Stendhal
Eine Geldheirat
Stendhal

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Die Truhe und das Gespenst

Übertragen von Franz Blei

An einem klaren Maienmorgen des Jahres 1827 ritt Don Blas Bustos y Mosquera mit einem Gefolge von dreizehn Reitern in das Dorf Alcolete ein, eine Meile entfernt von Granada. Bei seinem Anblick liefen die Bauern in ihre Häuser und verriegelten die Türen. Die Weiber blickten aus dem Fensterrande voller Schrecken auf den schrecklichen Polizeimeister von Granada, dessen Grausamkeit der Himmel damit gestraft hat, daß er seiner Gestalt den Ausdruck seiner Seele gab. Ein Mann von sechs Fuß Länge war er, schwarz und von grauenvoller Magerkeit. Nichts als Polizeimeister zitterten doch Bischof und Gouverneur von Granada vor ihm.

In dem Guerillakriege gegen den Kaiser, welcher die Spanier dieses Jahrhunderts für die Nachwelt über alle Völker Europas heben und neben die Franzosen an den zweiten Platz stellen wird, war Don Blas einer der berühmtesten Führer der Guerillas gewesen. Er schlief, wie er geschworen hatte, nicht in einem Bette, war von seiner Bande nicht täglich mindestens einem Franzosen der Garaus gemacht worden.

Die Rückkehr Ferdinands brachte ihn für acht Jahre entsetzlichsten Elends auf die Galeeren von Ceuta. Er war beschuldigt, in seiner Jugend Kapuziner gewesen und aus dem Kloster entsprungen zu sein. Nach acht Jahren wurde er, ohne daß man wußte wie und weshalb, begnadigt. Don Blas spricht heute nie ein Wort; sein Schweigen hat ihn berühmt gemacht; und war er früher im Ruf geistreichen Witzes gestanden, den er an seinen Kriegsgefangenen ausließ bevor er sie henkte; seine Witzworte waren bekannt bei allen spanischen Armeen.

Im Schritt ritt Don Blas durch die Straße von Alcolete und schaute mit seinen Luchsaugen rechts und links die Häuser ab. Gerade als er vor der Kirche war, läutete es zur Messe; er schleuderte sich mehr vom Pferde als daß er abstieg, und man sah ihn vor den Altar hinknien, neben ihn vier seiner Leute, den Blick auf ihn gerichtet, in dessen Augen aber alle Andacht verschwunden war. Denn sie hatten sich finster auf einen jungen Menschen von gutem Aussehen gerichtet, der ein paar Schritte von ihm andächtig betete.

»Ein Mann der besten Gesellschaft,« dachte Don Blas, »den ich nicht kenne? Er war unsichtbar in Granada, seit ich dort bin. Der Mensch verbirgt sich.«

Don Blas beugte sich zu einem seiner Leute hin, befahl ihn, den jungen Menschen zu verhaften, sowie er die Kirche verlassen habe. Nach dem Ita missa ging er selber schnell aus der Kirche und auf den großen Saal des Wirtshauses von Alcolete. Bald darauf erschien sehr erstaunt der junge Mann.

»Euer Name?«

»Don Fernando della Cueva.«

Don Blasens schlimmere Laune wuchs, als er in der Nähe sah, daß dieser Don Fernando ein hübsches Gesicht hatte; er war blond und seine Züge behielten trotz der schlimmen Lage ihren sehr sanften Ausdruck. Don Blas schaute den jungen Menschen versonnen an.

»Was war Ihr Beruf unter den Cortes?« fragte er endlich.

»Ich war 1823 auf der Schule in Sevilla. Ich war damals erst fünfzehn Jahre alt, jetzt bin ich neunzehn.«

»Wovon leben Sie?«

»Mein Vater, Brigadekommandant in der Armee des Don Carlos Cuarto, Gott segne des guten Königs Andenken, hat mir einen kleinen Gutshof hier in der Nähe vermacht; er trägt mir zwölf tausend Realen; ich bestelle selber mit drei Knechten die Wirtschaft.«

»Ihnen sehr ergebene Knechte nicht wahr? Ein prächtiger Guerillabissen.« Don Blas hatte ein bitteres Lächeln, als er befahl: »Ins Gefängnis, aber ohne Aufsehen.« Er überließ seinen Leuten den Gefangenen und ging.

Einen Augenblick darauf saß er beim Frühstück.

»Sechs Monate Gefängnis entschädigen mich für die frischen Farben und das unverschämte Wohlbefinden dieses Don Fernando«, dachte Don Blas,

Der Reiter, der an der Tür Wache stand, hob schnell seinen Karabiner einem Greis vor die Brust, der hinter einem Küchenjungen, der ein Essen trug, in das Gemach wollte. Don Blas sprang zur Tür. Hinter dem Alten gewahrte er ein junges Mädchen, über das er den Don Fernando vergaß.

»Es ist nicht liebenswürdig von Euch, mir nicht einmal Zeit zum Essen zu gönnen, aber tretet ein und sagt Euer Anliegen.« Bei dem Satz sah Don Blas immerzu auf das Mädchen, deren Unschuld auf Stirn und Augen der der italienischen Madonna glich. Er hörte gar nicht, was der Alte sagte, sah immerfort auf das Mädchen. Da wachte er auf, als der Alte zum dritten oder vierten Male ihm zu erklären anhub, weshalb und warum er den Don Fernando della Cueva wieder freisetzen müsse, den Bräutigam seiner Tochter seit langem. Bei den Worten schoß der Blitz aus Don Blasens Augen so mächtig, daß Ines und sogar ihr Vater zusammenfuhren.

»Wir haben immer,« fuhr der Alte weiter, »gottesfürchtig gelebt und sind Christen seit je, von alter Familie, arm, aber Don Fernando ist eine gute Partie. Nie habe ich irgendeine Stelle bekleidet, weder zur Franzosenzeit noch nachher und vorher auch nicht.«

Don Blas blieb schweigend.

»Ich zählte zum ältesten Adel des Königsreichs Granada,« redete der Alte wieder, »und vor der Revolution hätte ich einem frechen Mönch, der mir nicht Rede gestanden hätte, die Ohren abgeschnitten.«

Dem Alten wurden die Augen naß. Ines, die furchtsam war, zog aus der Brust einen Rosenkranz, geweiht in der Berührung mit dem Gewand der Madonna del Pilar, und ihre hübschen Hände krampften sich um das Kreuz. Der schreckliche Don Blas starrte auf die Hände, dann verschlangen seine Augen die schöne, allerdings schon etwas üppige Figur der jungen Ines.

