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Der gleiche Raum.
Thekla (allein. Es klopft ans Fenster. Sie huscht hin, öffnet halb. Man sieht einen Arm, der einen Brief hereinreicht. Sie nimmt ihn, schließt das Fenster. Sieht in das Schreiben:) Heute abend gegen zehn will er . . . o Gott!
Wolke, (der aufgetreten ist im Augenblick, da Thekla den Brief hereinnahm) Ich möchte, ob der Bruder zurück ist, fragen; nicht neugierig sein.
Thekla Um jede Geheimnistuerei Ihrerseits abzuschneiden – Hier! (Sie reicht ihm den Brief.)
Wolke (nimmt ihn nicht) Aber um Himmels willen, Thekla! Wohlgetan. Alles im Sinn göttlicher Weltordnung. Ein Geburtstagswunsch durchs Fenster geweht, dem ich den meinen anfüge. Zudem war ich ohnehin unterrichtet. Menschenkenntnis hat mir das Geheimnis einige Tage vor seiner Evidenz verraten. Ins Gesicht habe ich dem Verliebten seine Neigung gestanden.
Thekla Sie – wem?
Wolke Ich merke, was Sie im Ton haben. Gestatten Sie mir denn auch sofort eine freie Erklärung. Sie wissen von Kindheit an, wie Sie auch mir nie gleichgültig waren. Und keine Rede davon, diese herzliche Zuneigung könne sich im diesseitigen Leben je verringern. Aber da merke ich an Krey . . .
Thekla Krey? 27
Wolke In Ihrer Anwesenheit die gewisse Apparenz völliger Abwesenheit, das ganz bestimmte Weißnichtwas, ja also wie?
Thekla Sie behaupten, Krey – und da – Sie selbst?
Wolke Hier setzt Tragik ein. Vor meinem aufrichtigsten Gewissen erkannte ich Krey mir in allen Eigenschaften so unbedingt überlegen, daß ich zurücktrat. Sie möchten nun argwöhnen, ich leiste für Krey bestellte Arbeit; aber so beeide ich, mich treibt mein eigenes Herz, seine vollendete Männlichkeit, Würde, Bedeutung, lautersten Charakter, Treue, Ehrgeiz, seinen eisernen Willen, aber auch wieder edle Zurückhaltung am passenden Ort, Nüchternheit nicht nur in puncto puncti . . .
Thekla Ich fand ihn immer angenehm. Aber sie sagen nüchtern. So ist er phantasielos?
Wolke Krey ohne Phantasie? O du guter Gott, was hat dieser Mann für ausschweifende Vorstellungen! Eine stumme Großartigkeit innerer Vorgänge prägt sich doch beständig an ihm aus. Nicht nüchtern, aber schüchtern in solchem Grad, daß ich fürchte, man wird ihn zum Geständnis seiner Leidenschaft beinahe zwingen müssen. Und so möchte auch ich Sie, Thekla bitten . . .
Thekla Ihn zu ermutigen? (Für sich:) Könnte mir der Spaß in meinen Dingen dienen? (Laut:) Was Sie von einem Mädchen verlangen . . .
Wolke Freundschaft treibt mich. Denn was der Verzicht mich kostet? – ein Satz spricht es wohl aus, dennoch faßt das Herz es schwer. (Er hat ihre Hand ergriffen und küßt sie.)
Thekla Ich will mich nach Ihren Aufschlüssen zu halten suchen. (Still für sich lachend, geht sie.) 28
Wolke Das heißt ein Sitzer. Wenn seine närrische Natur die Wahrheit immer emsiger einspinnt, müssen ihm von außen her die Zähne mit Gewalt geöffnet werden.
Jenny tritt auf.
Wolke Er ist von Schippel nicht zurück?
Jenny Die Nacht war ein unaufhörliches Ächzen und Stöhnen. Er rang mit dem Gespenst im Traum.
Wolke Im Schmerz besser dynamisches Umsichschlagen, als daß man seine Erregung stumm in sich hineinbeißt wie Krey.
Jenny Leidet er auch um die Geschichte?
Wolke Darum und um ein anderes mehr. Grade flog von ihm ein Brief Thekla durchs Fenster zu.
Jenny Heimlicher Briefwechsel. Du bist närrisch!
Wolke Du kennst mich, Jenny, als gemäßigte Natur. Ich hielt das Schreiben in Händen: er liebt sie.
Jenny Unmöglich.
Wolke Schwarz auf weiß. Und zwar in einer Ehrerbietung, Lauterkeit . . .
