Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Herr Tiburius konnte sich nun mit Beruhigung sagen, daß er da sei. Aus der spöttischen Aeußerung des kleinen Doctors war Ernst geworden. Gestern, da er noch in der Ebene draußen fuhr, hatte Herr Tiburius gedacht, wenn er nur nicht eher stürbe, ehe er ankäme, dann wäre alles gut: jezt war er angekommen, und saß bereits neben seinem Tischlein da. Die Leute räumten beinahe die ganze Stube mit den Sachen voll, die sie in dem Wagen fanden. Durch die grünen Schienen der Fensterläden sahen duftige Bergwände herein – er war fast berauscht und legte sich seine Reiseeindrüke zurecht. Da waren noch die unendlichen Felder und Wiesen und Gärten, durch die er gefahren war, und die Häuser und Kirchthürme, die alle an ihm vorüber gegangen waren, dann rükten gar Gebirge näher, dann schwankte ein langer grüner See in seinem Haupte, über den er sammt seinem Reisewagen gefahren war, und dann war das eilende Wasser in dem Thale und das erschrekliche Blizen der Sonne auf allen Bergen. – –

Aber auf das alles durfte Herr Tiburius zulezt doch nicht gar zu stark denken; denn es waren jezt ganz andere Dinge nothwendig, nehmlich, daß seine Wohnung für seine Krankheit gehörig eingerichtet werde, und daß man sehr bald den Badearzt rufe, daß er ihn kennen lerne, und daß sie mit einander den Plan der Heilung verabredeten und sogleich zur Ausführung desselben den Anfang machten.

Es mußte vor allem noch ein größerer Tisch herbei, auf den er die Stöße Bücher, die sein Diener auspakte, legte, daß er sie bei erster Gelegenheit aufschneide, und zu lesen beginne. Dann mußte das Bett, dessen Bestandtheile er selber mitgebracht hatte, im noch kleineren Nebenzimmerchen, das an sein Wohngemach stieß, aufgestellt werden. Das Stahlgerüste desselben wurde in der Eke aufgerichtet, in welcher am wenigsten Zugluft herrschen konnte. Hierauf wurden die Stäbe der spanischen Wand, die er mitgebracht, auseinander geschraubt, gestellt, und mit dem dazu gehörigen Seidenstoffe bespannt, auf dem unzählige rothe Chinesen waren. Weil so viele Mantelsäke, Wagenkoffer und andere Lederfächer herumlagen, mußte der Wirth noch einen Schrein herauf schaffen, den man in das Vorzimmer, wo die Diener schliefen, stellte, daß man das Weißzeug, die Schlafröke und die Kleider unterbringen könne. Zulezt mußten noch die Schirme vor die Fugen der Fenster und Thüren gestellt und die leeren Koffer und Lederfächer in das Wagenbehältniß gebracht werden.

Als alles in Ordnung war, sendete Herr Tiburius nach dem Badearzte. Es durfte nicht aufgeschoben werden, und es war überhaupt ungewiß, ob nicht auf die viele, viele Bewegung, die er auf der langen Reise her gemacht habe, eine arge Krankheit folgen könne.

Der Badearzt war nicht zu Hause und auch sonst nirgends zu finden. Herr Tiburius mußte bis auf den Abend warten. Er saß in seiner Stube und wartete. Am Abende kam der Arzt, und die zwei Männer beredeten sich über eine Stunde lang, und sezten die ganze Wesenheit des zu befolgenden Heilplanes auseinander.

Am andern Morgen begann Herr Tiburius schon den Plan ins Werk zu sezen. Man sah ihn in einem langen grauen zugeknöpften Oberroke den Brunnengebäuden zu gehen und in denselben verschwinden. Er nahm darinnen sein erstes Bad. Und wo man die Molken nahm, wo man in der Sonne saß, und ein wenig hin und her ging, konnte er später auch gesehen werden. So machte er es jeden Tag, und er ging gewissenhaft dorthin, wo es der Zwek erheischte. Um die von dem Arzte vorgeschriebene Bewegung mittelst Gehen zu machen, hatte er sich eine eigene Art ausgesonnen. Er fuhr nehmlich mit seinen Grauschimmeln auf der Straße, die tiefer in das Gebirge führt, eine Streke fort, bis er zu einem gewissen großen Steine kam, den er gleich am ersten Tage entdekt hatte. Neben dem Steine war eine ziemlich große trokene Erdstelle, die aus fest gelagertem Sande bestand. An dieser Stelle stieg er aus, und ging nach der Uhr so lange hin und her, als die zur Bewegung festgesezte Zeit dauerte, dann saß er wieder ein und fuhr nach Hause. Die Leute, die im Bade versammelt waren, lernten ihn bald kennen, und sagten, das sei der Herr, der neulich in dem geschlossenen Wagen gekommen sei.