Das Gesicht könnte regelmäßiger sein, dachte er, aber nie noch sah ich solche unschuldige Anmut.

»Ihr heißt also Don Jaimo Arcegui?« fragte er nun den Alten.

»So heiß ich.«

»Siebzig Jahre alt?«

»Neunundsechzig.«

»Dann seid Ihr es,« sagte Don Blas und sein Gesicht wurde zunehmend freundlicher. »Ich suche Euch seit langem schon. Unser König und allergnädigster Herr haben geruht, Euch eine Jahresrente von viertausend Realen auszusetzen. Zwei Jahresraten dieser Ehrenpension sind schon fällig; ich hab' sie bei mir in Granada und morgen mittag will ich sie Euch selber übergeben. Da will ich Euch auch zeigen, daß mein Vater ein reicher Landmann und Altkastilier war, ein alter Christ so wie Ihr und daß ich niemals Mönch war. Damit mach' ich Eure Beschimpfung von vorhin quitt.«

Der alte Edelmann traute sich nicht, auf die Zusammenkunft in Granada zu verzichten. Er war verwitwet und Ines war sein einziges Kind. Eh er nach Granada aufbrach, brachte er das Mädchen zum Pfarrer; er traf Anordnungen, als ob er sein Kind nie mehr wiedersehen sollte.

Don Blas war in Gala, mit einem großen Ordensband über dem Rock und dem Gehaben eines netten alten Soldaten, der was Gutes zu tun im Schilde führt; er lächelte bei jedem und ohne jeden Anlaß höflich und freundlich.

Hätte es Don Jaimo wagen können, er hätte die Annahme der achttausend Realen verweigert, die ihm Don Blas nun auszahlte. Er mußte mit ihm essen; das war nicht auszuschlagen. Nach dem Mahle gab ihm der schreckliche Polizeimeister alle seine Papiere zu lesen, das Taufzeugnis, ja sogar das Dokument, das seinen Freispruch von der Galeere bestätigte und das erhärtete, daß Don Blas nie Mönch gewesen war.

Don Jaimo war immer noch vor irgendeinem schlechten Scherz auf der Hut. Da begann Don Blas:

»Ich bekleide jetzt mit achtunddreißig Jahren eine ehrenhafte Stelle, die mir fünftausend Realen trägt. Tausend Unzen Rente hab ich auf der Bank von Neapel. Ich bitte um die Hand Eurer Tochter Donna Ines Arcegui.«

Don Jaimo wurde blaß. Es gab eine kleine Stille. Dann redete wieder Don Blas:

»Ich muß es Euch wohl sagen, Don Fernando della Cueva ist in eine arge Sache verwickelt. Der Polizeiminister läßt ihn suchen, es droht ihm die Garotta oder doch wenigstens die Galeere. Ich bin acht Jahre auf den Galeeren gewesen, und es ist ein schlimmer Aufenthalt, das könnt Ihr mir glauben.« Und näher am Ohr des Alten und leiser: »In längstens drei Wochen bekomme ich Befehl vom Minister, Don Fernando aus dem Gefängnis von Alcolete nach dem von Granada zu entlassen. Der Befehl wird spät am Abend eintreffen. Nützt Don Fernando die Nacht zur Flucht, so drück ich aus Rücksicht auf die Freundschaft, mit der Ihr mich auszeichnet, gerne ein Auge zu. Er kann für ein zwei Jahre verschwinden, nach Majorca zum Beispiel, und man wird von ihm höchstens mehr den Namen wissen.«

Der alte Edelmann sprach kein Wort; er war ganz zusammengebrochen und kam mit Mühe zurück in sein Dorf.

Mit dem Blutgeld meines Freundes Fernando, des Bräutigams meiner Ines, reise ich heim, warf er sich vor.

Er fiel seinem Kinde in die Arme.

»Der Mönch will dich zum Weibe!«

Ines trocknete bald ihre Tränen; sie bat ihren Vater, den Rat des Priesters, der in der Kirche war, im Beichtstuhl einholen zu dürfen. Der Pfarrer weinte trotz der Fühllosigkeit seines Alters und seines Standes. Sie müsse sich entschließen, entweder zur Flucht in dieser Nacht oder zur Heirat mit Don Blas. Sie sollte mit dem Vater nach Gibraltar zu entweichen versuchen und von da nach England.

»Und wovon sollen wir dort leben?« fragte Ines.

»Ihr könnt Haus und Garten verkaufen.«

»Wer kauft das!« rief Ines und brach in Tränen aus.

»Ich hab' mir etwa fünftausend Realen erspart,« sagte der Pfarrer, »ich gebe sie Euch gern, wenn Ihr nicht glaubt, als Weib des Don Blas glücklich zu werden.«

Vierzehn Tage später bildeten die Polizisten von Granada in voller Gala einen Kordon um die Kirche von San Dominico, die so dunkel ist, daß man am hellen Mittag darin seinen Weg nicht findet, An jenem Tag traute sich außer den Geladenen kein Mensch in die Kirche.

In einer Seitenkapelle brannten hunderte von Kerzen, eine Feuerbahn ging von ihnen in das Kirchendunkel, und schon vom Portal her sah man vor dem Altar auf den Stufen einen Mann knien, seine Umgebung überragend um Haupteslänge. Nun erhob er sich; man sah die Orden auf seiner Brust. Er reichte einem jungen Mädchen die Hand, das leicht und jung schritt in seltsamem Gegensatz zu des Mannes steifer Würde. Die Augen der jungen Braut glänzten in Tränen, aber in ihren Zügen war die Sanftmut eines Engels trotz allen Kummers, und alles Volk am Kirchenportal staunte darob, als sie den Wagen bestieg.

Jeder merkte es, daß Don Blas seit seiner Hochzeit etwas milder geworden war. Die Hinrichtungen wurden seltener, und statt die Verurteilten von hinten zu erschießen, wurden sie einfach gehenkt. Bis weilen erlaubte Don Blas ihnen auch, ihre Verwandten zu umarmen vor dem Todesweg.

An einem Tage sagte er zu seiner Frau, die er unsinnig liebte:

»Ich bin eifersüchtig auf die Sancha.«

Sancha war Ines Freundin und Milchschwester und hatte bei Don Jaimo als sogenannte Zofe seiner Tochter im Hause gelebt und als Zofe war sie mit Ines in den Palast nach Granada gezogen.