Jenny Tilmann wird nicht erbaut sein. Wie ungern gab er sie Naumann, der ihm innerlich viel näher stand als Krey.
Wolke Aber dessen blendende Vorzüge! Die vehemente Kraft seiner Leidenschaft. Ich bitte dich bei unserer Freundschaft . . .
Jenny Laß erst die Affäre mit Schippel in Ordnung sein. Und Thekla vor allen Dingen?
Wolke Sie gestand nicht gerade, aber ich wäre ein schlechter Menschenkenner, spürte ich nicht, wie in ihrer schönen Hülle der Liebesvogel flügge ist.
Jenny Dann freilich verspräche ich jeden Beistand. Von 29 einem Mann nachts am Zaun sprach sie, der zu ihr hinaufsah.
Wolke War Krey! Probatum est.
Hicketier (tritt auf) Viktoria! Ich biege in die Windischgasse, steht Schippel vor mir und zieht unbefangen den Hut. Da kann ich mit ein paar Worten den Handel soweit einrenken, daß eine Besprechung folgt. Er kommt.
Jenny Gott sei Dank!
Hicketier Ich hätte ihn mitgebracht, denn jetzt hat jede Stunde Gewicht.
Wolke Heute noch muß er Probe singen.
Hicketier Er gibt erst irgendwohin Bescheid, folgt mir gleich. Innerlich aber haben ihn indes unsere Angelegenheiten beschäftigt, den Erlaß des Fürsten im Morgenblatt wegen des Festes wußte er auswendig. (Zu Jenny:) Öffne du ihm; es soll ihn nicht fortwährend jeder hier sehen.
(Jenny exit.)
Wolke Und was ich Theklas wegen sagte, bleibt bestehen.
Hicketier Ich würdige deine Besorgnis und errate, was du vorhast; aber schiebe es auf bis nach Beendigung dieser Kalamität, die uns in Atem hält. Übrigens deutete auch Krey äußerst zart an.
Wolke Nicht möglich!
Hicketier Also verwirre mich nicht. Ich muß zu handeln, die Welt rund sehen.
Wolke Und gibst uns den Effekt der Unterredung mit Schippel gleich zu wissen. Wir brennen.
Hicketier Sofort. Sahst du das Geburtstagskind? 30
Wolke In einer Wolke von Schmerz um das Verlorene, schien doch der erste Strahl neuer Hoffnung zu wetterleuchten.
Hicketier Wie poetisch.
Wolke (gibt ihm die Hand, exit.)
Hicketier Er liebt Thekla. (Entnimmt seinem Schreibtisch eine goldene Spange, die er gegen den Kranz vergleichend ans Licht hält.) Dem Modell völlig gleichgeworden. Verlöre ich jetzt den Kranz, ist mir sein Ebenbild bei Thekla ewig unverlierbar. Was sie zu meinem Kunststück sagen wird?
Thekla tritt auf.
Hicketier Gerade wollte ich dich rufen. Tritt her.
Thekla Was ist das?
Hicketier Von meinen Händen gefertigt. Rate, für wen?
Thekla Für wen sonst? Ich danke dir. (Sie sitzt auf seinem Schoß.)
Hicketier Da, was das Kind Thekla an mich band, vom Gang der Zeit gelockert wird – fühlst du den Sinn des Geschenks?
Thekla (ihre Arme um seinen Hals) Ich hänge wie je an dir.
Hicketier Und sich geschwisterliche Liebe, die Hicketiersche Seele täglich mehr versteckt, soll der goldene Reif ein Gleichnis sein. Wo du allein bist, erinnert er dich . . .
Thekla Das ist traurig und tut nicht not. Auch ohne ihn vergesse ich Herkunft und Kindheit nicht.
Hicketier Die Frauen unserer Familie kamen selten auf einen grünen Zweig. Willenskraft der Männer erschien in ihnen als Phantasterei. Je näher du mir stehst, je inniger du auch an der Seite eines Gatten mir verwandt bleibst, um so mehr tust du deiner Natur, deiner Notdurft genug. 31
Thekla Manches in mir bewegt sich nicht fort von dir, so sehr ich auch oft zu anderem hingerissen bin.
Hicketier Und du fühlst, es muß bleiben?
Thekla Nicht so ernste Worte an meinem Geburtstag.
