Laurence Sterne
Empfindsame Reise
Laurence Sterne

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Laurence Sterne

Sterne's
Empfindsame Reise.

Aus dem Englischen

von

Karl Eitner.

1868


– »In Frankreich stellen sie das besser an.« –

– »Sie waren in Frankreich?« fragte der Herr, indem er sich mit der höflichsten, aber siegfrohesten Miene von der Welt gegen mich wandte. –

»Seltsam!« sagte ich, als ich die Sache bei mir überlegte, »daß einundzwanzig Meilen zu Schiffe – denn weiter ist es nicht einen Schritt von Dover bis Calais – einem Menschen solche Zuversicht geben soll! – Ich will mich doch selbst überzeugen.« – Damit gab ich die Behauptung auf, ging stracks in meine Wohnung, packte ein halb Dutzend Hemden und ein Paar schwarzseidne Beinkleider ein –»der Rock, den ich anhabe«, sagte ich, indem ich den Aermel betrachtete, »ist noch ganz erträglich« – nahm einen Platz in der Postkutsche nach Dover, und da das Packetboot um neun Uhr des Morgens abging: so saß ich um drei Uhr an der Mittagstafel bei einem fricassirten Huhn so unzweifelhaft in Frankreich, daß, wäre ich in der Nacht an einer Indigestion gestorben, die ganze Welt nicht die Vollziehung des droit d'aubaineIn Kraft dieses »Heimfallrechtes« wird auf alle Effecten der Reisenden (die von Schweizern und Schotten ausgenommen), welche in Frankreich sterben, Beschlag gelegt, und wenn der Erbe selbst zur Stelle wäre; und Herausgabe findet um so weniger statt, da diese zufälligen Einkünfte verpachtet sind. hätte verhindern können – Meine Hemden und schwarzseidenen Beinkleider – mein Mantelsack und Alles darin wäre dem Könige von Frankreich anheimgefallen – sogar das kleine Bild, das ich so lange mit mir herumgetragen habe, und das ich, wie ich Dir, Elisa, so oft gesagt, mit mir ins Grab nehmen wollte, würde mir vom Halse genommen worden sein. – Wie ungroßmüthig! – sich der Trümmer eines arglosen Reisenden zu bemächtigen, den Ihre Unterthanen an ihre Küsten hingelockt haben. – Beim Himmel, Sire, das ist nicht wohlgethan! Und es thut mir sehr leid, daß es der Beherrscher eines so gebildeten und höflichen und wegen seiner feinen Beurtheilung und Empfindung so berühmten Volkes ist, mit dem ich rechten muß –

Doch ich habe ja kaum den Fuß in Ihr Gebiet gesetzt. –

 
Calais.

Als ich meine Mahlzeit beendet und auf die Gesundheit des Königs von Frankreich getrunken hatte, um meiner Empfindung zu genügen, daß ich keinen Groll gegen ihn hegte, sondern im Gegentheil ihn wegen seines menschenliebenden Sinnes hoch schätzte – fühlte ich mich infolge dieser Mäßigung beim Aufstehen um einen Zoll höher.

»Nein«, sagte ich, »die Bourbons sind durchaus kein grausames Geschlecht. Sie können, gleich andern Menschen, mißleitet werden; aber es liegt eine gewisse Sanftheit in ihrem Blute.« – Indem ich dies anerkannte, fühlte ich ein Erröthen auf meiner Wange, das von edlerer Art – wärmer und menschenfreundlicher war, als daß der Burgunder (wenigstens der nicht, die Flasche zu zwei Livres, den ich soeben getrunken) die Ursache davon hätte sein können.

»Gerechter Gott!« rief ich aus, indem ich meinen Mantelsack mit der Fußspitze beiseite stieß, – »was liegt denn an den Gütern dieser Welt, daß sie unser Gemüth verbittern und so manchen Gutherzigen von uns Menschenbrüdern zu so grausamen Beschwerden reizen sollten, wie wohl zu Zeiten geschieht?«

Wenn der Mensch mit den Menschen in Frieden lebt, wie viel leichter als eine Feder ist dann das schwerste der Metalle in seiner Hand! Er zieht seine Börse, hält sie leicht und unbekümmert empor und blickt umher, als wenn er sich nach jemandem umsähe, mit dem er sie theilen könnte. – Indem ich dies that, fühlte ich, wie jede Ader meines Leibes sich schwellte – die Arterien pulsirten alle freudig und harmonisch, und jede Kraft, die das Leben fördert, vollzog dies mit so geringer Reibung, daß es die physikalisch gelehrteste Zierpuppe in Frankreich in Verwirrung gebracht hätte: bei all ihrem Materialismus hätte sie mich schwerlich eine Maschine nennen können. –

»Ich bin fest überzeugt«, sagte ich bei mir selbst, »ich würde ihre Zuversicht erschüttert haben.«

Das Verfolgen dieses Gedankens führte im Augenblick meine Natur auf eine solche Höhe, als sie irgend erreichen konnte. Mit der Welt war ich schon vorher in Frieden – und dies brachte die Unterhandlung mit mir selbst zum Schluß. –

»Wäre ich jetzt König von Frankreich«, rief ich aus – »welch ein Augenblick für eine Waise, die mich um ihres Vaters Mantelsack anspräche!«

Der Mönch.

Calais.

