Julius Stettenheim
Unter vier Augen
Julius Stettenheim

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Bei der Königin von Tahiti.

Könige und Königinnen pflegen auf Reisen nicht zu herrschen, sondern sich lediglich darauf zu beschränken, die Sitten und Gebräuche der fremden Länder kennen zu lernen und Orden zu vertheilen. Diese Erholung ist ihnen wohl zu gönnen. Ohne Ferien muß das Regieren entsetzlich anstrengen und schließlich ermüden. Es giebt ja unter den Herrschaften Faullenzer, solche Landesväter, welche den Purpur auf die leichte Achsel nehmen, sich beim Regieren Zeit lassen und nur das Allernöthigste herrschen. Anders aber der gewissenhafte Regent, der im Schweiße seines Angesichts die Krone trägt, sich keine Ruhe auf dem Thron gönnt und vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht das Volk lenkt. Einer solchen Majestät ist ohne Zweifel von Herzen zu wünschen, daß sie einmal jährlich ausspannt und eine Badereise oder eine Spritzfahrt ins Ausland macht, auf welcher sie Scepter Scepter sein 10 läßt und sich einmal vom ewigen Herrschen ordentlich verpuhstet.

Ich spreche dies aus, damit meine Leser nicht etwa glauben, ich verlangte von einem Herrscher und einer Herrscherin, daß sie fortwährend auf dem Thron hocken sollen, ohne ein einziges Mal die Zügel an den Nagel zu hängen und frische Luft zu schnappen. Im Gegentheil. Wenn ich irgendwo ein Staatsoberhaupt männlichen oder weiblichen Geschlechts auf der Reise weiß, so suche ich es sofort zu interviewen, um es anzuspornen, die Ferienzeit recht auszunutzen und sich während derselben nichts abgehen zu lassen. Nachher, das pflege ich zu sagen, regiert sich's noch einmal so gut.

Die Königin Maraii von Tahiti war in Paris angekommen. Ich konnte sie selbstverständlich nicht links liegen lassen. Freilich, wenn es auf den Portier angekommen wäre, so wäre sie abgereist, ohne mich gesprochen zu haben. Ich sagte ihm aber, er solle nicht eifersüchtig sein, und eilte in den Salon.

Ich war überrascht. Die Königin ist durchaus keine Wilde, wie man sie sich vorstellt. Sie war sogar mit einer Seidenrobe bekleidet, wie eine europäische Dame. Nur an ihrem Gesicht sah ich, daß sie dunkelhäutig ist, sie war nicht etwa braun geschminkt.

11 Mit einer tiefen Verbeugung begrüßte ich sie, worauf sie mir keinen Stuhl anbot, was in Tahiti eine große Ehre sein soll.

Darf ich, hub ich an, Eure Majestät um den Zweck Ihrer Reise fragen?

Man hatte mir in Tahiti viel von Frankreich erzählt, aber ich glaubte nicht daran. Da beschloß ich denn, mich selbst davon zu überzeugen, steckte den Staatsschatz zu mir und reiste ab.

Ich nickte ihr Beifall zu und sagte: Es ist stets das Beste, Länder durch den Augenschein festzustellen. Wie leicht wird Einem eins vorgeflunkert! Haben Eure Majestät auf der Reise Interessantes gesehen?

Bis heute sah ich nur Reporter, sagte die Königin. Allerdings habe ich seit meiner Abfahrt auch nur San Francisco, New-York und Paris besucht, aber überall wimmelte es von Reportern, und doch hatte ich mir gedacht, daß außerhalb Tahiti's auch andere Menschen lebten. So z. B. habe ich weder in Amerika, noch in Frankreich einen König oder dergleichen gesehen. Wie kommt das?

Amerika und Frankreich, belehrte ich die Königin, sind Republiken, und selbst für das Fremdenpublikum halten diese Länder keinen Kaiser oder König, ja nicht einmal den kleinsten Großherzog.

12 Die Königin schüttelte den Kopf. Was ich ihr gesagt hatte, schien ihr unangenehm, und sie fragte: Wer regiert denn die Reporter, von denen diese Länder bewohnt sind, wer besteuert sie, und wer läßt sie köpfen?

Ein Präsident, belehrte ich sie. Um indeß von diesem Thema abzukommen, fragte ich: Haben Eure Majestät eine gute Seereise zu haben geruht?

Eine sehr angenehme, antwortete die hohe Frau, denn auf dem Meere gab es keine Reporter. Ich wurde seekrank, aber nicht interviewt, ich bekam Migräne, aber keine Besuche. O das war herrlich!

Werden Sie den Präsidenten beehren? fragte ich, um sie von den Reportern abzulenken.

Ich weiß es noch nicht, sagte die Königin, aber den Kriegsminister werde ich empfangen, denn er ist kein Reporter.

Aufrichtig gestanden, diese Abneigung gegen meine Berufsgenossen fing an, mich etwas zu geniren. Ich suchte also nach Fragen, welche sie mir beantworten mußte, ohne an die Reporter zu denken. Majestät waren, so fragte ich, schon im Theater?

Ich habe die Sarah Bernhardt spielen sehen, antwortete sie, auch hörte ich die Patti in Chicago, welche bedeutend besser singt. Zu meinem Bedauern hörte ich, daß diese beiden Damen häufig Besuche 13 von Reportern erleiden müssen. Das ist recht, recht traurig! Wenn ich außerhalb meines Reiches etwas zu befehlen hätte, so würde ich alle Reporter köpfen lassen.

Das geht nicht so, Majestät, warf ich ein.

O doch, antwortete sie etwas naiv, sie haben ja Köpfe.

Ich konnte es nicht bestreiten. Um so eifriger suchte ich nach einem anderen Gegenstand der Unterhaltung. Ich ging auf die Literatur über und fragte: Lesen Eure Majestät französische Romane?

Zuweilen, antwortete die Königin. Jetzt z. B. lese ich die drei Musketiere von Dumas. Leider werde ich oft gestört.

Wer darf es wagen – rief ich zornig.

Die lästigen Reporter, sagte sie. Jedes Mal, wenn geklopft wird und ich nicht Herein! rufe, tritt ein Reporter ein und stört mich in einem der drei Musketiere. Auf die drei Musketiere kommen mindestens fünfzehn Reporter.

Da ich noch immer der hohen Ehre theilhaftig war, vor Ihrer Majestät stehen zu dürfen, so brauchte ich mich nicht zu erheben. »Königin!« rief ich mit dem Marquis Posa, »o Gott, das Leben ist doch schön!«

Allerdings, antwortete sie huldvoll, allerdings, wenn es keine Reporter gäbe!

14 Damit entließ sie mich. Ich hatte die Empfindung, als machte ihr dies eine große Freude. Trotzdem verlieh sie mir nicht den geringsten Orden.


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