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1864-1885
Richard Strauß war das erste Kind aus zweiter Ehe seines Vaters Franz, Königlich Bayerischen Kammermusikers im Münchener Hoforchester und Professors an der dortigen Königlichen Musikschule, und seiner Frau Josephine, Tochter des bekannten Großbrauers Georg Pschorr in München. Im Rückgebäude der Brauerei, am Altheimereck, steht sein Geburtshaus. Die Familie zog später in das Vorderhaus, dessen Straßenseite in die verkehrsreichste Gegend schon des früheren Münchens blickt; Franz Strauß blieb dort bis an sein Lebensende wohnen. Es ist das große Gebäude Neuhauser Straße 11, ein »Durchhaus«, wie man in München sagt, dessen lange Toreinfahrt zwei gleichlaufende Straßen verbindet. Vorn befindet sich die altberühmte Bierwirtschaft, von deren Betrieb man oben in der drei Treppen hoch gelegenen Wohnung, in der fast alle Jugendwerke Richards entstanden, nichts vernahm. Auf der entgegengesetzten Seite der Einfahrt kommt man im Haus Altheimereck Nr. 2 heraus, das über den beiden Mittelfenstern des ersten Stockes die am Geburtstag des Künstlers 1910 enthüllte Gedenktafel trägt: » Am 11. Juni 1864 wurde hier Richard Strauß geboren.«
Von Seite des Vaters ist es die Umwelt hohen künstlerischen Ernstes, in dem der Knabe aufwuchs, von Seite der Mutter die des besten, im gegebenen Rahmen kunstsinnigen Münchener Großbürgertums. Frau Josephine Strauß war eine der fünf Töchter des Hauses Pschorr, von denen sich vier in München verheirateten; so belebte schon Richards Kindheit eine reiche Anzahl heranwachsender Vettern nebst einigen Bäschen. Die gesunde und muntere Kinderschar, darunter seine um drei Jahre jüngere hübsche und witzige Schwester Johanna, fand sich bei den angestammten Münchener Familienfestlichkeiten, zu deren Höhepunkten die unvermißbare Bockpartie mit Würsteln nach der vom Fenster des Onkels Knözinger angesehenen Fronleichnamsprozession gehörte, vollzählig ein, wobei die »Buben« von sechs bis sieben Familien zu fröhlichem Tun versammelt waren. Tüchtige Musikpflege gehörte zu den Erbeigenschaften der Pschorrs und ihrer nächsten Verwandtschaft; jeder, der irgendwie konnte, trug zur häuslichen Kammermusik bei. Durch die der Familie und ihrer näheren Bekanntschaft angehörenden ausgezeichneten Fachmusiker kamen diese, fast ausschließlich der Pflege der Klassiker gewidmeten Feierstunden zu ansehnlicher künstlerischer Eigenschaft.
Die hohe musikalische Bedeutung des Vaters Franz Strauß (1822-1905), des »Joachim auf dem Waldhorn«, wie Hans v. Bülow ihn nannte, und sein nachhaltiger Einfluß auf die Jugendentwicklung des großen Sohnes, nötigen zu einem Verweilen bei seinem Charakterbild als Künstler. Wer ihn in seinem späteren Alter kannte, mit dem milden objektiv daseinsfreudigen Lächeln, dem kurzen schneeweißen Schnurrbart in den scharfgeprägten und doch so freundlichen Zügen, in der versöhnlichen Weite seines über alle musikalischen Richtungen streifenden Blicks, der gewiß gerade durch seinen Sohn viel gewann, der hatte Mühe, sich in ihm den aus den sechziger Jahren bekannten bitteren Vorkämpfer gegen Wagner und Bülow, »den Bülloff«, wie ihn die echten Münchener nannten, vorzustellen. Und noch schwerer ist dies heute, wo der Kampf jener beiden Grundkräfte verborgener geworden ist und erst wieder aufflammen kann, falls der Eindruck eines allgemeinen Sieges von Wagners riesenhafter Persönlichkeit zurücktritt. Wer aber die Gewissenhaftigkeit des musikalischen Denkens von Franz Strauß kannte, den Ernst, mit dem er zum Beispiel erwog, ob eine enharmonische Verwechslung in der Schreibweise Webers, der der älteren Richtung damals noch als sehr frei galt, etwa Es statt Dis, der Rechtschreibung entspräche, und wie der Tonsetzer wohl dazu gekommen sein mochte, der konnte eher begreifen, welchen Anstoß er und seine Richtung an den unerhörten harmonischen Kühnheiten Wagners und seinem Mangel an den in gewohnter Weise kadenzierenden Melodien nahm. So peinlich er sich aber in seinem Urteil an die Form hielt, so zählte er im eigenen Spiel zu den Ausdrucksmusikern allerersten Ranges. Von dem rein äußeren Umstand abgesehen, daß er und sein ebenbürtiger Genosse, der Klarinettist Ferdinand Hartmann, fast stets auf ihrer Scholle blieben, waren sie als Stilmeister für die Aufgaben der Klassiker und Romantiker in Orchester und Kammermusik ihrem Können nach etwa dasselbe, wie Joachim für die allerdings unendlich schwierigeren Beethovenquartette. Freilich flicht auch dem besten Bläser die Umwelt keine eigenen Kränze, wenn er sich nicht mit einem meist sehr fragwürdigen Soloprogramm als Wandervogel von zweifelhafter Anziehung dem Agenten verschreibt. Aber lange, ehe man Riemanns Worte: Phrasierung, Agogik und ähnliche kannte, waren diese beiden unbeschränkte Könner in solchen Dingen. In ihren Solostellen von Mozarts Klarinettentrio, seinem und Beethovens Bläserquintett, dessen Septuor, Rondino für Blasinstrumente, Schuberts Oktett, in den Opernbegleitungen, wie