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Dieser freundliche warme Tag war wirklich der lezte schöne gewesen, wie es im Gebirge sehr oft, man könnte fast sagen, immer vorkömmt, daß, wenn im Spätherbste eine gar laue und warme Zeit ist, sie gewöhnlich als Vorbote erscheint, daß nun die Stürme und die Regen eintreten werden. Von der schönen duftigen Wand, die Tiburius immer von seinem Fenster aus gesehen hatte, und von der er sich anfangs gleich nach seiner Ankunft gewundert hatte, daß die Steine gar so hoch oben auf ihr hervorstehen, kam jezt nicht mehr der schöne blaue Duft zu ihm herüber, sondern sie war gar nicht mehr sichtbar, und nur graue wühlende Nebel drehten sich unaufhörlich von jener Gegend her, als würden sie aus einem unermeßlichen Sake ausgeleert, der aber nie leer werden wolle; aus den Nebeln fuhr ein unabläßiger Wind gegen die Häuser des Badeortes, und der Wind brachte einen feinen prikelnden Regen, der entsezlich kalt war. Tiburius wartete einen Tag, er wartete zwei, er wartete mehrere – allein da der Badearzt selber sagte, daß jezt wenig Hoffnung vorhanden sei, daß noch milde und der Heilung zuträgliche Tage kämen, ja daß diese Zeit eher den Fremden schädlich als nüzlich werden könne: ließ er seinen Reisewagen paken, und fuhr nach Hause. Ein paar Tage vorher, da er gerade im Aufräumen begriffen war, war der Holzknecht bei ihm gewesen, der ihm damals in der Nacht den Weg von dem Schwarzholze nach Hause gezeigt hatte, und hatte ihm den anvertrauten Stok gebracht. Er sagte, daß er eher gekommen wäre, wenn er gewußt hätte, daß der Knopf von Gold sei, er habe es erst gestern erfahren. Tiburius antwortete, das mache nichts, und er wolle ihm für seinen Dienst mehr geben, als der Knopf sammt dem Stoke werth wäre. Er hatte ihm die Belohnung eingehändigt, und der Knecht war unter sehr vielen Danksagungen fort gegangen.
In der Gegend, in welcher Tiburius Landhaus stand, waren noch recht schöne, wenn auch meistens sanft umwölkte Tage. Herr Tiburius fuhr zu dem kleinen Doctor hinaus, der in seinem Garten die klappernden Vorrichtungen hatte, und seine Pflanzenanlagen immer erweiterte. Der Doctor empfing Herrn Tiburius wie gewöhnlich, er redete mit ihm, und sagte ihm aber nichts, ob er ihn besser oder übler aussehen finde. Herr Tiburius erzählte ihm, daß er in dem Bade gewesen sei, und daß es ihm bedeutend gut gethan habe. Von dem Leben und Treiben des Bades, und was sich sonst in demselben ereignet haben könnte, erzählte er ihm nichts. Er stand an den Pflanzenbehältnissen und der Doctor wirthschaftete troz der vorgerükten Jahreszeit noch immer ohne Rok herum. Ehe der Schnee kam, war Tiburius noch wiederholt bei dem Doctor gewesen.
Im Winter nahm er einmal hohe Stiefel und einen warmen rauhen Rok und versuchte im Schnee spazieren zu gehen. Es gelang, und er that es dann noch mehrere Male.
Als aber die Sonne ihre Strahlen im Frühlinge wieder warm und freundlich herab fallen ließ, und als sich Tiburius aus seinen Büchern, welche von dem Bade handelten, überzeugt hatte, daß jezt dort auch schon die wärmere Jahreszeit angebrochen sei, rüstete er wieder seinen Reisewagen und fuhr nach dem Bade ab. Da er zu den Leuten gehörte, welche immer gerne bei dem Alten und einmal Gewohnten bleiben, hatte er schon in dem vorigen Herbste, ehe er nach Hause fuhr, die bisher besessene kleine Wohnung für den ganzen künftigen Sommer von seinem alten Wirthe gemiethet.
