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Vanderbilt

1918

 

In fünfzimmeriger Parterrewohnung lebten die Gatten Printz à l'aise. Durch zwei Salons, ein Eß-, zwei Schlafzimmer markierten Möbel in französischen Königsstilen Pracht. In einem gehimmelten Bett Louis XVI. schlief Frau Printz, in einer Mahagoniempirelade er. Allen Gegenständen fehlte ein Fuß, die Bekrönung; angestoßen war an Rändern Porzellan, doch konnte jedes Ding als Gleichnis eines vollkommeneren dienen. Sprach man vom Palais des Herrn Feisenberg, Schloß Linderhof oder von Versailles, durfte man: ein Ding gleich diesem Schrank, Tisch, Stuhl, sagen und das zu wirklicher Pracht Fehlende hinzudenken.

Auch Mahlzeiten deuteten nur an. Man gab ein Süppchen, das mit Fleisch und Zutat Bouillon gewesen wäre, Zwischengerichte, denen zum Entrée Substanz fehlte, ein Kalbskotelett oder Rindsstück, das Sensation wie der zehnpfündige Braten vom gleichen Tier verschaffte. Die saftige Frucht, sei's Apfel, Birne, Nuß, war in zwei Hälften getrennt, beiden Gatten leckeres Dessert. Bei reines Mokkas, russischer Papyros Duft verdaute man so distinguiert wie einer.

Tadellos war stets etwas an ihrer Kleidung. Saß man sich bei Tisch in Kleiderbruchstücken gegenüber, war an der Krawatte, einem Stiefel doch zu sehen, was später würde. Der Frau Frisur, des Mannes blütenweißer Scheitel im schwarzen Haar gaben über Schlafrocktrümmern Haltung, und auch der Nägel Glanz ließ keinen Zweifel am Ende aufkommen.

Stets waren Gesten groß. Mit Würde gab man die fast kahle Schüssel, goß Wasser schwungvoll ins Glas und lächelte fein. Oft schüttelte man die Hand auf besondere Art, daß Armband und Manschette klirrte. Stand eine Flasche Wein zu trinken, hob man den Kelch zeremoniell, hinter seidener Wimper und Monokel blinkte erlesen der Blick.

Als Apotheose, großen Schlußauftritt dachte man das Geringste. Hohe Namen aus allen Kulturen waren zur Hand. Chateaubriand, La Rochefoucauld wimmelten in die schlichtesten Silben, des Eine-Mark-Romans Verfasser wurde mit Swift und Stendhal verglichen. Gefühlen ersetzte man, was ihnen an Innigkeit abging, durch mörderisches Pathos. Konnten sie sich für eine Sache wie ein wirklich Ergriffener nicht begeistern, drängten sie eine Träne in den Blick, drückten Umstehenden die Hand. Oder Frau Printz fiel in einen Stuhl, Herr P. fuhr sich mit dem Tuch über die Stirn, als schwitze sie. Vor jedem Ding, das es gesellschaftlich verdiente, wurde man um einen Grad wärmer als der Empfindlichste.

Dafür lehnte man, was der Kenner Beifall nicht fand, brüsk und unwirsch ab. Den Ausdruck sächsischer Staatsanwälte hatten Printz und Frau, waren zur Milde nicht zu bewegen. Den Menschen, der in mondäner Welt nicht galt, nannten sie Hochstapler.

Niederem Volk waren sie unnahbar. Bronzepfosten, saßen sie zwischen gewöhnlichem Gequirl in der Elektrischen. Ihr Wort an Ladner, Dienstboten hatte metallischen Klang, Kommandoton. Gleichgestellten legte der schlanke Herr P. die Hand gönnerhaft auf die Achsel, fand ihre Meinung scharmant.

Ansichten der Hochgestellten waren Orakel. Bei eines Generals oder Aufsichtsratsmitgliedes Ausspruch wurde Rührung ohne Anstrengung in den Gatten lebendig, ihnen geschah, als habe Ursinn geäußert.

Eigenes Urteil wagten sie nicht. Bis in Knochen spürten sie: mit dreißigtausend Mark Renten aus der Frau Vermögen konnten sie äußerlich der Reichen Aufmachung haben. Nur ein Urteil durften sie sich mit der Summe nicht leisten. Zu ihm, glaubten sie, gehörte das große Haus, zahlreiche Livree, eine berühmte Bücher- und Gemäldesammlung als Voraussetzung. Ein Einkommen von dreihunderttausend Mark, mit einem Wort.

Wie einen Partner, ohne den des Lebens Spiel nicht klappt, brauchte Eugenie Alfons Alexander, bewunderte brutalen Willen an ihm, in oberster Welt gelten zu wollen, obwohl seine Herkunft dunkler als die ihre war, er kein Talent, das ihn berechtigt hätte, mitbrachte. Doch war er des gemeinsamen Aufstieges Veranlasser gewesen, sie folgte ihm wie das Dressierte dem Dresseur. Seine Sprungbereitschaft liebte sie, das Federn an ihm, mit dem er drahtig in jede Situation sprang, vergötterte seinen jedesmaligen Abgang mit Pauken und Trompeten durch die Mitte, der sie an Fortinbras mahnte.

Es ergab sich: der mit dreißigtausend Mark jährlich zu begleichende Aufwand ließ sich gleichwohl mit dieser Summe nicht bestreiten. Denn kam man zu Freunden, die in teuren Restaurants speisten, erst nach Tisch, nahm, bei Bekannten angeblich mit Leckerbissen überfüttert, nur Kaffee und Likör, ging man zu Carusos Auftreten, die Akte miteinander abwechselnd, auf den gleichen Sitz, forderte der Umgang mit Reichen unaufhörlich Bezahlung. So hatte Eugenie, als ohne Alfons' Wissen eine ansehnliche Schuldsumme für den Haushalt bestand, sich schweren Herzens, dringendster Rechnungen Bezahlung von einem Freund, dem Kavallerieoffizier von Bencken, anzunehmen, entschlossen und, als in zwei Jahren das Benckensche Guthaben ziemliche Höhe erreicht hatte, seine Geliebte zu werden, da sie, der oberen Tausend Moral verlangte in der Verhältnisse Anbetracht so taktvolle Handlung von ihr, gewiß war.

