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Zweiter Band
Was Carl Wundt nie gekannt hatte, weil bei aller Beschaulichkeit Leben bisher durch ihn bestimmt und es überflüssig war, Gelebtes, ausdrücklich gewollt, näher zu deuten, wurde notwendig: Tagebuch.
In dem er zu erklären suchte, was ihm aus einem anderen Menschen, Eura Fuld, geschah, die ihn eines Tags durch Telegramm gebremst und für sich verhaftet hatte.
Er schrieb: »Seit drei Wochen von der Nacht her, in der ich Person ließ, männlicher Genius vom Weib bezwungen wurde, sitze ich in Gartens Tiefe, in goldenem Käfig, einem Häuschen, das reizend geschmückt, Rasen hinan aufs Schloß mit überallhin dichten Hecken sieht, von meiner Herrin in Versailles bewohnt.
Zeigen könnte ich, wie ich aus üppigem Wohn- und Schlafraum durch Fenster Empirehaus sehe, was für Eindrücke ich von ihm habe, zu welchen Impulsen es mich ruft. Doch hieße es, die Lage verkennen, wollte ich nachdenken, wozu mir Außenwelt dient. Denn sie dient mir zu nichts, weil, was in ihr für mich bereitsteht, von mir nicht beliebig zu brauchen ist. Da aus Einsicht in meine Lage ich auf sie wirksam zu werden nicht versuchen kann, selbst fremden Willens Wirkung zu spüren immer gewärtig. Ich war, dreißig Jahrs alt, Welt zu schauen bemüht, doch so, daß bei leidenschaftlichem Anschauungsbedürfnis in mir zugleich Wille lebte, abwechselnd Subjekt und Objekt des Vorgangs zu sein. Daß aus bewirkter Ursache in wirkende Kraft und umgekehrt werden konnte. Schöpfer war ich und Geschöpftes, wurde im anderen, verging in mich und dehnte Dauer des mich jeweils Entzückenden aus. Aber ich war kein Würger der Welt und blieb Mitlebendigem verpflichtet. Kein Regisseur und tollkühner Held auf der Lebensbühne, doch frommes Publikum im Zuschauerraum.
Seitdem, auf Schönheit und Reichtum gestützt, die junge Frau meine Neigung, Seltenes dringlich anzuschauen, mißbrauchte und mich in ihres Reizes Anblick festnagelte, seit jener Nacht hänge ich in krasser Wollust Wiedergenuß fest und werde nur von Hoffnung, ich sähe Erblicktes von neuem, besessen.
Und ob nach vielfachem Anschluß an Welt mein Geist sich sehnt, ist heftiger leiblicher Wunsch nach Abschluß und Klausur von allem, was nicht Hügel und Brache ihres Leibs, Duft der Düfte, ihrer Farben Rausch und uns schüttelnde Orgie ist. Alles dient in ihrer Erwartung zur Vorbereitung auf Genüsse, die sie bringt. Beardsleys betörende Venus und Tannhäusersage, Hoheslied der Hörigkeit schlinge ich schwimmend in süßen Verführungen. Übriges Gedicht, auch Verlaines zu dürftige Pubertätsbrunst ist aus meiner Nähe als Beaudelaires Ekstase auf der Frau wonnespendenden Leib verbannt. Im Anschluß an ihn schrieb ich:
»Besteig mein Herz grausames, taubes Tier!
Geliebter Tiger, Monstrum, böser Zwinger!
Ich flechte bange, gramdurchwirkte Finger
in deines schwülen Schopfes Rot mit Gier.
In Röcke, prall von deinen strengen Düften
schraube ich das müde schmerzzerrissene Haupt
und schnüffle, Blüte, blattlos und entlaubt
süßlichen Hauch aus meinen eigenen Grüften.
Schlaf will ich sehr! Von Traumschlaf viel Genüsse,
im Schlaf, tiefschwarz und sammten wie der Tod
verspreng ich über deinen Bauch, rosa und rot
und blank wie Kupfer einen Regen Küsse.
Ins eigene, nasse Schluchzen bücke ich mich,
aus deines Schoßes Gruft es hochzunippen;
buntes Vergessen tropft von deinen Lippen,
und Lethe bricht aus deinem Guß an mich.
Gezeichnet häng ich, hörig dem Geschick.
Und, hingegeben, überstürze ich Lüste.
