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Waldlichtung. Anbrechender Tag.
Der Fürst kommt von rechts. Thekla von links. Beide schnell aufeinander zu, reichen sich die Hände.
Der Fürst Daß Sie mir diese letzte Zusammenkunft gewährten, wird mir Ihr Andenken in den Himmel heben.
Thekla Ich bin die Braut des fürstlichen Beamten Heinrich Krey.
Der Fürst Der Bruder verkündete es gestern in das für ihn siegreich beendete Sängerfest. Mir wurde Thekla durch allerhand Listen und Hinterhältigkeiten verwehrt, was meine Mannesehre anging. An Stelle des erwarteten Widerstands traf ich Lächeln und ewige Bereitwilligkeit, nur Sie selbst, die in der Zwischenzeit verschwunden, fand ich erst als Braut wieder. Wer ist wer wagt es eigentlich?
Thekla Kurz, es geschah. Mußte geschehen. Und wäre man auch bald darüber gestorben wir leben beide.
Der Fürst (mit Gebärde) Thekla!
Thekla Sie wollen, Durchlaucht, mich von neuem nicht verführen. Sie sind der Mann, dem ich wieder gehöre, wollte er. Ohne Sie bin ich immer einfältig, das weiß Gott. Doch herrscht, sind Umstände nicht allzu ungünstig, Zucht in mir.
(Der Fürst will seinen Arm um sie legen.)
Thekla Sind Umstände nicht ungünstig. Zucht in mir.
Der Fürst Geliebte! 61
Thekla (mit letzter Willensanstrengung zornig mit dem Fuß stampfend) Zucht! (Der Fürst tritt zurück. Thekla lächelt sofort.)
Thekla In diesen schweren Tagen, in denen ich aus dem Schicksal, das ich von Ihnen erfuhr, über Sie hindachte, bin ich Sie deutlicher inne geworden, als Sie sich selbst wohl erkannt...
(Sie wankt. Der Fürst umfaßt und hält sie einen kurzen Augenblick, doch keusch, in Armen.)
Thekla Sie sind ein entzückendes, unvergeßliches Glück für Frauen. Schlank, warm und hungrig wie ein Kind, bringen Sie einer jeden die Überzeugung bei, sie sei die erste Frau, die Sie umfängt, und rechtfertigen Hingabe. Besitzen aber die für Sie verschwendete Fülle der Empfindungen noch ohne Bewußtsein mit heldischem Übermut, und erst mit den Jahren wird Ihnen aus häufigen Bekanntschaften die Frau deutlich und vertraut werden. Wollte Gott, mein Bild hätte dann in Ihnen noch so viel Leuchtkraft, daß ich nicht unter den Unedlen stehen muß. (Sie nimmt aus dem Busen den goldenen Reif und gibt ihn dem Fürsten. Mit Tränen in den Augen.) Andenken an Thekla Hicketier!
(Der Fürst beugt sich tief auf ihre Hand.)
Thekla Wollen Sie Heinrich Kreys Braut zum letztenmal über die Wiesen begleiten?
Der Fürst Können Sie ihn . . . ?
Thekla Alsbald wohl. Er hat einen edlen Charakter bewiesen.
Der Fürst (im Gehen) Versprechen Sie mir, daß es in Ihrer Erinnerung nicht einst auch von mir heißt: er bewies einen edlen Charakter, sondern: er war ein unvergeßliches Glück für Frauen.