Ich hatte kaum diese Worte vor mich hin gesagt, als ein armer Mönch vom Orden des heiligen Franciscus, mit der Bitte um eine kleine Gabe für sein Kloster, in das Zimmer trat. Niemand hat gern, daß seine Tugenden dem Zufalle zum Spiele dienen – es sei nun, daß ein Mensch großmüthig ist, wie ein anderer mächtig – sed non quoad hanc – oder es sei, wie es wolle – denn es giebt noch keine begründete Theorie über Ebbe und Flut unserer Launen; vielleicht hängen sie – was weiß ich! – von denselben Ursachen ab, welche die Flutzeiten des Meeres bewirken – die Voraussetzung, daß sich dies so verhalte, könnte gar oft unsern Credit verbessern; ich meinerseits bin wenigstens überzeugt, daß ich in vielen Fällen es weit lieber hören würde, wenn die Welt sagte, ich hätte einen Handel mit dem Monde gehabt, worin weder Sünde noch Schande liegt, als daß etwas ganz und gar als meine That aus eigenem Beweggrunde gälte, worin so viel von beiden läge.

– Doch sei dem, wie ihm wolle. In dem Augenblick, daß ich meinen Blick auf ihn richtete, faßte ich den Entschluß, ihm nicht einen einzigen Sous zu geben. Demzufolge steckte ich meine Börse in die Tasche, knöpfte diese zu, setzte mich selbst etwas mehr in Positur und schritt gravitätisch auf ihn zu. Es war, fürchte ich, etwas Abweisendes in meinem Blicke. Noch diesen Augenblick schwebt mir seine Gestalt vor Augen, und ich glaube, es lag etwas darin, das eine bessere Behandlung verdiente.

Wie ich aus den Resten seiner Tonsur urtheilte – denn alles, was davon übrig geblieben war, bestand in wenigen zerstreuten weißen Haaren oberhalb seiner Schläfe – mochte der Mönch so um die Siebenzig sein; doch nach seinen Augen zu schließen, und nach der Art von Feuer, das darin schimmerte, und welches mehr durch Höflichkeit als durch die Jahre gedämpft schien, konnte er nicht mehr als sechzig haben – die Wahrheit mochte wohl in der Mitte liegen. Gewiß war er fünfundsechzig; und das Aussehen seiner Gesichtszüge stimmte im Allgemeinen, ungeachtet Etwas vor der Zeit Furchen darein gezogen zu haben schien, mit dieser Rechnung überein.

Es war einer von jenen Köpfen, welche Guido oft gemalt hat – sanft, blaß, eindringend, frei von allen Gemeinplatzgedanken fetter, selbstzufriedener, zur Erde niederblickender Unwissenheit. Er blickte gradaus, doch so, als ob er nach etwas jenseits dieser Welt schaute. Wie Einer seines Ordens zu diesem Kopfe kam, weiß der Himmel droben, der ihn auf eines Mönches Schultern gerathen ließ, am besten; aber er würde einem Brahminen gut gestanden haben, und wäre ich ihm auf den Ebenen Hindostans begegnet, ich hätte ihm Ehrerbietung bezeigen müssen.

Das Uebrige seiner äußern Gestalt läßt sich mit wenigen Strichen angeben – man könnte es der Hand eines jeden Zeichners vorlegen; denn es war weder zierlich noch sonst etwas, als nur wozu Charakter und Ausdruck ihn grade machten. Es war eine dünne, hagere Gestalt, etwas über gewöhnliche Größe, nur daß das Ungewöhnliche derselben durch eine geringe Neigung nach vorn gemildert wurde – Doch es war die Stellung eines Bittenden; und wie er jetzt gegenwärtig vor meiner Einbildungskraft steht, gewann er dadurch mehr, als er verlor.

Als er drei Schritte in das Zimmer gethan hatte, stand er still, und indem er die linke Hand auf seine Brust legte, während seine Rechte einen dünnen, weißen Reisestab umfaßte, führte er sich, nachdem ich ihm näher getreten war, mit der kleinen Historie von der Bedürftigkeit seines Klosters und der Armuth seines Ordens ein – und that dies mit einer so kunstlosen Anmuth – und aus dem Wesen seines Blickes und seiner ganzen Haltung sprach eine so beredte Entschuldigung –: ich mußte behext sein, daß ich davon nicht gerührt wurde. –

– Ein besserer Grund war aber, daß ich mir einmal in den Kopf gesetzt hatte, ihm nicht einen Sous zu geben.

Der Mönch.

Calais.

»Es ist sehr wahr«, sagte ich, auf einen Blick seiner Augen nach oben antwortend, womit er seine Anrede geschlossen hatte – »es ist sehr wahr – und der Himmel sei deren Stütze, welche keine andere Hülfe haben, als die Mildthätigkeit der Welt, deren Vermögen, wie ich fürchte, keinesweges hinreicht, die vielen und großen Ansprüche zu befriedigen, welche allstündlich an sie gemacht werden –«

Als ich die Worte »große Ansprüche« betonte, ließ er einen flüchtigen Blick auf den Aermel seines Gewandes fallen – ich fühlte die ganze Stärke dieser Appellation.

