Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Frühstück wurde unter unbedeutenden Gesprächen verzehrt.

»Ich werde dich bis zu dem Gitter begleiten,« sagte der Oheim, als Victor aufgestanden war, sein Ränzlein auf den Rüken genommen hatte, und Miene machte, sich zu beurlauben.

Der Greis war in ein Nebenzimmer gegangen, und mußte dort auf eine Feder gedrükt haben, oder sonst einer Vorrichtung zugegangen sein; denn Victor hörte in dem Augenblike das Rasseln des Gitters und sah durch das Fenster, wie dasselbe sich langsam öffnete.

»So,« sagte der Oheim, indem er heraus ging, »es ist in Bereitschaft.«

Victor griff nun nach dem Stabe und sezte seinen Hut auf das Haupt. Der Greis ging mit ihm über die Treppe hinab und über den Gartenplaz bis zu dem Gitter. Beide sagten sie auf dem Wege kein Wort. An dem Thore blieb der Oheim stehen, zog ein Päkchen aus der Tasche und sagte: »Hier hast du die Papiere.«

Victor aber antwortete: »Erlaubt mir, Oheim, daß ich sie nicht annehme.«

»Was? nicht annehmen? was kömmt dir denn bei?«

»Erlaubt es mir, und thut meinen Gefühlen keine Gewalt an,« sagte Victor, »lasset mir in diesem Dinge meine Weise, daß ihr seht, daß ich uneigennüzig bin.«

»Ich zwinge dich nicht,« sagte der Greis, und schob seine Papiere wieder in die Tasche.

Victor sah ihn eine Weile an. Aus den hellen Augen drangen ihm die schimmernden Thränen – Zeugen eines tiefen Gefühles – dann bükte er sich plözlich nieder und küßte heftig die runzlige Hand.

Der alte Mann gab einen dumpfen unheimlichen Laut von sich – es war, wie Schluchzen – und stieß den Jüngling bei dem Gitter hinaus.

Man vernahm gleich darauf den rasselnden Laut und den Stoß, wie sich das Thor zumachte und in das Schloß fiel. Victor wendete sich um, und sah den Greis von rükwärts, wie er mit seinem grauen Roke angethan, seinem Hause zuschritt. Der Jüngling drükte sein Tuch gegen die Augen, die heftig strömten, und nicht enden wollten. Dann kehrte er sich gleichfalls wieder ab und begab sich auf den Weg, der ihn zu der Stelle führte, wo er zum ersten Male diese Insel betreten hatte. Er ging an der einen Seite in den Graben hinab, an der andern hinauf, er ging durch den Zwerggarten, durch das Wäldchen der großen Bäume und durch das Gestrüpp. Als er an dem Landungsplaze angekommen war, waren seine Augen zwar schon getroknet, aber noch sanft geröthet. Der Greis aus der Hul erwartete ihn schon hier, und auch das freundliche blauäugige Mädchen stand in dem Hintertheile des Schiffes. Victor stieg mit dem Spize ein, und sezte sich nieder. Sofort wurde das Schiff zurük geschoben, wendete mit seinem Schnabel um, nach auswärts zu, und schwankte in die Wässer hinaus, während die Insel zurük trat.

Als man an die Spize des Orla gekommen war, war sie schon weit zurük, und ragte, wie einst, mit ihren grünen Bäumen aus dem Wasser heraus. Da das Schiffchen nun mit seinem Körper die Wendung machte, um den Grat des Orla herum, so dekte derselbe die Insel, und ließ sie, wie eine grüne Zunge hervor schauen, die, wie sie sich bei der Herreise verlängert hatte, sich nun hinter die Wände zurük zog. Zulezt, als sie sich der Hul näherten, waren wie damals, als Victor ankam, nur mehr die blauen Wände um das einsame Wasser, und der blaue Widerschein war in ihm.

In der Hul hielt sich Victor ein wenig auf, um mit dem alten Fischer etwas zu reden, und ihm den Fährlohn zu geben. An die Märchen aber, von denen bei der Hinfahrt die Rede gewesen war, dachte man nicht.

