Laurence Sterne
Empfindsame Reise
Laurence Sterne

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Der Gefangene.

Paris.

Das Bild des Vogels in seinem Käfig verfolgte mich bis in mein Zimmer. Ich setzte mich dicht an meinen Tisch, stützte den Kopf auf die Hand und fing an, mir das Elend eines Gefangenen vorzustellen. Ich befand mich in der rechten Stimmung dazu und ließ meiner Einbildungskraft vollen Lauf.

Ich war im Begriff, bei den Millionen meiner Mitgeschöpfe anzufangen, welche dazu geboren sind, nichts anderes zu erben als Sclaverei; da ich aber fand, daß ich mir das Gemälde, wie ergreifend es auch sonst sein mochte, nicht nahe genug bringen konnte, und daß die Menge trauriger Gruppen in demselben mich nur verwirrten –

– So hob ich einen einzelnen Gefangenen daraus hervor, und nachdem ich ihn in seinem Gefängniß eingeriegelt hatte, blickte ich durch das Zwielicht seines Thürgatters, um sein Bild abzuconterfeien.

Ich sah seinen Körper halb abgezehrt von langem Harren und Gefängniß, und empfand, wie krank es das Herz machen müsse, wenn die Hoffnung so hingehalten wird. Als ich näher hinblickte, sah ich seine Blässe und seinen fieberhaften Zustand: dreißig Jahre hindurch hatte der Westwind nicht Einmal sein Blut gekühlt – er hatte in der ganzen Zeit weder Sonne noch Mond gesehen – noch hatte die Stimme eines Freundes oder eines Verwandten durch sein Gitter ihm zugesprochen; – seine Kinder –

Doch hier begann mein Herz zu bluten – und ich war genöthigt, zu einem andern Theile des Bildes überzugehen.

Er saß in dem hintersten Winkel seines Kerkers am Boden auf ein wenig Stroh, das abwechselnd ihm zum Sitz und zum Lager diente. Ein kleiner Kalender, aus dünnen Holzstäbchen bestehend, worauf von oben bis unten die ganze Zahl der jammervollen Tage und Nächte, die er hier verbracht hatte, eingekerbt war, lag ihm zu Häupten. Einen von diesen kleinen Stäbchen hielt er in seiner Hand und kratzte mit einem rostigen Nagel einen neuen Tag des Elends hinein, um ihn der Menge der übrigen zuzugesellen. – Da ich das wenige Licht, das ihm zu Theil wurde, verdunkelte: so erhob er sein hoffnungsleeres Auge und sah gegen die Thür, dann schlug er es nieder, schüttelte den Kopf und setzte sein trauriges Werk fort. Ich hörte das Klirren der Ketten an seinen Beinen, als er den Körper wandte, um das kleine Hölzchen zum Bündel der anderen zu legen. – Er stieß einen tiefen Seufzer aus – ich fühlte, wie der Druck der Fesseln in seine Seele drang – ich brach in Thränen aus. – Ich konnte das Bild der Gefangenschaft, das sich meine Phantasie ausgemalt hatte, nicht ertragen – ich fuhr von meinem Stuhl empor, rief La Fleur und befahl ihm, eine Miethkutsche zu bestellen und sie um neun Uhr morgens vor dem Hôtel bereit zu halten.

– »Ich will gradezu selbst«, sagte ich, »zu Monsieur le Duc de Chioseul gehen.«

La Fleur hätte mich gern zu Bette gebracht; doch da ich nicht wollte, daß er etwas aus meinem Gesicht sähe, was dem ehrlichen Burschen ein Herzweh verursachen könnte – so sagte ich ihm, ich würde mich ohne seine Hülfe zu Bett legen – und hieß ihn gehen und das Gleiche thun.

Der Staar.

Weg nach Versailles.

Zur bestimmten Stunde saß ich in meinem Wagen; La Fleur stieg hinten auf, und ich bat den Kutscher auf dem Weg nach Versailles sein Bestes zu thun.

Da sich auf dieser Straße nichts zum Bemerken darbot, wenigstens nichts, wornach ich beim Reisen mich umschaue: so kann ich das leere Blatt nicht besser anfüllen, als mit einer kurzen Geschichte ebendesselben Vogels, welcher der Gegenstand des letzten Kapitels war.

Indeß Seine Hochwohlgeboren, der Herr . . ., zu Dover auf guten Wind wartete, hatte ein englischer Bursche, der sein Reitknecht war, den Vogel, der noch nicht recht fliegen konnte, auf den Klippen gefangen, und da er ihn nicht tödten mochte, in seinem Busen mit auf das Packetboot genommen – und weil er ihn denn fütterte und doch einmal unter seinen Schutz genommen hatte, so gewann er ihn in wenigen Tagen lieb, und brachte ihn wohlbehalten mit nach Paris.

In Paris kaufte der Bursche für einen Livre einen kleinen Käfig für den Staar, und da er während der fünf Monate, die sein Herr dort verweilte, nicht viel Besseres zu thun hatte, so lehrte er ihn in seiner Muttersprache die vier einfachen Worte – und nichts mehr – für die ich mich so sehr als des Vogels Schuldner bekenne.