»Ich gestehe«, sagte ich: »ein rauhes Kleid, und nur dies eine während dreier Jahre, bei dürftiger Kost – will allerdings wenig genug sagen. Und der Hauptpunct der Bemitleidung ist, daß Ihr Orden beides, das doch mit so geringem Aufwande von Fleiß in der Welt zu erlangen ist, sich dadurch zu verschaffen wünscht, daß er einem Kapital Abbruch thut, das dem Lahmen, dem Blinden, dem Altersschwachen und dem Kranken gehört – ja der Gefangene, welcher daliegt und die Tage seines düstern Daseins zählt, schmachtet auch nach seinem Antheile daran. Und wären Sie noch von dem Orden der barmherzigen Brüder, anstatt von dem des heiligen Franciscus: so arm ich auch bin«, – fuhr ich fort, indem ich auf meinen Mantelsack hinzeigte, – »mit Freuden würde ich Ihnen diesen geöffnet haben für die Loskaufung eines Unglücklichen« – Der Mönch machte hier eine Verbeugung –»Aber vor allen Andern«, setzte ich meine Rede weiter fort, »haben unzweifelhaft die Unglücklichen unseres eigenen Landes das erste Anrecht darauf – und ich habe Tausende im Elend an dem heimischen Strande zurückgelassen« – Der Mönch machte eine treuherzig zustimmende Bewegung mit dem Haupte, als wollte er sagen: »Leider giebt es Elend in jedem Winkel der Welt genug, so gut als in unserem Kloster.« – »Aber wir machen einen Unterschied«, sagte ich, indem ich meine Hand zur Beantwortung seiner Appellation auf den Aermel seines Gewandes legte –»wir machen einen Unterschied, mein guter Pater, zwischen denen, welche nur das Brot ihres eignen Schweißes zu essen verlangen, und denen, die anderer Leute Brot essen und keinen andern Zweck im Leben haben, als es in Müßiggang und Unwissenheit hinzubringen – um Gottes willen

Der arme Franciscaner erwiederte nichts. Eine hektische Röthe überflog einen Augenblick seine Wangen, doch sie vermochte nicht darauf zu verweilen – Die Aufwallungen der Natur schienen in ihm ihre Macht verloren zu haben; er zeigte keine – sondern ließ den Stab in seinen Arm fallen, drückte seine Hände mit Entsagung gegen seine Brust und begab sich hinweg.

Der Mönch.

Calais.

Mein Herz begann in dem Augenblick, als er die Thür hinter sich zuzog, unruhig zu schlagen. –»Pah!« sagte ich mit einer angenommenen Miene von Sorglosigkeit dreimal hintereinander; aber es wollte nicht wirken. Jede unfreundliche Sylbe, die ich hatte verlauten lassen, drängte sich meinem Gedächtniß wieder auf. Es fiel mir ein, wie mir gegen den armen Franciscaner kein anderes Recht zustand, als ihm eine Gabe zu verweigern, und daß dies für den in seiner Erwartung Getäuschten auch ohne die Zugabe unfreundlicher Worte schon Strafe genug war – Ich bedachte seine grauen Haare; seine höfliche Gestalt schien wieder einzutreten und mich bescheiden zu fragen, womit er mich denn beleidigt hätte? und weshalb ich ihm auf solche Art begegnete? – Ich hätte in diesem Augenblicke zwanzig Livres für einen Vertheidiger gegeben. –»Ich habe mich«, sagte ich bei mir selbst, »sehr übel benommen; doch ich habe ja eben erst meine Tour begonnen, und werde wohl auf der Weiterreise mich besser betragen lernen.«

Die Désobligeante.

Calais.

Wenn ein Mensch mit sich unzufrieden ist, so hat das für ihn wenigstens den Vortheil, daß es ihn in eine vortreffliche Gemüthsstimmung versetzt, um einen Handel abzuschließen. Da man nun eine Reise durch Frankreich und Italien ohne eine Chaise nicht unternehmen kann, und die Natur uns gemeiniglich zu dem antreibt, wozu wir am meisten Geschick haben: so ging ich hinaus nach dem Wagenraum, um mir etwas zu meinem Zwecke Dienliches zu kaufen oder zu miethen. Eine alte DésobligeanteEin französischer Reisewagen damaliger Zeit für nur eine Person. im äußersten Winkel des Hofes reizte meine Phantasie beim ersten Anblick so, daß ich auf der Stelle hineinstieg; und da ich fand, daß sie mit meinen Empfindungen ganz leidlich harmonirte: so befahl ich dem Aufwärter, mir Monsieur Dessein, den Herrn des Hôtels, zu rufen. Monsieur Dessein war aber in die Vesper gegangen, und da ich keine Neigung verspürte, mit dem Franciscaner zusammenzutreffen, den ich auf der andern Seite des Hofes im Gespräch mit einer Dame sah, die soeben im Gasthofe angelangt war: so schob ich den taftenen Vorhang zwischen uns, und weil ich doch einmal entschlossen war, meine Reise zu beschreiben, so zog ich Feder und Dinte hervor und schrieb die Vorrede dazu in der Désobligeante.

Vorrede in der Désobligeante.

