Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Brave christliche Familien, tätige, rechtschaffene Leute, aber ohne besonderen Lebensinhalt.

Der alte Thurnbauer hatte zwar einen auffallenden, handschlenkerigen Gang und gelegentlich »ein spitzes Maul«, was jedoch die Dorfmänner nicht abhielt, vielleicht sogar anzog und bewog, Sonntags abendlich gern bei ihm einzusprechen und ein paar Stündchen zu verplaudern.

Ei, ein witziger Mensch verleiht der schalsten Alltäglichkeit wenigstens so viel Würze und Geschmack, daß sie genießbar wird. Und die damalige Dorfchronik bedurfte wahrhaftig einer solchen Würze.

Der Thurnbauer ist auch nur ein kleines Bäuerlein – wie überhaupt das ganze Dorf keinen besonders großen Grundbesitzer zählt – und da ist mir ein eben nicht ganz schlechter Spaß von ihm erinnerlich, der vorfiel, als die Sammlung – der rasche, joviale Pfarrer selbst an ihrer Spitze – für den neu zu erbauenden Pfarrturm auch bei ihm einsprach.

»Nu« – sagte der Pfarrer, eine imponierende, noch völlig jugendliche Gestalt – »wir wären da, dich halt auch um ein kleines Almosen zum Turmbau zu bitten!«

»Hm« – lächelte der Angesprochene mit aufgezogenen Mundwinkeln – »hm, bo mir haißts ah bon Thurnbau (Wortspiel: Thurnbauer und Turmbau); han fraten (voriges Jahr), a baut, bin owa doh um kam Almosen ganga! – Schnabelwaid’ is halt go weni, meints Howürden!« fügte er, wie zur Entschuldigung seines Einwandes, bei. »Die Schnabelwaid’ wenig – da weiß ich Rat« – entgegnete der launige Pfarrer, der auch nicht leicht etwas schuldig blieb – »da gehst du halt Amerling fangen, die sind froh« – es war gerade harter Winter – »wenn sie wer speist, weil sie selbst nichts zu fressen finden!«

Das war für den Thurnbauer die rechte Sprache. Sogleich ging er an seinen Kasten und händigte wieder ganz demütig dem hochwürdigen Herrn das verlangte Almosen aus. – Ganz im Gegensatz zu dem witzigen und spottsüchtigen Thurnbauer war Nachbar Melhartbauer eine schweigsame, fast trübsinnige Gestalt.

Er konnte natürlich auch reden, vielleicht auch lachen und lustig sein; ich erinnere mich aber nicht, das eine gehört, noch das andere jemals gesehen zu haben.

Der Mann war vermutlich dickblütig und schwarzgallicht, daher auch der mir schon damals auffällige dunkle Teint seiner Haut, die sich in heißer Sommerszeit geradezu schokoladebraun färbte und den Melhartbauer förmlich einer anderen Menschenrasse angehörig machte.

Ausnahmsweise von allen Dorfbauern hatte der Melhart die Gewohnheit, zur Feldarbeit hin und davon zurück auf seinem »Sattligen« zu reiten, und zwar ein wie das andere Mal »riderisch«, d. i. einseitig sitzend.

Seine Kinder, ein Sohn und drei Töchter, waren damals schon erwachsene Leute, nur die vierte, offenbar ein Spätling, ein stilles Mädchen mit kohlschwarzen, mehr nach innen glühenden Augen, ging noch mit mir in die Schule.

Ich hatte mit Ännchen damals nie sonderlich viel gemacht, das Mädchen, wie schon gesagt, war zu still, zu fromm und auch in der Schule nicht ausgezeichnet genug. Sieh, und dieses stillfromme Ännchen – aber ich war ein romantischer Tölpel, – hätte später bald die Aufgabe gehabt, und wie mir jetzt scheint, auch gern auf sich genommen, mir das holdeste Mysterion des paradiesischen Landlebens zu erschließen; aber ich war schon Poet und darum ein kleiner Tölpel.

Ich würde diese Tölpelei nicht so sehr beklagen, weniger hoch anschlagen, wenn sie – nicht die Ursache wäre, daß in meinen »ländlichen Gedichten« das ganze große Kapitel von erotischen Dämmerungen und Mondnächten mehr humoristisch schillernde »Dichtung« als rosenrote, lebenswarme »Wahrheit« geworden ist; ich würde – doch das nützt jetzt alles nichts mehr, aber was kann es schaden, wenn ich die kleine Episode einschalte und dem Leser meine Tölpelei erzähle?

»Franz«, sprach Müllers Sepp, auch ein Kamerad aus der Schulbubenzeit – er war ein schöner, rüstiger Bursche geworden – »Franz, gefällt dir denn gar keine von unseren Schulkamerädinnen, oder bist du zu stolz geworden, oder sind wirklich die Euren in der Stadt um soviel tausendmal schöner als die unsrigen hier? Franz, ich glaube, du irrst dich, und sage dir, geh einmal, nein, gleich heute, jetzt, mit mir!«

Es war ländlich-feierlicher Sonntagabend – die Sonne unter – das malerische Horn des wachsenden Mondes glänzend ins dunkelblaue Firmament hingezeichnet – vor uns schlenderte schäkernd und kichernd ein Trupp Mädchen.

»Geh’ schneller«, mahnte Sepp und faßte mich am rechten Arm, »sieh diese an – noch hilft das Abendrot dem schwachen Mond leuchten – eine nach der andern, und die dir am besten gefällt – stoß mich nur mit dem Ellbogen!

Du mußt deinen Stolz ablegen und dein traumhäuptiges Wesen dazu! «

»Heisa, juhe, juhe!
Wäi i a hint nachi geh,
Kim nu bald gnua voran –
Das waißt schan. «

– sang Sepp mit frischer Stimme und juchzte dazu, daß es bis zum Wald hin hallte.

»Mag sein ein anderes Mal, heut aber nicht!« rief eines von den Mädchen auf Sepp zurück, und zu ihren Kameradinnen sprach sie auch laut, daß es Sepp hören konnte, wahrscheinlich hören sollte:

»Kommt, Mädchen, laufen wir, damit sie uns nicht nach können, die zwei hinten!«

Die Zwei hinten – ein freudiger Schreck fuhr mir durch die Glieder – die Zwei! Also die Mädchen hatten richtig mich auch gesehen und mitgezählt!

Aber schade, sie liefen uns wirklich davon!

Ich hatte mein »Schande!« laut gesprochen und wahrscheinlich auch mit der gehörigen Kläglichkeit intoniert, denn mir war jetzt im Ernste leid; etwas wie eine dunkle Sehnsucht, und wieder etwas wie eine unklare Ahnung hatte sich plötzlich in meiner Seele geboren und dies sollte durch die Flucht der Mädchen auch wieder plötzlich zunichte werden?

Unwillkürlich beflügelten sich meine Schritte.

Sepp aber – der sonderbare Bursche! – früher, wo es kaum nötig war, hatte er mich zur Eile getrieben, jetzt, wo periculum in mora, hielt er mich hellauf lachend zurück und sprach ebenso laut, daß die Mädchen es am Ende gar gehört hatten:

»Laß sie laufen, die >Gschoßerln<, wir sind froh, wann wir nichts damit zu tun haben!«

So sprach der entsetzliche Mensch und lachte wieder dazu aus vollem Halse.

Ich wollte auf Sepp ernstlich böse werden, denn die zwei hatten etwas in mir – aber was ist das? – Da seh’ einmal ein Mensch die Anomalie der Menschennatur! – Die Mädchen hören auf seinen beleidigenden Nachruf nicht nur, wie von einem Zauberschlag getroffen, auf zu laufen, sondern gehen plötzlich mit flüsternd zusammengesteckten Köpfen so langsam, so sich eine nach der andern hindehnend, daß Sepp und ich, wenn wir nur wollten, in einigen Sätzen bei ihnen sein konnten.

Ich meinte auch, daß Sepp es so machen würde, denn ich war nun einmal unter seiner Führung und hatte keinen Willen.

I, Gott bewahre! rasche Sätze; stehen blieb jetzt der Unerklärbare, fest stehen und an mich tat er die befremdliche, seltsame Frage und wieder so laut, daß es die Mädchen hören mußten, die Frage:

»Also magst du wirklich nicht weiter mitgehen, Franz, ist’s dir zu abgeschmackt? Gut, so kehre ich wieder um mit dir!«

Ich wollte protestieren Er aber bedeutete – schweigen! Dann, die Augen nach den Mädchen gewandt, flüsterte der Schelm Sepp: »Sieh hin!«

Hm, sonderbar! Die Mädchen standen auch. Und jetzt merkte ich, daß alles nur so ländlich sittliches Manöver war.

Dann ging Sepp langsam gegen die Mädchen vorwärts und ich – natürlich – folgte ihm auf dem Fuße.