Anfangs hatte sie gefürchtet, Benckens zu häufiges Auftreten in ihrer Häuslichkeit möchte Alfons Widerspruch und Argwohn wecken. Zum Glück erklärte ihr Gatte von B. für den bestgekleideten Mann der Stadt, bewunderte dessen in Regent Street gefertigten Kostüme und erwirkte vom Freunde die Erlaubnis, die bei Edouard & Buttler geschnittenen Kleider bei seinem billigen Schneider nachmachen zu dürfen.

Weit entfernt, ihr zu mißfallen, rührte Eugenie dieser Zug ihres Mannes. In Alfons bebte vor allen Kavalieren der Zeit der Wille, an sein selbstbestimmtes Ziel zu kommen; kleinliche Hemmungen gab es für den kessen Fechter nicht. Wie sein Schenkel eines Turners war sein innerer Aufschwung muskulös. Daher bot sie ihres Liebhabers überzähliges Pferd dem Gatten zu Spazierritten an, und abwechselnd war Alfons mit ihr einen Tag um den andern in prallem Dress schneidiger Reiter. Die Gerte, die an Bridges und Gamaschen knallte, sein geziemendes Zepter.

Kein Ereignis im Theater, auf Rennplätzen, in der Gesellschaft war rund, ohne daß mit anderen Prinzen ein Printz beiwohnte; wie ein Witz hieß. Während die meiste Menschheit im Staub schlich, sprengte zu Pferd über Sand ohne andere Mühe das mondäne Paar, als daß es einer gewissen Gesellschaftsschicht jüngste Laune hurtig und unverdrossen riet.

Aus Bencken, der einer Hoheit Adjutant war, zog Eugenie untrügliche Tips. Alfons leistete Damen höchster Kreise zwielichtene Gesellschaft, belauschte ihre geheimen Sehnsüchte, die er als das für ein Weib Korrekte seiner Frau weitergab. An Orte, wo schicke Welt sich traf, liefen sie zwischen Ereignissen. Sie zum Tee; zum Billard er. Beide Bilder der Mode, Zugstücke für ihre Bekleider. Einen Tag wie den andern zur gleichen Stunde.

Unbekümmert ging bei gegenseitiger Achtung ihr Leben eine Reihe von Jahren. Dank kosmetischer Mittel merkten sie keine Veränderung aneinander. Zu Masken waren die Antlitze erstarrt; Empfindungen änderte sie nicht. Nur Übereinkommen zog in ihnen des Lächelns, betroffenen Ernstes Register. Phonographenplatten surrten Reden ab. Selten stieg eine erstklassige Arie, meist schnurrten banale Lieder. Oft kratzte die Nadel im verbrauchten Wachs. Printz' waren hellhörig genug, merkten sie das Geräusch, die Walze mit einem Räuspern zu wechseln, ein weniger verbrauchtes Motiv singen zu lassen. Im übrigen war letztes Gleichgewicht überall erreicht. Wie Mahlzeiten und Hausstand auf den Pfennig berechnet waren, wandten sie für täglichen Reiz nicht mehr inneren Anteil, als unbedingt erforderlich schien, auf. Denn beide liebten abgöttisch das Leben, suchten durch strenge Beherrschung im seelisch Motorischen des Daseins irdische Dauer zu verlängern.

Solchen Anpassungsgrad hatten sie erreicht, daß Lachen beim Essen mit des Silbers und Kristalls Glanz übereinstimmte, einer bösen Laune Grad vom Ton der Möbel nicht abwich, unnötigen Energieaufwand beim Ausgleich zwischen Innen und Außen zu sparen. Eidechsen, glitten sie aus Warmem ins Kalte, blieben in der Ereignisse Hitze wie Salamander unverbrannt. War so ihres Seins Temperatur angenehm lau, gab es ein Thema, bei dem sie warm wurden: Paris. Beide hatten die Stadt noch nicht gesehen, doch kam von dort alles, was sie im Mund führten. Zweimal im Jahr die Mode aus Paris für Frau Printz, von dort Parfüms, Seifen, Puder, hundert Geheimmittel, die sie für die Toilette brauchten. Es kam von dort der Tafel Luxus, doch auch Gemälde, die der Rede, verzückten Augenaufschlages lohnten. Der Balzac, Flaubert, Maupassant erhabenes Werk war dort geboren wie eines Tinseau, Gyp, Prévost bevorzugte Romane. Beim Friseur, im Restaurant, beim Kunsthändler, Antiquar sprach man Paris. Ihres Lebens häufigstes Requisit war das Wort, wie Schminke das des Schauspielers, in Straßen, auf Plätzen der vergötterten Stadt kannten sie der großen Schneider und Modistinnen Ateliers. Öfter sprachen sie die Rue Rivoli, Place Vendôme als einen Odeonsplatz, eine Ludwigstraße aus.

Sie hatten überlegt, ob kurzer Aufenthalt an diesem Mittelpunkt der Welt sich nicht für sie erschwingen ließe. Doch schien eine so phantastische Summe aus tausend verwirrenden Vorstellungen notwendig, daß sie mit ihren Mitteln ein für allemal auf des Traumes Verwirklichung verzichteten. Desto häufiger warfen sie ein Hotel Ritz, Meurice, einen Voisin, Paillard, Larue, Durand-Ruel und Vollard in die Rede, hielten den Mercure de France und die Gazette du bon ton.