Die Badezeit war eigentlich schon ziemlich vorgerükt, aber da in diesen Gebirgsthälern die lezten Sommermonate die heißesten und trokensten sind, so war noch ein großer glänzender und auserlesener Besuch zugegen. Darunter waren manche sehr schöne Mädchen. Herr Tiburius, welcher nicht umhin konnte, doch manchmal eine zu sehen, erinnerte sich flüchtig an die Heirathsworte des Doctors – aber er dachte, der Doctor sei ein Schalk, und verlegte sich hier nur auf das, was seiner Gesundheit unmittelbar noth that. Er las allgemach von dem Bücherhügel ein großes Stük herunter, er verrichtete genau alles, was ihm der Badearzt vorgeschrieben hatte, und that noch manches andere dazu, was er selber aus den Büchern lernte und sich verordnete. Er hatte sich auch an seinem Fensterstoke ein Fernrohr angeschraubt, und betrachtete durch selbes öfter die närrischen Berge, die hier herum standen, und die das Gestein in höchster Höhe oben trugen.

Es war seltsam, daß auch hier in dieser großen Entfernung, und zwar schon in sehr kurzer Zeit, nachdem Herr Tiburius angekommen war, der Name Tiburius im Munde der Leute gebräuchlich war, obwohl in dem Fremdenbuche Theodor Kneigt stand, und obwohl ihn niemand kannte. Es mochten ihn wohl insgeheim seine Diener so genannt haben.

Es waren allerlei Menschen und Familien in dem Bade. Da war ein alter hinkender Graf, der überall gesehen wurde, und in dessen verwittertes Angesicht fast ein Schimmer von der sehr großen Schönheit seiner Tochter floß, die ihn überall mit Geduld begleitete und ruhig neben ihm her ging. In einem Wagen mit zwei feurigen Rappen fuhren gerne zwei junge schöne Mädchen mit Augen, die noch feuriger waren, als die Rappen, und mit rothen Wangen, um die gewöhnlich grüne Schleier flatterten. Sie waren die Töchter einer badenden Mutter, die selbst noch schön war, und in ein reiches Tuch gewikelt in dem Wagen zurükgelehnt saß. Dann war ein dikes kinderloses Ehepaar, das eine Nichte mit sich führte, die träumerisch darein schaute, manchmal unterdrükt aussah, und schöne blonde Loken hatte, wie man sie nur immer erbliken konnte. In einem fensterreichen Hause tönten schier immer Claviertöne, und viele Lokenköpfe junger Mädchen und Knaben waren zu sehen, wenn sie aus den Fenstern herausschauten, oder von Innen an denselben vorüber flogen. Dann waren manche einsame Greise, die hier ihre Gesundheit suchten und niemand als einen Diener hatten; dann manche Hagestolze, die über den Sommer des Lebens hinüber ohne Gefährtin herum gingen. Noch sind zwei blauäugige Mädchen zu erwähnen. Die eine sah gerne von einem abgelegenen Balkone mit ihren blauen Augen auf die nicht weit entfernten Wälder hinüber, und die andere richtete sie gerne auf die Tiefe des dahin rinnenden Stromes. Sie ging nehmlich häufig mit ihrer Mutter an den Ufern desselben spazieren. Dann waren die schönen erröthenden Wangen der Landeskinder, die einen kranken Vater, eine Mutter, eine Wohlthäterin hieher begleiteten – der vielen andern gar nicht zu gedenken, die alle Jahre kamen, sich an der Schönheit der Umgebung ergözten, oder nur der Mode huldigten, alles zu beherrschen strebten, jedes neu Angekommene und Schüchterne besprachen und darüber triumphirten. Unter diesen Menschen lebte Tiburius fast scheu fort. Er mischte sich niemals unter sie, und wenn er mehreren auf seinen von dem Arzte vorgeschriebenen Gängen begegnen sollte, so machte er lieber einen Umweg, daß er ihnen auswich. Sie redeten von ihm, da er durch seine Absonderung auffiel; aber er wußte nicht, daß sie von ihm redeten, und wie sie ihn nannten. Er blieb beständig bei dem sich immer ablösenden Gewirre anwesend; denn wirklich kamen in der Zeit immer neue, und schieden die andern.


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