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Warum Rom ein Stück Arbeit ist – Beatrice Cenci – Warum die Götter nicht für Berlin passen – Warum Frau Buchholz eine Giraffe sein darf – Warum die heilige Praxedis auf einem Stein schlief – Tivoli – Warum Frau Buchholz geknufft werden wollte – Warum die Schwiegersöhne in Berlin teuer sind – Warum Herr Spannbein sich mit dem Professor erzürnte – Florenz – Warum Frau Buchholz Italien umsonst besucht hat – Warum Onkel Fritz ein Couplet sang – Venedig – Der letzte Abend in Italien – Wieder in Berlin
Wollten wir auf die Kosten kommen, so mußten wir Rom noch eine Reihe von Tagen widmen. Wir haben aber auch nicht schlecht gearbeitet. Von einer Sehenswürdigkeit ging es zur anderen, so daß ich am Abend mitunter abgeextert war, als hätte ich Großscheuerfest gehabt.
Zum Glück trafen wir Herrn Öhmichen aus Glauchau, der immer noch auf der Suche nach Mustermotiven aus war und, wie er sagte, nur Halbbrauchbares gefunden hatte. Warum? Er mußte die Motive erst stilisieren lassen. Wie bequem hätten es dagegen die Architekten, die könnten ihre Motive so nehmen, wie sie da wären, und wenn sie den Kram nur recht tüchtig auf den Kopf stellten, merkte niemand, woher sie ihre Weisheit hätten.
Mein Karl wies ihn zurecht und sagte, so gut wie in Italien baute man in Berlin auch, Herr Öhmichen möchte sich nur einmal die Fassade der neuen Kriegsakademie vom Baumeister Schwechten und dem Bildhauer Otto Lessing ansehen oder den Anhalter Bahnhof mit dem plastischen Schmucke von Thomas oder die Germania von Kaiser und Großheim oder den neuen Palast vom Bleistiftfaber in der Friedrichstraße. Es wären schon Leute da, die Bedeutendes leisteten.
»Und das Zentralhotel,« rief ich.
»Das ist nur zum Wohnen und nicht zum Ansehen,« berichtigte mich mein Karl.
Da Herr Öhmichen sich schon fleißig umgesehen hatte, ließen wir uns gerne von ihm führen. Wir besuchten mit ihm das Pantheon mit dem kränzebedeckten Grabe Viktor Emanuels und dem Grabmal Rafaels.
Wir waren im Vatikan, worin elftausend Zimmer sein sollen. – Wer die wohl scheuert? Die Schweizerwache sieht aus, als wären alle echte Ehrentrauts, nur mit dem Unterschiede, daß so ein braver Schweizer mit seinem Daumen bequem ein Figürchen bedecken kann, wie sie dieser Künstler malt. Und die Statuen, die Bilder, die Wandgemälde! Mir wurde mitunter ganz kunstschwindlig. Es ging mir im Vatikan wie in der Villa Albani, ich meinte immer in einem Spital von Antiken zu sein, die auf ihre verlorenen Gliedmaßen und den Leimtopf lauern, aber das Fehlende hat für den Kenner ja gerade den wahren Kunstwert.
Und die vielen Bilder in den Palästen. Man hat ja doch die meisten Leute nicht gekannt, die sie darstellen. Es muß schrecklich schwer sein, sich darauf gründlich auszukennen, und ich begreife recht gut, wie man einen falschen Rubens für einen echten kaufen kann, denn wer sich sein lebelang nur mit Bilderbeurteilen befaßt, der muß ja schließlich ganz wirrig werden.
Interessant war mir der Palast Barberini, in den wir eigentlich durch Zufall gerieten. Herr Öhmichen kam nämlich an einem Morgen ungeheuer vergnügt heran und fragte, ob er uns zu einer außerordentlichen Kostbarkeit führen dürfe? Wir willigten ein.
Auf dem Wege nach der Kostbarkeit lag der Palast. Herr Öhmichen sagte: Motive seien nicht darin, wohl aber das Porträt der Geliebten Rafaels, von ihm selbst gemalt.
Natürlich wollte ich wissen, wie eine aussah, die einen Künstler, wie Rafael, der in die anständigste Familie hätte heiraten können, auf Abwege brachte. Aufrichtig gesagt, ich hätte ihm besseren Geschmack zugetraut, denn diese Donna muß ein unangenehmes, gelbes, großnäsiges Frauenzimmer gewesen sein. Aber Liebe macht ja bekanntlich blind.
Außerdem ist noch das Porträt einer bleichsüchtigen jungen Dame von Guido Reni da, nämlich das der Beatrice Cenci. Die Familiengreuel dieser Cencis sind derart, daß ich sie nicht nennen mag, denn wenn der eigene Vater der eigenen Tochter nachstellt und diese ihren eigenen Vater ermorden läßt und das Gericht dafür Beatrice nebst Stiefmutter mit dem Beil hinrichtet, den älteren Bruder mit der Keule erschlägt, den jüngsten Sohn aber wegen seiner Kindheit begnadigt, so ist das ruchlos. Der Papst Paul V. gab die konfiszierten großen Güter der Cenci an die Borghesi. Nachdem dies geschehen, stellte sich später heraus, daß die Hingerichteten sämtlich unschuldig waren, aber man schlug den Prozeß nieder. Wenn nun die Borghesi manchmal nicht taten, wie die Päpste wollten, dann sagten diese, man sollte doch einmal wieder die alten Akten vom Prozesse Cenci revidieren, und sobald den Borghesi dies Wort hinterbracht wurde, benahmen sie sich brav. Herausrücken ist auch nicht jedermanns Sache.
Wir verließen den grausigen, historischen Boden auf einer Wendeltreppe von sechzig Stufen und gelangten in den Hauptsaal des Palastes, dessen Deckengemälde so schön sind, daß man sich den Nacken daran steif sieht. Alle Götter und Göttinnen des Olymps ruhen dort oben auf Wolken, und Venus, an der wie immer Garderobe gespart wurde, natürlich mitten dazwischen. Für Italien passen diese fleischfarbigen Götter sehr gut, weil es dort warm ist und man nicht heizt, aber im Norden nehmen sie sich dagegen frostig aus; ich glaube auch nicht, daß man bei uns so große Hallen und Säle wie die in den Palazzis im Winter warm kriegen würde.