Insbesondere bedeutete die Ankunft eines Heftes dieser Revue Festtag bei Printz'. Schon auf dem Umschlag die Aufschrift »Art, modes et frivolités« berauschte sie. Das Wort »frivolité«, an dem sie teilhatten, hob sie aus bürgerlichem Kitsch, der aufdringlich von Nachbarn zu ihnen herstank, machte sie von aller Krapule unabhängig. Über Anzeigen der großen Schneiderfirmen Chéruit, Doucet, Paquin, Poiret, Redfern, Worth, die an dem Blatt mitarbeiteten, schlürften sie der großen Parfümeure und Juweliere Verkaufsangebote.

Sie unterrichteten sich über den Geschmack im Theater, was sie bei Tisch, im Wagen, auf der Jagd, zu Pferd, im Bett, Ansprüchen der strengen Redakteure zu genügen, zu tun oder zu lassen hatten; lernten »die Kaprizen der Wäsche« auswendig, das Geheimnis der Gürtel, Schleier, Muffe. Koffer und Handtaschen nannten sie trunks and bags, kannten die Kunst, untadelige Livreen zu schneiden; wußten, ihr Diener, hätten sie ihn gehabt, wäre ein Muster gewesen.

Vor allem erfuhren sie, perfekt zu sein, müßte man einen Fetisch tragen. Sei es ein Symbol, kühn und unverständlich als einen Elefanten in Malachit, Onyx, Lapis Lazuli mit spirituellem Wahlspruch an der Uhrkette, sei es ein Fetisch-Rebus in Rubinstaub, Glücksschwan oder algebraisches Hieroglyph. Doch auch in jeder Salonecke mußte die kabbalistische Menagerie glänzen, zeigen, der Besitzer habe mit höheren Mächten als Gevatter Schneider und Handschuhmacher Umgang.

Über Eigenheiten und Merktage vorgesetzter Freunde führten sie Buch. Kauften auf dem Markt ein Dutzend Äpfel, zu fünfzig Pfennig das Stück, sandten sie, in ein Körbchen auf Watte gelegt, den hochgestellten Gönnern mit einer Karte: Herr und Frau Alfons Alexander Printz bitten, die frischen, ihnen aus dem Tirol geschickten Früchte freundlichst anzunehmen. Sie fanden es so natürlich, die Krösusse ihrer Bekanntschaft dankten mit mächtigen Fasanen-, Likör-, Terrinenarrangements, wie sie wußten, auch bei des Seelischen und Geistigen Austausch verausgabten die anderen mehr als sie selbst.

An einem Maitag, als Alfons Printz vom Morgenritt auf Benckens »Paria« in der Kraft und Blüte seiner achtunddreißig Jahre heimkam, »rudement beau«, wie er in solchen Augenblicken von sich sagte, trompetete seine Frau ihm zu, sie sei von den Freunden Feisenberg zu vierzehntägigem Aufenthalt nach Paris geladen!

So stark im Manne Bedauern war, daß die Einladung sich nicht auf ihn mit bezog, freute er sich des unverhofften Glanzes um so mehr, als er wußte, seiner Frau enthusiastische Schilderungen verbürgten für ihn selbst bei der Rückkehr manche Sensation. Nun fing in beiden Gatten ein Rausch von Champagner an, von dem sie fühlten, er werde sie bei Vorbereitungen und umständlichen Zurüstungen in den nächsten Wochen bis zur Abreise immer stärker besitzen. Natürlich sahen sie keinen Menschen mehr, dem sie nicht Nachricht zustießen: Frau Printz fährt nach Paris!

Von überallher holten sie Auskünfte. Schneiderin, Putzmacherin, Friseur wurden zu höchster Leistung gespornt, die Reisende wohlfeil in den Stand zu setzen, Ehre mit ihren Schöpfungen in Paris einzulegen.

Als Eugenie mit den Freunden in den Expreßzug stieg, Alfons ihr beim Abschied ritterlich die Hand küßte, stand beiden echte Ergriffenheit im Auge. Sie wußten, in diesen zwei Wochen mußte die Frau mächtige, entscheidende Reserven mondänen Wissens gewinnen, mit der für lange Zeit kostspielig erkauften Erfahrungen des begüterten Freundeskreises ein Paroli gebogen werden mußte.

Über alles hinaus bewegte beide Printz eines Sommerhutes Vorstellung, den für hundert Franken, die ihr Alfons mit dem Taschengeld eingehändigt hatte, Eugenie in Paris kaufen sollte. Sie wußten, mehr als brillanteste Berichte stattgefundener Überraschungen und Ereignisse würde dieser Hut des gefeierten Printzschen Geschmackes wahrer Repräsentant sein, dessen Sicherheit und Überlegenheit einer neidischen, auf ein Versagen lauernden Mitwelt beweisen müssen.

 

In Straßburg, wo die Reise unterbrochen wurde, meinte Frau Printz, französischer Art ersten Hauch zu spüren. Der Kathedrale aus bürgerlich deutschem Gewinkel germanisch-ekstatisch aufragenden Zierat übersah sie, entzückte sich an einem Speisehaus, das französischen Namen trug, in dem man pariserischer Art aß. Die langen weißen Brote gab es schon, von dem ihr jeder Frankreichfahrer gesprochen hatte. Längs der Wand saßen Gäste auf Bänken beieinander, nicht deutsch auf Stühlen um den Tisch. In braunen, irdenen Kasserollen wurde das Angerichtete gebracht: Rebhühner, in Weinblätter gebunden. Und weißen Hautes Sauternes trank man dazu. Klopfenden Herzens wagte Eugenie französisch das Wort an den Aufwärter, und siehe: fließender Rede antwortete er. Schönen Dankes feurige Blicke warf sie ihm manchen zu.