dem Hornterzett der Fidelio-Arie konnten die damals in München Aufwachsenden Kenntnis einer vorbildlichen Behandlung der melodischen Phrase erlangen. Von unvergeßlicher Großartigkeit war das Spiel von Franz Strauß in den Soli von Beethovens Symphonien. So brachte in der Eroica der erste Satz das bei ihm in milder, wonniger Schönheit emporblühende Hauptthema in F, der zweite das mit feierlicher Größe des Schmerzes geblasene Fugenthema in Dur, es-f-g-as, das Trio des dritten die in der Tiefe erbrausende, zum höchsten Ton der Skala sich aufschwingende Oberstimme des Hornterzetts, im Finale endlich das Hauptthema, und ans Wunderbare grenzte da die Kraft, mit der er als Führer der drei im Unison geblasenen Hörner die Melodie durch den brandenden Aufruhr des trompetenverstärkten vollen Orchesters blies, im dröhnenden Tosen des Metallklangs noch edel und pathetisch getragen. Und wie erklang von ihm das Solissimo im dritten Satz der Neunten, die Ces-dur-Skala, die man in Norddeutschland oft wie Entschuldigung erbittend »verlegen herunterblasen« hört! Ohne eine nicht vorgeschriebene Bindung sang er hier ein breites Portamento, das die Stelle zur einzig möglichen künstlerischen Wirkung bringt: der eine Spieler spricht hier so aus überquellendem Gefühl, daß alle anderen schweigen müssen. Seine Ausdruckstechnik glänzte im heldenhaften Vortrag des C-dur-Themas im Finale der Fünften, in dem süßen Schwelgen des Solo im Trio der Achten, den blühenden Kantilenen des Septuors; ebenso fand er den idealen Vortrag für die zierlichen Akkordfiguren Mozartscher Barockstellen, die sehnsüchtig schwellende Inbrunst des Tristanvorspiels oder die unheimliche Nachtpoesie des Adagio mesto in Brahms' Horntrio. Wer ihn je das Nokturno aus dem Sommernachtstraum auf seinem Instrument wirklich traumhaft süß singen hörte, dem wird es ein Beispiel vollendeter Tongebung, Artikulation und Phrasierung bleiben. Dabei war er unwiderstehlich in den lustigen Naturtontriolen des zweiten Menuetts im Septuor und von heilig stimmungsvoller Weihe in den mezzosopranhohen Melodien des Sextetts mit zwei Hörnern.
Diese Künstlerfigur muß man in ihrem Kampf gegen den 1864 von König Ludwig II. nach München berufenen Richard Wagner zu begreifen trachten, und wäre es nur, um die verbreitete dunkle Vorstellung zu beleuchten, als ob sein Sohn Richard musikalisch sozusagen in der Sünde erzeugt sei. Franz Strauß legte in den auch formal so unendlich reichen Beethoven ausführend den innerlichsten Ausdruck, dessen Musik überhaupt fähig ist. Was hatte er, solange er der dichterisch selbständigeren Musikdramatik Wagners fernstand, für seine reine Tonkunst zu gewinnen? Daß er beim Eindringen von irgend etwas Neuem, gerade je heftiger man dafür kämpfte, die Schädigung dieses Besitzes fürchtete und zunächst Mißtrauen empfand, ist unschwer zu verstehn. Das Prügelmotiv in den Meistersingern war ihm rein musikalisch derart zuwider, daß er einmal beim Einüben vor der Probe plötzlich voll Ingrimm schmetternd in die Weise fiel: O du lieber Augustin, alles ist hin! – Auch ein gewisser Trotz kam bei ihm dazu; er konnte sagen: ich persönlich als Musiker kann ja technisch und geistig alles, was diese Neuen verlangen. Er blies seine Stimme auch in Tristan 1865 und Meistersingern 1868 so schön und ausdrucksvoll als möglich, aber mit innerem Widerstreben, aus dem er in seiner urwüchsig kraftvollen bayerischen Kampfesfreudigkeit auch mündlich Wagner gegenüber kein Hehl machte. Denn Franz Strauß war eine jener lebhaften Naturen, bei denen jeder fremde Wille den eigenen reizt, und die manchmal heraussagen müssen, was sie denken. Er hatte sich schon gegen Franz Lachner widersetzt, selbst durch Markieren anderer Tempi in den Proben, und war gegen den jeweils Machthabenden bis zum Ende seiner Dienstzeit. Seine eigene Kunst war ihm dabei so ernst, daß er vor jedem hervortretenden Solo – bis 1873 oder 1874 blies er mit Begleitung des Hoforchesters noch mehrsätzige Konzerte, z. B. Mozart, Franz Strauß – in Oper, Orchester- oder Kammermusik, einen halben Tag vollständig krank war. Aber solche Abhängigkeiten vom Körperlichen vermochten nie seinen Trotz zu brechen. Schon die Reibereien mit Richard Wagner, anfangs aus Überzeugung, dann immer mehr persönlich sich zuspitzend, arteten mehrmals in richtige Wortgefechte aus, so daß der Meister einmal vor Erregung nicht mehr sprechen konnte. Als Franz Strauß einst etwas verspätet zur Probe kam, während Wagner bereits eine Ansprache an das Orchester hielt, ging er, ohne Notiz von ihm zu nehmen, an seinen Platz. Wagner war vor Strauß so bange, daß er das Solo in der Beckmesserpantomime des dritten Akts der Meistersinger erst persönlich von dem damals als Korrepetitor am Hoftheater tätigen Hans Richter auf dem Instrument ausprobieren ließ, damit Strauß es nicht etwa als unspielbar erklären könne. Beim Intendanten Perfall, der persönlich wie als Komponist der Mendelssohnrichtung zuneigte, fanden Neuerer, wie Wagner und Bülow, keinen Rückhalt.