Thekla Dazu sagt mein Herz ja. (Exeunt.) 62
Schippel (tritt auf in Frack und Zylinder) Das sind Situationen, die das Elend der Welt deutlicher machen als allerhand Knotenpunkte. Die vergangene Nacht voll irrsinniger Angst, und solche Morgenstunde, die kein Geld, eher kühlen Tod im Mund hat. Zu dem großzügigen Verzicht auf das Mädchen, der mich mein halbes Leben kostete, auf meine heroische Haltung beim Singfest, das durch mich ein Sieg wurde und bei dem ich von diesen Halunken nur ein Nicken erntete, als Gipfel eine Forderung vor die blanke Pistole. Weil ich dem aufgeblasenen Bräutigam andeutete, seine gloriose Braut habe eher getechtelmechtelt. Welcher Hohn, mich in einer Angelegenheit plötzlich mit ihrem Maß zu messen, in der mir jedes andere erträglicher wäre. Gestern Fest, heute Duell. Ich komme aus dem Frack nicht mehr heraus. Aber so listig eure Grube gegraben ist, ich falle nicht hinein. Ich fliehe! Schleunigst über alle Berge von hier. Ihr sollt mir meinen Brustkasten nicht durchlöchern. Ist ja Mord, einem harmlos Lebendigen, der nie eine Waffe hielt, so begegnen zu wollen. Mit dem Schein auf Recht. Was aber, ihr Hunde, blieb mir von meiner ganzen Heldentat, wenn ich nicht jedem erzählen darf: ich pfiff auf Thekla Hicketier He? Du bist hier total zu Ende, Junge. Die Geschichte ist für dich verpfuscht. Eine Hand, einen Fuß hätte ich gegeben, mich auf der Höhe zu halten. Aber ich lasse mir nicht einfach in den Bauch schießen. Denn ich würde fallen, hatte fürchterliche Träume, sah mich mit einem faustgroßen Loch im Unterleib, und die Gedärme schleiften nach. Was ich schon fest in Händen hielt, verloren; nur mein junges Leben gerettet. Ich will wieder flöten und singen gehen, bleibe auf Trinkgelder erpicht, aber abends im Bett kann ich meinen heilen Leib betasten, darf wieder den Schnabel brauchen, muß 63 meinem ganzen Habitus nicht mehr fortwährend Scheuklappen anlegen. Kurzer Glanz, wie ich Hicketier in Händen hielt. Doch zu welchem Ende sollte es führen: einer bengalisch beleuchteten Leiche. Das ist nichts für meiner Mutter Sohn. Heiland! Hat mich blinder Drang an den Platz geführt, der ausersehen war, mich ins Gras beißen zu sehn. Hier hätte Krey mich niedergeknallt. Aber nun mache ich eine überraschend konträre, sagen wir besser, eine tiefinnerlich entsprechende Geste: verdufte in das Nichts, aus dem ich mich aufhob. (Exit.)
Von der anderen Seite treten auf Hicketier, Krey und Wolke, alle im Frack.
Wolke In fünf Minuten sieben Uhr. Wir sind die ersten. (Zu Krey:) Wie ist dir?
Hicketier Laß deine ewigen Fragen an ihn. Er scheint gefaßt.
Wolke Mir aber stehen Haare gesträubt. Hätte ich diesem unseligen Duell nicht doch noch schließlich das Wort geredet, hätten wir Schippel auf diplomatischem Weg zu dem Unseren gemacht, uns seiner ferneren Haltung versichert. Dieser Mensch, davon bin ich nach seinem Auftreten überzeugt, schlägt eine furchtbare Klinge, schmettert Krey glatt eine zwischen die Rippen. Zudem sah ich unsern Freund im Traum ohne Kopf.
Hicketier Du hast ihn, scheint's verloren.
Wolke Wo bleibt der Arzt? (Zu Krey:) 64 Klopft dein Herz? Was macht der Puls? (Befühlt ihn.) Als du trankst, sah ich, du hast eine belegte Zunge. Was wird das geben!
Krey Und war vorher alles so gemütlich.
Hicketier Schippel hielt sich, als man die Forderung brachte, einwandfrei.
Wolke Ist das ein Wunder? Wahrscheinlich hat er, auf jede blutige Eventualität gefaßt, die Pistole seit Wochen nicht aus der Hand gelegt; Krey aber, dem ich erst den Mechanismus des Drückers erklären mußte, ist vor solchem Schnapphahn geliefert.
Hicketier Versau uns durch deine Feigheit nicht das Bild dieses Zusammentreffens.
Wolke Ich pfeife auf Äußerlichkeiten, da das Leben dessen auf dem Spiel steht, der mir auf Erden das Liebste bedeutet.
Krey (kläglich) Schweig, Wolke.