Märtyrer und gelehrig schlurre ich Brüste
von süßen Martern leer und gipfle Glück,
Und sauge brünstig erd- und sorgenfrei
Vergessenheit an deinen strammen Eutern,
in die nie Herz schlug! Schon zu schlapp zu meutern,
wohn ich der eigenen Verwesung bei.«
Wollten Vorwürfe zwischen Ausschweifungen, die wie auf Verabredung so stattfanden, daß Pavillons Tür aufsprang, und ein Geschlechtsstrahl Weib auf den wankenden Mann flog, ihn nach ihrem Verschwinden belasten, beschwor er sich, in seinem Leben steter Arbeit sei das Ereignis Cäsur und nicht Schwäche noch Abirrung vom Weg. Sondern weil Paradigma »Weib« dem Mann wichtiger als übriger Lebensinhalt sei, müsse es auch andächtiger beschaut sein, wie er diese Frau stets besser erkenne, damit sie ihm in Zukunft wie Rest der Welt vertraut sei.
Wochen, die es dauerte, wollte er einmal nur des Abhängens Zustand, ohne vom Baum, an dem er wuchs, gepflückt zu sein. Darum sah er auf Wege, die vom Schloß herabführten, ob kein Mensch nichts Unvorhergesehenes käme. Der Lakai, der Mahlzeiten brachte, erregte ihn, bis er Geschirr in seinen Händen erkannte und ihm andern Sinn des Kommens nicht zutrauen mußte.
Dinge, die sie bei ihm berührte, über die sie schritt, auf die sie sich legte, lernte er in ihrer Abwesenheit auswendig: auf dem Boden den mit springenden Panthern durchwirkten scharlachenen Teppich und den mit flandrischem Gobelin, Putten am Busen der Fruchtbarkeit saugend, überworfenen Divan.
Auf den zu allem Schluß flog er platt und wußte sich mit ihm ihr willenloses Ding.
Eura, die keine Stunde des Kommens hatte und dem Erscheinen keine Verkündung vorausschickte, nahm ihn, Vorsatzes gemäß, wann sie ihn wollte aus dem Prinzip an ihm zu erfüllender gattungshafter Pflicht. In Lust und Fleischwirbel hinein rettete sie höheren Exempels Überzeugung, das sie am Mann statuierte, und über seine Kraft ging ihre Schwäche auf ihren Wink. Knick in ihm, brechender Blick bäumte sie höher als seine männliche Anspannung auf. Faltete er sich, Hülse in ihren Schoß, bezwang ihres Glücks Sinn sie wuchtiger, als war er blühender Erfüller. Sie stülpte, lag er in sie gestürzt, Begriffe und brachte es fertig, schwächte er sie, ihn stärker zu schwächen. Stieß er, riß sie ihn so in sich hinein, daß Abgrund Zange war, die klemmte. Mund, der schreien wollte, schloß sie ihm und ließ in ihre Finger sein Geheul verseufzen, daß nur ihr keuchendes Gemecker blieb.
In Rede schnitt sie ihm, die er anheben wollte, entrenkte ihm, war sie kräftig, Gebärde, gängelte ihn, wo er ging und klappte seine Glieder wie Messers Klingen, haben sie zur Zufriedenheit des Besitzers geschnitten, in Schienen zurück.
Des Großen, das sie für das Geschlecht erfüllte, blieb sie gewiß, daß nicht zufällig in ihren Knien ein Männchen lag, sondern zu ihrer Lust sie Mannorm nicht weniger saftig in Schenkeln würgte, wie Jahrtausende hindurch der Herr der Schöpfung Mädchen und Frauen nach Laune gebraucht hatte.
Ihrem Lieben gab sie Relief und schwelgte Fresken, weil sie summarisch fühlte und aus Gesamturteil, das an ihm vollstreckt wurde, abrechnete.
Er aber erlag endlich ihrer Hypnose und formidablem Auftrieb, weil er ihr täglich herrlicher stand, nachdem er ihm lange Abscheu dann Befremden und Schmerz verursacht hatte. Es war an ihr, die wie ein Raubtier schmauste, ihrer Hüften, zuckenden Brüste, verklärten Antlitzes Pracht nichts zu bessern. Wie sie an ihm fletschte – das war Wurf Gottes ohne Vergleich!
Vor diesem an- und abschwellenden Knäuel, der um ihn balgte, fühlte er in allen Sinnen, gab es nur ästhetisches Gewissen, das beruhigt war, und sonstige Bedenken fielen in Nacht.