Bei der Weiterreise seines Herrn nach Italien hatte der Bursche den Vogel dem Herrn des Hôtels gegeben. Da aber sein kurzer Ruf nach Freiheit in einer zu Paris unbekannten Sprache geschah, so legte der Vogel wenig oder keine Ehre bei jenem ein – und La Fleur kaufte ihn für mich sammt dem Käfig um den Preis einer Flasche Burgunder.

Bei meiner Rückkehr aus Italien brachte ich ihn mit mir in das Land, in dessen Sprache er seine Laute gelernt hatte – und als ich dem Lord A . . . seine Geschichte erzählte, bat mich Lord A . . . um den Vogel – eine Woche darauf gab ihn Lord A . . . dem Lord B . . .; Lord B . . . machte dem Lord C . . . ein Geschenk damit; und Lord C . . . s Kammerdiener verkaufte ihn dem des Lord D . . . für einen Shilling; – Lord D . . . gab ihn dem Lord E . . ., und so fort durch das halbe Alphabet. – Von diesem Range stieg er nun in das Unterhaus hinab und ging durch die Hände von ebenso viel Gemeinen. – Doch da diese alle hinein wollten – mein Vogel aber heraus – so legte er in London fast so wenig Ehre ein, als in Paris.

Es ist unmöglich, daß nicht viele meiner Leser von ihm gehört haben sollten; und sollte ihn Einer zufälliger Weise gesehen haben – so erlaube ich mir, ihm mitzutheilen, daß dieser Vogel mein Vogel war – oder irgend eine schlechte Copie, die ihn vorstellen sollte.

Ich habe über ihn nichts weiter hinzuzufügen als daß ich von jener Zeit an bis jetzt diesen armen Staar als Helmschmuck über meinem Wappen geführt habe: –

Solchergestalt:

– Und nun laßt die Wappenkundigen kommen und ihm den Hals umdrehen, wenn sie das Herz haben.

Die Anrede.

Versailles.

Es würde mir unlieb sein, wenn ein Feind von mir in meine Seele schauen könnte, sobald ich im Begriff bin, irgend Jemand um seinen Schutz anzusprechen; weshalb ich mich auch so viel wie möglich bestrebe, mich selbst zu beschützen. Aber dieser Gang zu Monsieur le Duc de C . . . . war eine Handlung der Notwendigkeit – wäre es eine Handlung der freien Wahl gewesen, so würde ich sie wahrscheinlich wie andere Leute abgethan haben.

Wie viele niedrige Entwürfe zu einer demüthigen Anrede machte mein sklavisches Herz auf dem Wege! Für jeden einzelnen hätte ich die Bastille verdient.

Als ich endlich Versailles in Sicht bekam, vermochte ich nichts mehr zu thun, als Worte und Redensarten zu drechseln und Stellungen und Töne zu ersinnen, um mich in die Gunst des Monsieur le Duc de C . . . . hineinzuwinden. – »Dies wird wirken«, sagte ich. – »Grade so gut«, warf ich mir selbst dagegen ein, »wie ein Kleid, das ihm ein verwegener Schneider bringt, ohne ihm das Maß dazu genommen zu haben. – Thor!« fuhr ich fort – »sieh erst das Antlitz des Monsieur le Duc – gieb Acht, was für ein Charakter darin geschrieben steht – bemerke, in welcher Stellung er dich anhört – fasse die Wendungen und die Ausdrucksweise seines Körpers und seiner Glieder ins Auge – und was den Ton der Stimme anbetrifft – der erste Laut, der von seinen Lippen kommt, wird dir ihn andeuten, und aus all diesem zusammengenommen wirst du dir auf der Stelle eine Anrede bilden, die dem Herzog nicht mißfallen kann – die Zuthaten sind von ihm selbst hergenommen und werden höchst wahrscheinlich gut hinunter gehn.«

– »Gut«, sagte ich, »ich wünschte, es wäre vorüber. – Wiederum feig! – als wenn nicht Mensch dem Menschen überall die Wage hielte auf der ganzen Oberfläche der Erde; und wenn in dem Felde – warum nicht ebenso Aug' in Aug' im Cabinet? Und glaube mir, Yorick, wenn es nicht so ist, so ist der Mensch falsch gegen sich selbst und giebt seine eigenen Hülfstruppen zehnmal auf, wo die Natur es nur Einmal thut. Geh zum Duc de C . . . . mit der Bastille in deinen Mienen – und mein Leben verwette ich, du wirst in einer halben Stunde mit meiner Escorte nach Paris zurück geschickt.«

»Ich glaube es wohl«, sagte ich – »Nun, beim Himmel! so will ich zum Herzog gehen mit der größten Heiterkeit und dem sorglosesten Herzen von der Welt.«

– »Und da hast du wieder Unrecht, Yorick«, erwiederte ich. – »Ein ruhiges Herz springt nicht von einem Aeußersten zum andern – es bleibt stets in seinem Mittelpunct. – Gut! gut!« rief ich aus, als der Kutscher eben in das Thor einlenkte, »ich glaube, ich werde meine Sache ganz gut machen.« Und während er rund um den Hof gefahren war und mich vor das Portal brachte, fand ich mich durch meine eigne Lection um so viel gebessert, daß ich die Stufen nicht hinaufstieg wie ein Opfer der Gerechtigkeit, das auf der obersten vom Leben scheiden soll, aber auch nicht mit einigen wenigen Sprüngen hinaufflog, wie ich es mache, wenn ich zu dir, Elisa, hinaufeile, um es bei dir zu finden.

