Adalbert Stifter
Der beschriebene Tännling
Adalbert Stifter

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Auf was sich die Leute am meisten freuten, war das Nezjagen, das sich keiner vorstellen konnte, und von dem keiner eine Ahnung hatte. Nur der achtzigjährige Schmied in Vorderstift erinnerte sich, als ganz kleiner Knabe einem solchen Jagen beigewohnt zu haben. In der Dürrau waren Strikneze und Tücher, unabsehlich zu schauen, aufgespannt gewesen, zuerst weiter, dann enger, und dann durch einen Vorhang zu schließen, wodurch das Wild in einem Raume eingesperrt war, in dem es von dem Rande der Tücher herab erschossen werden konnte. Er unterließ nie, wenn er die Sache erzählte, eines Bären zu erwähnen, der mit den andern in's Nez getrieben worden war, und der bald zum allgemeinen Ergözen diente, indem Jeder so schnell als möglich sein Geschik an ihm versuchen wollte. Da nun die Hirsche oft himmelhohe Sprünge wagten, ob sie die Leinwand übersezen könnten, ohne daß es ihnen gelang, so fuhr der Bär, der bereits verwundet war, in seiner Verzweiflung gegen das Gewebe, pakte es mit seinen Tazen, und riß von dem furchtbar starken Geflechte eine ganze Streke heraus, so daß Tuch und Nez weg waren, und daß man von den draußen stehenden Bühnen die nakten Füße und das Gerüste sammt Verlattung sehen konnte. Der Bär und der ganze gehezte Schwarm, der noch übrig war, fuhr nun mit großem Getöse durch das Loch hinaus, und Alle, die zugegen waren, mußten in ein Gelächter ausbrechen.

Ein solches Fest erwartete nun Oberplan, und die Leute waren begierig, wann die Herren kommen würden. Aber sie kamen immer nicht, weil die Vorbereitungen noch dauerten. Es war noch der Haber auf den Feldern gestanden, es war das Sommerkorn noch nicht geschnitten gewesen, und hie und da lag selbst noch eine Gerste auf den Aekern, als die Bevollmächtigten angekommen waren: aber die Gerste wurde eingeführt, das Sommerkorn geschnitten, der Haber gemäht, Beides in die Scheunen gebracht, und man war noch immer nicht fertig, weil Alles vortrefflich werden sollte. Die Axt der Zimmerer erklang im Walde, Verzeichnisse von Treibern und Andern wurden angefertigt, Abmessungen wurden vorgenommen, die Forste, welche durchstrichen werden sollten, wurden begangen, und Versammlungen und Rathe sind gehalten worden.

Endlich, als auf den Feldern nur mehr das braungedörrte Kraut der Kartoffeln und die blaubethauten Häupter des Weißkohles standen, wurde der Tag bekannt gemacht, an welchem die Jagdgesellschaft eintreffen würde. Man rüstete sich zu dem Empfange, und Alles war gespannt.

Am Tage vorher trafen Diener, Pferde und Troß ein.

Als am andern Morgen die Sonne aufgegangen war, und ein recht heiterer funkelnder Herbsthimmel über der Gegend stand, war schon Alles in Bereitschaft. Um zehn Uhr, als auf dem Thurme das Zeichen gegeben wurde, daß sie kommen, sah man es auf der Straße von Honetschlag her durch den Staub von Pferden und Wagen blizen, und als eine Viertelstunde vergangen war, fuhren sie bei der oberen Gasse herein. Sie fuhren dann über das Steinbrükchen des heiligen Johannes, und hielten auf der Gasse vor dem Pfarrhofe und der Schule an, wo der Pfarrer, dann der Schulmeister mit weiß gekleideten Mädchen und gepuzten Buben und die Obrigkeiten standen. Es war eine ganze Reihe von Wägen. Männer und Frauen saßen darinnen. Die Frauen waren nicht geschmükt, sie waren kaum gepuzt. Sie hatten nicht einmal Reifröke an, sondern nur ein schlichtes einfach hinab fallendes Jägerkleid. An den Männern war auch nicht zu erkennen, ob sie in Feierkleidern seien oder nicht; sie hatten sämmtlich Mäntel um; denn es war kühl, und am Morgen war ein schneeweißer Reif über alle Wiesen gewesen. Sie hatten Alle ungepuderte Haare, weil sie nicht im Amte oder in einer festlichen Gesellschaft, sondern nur auf einer Reise begriffen waren. Nur zwei alte Männer hatten schön gelokte Perüken mit blüthenweißem Staube darauf. Im ersten Wagen saß der Grundherr, seine Frau und sein Sohn. Die Buben hatten ein klingendes Lebehoch gerufen, und die Forstmeister, Revierjäger, Heger und Holzmeister des Herrn standen in Ordnung da. Die Mädchen warfen grüne Zweige unter die Räder des Wagens. Der Pfarrer trat hervor, und grüßte den Herrn in einer Rede. Deßgleichen thaten die Richter und Geschwornen. Als der Herr Allen gedankt hatte, als er mit dem Förster von Vorderstift, in dessen Reviere der erste Jagdplaz lag, gesprochen hatte, als er sich besonders freundlich gegen den Schulmeister und die weißen Mädchen verneigt hatte, und der gelüftete Hut wieder auf seinem Haupte saß: fuhren sie weiter. Man fuhr zu dem Rathhause, in welchem dem Grundherrn für die Dauer der Feste seine Wohnung war zubereitet worden. Er stieg aus, und ging mit den Seinigen in seine Zimmer. Alle Mitgekommenen stiegen ebenfalls aus ihren Wägen, um sich in ihre bereit gehaltenen Wohnungen zu verfügen, und sich zu den Festen vorzubereiten. Für die Diener und Pferde waren an einer Straße, die der Minnegraben hieß, und auf der Weide des oberen Anspaches bretterne Hütten aufgeschlagen worden, aus denen am ganzen Tage und einen Theil der Nacht hindurch Zechen und Jubeln vernommen wurde.