In der Hul hatte der Jüngling schon die Verwüstungen des gestrigen Gewitters an den Durchfurchungen des Bodens und an den Zerstörungen der Ufer gesehen. Bei dem Steinsturze aber lagen furchtbare Trümmer herunten, die sich bei dem Eindringen des Wassers gelöst hatten, und von der Höhe herabgefallen waren. Er ging von diesem Bilde der Zertrümmerung vorwärts gegen den Ausfluß der Afel, und von da durch den langen Waldweg empor.

An dem Halse blieb er stehen und schaute auf den See zurük. Die Grisel war kaum ein wenig zu sehen, aber die kahle dämmernde Wand, die er bei seiner ersten Hieherkunft so bewundert hatte, war der Orlaberg. Er schaute ihn jezt eine Zeit an, und dachte, hinter ihm ist die Insel, und auf derselben wird es jezt sein, wie so oft, wenn er von seinen Ausflügen zurük gekommen ist – von den wehenden Ahornen, von der rauschenden Brandung – daß nehmlich irgendwo die zwei einsamen Greise sizen, der Eine hier, der Andere dort, und daß keiner mit dem andern redet.

Nach zwei Stunden war er in Attmaning, und da er aus den dunkeln Bäumen gegen den Ort hinaus schritt, hörte er zufällig das Läuten der Gloken desselben, und nie hat ihm ein Ton so süß gedäucht, als dieses Läuten, das so lieblich in seine Ohren fiel, weil er diesen Klang so lange nicht gehört hatte. Auf der Wirthsgasse waren Viehhändler mit den schönen braunen Thieren des Gebirges, die sie gegen das Flachland hinaustrieben, und in der Stube war alles voll Menschen, da eben Wochenmarkt war. Victor war es, als hätte er unterdessen lange geträumt und wäre jezt wieder in der Welt.

Nachdem er bei dem Wirthe, der ihm damals den Knaben mitgegeben hatte, sein Mahl verzehrt hatte, begab er sich diesmal nicht mit dem Knaben, sondern mit dem stattlichen Wirthswägelchen auf die Weiterreise, das mit ihm dem Laufe der Afel entlang in die offeneren Länder hinausrollte.

Als er wieder zu den Feldern der Menschen, zu ihren Fahrstraßen und ihrem lustigen Treiben hinaus gekommen war, als sich die Fläche mit sanften Hügeln geschmükt in unermeßliche Länge und Breite vor ihm ausdehnte, und die verlassenen Gebirge nur mehr, wie ein blauer Kranz, hinter ihm schwebten: ging ihm das Herz in dieser großen Umsicht aus einander, und eilte ihm weit, weit über jenen fernen kaum sichtbaren Strich des Gesichtskreises voraus, hinter dem die über alles geliebte Ziehmutter und ihre Tochter Hanna wohnen mußten.

6.Rückkehr

Nachdem Victor, weil ihm das Gehen bei Weitem lieblicher dünkte, das gemiethete Fuhrwerk verlassen, und sich für den Rest der Reise auf die gewöhnliche Wanderung begeben hatte, nachdem er auf dem langen Wege zur Mutter, den er darum eingeschlagen hatte, um auch sie die Verehrte und Geliebte um Rath zu fragen, was nun bei der neuen Gestalt der Dinge zunächst zu thun sei, viele Zeit zugebracht hatte: ging er nach so manchem Tage, an dem er durch Felder und Wälder, über Höhen und Niederungen mit seinem Spize gewandert war, wieder über die glänzenden Wiesen in das mütterliche Thal hinab, über die er vor so vielen Wochen mit seinen Freunden hinab gegangen war. Er ging über den ersten Steg, er ging über den zweiten, an dem großen Hollunder vorbei, und durch das alte kleine Gartenpförtchen hinein. Als er näher gegen das Haus gekommen war, sah er die Mutter auf der Gasse vor dem Apfelbaume in der reinen weißen Schürze stehen, die sie gewöhnlich an Vormittagen um hatte, wo sie in der Küche und in dem ganzen Wirthschaftskreise nachsehen mußte.


 << zurück weiter >>