Die Besitzer der Palazzis wohnen nicht in den Prunksälen, die mehr für die trinkgeldnehmenden Diener zu sein scheinen, sondern haben höchst gemütliche Zimmer wie andere Menschen, wovon ich mich oft überzeugte, indem ich mit der den Engländerinnen abgelernten Dreistigkeit die Türen zu den Privatwohnungen öffnete und darin so lange herumschnüffelte, bis ich genug gesehen hatte. Kam jedoch ein Diener oder so etwas, um mich hinauszukomplimentieren, dann machte ich große runde Augen, starrte ihn wie versteinert an und sagte: »Aouh Ye-es!« woraus man mich stets in Frieden ließ. Denn das wissen die Italiener genau: eine Reisemiß oder Missis tut, was sie will und nicht was Gebrauch ist, denn sie weiß, daß, wenn ihr noch so gerechtfertigt auf die kleine Zehe getreten wird, ganz England hinter dem Kanal dennoch »Aouh« schreit. Mein Karl sagt oft: »Wilhelmine, hier in Italien kannst du gerne die Engländerin spielen, denn wir kommen prachtvoll damit durch, für Berlin aber will ich mir schon jetzt solch giraffenhaftes Wesen verbeten haben.« – Unter Giraffen versteht mein Karl nämlich die langhalsigen Exemplare britischer Abkunft.
An der Maria maggiore, einer der achtzig Marienkirchen Roms, konnte ich nicht vorbeikommen, sondern ging hinein. Sie ist herrlich, was schon daraus hervorgeht, daß die eine Seitenkapelle, welche die Borghesische heißt, über eine Million Scudi gekostet hat. Den Scudi rund gerechnet 4 Mark 50, macht dies vier und eine halbe Million Reichsmark. Was kostet nun wohl die ganze Kirche? Sagen wir ein Fürstentum. Und in Rom fehlt es nicht an Kirchen! Es muß doch ein unsinniges Geld vor Zeiten dorthin geschleppt worden sein. »Wir würden in Deutschland auch reicher an Bauten und Kunstwerken sein,« bemerkte mein Karl, »wenn die Kriege, welche die Päpste anrührten, nicht auf deutschem Boden ausgefochten wären. Der Dreißigjährige Krieg hat das Land verwüstet und arm gemacht, deshalb müssen wir an die Zukunft denken, soll unser Vaterland auch prächtig werden, und das tut unser Reichskanzler.«
Herr Öhmichen ließ uns keine Zeit, alle Herrlichkeiten zu betrachten, da es ihn drängte, uns die versprochene Kostbarkeit zu zeigen. Wir hatten nicht weit, denn dicht bei der Maria maggiore liegt die Kirche Santa Prassede, in die er uns führte.
In dem linken Seitenschiff deutete er sprachlos vor Entzücken auf eine Steinplatte. Wir sahen erst den Stein an und dann Herrn Öhmichen und dann wieder den Stein, aber wir entdeckten nichts Außerordentliches.
»Na, Mann, was ist denn hiermit los?« fragte Onkel Fritz. – »Sehen Sie denn nicht?« stotterte Herr Öhmichen. »Gibt es etwas Schöneres als diesen Stein?« – »Was ist das für ein Stein?« fragte ich sehr bestimmt. – »Eine antike Tischplatte, aber die heilige Praxedis hat darauf geschlafen. Worum? Weil ihr die leere Bettstelle noch zu weich war. Es gibt ja Leute, die nicht auf Federn liegen können.« – »Herr Öhmichen, was geht es Sie, was geht es mich an, worauf die heilige Praxedis gelegen hat, wenn es ihr nur gut bekommen ist? Wo ist die Kostbarkeit, die Sie uns zeigen wollten?«
»Hier der Stein!« rief er. »Sehen Sie doch nur diesen feinen Grund ... schwache Eisenbeize mit Katechu, versponnen mit reiner Naturwolle ... und diese schwarzen und weißen Tippelchen? Haben Sie je ein schöneres Hosenstoffmuster gesehen?«
Während ich so gut wie sprachlos dastand, sagte Onkel Fritz: »Mir gefällt es sehr, Sie können mir einen kompletten Anzug davon kaltstellen.« – »Ich mache eigentlich nur en gros,« entgegnete Herr Öhmichen, »aber Ihnen will ich'n paar Meter ablassen. Warum? Weil Sie es sind und meine Freude über das Muster so sehr groß ist.«
Der Sakristan kam und fragte, ob wir die Kapelle der Säule besichtigen wollten, und schloß eine durchbrochen gearbeitete Seitentür auf. Als ich eintreten wollte, wehrte der Mann mir und redete, was weiß ich. Nachher stellte sich heraus, daß Frauen diese Kapelle nur an den Fastensonntagen betreten dürfen, wogegen die Männer hineinkommen, sobald sie Entree bezahlen. Onkel Fritz sagte, um mich zu ärgern, das Innere der Kapelle sei himmlisch schön; alles Gold und Mosaik, weshalb sie auch der Garten des Paradieses genannt werde. Das Merkwürdigste wäre jedoch die Säule der Geißelung.
»Gut,« antwortete ich ingrimmig. »Man läßt uns Damen nicht hinein. Aber so viel weiß ich, daß ich sämtliche: Engländerinnen im Hotel auf die Kapelle der Säule gieperig machen und hierher schicken werde. Dann mag der rücksichtslose Sakristan sehen, wie er mit ben Missis fertig wird, und die Missis können versuchen, wie sie in die Kapelle kommen. Das gibt einen Hauptfeez.« – Dieser Gedanke stimmte mich gleich wieder heiter. Der Mensch braucht in der Tat wenig, um vergnügt zu sein, wenn er nur harmlos ist. –
Über den Corso ging ich stets mit besonderer Andacht, denn dort befindet sich das Haus, in welchem Goethe bei seinem Aufenthalte in Rom wohnte. Die Bürgerschaft Roms hat eine Gedenktafel anbringen lassen, auf der steht: In diesem Hause ersann und schrieb Wolfgang Goethe Unsterbliches.
Sein Erlkönig wird auch wohl unsterblich bleiben und möglicherweise auch sein Faust, wenn derselbe ohne den zweiten Teil zur Welt gekommen wäre, der sich ja durchaus nicht zur Aufführung eignen soll, wie sie immer schreiben. Wie nützlich hätte Goethe die Zeit, die er an den zweiten Teil verschwendete, zu noch einigen Erlkönigen oder sonstigen hübschen Deklamiergedichten verwenden können, an denen es so sehr mangelt. Auch etliche weitere erste Teile vom Faust wären gewiß den Bühnen willkommen.
Das andere, was er geschrieben hat, liest man ja nie. Dagegen ist der Streit, ob Schiller oder Goethe größer ist, immer noch eine offene Frage, deren Lösung meine jüngste Tochter jedoch in einem Examenaufsatz ziemlich nahe kam, indem sie auseinandersetzte, das sei Geschmackssache. Und dabei hat sie von den beiden nicht mehr gehabt als in der dünnen Literaturgeschichte steht, worin von allen zusammen die Rede ist. Das Kind hat nämlich einen zu durchdringenden Geist.
Auch durch das Popolo-Tor gingen wir und wanderten bis zu dem Sauerbrunnen, an dem Goethe allmorgendlich sein Glas Mineralwasser trank. Ich ließ mir ebenfalls einen Becher davon geben, aber mir fiel nichts Dichterisches ein, so daß ich vermute, an dem Wasser kann es nicht gelegen hoben, daß er so schöne Balladen machte.