Als ich in die Thüre des Saales trat, kam mir eine Person entgegen, welche vielleicht der Haushofmeister sein mochte, jedoch mehr das Ansehen eines der Untersecretaire hatte, und der mir sagte, der Duc de C . . . . habe Geschäfte –»Ich bin«, sagte ich, »der Formen unkundig, um zu einer Audienz zu gelangen, da ich hier gänzlich fremd bin, und, was bei den gegenwärtigen Conjuncturen der Dinge noch schlimmer ist, obendrein ein Engländer.« – Er erwiederte, das erhöhe die Schwierigkeit durchaus nicht. – Ich machte ihm eine leichte Verbeugung und sagte, daß ich dem Herrn Herzog etwas Wichtiges vorzutragen hätte. – Der Secretair blickte nach der Treppe zu, als ob er im Sinn hätte, mich zu verlassen, um Jemand diese Nachricht zu überbringen. – »Aber ich darf Sie nicht irre leiten«, sagte ich, »denn was ich vorzutragen habe, ist keineswegs von Wichtigkeit für Monsieur le Duc de C . . . ., wohl aber von großem Gewicht für mich.« – »C'est une autre affaire«, erwiederte er. – »Durchaus nicht für einen Mann von Höflichkeit«, sagte ich. »Aber ich bitte Sie, lieber Herr«, fuhr ich fort: »wann kann ein Fremder hoffen, Zutritt zu erhalten?« – »In nicht weniger als zwei Stunden«, sagte er, indem er auf seine Uhr sah. – Die Menge der Equipagen auf dem Hofe schien die Angabe zu rechtfertigen, daß ich früher keine Aussicht dazu haben würde; – und da das Auf- und Abgehen im Saale, ohne mich einer Seele mittheilen zu können, unter den gegenwärtigen Umständen so schlimm war, als wenn ich mich in der Bastille selbst befände: so ging ich auf der Stelle nach meinem Wagen zurück und befahl dem Kutscher, mich zum Cordon bleu zu fahren, welches nämlich das nächste Hôtel war.

Es scheint mir etwas Verhängnisvolles darin zu liegen, daß ich selten an den Ort gelange, wo ich hin will!

Der Pastetenverkäufer.

Versailles.

Ehe ich noch halb die Straße hinabgefahren war, änderte ich meinen Sinn. »Da ich einmal in Versailles bin«, dachte ich, »so könnte ich mir wohl die Stadt in Augenschein nehmen.« Damit zog ich die Schnur und befahl dem Kutscher, durch einige der Hauptstraßen zu fahren. – »Ich vermuthe, die Stadt ist nicht eben groß«, sagte ich. – Der Kutscher bat um Verzeihung, daß er mich berichtigen müsse, und sagte mir, sie wäre wirklich superb, und sehr viele der ersten Herzöge und Marquis und Grafen hätten hier Hôtels. – Der Graf von B . . . ., von welchem der Buchhändler auf dem Quai de Conti den Abend vorher so artig gesprochen hatte, kam mir sogleich in die Erinnerung. – »Und warum sollte ich nicht zu dem Grafen von B . . . . gehen«, dachte ich, »welcher eine so hohe Meinung von englischen Büchern und den Engländern hat – und ihm meine Geschichte erzählen?« – Und so änderte ich meinen Sinn zum zweiten Male. In Wahrheit aber war es das dritte Mal; denn ich hatte eigentlich diesen Tag für Madame de R . . . . in der Rue St. Pierre bestimmt und ihr ehrerbietigst durch ihr Kammermädchen melden lassen, daß ich ihr sicherlich meine Aufwartung machen würde – Doch ich werde von den Umständen beherrscht – ich kann sie nicht beherrschen. – Indem sah ich einen Mann mit einem Korbe an der andern Seite der Straße stehen, als ob er etwas zu verkaufen hätte, und gebot La Fleur, zu ihm hinzugehen und sich nach dem Hôtel des Grafen zu erkundigen.

La Fleur kehrte ein wenig blaß zurück und sagte mir, es wäre ein Chevalier des St. Ludwigsordens, der Pastetchen verkaufe. – »Es ist nicht möglich, La Fleur«, sagte ich. – La Fleur konnte sich die Erscheinung so wenig erklären, als ich selbst; doch bestand er auf seiner Aussage. Er hätte das in Gold gefaßte Kreuz gesehen, sagte er, mit seinem rothen Bande im Knopfloch befestigt – und hätte in den Korb geblickt und die Pastetchen gesehen, welche der Chevalier verkaufe; also könnte er sich nicht getäuscht haben.

Solch ein Umsturz in eines Mannes Leben ruft einen bessern Beweggrund hervor, als bloße Neugierde. Ich konnte nicht umhin, von meinem Sitz in der Kutsche aus ihn eine Zeitlang zu betrachten – und je mehr ich ihn, sein Kreuz und seinen Korb ansah, desto stärker prägten sie sich meinem Gehirn ein. – Ich stieg aus der Kutsche und ging auf ihn zu.