Als man wieder im Zug saß, Nancy, Châlons, Château, Thiérry auftauchten, der Weltstadt mächtiger Lichterglanz endlich den Himmel färbte, bäumte Entzücken in Frau Printz zur Entladung. Beim Verlassen des Kupees begriff sie das eine: Lauter Franzosen standen auf dem Bahnsteig, ehe sie in wollüstiger Besinnungslosigkeit ihrer Person Kontrolle verlor.

Als sie anderen Morgens früh zum Fenster hinauslehnte, war Paris draußen, soweit sie sah. Frauen, die über den Platz liefen, richtige femmes du monde, femmes entretenues oder filles soumises. Cabots, voyous waren employés und hommes d'affaires gemischt, gamins liefen zwischen ihnen. In den Türen lungerten die sattsam bekannten mendiants.

Da sie ins Zimmer bezaubert sich zurückwandte, begriff sie, jeder Gegenstand, den sie faßte, der ihre Vorstellung rührte, wollte französisch benannt sein. Als sie das Gesicht in die Waschschüssel zu tauchen sich anschickte, sah sie die Flüssigkeit als eau froide respektvoll an, trank mit Genuß »den« chocolat, aß ein œuf à la coque dazu. Als sie das befreundete Ehepaar in der Hotelhalle traf, schien der Jüngste Tag angebrochen.

Draußen hatte sie ohne einen Pfennig Eintritt wieder lauter Begriffe um sich, die sie sich früher erst nach Entrichtung des Zolls und mancher Schwierigkeiten hatte verschaffen können. Links lag die Rue de la Paix und, wohin sie den Blick wandte, grüßte als Pinaud, Paquin, Tiffany sie schwärmerisch Verehrtes. Pflaster, das sie trat, Luft, die sie atmete, schienen nichts Plausibles, doch Kostbares, Rares. Der Schlamm, den Männer mit Gummibürsten vom Fahrdamm schoben, ein besonderes Naß.

Als dann die großen Denkmäler vor sie traten, Kirche Notre Dame, die Place de la Concorde, Tuileriengärten, das Louvre, sie an der Seine stand, die ihr mit Inseln und Brücken aus tausend Liebesgeschichten bekannt war, von Daumiers und Gavarnis Blättern her, hätte sie deren ganzes, von der Sonne beleuchtetes Wasser am liebsten ausgetrunken, in der leeren Rinne all der galanten Heldinnen entseelte Körper wiederzufinden, die nach gerütteltem Maß komfortablen Liebesbehagens hier das einzig angemessene Grab gefunden hatten.

Über den Pont des Arts liefen sie am Odéon vorbei auf das Luxembourg zu, gewannen über St. Sulpize den Boulevard St. Germain, die Champs Elysées.

Hier sank Eugenie an der Freunde Seite in einen Stuhl, gab Frau Feisenberg mit innigem Druck die Hand. Doch auch ihres Gesichtes seit Jahren unverändert steinerne Züge waren gesprengt. Neben Schminkflecken blühte ihres Blutes richtiges Rot auf Backen, an Schläfen hatte sich ondulierte Coiffure in von menschlichem Schweiß getränkte Löckchen gelöst.

Eine Woche brauchte sie, aus atemloser Verzauberung sich zu sich selbst und eigenem Urteil zu finden, das ihr von Phänomenen, die sie oft geschaut, geschmeckt, gerochen hatte, zu wissen erlaubte.

An einem Regentag, den sie im Hotel bei einem Buch verbrachte, entblätterte sich die Bilderbuchwelt, einfach wurde die Märchenstadt, stürzte in wenige klare Linien zusammen. Metaphysische Masse begann, sich irdisch zu ordnen, Laut, Licht, Ruch wurde musikalisch deutbar.

Nun trat nach unbändig kindischem Vergnügen, das ihr jeden Nerv gewärmt hatte, die Mahnung zur Pflicht an sie heran, die bei der Abfahrt auf dem Bahnhof dringend in des Gatten Auge gestanden hatte. Noch war für später nichts getan. Hätte sie jetzt abreisen müssen, mit vagen Angaben wäre flüchtiges Gespräch daheim zu füllen, nicht mit jauchzenden, schmetternden Gewißheiten Menschen zu überzeugen und beeinflussen gewesen. Mit großem Ruck ging sie auf Kenntnis der Dinge zu, die sie bis jetzt überfallen hatten, und, sank sie vor einer Erscheinung noch in Fassungslosigkeit, vor eines Silberfuchses Prachtexemplar, einem einsamen walnußgroßen Smaragd, der Leistung Guitrys, der Réjane, blieb sie im ganzen gefaßt, sich gründlich über alles, was die einzige Stadt und seine Bewohner ausmachte, zu unterrichten gewillt.

Zunächst stellte sie fest, der Geschlechter Beziehungen schienen im Gegensatz zu Deutschland unbefangen und entblößt. In Parks und öffentlichen Anlagen saßen gutgekleidete Frauen, die das Kleid öffneten, dem Kind zu trinken gaben. Sie sah, im Verkehr war die Frau der Angreifer. Mutig und ausdauernd ließ sie sich in einem begonnenen Kuß von keinem Vorübergehenden stören. Alle Arten der Liebe fand Eugenie legitimiert, durch sie die Pariserin ebenbürtig zu des Mannes Arbeit gestellt und sie begleitend. Nicht wie zu Haus erschien als Soldat, Politiker und Mann von Bedeutung nur das Männliche herausfordernd, überall ging auftrumpfend Weibliches mit, in einer Farbe, einem bis über die Wade gezeigten Bein, einer dezenten Schamlosigkeit, die immer damenhaft blieb, sich meldend.