Gegenüber dem Hause Goethes liegt der Palast Rondinini. Er ist berühmt, weil in dem Hofe desselben ein unvollendetes Werk von Michel Angelo steht. Wenn man den alten Klotz aber nicht erhaben findet, wird man für dumm verschrieen. Es ist eben mit den italienischen Künstlern eine ganz andere Sache als mit den deutschen. Wie groß wäre Cornelius wohl, wenn er ein Italiener oder Franzose gewesen wäre, so unverständlich mir auch seine Übermenschlichkeiten in der Nationalgalerie sind.
Nach vier Tagen war ich von dem vielen Besehen der Kunstwerke total nervös. »Karl,« sagte ich, »ich wollte, wir wären auf Capri!« – »Besuchen Sie doch Tivoli!« riet Herr Öhmichen. »Warum? Dort haben Sie Natur.« – »Ist Tivoli eine Brauerei?« fragte ich. – »Nein, nur eine Wasserkunst ohne Hopfen und Malz,« erwiderte Herr Öhmichen. –
Er hatte recht. Die Wasserfälle in Tivoli, wohin man mittels Dampftramway durch die weite Campagna gelangt, sind wundervoll. Wenn die bei Berlin wären, könnte ein intelligenter Wirt sein Glück damit machen.
Mehr aber noch als die mächtigen Wassermassen, welche donnernd in die Tiefe stürzen, erfreute mich der Garten der Villa d'Este, denn dort fand ich wieder etwas von der Ruhe, in der ich auf Capri geschwelgt hatte. Obgleich ich diesen Garten noch nie in meinem Leben betreten hatte, kam er mir dennoch gleich so vertraut vor, als wäre ich schon einmal darin gewesen und hätte seine Lorbeerhecken, seine blühenden Gebüsche, seine umrankten Baulichkeiten und seine zerfallenen Statuen gesehen und den Duft eingeatmet, den die flimmernde, sonnendurchwärmte Mailuft aus Blütenbäumen und Blütensträuchern zieht. Nur konnte ich mich nicht erinnern, wo es gewesen war, und das mochte mich innerlich unruhig, wie man immer wird, wenn man sich auf eine Sache besinnt und sie nicht hinbringen kann.
Mit einem Male aber kam es wie Genugtuung über mich ... ich wußte, wo ich war. »Karl,« sagte ich, »nun kenne ich diesen Garten. Als ich noch Kind war, hab' ich ihn gesehen. Wenn die Mutter in der Dämmerung das Märchen vom Dornröschen erzählte, dann war mit, als sähe ich das verzauberte Schloß mit den Rosen, dem Efeu und den dichten Hecken, geradeso wie hier den Garten. Sieh' nur, wie Tausende von hellen und dunkelroten Rosen gleich einem Blumenschleier von den Terrassen herabwallen, wie Rosengehänge den Eintritt in die kühlen Grotten verwehren, und wie der Neptun in seinem Bassin von lauter Rosen überwölbt wird, als gehörte er zum Hofstaate Dornröschens. Nur das Plätschern der halbverfallenen Wasserkünste vernehmen wir und das Zwitschern der Vögel. Mein Karl, wenn hier nicht das Märchenland ist, dann ist es nirgends.«
Wir setzten uns in dem Schatten der großen dunklen Zypressen auf eine Steinbank und verfolgten mit unseren Blicken den zum Schlosse führenden Weg über die rosenumhüllten Terrassen, über die Treppen mit den zerbrochenen Amoretten, vorbei an den Springbrunnen und glitzernden Wasserstrahlen, bis oben hinauf zu den Statuen auf den Gesimsen des Schlosses, die sich weiß und luftig von dem klaren blauen Himmel absetzten. Und rechts und links von uns blühte und duftete es, Granaten entfalteten ihre siegellackroten Knospen, Agaven streckten ihre riesigen Blütenschäfte in denselben belebenden Sonnenschein hinaus, der die Orangen und Zitronen an den Bäumen zeitigte, die Furcht und Blüte auf einem Zweige tragen, als wüßten sie ihren Reichtum nicht zu lassen und müßten geben, wie sie nur vermögen. »Karl,« sagte ich, »knuffe mich, damit ich weiß, ob ich auch wirklich wache.« Er gab mir einen Kuß. – Mein Karl ist eben zu gut. Onkel Fritz würde mir keinen schlechten Schubs versetzt haben. Aber der hatte ja Gott sei Dank Geschäfte in Rom.
Am Abend waren wir wahrhaft erquickt wieder im Genio, wo wir meistens zu Nacht speisten. Während die Herren ihren Skat trommelten, zeichnete ich gewöhnlich meine Ergebnisse auf, und so auch heute. Als ich in der besten Arbeit war, redete mich plötzlich eine ältere Dame an: »Sind Sie vielleicht Kollegin?« – »Wieso?« – »Nun, ich bin Schriftstellerin, und da ich Sie schreiben sah, so erlaubte ich mir –.« – »Sehr angenehm!« – In der Tat war mir diese Begegnung willkommen, Denn nun sah ich doch einmal eine wirkliche lebendige Schriftstellerin von Fach. Wir schlossen sehr bald Freundschaft, und die Dame – sie schreibt unter verschiedenen Namen für deutsche Journale – gab mir manche Auskunft über römisches Leben. »Ach,« sagte sie, »es ist hier nicht alles Gold, wie der Fremde glaubt, der durchreist. Die Pauvretät ist größer, als man denkt! Haben Sie wohl am Nachmittage die eleganten Karossen mit ihren noch eleganteren Insassen auf dem Monto Pincio gesehen?« – »Wo die jungen seinen Herren den Damen ihre Aufwartung machen?« – »Ganz recht. Es sind viele fremde Damen darunter.« – »Woher stammt aber die Vertraulichkeit mit den jungen Menschen?« – »Die gehen darauf aus, Bekanntschaften zu machen. Es sind vornehm klingende Namen darunter, aber sie glänzen nur nach außen.« – »Aha, die Manschetten sind mehr wert als das Hemd.« – »So ist es. Sie heißen hier Mascalzoni oder auch wohl Zweilirerentiers. Sie speisen in irgendeiner Garküche für wenige Soldi Makkaroni und laufen dann durch ein vornehmes Restaurant, aus dem sie mit einem Zahnstocher im Munde wieder auf die Straße treten, um glauben zu machen, sie hätten drinnen diniert.« – »Billig, aber nobel!