Er hatte sich eine saubere leinene Schürze umgebunden, die bis über die Kniee hinabreichte, mit einer Art Latz, der bis zur Hälfte der Brust hinausging. Ueber diesem, doch ein wenig noch unter den Saum sich versteckend, hing sein Kreuz. Sein Korb mit den Pastetchen war mit einer weißen, blumig gewirkten Serviette bedeckt; eine andere dergleichen war über den Boden gebreitet, und Alles hatte ein solches Ansehen von Propretät und Sauberkeit, daß man ihm seine Pastetchen ebenso wohl aus Appetit als aus Mitgefühl abkaufen mochte.

Er bot sie niemand an, sondern stand still damit an der Ecke eines Hôtels, um sie denen zu verkaufen, die unaufgefordert welche haben wollten.

Er war ungefähr achtundvierzig Jahr alt und von einem gesetzten Ansehen, das etwas an würdigen Ernst grenzte. Mich nahm das nicht Wunder. – Ich ging gleichsam mehr zu dem Korbe als zu ihm hin, und nachdem ich die Serviette erhoben und eine von seinen Pasteten in die Hand genommen hatte – bat ich ihn, mir die Erscheinung zu erklären, die mich so ergriff.

Er berichtete mir in wenigen Worten, daß er den besten Theil seines Lebens im Kriegsdienst verbracht hätte, worin ihm, nach Zusetzung seines ererbten kleinen Vermögens, eine Compagnie und dabei das Kreuz zu Theil geworden wäre. Da man aber bei dem letzten Friedensschlusse sein Regiment aufgelöst, und das ganze Corps nebst denen einiger anderen Regimenter ohne irgend eine Versorgung gelassen hatte, so fand er sich in der weiten Welt ohne Freunde, ohne Geld – und in der That, sagte er, ohne sonst irgend etwas, als dies (bei welchen Worten er auf sein Kreuz zeigte). – Der arme Chevalier gewann mein Mitleid, und er endigte den Auftritt damit, daß er auch noch meine Achtung erwarb.

Der König, sagte er, wäre der großmüthigste Fürst; aber seine Großmuth könne nicht Allen helfen oder sie belohnen, und es wäre nur sein Mißgeschick schuld, daß er sich unter der Zahl dieser befände. Er hätte ein niedliches Weibchen, sagte er, das er liebe und das die Pasteten backe, und fügte hinzu, daß er keine Unehre darin fände, sie und sich selbst auf diese Weise vor Mangel zu schützen – wenn ihm die Vorsehung nicht eine bessere anwiese.

Es würde fühllos sein, dem Leser von Empfindung ein Vergnügen vorzuenthalten, indem ich überginge, was dem armen Chevalier vom St. Ludwigskreuz ungefähr neun Monate später begegnete.

Es scheint, daß er gewöhnlich seinen Stand in der Nähe der eisernen Gitterthore nahm, welche zu dem Palais führen; und da sein Kreuz die Augen Unzähliger auf sich gezogen, so hatten ihn auch Unzählige ebenso darum befragt wie ich. – Er hatte ihnen dieselbe Geschichte erzählt und stets mit so großer Bescheidenheit und so verständig, daß es zuletzt vor die Ohren des Königs gekommen war – und dieser, als er erfuhr, der Chevalier sei ein tapfrer Offizier und bei dem ganzen Regiment als ein Mann von Ehre und unbescholtenem Rufe geachtet gewesen – legte ihm seinen kleinen Handel vermittelst einer jährlichen Pension von fünfzehnhundert Livres.

Da ich diese Geschichte dem Leser erzählt habe, um ihm ein Vergnügen zu machen, so bitte ich, er wolle mir gestatten, noch eine andere außer der Ordnung zu meinem eignen Vergnügen mitzutheilen – Die beiden Geschichten werfen ein gewisses Licht auf einander – und es wäre schade, wenn sie getrennt würden.

Der Degen.

Rennes.

Wenn Staaten und Reiche ihre Perioden des Verfalls haben und auch sie die Reihe trifft, zu empfinden, was Unglück und Armuth ist – so will ich mich nicht damit aufhalten, die Ursachen mitzutheilen, welche das Haus d'E . . . . in der Bretagne nach und nach in Verfall brachten. Der Marquis d'E . . . . hatte mit großer Standhaftigkeit gegen seine Lage angekämpft, weil er einige kleine Ueberreste von dem, was seine Vorfahren gewesen waren, zu erhalten und sie auch der Welt zu zeigen wünschte; – allein durch ihre unbesonnene Handlungsweise war ihm alle Macht dazu benommen. Es war zwar genug für die kleinen Bedürfnisse eines dunklen Lebens übrig geblieben – aber er hatte zwei Knaben, die nach Licht zu ihm aufschauten – und die, wie er glaubte, es verdienten. Er hatte seinen Degen versucht – dieser konnte ihm keinen Weg bahnen – das Steigen war mit zu viel Kosten verknüpft – und bloßes Sparen konnte sie nicht bestreiten – es gab kein anderes Hülfsmittel als den Handel.