Hicketier Laß mir den Willen. (Er nimmt ihren Arm.) Trag es vor anderen versteckt unter dem Zeug. (Streift ihr das Armband unter den Kleiderärmel.) Dein Elternhaus bleibt deine Zuflucht. Hier geht dein heimlichster Gedanke frei. Das ist mir in die Hand auf ewig versprochen! (Handschlag.) Und nun höre zu, Racker: kaum bist du bräutlich verwitwet, scheint schon ein anderer nach dir begehrlich.
Thekla Ich weiß . . .
Hicketier Wie du aussiehst, ist's natürlich, daß jeder dich will. Und hängt noch ein alter ehrlicher Name und ein Sack Geld an dem Mädchen. Hat der Verliebte Aussichten?
Thekla (in höchster Verwirrung) Ach Gott! (Und entläuft.)
Hicketier Schau schau! Lecker das Kind. (Exit nach der anderen Seite.)
Jenny führt Schippel hinein und geht hinten links ab.
Schippel (steht mitten im Zimmer, sieht sich nach allen Seiten um) Ich wittre mich. Wollust, nach der ich dreißig Jahre gehungert. Nicht länger streune ich in Winde, von einem Tag zum andern werde ich ein regelrechter Name, bei dem Leute sich etwas einbilden. Der dicke Hicketier dachte gestern bestimmt beim Einschlafen: könnte ich den Schippel! 32 (Er geht schleichend herum.) Plüschmöbel! Eure Herrschaft rechnet mit mir. Ich darf mich in euch auslümmeln. (Setzt sich breit in einen Fauteuil.) So ein Bilderalbum gemütlich ansehn. (Er beginnt, in einem Photographiealbum zu blättern.) Kommt einer, stehe ich auf, sage ganz pomadig: Mahlzeit; ich bin hier recht, wurde gerufen, beinah mit Gewalt herangeschleppt. Brave Herrschaften zusammen, Verwandtschaft, honorig, würdig. Goldene Broschen und Ketten. Dicke Siegelringe. Guten Tag, Herr, gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen: bin hier Kind im Haus, kann tun und lassen, was ich will. Aber Herr Schippel! Ein kleiner Rülpser, Pastorchen. Nach einem guten Essen bei Freunden erlaubt.
Hicketier (tritt auf) Zur Erklärung meines gestrigen Verhaltens
Schippel Bedarf es nicht. Hin ist hin. Heute gilt anderes.
Hicketier Um so besser. Unsere Besorgnis, Sie möchten trotz schönen Tonmaterials Ihrer Herkunft wegen die historische Größe des Preisliedes vielleicht nicht fassen...
Schippel Bitter für mich, was Sie sagen.
Hicketier Ich halte nicht hinter dem Berg.
Schippel Nur keine Rücksichten, will man zu wirklicher Verständigung kommen. Aber vielleicht haben wir Glück, und das Lied singt nur so von Wanderlust oder der ganz gemeinen Wald- und Wiesenliebe, zu deren Ausdruck ich infolge meiner wie Sie sagten besonders befähigt bin.
Hicketier Wo lernten Sie Atemführung, Phrasierung?
Schippel Von meiner Flöte. Wie die Löcher auf- und zuklappen, das macht meine Kehle nach. 33
Hicketier Probierten Sie vorm Spiegel?
Schippel Kenne meinen Rachen aus dem Effeff. Der Zapfen funktioniert wie ein Glockenspiel.
Hicketier Wir wollen's also versuchen?
Schippel Stelle mich völlig in den Dienst der Sache.
Hicketier Bravo. Noch ein Wort wegen der Umgangsformen.
Schippel Bin schon versiert. Soll bremsen. Immer langsam voran.
Hicketier Sie sehen eine gewurzelte Natur in mir. Ich lebe von Erde. Alles muß sich bei mir erst herausbilden.
Schippel Verstehe. Nicht wie ich, blitzschnell aus dem Nichts in die Höhe geschossen, auf dünnem Stengel gewissermaßen wackelt der Kopf. Muß mir mein Tempo abgewöhnen. Verstehe. Darf nicht nachgeben, wenn's mir heraufkommt...
Hicketier langsam!
Schippel Zuzupacken vorwärtsgreifend etwa... (Er streckt die Arme gegen Hicketier.)
Hicketier Was ist Ihnen?
Schippel (faszinierend) Auf den Bauch zu klopfen, weiche nicht! (Er klopft ihm auf den Bauch.) Morgen; Tag, Hicketier mein Alter.
Hicketier (fasziniert) Erlauben Sie was fällt Ihnen...
Schippel (sich fassend) Auf keinen Fall so ruppig, verstehe. Immer drei Schritt vom Leib.