»Bin ich nicht bei dir, Ines, so bist du mit Sancha allein und redest mit ihr. Sie ist freundlich und macht dich guter Dinge. Ich bin ein alter Soldat und habe einen ernsten Beruf, und ich weiß, ich bin wenig heiter. Diese Sancha macht mich in deinen Augen zu einem griesgrämigen Sechziger. Hier ist der Schlüssel zum Geldschrank; nimm und gib ihr Geld, soviel du willst, alles meinetwegen, was darin ist, nur daß sie fortgeht. Sie muß aus dem Haus. Ich will sie nicht mehr sehn.«

Als des Abends Don Blas aus seinem Dienst heimkam, war Sancha das erste Wesen, dem er begegnete; sie tat wie sonst ihre Arbeit. Wut packte ihn; er trat auf Sancha zu, die aufschaute und ihn mit jenem spanischen Blick ansah, in dem so seltsam Furcht, Haß und Mut gemischt sind. Don Blas lachte im nächsten Augenblick.

»Liebe Sancha, hat Donna Ines dir gesagt, daß ich dir zehntausend Realen schenke?«

»Ich nehme nur von meiner Herrin Geschenke«, und immer noch sah sie ihm fest in die Augen.

Don Blas trat in das Gemach seiner Frau: »Wie viele Gefangene hast du zurzeit im Gefängnis von Torre-Vieja?« fragte sie. »In den Kerkern zweiunddreißig, an zweihundertsechzig vielleicht in den obern Stockwerken. Warum?«

»Schenk ihnen die Freiheit, und ich trenne mich von meiner einzigen Freundin.«

»Was du da wünschest, dazu hab' ich die Macht nicht«, sagte Don Blas. Und sprach an dem ganzen Abend kein Wort mehr.

Ines arbeitete bei ihrer Lampe; sie sah, wie ihr Mann im Wechsel rot und blaß wurde; sie legte ihre Arbeit hin und begann ihren Rosenkranz zu beten. Am andern Tage Schweigen. In der Nacht brach in Torre-Vieja ein Feuer aus, in dem zwei Gefangene umkamen, allen andern gelang es zu entfliehen, trotz der Wachsamkeit des Polizeimeisters und der Wärter.

Ines und ihr Mann sprachen zueinander kein Wort davon. Aber als andern Tages Don Blas nach Hause kam, war Sancha fort. Er warf sich Ines in die Arme.

Es war achtzehn Monate her, daß es in Torre-Vieja gebrannt hatte, als vor der elendsten Herberge des Dorfes La Zuia ein staubbedeckter Reisender vom Pferde stieg. Der Ort liegt eine Meile südlich von Granada, während Alcolete im Norden liegt. Granada bildet gewissermaßen eine zauberische Oase inmitten der ausgedörrten andalusischen Hochebene. Der Kleidung nach hätte man den Fremden für einen Katalonier halten können, und sein in Majorca ausgestellter Paß war in der Tat in Barcelona visiert, wo er an Land gegangen war. Als der hundearme Herbergswirt dem Reisenden den Paß zurückgab, der auf einen namens Don Pablo Rodil ausgestellt war, blickte er den Katalonier an.

»Ja, mein gnädiger Herr, ich werde Euer Herrlichkeit Bescheid geben in dem Fall, daß die Polizei von Granada nach Ihnen fragen sollte.«

Der Reisende sagte, er wolle sich in dieser schönen Gegend umsehen und ging eine Stunde vor Sonnenaufgang fort. Erst des Mittags kam er heim, während der ärgsten Hitze, wo alles bei Tisch sitzt oder Siesta hält. Don Fernando war in Granada gewesen. Stunden hatte er auf einem mit jungen Korkeichen bestandenen Hügel verbracht, von wo aus er den alten Inquisitionspalast sah, in dem jetzt Don Blas und Ines residierten. Er konnte den Blick nicht wegtun von dem alten schwarzen Gemäuer, das riesenhaft über das Häusergewirr der Stadt ragte. Als er von Marjoca wegging, hatte Don Fernando den Schwur getan, nie Granada zu betreten. Aber es faßte ihn eines Tages die Sehnsucht allzu stark. Nun schritt er in der engen Gasse hin an der Mauer des Inquisitionspalastes, trat in den Laden eines Handwerkers, fand Vorwand zum Verweilen und Reden. Ja, dort oben in dem hohen zweiten Stockwerk seien die Fenster des Schlafgemaches von Dona Ines, zeigte der Meister.

Zur Zeit der Siesta hatte dann Don Fernando den Rückweg nach Zuia angetreten, von der Eifersucht gepeitscht. Er hätte Ines erdolchen und dann sich umbringen mögen.

»Ich bin ein Feigling«, wiederholte er sich immer wieder. »Ich bin ein schwacher Mensch, und sie bringt es über sich, ihn zu lieben, wenn sie es für ihre Pflicht hält.«

An einer Ecke stieß er auf Sancha. »Ah, Freundin!« rief er, tat aber gleich so, als ob er nicht mit ihr spräche. »Ich heiße Don Pablo Rodil, wohne in La Zuia, Wirtshaus ›Zum Engel‹. Kannst du morgen beim Abendläuten an der großen Kirche sein?«

»Ich werde da sein«, sagte Sancha, ohne ihn anzusehen. Am andern Abend sah Don Fernando Sancha kommen; ohne daß sie jemand sah, trat sie in die Herberge. Fernando schloß die Tür.

»Ich bin nicht mehr bei ihr im Dienst«, sagte Sancha auf Fernandos fragenden Tränenblick. »Sie hat mich vor achtzehn Monaten ohne eine Erklärung, ohne einen Grund entlassen. Ich glaube, sie liebt den Don Blas.«

»Liebt ihn?« schrie Don Fernando auf, »auch das noch!«

»Ich warf mich ihr zu Füßen und flehte sie an, mir den Grund ihrer Ungnade zu sagen. Unbewegt sagte sie nur: ›Mein Gatte will es.‹ Und kein Wort mehr. Ihr kanntet sie ja als fromm; jetzt ist ihr Leben nur mehr Beten.«

Kriechend vor der herrschenden Partei hatte Don Blas es veranlaßt, daß ein Teil des von ihm bewohnten Palastes den Clarissinnen eingeräumt wurde; die Nonnen zogen hier ein und hatten hier auch ihre Kirche eingerichtet. Donna Ines war fast ständig bei ihnen. Kaum hatte Don Blas sein Haus verlassen, so konnte man Ines schon bei den Nonnen oder vor dem Altar suchen.