In jeder andern Provinz Frankreichs, außer der Bretagne, hätte dies die Wurzel des kleinen Baumes, den sein Stolz und seine Liebe wieder blühen zu sehen wünschte, abhauen heißen. Da es aber in der Bretagne eine Vorkehrung dagegen gab, so machte er sich diese zu nutze. Als nämlich die Stände in Rennes versammelt waren, erschien der Marquis, die Gelegenheit wahrnehmend, mit seinen beiden Söhnen vor dem Gerichtshof, und nachdem er das Recht eines alten Gesetzes des Herzogthums, das, obschon selten beansprucht, wie er sagte, doch darum nicht weniger in Kraft wäre, für sich in Anspruch genommen hatte, nahm er seinen Degen von seiner Seite und sagte: »Hier, nehmt ihn hin und haltet ihn in treuer Hut, bis bessere Zeiten mich in den Stand setzen, ihn zurückzufordern.«

Der Präsident nahm den Degen des Marquis in Empfang – dieser verweilte noch einige Minuten, um zu sehen, wie man ihn in dem Archive seines Hauses niederlegte, und ging sodann fort.

Der Marquis schiffte sich mit seiner ganzen Familie am folgenden Tage nach Martinique ein, und nach ungefähr neunzehn oder zwanzig Jahren einer erfolgreichen Handelsbetriebsamkeit, wozu noch einige unerwartete Erbschaften von entfernten Zweigen seines Hauses kamen, kehrte er wieder in die Heimath, um seinen Adel zurückzufordern und aufrecht zu erhalten.

Es war ein sehr glücklicher Zufall, der nicht leicht einem andern als einem empfindsamen Reisenden begegnen wird, daß ich mich grade zur Zeit dieser feierlichen Rückforderung in Rennes befand. Ich nenne sie: feierlich – denn für mich wenigstens war sie es.

Der Marquis trat in den Gerichtshof mit seiner ganzen Familie. Er führte seine Frau am Arm, sein ältester Sohn führte seine Schwester, und der jüngste befand sich an der andern Seite neben seiner Mutter. – Zweimal hielt er sein Taschentuch vor das Gesicht. –

– Ein todstilles Schweigen herrschte. Als sich der Marquis dem Tribunal auf sechs Schritte genähert hatte, gab er die Marquise seinem jüngsten Sohn, that drei Schritte von seiner Familie vorwärts und forderte seinen Degen zurück. Der Degen wurde ihm übergeben, und im Augenblick, da er ihn in seiner Hand hielt, zog er ihn beinahe ganz aus der Scheide – es war ihm das freudenhelle Antlitz eines Freundes, den er einst aufgegeben hatte. Er betrachtete ihn aufmerksam, vom Gefäß an der ganzen Länge nach, als wollte er untersuchen, ob es noch derselbe sei – und als er einen kleinen Rostflecken bemerkte, der sich an der Spitze angesetzt hatte, hielt er ihn näher an sein Auge, und ich glaubte, während er seinen Kopf darüber beugte, eine Thräne auf die Stelle fallen zu sehen. Nach dem, was folgte, hatte ich mich nicht getäuscht.

»Ich werde«, sagte er, »schon ein anderes Mittel finden, ihn wegzuschaffen.«

Als der Marquis dies gesagt hatte, stieß er den Degen wieder in die Scheide, machte vor den Bewahrern desselben eine Verbeugung und ging mit Frau und Tochter und den beiden Söhnen, die ihm folgten, hinweg.

O wie beneidete ich ihn um seine Gefühle!

Der Reisepaß.

Versailles.

Es hatte keine Schwierigkeit, bei dem Herrn Grafen von B . . . . Zutritt zu erlangen. Die Werke Shakespeare's lagen auf dem Tische, und er durchblätterte sie eben. Ich ging nahe an den Tisch heran, und nachdem ich einen solchen Blick auf die Bücher geworfen, daß er begreifen mußte, sie seien mir bekannt, – sagte ich ihm: ich wäre ohne irgend eine Person gekommen, die mich vorstellte, in der Voraussicht, in seinen Zimmern einen Freund anzutreffen, der es gewiß für mich thun würde – »Es ist mein Landsmann, der große Shakespeare«, sagte ich, indem ich auf seine Werke zeigte – »et ayez la bonté, mon cher ami« fügte ich, seinen Geist anredend, hinzu, »de me faire cet honneur-là!« –

Der Graf lächelte über diese sonderbare Einführung; und da er wahrnahm, daß ich etwas blaß und leidend aussah, so bestand er darauf, daß ich einen Armstuhl nähme. So ließ ich mich denn nieder; und um ihm jede unnütze Muthmaßung über einen Besuch, der so wider alle Regeln lief, zu ersparen, erzählte ich ganz einfach den Vorfall in dem Buchhändlerladen, und wie dies mich bewogen hätte, eher ihn mit der Geschichte einer kleinen Verlegenheit zu behelligen, als sonst irgend Jemand in Frankreich. – »Und worin besteht Ihre Verlegenheit? lassen Sie hören«, sagte der Graf. – Und so erzählte ich ihm die Geschichte gerade so, wie ich sie dem Leser erzählt habe. – –