« – »In Italien erbt der älteste Sohn das Vermögen, die jüngeren sind pauver und suchen, wie sie ohne Arbeit den Schein der Vornehmheit wahren. Die Damen schmeichelt es natürlich sehr, wenn der Conte Annibale, der Conte Orazio oder gar der Marchese Eduardo ihren Hofstaat bilden.« – »Freilich weist das mehr her, als wenn zu Hause Müllers und Lehmanns auch gebeten werden müssen.« – »Den jungen Leuten ist die Gesellschaft der wohlhabenden fremden Damen angenehmer als das Herumstehen auf dem Corso oder der Piazza di Colonna und das langweilige Spucken auf die Straße. Deshalb schlagen sie keine Einladung zu einem guten Essen aus und nehmen gerne ein Diamantnadelchen oder lassen sich ihre Schneiderrechnung ohne Widerrede bezahlen, wofür sie denn nachher um so seelenvoller mit den Augen klappern.« – »Das ist bei uns anders,« entgegnete ich. »Wenn in Berlin ein junger Mann mit Namen sich herabläßt, bei reichen Dicktuern zu verkehren, hat er meistens Schulden und die Absicht, Schwiegersohn zu werden. Da sind dann Summen nötig, um ihn erst mal in einen börsenreinen Zustand zu versetzen, und die Mitgift darf nicht klein ausfallen, damit er die väterliche Scholle aufbessern, Rennpferde und Jagdgründe halten kann. Merkt er jedoch, daß es nur Nadelgeld gibt, dann schnappt er ab, und der Kaviar, die getrüffelten Puten, der feine Rotwein und der viele Sekt sind reineweg zum Fenster hinausgegossen. Und kriegt sie ihn ja und wird »Frau von,« so sieht seine Familie sie doch nur für Talmi an. Wer garantiert überdies dem Schwiegervater, daß der Schwiegersohn ferner keine hochprozentigen Privatanleihen macht, und ist dieser sicher, daß der Schwiegervater das große Vermögen nicht wieder im Geschäft verposamentiert, in das er sich sauer hineinheiratet? Dann hat er sie, und schöner wird sie nicht.«
»Der Mascalzoni ist anspruchsloser, der berechnet jeden feurigen Blick nur mit etlichen Soldis.« – »Sie haben in diesen Verhältnissen prächtigen Stoff zum Schreiben, liebe Kollegin,« sagte ich. – »Ach nein,« entgegnete sie. »Man verlangt nur echt italienische Geschichten mit Mord und Totschlag. Die müssen in den Abruzzen spielen. Er muß ein Räuber sein, sie liebt einen deutschen Maler oder einen reichen fremden Sonderling, den der Räuber erschießt, den sie darauf entweder denunziert oder eigenhändig mit einem Dolche umbringt. Wenn sie wüßten, wieviel Menschen ich schon auf dem Papier umgebracht habe, sie würden mich für ein Ungeheuer halten. Aber der Mensch will doch auch leben. Ich besorge neben der Schriftstellerei den Haushalt. Mein Mann ist nämlich Maler.« – »Was malt er denn?« – Sie seufzte. »Er war wohl noch zu jung, als er nach Rom kam, und nicht selbständig genug in der Kunst und mochte wohl meinen, es könnte ihm nicht fehlen, die Alten zu überflügeln ... jetzt kopiert er sie für ein Billiges.«
»Er war arm und mußte verdienen. Seine eigenen Kompositionen kaufte niemand, denn die Römer geben kein Geld für neue Gemälde aus und die Fremden verlangen nur Kopien nach den berühmtesten Werken der Vergangenheit.«
»Da hat er nun im Laufe der Jahre seine eigene Schaffenskraft eingebüßt und muß für das tägliche Brot kopieren, wie ich dafür schreibe. Der Künstler kann auch in Rom, mitten in der Kunst, untergehen, liebe Frau, denn es ist unmöglich, mit den alten Meistern zu konkurrieren, die erdrücken ihn. Wie glücklich sind Sie jenseits der Alpen, wo ein neues frisches Leben auch dem schwächeren Talente ein grünes Plätzchen gönnt, auf dem es sich entfalten kann. Deutschland, du aufgehender Stern, warum sind wir, deine Kinder, alt und kraftlos in der Glut Italiens, in der herzlosen Menschenflut geworden, die in Rom zusammenbrandet? Für uns bist du zu spät aufgegangen.« – Sie trocknete sich die Augen, denn ihr Mann trat ein. Ich sah ihn mir genau an. Es war das erste gramdurchfurchte Antlitz, das ich im Süden sah.
Wir drehten die Unterhaltung nun auf gleichgültige Dinge. Sie fragte mich, wie man wohl am besten Wollenzeug wasche? Ich sagte, mit handwarmem Wasser, etwas Soda und schwarzer Seife, dann bliebe es weich. Sie dankte mir. – Also das war auch Rom. –
Am nächsten Tage gingen wir nach der berühmten Sixtinischen Kapelle. Sie ist gänzlich abgetakelt und macht einen höchst vermoderten Eindruck, aber wegen ihrer grenzenlosen Berühmtheit findet jeder Besucher sie aus Pflichtgefühl herrlich, denn es geht dem Menschen in Kunstsachen wie dem kranken Schimmel, der die Medizin erst nahm, als ihm dauerhaft zugeredet wurde. Vielleicht mache ich mich einer großen Kunstketzerei schuldig, aber trotzdem bekenne ich offen, daß viele Kupferstiche mir besser gefallen als ihre Originale, die vom Alter ramponiert und vom Ruß der Zeit so dick überzogen sind, daß man Kresse hineinsäen kann.
Ist es der Mühe wert, zwölf Treppen hoch zu klettern, um zu sehen, wie Rafaels Stanzen zugrunde gerichtet worden sind?
Aber Trinkgelder werden für die Besichtigung der verwahrlosten Kunstwerke genommen, daß es nur so kracht.
In der Sixtinischen Kapelle, die eigentlich nur ein großer Saal des vatikanischen Palastes ist, war viel Publikum, von denen manche, so lang sie waren, rücklings auf den Bänken lagen, um die Deckengemälde Michel Angelos bequemer mit dem Opernglase zu begaffen, was sehr ungehobelt aussah. Oben auf einem hochaufgebauten Gerüst saß ein Künstler, der ein Stück Decke abzeichnete. Es war Herr Spannbein.