Noch in der Kokotten gemalter Schönheit fand sie das prachtvolle Zutrauen, das die Frau zu ihrem natürlichen Schmucksinn überall haben sollte, in bis zu afrikanischer Wildheit gesteigerten Frisuren und Aufdonnerungen Temperamentsausbrüche, die neben des Mannes Posen und Paradeschritt bestanden.

Den Mann erkannte sie bequemer, weil er durch der Frau gewohnte Begleitung mehr auf sie angewiesen war. Von ihm ging nicht jene Fremdheit aus, die sie von Deutschen angeweht und verblüfft hatte. Er war der Kamerad, der mit dem Weib Lebendiges teilt, mit Ideen und kategorischen Befehlen sich keine Vorwände geschafft hat, hinter die er, ein Freimaurer und Clubman, gelegentlich verschwindet. Mit erotischem Reiz konnte man ihn augenblicklich zur Ordnung, zur Sache rufen, und häufiger kam dieser Reiz von eines Kostüms pikanter Laune als einer Nacktheit her.

Der Pariserin Kleid wurde von Eugenie bis ins Raffinement begriffen. Hatte sie daheim die große Linie aus Journalen erwischt, drang sie jetzt in der Unterröcke und Wäsche letzten Schlitz, fing aller Raffungen, Falten, Linien gängelnder Geschmeidigkeit Reiz, sah einer Midinette die verschmitztesten Rhythmen ab. Nun hing beim Einschlafen eines sich senkenden Fußes, gereckten Knies, der offenen Achsel wundervolle Wendung von ihrer Wimper, kitzelte sie in allen Gliedern. Aus besserem Maß sah sie ein, wie falsch Frau Zuckschwerdt, Exzellenz von Schaltitz saßen, grüßten, griffen, wie naiv ihr krampfhafter Flirt, ihrer Blicke Winken war. Mit dunklem Erröten gestand sie sich auch, sie hatte bis in ihr fünfunddreißigstes Jahr Bencken und Alfons Alexander mit Minderwertigkeiten gefesselt Zog sich im Hotel die Welt zur Abendtafel an, stand sie im dunklen Zimmer, sah schönen, halbnackten Frauen hinter durchsichtigen Gardinen in beleuchteten Räumen unaussprechliche Geheimnisse ab und frohlockte!

Als sie sich vorbereitet fühlte, übertrug sie das Erfaßte in die eigene Praxis. Mit herrlichem Schleifen kam sie eines Morgens des Hotels Freitreppe herab, und unten, beim Blickkreuzfeuer blasierter Menge, wagte sie die große Geste: den vielknöpfigen Handschuh zu knöpfen, renkte sie den Oberarm an den Körper aus der Schulter, und den Unterarm aufrecht, fast rechtwinklig zu ihm stellend, schloß sie feierlich ein Knopfloch ums andere. Sie merkte, wie beifällige Stille folgte. Ein andermal faßte sie bei der Ankunft im Restaurant das feine Leder oben am Rand, und es mit Ruck wie Schlangenhaut zum Handgelenk stülpend, ließ sie weiß den Arm sehen, daß alle Welt die Sensation vollständiger, sehr gewagter Entblößung hatte.

Fünf Tage vor der Abreise brach aus unteren Bezirken, wo sie ihn gebändigt hatte, an den zu kaufenden Hut der Gedanke mit elementarer Macht herauf. Doch noch vermochte sie ihn zurückzudrängen, an der Herrschaft über sie zu hindern. Von der Gewißheit erfüllt, was für den Gatten und sie von diesem Kauf abhing – denn entschwinden würde Paris mit allem, was der Freunde Börse in himmlischen Tagen für sie schaffte, bleiben als dieser hohen Zeit einzig sichtbare Trophäe der Hut –, wollte sie ihn kaufen, wie Napoleon auf Schlachtfeldern, Frauen in Schlafzimmern der entscheidende Sieg gelingt: jäh und aus Eingebung höchsten Erfolg verbürgend.

Je mehr sie sich mit exaktem Wissen Gegenständen des verschwenderisch angebotenen Luxus näherte, sie sichtete, ihrem Urteil unterwarf, hinsichtlich des in hunderttausend unbeschreiblichen Varianten um sie her erscheinenden Huts sah sie von kleinlichen Feststellungen ab, wartete gläubig auf das Ereignis als auf ein mystisches Kataklysma, das sie mit jenseitiger Gewalt auf das einzig mögliche Exemplar blitzschnell nageln mußte.

Inzwischen beschwichtigte sie den Gatten, der einige Male, Bencken, der auch nach dem Hut gefragt hatte, mit Tips für die männliche Garderobe, die sie den mit dem letzten Boot aus England gekommenen Gentlemen abgesehen hatte.

»Der Schuh«, schrieb sie, »ist beim Mann noch immer Gradmesser sozialer Geltung. Höchstes Erfordernis bleibt, er unterscheidet sich auf den ersten Blick klassisch von jenem industriellen Massenartikel, der auch dem Durchschnittlichen in Lackstiefeln aufzutreten erlaubt. Ich empfehle die Gamasche, beige oder weiß, in jeder Form bis zum Mittag, doch ist es unbedingt, Du wechselst mit dem Glockenschlag zwei den farbigen Schuh gegen den schwarzen Chevreaulackstiefel.« Oder: »Überlaß es anderen, bei Jagdeinladungen mit schwarzem Rock des Waldes kolorierten Zauber zu entweihen. Doch auch Rot ist shocking, existiert nur in Albums von Crafty. Denkbar ist Maronenbraun, Grün einer Weinflasche oder das bleu royal foncé. Doch alles mit weißer Hose und glänzendem (nicht mattem!) hohen Hut.«

Diese Schreiben sandte sie »durch Eilboten bestellen, nicht bei Nacht«. Die Nachricht: »Zigaretten raucht man ohne Goldmundstück«, gab sie Bencken telegrafisch.