– »Und der Wirth meines Hôtels«, sagte ich, nachdem ich sie beendigt hatte, »will durchaus, daß ich in die Bastille wandern soll, mein Herr Graf; aber ich bin deshalb unbesorgt«, fuhr ich fort – »denn da ich in die Hände des civilisirtesten Volks der Welt gefallen bin, und da ich das gute Gewissen eines redlichen Mannes habe, der nicht gekommen ist, die Blößen des Landes auszuspähen, so dachte ich nicht, daß ich Gewaltthätigkeit zu befürchten habe. – Es ist der Tapferkeit der Franzosen unangemessen, mein Herr Graf«, sagte ich, »sie an Invaliden zu beweisen.« Dem Grafen B . . . . stieg eine lebhafte Röthe in die Wangen, als ich dies sprach – »Ne craignez rien – fürchten Sie nichts«, sagte er. – »In der That, es kommt mir keine Furcht an«, versetzte ich. – »Ueberdies«, fuhr ich mit einem scherzhaften Anfluge fort, »habe ich den ganzen Weg von London bis Paris unter Lachen zurückgelegt, und glaube nicht, daß Monsieur le Duc de Choiseul ein solcher Feind des Scherzes ist, daß er mich mit Weinen über mein Leid zurückschicken sollte.

– »Und deshalb wende ich mich an Sie, Herr Graf von B . . . . (hiebei machte ich ihm eine tiefe Verbeugung), daß Sie ihn ersuchen, es nicht zu thun.« –

Der Graf hörte mich mit großer Gutmüthigkeit an, sonst hätte ich nicht halb so viel vorgebracht – und ein oder zweimal sagte er: »C'est bien dit.« So ließ ich denn meine Sache dabei bewenden und nahm mir vor, nichts weiter davon zu erwähnen.

Der Graf leitete das Gespräch. Wir sprachen von gleichgültigen Dingen – von Büchern, von Politik und den Menschen – und dann von den Frauen. – »Gott segne sie alle!« sagte ich, nachdem wir viel über sie hin und her geredet hatten – »es giebt keinen Mann auf Erden, der sie so liebt, wie ich: trotz all der Schwächen, die ich an ihnen bemerkt, und all der Satiren, die ich über sie gelesen habe, liebe ich sie noch fortwährend, indem ich fest überzeugt bin, daß ein Mann, der nicht eine Art von Zuneigung für das ganze Geschlecht hat, nicht fähig ist, eine einzige zu lieben, wie sich's gebührt.«

»Eh bien! Monsieur l'Anglais«, sagte der Graf aufgeräumt – »Sie sind nicht herübergekommen, um die Blöße des Landes auszuspähen – ich glaube es Ihnen – ni encore, darf ich wohl hinzufügen – die unserer Weiber – Aber, erlauben Sie mir, zu vermuthen – daß, wenn sie Ihnen par hazard in den Weg kämen, Ihnen der Prospekt nicht sehr anziehend erscheinen würde.«

Es ist etwas in mir, was den Hauch der leisesten zweideutigen Anspielung nicht vertragen kann. Im lebhaftesten Wortgefecht des Scherzens habe ich mich oft bemüht, dergleichen zu unterdrücken, und wieder mit unsäglicher Anstrengung habe ich vor einem Dutzend des andern Geschlechts tausend Dinge gewagt – deren geringstes ich vor Einer allein nicht herausbringen könnte, und wenn ich mir den Himmel damit gewinnen sollte.

»Entschuldigen Sie, Herr Graf«, sagte ich – »was die Blöße Ihres Landes anbetrifft, so würde ich, falls ich sie sähe, den Blick meiner Augen nur durch Thränen auf sie fallen lassen – und die Ihrer Frauen anlangend (ich erröthete über die Vorstellung, die er in mir erregt hatte), so bin ich in diesem Puncte so evangelisch gesinnt und habe für alles, was schwach an ihnen ist, ein so großes Mitgefühl, daß ich es mit einem Mantel bedecken würde, wenn ich es nur anzustellen wüßte. – Aber«, fuhr ich fort, »wünschen möchte ich wohl, die Blöße ihrer Herzen auszuspähen und durch die verschiedenen Verkleidungen der Sitten, des Klimas und der Religion hindurch das Gute in ihnen herauszufinden, um mein eigenes Herz darnach zu bilden – und deshalb bin ich herübergekommen.«

»Aus diesem Grunde, Herr Graf«, fuhr ich fort, »habe ich auch nicht das Palais Royal gesehen – noch das Luxembourg – noch die Façade des Louvre – noch auch versucht, die vorhandenen Verzeichnisse von Gemälden, Bildsäulen und Kirchen zu vermehren – Ich betrachte jedes schöne Wesen als einen Tempel und möchte darin eintreten und die dort aufgehangenen Original-Gemälde und flüchtigen Skizzen betrachten, lieber als selbst die Verklärung Rafaels.«

»Der Durst darnach«, fuhr ich fort, »der ebenso brennend ist wie der, welcher die Brust des Kunstkenners entflammt, hat mich aus meiner Heimath nach Frankreich geführt – und wird mich aus Frankreich nach Italien führen – Es ist eine stille Reise des Herzens, um der Natur nachzugehen und jenen Regungen, deren Mutter sie ist, und welche bewirken, daß wir uns einander und die Welt besser lieben, als es gewöhnlich geschieht.«

Der Graf sagte mir bei dieser Gelegenheit außerordentlich viel Höfliches und setzte sehr verbindlich hinzu, wie sehr er Shakespeare für meine Bekanntschaft zu Dank verpflichtet sei – »Doch, à propos«, sagte er, »Shakespeare ist voll großer Schönheiten – nur vergaß er einen kleinen Umstand, nämlich, mir Ihren Namen zu nennen – Das setzt Sie in die Nothwendigkeit, es selbst zu thun.«

Der Reisepaß.

