Adalbert Stifter
Die Narrenburg
Adalbert Stifter

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»Wird aber nicht Pia Schaden nehmen, wenn wir so lange wegbleiben,« sagte Heinrich versuchsweise.

»Wer!?« entgegnete der Alte mit allen Zeichen des höchsten Erstaunens, indem er seinem jungen Begleiter mit der Laterne ins Gesicht leuchtete. Sein Geist hatte in Jahren geschwebt, wo Pia nicht war, und der Geier, der an seinem Gehirne fraß, das Mißtrauen an sich selbst, stand auf, und schlug ihm die düstern Flügel um das Haupt. Er ging hastig und verstummt den Gang zurück, löschte das Licht aus, verbarg mit größtem Scharfsinne die Laterne, führte Heinrich in tiefster Dunkelheit wieder Trepp auf Trepp ab, Gang aus Gang ein, und sie standen endlich plötzlich bei Robert, der an einem Fenster ihrer geharrt hatte. Ruprecht war jetzt wieder ohne ein einziges Wort. Er schritt über einen Vorsaal, schloß auf, und öffnete sich anstemmend die eingerosteten Thürflügel zu den Gemächern. Eine Reihe von Zimmern empfing sie mit schwerer verblichener Pracht; alterthümliche, geschnitzte Geräthe, wunderliche Tapeten, theils noch ganz, theils durch Moder und eigene Schwere zerrissen, Zeltbetten, Putztische, Sesselreihen, Alles von altväterischem Prunke, kunstreich, und doch fest gearbeitet, – Alles bedeckt mit Massen von Staub und Spinnenweben, und ein trübes Licht fiel durch die blinden Scheiben von dem einsamen, funkelnden Tage draußen herein.

Mit den schwermüthigen Gefühlen menschlicher Nichtigkeit und Vergänglichkeit wandelten die Freunde durch diese Stätten versunkenen Glückes und Elendes, und Heinrichs Herz war tief und ahnungsvoll erregt. Er mußte sich einige Male die Hand über seine Augen legen, um sich zu sagen, wo er sei, und um dem Andern sein Inneres zu verbergen.

So hatten sie mehrere Zimmerreihen durchwandelt, einst zu dem verschiedensten Gebrauche bestimmt, von der Oede des Prunksaales an bis zur Heimlichkeit des einstigen Schlafgemaches. Der Alte war ohne viele Theilnahme hinter ihnen gewandelt, aber da die Zimmer zu Ende waren, und sie wieder in einen Vorsaal gelangten, bog er plötzlich um eine Ecke, riß mit sichtlicher Hast und Freude zwei riesengroße Flügel auf – und ein zauberischer Anblick schlug den Freunden entgegen: es war der grüne Saal; mit dem feinsten dunkelsten Serpentine waren die Wände bekleidet, riesengroße Fenster von unten gegen oben zum Theile mit grauer Seide gedeckt, rissen sich gegen den glänzenden Himmel auf, und ihr Glas war glatt und spiegelhaft, als hätte man es in diesem Augenblicke gesetzt – der Grund aber war, weil es der Alte immer putzte. – – Und in der Lichtflut dieser Fenster stand, in die dunkle Ebene des Serpentins gerahmt, eine ganze Reihe der herrlichsten Bilder: es waren sämmtliche Scharnast, Männer, Frauen und Kinder, von Haupt- und Seitenlinien – und wie der erste Blick zeigte, von den besten Meistern gemalt. Man sah selbst Rubens und Van--Dyks Pinsel, die besten Deutschen, und sogar den Spanier Murillo. Heinrich war erstaunt, ja er war betäubt über diese Herrlichkeit. – Da funkelte die Sonne in wundervollem Schmelze auf jener Rüstung, jenem Goldgehänge, jenen Vasen und Geschirren schwer und massenhaft, als müßte ihre Wucht von dem Bilde niederbrechen, – auf dem weichen Goldhaare der Frauen, auf jenem Antlitze, in dem lieblichen Auge, auf dem Munde, der eben nur gesprochen haben muß, auf der Hand, die auf dem Marmortische ruhte, oder den schweren Sammt emporhielt – auf den Gesichtern der Männer, über die, obwohl in tausend Gedanken und Leidenschaften zersplittert, doch dieselbe Familienähnlichkeit hinlief, – Alles glänzte und funkelte da, von der furchtbaren Körnigkeit jener Menschen in Stahl und Eisen angefangen bis zu der Pedanterie und Weichheit derer, die in Tressen und im schwarzen Fracke sind.

Robert, der auch den Saal noch nicht gesehen hatte, war eben so bezaubert, wie Heinrich; – Ruprecht im Uebermaße der Befriedigung und des Stolzes stand da, und drückte sein Gefühl dadurch aus, daß er abenteuerlich und ungeschickt mit seinen Fingern in dem großen Bunde Schlüsseln, den er trug, suchte und arbeitete und nestelte. Er hatte sein Barett abgenommen als wäre er in der Kirche.