Hicketier (außer sich) Anstand, Betragen! Oder!
Schippel Kurz. Ich singe. Schmetternd wie ein Engel. Bin entschlossen. Uns kann keiner... Wann?
Hicketier Heute abend um acht Uhr hier.
Schippel Abgemacht. Schluß.
Hicketier Und immer unter der Voraussetzung, Sie betragen sich in Zukunft wirklich nach meinen geäußerten 34 Wünschen, löse ich mein gestriges Versprechen, einen Knopf in Ihr Portemonnaie zu tun, ein. Hole zwanzig Mark aus der Ladenkasse. (Exit.)
Schippel Atavismus Grauchen. War gestern noch ein Hase, der furchtsam in den Kohl duckte. Ist aber nun so kolossaler Auftrieb lebendig, daß mir Messer an den Zehen, Säbel aus den Zähnen wachsen. Wirst ein wenig wund im Umgang mit mir werden, muß dir deine gepflegte Stube verunreinigen, fürchte ich.
Thekla kommt von rechts nach links und geht, ohne Schippel, der sich verneigt, zu beachten, in ihr Zimmer hinüber.
Schippel (ahmt, denselben Weg nehmend, ihren aufrechten Gang nach und macht dann in der Mitte der Szene halt) Weiße Wäsche weht vorbei. Markiert Abgrund zwischen sich und mir. Wie riechst du, Täubchen? (Er geht schnuppernd Theklas Weg zu Ende.) Frisch!
Hicketier (kommt zurück) Wer ging? (Gibt Schippel ein Goldstück.)
Schippel (nimmt es lachend) Wenn Sie wüßten...
Hicketier War es ?
Schippel Ein Bachstelzchen. Hätten mich, einen Augenblick eher zurück, offiziell präsentieren müssen. 35
Hicketier Davon wird nie die Rede sein. Was meine Familie betrifft, lebe ich streng zurückgezogen.
Schippel Selbstverständlich. Außer . . .
Hicketier Was?
Schippel Singen abends acht Uhr hier.
Hicketier Außer? Reden Sie.
Schippel Lassen Sie mir die Worte im Schnabel. Verrücktes Zeug. Bin in Ihrem Salon immer wie mit Pulver geladen. (Er lacht laut.) Mit Pulver geladen ist gut, was? Aber ich weiß Bescheid; schnell fort, darf erst draußen losknallen. Auf abends. (Exit.)
Hicketier (sich schüttelnd) Außer? Wenn Sie wüßten? Was? Thekla ging vorbei mir läuft eine Gänsehaut über den Leib. (Er ruft ins Zimmer hinten links:) Jenny!
Jenny tritt auf.
Hicketier Zuviel Mannsleute streichen mir bis zum Singfest durchs Haus. Das Mädchen fährt noch heute nach Naumburg zur Tante.
Jenny Krey steckte ihr heute einen Brief durchs Fenster.
Hicketier Krey? Mach ihren Koffer zurecht, schnell. Schick sie her. (Jenny exit.)
Hicketier Krey auch? Die steifsten Böcke schlagen nach ihr aus. Wolke und Krey? Einen Brief durchs Fenster? Und sie verschwieg's, als wir vorhin uns nah waren? 36
Thekla aus ihrem Zimmer tritt auf.
Hicketier Gib mir Kreys Brief.
Thekla (schweigt.)
Hicketier Den Brief rück heraus.
Thekla Er ist nicht von ihm, Tilmann.
Hicketier Also doch von Wolke. Gib ihn. (Vorwurfsvoll:) Warum hinter meinem Rücken?
Thekla (schaut ihn ruhig an) Er ist nicht von Wolke.
Hicketier Von Wolke Krey nicht großer Gott! (Sinkt in einen Stuhl, springt wieder auf und sagt:) Nein nein nein! Sag nein!
Thekla Wozu?
Hicketier Mädchen ich bin närrisch. Raus das Wort ich selbst war schuldig. Gab über den Kranz auf dich nicht acht. Von wem? Thekla!
(Sie stehen dicht beieinander, sehen sich tief in die Augen.)
Hicketier (flüstert) Schippel?
Thekla Du bist närrisch! (Und will gehen.)
Hicketier (faßt sie, reißt sie zu sich heran und sagt) Wer endlich?
Thekla (Stirn bietend) Meine Sache! (Entläuft, die Tür zuschlagend.)
Hicketier Wolf in der Hürde! Sie muß fort. Aber wer es auch ist, ich fasse ihn! 37