Obschon ohne eigentlichen Auftrag, war Franz Strauß doch der geistige Führer des Orchesters, so wenig auch einzelne mit seiner lebhaft die Empfindung wechselnden Art einverstanden schienen. Seine Kollegen waren, wie anderswo auch, nicht glänzend gestellt; das Gehalt stieg, durch die seltenen »Funktionszulagen für hervorragende Leistungen« von jährlich fünfzig Gulden erhöht, nur sehr langsam, und erst im Januar 1873 verkündete ein Dekret der Hofintendanz den Glücklichen »die völlige Gleichstellung mit den Kgl. Hofdienern«, nach der sie »zwar nicht pragmatische Rechte, aber doch Aussicht auf Pension bei tadelloser Aufführung und in jeder Beziehung befriedigender Dienstleistung aus den als Gehalt erklärten Bezügen allergnädigst verliehen« bekamen. Daher war Franz Strauß, obgleich sein Wohlstand nur mäßig war – den großen Reichtum erwarb erst der Bruder seiner Frau, Kommerzienrat Georg Pschorr – unter den Kollegen doch gewissermaßen durch ihn gehoben, da er ihm ermöglichte, jeden Tag auf gut münchnerisch zu sagen: jetzt freut's mich nimmer. Hans v. Bülow meinte gelegentlich: Der alte Strauß ist zwar ein unausstehlicher Kerl, aber wenn er bläst, kann man ihm nicht böse sein. Da Bülow in München als Apostel der Wagnerkunst erschien, stand Strauß schon von vornherein in Opposition zu ihm. Der alte Franz Lachner hatte bei den meistens leichteren Aufgaben mit großer äußerer Ruhe und bayerischer Deutlichkeit Orchesterzucht gehalten; neben den viel längeren Proben war es auch Bülows Spott in der Schärfe seiner norddeutschen Sprache, der ihm besonders die älteren Herren zu Feinden machte, sein gelegentliches Aufstampfen, um den Rhythmus zu schärfen, und ähnliches. Außerdem scheint ihm damals noch etwas die landläufige Handfertigkeit des Theaterkapellmeisters gefehlt zu haben. Auf einer Probe, die um neun Uhr morgens begonnen hatte, sollte nachmittags gegen vier eine Hornstelle wiederholt werden, wobei Franz Strauß trotzig sagte, er könne nicht mehr. »Dann gehen Sie doch in Pension!« bemerkte Bülow gereizt. Strauß packte sein Horn ein und ging direkt zum Intendanten, den er trocken »um seine sofortige Pensionierung auf Wunsch des Herrn v. Bülow« bat. Und Perfall mußte den Unentbehrlichen zu versöhnen suchen.
Aber eine Art von Sühne des Schicksals hielt ihn über sein Amt hinaus im Dienst der Wagnersache. Als Hofkapellmeister Levi 1882 die erste Symphonie des jungen Richard Strauß gespielt hatte, fragte sein Vater in Gegenwart von Kollegen, wie er für diese Freundlichkeit danken könne. Levi nahm ihn sogleich beim Wort, indem er ihn aufforderte, den Parsifal mitzublasen. So kam Strauß auf zwei Monate nach Bayreuth, und in der Folge, als Frau Wagner den jungen Strauß bei seinem Onkel Pschorr in Feldafing besuchte, wohl 1892, traf es sich, daß er sie am Arm seines alten Herrn durch den Garten gehen sah. Zu einer freundlichen Annäherung zwischen Wagner und Franz Strauß kam es aber nicht, und als am 14. Februar 1883 in der Konzertprobe im Odeon Levi zum Orchester einige Worte über den am vorhergehenden Nachmittag erfolgten Tod des Meisters sprach, war Strauß der einzige, der sich nicht erhob. Zwischen ihm und Bülow kam es infolge von Bülows Freundschaft für seinen Sohn Richard immerhin so weit, daß Bülow diesem im April 1892 die Absicht mitteilte, seinen Vater auf der Reise in München aufzusuchen, dieser jedoch war schon auf dem Land, in Aibling.
Erst am Ende seiner Orchestertätigkeit fanden seine Vorgesetzten Gelegenheit, Franz Strauß seine unbequeme Gesinnung entgelten zu lassen. Er saß im Sommer 1889 ahnungslos beim »Terteln«, dem damals beliebten bayerischen Kartenspiel, in dem Café l'Opéra an der Maximilianstraße, als ein Kollege ihn begrüßte: »Na, du hast's ja jetzt auch überstanden!« Auf seine betroffene Frage erfuhr Strauß, daß seine Pensionierung im Musikzimmer des Orchesters angeschlagen sei. Die dienstliche Mitteilung an ihn erfolgte erst später. Bis 1896 verblieb er im Lehramt an der Kgl. Akademie der Tonkunst, das er mit großem Eifer versah. Seine geistige Frische war trotz der Beschwerden eines früh aufgetretenen Lungenemphysems zum Staunen. Auf Wunsch eines Neffen, der bayerischer Postrat war, schrieb er Ende Februar 1904, als 82jähriger Mann, zum Gebrauch der Postillione noch zehn »Stückerln« für drei Posthörner voll Humor und frischester Erfindung. Im folgenden Jahr, am 2. Juni 1905, entschlief er; zum Trauergottesdienst in der altkatholischen Kirche an der Kaulbachstraße ließ sein Sohn von ersten Mitgliedern der Hofkapelle zwei Streichquartettsätze von Mozart spielen, die der Vater besonders geliebt. Sein Horn erhielt sein Neffe, Fabrikdirektor H. in München; es liegt in dessen Wohnung auf der unteren Isarinsel, am »Abrecher«, wo tief unten der im Sonnenschein hellsmaragdgrüne Fluß in herrlicher Wildheit vorüberschäumt, noch gerade wie in jener Zeit vergangener Schönheit, der Zeit von Heinrich und Therese Vogl, August Kindermann und Theodor Reichmann, dem alten Franz Strauß und Ferdinand Hartmann, den Unvergleichlichen, dem jungen Richard mit seiner Lockenfülle und seinem Knabenlächeln.