»Don Blas liebt sie! Diesen Menschen liebt sie!«

»An dem Tage, da ich entlassen wurde, sagte Ines zu mir ...«

»Ist sie lustig?« unterbrach sie Don Fernando.

»Lustig nicht, aber von gleichmäßig sanfter Stimmung, ganz anders aber als damals, wo Ihr sie kanntet. Gar nichts mehr hat sie von ihrem früheren Mutwillen und ihrer Tollheit, wie der Pfarrer es einmal nannte.«

»So ehrlos! So ohne Scham und Ehre!« Fernando raste im Zimmer auf und ab. »Das sind ihre Schwüre! Das ist ihre Liebe! Und nicht einmal traurig ist sie, und ich ...«

»Wie ich Eurer Herrlichkeit schon sagte,« begann Sancha wieder, »am Tage, bevor ich entlassen wurde, sprach Dona Ines mit mir, gütig, voller Freundschaft, ganz wie früher in Alcolete. Und andern Tages bloß: ›Mein Gatte will es‹, nichts als das. Und gab mir ein von ihr unterschriebenes Papier, das mir eine Pension von achthundert Realen sichert.«

»Zeig mir das Papier.«

Er bedeckte Ines' Namenszug mit seinen Küssen.

»Hat sie von mir gesprochen?«

»Niemals. Der alte Don Jaimo selber hat ihr einmal in meiner Gegenwart vorgeworfen, wie sie nur einen so freundlichen Nachbarn ganz vergessen könne. Sie wurde bleich und sagte nichts darauf. Brachte den Vater bis zur Tür und lief in die Kapelle, wo sie sich einschloß.«

»Ich bin nichts als ein Narr!« rief Don Fernando. »Haß wird für sie in mir sein! Genug geredet von ihr. Zu meinem Glück bin ich nach Granada gekommen und zu noch größerem Glück, daß ich dich traf ... Und du, Sancha, was treibst du?«

»In Albaracen, eine halbe Meile von Granada, habe ich einen Kramladen. Ich hab' da,« und sie sprach leiser, »schöne englische Waren, die mir die Schmuggler aus der Alpujarra bringen. Ich habe Waren für mehr als zehntausend Realen Wert. Ich bin zufrieden.«

»So, so, du hast also unter den Banditen der Alpujurra einen Liebhaber ... Wir werden uns nicht wiedersehen. Nimm dies zur Erinnerung an mich.«

Sancha wollte gehen, aber er hielt sie zurück.

»Was meinst du, wenn ich mich von ihr sehen ließe?«

»Sie würde vor Euch fliehen und wenn sie sich zum Fenster hinauswerfen müßte. Und dann, Spione sind immer um das Haus, wie Ihr Euch auch verkleiden mögt, sie würden Euch festnehmen. Seid auf der Hut.«

Fernando schämte sich, schwach geworden zu sein und sagte nichts mehr, fest entschlossen, am nächsten Tage nach Majorca zurückzukehren.

Der Zufall führte Don Fernando eine Woche darauf durch den Flecken Albaracen. Die Banditen hatten den Generalkapitän O'Donnell gefangen und eine Stunde lang mit dem Bauch im Sumpf gehalten. Don Fernando sah Sancha, die geschäftig umherlief.

»Keine Zeit jetzt, mit Euch zu reden,« sagte sie, »kommt zu mir.«

Ihr Laden war von außen versperrt, und Sancha war dabei, ihre englischen Waren mit großer Hast in eine Truhe aus dunkelstem Eichenholz zu stopfen.

»Man wird uns heute nacht vielleicht angreifen. Der Räuberführer ist ein persönlicher Feind eines Schmugglers, der mein Freund ist. Meinen Laden plündern sie sicher als ersten. Ich bin eben von Granada zurück. Donna Ines, im wichtigen immer noch eine seelengute Frau, hat mir erlaubt, meine besten Waren in ihrem Schlafzimmer zu verstecken. Don Blas wird die Truhe da voller Schmugglerware schon nicht sehen, und will es das Unglück, daß er sie sieht, so wird Donna Ines schon was erfinden.«

Dabei füllte sie in Eile die Truhe mit Seidentüchern und Schals. Don Fernando sah zu. Plötzlich stürzte er sich auf die Truhe, warf all ihren Inhalt heraus und legte sich an dessen Stelle.

»Seid Ihr verrückt geworden?« rief Sancha aus.

»Hier sind fünfzig Unzen Gold. Und der Himmel soll mich töten, verlasse ich diese Truhe eher, als ich im Inquisitionspalast von Granada bin! Ich will Ines sehen!«

Was immer auch die ganz erschreckte Sancha einwenden wollte, Don Fernando hörte nicht darauf.

Sie sprach noch, als Zanga, ein Lastträger, und Sanchas Vetter, ins Haus trat; er sollte auf einem Maultier die Truhe nach Granada bringen. Kaum hörte Don Fernando die Schritte, zog er schon den Deckel zu, und Sancha schloß mit einem Seufzer die Truhe ab. Denn sie offen zu lassen mit dem Mann darin wäre nicht klug gewesen.

Also zog Don Fernando an einem schönen Junimorgen um elf in einer Truhe in Granada ein, dem Ersticken nahe. Im Inquisitionspalast angekommen, stieg Zanga mit der Truhe die Treppe hinauf, und Don Fernando hatte die stille Hoffnung, daß sie in den zweiten Stock, vielleicht sogar in Ines' Schlafgemach gebracht würde.

Die Truhe ward hingestellt, hinter dem Träger schloß sich wieder die Tür und kein Laut mehr war zu vernehmen.

Don Fernando versuchte mit seinem Dolchmesser den Riegel des Schlosses zu öffnen, und es gelang. Zu seiner größten Freude sah er sich in Ines' Schlafgemach. Frauenkleider sah er und neben dem Bett ein Kruzifix, das Ines schon in ihrer kleinen Kammer in Alcolete gehabt hatte. Nach einem Streit hatte sie ihn einmal in ihre Kammer geführt und auf dieses Kruzifix ihre ewige Liebe beschworen.

Die Hitze in dem ganz dunklen Raum war sehr groß; die Fensterläden waren verschlossen, die Gardinen aus türkischem Musselin fest zugezogen. Nichts als das leise plätschernde Geräusch eines Springbrunnens war vernehmbar, der in einer Ecke stand und dessen Wasser in eine Muschel aus schwarzem Marmor zurückfiel. Dieses leise Geräusch des Wassers brachte Furcht in Don Fernando, der in seinem Leben genug Proben kühnster Tapferkeit abgelegt hatte. Nichts fühlte er von dem vollkommenen Glück, von dem er in Majorca immer geträumt hatte, wenn er darüber sann, wie bisher, in Ines' Schlafraum, zu gelangen. Das Exil, die Trennung von den Seinen, die vergehende Leidenschaft und der Wahnsinn, in dessen Nähe ihn das Fieber dieser Leidenschaft gebracht hatte, füllten ihn ganz aus.

Nur ein Gefühl beherrschte ihn in diesem Augenblick: die Angst, Ines zu mißfallen, die er so keusch und schüchtern gekannt hatte. Wer den ungewöhnlichen und leidenschaftlichen Charakter des Südländers ein wenig kennt, wird über den Zustand Don Fernandos nicht erstaunt sein, der einer Ohnmacht nahe war, als er, es hatte gerade auf der Klosteruhr zwei geschlagen, in der tiefen Stille leichte Schritte die Steintreppe heraufkommen hörte; sie näherten sich der Türe. Er erkannte am Gang Ines und versteckte sich in der Truhe; der Mut, dem ersten Ausbruch der Entrüstung einer so pflichttreuen Frau standzuhalten, verließ ihn.

Die Hitze drückte in die tiefe Dunkelheit. Ines legte sich auf das Bett, und bald merkte Don Fernando an den gleichmäßigen Atemzügen, daß sie schlief. Jetzt erst wagte er es, an das Bett zutreten, und er sah Ines, seinen einzigen Gedanken seit Jahren. Er empfand Schrecken vor ihr, so allein ihm überlassen und unschuldig schlafend, und stärker noch wurde dieses seltsame Gefühl, als er in den Augen einen ihm fremden Ausdruck kalter Würde bemerkte. Aber die leichte Unordnung ihrer sommerlichen Kleider stand in einem so pikanten Gegensatz zu diesen fast strengen Zügen, daß sich Don Fernandos Seele doch gemach mit Glück füllte, die Geliebte wiederzusehen.

Er wußte, Ines' erster Gedanke bei seinem Anblick würde Flucht sein. Also schloß er die Türe ab und steckte den Schlüssel zu sich.

Endlich kam der über seine Zukunft entscheidende Augenblick. Ines regte sich im Schlaf; sie schien zu erwachen. Fernando hatte den Einfall, vor jenem Kruzifix aus Ines Kammer von Alcolete niederzuknien. Ines schlug die noch vom Schlaf schweren Lider auf: Fernando ist in der Ferne gestorben und vor dem Kruzifix knie sein Geist, dachte sie.

Die Hände faltend, blieb sie auf dem Bettrand sitzen. »Armer, armer Fernando«, sagte sie ohne Stimme, bebend.

Da wandte Fernando, immer noch, kniend, sie besser zu sehen, den Blick nach ihr, aber da machte er in seiner Verwirrung auch schon eine Bewegung, und Ines wurde völlig wach, sprang, die Wahrheit begreifend, nach der Tür.

»Welche Kühnheit!« rief sie, »verlassen Sie mich!«

Und stürzte in die fernste Zimmerecke, wo der kleine Springbrunnen stand.

»Kommen Sie mir nicht nah! Kommen Sie mir nicht nah! Gehen Sie fort!«

In ihren Augen war reiner Glanz von Unschuld und Tugend.

»Ich gehe nicht, bevor du mich gehört hast, Ines. Ich habe dich nicht vergessen können. Seit zwei Jahren habe ich Tag und Nacht dein Bild vor mir. Hast du mir nicht vor diesem Kruzifix geschworen, ewig die meine zu sein?«

»Gehen Sie oder ich rufe, dann sind wir beide des Todes.«

Don Fernando war rascher und ließ sie nicht bis zur Klingel kommen; er fing Ines auf und schloß sie in seine Arme, zitternd. Ines merkte es und verlor alle Kraft, ihr vom Zorne gegeben.

Aber Don Fernando dachte nur mehr an die Pflicht, nicht mehr an die Liebe, mehr noch bebend als Ines, gegen die er, das fühlte er, soeben wie ein Feind gehandelt hatte; aber er blieb ganz besonnen.

»Du willst also den Tod meiner unsterblichen Seele«, sagte Ines. »Aber dann mußt du eines wissen. Dich allein liebe ich und nie einen andern außer dir. Keine Minute im entsetzlichen Leben meiner Heirat, daß ich nicht an dich dachte. Es ist eine große Sünde. Ich tat alles, dich zu vergessen, aber es half nichts. Erschrick nicht, wie gottlos ich bin, Fernando! Das heilige Kruzifix da, es ist für mich oft nicht mehr das Bild des Heilandes, der uns richten wird, nur Erinnerung noch an die Eide, die ich dir schwur in meiner Kammer zu Alcolete. So, Fernando, wir sind verdammt, ganz ohne Rettung verdammt! Wir wollen die kleine Frist, die uns zu leben bleibt, noch glücklich sein.«

Von Fernando nahm, was er hörte, alle Furcht; Glück strömte in ihm.

»Du verzeihst mir? Du liebst mich noch?«

Die Stunden waren rasch vergangen und der Tag neigte sich zum Untergang. Fernando erzählte von dem Einfall am Morgen beim Anblick der Truhe, als ein starkes Geräusch vor der Zimmertür sie aufschreckte. Es war Don Blas, der seine Frau zum abendlichen Spaziergang abholen kam.

»Sag, du fühltest dich von der Hitze zu müde«, flüsterte ratend Don Fernando. »Ich verstecke mich wieder in der Truhe. Hier ist der Schlüssel zur Tür. Tu so, als bekämst du sie nicht auf; steck ihn verkehrt herum, bis du das Schloß an der Truhe zuschnappen hörst.«

Es gelang, wie man wollte. Don Blas glaubte an die ermüdende Wirkung der Hitze und entschuldigte sich bei Ines, daß er sie geweckt habe, nahm sie in seine Arme und trug sie wieder aufs Bett. Da wurde er zärtlich, küßte sein Weib. Da fiel sein Blick auf die Truhe.

»Was ist das?« Das Mißtrauen des Polizisten wurde rege.

»Und das bei mir!« schimpfte er ein paarmal und immer wieder, während Donna Ines ihm Sanchas Ängste und die Geschichte von der Truhe erzählt.

»Den Schlüssel!« herrschte er sie an.

