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Wenn man bedenkt, wie selten ein regierender Fürst geruht, sich von seiner Gemahlin scheiden zu lassen, so kann man sich mit Leichtigkeit vorstellen, mit welchem Eifer ich mich auf die Verfolgung der Gräfin Hutten-Czapska machte, als sich dieselbe auf dem Tapet blicken ließ und Tagesgespräch geworden war. Frau v. Kolemine – denn diese war es – erschien plötzlich in dem Bade Kösen, um Ruhe und Erholung zu finden, und dieser Umstand erschien mir als eine Aufforderung, sie daselbst aufzusuchen.
Ich wollte aus der Haut fahren, als ich im muthigen Ritter in Kösen erfuhr, Frau v. Kolemine sei bereits völlig interviewt und zwar von Fräulein Anny Wothe. Ein Fräulein hatte mich also um eine Nasenlänge geschlagen! Das war doppelt schauderhaft. Denn ich mußte mir sagen, daß nun die Damen anfingen, mir in das ohnehin schon so wenig 81 einträgliche Handwerk zu pfuschen und mir die Löwen des Tages vor der Nase weg zu interviewen. Und zum Unglück hatte Anny Wothe augenscheinlich viel Talent. Denn sie log überaus tüchtig das Blaue vom Himmel herunter, griff meisterhaft aus der Luft, sog virtuos aus den Fingern und machte der Leserwelt das beliebte X so geschickt vor, das selbst das geübteste Auge kaum im Stande war, das ursprüngliche U zu erkennen. Das sah man an der Broschüre, welche sie aus Frau v. Kolemine herausgeschlagen und in welcher sie ausschließlich der Unwahrheit die Ehre gegeben hatte.
Indeß setzte mich ein glückliches Temperament bald über diese Konkurrenz hinweg. Mit Rosine in Rossinis Barbier sang ich: »Anny Wothe poco fa« und ließ mich bei Frau v. Kolemine melden.
Die Dame sei nicht zu sprechen, lautete der Bescheid.
Das macht durchaus nichts, antwortete ich der Dienerin entgegenkommend. Ist die Dame nicht zu sprechen, so lasse ich ihr sagen, daß sie auch wenig zu sprechen habe, daß ich allein sprechen werde.
Die Dienerin ging in das Zimmer zurück, und diese Gelegenheit benutzte ich, einzutreten.
Frau v. Kolemine war allein im Salon und las.
Als sie das Haupt erhob, bemerkte ich auf ihrem 82 Antlitz einen Ausdruck des tiefsten Unwillens. Ich begriff dies. Wie konnte eine Frau zufrieden lächeln, die einem Fürsten die Hand zum ewigen Scheidungsbunde gereicht hatte!
Sie ist eine Dame in dem letzten Viertel dieses Jahrhunderts. Wer ihre Photographie gesehen hat, wird mit mir darin übereinstimmen, daß sie derselben ähnlich sieht.
Mein Herr, sagte sie, indem sie vom Sopha aufstand, ich ließ Ihnen ja mittheilen, daß ich nicht gestört sein wolle.
Das kann ich mir denken, antwortete ich, Sie sind ohne Zweifel mit den Akten Ihres Prozesses beschäftigt, gnädige Frau. und da ist jede Störung unangenehm.
Sehr unangenehm, in der That, sagte sie.
Aber noch unangenehmer muß die Situation sein, in welcher Sie sich befinden, fuhr ich fort. Eben verheirathet, wurden Sie genöthigt, in den Stand der getrennten Ehe zu treten.
Ich bedarf der Ruhe, sagte sie. Kann man denn nicht ein Paar –
Der Fürst und Sie waren eben ein solches geworden, unterbrach ich sie, und gleich darauf meldeten die Zeitungen, daß das Paar sich wieder trennen 83 sollte. Können Sie mir etwas über die Gründe sagen, welche diese Trennung herbeiführten?
Ich wünsche, allein zu sein, mein Herr, antwortete sie mir.
Es ist aber nicht gut, daß der Mensch allein sei, citirte ich aus der Bibel, und ich nehme daher an, daß Sie sich doch noch zu einer Wiedervereinigung entschließen werden.
Ich wiederhole, warf Frau v. Kolemine ein, daß ich allein zu sein wünsche.
O, rief ich aus vollem Herzen, ich bin nicht gekommen, gnädige Frau, Ihre Scheidung rückgängig zu machen. Wenn Sie glauben, daß es gut sei, allein zu sein, so ehre ich Ihre Anschauung. Sie werden also zurücktreten?
Sie halten mich wirklich auf! rief sie in übelster Laune.
Das würde mich aufrichtig freuen, bemerkte ich. Eine Scheidung ist leicht geschehen, aber nicht rückgängig zu machen. Halte ich Sie also auf, so bin ich sehr befriedigt, und mein Besuch hätte einen schönen Erfolg gehabt.
Mein Herr, warf sie ein, meine Zeit ist beschränkt –
Jede Zeit ist beschränkt, rief ich warm werdend, jede Zeit unterscheidet zwischen blauem und rothem 84 Blut und wird immer das blaue für das Patentblut halten, das rothe dagegen für das gegypste. Halten Sie fest, Madame, lassen Sie nicht locker, zeigen Sie der Welt, was eine Unterthanenharke ist, das Gesetz wird auf Ihrer Seite sein!
Wir müssen scheiden, sagte sie entschieden.
Müssen? fragte ich. Kein Mensch muß müssen, sagt mein unsterblicher College Lessing. Freilich müssen wir scheiden, wenn die Frau von Zeit zu Zeit den Gatten verläßt, um mit einem andern Mann den Sekt des freiwilligen Exils zu schlürfen, oder wenn der Gatte es nicht mehr an der Seite seiner Angetrauten, sondern eine Nebenbuhlerin aushält, aber –
Frau v. Kolemine erhob sich rasch und klingelte. Eine Dienerin trat ein. Bitten Sie den Herrn Dr. Köhler, zu mir zu kommen, befahl die Herrin.
Ich ließ sie dadurch nicht abhalten, mir weiter zuzuhören. Aber als ich anfing, ihr Muth zuzusprechen, nichts von ihren Rechten verkümmern zu lassen, trat ihr eben genannter Anwalt ein.
Gestatten Sie mir, Ihnen eine Mittheilung zu machen, sagte er zu mir, nahm meinen Hut und erfaßte meine rechte Hand.
Ich reichte der Dame nun meine linke, die sie aber nicht nahm. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Die linke Männerhand hatte ihr kein Glück gebracht.
85 Der Weg bis zur Thür ging in lebhafter Unterhaltung mit Herrn Dr. Köhler rasch vorüber. Die Thür schloß sich zwischen ihm und mir.
Ich eilte nach Hause, um gleichfalls eine Broschüre zu verfassen, welche demnächst erscheinen und für eine Mark in jeder Buchhandlung und auf jeder Eisenbahnstation vorräthig sein wird. Ich benutzte zu diesem interessanten Werk alle ausführlichen Mittheilungen, welche ich von Frau v. Kolemine und ihrem Rechtsanwalt erhalten hatte.