Kaum hatten wir uns gegenseitig erkannt, als er herunterstieg und uns begrüßte. Es ging ihm traurig. Quenglhuber knechtete ihn mit den Zeichnungen nach Deckengemälden für sein Werk. »Und wenn er noch mit meinen Arbeiten zufrieden wäre,« klagte Herr Spannbein, »aber er betrachtet sie, liest in den verwünschten Büchern nach und sagt dann: technisch recht brav, aber ich vermisse den Ausdruck der verklärten Idealität, den das Original nach dem Buche hat.«
»Warum vergleicht er sie denn nicht mit den Originalen?« – »Sie kennen doch sein unseliges Schnupfen! Mitunter hilft das Rückenklopfen auch nicht mehr, und er hustet, als sollte er drauf gehen. Deshalb nimmt er seine Bücher mit und liest Ottilien daraus vor, worauf er fragt: verhält es sich so? Antwortet Ottilie »Ja,« dann macht er einen Strich in dem Buch und verlangt von mir eine Skizze des betreffenden Deckengemäldes. Sagt sie dagegen »Nein«, dann brummt er: Somit geht mich das Bild nichts an. – Um mir das Dasein zu erleichtern, sagte das sanfte Mädchen öfter Nein als Ja. Etwas Gutes hat der Schnupftabak also doch für mich.« –
»Ich hätte in Ihrer Stelle dem Professor die Arbeit längst vor die Füße geworfen!« bemerkte Onkel Fritz. –
»Das kann ich nicht; je länger ich in Ottiliens Nähe weile, um so inniger liebe ich sie.«
»Dann gehen Sie mit ihr durch und lassen Sie den Alten mit seinem Schnupftabak das neue Werk allein aus den alten Büchern zusammenstoppeln.« –
»Ich wagte Ottilie schon einmal einen ähnlichen Vorschlag zu machen, aber sie fürchtet, dem Vater breche das Herz, wenn wir ihn ausführten.« –
»Weiß er denn, daß Sie und Ottilie sich lieben?« – »Weil er es weiß, peinigt er mich.« –
»Dann hat er auch kein Herz zum Brechen,« sagte ich. »Unsere Zeit ist um, in den nächsten Tagen gehen wir nach Florenz,« sagte Fritz. »Reisen Sie mit uns.«
»Ich nehme Ottilie unter meine Fittige,« fiel ich Onkel Fritz in das Wort. – »Es geht nicht!« stöhnte Herr Spannbein. – »Dann ist Ihnen nicht zu helfen.« –
Am Abend waren wir bei Morteo am Corso und tranken Drehersches Bier. Quenglhuber und Spannbein traten auch an. Das Gespräch drehte sich natürlich um die Kunst. Quenglhuber sagte schließlich, die ganze moderne Kunst sei Schund, nur allein die Alten wären Künstler gewesen.
»Man kann aber doch nicht mehr bei den alten Meistern arbeiten lassen,« wandte ich ein, »und darum müssen notwendig neue da sein.« – »Die sollen sich nach den Alten richten, nach dem ewig Idealen in Form und Farbe. Tun sie das nicht, kann auch die Kritik sie nicht ernst nehmen.«
»Eine Kritik, die auf einem so vermulschten Standpunkt steht, nimmt auch der Künstler nicht ernst,« entgegnete Herr Spannbein, der im Ärger ziemlich rasch und viel trank.
»Was?« schrie Quenglhuber, »Sie sprechen despektierlich von der Kritik. Das muß noch ganz anders kommen als bisher, denn vorläufig hat die Kunst nur Furcht, von Besserung ist nichts zu spüren.« –
»Ich fürchte mich nicht,« rief Herr Spannbein, »und wenn ich nur wüßte, welcher Anonymus meine »Edeldame mit Papagei« heruntergerissen hat, dem würde ich es schon geben. Mein Bild hatte nicht nur den Beifall der Kunstgenossen, sondern auch einen Käufer gefunden, den jedoch die vernichtende Kritik zurückschreckte. Und was sollte dem Bilde fehlen? Auffassung, Idealität und die Formenschönheit der Alten. Mehr nicht auf einmal. Der namenlose Schreiber hat keine Idee von Malerei!« –
»Sie sind ein Rebell,« fuhr der Professor auf. –
»Nehmen Sie den Ignoranten noch in Schutz?« fragte Herr Spannbein herausfordernd. – »Jawohl, denn ich selbst habe jenen Artikel geschrieben!«
Nun war der Topf entzwei.
»Ich nehme kein Wort zurück,« sagte Herr Spannbein ruhig, »und erkläre hiermit, daß ich mich von jetzt an um kein Kunstgeschwätz mehr kümmern werde. Die Alten sind tot, und wir Jüngeren leben in unserer Zeit. Damit Punktum.«
Quenglhuber brach mit Ottilien auf. Sie warf beim Scheiden dem Maler einen schmerzlichen Blick zu, aber der blieb finster aus seinem Platze sitzen.
»Sie waren wohl ein wenig zu übereilt,« sagte ich zu Herrn Spannbein, nachdem Quenglhuber die Tür von draußen zugemacht hatte. »Nein,« erwiderte er, »der Bogen war zu straff gespannt, er mußte brechen. Wer gibt denn jenem Mann das Recht, mein künstlerisches Schaffen in den Zeitungen vor aller Welt zu schmähen, weil seine Ansichten von Kunst nicht die meinigen sind? Wer überhaupt gibt ihm die Berechtigung, zu loben oder zu tadeln? Sein Wissen? Das ist nicht unfehlbar! – Seine Erfahrung? Die Kunst schafft Neues, an dem erst Erfahrungen gemacht werden müssen. Wer hat ihn überhaupt zur Bevormundung des Publikums berufen? Doch nur er sich selbst!«
»Wenn seine Kritiken nicht gefielen, würde das Publikum ihn doch wohl ablehnen,« wandte mein Karl ein. –
»Haben Sie jemals von abgesetzten Kritikern gehört?« fragte Herr Spannbein erregt. »Von Thronen sind schon Tyrannen verjagt worden, aber vom Tintenfaß noch nie. Wenn jene glaubten, das Volk sei nur ihrethalben da, so vermeinen diese nachgerade, der Künstler schaffe nur für sie, damit sie Stoff für ihre Feder und somit zum Lebensunterhalt haben.«
»Das sind traurige unnatürliche Verhältnisse, denn was kann die Kunst in den Augen des Publikums gelten, wenn die Kritik zum Handwerk wird? Wie kann da der Künstler in seinem Streben und das Publikum in der Erkenntnis gefördert werden?« – »Wer mit seinen Werken an die Öffentlichkeit tritt, muß sich auch öffentliche Urteile gefallen lassen,« sagte mein Karl. – »Und wenn nun Quenglhuber kommt und einen falschen Maßstab anlegt und sein falsches Urteil in die Welt posaunt? Was dann?« –
»Allerdings,« erwiderte mein Karl, »dachte ich daran, daß Künstler zuweilen wohl etwas schaffen, was nicht richtig sein mag, aber daß Kritiker falsch zu urteilen vermöchten, das war mir nie eingefallen, und so sehe ich ein, daß von diesem Standpunkte betrachtet, Lob wie Tadel gleich nichtig sein können.«
»Deshalb bin ich mit Quenglhubern fertig,« rief der Maler. »Ich habe unter seinem falschen Urteil viel zu leiden gehabt, gut, daß ich jetzt weiß, daß er den bösen Artikel schrieb.« – »Und Ottilie?« fragte ich.