Wolke Ein Bräutigam, ein Liebender und Geliebter, soll er im Frührot des Lebens in einen grausamen Tod! Bereitet sich hier nicht Mord vor, und bist du, Hicketier, an demselben nicht schuldig? Hast du Krey nicht mit solchem Nachdruck auf die verletzte Ehre seiner Braut gewiesen, die er aus eigenem Antrieb an einem tief unter ihm Stehenden nicht durchaus mit der Waffe hätte rächen wollen, nachdem er seine großzügige Gesinnung schon hinreichend bewies, als er über Theklas nicht aufgeklärtes Abenteuer den Schleier der Liebe breitete? Hast du den Besitz von Theklas Hand nicht gradezu von diesem Duell abhängig gemacht, so daß von allen Seiten Außergewöhnliches geschehen mußte, es überhaupt zu ermöglichen? Und warum das alles? (Zu Krey, der zusammengesunken dasteht:) Mut, Krey! Weil im letzten Grund du Achtung vor den Fisematenten 65 dieses Heraufkömmlings hast. Hicketier, ich ahne in deiner Seele schon lange düstere Vorgänge unterbrich mich nicht! Deine vorgegebene Hoheit ist nur noch ein pappenes Schild. Der Himmel hat dich mit Schippel heimgesucht.
Hicketier Ein Habenichts, schlug er hunderttausend Mark, die an einem schönen Mädchen hingen, aus, hat, eines kläglichen Lohns hinterher von unserer Seite gewiß, mit unentwegt himmlischer Stimme den Kranz ersungen und stellt sich, ungewohnt solcher Prüfungen, mannhaft vor die Mündung einer Pistole. Krey tut nur das Äußerste, zuckt er solchem Heldenmut gegenüber nicht mit der Wimper.
Wolke Unsereins, des natürlichen Vorrangs bewußt, hat nicht den Ehrgeiz, mit Schippel um die Palme zu ringen.
Krey Schweig, Wolke!
Hicketier Es muß mir gestattet bleiben, die menschliche Qualität meiner näheren Umgebung immer wieder auf die Probe zu stellen. Mach Krey durch dein Gehabe im entscheidenden Moment nicht untüchtig.
Wolke Sieben Uhr. Kein Mensch läßt sich sehen.
Krey Vielleicht hat er's vergessen.
Hicketier Unsinn! (Er geht einige Schritte in den Hintergrund.)
Wolke Zwei Minuten nach sieben.
Krey Ich lebte so gemütlich. Du siehst, wie weit du's mit mir gebracht.
Wolke Wie lange müssen wir eigentlich warten?
Krey Mir wird schwach.
Hicketier Könnten sie den Platz verfehlt haben?
Wolke Krey steht vor einer Nervenkrise.
Hicketier (zu Krey) Weise Wolkes Albernheiten doch zurück.
Wolke Acht Minuten nach sieben. Sind wir verpflichtet, bis zum Abend hier zu warten? 66
Hicketier Sie haben uns verfehlt; suchen wir sie zu finden, Kommt! (Exit.)
Wolke Fiele ein Orkan, Erdbeben ein!
Krey Tatsächlich streiken meine Nerven. Und lebte so gemütlich.
(Wolke nimmt Krey unter den Arm und schleppt ihn fast davon.)
(Nach einem Augenblick erscheinen von der anderen Seite Müller und Schultze schwarzgekleidet und winken zurück. Der Arzt, Schippel am Arm haltend, kommt mit ihm in den Vordergrund der Szene, wo Schippel, durch einen Busch verborgen, den auf der Bühne Stehenden unsichtbar ist.)
Der Arzt Nehmen Sie sich zusammen! Nicht kindisch sein.
Schippel (schlotternd im Flüsterton) Lassen Sie mich laufen, Doktor; hätten Sie mich nicht gerade noch erwischt, wäre ich über alle Berge davon. Sie sind ein Freund der Armen, bitte loslassen!
Der Arzt Unsinn. Die Konsequenzen.
Schippel Ich bin ein armer Kerl ohne Konsequenzen.
Der Arzt Seit dem Fest sind Sie in der Bürgerschaft eine angesehene Person.
Schippel Ein Prolet, versichere Sie. Vor vierzehn Tagen noch ungekannt in einem Winkel. Ich verschwinde ins Nichts zurück, molestiere keinen.
(Müller und Schultze haben den Platz abgeschritten, Pfähle in den Boden gesteckt. Sehen jetzt nach der Uhr.)
Der Arzt Ihre Ehre, zum Donnerwetter!
Schippel Ach Doktorchen, habe keine. Schwöre Ihnen. Loslassen! 67
Der Arzt Die Gegner werden einen Strom von Lächerlichkeit über Sie gießen.
Schippel Sollen sie. Ist ja, was ich will, Doktorchen. Bete drum, himmlisch! Bin ja ein Hund, ein Aas, Elender; sage es selbst.
Der Arzt Nur eine Nervenkrise, nichts weiter.
Schippel Durchaus nicht. Mir schlottern die Knie. Ausgemergelt. Der Tod, Doktor! Loslassen. Doktor, der Tod!! Ich falle vor Ihnen nieder.
Hicketier, Krey und Wolke kommen zurück.
Hicketier Da sind die Herren.
(Allseitige Verbeugung.)
Hicketier Die Plätze sind bezeichnet. Bitte jeder an seinen Standort.
(Es begibt sich jeder an seinen Platz. Krey und Schippel stehen sich in der Diagonale der Bühne gegenüber, so daß Schippel ganz vorn rechts die Rampe berührt, und Krey die äußerste Spitze des Hintergrunds links besetzt. Neben Schippel rechts der Arzt, links die zwei Herren, bei Krey links Hicketier, rechts Wolke. Müller hat zwei Pistolen aus einem Kasten genommen, lädt sie, zeigt sie Wolke und sagt)
Müller Zweimaliger Kugelwechsel, zwei Läufe. Beide geladen.
Wolke Komisches Spiel.
(Der Arzt hat seinen Instrumentenkasten geöffnet. Krey steht schwankend.)
Hicketier (leise zu ihm) Mut!
Krey (lallt etwas wie B-lut . . .
Schippel (steht schwankend.)
Der Arzt (leise zu ihm) Mut!
Schippel (lallt etwas wie) T-t-tot. 68
(Schultze hat ein Taschentuch wie eine Fahne gezogen.)
Hicketier Beim Zeichen des Tuchs bei drei: Feuer!
Schultze zählt Eins zwei drei!
(Und schwenkt das Tuch. Krey fällt. Alles läuft zu ihm und zieht ihn ein paar Schritte von der Szene.)
Stimme des Arztes Der Arm unbedeutend geschrammt.
Stimme Wolkes Gott sei gelobt.
(Schippel, der mit ausgestrecktem Arm gleich einer Marmorsäule allein auf der Szene steht, schießt von neuem. Alle außer Hicketier und Wolke stürzen zu ihm.)
Der Arzt Sind Sie wahnsinnig? Alles ist vorbei, Herr Krey leicht verwundet. Sie blieben unverletzt.
Schippel mechanisch Danke.
Der Arzt Wollen Sie zur Versöhnung Ihren Gegner nicht aufsuchen?
Schippel (mechanisch) Bitte.
(Er läßt sich vom Arzt nach hinten führen.)
Wolke (tritt ihm entgegen) Haben Sie Dank, edler, edelmütiger Mann. Nie wird Wolke ihre Großmut vergessen.
Hicketier (kommt und sagt zu Müller und Schultze) Ihres Mandanten Haltung war heldenhaft.
(Müller und Schultze verbeugen sich.)
Hicketier Wie bei dem Singfest voll überlegener Ruhe und Sicherheit.
(Müller und Schultze verbeugen sich.)
Hicketier Ehre, einem solchen Schützen Sekundantendienste zu tun.
(Müller und Schultze verbeugen sich. Exeunt. Schippel kommt zurück. Hicketier tritt ihm gegenüber. Die beiden Männer, allein auf der Szene, schauen sich Augenblicke an: dann sagt)
Hicketier Ich habe Ihnen mit gehässiger Voreingenommenheit, bewußter Abneigung Ihrer Herkunft wegen den Eintritt in unsere Gezirke bisher verwehrt. Sie haben mich 69 besiegt. Für meine Pflicht halte ich es, auszusprechen, wie mich hinfort Ihr Umgang ehrt. (Er reicht ihm beide Hände.)
Schippel Ich bin sehr glücklich.
Hicketier Dieser Tag soll Folgen haben. Das Andenken an das von Ihnen Geleistete darf nicht verloren gehen, und ich setze mich dafür ein, daß Ihnen die höheren Segnungen des Bürgertums voll und ganz zuteil werden. Auf Wiedersehen, lieber Herr Schippel. (Er zieht mit Anstand den Hut vor ihm. Exit.)
Schippel (in voller Sonne allein, verbirgt überwältigt sein Gesicht in Händen) Die Segnungen voll und ganz zuviel. (Leise und mit Glückseligkeit:) Du bist Bürger, Paul. (Er macht vor sich selbst eine ausladende Reverenz.)
Finis.