt ist's genug. Du kommst mit. Verstanden?« Bella blickte bei diesen Worten unwillkürlich zu ihr empor, sah sich dann selber beschämt auf dem Fliesenboden zu den Füßen des kleinen Burschen liegen, erhob sich wie ganz verirrt und ließ sich gesenkten Kopfes von der Frau nach dem Waggon führen. Darauf begann das letzte Hüteschwenken, Tücherwehen, Blumenwerfen, Händeschütteln, Umarmen, Sichverbeugen, die tschechische Musikbande, von Chaloupka vorsorglich mitgebracht, intonierte das »Kde domov mui«, und der Zug trug einen Afrikaforscher samt Begleitung und das Negerweibchen davon.
Mancher Tag verging, die kleine Karawane reiste über das engbewohnte Festland hinüber nach Englands starkem Inselreich, in London bestieg man den Dampfer und fuhr über den brausenden Ozean nach Afrika. Endlich betrat man diese Erde. Hesky sah seine zweite fremde Heimat wieder. Bella ihre erste, die ihr feindlich, drohend, verhaßt war, als das Land, das sie schwarz und wild gemacht hatte, während sie unter den vielen weißen Menschen den Traum ihrer Erhöhung zu einem lichten Wesen so innig geträumt hatte, daß sie ihn nie mehr vergessen konnte, wie wenn sie dort erst eine Seele bekommen hätte, der sie nun dienen mußte, was immer ihr Schicksal über sie verhängte.
In Kapstadt wurde die Expedition ausgerüstet. Mit hohem Eifer warb Hesky seine Leute an, er sammelte ein Dutzend Neger aus verschiedenen Stämmen als Träger, Führer, Dolmetsche, bewaffnete sie mit Flinten und freute sich ihrer grinsenden, gutmütigen Mienen, als sei er nun erst wieder unter Menschen, während Bella den freundlichen, ihr entgegenbleckenden Zähnen ihrer Landsleute das eigene blanke Gebiß drohend und verächtlich entgegenstreckte und ihnen die blutrote Zunge wies, als seien es lauter schmutzige Tiere. Zu diesen sollte sie zurück. Wagen wurden aufgerüstet, mit starken Ochsen bespannt, während ein paar tüchtige Pferde Hesky und seine Frau zu tragen bestimmt waren.
Tesař, der Zimmermann, der einzige männliche europäische Begleiter Heskys, fand sich mit dem Gedanken der Expedition nun, da sie unmittelbar bevorstand, nicht so leicht ab, wie in Wien, wo er sich darauf gefreut hatte. Schon die Beschwerden der Meerfahrt, jetzt aber die ganze Drohung des weiten wilden Landes, das sich hinter der Stadt unermeßlich erhob, hatte ihn ängstlich und störrig gemacht. Was war ihm Afrika! Hinter seiner engen, viereckigen Stirne mit den tiefliegenden, starren Augen wohnten andere Wünsche, als die seines Gönners. Er wollte mit aller Zähigkeit, die Leuten seiner Nation und Art eigen ist, hinaufkommen, Geld erwerben, sparen und sei es unter bitteren Entbehrungen. Sich selber aufopfern war ihm nicht schwer, aber nur für sich selbst, und sei es für ein eingebildetes Glück, doch einem fremden Menschen, einer höheren Aufgabe sich zu unterwerfen, die ihm als untergeordnetem Werkzeug weder besondere Ehre, noch die einzige Rechtfertigung reichlichen Gewinnes versprach, schien ihm töricht und lächerlich. Immerhin aber war Heskys Ansehen, der mächtige Wille dieses kleinen, seinem einzigen Ziele unfehlbar zustrebenden Mannes, stark genug, Tesař vorläufig davon abzuhalten, sich jetzt schon, wie er eigentlich gewünscht hätte, von der Unternehmung auszuschließen. Nur setzte sich all der Zweifel, all die unterdrückte Begierde des Abfalles, der ganze Wunsch, wieder sein eigener Herr zu werden, doppelt nachdrücklich in seinem Gehirn fest und gab seinem Gesicht, das ja immer düster und verschlossen dreinsah, einen Zug von verhaltenem Grimm und seinem Benehmen eine zögernde, widerstrebende, unwirsche Art, welche Hesky, der von allen Menschen immer nur voraussetzte, was er von ihnen wünschte, ganz unverständlich blieb. Doch übersah er, was er eben nicht sehen wollte und nicht deuten konnte.
So brach man endlich auf. Alles Gepäck war in den Wagen aufgestaut, und mit Peitschenknallen über den Häuptern der weithörnigen Ochsen ging es davon.
Die Stadt verschwand, man kam an immer vereinzelteren Gehöften und Ansiedelungen vorüber, anstatt Menschen traf man Spuren der mannigfachen Tiere, der Rinder, der flüchtigen Antilopen, der hufklappernden Giraffen, über den Häuptern flatterte das reichliche Gevögel der fremden Erde. Das Wasser wurde kostbar, man dürstete und mußte die verschwiegenen geheimen Pfützen und Löcher suchen, einen lauen, widerlichen Trunk zu finden, sich zufrieden geben, wenn man nach einem Tag der heißen, trostlosen Wanderung in ein kümmerliches Negerdorf kam, von den nackten Eingeborenen umringt wurde, die nach Branntwein schrien und nach den mitgebrachten Schätzen spähten, um zu stehlen, was man nicht schenken wollte.