Herr Spannbein stand auf, ohne mir eine Antwort zu geben, und ging. In meinen Augen hatte er recht, denn es wäre zu schrecklich, wenn der junge blühende Maler an der Kopiererei der alten Meister ebenso zugrunde gehen sollte wie der Mann meiner römischen Kollegin. –
Am folgenden Tage kam Herr Spannbein zu mir. »Ob ich mich Ottiliens annehmen wollte, sie sei entschlossen, ihren Vater zu verlassen. Der Alte hätte verlangt, daß sie ihrer Liebe entsagen solle, da aber habe sie erst empfunden, wie tief sie liebte!«
Dies ist unmenschlich romantisch, dachte ich, und recht etwas für dich, Wilhelmine. »Aber Kinder,« fragte ich, »was soll nachher daraus werben?«
»Mir egal,« antwortete er, »ich weiß, daß ich geliebt werde wie nie ein Mensch zuvor.« –
Nun, das meint ja jeder, der die Liebe kennen lernt, das sagte ich auch, als ich mit meinem Karl verlobt wurde, obgleich ich ihn jetzt noch viel inniger liebe als damals, wie mein Vater sagte: »Wilhelmine, Herr Buchholz hat um deine Hand angehalten, wenn du so denkst wie ich, nimmst du ihn.«
Mit dem Abendzuge fuhren wir nach Florenz ab. Ottilie war ruhig und fest in ihrem ganzen Auftreten, ich hätte dem zarten Mädchen solche Energie kaum zugetraut. »Mein Vater hat ihm unrecht getan,« sagte sie, »und ich muß wieder gut machen, was er gesündigt hat.« –
Wir hatten schon mehrere Tage in Florenz zugebracht, aber von Quenglhuber war noch keine Nachricht eingetroffen, wie ich sicher erwartete. Je länger die Angelegenheit unentschieden blieb, um so peinlicher ward sie mir, zumal mein Karl durchaus nicht mit unserer Einmischung zufrieden war. Ich riet ihm, dem Professor unsere Adresse zu telegraphieren, denn geschehen mußte etwas.
Ich hatte mit eine nette Rute gebunden, da ich ununterbrochen Sicherheitswache spielen mußte. Gingen die beiden in den Tiergarten von Florenz, in die Cascinen ... ich mußte mit. Hatten sie Lust, am Abend durch die Stadt zu wandeln, war es meine Pflicht, sie zu begleiten, schwärmten sie in den Boboligärten, mußte ich auch auf den kalten Marmorbänken sitzen und anhören, wie sie von ihrer grenzenlosen Liebe sprachen. Was mich das anging?
Und ich folgte ihnen abends ungerne durch die Stadt, denn gar oft kam aus einer Seitengasse ein Trupp vermummter Gespenster von der Pisaer Sorte, die Fackeln in den Händen und auf ihren Schultern eine Leiche trugen, wobei sie schauerliche Grabeslieder sangen. Wie das gruselig war, und wie ich jedesmal erschrak, wenn die Misericordiabrüder unerwartet auf uns zu kamen, das läßt sich gar nicht sagen. Wie oft seufzte ich: »Wenn dieser Zustand doch nur erst vorbei wäre, sonst werde ich noch ganz melancholisch.«
Als wir an einem Morgen in den Uffizien, in dem sogenannten Niobidensaale waren, nahm ich daher die Gelegenheit wahr, den beiden Verliebten einige Winke mit dem Lilienstengel zukommen zu lassen.
»Warum drücken denn wohl alle die Figuren so kläglichen Jammer aus, Herr Spannbein?« fragte ich ganz naiv. – »Apollo erschießt ja die Kinder der Niobe mit seinen Pfeilen, denn als solche sind die Strahlen des Sonnengottes zu deuten.« – »Ich habe nie gehört, daß eine ganze Familie auf einmal den Sonnenstich bekommen hat,« erwiderte ich.
»So ist die Sache nicht aufzufassen,« entgegnete Herr Spannbein, »wenn auch die Pfeile Apollos die Sonnenstrahlen bedeuten. Niobe überhob sich über die Götter ...
»Und da schossen die?« ... »O nein, das wäre zu viel verlangt. Der Künstler hat bloß zeigen wollen, wieviel Unglück eine Familie auf einmal treffen kann, und deshalb muß jeder, der sich in den Ehestand begeben will, sehr bedenken, ob er auch wohl Glück haben wird, wenn ihm der Segen des Vaters fehlt. Vater- und Mutterfluch reißen die schönsten Häuser ein.«
Kaum hatte ich diese Worte gesagt, als Ottilie leichenblaß wurde und in einen Strom von Tränen ausbrach, wobei sie ebenso grambeschwert aussehen konnte wie die Frau und die Kinder des Herrn Niob, der jedoch nicht mit ausgehauen ist.
»Sie stirbt!« rief Herr Spannbein.
Ich nahm Ottilien an mich, setzte mich mit ihr auf eine Bank und redete ihr zu. »So schlimm ist es ja nicht, Kind,« besänftigte ich sie, »da kann einer lange fluchen, ehe auch nur eine Wand einfällt.«
»Ich hätte meinen Vater nicht verlassen, wenn Sie mir nicht Ihren Schutz versprochen hätten,« schluchzte sie. »O, Frau Buchholz, Sie sind schuld daran, daß mein Vater mich auf ewig verstößt!«
»Jawohl,« sagte Herr Spannbein, »Sie sind schuld daran, wenn wir weder Glück noch Stern haben. Sie rieten mir, Ottilien zu entführen.«
»Oho! das tat Onkel Fritz.«
»Sein Gewissen wird ihn nicht schlafen lassen.«
»Da kennen Sie Onkel Fritz schlecht. Übrigens finde ich es sehr verhältnismäßig, daß ich das Sündenschaf für Ihre Liebesabenteuer sein soll. Ich sehe schon ein, ich bin zu gut für diese Welt. – Meinetwegen können Sie beide in ihr Verderben rennen. Ich ziehe meine Hände von euch!« – »Die bin ich los,« dachte ich.
Es war aber nichts damit. Ottilie hielt sich fest an mich und bat, ich möchte sie nicht verlassen. Sie habe ihre Mutter kaum gekannt und stets bei meinem Anblicke empfunden, ich meine es gut wie eine Mutter mit ihr. Sie fürchte sich vor Spannbein, auf dem ja auch der Vaterfluch laste. »Schützen Sie mich,« wimmerte Sie, »wenn Sie mich von sich stoßen, habe ich niemand auf Erden.« Sie sank vor mir auf die Knie und umklammerte mich. Ich beugte mich zu ihr herab und sah Herrn Spannbein mit vorwurfsvollen Blicken an, als wäre er der Apollo und ich die Mutter Niobe, deren Töchterlein er mit dem tödlichen Pfeile getroffen hatte.
»Da sehen Sie nun, was junge Leute anrichten, wenn sie unter dem Deckmantel der Liebe in hürdenlose Familien einbrechen, denen die aufpassende Mutter fehlt. Pfui, Herr Spannbein. Sie sind ja ein Ekel!«
Er war sprachlos, und da Ottilie und ich auch nicht weiter redeten, glichen wir genau den antiken Marmorfiguren, nur mit dem Unterschied, daß wir in Zeug gingen und nicht für immer Gruppe bildeten, sondern das Lokal verließen.