Als er dort angekommen war, als man alles ausgepakt hatte, als die seidenen Chinesen vor seinem wohlgeordneten Bette prangten, ging er daran, sich für den heurigen Sommer einzurichten. Er legte sich die schönen Zeichenbücher, die er für dieses Mal mitgebracht hatte, auf das Tischlein, auf das die blaue Wand jezt recht freundlich herein schaute, er legte die Päkchen Bleistiften dazu, die er vorgerichtet hatte, und er fügte noch die niedlichen Kästchen bei, in denen die feinen Feilen befestiget waren, an welchen er die Zeichenstiften spizte. Zulezt, da alles geschehen war, ließ er auch den Arzt rufen, um mit ihm über sein bevorstehendes Verhalten etwas zu sprechen.
Als alles in Ordnung war, fuhr er zu der Andreaswand hinaus. Sie prangte in vollem Frühlingsschmuke. Die Gestrippe, die Blätter und die Pflanzen aller Art hatten jezt das herrliche lachende Grün statt dem Braun und Gelb des vorigen Herbstes, und es leuchtete daraus manches feurige Blau und Roth und Weiß emporgeblühter Blumen heraus. Der Wald hatte das jugendliche hellgrüne Ansehen, und selbst aus manchem liegenden Strunke, der im vorigen Jahre nur dürres Holz geschienen hatte, standen frisch aufgeschossene beblätterte Triebe empor. Nur Erdbeeren, dachte er, werden wohl noch gar keine in dieser Jahreszeit sein.
Er stand eine Weile und ging herum und schaute. Da er das zweite Mal hinaus gekommen war, zeichnete er, und ging dann tief in seinen Waldpfad hinein. Es war auch hier alles anders: der Pfad schien enger, weil überall die Gräser hinzu wuchsen; und die Bäume und Gesträuche hatten lange Ruthen und Zweige nach allen Richtungen hervor geschossen. Selbst die Steine, die er sehr wohl kannte, hatten manches lichte Grün, und auf verschiedenen Stellen, wo nur ein dürftiges Pläzchen zu gewinnen war, stand sogar ein Blümchen empor.
Als auf diese Weise einige Zeit vergangen war, als viele recht schöne Tage über das Gebirge und über das Thal gingen, als er sogar schon einmal durch das ganze Schwarzholz bis hinaus zu dem Anblike der Schneefelder und von da wieder zurük gewandert war, geschah es eines Tages, da er eben mit seinen Zeichenbüchern und mit dem grauen Roke auf dem Pfade schlenderte, daß Maria leibhaftig gegen ihn daher ging. Ob sie gekleidet war, wie im vergangenen Jahre, ob anders, das wußte er nicht, denn er hatte es sich nicht gemerkt – daß er selber ganz und gar der nehmliche war, wußte er auch nicht, weil er nie daran dachte.
Als sie ganz nahe gekommen war, blieb er stehen, und sah sie an. Sie blieb gleichfalls vor ihm stehen, richtete ihre Augen auf ihn und sagte: »Nun, seid ihr schon wieder da?«
»Ja,« sagte er, »ich bin schon seit längerer Zeit in dem Bade, ich bin auch schon oft hier heraus gekommen, habe dich aber nie gesehen, natürlich, weil noch gar keine Erdbeeren sind.«
»Das thut nichts, ich komme doch öfter heraus,« antwortete Maria, »denn es wachsen verschiedene heilsame und wohlschmekende Kräuter, die im Frühlinge sehr gut sind.«
Nach diesen Worten richtete sie ihre hellen Augen erst noch
recht klar gegen die seinen und sagte: »Warum seid ihr denn
damals falsch gewesen?«
»Ich bin ja gar nicht falsch gewesen, Maria,« antwortete er.
»Ja ihr seid falsch gewesen,« sagte sie. »Welchen Namen man von Geburt an hat, der ist von Gott gekommen, und den muß man behalten wie seine Eltern, sie mögen arm oder reich sein. Ihr heißet nicht Theodor, ihr heißet Tiburius.«