Nachdem der erste Eindruck dieser Einfachheit und Größe (denn selbst die Bilder waren weitaus über Lebensgröße) in etwas vorüber war, ging man zur Betrachtung der Einzelheiten über. Da hing gleich zu Anfang der alte Hans, ein frommer Herr und Ritter, daneben sein Eheweib Adelgund, ein echt deutsches Gesicht, wie sie uns so gerne aus den Bildern Albrecht Dürer's ansehen. – Von ihm ab folgte die Reihe eiserner Männer und sittiger Frauen: Bruno und Brigitta – Benno und Irmengard – dann Ubaldus, dann Hermenegild, die Nonne – Johannes der Kreuzfahrer – – und andere und wieder andere – eine ganze Reihe. Vorzügliche Gemälde waren alle, obwohl sie augenscheinlich viel später gemalt wurden, als die Urbilder lebten, aber wahrscheinlich nach vorhandenen, wenn auch schlechten Originalen, denn dafür sprach der in allen Gesichtern der Männer fortgehende Familienzug. Die Namen standen in großen Goldbuchstaben unter jedem Bilde auf dem dunklen Serpentine. Was Heinrich ganz besonders wohl that, war, daß die Bilder ziemlich tief herab gingen, und von oben beleuchtet wurden, wie es denn überhaupt hervorging, daß der Gründer dieser Anstalt nicht die Bilder des Saales wegen aufgestellt, sondern daß dieser in seiner ungeheuern Größe und einfachen Pracht nur zur Verherrlichung jener dienen sollte. So war auch im ganzen wüsten Zimmer nicht ein einziges Geräthstück; bloß an Fenstervorhängen waren die mannigfaltigsten behutsamsten Vorrichtungen, um theils die verschiedensten Lichterspiele auf die Gemälde wirken lassen zu können, theils dieselben vor unmittelbarer Sonne zu schützen. Und wie sehr Ruprecht mit der Sache vertraut war, und sie liebte, zeigte der Umstand, daß er oft durch unbedeutende gelegentliche Züge an Schnüren oder Federn ganze entfernte Bilderreihen plötzlich in das zarteste Licht legte, da sie vorher in ungünstiger Dämmerung geschwebt hatten.

Von den Frauen war keine einzige unschön, manche voll herrlicher Anmuth, und einige Jungfrauen blendend und untadelig. – Von den Männern war keiner unbedeutend, viele schön, einige voll Schwärmerei oder Gewalt des Geistes; alle mit einem sonderbaren Zuge von Ueberschwenglichkeit, wie mit einem Familienzeichen behaftet: – da war Johannes, der Erbauer der Sphinxe und des Obeliskus – dann Sixtus, der Gründer dieses Baues, und wahrscheinlich auch des grünen Saales, dann Ubaldus, der strenge Krieger – und andere. – – Weit unten von denen saß ein alter Mann mit einem Blicke, als glühte Dichtkunst oder Wahnsinn drinnen: es war Prokopus, der Sterndeuter. – Jungfrauen in sanfter Schönheit prangten neben ihm, seine Töchter, und hart daran ein seltsames Paar, zwei Männer: der Eine in reichem Goldkleide widrigen Antlitzes mit furchtbarem, rothem Barte, der Andere im armen grünen Jagdkleide, ein sanftes Bild der größten Jugendschönheit; es waren die Brüder Julianus und Julius, Söhne des Prokopus – – Heinrich erschrak; denn wenn es wahr ist, was ihm ein gesendeter Zufall erst kürzlich geoffenbaret, wenn er ein später Sprosse all dieser Männer ist, so war es dieser Jüngling Julius, durch den der Strom in sein fernes abgelegenes Heimatthal geleitet wurde, daß er selbst nun heute, nach mehr als anderthalb Jahrhunderten, ein verschlagner, unbeachteter, letzter Tropfen desselben, vor der reichen Quelle stehe, aus der er kam. – Wie seltsam die Schicksale der Menschen und der Geschlechter sind! Was mußte nicht geschehen, daß er heute hier stehe, und auf die zarte Stirne, und die großen freundlich lodernden Augen eines Knaben schaue, der vielleicht sein Ur-Ur--Großvater ist, jener Mann, von dem er so viel reden gehört, der gekommen sei, man wußte nicht, woher, der gewaltet, gewirthschaftet, und gelebt habe, so herrlich, wie kein Mensch, und den er sich nie anders, denn als schwachen verkommenen Greis vorstellen konnte, weil der Großvater erzählt hatte, wie er so schön im weißen Barte und schwarzen Sammtkleide auf dem Paradebette gelegen sei, als man gekommen, um ihn mit Gepränge zu begraben, weil er heimlich ein vornehmer Herr und Graf gewesen.


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