Ottilie blieb bei mit, und das Spazierengehen fand nur statt, sobald es mir paßte. Onkel Fritz erzählte mir später, Spannbein hätte gesagt, er danke Gott im hohen Himmel, daß ich nicht seine Schwiegermutter geworden sei, und habe gemeint, die Kritik sei deshalb so entsetzlich, weil sie nichts als die Schwiegermutter der Kunst sei und schon dann Gutes getan zu haben glaubte, wenn sie kein direktes Unheil angerichtet hätte.
Es war Herrn Spannbeins Glück, daß ich diese empörende Äußerung erst auf der anderen Seite der Alpen erfuhr, sonst wäre es ihm doch wohl eine Zeitlang ungünstig ergangen.
Endlich kam Quenglhuber. Ich saß gerade im Hotelzimmer und schrieb einen Brief wegen Logis in Venedig an Kliebischs. Ottilie war bei mir, als er eintrat. Er blieb in der Tür stehen und sagte nur das eine Wort: »Ottilie!« Sie sprang auf und fiel ihm schluchzend um den Hals. – »Du liebst mich also doch?« fragte er sie leise. »Herr Professor,« nahm ich das Wort, »Kinder sind Kinder, sie machen um so mehr Sorgen, je größer sie werden, ich habe auch zwei Töchter.« – »Ich will Ihnen nicht wünschen, daß man sie Ihnen einstmals entführen hilft,« erwiderte der Professor, »es schmerzt zu sehr, von dem einzigen verlassen zu werden, was man auf Erden liebt!« – »Gott soll mich schützen!« rief ich. – »Papa,« fragte Ottilie, »kannst du auch ihm verzeihen?« – »Ich muß wohl, damit du bei mir bleibst,« entgegnete er trübe. »Die Trennung von dir kann ich nicht ertragen!« – »Du hast ihm weh getan, er wird es vergessen, wie auch du vergessen wirst. Und wie ganz anders wird er auf deinen Rat in Liebe hören als in Zank und Unfrieden.«
Er küßte sie auf die Stirn. Ich ließ die beiden allein und ging, um die Herren zu suchen. »Merkwürdig,« dachte ich, »als Vater hat er ein Herz und als Kritiker ist er kalt wie Eis. Und da sagt man immer, die Kunst veredele den Menschen!«
Am Abend feierten wir Verlobung. Wie der Professor und Herr Spannbein in Zukunft miteinander auskommen werden, das ist mir unklar, ich vertraue aber auf Ottilie, die wird schon den rechten Weg zur gänzlichen Aussöhnung finden.
Auf der Verlobung ging es fast so lustig her wie bei einem Begräbnis. Es war kläglich. Die Romantik liest sich angenehmer in den Büchern, als wie sie sich in Wirklichkeit durchlebt. Mir war der Aufenthalt in Florenz durch das Quenglhuber-Spannbeinsche Abenteuer wirklich verleidet worden. Einigen Trost gewährten mir die beiden Gemäldesammlungen in den Uffizien und im Palast Pitti, hier war es mir zuweilen, als wenn die Bilder Pforten wären, durch die man in eine schönere Welt hineinblickt. Nur kann ich nicht begreifen, wie dasselbe unerklärliche Gefühl der Ahnung jener Welt mich oft, ebensowohl bei dem Anschauen italienischer Heiligenbilder, als vor den bürgerlichen Gestalten der Holländer oder einem Porträt von Dürer überkam. Das muß doch wohl das Geheimnis der Kunst sein.
Quenglhuber sagte mir, daß ich vom wahren Kunst-Verständnis noch weit entfernt sei, als ich ihm diese Ansicht mitteilte. Da bin ich denn umsonst in den vielen Galerien Italiens gewesen, die man doch hauptsächlich besucht, um sich in spätestens sechs Wochen zum kompletten Kunstkenner auszubilden.
Einen sehr vergnügten Tag hatten wir jedoch in Fiesole, und zwar ohne Quenglhubers. Dort in dem antiken Theater waren wir unter uns sehr fidel. Mein Karl und ich setzten uns in den Zuschauerraum, während Onkel Fritz auf der noch recht gut erhaltenen Bühne ein Couplet mit dem Refrain sang:
An der Quelle saß der Knabe;
Was nützt es ihm – er konnt' nicht ran!
Nachher bildete Onkel Fritz das Publikum, und mein Karl und ich tanzten einen Schottisch. Wir wollten eben auch einmal sehen, wie sich das Theaterspielen im Freien bei den Alten ausgenommen hoben mochte, und weil man die Vergangenheit doch nur begreift, wenn man sie wieder belebt. –
Unser Rundreisebillet ging auf die Neige, und Venedig mußte noch mitgenommen werden. Spannbein reiste wieder mit Quenglhubers nach Rom, um fleißig für das Werk über die Deckengemälde zu skizzieren, denn das hatte er dem Professor versprechen müssen. Glück damit. Hoffentlich gewöhnt er sich an die Alten und Quenglhuber an die Jungen. Ich meine die jungen Spannbeine. Wenn der alte Herr nützliche Beschäftigung, wie Kinderwarten, Pferdspielen usw., um die Hand hat, wird er das Kritisieren schon von selber sein lassen. Möglicherweise macht er auch seinem Schwiegersohn eine so dicke und andauernde Reklame, daß dieser in ein paar Jahren ein großes Tier wird und nur noch mit einem Lorbeerkranz auf dem Kopfe zu Bett geht. – – – –
Als wir in Venedig anlangten und aus dem Bahnhof traten, sahen wir ein breites Wasser vor uns, und in dem Wasser standen die Häuser. Vor der Treppe hielt eine Anzahl von merkwürdigen Booten mit schwarzen Kästen, die wie Särge aussahen. »Ist die Cholera hier,« fragte ich, »weil so viele auf einmal begraben werden?« Man bedeutete mir jedoch, die schwimmenden Leichenwagen seien die berühmten Gondeln. – »Ich danke,« antwortete ich, »die Häuser bauen sie ins Wasser hinein, und in Särgen fahren sie spazieren. Venedig hat wohl einen Klaps?«
Es half nicht, wir mußten in eine Gondel hinein, wenn wir weiter wollten, so unheimlich sie mir auch war. Dann fuhren wir durch ein Gewirr von Straßen, immer auf schmalen Kanälen. Und so still war es am hellen Mittag, daß man das Eintauchen der Ruder hörte; in einem Sterbezimmer kann es nicht leiser sein. –
Im Hotel warteten Kliebischs auf uns, die für Quartier gesorgt hatten. Sie waren guter Dinge, denn hier schreckte sie kein Randal wie in Neapel, und er meinte, das Gondeln sei ein köstliches Vergnügen, namentlich wenn sie auf das Meer hinausführen und angelten.
Er hatte recht. An die schwarzen Affenkasten gewöhnt man sich bald, und so am Abend im Mondschein, auf den weichen Kissen ruhend, den Canale grande entlang zu gleiten, anderen Gondeln mit bunten Lampen zu begegnen und dem Singen und Musizieren auf dem Wasser zuzuhören, das ist wundervoll.