Schon mancher peripatetische Philosoph muß die Bemerkung gemacht haben: daß die Natur, aus eigener, unbestreitbarer Macht und Gewalt, um das Mißvergnügen des Menschen einzuschränken, gewisse Grenzen und Schranken errichtet hat. Sie hat ihren Zweck auf die ruhigste und bequeme Weise dadurch erreicht, daß sie ihm die fast unabweisliche Verpflichtung auferlegte, in der Heimath sowohl sein Behagen zu befördern, als seine Leiden zu erdulden. Nur da hat sie ihn mit den passendsten Umgebungen versehen, die Antheil an seinem Glücke nehmen und ihm einen Theil von jener Bürde tragen helfen, welche überall und zu allen Zeiten noch stets für Ein Paar Schultern zu schwer gewesen ist. Allerdings sind wir mit einem unvollkommenen Vermögen begabt, unser Glück bisweilen jenseits dieser Grenzen auszudehnen; doch ist es so angeordnet, daß wir aus Mangel an Sprachkenntnissen, Verbindungen und Bekanntschaften und in Folge der Verschiedenheit der Erziehung, der Sitten und Gewohnheiten auf so viele Hindernisse stoßen, wenn wir unsre Empfindungen außerhalb unsrer eignen Sphäre mittheilen wollen, daß unsere Absichten oftmals zur völligen Unmöglichkeit werden.

Hieraus wird immer folgen, daß die Bilanz im Gefühlsverkehr stets gegen den in der Fremde herumreisenden Abenteurer ist. Er muß kaufen, was er kaum brauchen kann, zu einem festgesetzten Preise; seine Conversation wird er selten ohne hohen Discont gegen die der Fremden auswechseln, und da ihn dies im Laufe der Dinge fortwährend in die Hände billigerer Mäkler treibt, um nur eine Unterhaltung zu finden, wie sie eben zu haben ist: so gehört kein besonderer Geist der Weissagung dazu, um zu vermuthen, was für ihn dabei herausspringt.

Dies bringt mich auf meinen eigentlichen Punct, und führt mich naturgemäß (wenn das Schaukeln dieser Désobligeante mich nur fortfahren läßt) sowohl zu den wirkenden als den End-Ursachen des Reisens – –

Das Reisen eurer müßigen Leute, die ihr Geburtsland verlassen und aus irgend einem oder mehreren Gründen auf Reisen gehen, läßt sich aus einer der folgenden allgemeinen Ursachen herleiten:

Gebrechlichkeit des Körpers,
Schwäche des Geistes, oder
Unvermeidliche Nothwendigkeit.

Unter die beiden ersten Klassen gehören alle diejenigen, welche zu Land oder zu Wasser reisen, weil sie an Hochmuth, Neugier, Eitelkeit oder Milzsucht leiden, nebst ihren Unterabtheilungen und Verbindungen in infinitum.

Die dritte Klasse umfaßt das ganze Heer wandernder Märtyrer; genauer gesagt, jene Reisenden, welche vermittelst der Beneficien des Clerus ihre Wanderschaft antreten, entweder als Uebelthäter, unter der Leitung von Aufsehern, welche ihnen von der Obrigkeit empfohlen worden – oder junge Herren, die, von der Grausamkeit der Eltern oder Vormünder verbannt, unter der Leitung von Aufsehern reisen, welche ihnen die Universitäten Oxford, Aberdeen und Glasgow empfohlen haben.

Es giebt noch eine vierte Klasse, aber deren Anzahl ist so gering, daß sie gar keine besondere Abtheilung verdienen würde, wäre es bei einem Werke dieser Art nicht durchaus nothwendig, die größte Bestimmtheit und Genauigkeit zu beobachten, um eine Verwirrung der Charaktere zu vermeiden. Und zwar sind die Menschen, von denen ich rede, solche, welche die Meere durchkreuzen und sich aus verschiedenen Gründen und unter mancherlei Vorwänden in fremden Ländern aufhalten: in der Absicht, Geld zu sparen. Allein da sie ebensowohl sich selbst als Andern einen großen Theil unnöthiger Mühe ersparen könnten, wenn sie ihr Geld zu Hause zusammenhielten, und da ihre Gründe, zu reisen, gegen die der andern Gattungen von Auswanderern, am wenigsten verwickelt sind, so unterscheide ich diese Herren von jenen durch die Bezeichnung:

Simple Reisende.

Sonach läßt sich die ganze Gesellschaft der Reisenden unter folgende Titel bringen:

Müßige Reisende,
Neugierige Reisende,
Lügende Reisende,
Hochmüthige Reisende,
Eitle Reisende,
Milzsüchtige Reisende.

Dann folgen die aus Nothwendigkeit Reisenden,

Der reisende Uebelthäter und Verbrecher,
Der unglückliche und unschuldige Reisende,
Der simple Reisende,

und als letzter von allen (wenn Sie es erlauben)

Der empfindsame Reisende

(worunter ich mich selbst verstehe), als welcher ich gereist bin und nun hier sitze, einen Bericht davon abzustatten – ebenso sehr aus Nothwendigkeit und besoin de voyager als nur irgend Einer aus der Klasse.

Da nun sowohl meine Reisen, als die Bemerkungen darüber von einem ganz andern Schlage als diejenigen aller meiner Vorgänger sein werden, so sehe ich recht wohl ein, daß ich auf eine besondere Nische für mich ganz allein hätte Anspruch machen können –; jedoch ich würde in den Bereich des eitlen Reisenden gerathen, wenn ich die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen wünschte, so lange ich nicht bessere Gründe dazu habe, als die bloße Neuheit meines Vehikels.