Vom Oktober 1875 bis 1896 leitete Franz Strauß den Dilettanten-Orchesterverein »Wilde Gungl«, und zwar als der erste Berufsdirigent des 1864 gegründeten Vereins – sein Vorgänger war Landgerichtsrat J. v. Praetorius –, lehnte aber jede Vergütung wie jedes Geschenk ab. Er war peinlich sorgfältig in den Proben, wobei ihm seine genaue Kenntnis der Instrumente ermöglichte, seine Leute auf diesen weiterzubilden. Die Violintechnik war ihm seit seiner Kindheit geläufig; später war er, wegen Asthmas zum Aussetzen des Blasens genötigt, jahrelang als Bratschist in dem angesehenen Quartett Mittermayer und im Hoforchester tätig; auch als Gitarrespieler war er längere Zeit Begleiter des nach alter Münchener Sitte Zither schlagenden Herzogs Max gewesen. Das in allen Stimmen besetzte Orchester bestand damals aus 27-30 Herren, meist höheren Beamten. Die erste Abteilung jedes Konzerts brachte eine Symphonie, die dritte war der Unterhaltung, besonders auch Straußwalzern, gewidmet. Franz Strauß hielt auch hier das klassische Banner hoch, und erst gegen das Ende seiner Direktionszeit überraschte er den Verein mit dem Zahmsten von Wagner, dem Friedensmarsch aus Rienzi. Das ständige Probelokal in dem Altmünchener Haus »Zu den 3 Rosen« am Rindermarkt schmückte seine wohlgetroffene Büste von Theodor v. Gosen, Professor an der Kunstgewerbeschule in Breslau.
Vater Strauß wachte mit Strenge darüber, daß sein augenscheinlich zum Musiker geborener Sohn das Studium der Klassiker betrieb; ängstlich hielt er ihn von den Einflüssen der neuen Richtung fern. Und Richard Strauß blieb stets der Ansicht treu, daß ohne Vertiefung in die Werke Bachs, die Symphonien von Haydn, Mozart, Beethoven, ein richtiges Verständnis für Wagner und alle folgenden Meister, auch eine gedeihliche Entwicklung eigenen tonsetzerischen Schaffens unmöglich sei.
Mit viereinhalb Jahren begann der Knabe unter einiger Nachhilfe seiner Mutter, einer oft leidenden, freundlich stillen Dame, das Klavierspiel bei dem Harfenspieler des Hoforchesters August Tombo, einem gewandten Pianisten. Mit Mut und Eifer machte er sich sehr bald über alles her, was ihm in die Hände kam, und brachte mittels unglaublich kühner Fingersätze auch viel fertig; Tombo verbesserte diese nach Möglichkeit und hatte seine Freude an den urkräftigen Talentproben. Seit 1875 trat der angesehene Pädagoge Niest an seine Stelle. Im siebenten Lebensjahre setzte der Schulbesuch ein, zugleich der bis etwa zur Reifeprüfung dauernde Violinunterricht bei einem zweiten Orchesterkollegen des Vaters, Konzertmeister Benno Walter, dem ersten Münchener Solisten, einem Künstler von beseeltem Vortrag und ansehnlicher Virtuosentechnik. Nach vierjährigem Besuch der Elementarschule trat Strauß im Herbst 1874 in das Kgl. Ludwigsgymnasium ein, dessen Schüler er bis 1882 blieb. Wie rasch er technisch lernte, beweist, daß er z. B. mit dreizehn Jahren zugleich Czernys Schule der Fingerfertigkeit, Nokturnos von Field, Mendelssohns d-moll-Konzert, das Wohltemperierte Klavier, ferner die Violinetüden von Kreutzer und Duos von Viotti spielte und doppelten Kontrapunkt übte, wie einer seiner Briefe an den Jugendfreund Thuille schildert. Nur die ererbte kerngesunde Natur des Knaben machte es möglich, daß er ohne Schaden für sein körperliches Wohlbefinden und seine gute Laune neben dem Schulbetrieb eine solche Fülle von Lernstoff in sich aufnehmen konnte.
Der Vater wuchs auf dem Land auf und spielte schon als kleiner Knabe Sonntags manche halbe Nacht zum Tanz die zweite Violine. Bei aller geistigen Bildung, die er, durch gute und unverbrauchte Anlagen unterstützt, sich angeeignet, blieb er die bayerische Kraft- und Kernnatur, und mit achtzig Jahren bemerkte man außer dem weißen Haar noch kein einziges der für das Greisenalter bezeichnenden seelischen oder körperlichen Merkmale an ihm, obwohl sein altes Übel, das Asthma, ihm viel zu schaffen machte. Von diesem aufgespeicherten Kapital an kerniger Kraft durfte Richard, ein Enkel der noch als Landleute Verstorbenen, zehren. Es ließ ihn die geistlosen Gedächtnismühen des Gymnasiums zugleich mit den Anforderungen einer strengen tonsetzerischen Schulung, der freien Arbeit auf diesem Gebiet, der emsigen Pflege von Klavier- und Violintechnik so gut ertragen. Bezeichnend für das Nervenleben des Knaben ist eine Stelle aus einem Brief an Ludwig Thuille, der Schrift nach wohl 1878. Er macht gegen Ende August von Murnau aus eine Partie auf den Heimgarten: Aufbruch zwei Uhr nachts zu Leiterwagen, fünfstündiger Aufstieg, infolge Verirrens pfadlos steiles dreistündiges Abwärtsgehen, im ganzen zwölf Stunden Marsch, die letzten bis auf die Haut von Regen und Sturm durchnäßt, unbeabsichtigtes Nachtlager in einem Bauernwirtshaus. Nach all diesem hat Strauß gar nicht das Bewußtsein, eine Strapaze durchgemacht zu haben, sondern findet die Partie »bis zum höchsten Grad interessant und originell; am nächsten Tag habe ich die ganze Partie auf dem Klavier dargestellt. Natürlich riesige Tonmalerei und Schmarrn (nach Wagner). – Neulich war ich in der Götterdämmerung.« – Jenem Kapital von Gesundheit verdankte er später, in den bewegtesten Zeiten seiner Dirigentenreisen, die Fähigkeit, ohne wahrnehmbaren Nachteil nach hingebungsvoll geleiteten Aufführungen mit dem Nachtzug zu einer ausgedehnten Probe zu fahren und dann abends wieder voll seinen Mann zu stellen.