Hesky spürte nichts von all der Anstrengung, vielmehr fühlte er sich dabei erst wieder frei und glücklich. Jedes Tier, das er schoß, jeder Schmetterling, den er fing, jede neue Pflanzenart belebte seinen Eifer, und seine Frau, die ihm zu gehorchen und mit ihm zu fühlen angewiesen war, wollte sie nicht in der Einsamkeit völlig versinken, fügte sich seinem Drange mit dem natürlichen weiblichen Anempfindungsvermögen, zeigte eine heitere Gefaßtheit und versöhnte ihn mehr und mehr mit der erzwungenen Ehe. Nur Bella und Tesař verschlossen sich zusehends, wie ausgedörrt und verbrannt von trostloser Hitze und Mühsal. Bella lag in einem Plachenwagen und stierte vor sich hin. Hesky hatte ein zierliches Äffchen gefangen, das er mit einer Kette am Fuß an einen Pflock des Wagens fesselte, so daß es nur drei Gliedmaßen frei hatte, mit denen es sich recht possierlich gebärdete, herumsprang und sich flöhte. Dieses Tier trieb gerade vor Bella sein Wesen und beeiferte sich mit seinem Übermut, je mehr es ihr mißfiel, schnitt ihr die lächerlichsten Gesichter, schlich sich in einem unbemerkten Augenblick heran und zog sie an ihrem Lockenschädel, der hier, ungepflegt, allmählich wieder seine angestammte Art annahm, stahl ihr den Bissen vom Munde weg, und was so die Weise eines Affen ist. Eines Abends erwürgte sie ihn. Als Hesky den munteren kleinen Gast am nächsten Morgen tot alle viere von sich strecken sah und die Spuren der Erdroßlung bemerkte, die auf Bellas Haß leicht zurückzuführen war, vollzog er eine landesübliche Exekution auf dem Rücken der Negerkönigstochter, die schon lange derlei nicht gefühlt haben mochte, nahm ihr die europäische Kleidung weg, die sie eifersüchtig trotz der großen Hitze gewahrt hatte und gab ihr den verhaßten Schurz, den sie mit einem bösen Blick, nur unter den Schlägen geduckt, umtat. Am Abend dieses schlimmen Tages lagerte man im Freien. Man war vor der Rast einem Trupp von Elfenbeinhändlern begegnet, welche nach Kapstadt zurückkehren wollten. Beim Lagerfeuer erzählte Hesky, wie diese Leute reich wurden durch den geschicktesten und unverschämtesten Warentausch, wie sie ungeachtet aller Verbote das kostbare Tier auszurotten drohten, das von den afrikanischen Königen als höchster Schatz immer sorgfältiger geschützt werde, je mehr die Zähne im Preise stiegen, ebenso verfuhren diese Händler mit den Straußen und mit andern Naturprodukten des Landes, während sie den Eingeborenen Europas Fluch: den Branntwein zuführten und sie dadurch verdarben und jeder Möglichkeit der Gesittung und Entwicklung für immer entfremdeten.
Unter diesen Gesprächen waren sie müde geworden, Hesky und seine Gattin zogen sich in ihr Zelt zurück, die Neger wickelten sich in ihre Decken und schliefen unter freiem Himmel ein, während die Ochsen und Pferde innerhalb der Wagenvierecke eingepfercht waren. In weiter Ferne erschollen die hungrigen Rufe der freien Tierherden, in den Zweigen raschelte es nur zuzeiten von einem erschreckten Vogel, über den Häuptern aber zogen die hellen Wolken des afrikanischen Nachthimmels in unablässigem Kommen und Gehen einher.
Da richtete sich Tesař leise auf, nahm seine Flinte und Patronentasche, einen Rucksack mit seinen Habseligkeiten und beschloß, sich davonzumachen. Er wollte die Elfenbeinhändler aufsuchen. Er hatte ein hübsches Stück Geld zusammengespart, warum sollte er nicht wie diese Leute zu reichlichem Gewinn kommen, anstatt als untergeordneter Begleiter mit diesem Narren in die weite, wüste, dürre Welt zu wandern. So machte er sich, wie er glaubte, unbemerkt davon.
Aber zwei glühende Augen waren ihm gefolgt. Bella hatte ihn gleich erraten. Nackt und geräuschlos schlich sie ihm nach durch die unwegsame Nacht, in der sie doch zu Hause war, als in ihrer unwillkommenen Heimat. Er hörte sie nicht, schritt über Stock und Stein, rüstig, aller Gefahren nicht achtend, das Gewehr schußbereit unterm Arm, vor jedem krachenden Zweig, vor jedem verlorenen Vogelruf erschreckend, während Bella, wenn er an eine Lichtung kam, sich unter einem Baumschatten duckte und hinter ihm hielt wie nach einem schützenden Stern, der sie ihrem Los allein entführen konnte, denn sie wußte nichts anderes, als daß sie den Tod der Rückkehr in die verhaßte Heimat ihres Stammes vorzog.
Als er nach vielen Stunden schon bei Anbruch der Dämmerung sich ermüdet zu Boden warf, um zu ruhen, rief sie ihn leise an. Erschreckt spannte er den Hahn, sie aber sprang vor seine Füße und flehte ihn an. Da verstand er ihre entsetzte bittende Gebärde, und ein wildes Lächeln ging über seine Züge. Das nackte Weib mit dem vollen, dunklen, glänzenden Körper umfaßte ihn mit der ganzen Kraft ihrer Demut, ihres törichten Wunsches, als den einzigen, der sie jetzt noch erlösen konnte, und dem sie sich als dem letzten Erretter darbot, denn anders als wieder in der Knechtschaft ihre Befreiung zu erblicken, wußte sie freilich nicht, die als Kind der Sklavenrasse geboren, ihr ewig zugehörte.
Er aber sah sie eigentümlich, zugleich drohend und bezwungen, als Herr und wieder als Unterliegender an und zog sie zu sich.
Demütig schmiegte sie sich an ihn und flüsterte: »Mach du mich weiß.«
Nach dieser Nacht wanderten die beiden davon und verschwanden in der weiten Welt.