Es genügt für meinen Leser, wenn er nämlich selbst gereist ist, daß er durch Studium und Nachdenken über das Vorstehende fähig werden kann, sich seinen eignen Platz und Rang in diesem Verzeichniß anzuweisen – es wird ein Schritt weiter zu seiner Selbsterkenntniß sein; denn man kann wohl alles wetten, daß er bis auf diese Stunde von all dem, was er in der Fremde angenommen oder mit hinausgebracht hat, noch einen leisen Anstrich, eine kleine Aehnlichkeit an sich behalten hat.

Der Mann, welcher zuerst die Burgunder Traube auf das Vorgebirge der guten Hoffnung verpflanzte (mau beachte wohl, daß es ein Holländer war), ließ es sich nicht im Traume beikommen, daß er denselben Wein auf dem Cap trinken würde, den die gleiche Traube auf den Bergen Frankreichs hervorbringt – dazu war er zu phlegmatisch; – aber unzweifelhaft erwartete er, irgend ein weinartiges Getränk zu genießen; ob indessen gut oder schlecht, oder mittelmäßig – er kannte genug von dieser Welt, um zu wissen, daß solches nicht von seiner Wahl abhing, sondern daß das, was man insgemein Glück zu nennen pflegt, den Ausschlag über den Erfolg geben würde. Gleichwohl hoffte er das Beste; und in dieser Hoffnung und voll übermäßigen Vertrauens auf die Stärke seines Kopfes und die Tiefe seiner Einsicht hätte Mynheer in seinem neuen Weingarten leicht beide zu Falle bringen, und durch Enthüllung seiner Blöße ein Gegenstand des Gelächters für seine Leute werden können.

Grade so ergeht es dem armen Reisenden, der zu Schiffe und mit der Post die civilisirtern Länder der Erde besucht, um Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln.

Kenntnisse und Erfahrungen sind allerdings zu gewinnen, wenn man sich zu diesem Zweck dem Schiff und der Post anvertraut; aber ob nützliche Kenntnisse und ersprießliche Erfahrungen, das ist nichts als eine Lotterie – und selbst dann, wenn der Spielende Glück hat, darf man von dem gewonnenen Schatze, wenn er Nutzen bringen soll, nur mit Behutsamkeit und Mäßigung Gebrauch machen. Da aber, sowohl in Hinsicht der Erlangung wie auch der Anwendung, die Glücksfälle oft wunderbar schief ausgehen: so bin ich der Meinung, daß ein Mann noch ebenso weise handeln würde, wenn er es über sich gewinnen könnte, ohne fremdländische Kenntnisse und ohne fremdländische Erfahrungen zufrieden zu leben, zumal wenn er in einem Lande zu Hause ist, wo es an beiden durchaus keinen Mangel hat. Und in der That hat es mir zu mancher Zeit großes Herzeleid verursacht, wenn ich wahrgenommen habe, wie manchen schmutzigen Weg der neugierige Reisende durchmessen mußte, um unerhörte und neuentdeckte Dinge zu sehen, die er alle, wie Sancho Panza zu Don Quixote sagte, trocknen Fußes hätte daheim sehen können. Wir leben in einem Zeitalter, so voll von Aufklärung, daß es kaum ein Land oder einen Winkel in Europa giebt, dessen Strahlen nicht mit denen anderer Gegenden gekreuzt und ausgetauscht wären. – Die Wissenschaft gleicht in den meisten ihrer Zweige und in den meisten Lebensangelegenheiten der Musik in italienischen Straßen, an welcher auch diejenigen Theil nehmen, die nichts zahlen. – Nun giebt es aber keine Nation unter dem Himmel – und Gott (vor dessen Richterstuhl ich einst treten und von diesem Buche Rechenschaft ablegen muß) ist mein Zeuge, daß ich es nicht aus Prahlerei sage – es giebt keine Nation unter dem Himmel, die reichlicher und in größerer Mannigfaltigkeit mit Gelehrsamkeit versorgt wäre – wo man sich um die Wissenschaften füglicher bewerben oder wo man sie sicherer erlangen kann, als hier – hier, wo die Kunst aufgemuntert und bald hoch steigen wird – wo die Natur (in Bausch und Bogen genommen) so wenig zu verantworten hat – und wo, um dies Alles zu krönen, mehr Witz und Mannigfaltigkeit des Charakters herrscht, um den Geist zu nähren –

»Meine lieben Landsleute, wo wollen Sie denn hin?« –

»Wir wollen uns nur diese Chaise besehen«, sagten sie. »Ihr ganz ergebener Diener«, sagte ich, indem ich heraushüpfte und meinen Hut abzog. – »Wir wunderten uns«, sagte der Eine von ihnen, der, wie ich fand, ein neugieriger Reisender war, »was ihre Bewegung veranlassen könnte.« – »Die Gemüthsbewegung bei Abfassung einer Vorrede war schuld daran«, erwiederte ich kaltblütig. – »Noch niemals habe ich«, sagte der Andere, der ein simpler Reisender war, »von einer Vorrede gehört, die in einer Désobligeante geschrieben worden wäre.« – »Es würde allerdings in einem Vis-à-Vis besser gegangen sein.«

Doch da ein Engländer nicht reist, um Engländer zu sehen, so begab ich mich nach meinem Zimmer zurück.

 

Calais.