Die Kgl. Musikschule seiner Vaterstadt oder irgendeine andere hat Strauß nicht besucht. Vom 11. bis zum 16. Lebensjahre studierte er bei Hofkapellmeister Fr. W. Meyer Musiktheorie: Harmonielehre, Kontrapunkt, vom einfachen und doppelten bis zum vierdoppelten, Kanon, Fuge, Formenlehre und die Anfänge der Instrumentation. Richters Lehrgang wurde von Meyer zugrundegelegt, das Buch aber wenig benutzt. Im Sommer 1879, nach fünf Jahren, war der Unterricht bei der vierstimmigen Fuge, der eindringendsten und höchsten Betätigung des melodischen Denkens, angelangt. Der ausgezeichnete, nach damals noch recht verbreiteter Münchener Art überbescheidene Opern- und Konzertdirigent, selbst gediegener Kontrapunktiker, wußte seine Verehrung für Wagner und Liszt und die Wärme für den Fortschritt überhaupt mit dem feinen Sinn für strenge technische Schulung im alten Sinn zu vereinigen. Er erfreute sich später, 1887, noch an dem ersten eigentlich Straußischen Werk, der Italienischen Fantasie. Daß Meyer nicht, wie heute üblich, Beispiele aus der Praxis der Klassiker für seine Unterweisung heranzog, beweist durch den Erfolg, wie ausgezeichnet sie in ihrem rein lehrhaften Rahmen gewesen sein muß.
Schon von 1870 ab setzt eine rege Kompositionstätigkeit ein; der Knabe malte früher Noten nach als Buchstaben; es entstanden Lieder, Klavierstücke, Sonaten, auch Ouvertüren für Orchester. Ein näheres Eingehen auf all diese, meist ungedruckten, Jugendwerke wurde in das am Schluß beigegebene Verzeichnis verwiesen, da hier weniger ein fließendes Weiterlesen, als genaues Vergleichen der einzelnen Motive angebracht ist, und nicht jeder, den Straußens bekannt und berühmt gewordene Werke interessieren, sich auch einläßlich mit dem Werden und Wachsen seines Talents befassen dürfte. In diesen Jugendwerken zeigt sich, Haeckels »Biogenetischem Grundgesetz« entsprechend, wie das Einzelwesen Entwicklungsphasen der Gattung ungefähr wiederholt. Als Knabe skandiert Strauß im Lied, unbekümmert um die durch den Sinn bedingte Silbenquantität, meist im Metrum fort, wie es eine Zeitlang der deutsche Tonsetzer, darunter mancher hochgeehrte, bis an sein Lebensende tat. Und auch für ihn ist anfangs die Musik teilweise wirklich nur, was sie für die ganze Klassikernachfolge war, etwa nach der Fassung des Ästhetikers Carrière, dessen Vorlesung Strauß später in München hörte, bloß »tönend bewegte Form«. Diese ganze Gruppe von Werken hat also weniger Bedeutung an sich selbst, obwohl einzelnes, wie die gänzlich unbekannt gebliebenen D-dur-Variationen für Klavier, in hohem Maße fesselt, – sondern als Einführung in das Werden der Straußischen Art, als weiterer Beleg für die naturgemäße, folgerichtige Entwicklung, die, vom Haydn-Mozart-Stil ausgehend und ihn wunderbar früh beherrschend, bei dauernd anhaltender Steigerung der inneren Kraft, notwendig über die Grenzen ihrer Zeit hinausführen mußte. Wer dieser Entwicklung von Anbeginn nachgeht, wird sich leicht erklären, warum er zunächst Schwierigkeiten darin findet, Strauß in seiner jeweils letzten Phase zu folgen. Man bemerkt, wie bald sich dann in dem Klavierfigurenwerk und besonders in den Strettas äußerlich das Beispiel Mendelssohns geltend macht, zuweilen auch dessen schlichte Herzlichkeit der Melodik. Der Einfluß des häufigen Schubertspiels, der in den gedruckten Werken bis zum Rosenkavalier unmerklich blieb, tritt in den Jugendarbeiten zuweilen unverkennbar liebenswürdig hervor. Bemerkenswert ist in ihnen gleich vom siebenten Jahr an die musikalische Rechtschreibung, Artikulation mit Bogen und Stakkato, die überraschend bewußten weiten Metronomgrenzen, ♩ = 40 bis 𝅗𝅥 = 152, die meist wirkungssicheren dynamischen Zeichen; dabei vergewissert Schrift und Tinte, daß nichts von allem erst später dazugesetzt ist. Schon hier zeigt sich Bestimmtheit des Wollens; eine Unsicherheit der Absicht oder Ausführung ist kaum zu finden; Mangel an Fluß, Nichtweiterkönnen, stückweises Aneinanderkleben erscheint, wie bei der fünften Sonatine, sehr selten. Interessant ist zu sehn, wie sehr sich Strauß in diesen ungedruckten Werken gegebenen Mitteln anzupassen wußte, ganz im Gegensatz zum späteren, selbständigen Schaffen. Die Kammermusikstücke sind meist für das häusliche Musizieren der Familie Pschorr, seine jungen Vettern, geschrieben, weshalb nur die für Strauß selbst bestimmte Klavierstimme vor größeren Schwierigkeiten nicht zurückschreckt, die Orchestersachen für die Liebhabervereinigung »Wilde Gungl«. Weniger Anpassung zeigt sich in der Singstimme der zahlreichen ungedruckten Lieder, die denn auch minder günstige Bedingungen vorfanden. Während Strauß als Knabe seine Klavierstimmen geläufig selbst ausführte und jedes Kammermusikstück von Spielern seiner eigenen wie der älteren Generation sofort eifrigst ergriffen wurde, bekam er von seinen Gesängen die meisten selten zu hören. Sie waren nicht für den Tonumfang einer bestimmten Person gesetzt; dem schönen Mezzosopran seiner Tante Johanna Pschorr, der nicht weniger als fünfundzwanzig davon gewidmet sind, lagen sie gewöhnlich zu hoch. Auch sangen sie sich, nach damaligen Münchener Begriffen, meist sehr schwer und wenig dankbar. Selbst Victoria Blank, die Altistin des Hoftheaters, sang die ihr gewidmeten, in Opus 15 später gedruckten, nicht öffentlich.