Versailles.

Nichts im Leben setzt mich so in Verlegenheit, als wie ich jemandem beibringen soll, wer ich bin, – denn es giebt kaum einen Menschen, von dem ich nicht einen bessern Bericht geben könnte, als von mir selbst, und oft bin ich auf den Wunsch verfallen, daß ich es mit einem einzigen Wort abmachen könnte – und es damit abgethan wäre. Hier war es das einzige Mal und die einzige Gelegenheit in meinem Leben, daß ich dies mit einem gewissen Erfolge bewerkstelligen konnte. Denn da Shakespeare auf dem Tische lag und ich mich erinnerte, daß ich in seinen Werken vorkomme, so nahm ich den Hamlet, schlug ohne Weiteres die Todtengräberscene im fünften Act nach, legte meinen Finger unter das Wort: Yorick, und reichte dem Grafen das Buch hin, während ich den Finger unter dem Namen fest liegen ließ. – »Me voici!« sagte ich.

War nun die Vorstellung von des armen Yoricks Schädel bei der leibhaften Anwesenheit des meinigen dem Gedächtnisse des Grafen entfallen, oder durch welche Magie sonst er einen Zeitraum von sieben oder acht Jahrhunderten überspringen konnte, das kommt hier nicht in Betracht – gewiß ist, daß die Franzosen Vorstellungen leichter auffassen, als sie sie in Verbindung miteinander bringen können. – – Ich wundre mich über nichts in der Welt, und um so weniger darüber; und zwar insofern um so weniger, als eines der Häupter unserer Kirche, vor dessen Lauterkeit und väterlichen Gefühlen ich die höchste Ehrfurcht hege, bei derselben Veranlassung in denselben Irrthum verfiel –: »Er könne es durchaus nicht über sich gewinnen«, sagte er, »Predigten zu lesen, welche des Königs von Dänemark Hofnarr geschrieben habe.« – »Schön, Mylord!« sagte ich; »aber es giebt zwei Yoricks. Der Yorick, den Ew. Hochwürden meinen, ist schon seit achthundert Jahren gestorben und begraben; er florirte an Horwendillus' Hofe – der andere Yorick bin ich selbst, der ich an keinem Hofe florirt habe.« – Er schüttelte den Kopf. – »Guter Gott«, sagte ich, »Sie könnten ebenso gut Alexander den Großen mit Alexander dem Kupferschmied verwechseln, Mylord.« – Das wäre all eins, erwiederte er. – »Wäre Alexander, König von Makedonien, im Stande gewesen, Ew. Hochwürden zu versetzen«, sagte ich, »ich wette, Sie würden nicht so gesprochen haben.«

Der arme Graf von B . . . . fiel nur in denselben Irrthum. –

– – »Et, Monsieur, est-il Yorick?« fragte der Graf. – »Je le suis«, antwortete ich. – »Vous?«»Moi – moi qui ai l'honneur de vous parler, Monsieur le comte.«»Mon Dieu!« sagte er, mich umarmend – »Vous êtes Yorick!« –

Und auf der Stelle steckte der Graf den Shakespeare in seine Tasche und ließ mich allein im Zimmer zurück.

Der Reisepaß.

Versailles.

Ich konnte ebenso wenig begreifen, warum der Graf von B . . . . so plötzlich das Zimmer verlassen, als ich begreifen konnte, warum er den Shakespeare in die Tasche gesteckt hatte. – Räthsel, die sich von selbst lösen müssen, sind den Verlust der Zeit nicht werth, die uns eine Muthmaßung darüber kostet – es war besser, im Shakespeare zu lesen. Und so schlug ich denn »Viel Lärmen um nichts« auf und versetzte mich augenblicklich von dem Stuhl, worin ich saß, nach Messina in Sicilien, und beschäftigte mich dermaßen mit Don Pedro und Benedict und Beatrice, daß ich weder an Versailles, noch an den Grafen, noch an den Reisepaß dachte.

Köstliche Geschmeidigkeit des menschlichen Geistes, daß er sich urplötzlich Täuschungen hingeben kann, welche der gespannten Erwartung und der Bekümmerniß ihre lästigen Augenblicke benehmen! – Lange, lange schon hättet ihr meine Tage verkürzt, wäre ich nicht einen großen Theil davon auf jenem bezauberten Boden gewandelt. Wenn mein Pfad zu rauh ist für meine Füße, oder zu steil für meine Kräfte. so wende ich mich von ihm ab zu irgend einem glatten, sammtenen Pfade, den die Phantasie mit den Rosenknospen der Freude bestreut hat; und habe ich auf diesem einige Gänge gemacht, dann kehre ich gestärkt und erfrischt zurück. – Wenn schwere Leiden meine Seele bedrängen und es keinen Zufluchtsort für sie in dieser Welt giebt: dann suche ich einen neuen Weg aus – ich verlasse die Welt – und da ich eine deutlichere Vorstellung von den elysischen Gefilden habe als vom Himmel, so bahne ich mir, wie Aeneas, mit Gewalt einen Pfad zu ihnen hin – ich sehe ihn, wie er dem schwermüthigen Schatten seiner verlassenen Dido begegnet, und wie er sich bemüht, ihn zu erkennen – ich sehe den beleidigten Geist das Haupt hin und her bewegen und sich schweigend von dem Urheber ihrer Leiden und ihrer Schande abwenden – die Gefühle meines eignen Selbst verlieren sich in den ihrigen und in Empfindungen, welche mich schon in Trauer um sie zu versetzen pflegten, als ich noch die Schule besuchte.