Ich bemerkte, daß noch Etwas außer mir den Durchgang verdunkelte, wie ich diesen entlang nach meinem Zimmer schritt; und wirklich war es Monsieur Dessein, der Wirth des Hôtels, der eben aus der Vesper zurückkehrte und mir mit größter Höflichkeit, den Hut unter dem Arm, folgte, um mich an meine Bedürfnisse zu erinnern. Ich hatte mir den Einfall mit der Désobligeante so ziemlich aus dem Sinne geschrieben, und da Monsieur Dessein davon mit einem Achselzucken sprach, als ob sie in keiner Weise für mich passen würde: so fuhr es mir augenblicklich durch den Kopf, daß sie irgend einem unschuldigen Reisenden gehören mochte, der sie bei seiner Rückreise der Ehrenhaftigkeit des Monsieur Dessein überlassen hatte, um sie so gut als möglich zu verkaufen. Vier Monate waren vergangen, seitdem sie ihre Tour durch Europa in dem Winkel von Monsieur Desseins Wagenhof beendigt hatte; und weil sie bereits von vorn herein nur als ein leicht zusammengeflicktes Ding ausgezogen war, nachdem man sie schon vorher zweimal auf dem Mont Cenis auseinander genommen hatte: so hatte sie von ihren Abenteuern wenig Nutzen davongetragen; doch von keinem weniger, als da sie so viele Monate unbemitleidet in Monsieur Desseins Wagenhof stand. Es ließ sich freilich nicht viel zu ihren Gunsten sagen – Etwas aber dennoch – und wenn ein paar Worte das Elend aus seiner unglücklichen Lage retten können, so hasse ich den Menschen, der damit zu knickern im Stande ist.

– »Nun, wäre ich der Herr dieses Hôtels«, sagte ich und legte dabei die Spitze des Zeigefingers aus Monsieur Desseins Brust, »so würde ich mir es unweigerlich zum Ehrenpunct machen, diese unglückliche Désobligeante los zu werden – sie steht da und schaukelt Ihnen, so oft Sie an ihr vorübergehen, Vorwürfe zu.« –

»Mon Dieu!« sagte Monsieur Dessein –»ich habe kein Interesse dabei.« – »Ausgenommen das Interesse«, sagte ich, »welches Menschen von einer gewissen Gemüthsart an ihren eigenen Gefühlen nehmen, Monsieur Dessein. – Ich bin überzeugt, daß einem Manne, der ebenso wohl für Andere als für sich Empfindung hat, jede Regennacht – verbergen Sie sich's, so sehr Sie können – auf die Seele wie ein Alp drücken muß – Monsieur Dessein, Sie leiden ebenso sehr als jene Maschine.« –

Ich habe stets bemerkt, daß, wenn in einem Compliment ebenso viel Saures als Süßes liegt, ein Engländer beständig in Verlegenheit ist, ob er es annehmen oder auf sich beruhen lassen soll; ein Franzose ist es niemals – Monsieur Dessein machte mir eine Verbeugung.

»C'est bien vrai«, sagte er – »aber in diesem Falle würde ich eine Sorge nur gegen eine andere eintauschen, und zwar mit Verlust. Stellen Sie sich vor, werther Sir, wenn ich Ihnen eine Chaise gäbe, die Ihnen auf dem halben Wege nach Paris in Stücken fiele – stellen Sie es sich selbst vor, wie sehr es mich schmerzen müßte, einem Ehrenmann eine üble Meinung von mir beigebracht und auf Unkosten d'un homme d'esprit, wie ich müßte, gelogen zu haben.«

Die Dosis war genau nach meinem eigenen Rezepte gemacht, und so konnte ich nicht umhin, sie einzunehmen; – ich gab also Monsieur Dessein seinen Bückling zurück, und wir gingen ohne weitere Wortfechterei mit einander nach seiner Remise, um seinen Vorrath von Chaisen in Augenschein zu nehmen.

Auf der Straße.

Calais.

Es muß durchaus eine feindselige Art von Welt sein, in welcher der Käufer (und gelte es nur eine ärmliche Postchaise) mit dem Verkäufer nicht über die Straße gehen kann, um den Handelsstreitpunct zwischen ihnen zu erledigen, ohne daß er augenblicklich in dieselbe Stimmung verfällt und seinen Handelsmann mit demselben Blick ansieht, als wenn er mit ihm auf dem Wege nach Hydepark wäre, um sich dort mit ihm zu schlagen. Was mich anbelangt, da ich nur schlecht meinen Degen führe und Monsieur Dessein keineswegs gewachsen bin – ich fühlte in mir ein Kreisen aller Gemüthsbewegungen, welche in einer solchen Situation gewöhnlich sind. Ich sah Monsieur Dessein mit durchdringenden Blicken an – betrachtete ihn, wie er so hinschritt, bald im Profil – bald en face – bildete mir ein, er sähe aus wie ein Jude – dann wieder wie ein Türke – fand Mißfallen an seiner Perrücke – fluchte auf ihn – wünschte ihn zu allen Teufeln – –

– Und alles das muß sich in dem Herzen entzünden wegen armseliger drei oder vier Louisd'or, um die ich doch aufs höchste bevortheilt werden kann? – »Abscheuliche Leidenschaft!« rief ich aus und wandte mich um, wie Jemand bei einem plötzlichen Wechsel der Empfindung es unwillkürlich thut – »abscheuliche, unedelmüthige Leidenschaft! deine Hand ist gegen Jedermann und Jedermanns Hand gegen dich.« – – »Das verhüte der Himmel!« sagte sie, ihre Hand zur Stirn erhebend, denn ich befand mich durch mein Umwenden Antlitz in Antlitz der Dame gegenüber, die ich im Gespräch mit dem Mönche gesehen hatte – sie war uns unbemerkt gefolgt – »Allerdings, der Himmel verhüte es!« sagte ich und bot ihr meine Hand dar. – Sie hatte ein Paar schwarzseidne Handschuhe an, die nur an dem Daumen und den zwei nächsten Fingern offen waren: so nahm sie dieselbe ohne Weigerung an, und ich führte sie nach der Thür der Wagenremise.