Strauß selbst stand später der Ersprießlichkeit, dem eigenen Schaffensdrang so früh und so nachhaltig stattgegeben zu haben, einigermaßen bedenklich gegenüber. Von Belang ist in dieser Hinsicht ein Brief vom Februar 1910, im Besitz des Herrn Dr. med. Bienstock zu Mülhausen im Elsaß, dem Strauß rät, seinen komponierfreudigen Sohn erst das Gymnasium durchmachen zu lassen, da jenes Lebensalter noch nicht zum selbständigen Schaffen geeignet sei, für die rein technischen Studien aber die freie Zeit auf dem Gymnasium ausreiche. Strauß bedauert, selbst so viel in jener Zeit tonsetzerisch gearbeitet zu haben. Man sieht auch hier wieder, daß er dem hohen Maß von heute noch erquickendem Temperament und von Formfreudigkeit in seinen Jugendarbeiten später kein unbefangener Beurteiler war. »Ich habe dabei viel unmittelbare Frische und auch Kraft eingebüßt.« Er selbst habe sich auf dem Gymnasium gleichfalls »gründlich gelangweilt, aber doch bis zum Ende ausgehalten, und ich glaube, es hat mir nichts geschadet«. Lieber »Horaz und Homer, und besonders Mathematik, als in so jungen Jahren zuviel Musik.
Gedruckt wurde von der erwähnten Gruppe jugendlicher Vorarbeiten später auf Veranlassung seines Onkels Kommerzienrat Georg Pschorr ein Festmarsch für Orchester in Es als Opus 1. Schon dieser, geschrieben 1876, zeigt sich als ein Stück von wirkungsvoller Anlage und plastischen Themen, im Stil irgendeines hochanständigen damaligen Tonsetzers von geachtetem Namen. Als vorausweisend auf spätere »horizontal zu hörende« Stellen mag der Baß von Takt 10 bis 15 der Einleitung gelten:
wobei die Noten ces, c, cis, d usw. alle zum B-Akkord erklingen und natürlich nur als aufsteigende chromatische Skala, nicht als Akkordtöne verständlich sind. Diese im zwölften Lebensjahr geschriebene Arbeit zeigt, wie es Strauß bestimmt ist, im Orchester zuerst sich selbst zu finden. Schon hier ist er freier als in der Kammermusik. Der Marsch verwendet in guter Steigerung ein Motiv aus dem Finale der Siebenten Beethovens:
Das Trio, herkömmlich in der Quarte, As, bringt zur Oboenmelodie einen hübschen Kontrapunkt im Cello, von der Art, die Kretschmer, Sinding und viele andere gerne anwenden:
Strauß' Mutter nahm eines Tages für seine Schulbücher, in Ermangelung der üblichen blauen Umschlagebogen, von dem im Haus reichlich vorhandenen Notenpapier. Vergnügt kam er an diesem Tag aus der Klasse, dank dem guten Einfall habe er eine langweilige Mathematikstunde fleißig durchkomponiert. Dieses Einbandverfahren wiederholte er dann mehrfach. Auf dem Gymnasium kam der Knabe bei seiner allgemeinen Veranlagung gut durch, obgleich er sich nicht allzuviel um die Lehrgegenstände kümmerte. Besonders ließ er auch fernerhin die Mathematik auf sich beruhn, in der man bis zu schwierigen Aufgaben der Algebra und sphärischen Trigonometrie vorging. Sein Vetter H. verwahrt heute noch ein Mathematikheft von ihm, in dem auf eine gewiß nützliche algebraische Gleichung seitenlange Partiturskizzen zum Violinkonzert Werk 8 folgen. In den Schulstunden komponierte er viel; trotz alldem war ihm bei dem späteren Studium der Werke von Mommsen, Ranke, Burckhardt und auf seinen Reisen in Italien und Griechenland die einst erworbene sprachliche Grundlage erwünscht und nützlich. Schon vom achten Lebensjahr an besuchte er die zahlreichen Orchester- und Kammermusikkonzerte, bei denen sein Vater zum Teil hervorragend beteiligt war. Die stark vertretenen Werke der Klassiker von Haydn ab machten ihm tiefen Eindruck, ebenso Bach, den man in München nur wenig hörte, während die jahrgangsweise häufigen, durch die Sonderkunst von Henschel-London und Vogl-München gehobenen Händelaufführungen ihm nur in der allerersten Zeit von Bedeutung waren. Den Messias z. B. hat er nie gehört. Dieser Umstand ist insofern zu bedauern, als gerade Händels glänzende Keckheit, der unerhörte Schwung der oft in den Noten der einfachen Tonleiter, nur etwa mit erhöhter Quarte, aufgebauten Melodie, ebenso die Stellen plötzlich stillstehenden tiefen Ernstes mitten im lebhaften Vorwärtsgehn, bei Strauß verwandte Saiten berührt hätten. Aber freilich konnte man damals den wahren Händel, wie auch heute zumeist, nur aus der Partitur kennenlernen. Strauß folgte in seinem Verhältnis zu den Altklassikern einem in seiner Vaterstadt stark verbreiteten Zug. Noch als Vierundzwanzigjährigen fesselte ihn, wie er an Bülow schreibt, in der h-moll-Messe nur die wundervolle Kontrapunktik, im übrigen findet er sie langweilig und dem Geist des Passionsdramas fremd. Händel wurde in den weiblichen Partien gewöhnlich einschläfernd undramatisch von Theaterkräften gesungen; der Anteil an ihm und an Bach, bei der Münchener musikalischen Jugend teils durch den an Beethoven, teils durch den an Wagner verdrängt, galt mehr als ein älteren oder altmodischen Leuten gerne überlassenes Vorrecht.