Begleitete sie Frau Feisenberg zu Einkäufen, die, je näher die Abreise rückte, um so stürmischer wurden, wohnte der Anprobe von Kleidern, Mänteln, deren Schnitt sie absah, allerhand Toilettenkleinkram bei, hatte sie noch zu keiner Putzmacherin den Schritt gesetzt, keine Auslage mit einem Blick gestreift. Denn zu deutlich wußte sie vom Besuch des Louvremuseums her wieder, wie schnell das Auge glänzender Auswahl gegenüber erblindet, wie stumpf der ermüdete Blick vor einem Meisterwerk steht.

Sie erlebte noch einen Feiertag in Versailles, wo über Imperatorenanlagen sich mit gelassener Selbstverständlichkeit das seiner Erziehung sichere Volk ausgoß, den Besuch von Kunsthandlungen, bei dem sie feststellte, Matisse sei nächster Zukunft Trumpf; einen Abend, einer Nacht Beginn in einem Tanzlokal Montmartres.

Doch hier wie vorher im Theater nistete der gebieterische Gedanke an den Hut wie Alp in ihrem Tun und Trachten. Schon war aller Vorgang im Gehirn, Wort, Blick gezwungen, und nur mit halber Kraft projizierte sie sich selbst nach außen. Dazu schlugen Pulse, als habe sie Gift, das sie zu seinen Zwecken vergewaltigte, geschluckt.

Da sie begriff, der fixen Idee sei nicht mehr zu entrinnen, versuchte sie ihr ganzes Urteil auf »Hut« umzustellen, doch klaffte aus dem Mißverhältnis mangelnder Beherrschung der Materie und Kürze der Zeit, sie einzuholen, solcher Abgrund, daß sie vom Wunsch nach Einsicht zur Hoffnung auf ein Wunderbares floh.

Stundenlang, während rings die Lust stieg, Menschliches in Strömen Champagner ersoff, betäubte sie sich tiefer in mystischer Andacht als das schwitzende, durch Musik gereizte Fleisch um sie her.

An des Entrées weiß- und goldgemalter Tür hing schwärmerisch der Blick. Nur dieser Eingang war in ihre Welt. Ahnte sie nicht, wie das Übersinnliche, das ihr bestimmt war, sich darstellen würde, von dort mußte es erscheinen.

In dieser liederlichen Nacht kamen zum erstenmal Gefühle, die sie in der Kindheit und Jungfräulichkeit gesteigerten Perioden erfüllt hatten, wieder. Am Abend vor dem Tag zum letztenmal, an dem ihre Ehe geschlossen werden sollte, sie, der Transsubstantiation und Inkarnation Vorstellung hingegeben, in ihr schmales Mädchenbett für den jenseitigsten Traum gestiegen war.

Hinter einem Zigeuner im roten Rock, der die Fiedel ans Kinn drückte, wölbt in der Tür sich schwarzes Loch. Dann schien Eugenie gewürzter Wind zu wehen, im Frack stand ein Mann da, den Unbegreifliches umhing.

Doch auch alle vom Wein trunkenen Gesichter wandten sich mit ihrem dem Ankömmling zu. Lautlos flache Ebbe entstand im Schwatzen, nur ein Laut schlug militärisch kurz die Stille: Vanderbilt!

Eugenie gegenüber war der junge hochgewachsene Beau, der wie ein kostbares Porträt von Raeburn im Rahmen glänzte, in einen Stuhl gesunken, wo er müde blinzelnd verharrte. Sie aber war von der Gewißheit erschüttert: ihr allgemeines, mit dem Hut besonderes Heil sei in diesen Herrscher der Welt beschlossen. Ekstatischer Blick flammte von ihr zu dem Blasierten, der zum Angriff auf das Weib einen Wallach gespornt hätte.

Vanderbilt, mit schrägem Blick, tastete sie ab, entzündete an ihrem unterirdischen Geglüh seine lahme Phantasie. Ein smartes Geräkel ließ er sehen, schleuderte, das lüsterne Geschiel bei Eugenie, dem Neger, der in der Saalmitte berauschten Tanz endete, mit dem Fuß eine auf des Lackschuhes Spitze gelegte Banknote zu, die der mit verrenkten Verbeugungen gegen den Geber aus der Luft fing.

Als Hundertdollarnote hatte Eugenie das Billett erkannt, und blauer Himmel jauchzte über ihrer Welt; jede Verwicklung galt im Irdischen als ausgeschlossen, solange der blonde Amerikaner weilte. Er war, da er erschienen, kein zufälliger, doch alles Menschlichen unbedingt natürlicher Gouverneur. Vor seinem Blick verschleierte untertänig, religiös ihr Auge sich. Je länger des allmächtigen Mannes Weihrauch wirkte, um so mehr befahl sie in seine Hände ihren Geist, ihres Sehnens goldenen Schaum, auf dem zuoberst eines Hutes Gleichnis schwamm.

Als sie ins Hotel kam, war es ihr das Natürliche, sie fand ihn nach der Freunde Weggang im dunklen Korridor vor ihrer Tür; sah sich, an seine Seite genommen, als schätzbares Vergnügen korrekt, ohne Umstände von ihm genossen. Ihr blieb von dieser Nacht aus dem Moment der Entspannung nur sein geschnarrtes »all right« in traumhafter Erinnerung.

Doch folgte am andern Morgen die gehoffte Apotheose. Zum Morgenspaziergang holte der Nabob in himmlischem Morgendress sie ab, an Vanderbilts Seite schritt sie durch die Rue de la Paix in Camille Rogers über alle Erdteile berühmtes Atelier.