Monsieur Dessein hatte mehr als fünfzigmal über den Schlüssel diablirt, ehe er inne wurde, daß er einen falschen mitgebracht hatte. Wir waren ebenso ungeduldig wie er, die Thür geöffnet zu sehen, und dermaßen in das Hinderniß vertieft, daß ich, fast ohne es zu wissen, noch immer ihre Hand hielt, also daß Monsieur Dessein uns beisammen stehn ließ – sie ihre Hand in der meinen und wir beide mit den Gesichtern gegen die Remisenthür gekehrt – und sagte, er würde in fünf Minuten wieder zurück sein.

Nun ist ein Gespräch von fünf Minuten in einer solchen Situation so viel werth wie eines von ebenso vielen Jahrhunderten, bei welchem eure Gesichter der Straße zugewendet sind. In diesem Falle wird es von den äußern Gegenständen und Vorfällen hergenommen; – sind aber die Augen auf ein todtes Weiß gerichtet, so schöpft man es rein aus sich selbst. Ein Stillschweigen von einem einzigen Augenblicke, nachdem uns Monsieur Dessein verlassen, wäre für die Situation verhängnißvoll geworden – die Dame hätte sich unfehlbar umgewandt – also begann ich augenblicklich die Unterhaltung.

– Was aber meine Beweggründe dazu waren, das will ich (da ich nicht schreibe, um die Schwachheiten meines Herzens auf dieser Reise zu entschuldigen, sondern um von ihnen Bericht zu erstatten) mit derselben Einfachheit darstellen, mit der ich es empfand.

Die Remisenthür.

Calais.

Als ich dem Leser berichtete, daß ich keine Lust verspürte, mich aus der Désobligeante herauszubegeben, weil ich den Mönch mit einer soeben im Gasthofe eingetroffenen Dame in tiefem Gespräch begriffen sah, so sagte ich ihm die Wahrheit; aber dennoch sagte ich ihm nicht die volle Wahrheit, denn ich wurde ebenso sehr durch die Erscheinung und Gestalt der Dame, mit welcher er sprach, zurückgehalten. Ein Argwohn fuhr mir durch das Gehirn und sagte mir, er theile ihr mit, was zwischen ihm und mir vorgefallen sei – ein Etwas gab einen Mißton in mir – ich wünschte ihn in sein Kloster.

Wenn das Herz dem Verstande vorauseilt, so erspart es dem Urtheil außerordentlich viel Mühe. Ich war gewiß, sie gehöre zu einer bessern Art von Geschöpfen; – indessen – – ich dachte nicht weiter an sie und schrieb an meiner Vorrede weiter.

Als ich ihr in der Straße begegnete, kehrte derselbe Eindruck wieder. Die bescheidene Freimüthigkeit, mit der sie mir ihre Hand gab, bewies mir, wie ich glaubte, ihre gute Erziehung und ihren Verstand, und ich fühlte, wie sie mit mir so dahin ging, eine angenehme Geschmeidigkeit in ihrem Wesen, welche in alle meine Geister eine gewisse Ruhe brachte.

– Gütiger Gott! wie gern möchte man doch ein solches Geschöpf, wie dieses, mit sich um die ganze Erde führen!

Ich hatte ihr Gesicht noch nicht gesehen – doch das that nichts zur Sache; denn der Umriß davon war bald zu Stande gebracht, und schon längst, ehe wir noch zur Remisenthür gelangt waren, hatte die Malerin Phantasie den ganzen Kopf vollendet und gefiel sich darin, daß er zu ihrer Göttin so gut paßte, als ob sie deswegen in die Tiber hinabgetaucht wäre. – Doch du bist ein betrogenes und betrügerisches Weibsbild; und obgleich du uns des Tages siebenmal mit deinen Bildern und Vorstellungen hintergehst, so thust du es doch mit so zauberischer Verführungskunst und stattest deine Gemälde mit den Gestalten so vieler Engel des Lichtes aus, daß man sich tadeln müßte, wenn man mit dir brechen wollte.

Als wir bis vor die Remisenthür gekommen waren, zog sie ihre Hand von der Stirn weg und ließ mich das Original sehen. Es war ein Gesicht von ungefähr Sechsundzwanzig – von einem hellen, durchschimmernden Braun, an sich selbst, ohne rouge oder Puder, reizend – es war nicht nach den Regeln der Kritik schön; aber es lag etwas darin, was bei meiner dermaligen Stimmung mich um so mehr anzog – es bewegte mich zur Rührung. Ich bildete mir ein, es trüge den Charakter des Wittwenblickes, und zwar in jenem Stadium der Abnahme, worin die beiden ersten Paroxysmen des Schmerzes überwunden sind und man gelassen anfängt, sich über seinen Verlust zufrieden zu geben – doch konnten auch tausend andere Unglücksfälle dieselben Linien gezogen haben. Ich hätte gern gewußt, von welcher Art jene gewesen, und war schon im Begriffe zu fragen (hätte es der bon ton der Conversation wie in den Tagen Esra's erlaubt): – »Was fehlet dir? und warum bist du so bekümmert? und warum ist deine Seele betrübt?« – Kurzum, ich fühlte Wohlwollen für sie, und beschloß, auf die eine oder die andere Weise mein Scherflein von Höflichkeit, wo nicht von Dienstbeflissenheit, darzubringen.

Das waren meine Beweggründe – und in dieser Stimmung. ihnen Raum zu geben, wurde ich mit der Dame allein gelassen, ihre Hand in der meinen ruhend, und mit unsern beiden Gesichtern näher an der Remisenthür, als absolut nothwendig war.

Die Remisenthür.

Calais.

»Fürwahr, schöne Dame!« sagte ich, ihre Hand leicht ein wenig erhebend. als ich begann, »dies muß einer von Fortunens wunderlichen Einfällen sein: zwei einander fremde Menschen – verschiedenen Geschlechtes und vielleicht aus ganz verschiedenen Weltgegenden – bei den Händen zu ergreifen und sie beide in Einem Augenblicke in solch eine vertraute Situation zu bringen, wie es der Freundschaft selbst kaum gelungen wäre, und wenn sie einen Monat lang darauf gesonnen hätte.« –

– »Und Ihre Bemerkung darüber, Monsieur, beweist, wie sehr jene Sie durch diesen unerwarteten Vorfall in Verlegenheit gesetzt hat.« –

Wenn eine Situation so ist, wie wir sie wünschen, so ist nichts so unzeitig, als auf die Umstände hinzudeuten, welche sie so gestalten.

»Sie danken dem Glücke«, fuhr sie fort, »Sie hatten Ursache dazu, – das Herz erkannte es und war davon befriedigt; und niemand anders als ein englischer Philosoph wäre im Stande gewesen, die Kunde davon dem Verstande zukommen zu lassen, damit er das Urtheil abändere.«

Indem sie dies sagte, machte sie ihre Hand von der meinigen mit einem Blicke los, den ich als einen zureichenden Commentar über den Text ansah.

Es ist ein jämmerliches Bild, das ich hier von der Schwachheit meines Herzens liefere, indem ich eingestehe, daß es eine Qual empfand, welche würdigere Veranlassungen nicht zu erzeugen vermocht hätten – ich fühlte mich gekränkt, daß sie mir ihre Hand entzog; und die Art, wie ich sie verloren hatte, goß in die Wunde weder Oel noch Wein: niemals in meinem Leben hatte ich die Qual einfältiger Verlegenheit so peinlich empfunden.

Die Triumphe eines wahrhaft weiblichen Herzens über dergleichen Niederlagen sind von kurzer Dauer. Nach wenigen Sekunden legte sie ihre Hand auf den Aufschlag meines Rockes, um ihre Entgegnung zu beendigen: so gewann ich auf irgend eine oder die andere Art, Gott weiß wie, meine Situation wieder.

–»Sie hätte nichts hinzuzufügen.« –

Sofort begann ich auf eine andere Unterhaltung für die Dame zu sinnen; denn sowohl nach dem Geist als nach der Moral derselben zu schließen, glaubte ich, daß ich über ihren Charakter im Irrthum gewesen sei. Als sie mir aber ihr Gesicht wieder zuwandte, war der Geist, der die Erwiederung beseelt hatte, entflohen – die Muskeln waren wieder in ihre Ruhe zurückgetreten, und ich gewahrte denselben schutzlosen Blick des Kummers, welcher zuerst meine Theilnahme für sie erweckt hatte – Wie traurig, einen so muntern Geist als eine Beute des Kummers zu sehen! – Ich bemitleidete sie aus tiefster Seele. Und obgleich es einem verhärteten Gemüthe lächerlich genug erscheinen mag – ich hätte sie ohne Erröthen auf offener Straße in meine Arme schließen und liebkosen können.

Die Schläge der Pulsadern in meinen Fingern, die sich um die ihrigen schmiegten, sagten ihr, was in meinem Innern vorging: sie schlug den Blick zu Boden. – Es folgte ein Stillschweigen von einigen Augenblicken.

In dieser Zwischenzeit muß ich einige schwache Versuche gemacht haben, ihre Hand enger zu umfassen, wie ich nach einer leisen Bewegung befürchtete, die ich in meiner innern Hand empfand; nicht, als ob sie im Begriff gewesen wäre, mir die ihrige zu entziehen – nur so, als ob sie es im Sinne hätte –; und ich hätte diese zum zweiten Mal unfehlbar eingebüßt, hätte mir nicht der Instinct mehr als der Verstand das letzte Auskunftsmittel in solchen Gefahren an die Hand gegeben, nämlich, sie lose und in solcher Weise zu halten, als ob ich selbst sie jeden Augenblick fahren lassen wollte. So ließ sie es geschehen, bis Monsieur Dessein mit dem Schlüssel zurückkam; und in der Zwischenzeit überlegte ich, wie ich den üblen Eindruck tilgen könnte, den die Geschichte mit dem armen Mönch, im Fall er sie ihr mitgetheilt hatte, in ihrem Herzen wider mich erzeugt haben mußte.


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