Die Entwicklung von Straußens Auffassungsgabe verlief mit seltener Folgerichtigkeit. Neben der Anlage, sich einem Eindruck stark und ungeteilt, mit scharf abgrenzendem Erfassen des Wesentlichen hinzugeben, tritt auch dies schon in seinen Briefen an den um drei Jahre älteren Jugendfreund Ludwig Thuille hervor, dessen Pflegemutter, Frau Nagiller in Innsbruck, eine Freundin von Frau Strauß war. Die Briefe sind nach Innsbruck geschrieben, als Thuille dort 1877-79 bei Joseph Pembaur Musik studierte, und handeln großenteils von den Münchener musikalischen Eindrücken des dreizehnten bis fünfzehnten Lebensjahres, denen sich Strauß mit der ganzen ersten Empfänglichkeit hingab. Anfangs ist ihm das Musikhören überwiegend lebhafte klangliche Ornamentenfreudigkeit. Da ist zuerst die Tonwelt Haydn-Mozart-Beethoven, in der er, alles rein formal erfassend, aufgeht, mit Mozart als dem in glühenden Ausdrücken verehrten Mittelpunkt; jede früher oder später entstandene Musik wird nach ihrem Gehalt an Formen dieser Art oder doch ihrer Verwandtschaft mit ihr beurteilt. Mozart und Beethoven nennt er, in kühner Steigerung selbst des Zahlworts, einmal hi duissimi heroes, die Jupitersymphonie »das großartigste Werk, das ich noch hörte. In der Schlußfuge glaubte ich im Himmel zu sein. – Die beiden stehn in ihrer Art auf ganz gleicher Stufe. Mozart ist sogar noch vielseitiger.« Von Haydns Schöpfung heißt es im Herbst 1877: »Alles dies ist zum Entzücken und mir hüpfte sozusagen das Herz im Leibe.« Anschaulich schreibt er über Bachs D-dur-Suite: »Wie schön und hell klingen die drei Trompeten in der hohen Lage; das Adagio ist ein wunderbares Air für eine Solovioline.« Von Mendelssohns Schottischer rühmt er das »außerordentlich originelle Scherzo und sehr feurige großartige Finale«. Ein Konzert Chopins findet er herrlich, Grauns Tod Jesu zu seiner eigenen Überraschung »sehr schön«. In Boieldieus Weißer Dame wirkt das zweite Finale, die Schloßversteigerung, auf ihn »großartig und dramatisch bis zum höchsten Grad«. Selbst eine Arie aus »Samson und Delila« von Saint-Saëns nennt er herrlich und nimmt an, der Meister habe andere, weniger schöne Sachen, wie le rouet d'Omphale, eben »für seine Pariser« geschrieben. Innerhalb der klassischen Art von melodischer Linie aber empfindet Strauß mit vierzehn Jahren noch so streng, daß er Thuilles Vergleich eines Adagio von Schumann mit einem Beethovenschen durch zwei Reihen je sechsmaliger Ha! beantwortet und das für Thuille »grotesk« klingende Motiv nur »höchst gemein« finden kann. Bezeichnenderweise dehnt er seine formale Auffassung auch auf reine Ausdrucksstellen aus. Zum Beispiel findet er es in der Coriolan-Ouvertüre »eigentümlich, daß sie im pp schließt; es geht so allmählich aus, indem er die Figur [die Achtel der Streicher] immer langsamer bringt und zuletzt nur mehr Stücke aus der Figur, bis es allmählich ganz verschwindet«. Oder: »was überhaupt mir an Berlioz gefällt, es sind alle seine Sachen so hübsch instrumentiert.«
Neben solcher Fernwirkung durch den Verkehr mit dem hervorragend begabten Jugendfreund ging die vielfach anregende Musikpflege in der Münchener nächsten Umgebung des Knaben fort. Schon die Kinder hörten im Haus des Onkels Knözinger Quartett spielen, wobei Konzertmeister Brückner an der ersten, Heinrich Schönchen an der zweiten Violine, Vater Strauß an der Viola saß. Der Hausherr selbst war ein tüchtiger Cellist, der jahrelang unter Generalmusikdirektor Lachner die Akademiekonzerte mitspielte. Ein anderer Onkel wohnte in Mindelheim, dann als Bezirksamtmann zu Staffelstein in Franken, wo Strauß in den Ferien wochenlang verweilte; dort entstand auch teilweise die später zu erwähnende Cellosonate. Sonst wurden die Sommerferien häufig in Sillian im Pustertal verbracht, wo der Knabe gelegentlich in der Dorfkirche Mendelssohns Orgelsonaten spielte, später in Murnau, mit Gelegenheit zum Hechtstreifen und Krebsen auf dem Staffelsee, zuletzt in Marquartstein. Den Landaufenthalt liebte Strauß nicht unbedingt, weil er ihn seines geliebten Studierzimmers mit den ungestörten Lese- und Arbeitsstunden auf dem Sofa und am Schreibtisch beraubte. Doch