Nicht Ursache, die sie über ihre rötliche Schönheit immer verschönte, prüfte er. Aus blendendem Effekt, in den er mehr verschwand, hieß er, was zu ihm paßte, und das er früher mißachtet hatte, gut: prangende europäische Metaphern für Europas sonst unaussprechlichen Reiz und immer mehr Beaudelaire.
Sprach er davon aber Silben, die sie nach und nach anhörte, schüttelte sie heftig den Kopf. Auch dieser Dichter bedeute nur bisherigen Mannbegriffs Gipfel. Sei Frau bei ihm, wie nie zuvor erhöht, sogar des Liebenden Schicksal, sei sie es von Mannes gewohnten Gnaden zu seinem höheren Genuß.
Sie aber gegen alle Übereinkunft verkörpere auch kein zur Venus im Pelz verkleidetes Weibchen, sondern schweife auf eigener Spur, die, kennte er ihr Ziel, wie sie es kenne, ihm keinen Anlaß zu erotischer Verzückung gäbe, ihm vielmehr Trotz des Geschlechts, der ihm anfangs besser stand, für unübersehbare Gefahr wiedergeben müsse.
Immer mehr wagte sie mit ihm, dem er entsprach. Kolossale Liebe probte sie an ihm mit neuen Methoden und sah, seiner Hingabe Schwung überzog sich wie Kautschuk. Als von ihm schließlich nichts mehr zu fordern blieb, wollte sie solche Frauenmacht auf den Mann durch fremde weibliche Augen bestätigt sehen.
Rhone aufwärts reiste sie mit ihm südwärts im gleichen Wagen, der ihn nach Paris entführt hatte. Jetzt aber saß Christine im Rücksitz und wurde aller Zärtlichkeiten und Überlegenheiten Zeuge, die sich Eura mit Wundt erlaubte.
Die ergötzte sich an der Dienerin Verblüffung, von deren Respekt für »den Dichter« sie sich überzeugt hatte, und aus deren runden Blicken kameradschaftliche Bewunderung für der Gefährtin Geschlechtsmut sprach.
Auch in Hotels, und wo man sonst blieb, zog Eura mehr und mehr das Mädchen in eigene innige Gemeinschaft mit dem Mann hinein.
Der glaubte, was die Geliebte mit Christine wollte, zu wissen und nahm die Kleine als etwas, ohne daß Euras weibliche Genugtuung, aus der ihre Schönheit wuchs, nicht vollständig war. Aber er sah Christines Beifall nicht nur, sondern ihre Hübschheit stand Euras einzigen Reizen, weil das aschblonde Püppchen packender Gegensatz zur hohen, ein wenig schweren Herrin mit anderen Farben der Haut, Augen und des Haars war.
Er gewöhnte sich, Eura nicht mehr nur aus ihr selbst, auch aus Vergleich mit Christine zu sehen, und ihm fehlte eine Nuance Glück, stellte zur Offenbarung an seinem Abgott er nicht dessen himmlische Überlegenheit über anderes Weib fest.
Einmal aber, rückfliegend von Christine, blieb so sein Blick in Euras, daß die in ihm las: dieser sprichst du mitmenschlichen Anteil an deiner stärkeren Kraft, epochalem weiblichen Vorstoß zu. Du nimmst mich zugleich im Namen von ihresgleichen, der Minderbemittelten und weckst der Unwissenden größeren sozialen Anspruch an dein Liebesvermögen.
Bedenke, du willst ihn nie erfüllen! Ihr aufgescheuchter Wunsch soll nicht ihres Weibtums Bedeutung, sondern doch nur dein Selbstbewußtsein erhöhen. Und schließlich ist das Ganze nur Koketterie. Entscheide das wohl, entscheide dich gleich!
Da, als ihrerseits Christine sich schon regte, Strumpf auf überstülptem Bein, Brust in Bluse herausfordernd wurde, glaubte Eura wieder an Mannes Betrug und seinen Wunsch, sie von gewonnener Höh zu stürzen, und daß seine Gemeinheit von ihr aus durch neue Tat zu kreuzen sei.
Gerade, weil sie sah, Wundt warnte vor der und wollte lieber, sie gestand: bis hierher reichte angemaßte Kraft, mein Leben ursprünglich zu schaffen. Jetzt versage ich und bekehre mich zu weiblichem Chaos, Verwirrung und Schwäche in deine Hände zurück, weil sie merkte, Tatfähigkeit in diesem Augenblick entschied nicht nur besonderen Fall, sondern Stufe zu Wundt und Welt überhaupt. Es gelte Prestige und Wirkung auf Nachfolge darüber hinaus, und wie jeder Repräsentant müsse sie den Komplex der Verantwortung und möglicher Folgen tragen, doch durchaus über erledigte Urteile der Vergangenheit Recht der Gegenwart behaupten.
Je entschlossener Christine ein von ihr, Eura, an diesem Mann nicht zu fassendes Teil in Besitz nähme, um so deutlicher erscheine auch der geistigen Urheberin Tun nicht launische Besonderheit, uninteressantes persönliches Erlebnis, sondern schon Beispiel und Beginn wider neuen allgemeinen Brauchs, das Halt in alles Bewußtsein gäbe, ohne den gelittener Schmerz und Verzicht nicht entgolten, zukünftiger, schwerer nicht zu tragen wäre.
Jetzt meinte sie, besser als früher zu wissen: in völlig geändertem Sinn Weib müsse sie dem Mann nicht mehr nur in grenzenlosen Ansprüchen, sondern auch in sämtlichen geistigen Methoden folgen, und ihr Wegbruch vor schwerem Hindernis werfe sie geschlagen aus der Bahn.
Im übrigen gelte es, seine Erwartungen zu täuschen und eigene zu erfüllen: bis zum Schluß der Gemeinschaft über Widerstände formende Kraft auch dann zu bleiben, sei der zu bändigende Stoff fatal und nur unter Qualen zu besiegen.
Als plötzlich hergebrachter Weise Christine passiv angreift und mit betonter Hilflosigkeit des Maulwurfweibchens sich vor dem Mann in Ecken duckt, ihm aus Winkeln, in die sie flieht, des Zugreifens Begriff suggeriert, glaubt Eura ihm eine Geste zuschieben zu müssen, die doch nur ihre wachsende Gewalt besser bewiese.
Das Liebesgeschehen, aus der Zeit in ihrer Erkenntnis neu geformelt, müsse so nicht mehr nur für Gegenwart, sondern auch für Zukunft bedeuten, daß über Augenblicks physische Sensationen sie es schon für später wissend besitze und von ihm ein Maß zum Einordnen aller folgenden Liebesinhalte habe, wie bisher der Mann aus denkerischen Ordnungsgesetzen auch wechselnde Mannigfaltigkeit besser besitzen und überwinden durfte.
Und als Carls Bitte in Blicken dringend wird, durch tollere Liebkosungen seine Warnung als ekstatisches Schweigen klingt, schon klar wird, überschreite sie weiter weibliche Grenzen, sprenge sie sein Begreifen und töte seine Existenz, als sie beginnt, dem in ihre Haare Verhängten nächtens Sinn des zu Unternehmenden ins Ohr zu flüstern, sieht sie seine Not und beginnt, über ihren Sieg zu jauchzen.
Ort und Zeit überläßt sie ihrem Werkzeug und bleibt unter Vorwänden dem Mann und Christine fern. In überlebensgroßer Pose, in der sie sich vergöttert, erwartet sie die unausbleibliche Apotheose.
Carl wird im letzten Moment durch Vision zum Entschluß gebracht: zehn Jahr zurück sieht er in Rock und Schopf das junge Mädchen, das er liebte und ließ, weil es zänkisch, was in ihm nicht lebendig gefühlt doch aus Zwängen berechnet war, betonte. Und erblickt es auf der Brücke in Rouen in aller Herrlichkeit noch immer von doppeltem Trieb zerrissen wieder.
Aber wieviel süßer und menschlich hoffnungsvoller scheinen ihm die älteren Bilder als das besessene Weib, das vor sich selbst Messen zelebriert, sich riesig vergleicht und nicht mehr fürchtet, Blut bricht vom Herzen, doch von kolossalen Ornamenten Gips.
Haß, elementare Wut aus erster Nacht seiner Ohnmacht und Schmach sind plötzlich wieder da, ursprüngliches Grauen vor soviel Europa und Zivilisation ersäuft ihn ganz.
Eines Abends abbrechendes Chaos fühlt er kaum und hat von sich selbst erst wieder Begriff, als von italienischer Küste er großes Meer sieht.