»Ich wollte ihn nicht nehmen, einer von deinen Leuten hätte ihn ja finden können. Daß ich mich der Annahme weigerte, schien Sancha sehr zu beruhigen.«

»Das ist ja ausgezeichnet. Aber ich habe da in meinem Pistolenkasten Dietriche genug für alle Schlösser der Welt.«

Er ging ans Kopfende des Bettes, öffnete einen Waffenschrank und machte sich mit einem Bündel englischer Nachschlüssel an die Truhe. Ines schlug die Vorhänge des Fensters auseinander und lehnte sich über die Brüstung, bereit, sich auf die Straße zu werfen, sobald ihr Mann Fernando entdeckte. Aber der Haß hatte Fernando alle Kaltblütigkeit wiedergegeben; er steckte die Spitze seines Dolches hinter den Riegel des alten Truhenschlosses, und Don Blas probierte vergeblich alle seine Nachschlüssel.

»Seltsam,« sagte Don Blas und erhob sich, »diese Schlüssel haben noch nie versagt. Wir werden leider unsern Spaziergang etwas aufschieben müssen, liebe Ines. Ich wäre, selbst an deiner Seite, nicht froh beim Gedanken an diese Truhe, die vielleicht voller verbrecherischer Papiere steckt. Wer sagt mir, ob nicht mein Feind, der Bischof, in meiner Abwesenheit Haussuchung hält mit einem Befehl, dem König abgelistet? Ich bin gleich wieder mit einem meiner Leute zurück, der mit dem Schloß mehr Glück haben wird als ich.«

Ines schloß die Tür hinter ihm ab. Vergeblich wollte Fernando sie zu gemeinsamer Flucht bewegen.

»Du kennst den furchtbaren Don Blas nicht! In wenigen Minuten ist er in Verbindung mit seinen Agenten Meilen herum um Granada. Warum kann ich mit dir nicht nach England fliehen! Aber denk dir, dieses ungeheure Haus wird täglich bis auf den kleinsten Winkel durchsucht. Aber ich will dich doch verstecken. Aber sei vorsichtig, Geliebter, – ich würde dich nicht überleben!«

Da fiel ein starker Schlag auf die Türe. Fernando stellte sich dahinter, den Dolch bereit. Es war Sancha. Sie erzählten ihr rasch alles.

»Aber, wenn Sie Fernando verbergen, Donna, so findet ja Don Blas die Truhe leer! Was nur können wir rasch hineintun? Aber ich vergaß in meiner Aufregung ganz eine gute Neuigkeit! Die Stadt ist in Aufruhr und Don Blas sehr beschäftigt. Den Don Pedro Ramos, den Deputierten der Cortes, hat im Café am Platz ein royalistischer Freiwilliger beschimpft, worauf Don Ramos ihn erdolchte. Ich sah Don Blas eben noch mitten unter seinen Leuten an der Puerta del Sol. Verstecken Sie Don Fernando eine Weile, gnädige Frau. Ich will den Zanga suchen gehen, bis ich ihn finde; er soll die Truhe wieder abholen, in die sich Don Fernando wieder gelegt hat. Wir haben hoffentlich Zeit genug. Schaffen Sie die Truhe in ein anderes Gemach, damit Sie Don Blas etwas hinhalten können und er Sie nicht gleich ersticht. Sagen Sie ihm, Sie hätten die Truhe öffnen und wegtragen lassen. Aber wenn Don Blas vor mir wiederkommt, sind wir des Todes, das ist sicher.«

Was Sancha vom Erstechen und Tod sagte, machte auf die Liebenden gar keinen Eindruck. Sie schleppten die Truhe in eine enge Nische und erzählten einander von ihrem Leben der letzten zwei Jahre.

»Deine Geliebte wird dir in nichts widersprechen,« sagte Ines, »ich will alles tun, was du mich heißest. Mir ahnt, daß wir nicht lange mehr leben werden. Ach, wie wenig fragt Don Blas nach seinem und anderer Leben! Er wird es herausbekommen, daß ich dich sah, und er wird mich töten... Was werde ich im andern Leben finden? Ewige Strafen.«

Sie warf sich Fernando an die Brust.

»Ich bin die glücklichste Frau«, jubelte sie. »Und findest du ein Mittel, daß wir uns wiedersehen können, so laß es mich durch Sancha wissen. Du weißt, daß deine Sklavin Ines heißt.«

Zanga kam erst des Nachts und packte die Truhe auf, in die sich Don Fernando wieder gelegt hatte. Ein paarmal hielten ihn die Polizeipatrouillen an, die den Deputierten Ramos suchten, aber er kam immer mit dem Worte durch, daß die Truhe dem Don Blas gehöre.

Da wurde er wieder in einer verlassenen Gasse angehalten, die den Kirchhof entlangführte, der, zwölf bis fünfzehn Fuß tiefer als die Gasse, von dieser durch ein niederes Mäuerchen getrennt war. Während er von der Patrouille ausgefragt wurde, stellte Zanga die Truhe auf die Mauer.

Man hatte in Angst vor Don Blas' Rückkehr den Zanga zur Eile angetrieben, der die Truhe so faßte, daß Don Fernando mit dem Kopf nach unten lag. Der Schmerz, den er so empfand, begann unerträglich zu werden. Als er nun merkte, daß die Truhe nicht mehr getragen wurde, verließ ihn die Geduld. Es war ganz still in der Gasse; die Polizisten hatten sich entfernt. Don Fernando berechnete die Zeit auf neun Uhr abends.

Mit ein paar Dukaten hoffte er sich Zangas Schweigen zu erkaufen, denn er ertrug den Schmerz nicht länger. Er flüsterte aus der Truhe: »Dreh den Kasten anders herum, ich leide gräßliche Schmerzen.«

Der Träger, dem es ohnedies um diese Stunde an der Kirchhofmauer nicht geheuer war, erschrak über die Stimme dicht an seinem Ohr; er vermeinte, ein Gespenst rede und lief davon was ihn die Beine tragen konnten. Die Truhe blieb auf der Mauer stehen wie sie stand. Als Fernando keine Antwort erhielt, verstand er, daß man ihn in Stich gelassen hatte. Seine Schmerzen waren größer als die Angst vor der Gefahr. Um die Truhe zu öffnen, machte er eine jähe Bewegung, und Truhe und Mann stürzten hinunter in den Gottesacker.