Der Tag verging ohne besonderes Ereigniß, außer daß die Oberplaner in Angst und Besorgniß waren, dem Küchen- und Kellermeister alles Erforderliche auszuliefern, und es den hohen Herrschaften recht zu Danke zu machen.

Am nächsten Tage war blos die Jagdmesse. Das Kirchlein zum guten Wasser war mit Menschen angefüllt. In den Stühlen, zu denen man noch vorne mehrere mit Tuch ausgeschlagene gefügt hatte, saßen die Herren und Frauen. Weiter rükwärts befanden sich die Bewohner der Gegend und Alle, die von Ferne herbei gekommen waren. Sie sangen zu den Tönen der Orgel das schöne Marienlied, das man einst eigens für diese Kirche gedichtet hatte, und das sie Alle kannten. Am Nachmittage begaben sich die Herren nach Vorderstift, um im Jägerhause zu übernachten, und dem Jagdschauplaze näher zu sein.

Am Tage, der nun folgte, sollte das große Nezjagen sein.

Die Bewohner der Gegend waren äußerst begierig darauf.

Schon vor Anbruch des Taglichtes gingen die Gruppen auf verschiedenen Wegen und in gedämpften Gesprächen dem Stegwalde zu. Sie ergözten sich schon in Vorhinein an den Dingen, die kommen sollten. Das Wild, hieß es, sei schon alles in dem Nezraume eingeschlossen. Es sollen Hirsche dabei sein, Hasen, Rehe, auch Dachse, Füchse, Marder und vieles dergleichen, ein Luchs soll zugegen sein und manches seltene Thier. Ob ein Bär eingegangen sei, wisse man nicht genau, aber gewiß sei auch einer darunter. Die ganze Sache sei sehr künstlich. Der Jagdraum, in welchem sich Gesträuche, hohe Bäume, Steine und selbst Klüfte befinden, sei in einem großen Kreise von den stärksten Striknezen umfangen, die in eisernen Ringen an gehauenen Bäumen befestiget wären. Innerhalb der Neze seien Tücher gespannt, daß Alles hübscher aussähe. Außerhalb derselben befänden sich die Schießstände der Herren, und gleich hinter denen seien die Bühnen für die Zuschauer; denn die Herren hätten es selber gerne, wenn viele Zuschauer kämen und ihre Kunst bewunderten. Um die Thiere in den Raum zu bringen, seien Wege angelegt worden, nämlich Räume, an welchen zu beiden Seiten Neze empor gespannt wären; diese Räume wären zuerst sehr weit, würden immer enger und mündeten endlich mit einer Oeffnung in den Jagdraum. Da, wo diese Oeffnung sei, befinde sich eine Nezthür, die man sehr schnell von dem Boden empor ziehen und befestigen könne, damit das Wild, wenn es einmal in den Kreis eingegangen sei, nicht mehr hinaus zu kommen vermöge. Durch zehn Tage habe man schon das Wild gegen den Stegwald zusammen treiben lassen. Es seien Jäger, Heger und Treiber verwendet worden, und hätten auf der einen Seite gar bei dem Schlosse Sanct Thomas und dem Jungwalde angefangen, den Forst zu durchstreifen, und auf der andern vom Almwalde und dem Hochficht, um die Thiere gegen den Stegwald zu drängen. Damit die Herren zu ihren Schießstätten könnten, sei von der Glökelberger Straße aus ein Weg mitten durch den grünen Wald angelegt worden, auf dem man gehen, reiten und fahren könne.


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