Dort stand, ein Heiligtum, in kristallener Vitrine einsam schon der Hut, vor dem kein Zögern und Wählen war: Ein blonder Florentiner, flach, mit nur Gerste und braunem Band garniert.

Was das Leben noch bringen mochte – als Mensch war sie in sich rund. Einmal hatte mit Traum vom Glück die Wirklichkeit gestimmt, Erinnerung an reinen Zusammenklang war ihr nicht mehr zu entreißen.

Die Gewißheit stützte Eugenie der Frage gegenüber, was zu dem Hut ihr Mann sagen würde, gab ihr bis zum Augenblick Haltung, als auf der Rückfahrt morgens um sechs in Augsburg der Heimatstadt Duft schon ins Kupee roch. Einen Abend, die Nacht hatte sie aufrecht in Polstern zugebracht, Berührung und körperliche Erschütterung nach Möglichkeit gemieden, unter dem neuen Hut die Pariser Coiffure nicht zu zerstören. Denn in der Ankunft selbst wollte sie den Gatten mit Eindruck zwingen und überreiten. Das kunstvoll getürmte Haar sollte vom Friseur in allen Einzelheiten für sie abgesehen werden.

Noch einmal wird der vergangenen Tage Vision mit Bild, Schall, Rauch in ihren Sinnen wach. Sie riecht des in Zigarettenwolken schwimmenden Nachtlokals Dunst, hört des Negers näselnden Refrain:

Pour t'avoir à moi,
Si tu veux, ô mon âme,
Je deviendrais infâme,
Pour un baiser de toi.

sieht seines Lackschuhes Spitze mit herrlichem Schwung die Banknote werfen – da fährt der Zug in des Hauptbahnhofs Halle, und ehe er das letztemal geruckt hat, erkennt sie auf dem Bahnsteig aus Dampfnebeln Alfons Alexanders und Benckens zwillingshafte Gestalten.

Nun steht vor der unmittelbar zu erwartenden doppelten Entscheidung der aus dem Fenster Gerenkten senkrecht der Atem, stockt Herzschlag und Puls. Im Leeren hängt sie, und nirgends ist Vanderbilt. Dann merkt sie ihres Mannes Blick sie greifen, schmecken, festhalten und mit Ruck, der sie bis ins Mark spaltet, von sich schütteln. Bencken habe schief gelächelt, meint sie in Tränen gesehen zu haben. Gestäupt, entseelt ist sie aus der Welt gesprengt. Worte bedurfte es nicht, sie vergaß an die Männer fast den Willkomm. Von Alfons zu ihr hatte es sich blitzschnell entschieden: Null, Greuel, Kompost war der Hut, entsprach in keiner Weise. Sie selbst, die in Briefen vor ihr üppig erhöhte Zeit in Paris waren vernichtend verurteilt.

Aus Zartgefühl vermied man, den Hut noch zu erwähnen. Doch was sie aus Paris mitteilte, wurde mit Vorbehalt und spöttischer Ruhe aufgenommen, als traute man ihr nirgends mehr Einsicht zu. Als sie sah, wie wenig Eindruck ihrer Erlebnisse verführerischste Schilderungen machten, glitt sie in immer phantastischere, gefälschtere Berichte mit der Sehnsucht hinein, einmal möchte der geschauten Wunder Darstellung die Männer doch zu Beifall hinreißen.

Doch blieb ihr Hoffen vergeblich. Vielmehr lenkte man, brachte sie die Rede auf ihre Reise, vom Thema wie von leichter Verlegenheit ab, gab, sie möchte die verpfuschte Angelegenheit sich nicht zu Herzen nehmen, zu verstehen.

Bencken übertrieb den gönnerischen Ton bis ins Alberne, da er persönliche Gründe für ihn nicht hatte. Wie ihn ihr Mann einst im Anzug, ahmte er jetzt Alfons Alexander in allem Geistigen nach; war ihr darum gleichgültig und ohne allen Wert. Ihres Mannes wirkliche Überlegenheit aber hatte sie tiefer, als sie es für möglich gehalten hatte, getroffen. Als gekränkte Eitelkeit besänftigt war, blieb Tieferes in ihr wund. Sie konnte nicht vergessen, wie sie um sein Urteil gezittert, alles Lebendige in ihr leidenschaftlich von seinem Spruch abgehangen hatte.

Mit dem Hut, sah sie, hatte seine Verdammung nicht mehr viel, alles mit ihrem Gefühl für ihn zu tun. Aus dem Ereignis stand fest, sie liebte diesen Mann mehr, als sie über tägliches Gewirr bis in ihr sechsunddreißigstes Jahr hatte ahnen können.

Je gewisser sie wurde, um so besser begriff sie ihres Lebens letzte Möglichkeit, aus neuem Aufschwung nach des Mannes Kern für sich zu greifen. Zugleich spürte sie dieser Liebe ungeheure gesellschaftliche Albernheit, schämte sich in erzogenem Bewußtsein.

Wußte nicht, wie sie sie ihm andeuten könnte, ohne daß notwendig Alfons zürnte. Scheu folgte sie seinen tadellosen Gesten, fand vor so viel Haltung den Gedanken an simple Liebesworte peinlich und fatal. Der mit Bewußtsein getragenen weltmännischen Würde konnte sie nicht mit Gefühlen, die jedes Mädchen seinem Proleten sagte, kommen. Doch war Leidenschaft in ihr so groß, daß sie nur Mittel suchte, ihrem Mann mit des besten Tons Allure beizubringen, wie sie ihn über sich selbst hinaus liebte. So, daß es ihn gesellschaftlich nicht zu genieren brauchte.