Don Fernando kam erst nach einigen Minuten, betäubt vom Sturze, zur Besinnung; er sah die Sterne über seinen Augen. Das Schloß der Truhe war beim Sturz aufgesprungen; er lag auf der Erde eines frisch aufgeworfenen Grabes. Er dachte an die Gefahr für Ines, und gewann davon seine Kräfte wieder.

Er blutete, arg zerschunden wie er war, aber er erhob sich doch und konnte bald wieder gehen. Mühevoll kletterte er die Mauer hinauf und schleppte sich in Sanchas Haus. Als diese ihn so im Blute sah, glaubte sie ihn von Don Blas entdeckt.

Sie lachte, als sie seinen Bericht gehört hatte. »Da haben Sie uns aber in eine schöne Patsche gebracht.«

Das Wichtigste, entschieden sie, sei, die Truhe vom Kirchhof wegzuschaffen. »Donna Ines und ich sind des Todes,« sagte Sancha, »wenn ein Spion oder Don Blas morgen die verfluchte Truhe findet.«

»Und sie ist sicher voll Blut«, sagte Don Fernando.

Nur Zanga konnte damit betraut werden. Als sie noch von ihm sprachen, pochte er gerade an die Tür. Er war gar nicht verwundert, als ihm Sancha sagte:

»Brauchst mir nicht zu erzählen, ich weiß schon alles. Du hast meine Truhe im Stich gelassen und sie ist mit allem meinem Kram in den Gottesacker hinuntergefallen; ein ungeheurer Verlust für mich! Folge wird sein, daß Don Blas dich heute nacht noch oder morgen früh verhören wird.«

»Dann bin ich verloren!« stöhnte Zanga.

»Gerettet bist du, wenn du antwortest, du hättest die Truhe aus seinem Haus zu mir gebracht.«

Zanga war wütend auf sich selber, daß er die Waren seiner Kusine hatte im Stich gelassen, aber vor dem Gespenst fürchtete er sich auch und eine Höllenangst hatte er vor Don Blas – er war so verwirrt, daß er die einfachsten Dinge nicht begriff, und Sancha hatte viele Mühe, ihm auseinanderzusetzen, was er dem Polizeimeister zu antworten habe, um niemanden in Gefahr zu bringen.

Da trat Don Fernando hinzu. »Da hast du zwei Dukaten, aber wenn du nicht genau sagst, was dir Sancha beigebracht hat, dann machst du mit diesem Dolch Bekanntschaft.«

»Ja, und wer seid denn Ihr, Herr?«

»Ein unglücklicher Liberaler, von den royalistischen Freischaren verfolgt.«

Zanga brachte kein Wort mehr heraus, und seine Angst wurde noch größer, als zwei Häscher des Don Blas eintraten, deren einer ihn packte und sofort zu seinem Herrn brachte. Der andere meldete Sancha bloß, daß man sie im Inquisitionspalast wünsche; sein Ton war nicht streng.

Sancha redete scherzend mit ihm und lud ihn auf ein Glas vortrefflichen Rancio ein. Sie wollte ihn zum Reden bringen, um Don Fernando, der in seinem Versteck alles hören konnte, einige Weisungen zu geben.

Der Polizist erzählte, Zanga sei auf der Flucht vor dem Geiste totenbleich in ein Wirtshaus gekommen, wo er erzählte. Einer von den Häschern auf der Suche nach dem Liberalen, der einen Royalisten getötet hatte, war in dem Wirtshaus und lief sofort, dem Don Blas Meldung zu machen.

»Aber unser Polizeimeister ist kein Dummer. Er hatte es gleich heraus, daß die Stimme, die Zanga gehört hatte, zu dem Liberalen gehöre, der sich auf dem Kirchhof versteckt hat. Da hat er mich gleich hingeschickt, um die Truhe zu holen. Sie war offen und voller Blutspritzer. Don Blas sah sehr erstaunt aus und hat mich hierher geschickt. Jetzt gehen wir.«

Ines und ich, wir sind des Todes, dachte Sancha auf dem Wege zum Inquisitionspalast. Blas hat die Truhe wiedererkannt und weiß jetzt, daß ein Fremder sich in sein Haus eingeschlichen hat. Die Nacht war sehr finster. Einen Augenblick kam Sancha der Gedanke der Flucht. Aber sie wehrte ihn ab. Es wäre ehrlos, Ines jetzt zu verlassen, die so kindlich ist und sicher jetzt nicht weiß, was sie antworten soll.

Sancha erstaunte darüber, daß man sie in den zweiten Stock hinaufführe, ja sogar in Ines' Schlafgemach. Diese Art des Verhörs gab ihr schlimme Ahnungen. Der Raum war hell erleuchtet. Donna Ines saß am Tisch und Don Blas stand mit stechenden Augen neben ihr; vor ihnen stand die Truhe, offen, blutbespritzt. Als Sancha eintrat, verhörte Don Blas gerade den Lastträger, aber er ließ ihn sofort abführen.

Ob er uns wohl verraten hat? dachte Sancha. Donna Ines' Leben ist in seinen Händen.

Sie blickte auf ihre Herrin; aber in deren Augen war Ruhe und Entschlossenheit. Sancha staunte. Wo nimmt diese furchtsame Frau solchen Mut her? dachte sie.

Schon bei den ersten Antworten, die Sancha Don Blas auf seine Fragen gab, merkte sie, daß dieser sonst so beherrschte Mann wie wahnsinnig war.

»Die Sache ist ganz klar«, sagte er zu sich selber sprechend. Das hörte Donna Ines ebenso wie Sancha, denn sie sagte einfach, als ob es nichts als das wäre: »Die vielen brennenden Kerzen im Zimmer machen es heiß wie einen Schmelzofen.«

Und trat ans Fenster.

Sancha wußte um den Plan, den Ines wenige Stunden zuvor gehabt hatte und verstand diese Bewegung zum Fenster. Sie heuchelte also sofort einen schweren Nervenanfall.

Und schrie: »Sie wollen mich töten, weil ich Don Pedro Ramos gerettet habe!«

Dabei packte sie Ines heftig am Handgelenk und redete in der gespielten Verwirrung ihres Anfalles weiter, wie, gleich nachdem Zanga die Truhe mit ihren Kram zu ihr zurückgebracht hätte, ein Mann blutüberströmt ins Zimmer gestürzt sei, mit gezücktem Dolch. Und der schrie: »Ich habe einen Royalisten getötet, und deren Genossen suchen mich. Wenn du mich nicht rettest, so morden sie mich vor deinen Augen.«

»Da, da, das Blut auf meiner Hand!« unterbrach sich schreiend Sancha in ihrer Erzählung, »Sie wollen mich töten!«

»Erzähl weiter«, sagte Don Blas unbewegt.