In der nächsten Minute standen wir bei ihnen. Und da gab es etwa nicht eine lange Erklärung, Auseinandersetzung, Entschuldigung oder überhaupt irgend eine Übereinkunfr und Zeremonie, nein, nichts, gar nichts! Sepp faßte ohne Umstände ein paar Mädchen um die Mitte und lachend gegen mich rief er: »Nu, Franz, gefällt dir keine?«

Sonderbare Frage! Alle hätten mir gefallen – doch nein, nein, nein! – Zwei nachtschwarze, glühende Augen leuchteten mich an – die Inhaberin dieser wäre mir augenblicklich die liebste gewesen.

»Der Franz kennt uns nicht mehr«, sprachen die schwarzglühenden Augen, d.h. sie befahlen dem Mund so zu sprechen.

»Anna Zweimüller! « rief ich unwillkürlich nach dem Normale unseres einstweiligen Schulverzeichnisses. –»Ach, aber wie groß und – schön!« fügte ich scheu hinzu.

Anna lachte und reichte mir wie zum Gruße die Hand.

Aber sonderbar! Anna, die frommstille Anna, zog ihre Hand nicht wieder an sich, sie ließ sie im Gegenteil, als hätte sie darauf vergessen, in der meinigen liegen und so schlenderten wir selbander hinein ins wogende Meer des ausgegossenen Mondlichtes.

Wir hatten nicht viel gesprochen, das weiß ich noch, aber was selbst das wenige gewesen, das weiß ich nicht mehr!

Es ist mir auch, als wenn die Hände nicht immer in der ersten friedlichen Lagerung geblieben wären, aber es ist darum doch nicht der mindeste Krieg entstanden, das weiß ich.

Mir ist auch, als wenn ich Anna geküßt hätte, vielleicht verschiedene Male, aber weil ich mich gar keines Widerstandes, nicht der geringsten Rüge oder Drohung erinnere, so ist es vielleicht auch nicht wahr. – Wir hatten vielleicht

aus längst vergangenen Schultagen uns etwas zuflüstern wollen, etwas, das die Andern nicht hätten hören sollen, und da haben die rosigen Lippen, vom Mondlicht getäuscht, statt zum Ohre sich wieder zur Lippe verirrt, im Vorüberflug die Wange bestreift – mein Gott, wer weiß es denn, wenn der Mond erst das Hörnlein bildet!

Doch sieh, auch das scheint wieder nicht wahr, nicht ganz so zu sein; denn:

»Franz« – sprach nach einer vielleicht schon nicht mehr kurzen Weile die Schwarzäugige – »wir müssen doch auf die andern warten!«

Warten? – Auf die andern? – Ich sah hinter mich.

Kein Mensch war zu sehen, kein Sepp, keine Mädchen –Anna, ich und der Mond, sonst niemand.

Da hätten ich und Anna auch nicht zu flüstern nötig gehabt. Aber wir bleiben nichtsdestoweniger auch nach dieser Beobachtung still und heimlich, traulich und allerliebst.

So kamen wir zu Annas Haus.

So standen wir an der Ecke des Stadels noch eine geraume Weile, da – jetzt wußt' ich es deutlich, weiß es auch jetzt noch – Anna hatte ihre Hand auf meine Schulter gelegt, ihre schwarzen Augen hatten sich vom Mondlicht ganz vollgeschöpft und glänzten wunderbar – ich sollte sie nur so schnell als möglich küssen, daß sie sich nicht gar entzünden, dann auch und wieder möglichst schnell die Wangen, die ebenfalls brannten, und sollten darüber die Lippen nicht aufhören zu glühen, auch die, auch die!

So kam mir eine innere, ungestüme Mahnung. Ich war mir des deutlich bewußt, darum weiß ich es auch jetzt noch ganz genau, da – kicherte es von der unteren Ecke des Stadels herauf – Annas Hand zuckte weg von meinen Schultern, aus ihren Augen spritzten zwei lodernde Funken und fielen zur Erde, daß die tauigen Gräser darüber erknisterten.

»Zu spät!« seufzte Anna – es war ein gar wehmütiger Ton.

Einen Augenblick darauf stand ich allein im Geflirre des Mondlichtes und wußte nicht recht, was und wie mir geschehen.

Annas »zu spät!«, dieser erste Klageruf gegen mein Liebesgeschick, wiederholte sich dann noch oft, ja er schien typisch für mein ganzes Leben werden zu wollen. Und wer steht mir gut, daß jetzt das Bekenntnis desselben, d. i. die Veröffentlichung dieser »Geschichten«, nicht auch noch von demselben Rufe begleitet sein müsse?

In allem, was ich getan
Mit oder ohne Müh,
War ich im Schlimmen zu früh,
Im Guten zu spät daran.


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