wurde körperliche Tätigkeit nicht verabsäumt. Im Schuljahr erschien Strauß vom zwölften Jahr ab Mittwochs und Samstags häufig in der Weberschen Turnschule an der Theatinerstraße, später auf dem Turnplatz in Oberwiesenfeld bei München zu Übungen und Spielen, wobei manche viel Ältere ihn wegen seiner frischen Lebhaftigkeit liebgewannen, und etwa von Neujahr 1878 an war der bildhübsche, mit einer Überfülle natürlicher Locken gezierte Knabe eine vielen bekannte Erscheinung auf dem Kleinhesseloher See beim Schlittschuhlauf. Die vier Gymnasialjahre hindurch, mit Einschluß der folgenden zwei Universitätssemester, spielte er mit zwei Schulfreunden, die als hohe Beamte noch in München leben, und dem Vater des ersteren, in den Wintermonaten regelmäßig Sonntag nachmittags, häufig auch in der Woche, Quartett, abwechselnd erste und zweite Violine. Besonderes Feuer kam in die Sache beim Klavierquartett, wenn Strauß am Flügel saß. Seine Jugendarbeiten, wie die beiden ungedruckten Klaviertrios und das Streichquartett, wurden dort gespielt, ebenso etwa zwei Jahre später die erste Fassung der Cellosonate. Mit den erwähnten Kameraden musizierte er auch zum erstenmal öffentlich: sie spielten zum Maifest 1879 am Ludwigsgymnasium Beethovens dreisätziges Trio Opus 11. Zu Ende der siebziger Jahre spielte er außerdem Trio beim Appellationsgerichtsrat Streicher, dessen Tochter kleine Lieder von ihm sang, unter anderen das übermütige »Und niemand hat's gesehn«, das er später vernichtete. Auch seine zahlreichen anderen Lieder wurden im engern und weitern Familienkreis liebevoll entgegengenommen und sorgfältig aufgehoben, ohne daß man den schwierigeren davon eigentlich nähertrat. Strauß konnte sich, wenn er wollte, beim Arbeiten schon frühzeitig vom Klavier freimachen; das erste ungedruckte Trio in A ist zum Teil während eines leichten Unwohlseins im Bett entworfen. Er widmete es seinem Onkel Knözinger, der es mit Konzertmeister Brückner und mit dem Autor am Klavier dem alten Generaldirektor Lachner vorführte. Der alte Herr war sehr zufrieden damit, empfahl aber Fortsetzung des Kontrapunktstudiums; denn im ersten Satz findet sich zwischen den Streichinstrumenten eine unbeabsichtigte Oktavenfortschreitung. Außer mit Lachner war Vater Strauß auch mit der zweiten Größe im Kompositionsfach, Joseph Rheinberger, befreundet, dem er gleichfalls Arbeiten seines Sohnes zeigte. Dieser besuchte Rheinberger auch allein, bis zu dem Tag, an dem er äußerte: »Schade, daß Sie in das moderne Fahrwasser kommen, Sie haben so viel Talent!«
Das erste der wenig später öffentlich gespielten Werke war des Sechzehnjährigen im Mai 1880 vollendete viersätzige Symphonie in d-moll.
Unter vielem einzelnen wirkt der Anfang des Finale, auf der Quinte A im Pianissimo einsetzend, bedeutend, der ausgezeichnet das schneidige Allegro mit seinem hübschen Gesangsthema in A vorbereitet. Ein hohes Maß von Reife, Formgewandtheit und Sinn für Wohlklang spricht sich in dem Ganzen aus, zugleich ein starker, allem Gewöhnlichen abgewandter Ernst, am nächsten der Art Schumanns verwandt.
Entschieden konservativer und unpersönlicher ist das etwa der gleichen Zeit entstammende, später als Opus 2 gedruckte Streichquartett in A, das Strauß dem unter Führung seines Lehrers Benno Walter stehenden Münchener Quartett widmete; es gibt sich bereits als technisch einwandfreie, elegante und feine Arbeit im reinsten frühklassischen Quartettstil, vielfach ganz im Geiste Haydns. Der erste Satz, Allegro, ist augenscheinlich inspiriert und weitaus am geistreichsten, die anderen zum Teil wohl mehr der Form wegen geschaffen; der zweite, ein Scherzo, Allegro molto:
und das Finale: Allegro vivace. ♩ = 132.
atmen Haydns Grazie und Feinheit. Sehr schön klingen die Einleitungstakte zum dritten Satz, Andante cantabile, molto espressivo:
Von der Feinheit der Ausführung spreche eine Stelle gegen Schluß des Satzes:
Im Winter 1880/81 entstanden die Fünf Klavierstücke Opus 3, von denen das reizende Elfenstückchen, Nummer 4, sich heute noch gut im Konzert spielen ließe. In dem gleichen, ungemein fruchtbaren Arbeitsjahr wurde die Klaviersonate in h-moll vollendet, