Adalbert Stifter
Feldblumen
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ihr Gesicht schimmerte recht im eigentlichen Sinne von innerer Seligkeit, und mein Herz war schlecht genug, den Men schen um die Freude in diesen Augen zu beneiden – siehst Du, wie viel besser sie ist, als wir Alle. – Hätte sie dieß mein häßliches Gefühl nur von ferne geahnt, sie hätte gewiß ihre Freude mäßiger gezeigt – aber sie traut mir geradewegs ihr eignes schönes Herz zu.

O Titus! Jetzt, wie ich davon schreibe, quellen die Empfindungen jener merkwürdigen Stunde wieder in mir empor, jener Stunde, die ich hervorrief und ewig, ewig, ach, ewig nicht vergessen werde können.

Ich sagte ihr, daß ich recht gern kommen werde, setzte aber hinzu, daß die Bewillkommung sehr bald in einen Abschied übergehen werde, da ich mit Freund Lothar in einigen Tagen eine Reise nach dem Glockner antreten werde. – Denke Dir, Titus, wie mir ward, da bei diesen Worten ihr Gesicht, noch eben leuchtend von der höchsten Freude, auf einmal mit Todesblässe überzogen wurde!

»Wie lange bleiben Sie aus?« fragte sie.

»Zwei Monate« sagte ich.

»Dann sind wir bei Ihrer Rückkehr schon in Frankreich,« erwiederte sie leise; »in vierzehn Tagen gehen wir auf immer fort und werden am Jura wohnen.«

Nun war der Schrecken an mir; ich starrte sie zu Tode betroffen an.

»Wußten Sie das nicht?« fragte sie.

»Ich nicht, sonst hätte ich die Reise verschoben.«

Sie schwieg und ich auch – es war ein peinlich schwüler Augenblick. Die Ankündigung meines Entschlusses, daß ich ja meine Reise aufgeben könne, hätte Alles gelös't; aber es wollte schon so sein, wie es war. – Ich sagte nichts; mir wurde, als liebe ich sie seit einer einzigen Secunde millionenmal mehr als je – ich begreife jetzt gar nicht, warum ich denn das Wort nicht sagen konnte, daß ich gar nicht reisen wolle – sondern eine Stimme lag in meinen Ohren: Nimm jetzt den Abschied von ihr, in dieser Secunde nimm den Abschied; denn es wird keine mehr kommen, wo du allein bist mit der geliebtesten, schönsten, freundlichsten Gestalt deines Lebens, die nun auf ewig, ewig untersinkt; morgen stehe ich wie ein Fremder, wie ein Geschiedener neben ihr – – ich weiß nicht: war es diese Stimme, war es Verhängniß, war es sonst etwas – kurz, ich weiß nichts mehr von dem Augenblicke, als daß ich mich schmerzenswild von ihr abwandte und dadurch auch in ihr die Erregung emporjagte – und daß ich die bittern Worte ausstieß: »Ja, ja – so ist es – ich sollte mein Herz an nichts hängen – an gar nichts; – – den in den Pyrenäen wird schon auch eine Kugel treffen; o gewiß – gewiß!«

Ich wendete mich nicht um und starrte in das Blut des Abendhimmels hinaus; sie regte sich auch nicht hinter mir – wahrscheinlich war sie erschrocken – da trat ein Diener Astons herein und meldete, sein Herr habe den Wagen geschickt und lasse das Fräulein bitten, damit in den Augarten zu fahren, wo man sie am Eingange erwarten werde. Als er abgegangen, wandte ich mich um, und suchte scheu ihr Auge – sie stand noch auf demselben Flecke und ihre Blicke wurzelten auf dem Boden. Ich konnte nicht reden, sondern ging zweimal im Zimmer auf und ab; dann leise zu ihr tretend, sagte ich sanft: »Da es nun einmal unvermeidlich ist – da es doch einmal sein müßte, so gestatten Sie, daß ich Ihnen hier, wo wir allein sind, das Abschiedswort sage; denn vor den vielen Blicken vermöchte ich es nicht – –«

Da hob sie auf einmal die zwei Augen auf, groß und dunkel auf mich gerichtet, und von etwas umdüstert, wie von einem schweren Schmerze – dieß lockte plötzlich auch den ganzen Strom des meinen hervor. – Es ist ja eine alte Schönheit des Menschenherzens: Scheidende lieben sich am heißesten, und alles Schöne und alles Gute, was sie sich in langem Zusammensein gethan, preßt sich in den letzten Augenblick – »O Angela,« rief ich, »liebe, liebe Freundin; ich kann ja die Oede nicht fassen und nicht tragen, daß nun ein ganzes langes Leben vor mir liegt, in dem Sie nicht sind – nicht mehr die holde Stimme, das liebe Auge, das gute Herz – Sie sind so gut, so gut – – und jetzt ist Alles aus!«

Auch durch ihre ganze Gestalt ging eine Erschütterung und Abschiedswehmuth, die immer wuchs und immer mehr ihr Angesicht entfärbte – aber schneebleich wurde sie plötzlich, und plötzlich wegtreten mußte sie, als ich die Worte sagte: »Waren Sie mir denn auch nur im Kleinsten, nur im Wenigsten gut, d. h. anders gut, als Sie es ja allen Menschen, selbst den bösen sind? – Ach, ich weiß erst jetzt, wie unaussprechlich lieb Sie mir gewesen – ach, so unaussprechlich lieb!«

Sie stand am Fenster in Unentschlossenheit und Thränen wankend – mir war vor Bewegung und Erregung alle Welt vergangen; nur das Glutauge der untergehenden Sonne, war mir, als sähe ich es draußen zwischen den grünen Zweigen liegen, und eine Gestalt mit Gold besäumen, die hier vor mir stand und mir so unermeßlich bedeutsam geworden war.

Ich weiß nicht mehr, wie kurz, wie lang diese Zeitlage dauerte – vor meinen Augen schwebt nur immer noch das so weiche, so gütige Angesicht der sonst immer so ruhigen Gestalt, das Angesicht, mit dem sie sich zu mir umwandte – die verhaltnen Thränen waren hervorgebrochen, sie aber trocknete dieselben schnell und sagte mit gesammelter Stimme: »Ich weiß es ja erst seit einer Minute, was ich weiß – gegen Sie muß ich aufrichtig und wahr sein; Sie sind es auch immer gegen mich – ich weiß nicht, ist es gut, was ich thue, ist es nicht gut; aber ich folge meinem Gefühle, das mir sagt, ich müsse es thun: – ich gebe Ihnen gern, gern mein Herz, und ich will Sie lieben, so lang ich lebe.« Sie hielt einen Augenblick inne; dann aber, gleichsam erleichtert, setzte sie noch die Worte hinzu: »Ich mußte es sagen, da es so ist und da Sie fragten; aber da es nun gesagt ist, so dürfen Sie auch für alle Zukunft darauf bauen.«

Ich stand sprachlos bei ihr; in die großen, schönen Augen waren wieder Thränen getreten, und freiwillig, ohne Ziererei und gütig durch die Thränen lächelnd reichte sie mir die Hand, nach der ich schüchtern langte – ich beugte mich darauf nieder und drückte meine Lippen darauf: sie aber, welche meinte, sie müsse nun recht treuherzig gegen mich sein, legte unbeholfen ihre andere Hand auf mein Haupt – ich glaube, wir haben Beide in jenem Augenblicke gezittert.

Ich weiß nicht, wie es war; nur daß ich ihre Hand immer fester gegen mich ziehend, fast erstickt sagte: »Wie, wie nur in der Welt kann ich dieses Glück begreifen und verdienen? O Angela, o Braut, o Gattin!«


 << zurück weiter >>