Wahrhaftig, das heißt nicht in einem leeren Schatten wandeln – noch setzt sich der Mensch dadurch vergeblich in Unruhe; – weit öfter thut er dies, wenn er den Ausgang seiner Gemüthsbewegungen der Vernunft anheim giebt. – Ich kann in Wahrheit von mir selbst sagen: ich war niemals im Stande, irgend eine einzige schlimme Regung in meinem Herzen so entschieden zu besiegen, als wenn ich so schnell wie möglich irgend eine menschenfreundliche und edle Empfindung herbeibeschwor, um jene auf ihrem eignen Grund und Boden zu bekämpfen.

Als ich an den Schluß des dritten Acts gekommen war, trat der Graf von B . . . . mit meinem Paß in der Hand ins Zimmer. »Monsieur le duc de C . . . .«, sagte der Graf, »ist, wie ich wohl sagen darf, ein ebenso großer Prophet als Staatsmann. Un homme qui rit – sagte der Herzog – ne sera jamais dangereux. – Wäre er für einen Andern, als für des Königs Hofspaßmacher gewesen«, fügte der Graf hinzu, »so würde ich den Paß wahrlich in zwei Stunden noch nicht erhalten haben.« – »Pardonnez-moi, Monsieur le Comte«, sagte ich – »ich bin nicht des Königs Hofspaßmacher.« – »Sie sind aber doch Yorick?« – »Ja wohl.« – »Et vous plaisantez?« – Ich antwortete: ich scherzte in der That gern, würde aber nicht dafür bezahlt – es geschähe ganz auf meine eignen Kosten.

»An unserm Hofe giebt es keinen Spaßmacher mehr, mein Herr Graf«, sagte ich. »Es war unter der zügellosen Regierung Karls des Zweiten, daß wir den letzten hatten. Seit dieser Zeit haben sich unsere Sitten allmählig so verbessert, daß unser Hof gegenwärtig so voller Patrioten ist, welche nichts Anderes wünschen, als die Ehre und Wohlfahrt unseres Landes – und unsere Damen sind alle so keusch, so rein, so gut, so fromm – daß es da nichts giebt, worüber ein Spaßmacher seine Scherze machen könnte« –

»Voilà un persiflage!« rief der Graf aus.

Der Reisepaß.

Versailles.

Da der Paß an alle Gouverneurlieutenants, Gouverneure und Commandanten der Städte, an alle Generale der Armee, alle Richter und Justizbeamten gerichtet war, »den Herrn Yorick, Hofspaßmacher des Königs, nebst seinem Gepäck ruhig des Weges ziehen zu lassen« – so muß ich gestehen, daß der Triumph, den Paß erlangt zu haben, nicht wenig durch die Figur, die ich darin spielte, gedämpft wurde. – Doch, es giebt einmal keine ungemischte Freude in der Welt; und einige unserer ernstesten Gottesgelehrten sind so weit gegangen, zu behaupten, daß der Genuß selbst von einem Seufzer begleitet sei – und daß der höchste, welcher ihnen im Allgemeinen bekannt wäre, sich wenig besser endige, als mit einer Convulsion.

Ich erinnere mich, daß der ernste und gelahrte Bevoriskius, in seinem Commentar über die Geschlechter der Menschen von Adam an, sehr natürlich mitten in einer Anmerkung abbricht, um der Welt Kunde zu geben von einem Paar Sperlingen auf der äußern Einfassung seines Fensters, welche ihn in der ganzen Zeit, während er schrieb, gestört und zuletzt von seiner Genealogie abgebracht hatten.

– »Es ist wunderbar!« schreibt Bevoriskius, »aber das Factum ist gewiß, denn ich habe der Curiosität wegen jedesmal mit der Feder einen Strich gemacht –: während der kurzen Zeit, binnen welcher ich die andere Hälfte dieser Anmerkung hätte vollenden können, hat mich das Sperlingmännchen wirklich dreiundzwanzig- und ein halb Mal durch die Wiederholung seiner Zärtlichkeiten unterbrochen.«

»Wie gnadenvoll«, fügt Bevoriskius hinzu, »erweist sich doch der Himmel gegen seine Creaturen!«

Unglücklicher Yorick! – daß der ernsteste deiner Mitbrüder fähig sein mußte, etwas für die Welt hinzuschreiben, was dir beim bloßen Abschreiben in deiner Studierstube das Antlitz mit Purpur überzieht.

Doch das hat nichts mit meinen Reisen zu schaffen – und deshalb bitte ich zweimal – zweimal dafür um Verzeihung.


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