Jähem Entschluß, mystischem Instinkt mißtraute sie. Zu schlimme Erfahrungen hatte sie bei des Hutes Kauf damit gemacht. Fühlte, Größeres stand auf dem Spiel. Angestrengter Vernunft durchdrang sie den Stoff, prüfte Wahrscheinliches ohne Voreingenommenheit aus des Gatten Seele, täuschte sich nicht über seine Natur, fälschte nichts Wesentliches. Sie war wie der Dichter vor ihm, der demütig, ohne an Wirklichkeit zu wischen, den Helden aus ihm selbst aufbaut, bis zu der Handlung reiner Führung und befreiendem Schluß alles aus Elementen bereit ist.

Als ihres Schicksals Atmosphäre sie durchsichtig umstand, lag sie nach festlichem, glänzend geglücktem Abendessen bei ihm in Weinlaune im Bett, so daß er sich seines Gefühls nicht schämen mußte. Und als er das oft besessene Weib reizend fand, zog Glanz in ihren Blicken, neues Feuer ihn an.

Er beugte sich zu, und ihm schien, ein Geheimnis schleierte das lockende Fleisch ein. Wissen um eine Köstlichkeit kleidete sie und machte sie rar. Exotisches Aroma, das ihn erfrischte, ihm zu Kopf stieg, schien sie zu haben. Kein Weib hätte er in diesen Augenblicken vorgezogen.

Noch sank er hin, und seltener duftete sie. Nun witterte er deutlich die Fremdlingin, ein Unberührtes, das ihn quälte, es mit Wollust zu tilgen.

Sie aber sprühte in Kissen mit Kichern und Silben, aus denen er nichts erriet, die ihn dichter verstrickten. Aus Blickflämmchen, winzigen Stichworten irrlichterte Paris ihn an, wie sie es wirklich bis zu dem Augenblick, wo der Hut ihre überragende Sehnsucht blieb, erlebt hatte.

Als er sie in warmem Mitleben im Schoß hielt, Wort nur noch Hauch war, fragte sie ihn mit frischem Trieb, der seine Erwartung vor Schleusen staute, wer ihr den Hut als schönsten in Paris wohl bezeichnet hätte. Und als sein Atem stand, Blick ekstatisch gesperrt blieb, seufzte sie, und es flatterte ihr Auge: Vanderbilt!

Später plauderte sie dem ganz Gepackten von des Amerikaners königlicher Sicherheit, vor der kein Schwanken möglich gewesen sei, sah, wie gut er sie begriff. Nun saß er aufrecht im Bett, sah zu ihren Worten ein Weilchen den Hut an, der auf des Toilettentischs Lichthaltern thronte, sprang, als sie von schlichter Gerste und Band geschwärmt hatte, aus den Kissen, trat im Hemd zum Tisch, sagte: »Vielleicht!« Und setzte hinzu: »Bestimmt. Ganz große Klasse!«

Brachte das garnierte Stroh ans Bett, stülpte es ihr auf den Kopf, und während sie blondes Haar am Hinterhaupt zurechtstrich, küßte er sie tief in die Stirn und flüsterte begeistert: »Er ist himmlisch!« Anderen Morgens sprach sie beim Frühstück von William Houston wie vom vertrautesten Freund, entzückte den Gatten durch seelische Intimität mit dem Milliardär. Wie einen Mannequin mußte sie ihn von allen Seiten zeigen, jeder Kragenknopf, jede Bügelfalte an ihm war wichtig. Dann nachahmen, wie er ging, sprach, sich trug.

Seines Weibes vollkommene Freiheit vor dem Krösus bewunderte Alfons, verstand, welches Kompliment in der Liebe einer Frau zu ihm lag, die auf einen Großen der Welt gewirkt hatte. Sofort sah er ihre unvergleichliche Rolle allen Frauen der Stadt gegenüber ein, die mit William Houston Vanderbilts bloßer Erwähnung an die Wand gedrückt sein mußten.

Nun hatte die Reise doch den gewünschten Zweck erfüllt. Über den todschicken Hut hinaus brachte Eugenie Ruf und Bedeutung mit, die sie für ihres gemeinsamen Lebens Rest in bester Gesellschaft »setteln« mußten.

Gleich begann er die Kunde von dem mächtigen Bekannten in die Welt zu filtern, sah mit Genugtuung, wie sachlich jedermann entsprach.

Brüsk ließ er einigen Umgang, der mit Vanderbilt nicht mehr zusammenstimmte, fallen. Vor allem litt zu Bencken das Verhältnis. Der war in ein Linienregiment versetzt, kam in fortgeschrittenen Umständen nicht mehr in Betracht.

Selig war auf leichte Art die Frau. An einem Seil hielt sie den Mann, durfte ihn mit ihrer Jahre Glut lieben. Wollte er entschlüpfen, tuschte sie einen neuen, vergessenen Zug ihrer Vertrautheit zu »Willy« ins Bild.

Bald kannte Alfons durch sie des Amerikaners gesamte Familie. Den Großpapa Cornelius, den Onkel Frederik und Tante Bess mit ihren Hunden und Katzen. Er wußte jedes Familienmitgliedes fabelhaften Vermögensanteil; alle Verwandtschaft, Goulds und Hills waren ihm persönliche Freunde. Bei Todesfällen in der erlauchten Familie trug er mit Eugenie leichte, kleidsame Trauer.

Die fürchtete nicht, es möchten sich je »nach drüben« die Beziehungen erschöpfen, neuer Feuer Flamme stocken. Denn schon gab es seit geraumer Zeit zwischen ihr und dem Gatten bei jedem zärtlichen Zusammensein das stumme Frage-und-Antwort-Spiel, das sie beide wollüstig verwirrte, den Mann zu dumpfer Raserei brachte – bis er mit jedesmal größerem Respekt vor höheren Mächten in sein Weib verging.


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