»Don Ramos sagte zu mir, der Prior des Hieronymiterklosters sei sein Onkel, und erreiche er dessen Kloster, so wäre er gerettet. Da erblickte er die Truhe, aus der ich eben meine Spitzen nahm. Da packt er alles was noch darin ist, wirft es heraus und legt sich in die Truhe. »Schließ sie ab,« schreit er mir zu, »und laß sie in das Kloster bringen, sofort.« Und er wirft mir eine handvoll Dukaten zu; da ist das Schandgeld; es graut mir davor...«

»Genug Komödie«, sagte Don Blas.

»Ich hatte so Angst, er brächte mich um, täte ich nicht was er wollte. Er hatte immer noch den Dolch in der Hand, ganz blutig von dem Royalisten. Ich hatte solche Angst und ließ den Zanga rufen, der nahm die Truhe und trug sie nach dem Kloster. Ich hatte...«

»Kein Wort mehr oder du bist des Todes«, sagte Don Blas, der fast merkte, daß Sancha nur Zeit gewinnen wollte.

Er winkte und Zanga wurde wieder hereingeführt. Sancha sah, wie der sonst so kaltblütige Don Blas ganz aus seiner Ruhe war. Es nagten die Zweifel an ihm über das Geschöpf, das er zwei Jahre lang für treu gehalten hatte. Die Hitze im Zimmer schien ihn zu beschweren, aber kaum war Zanga von zwei Häschern hereingeführt, stürzte er sich auf ihn und packte ihn, schüttelte ihn.

Sancha erschrak. Sie fühlte den entscheidenden Augenblick nahe. Jetzt, dachte sie, geschieht es. Der Mensch entscheidet über unser Leben. Er ist mir wohl ergeben, aber weiß Gott, was er redet, erschreckt von dem Gespenst und von Don Fernandos Dolch.

Zanga schaute auf Don Blas mit blöden irren Augen und gab keine Antwort. Jetzt wird er ihn schwören lassen, dachte Sancha, und Zanga ist fromm; er wird keine Lüge wagen.

Der Umstand, daß Don Blas nicht in seinem Amtszimmer auf dem Richterstuhl saß, ließ ihn vergessen, den Zeugen zu vereidigen. Zanga, von der Gefahr, den Augen Sanchas und dem Übermaß seines eigenen Schreckens aufgerüttelt, begann zu sprechen. Ob aus Vorsicht oder wirklicher Verwirrtheit: was er sagte, war ganz verworren. Er sei kurz nachdem er die Truhe aus dem Palast des Polizeiministers zurückgebracht, von Sancha wieder gerufen worden, um sie abermals wegzuschaffen, und da wäre sie ihm viel schwerer vorgekommen. Er habe vor Erschöpfung nicht weiter können und die Truhe auf die Mauer gestellt. Da habe eine jammernde Stimme ihm etwas ins Ohr geflüstert und er sei davongelaufen.

Frage auf Frage stellte Don Blas, der sehr bedrückt schien. Es war spät in der Nacht, als das Verhör unterbrochen wurde; es sollte am nächsten Morgen wieder aufgenommen werden. Zanga hatte keine widerspruchsvollen Aussagen gemacht. Es war spät, und Sancha bat Ines um die Erlaubnis, in der kleinen Kammer neben ihrem Schlafgemach bleiben zu dürfen, wo sie früher immer geschlafen hätte. Don Blas überhörte wohl die wenigen Worte, welche die Frauen darüber sprachen, im Fortgehen.

Ines, zitternd für Fernandos Leben, ging zu Sancha in die Kammer.

»Don Fernando ist gerettet, aber Euer Leben, gnädige Frau, und das meine hängen an einem Fädchen. Don Blas hat Verdacht geschöpft. Morgen früh wird er Zanga einschüchtern und ihn durch einen Mönch, seinen Beichtvater, der ganz Herr über ihn ist, zum reden bringen. Meine Geschichte konnte nur die erste Gefahr abwenden.«

»Ist es so, liebe Sancha, dann mußt du auf der Stelle fliehen«, sagte Ines sanft wie immer und wie es schien nicht im geringsten von dem Schicksal erregt, das ihrer harrte.

»Laß mich allein sterben. Ich sterbe glücklich, ich nehme ja Fernandos Wiedersehen mit; und dafür, daß ich ihn wiedersah nach zweier Jahren Trennung, ist der Tod kein zu hoher Preis. Ich befehle dir, mich sofort zu verlassen. Geh hinunter in den großen Hof; dort versteckst du dich nahe bei dem Tor. Sicher kannst du in der Frühe hinaus. Ich bitte dich nur um eines: gib das Kreuz hier Don Fernando und sag ihm, ich segnete sterbend seinen Gedanken, von Majorca zurückzukehren.«

Als frühmorgens die kleine Glocke zur ersten Messe erscholl, weckte Donna Ines ihren Gatten; sie wolle die Frühmesse im Clarissinnenkloster hören. War auch die Klosterkirche im Hause, ließ Don Blas, ohne ein Wort zu sagen, sie von vier seiner Leute begleiten.

In der Kirche kniete Donna Ines dicht an dem Gitter nieder, hinter dem die Nonnen der Messe beiwohnen. Und einen Augenblick darauf sahen die vier Wächter des Don Blas, wie sich das Gitter auftat. Donna Ines trat rasch in den so abgetrennten Raum und durch das Gitter, das sich wieder schloß; sie sagte den Wächtern, sie habe ein geheimes Gelübde getan, Nonne zu werden und würde das Kloster nie mehr wieder verlassen.

Don Blas forderte seine Gattin, aber die Äbtissin hatte bereits den Bischof verständigt und dieser sagte dem aufbegehrenden Polizeimeister mit väterlicher Güte:

»Es hat ohne Zweifel die erlauchte Donna Ines Bustos y Mosquera kein Recht, ihr Leben dem Herrn zu weihen, wenn sie Eure rechtmäßige Gattin ist. Aber Donna Ines fürchtet, ihre Ehe sei nicht rechtsgültig geschlossen worden.«

Einige Tage darauf fand man Ines, die mit ihrem Galten in Rechtsstreit lag, in ihrem Bett von mehreren Dolchstößen durchbohrt tot auf. Und als Strafe für eine von Don Blas entdeckte Verschwörung wurden Ines' Bruder und Don Fernando auf dem Richtplatz von Granada geköpft.


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