Wäre nur nicht alles so zerfallen in Venedig. Die zerbröckelnden Paläste machen den Eindruck, als wäre das Glück auf immer fortgezogen und würde niemals wiederkommen. Nur im Mondschein sieht alles wieder wie neu aus, dann träumt Venedig von seiner alten Herrlichkeit und wir träumen mit.
Der Markusplatz ist der große Festsaal von Venedig. Wenn die Militärkapelle am Abend spielt, wandelt das Publikum in breiten Zügen auf und ab. Man hört jeden Ton der Musik, denn die Venezianer lärmen nicht so wie die Neapolitaner. Am Tage beleben Tausende von Tauben den Platz. Sie fressen aus der Hand und kommen scharenweise angeflogen, wenn sie sehen, daß man ihnen eine Düte mit Futter spendieren will. Dabei sind sie sehr anständig.
Neben dem Glockenturme der Markuskirche wird jeden Sonnabend das Zahlenlotto gezogen. Ganz Italien spielt, überall in den Städten gibt es Lotteriekontore, wo die Armut sich für einige Soldi Hoffnung kaufen kann, mit welcher der Staat die besten Geschäfte macht. Kopf an Kopf drängten sich die Leute, um die Nummern frisch vom Faß zu erfahren. Kein Ton wurde laut. Deutlich hörte man das Ausrufen der gezogenen Zahlen. Mit jeder Nummer wurde die Menge stiller. Es war wieder einmal nichts. Nur bei der letzten Zahl – es war die Fünfe – erscholl ein Freudenruf. Einige barfüßige Knaben machten sich ungestüm aus dem Gedränge frei, und während sie laut jubelnd riefen: » Le cinque! Le cinque!« – rannten sie in rasender Hast über die breiten Fliesen des Platzes, um die frohe Botschaft nach Hause zu bringen, daß die Fünfe gewonnen habe. Die anderen konnten wieder aufs neue zusetzen.
Schauerlich ist der historische Boden in Venedig. Die Kerker im Dogenpalaste, die für einen Lire gezeigt werden, sind fürchterlich. Sie liegen nebeneinander in einem schmalen finsteren Gange, an dessen Ende sich eine niedrige Tür befindet. Hier wurden die Verurteilten hingerichtet. Das Blut floß durch ein Loch in das Wasser, und der Leichnam wurde durch die Tür in eine Gondel geworfen, die aufs Meer hinausfuhr, wo man ihn versenkte. Die Gefangenen konnten nichts sehen, wohl aber durch die kleinen Luftlöcher hören, was draußen auf dem Gange geschah, wie die Henkersleute ankamen, wie sie den Block hinstellten und das Beil wetzten. Wenn nun das letzte Gebet gesprochen wurde, durften sie die Hände mitfalten und sich darauf gefaßt machen, daß die Reihe nächstens an sie käme. Dann ward es stille, ganz stille, nur daß es sich regte, hörten sie, und das Atmen von denen, die sie nicht sahen. Dann ein dumpfer Schlag, und es ward wieder laut. Die Richter gingen, die Henker räumten auf, und wenn der letzte Schritt verhallt war, blieben die Eingekerkerten wieder im Dunkeln allein mit grauser Angst, denn niemand war vor dem Geköpftwerden sicher.
In dem Saale des großen Rates hängen die Porträts der Dogen nebeneinander in einer Reihe. An einer Stelle ist jedoch ein schwarzer Schleier statt des Bildes gemalt. Dieser Platz war für das Porträt von Marino Falieri bestimmt, der auch hingerichtet wurde. Mich interessierte diese Lücke, weil ich einmal im Schauspielhause ein ergreifendes Trauerspiel »Marino Falieri« von Heinrich Kruse gesehen habe. Wie muß man doch den Dichtern dafür dankbar sein, daß sie aus einem Stück Vergangenheit eine ganze Welt aufbauen, die der Zuschauer ebenso wenig wieder vergißt, wie der Reisende die Gegenden, deren Anblick ihn entzückten. Man sagt ja, der Dichter führt den Menschen in das Wunderland der Poesie, und das ist dann auch eine Reise. –
Wir nahmen Abschied von Kliebischs, die noch blieben. »Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen,« sagte ich. »Wenn Sie mal nach Berlin kommen, besuchen Sie mich.« Das versprachen sie. Die Kliebisch meinte noch, wenn man gute Musik hören wolle, müsse man nach Deutschland gehen, und in Berlin werde die beste gemacht. – »Gleich in Massen!« stimmte ich ihr bei –
Onkel Fritz trennte sich von uns, um Genua wieder zu besuchen und seine bisher gemachten Erfahrungen beim Abschlusse verschiedener Geschäfte zu verwerten. »Grüße deine Freundin, die Bergfeldten,« tief et mir zu, als wir nach Verona abdampften. Er kann doch nicht leben, ohne mich zu ärgern.
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Wir waren wieder in Verona, in der ersten italienischen Stadt, die wir beim Beginn unserer Reise betraten. Es schlief gerade noch wie damals. Was aber hatten wir in all der Zeit erlebt!
Mein Karl und ich saßen in dem Giardino Giusti, durch dessen geheimnisvolle Zypressen ein warmer Abendwind leise rauschte, als wollte er uns wieder zurück nach dem prangenden Süden rufen. Warum lockte er so schmeichelnd? Wußte er, daß auch wir in Rom aus der Fontana di Trevi getrunken hatten und nimmer die Sehnsucht nach Italien aus dem Herzen verlieren würden?
Verona an dem Strome lag vor uns, in der Ferne röteten sich die Schneegipfel der Alpen in dem Purpur der untergehenden Sonne. »Der letzte Abend im Süden,« sagte mein Karl, »dort jenseits der Berge liegt unser Deutschland, dort wartet das Leben mit seinen Mühen auf uns. Möchtest du wohl hier unten bleiben?« – »Karl, so schön auch die Erde hier ist ... mich verlangt nach der Heimat.« – Es dunkelte bereits, als wir den Garten verließen. In den Straßen von Verona war es still. Auch wir gingen schlafen. Gute Nacht, Italien!
* * *
Wie mir zumute war, als wir in die Halle des Anhalter Bahnhofes einfuhren, das kann ich gar nicht sagen. »Berlin,« jubelte ich, »nun sind wir wieder da! Sei mir tausendmal gegrüßt, Berlin!« – Auf dem Perron erwarteten uns die Kinder. Diese Freude! Wir nahmen einen offenen Droschkon. Unter den Linden standen die Bäume im herrlichsten Grün. Was weiß auch der Süden von unserem Frühling?
Auf dem Palais flatterte die Kaiserflagge lustig im hellen Sonnenglanze. Wir spähten nach dem Eckfenster, aber wir sahen den Kaiser nicht. Er war bei seiner Arbeit. –
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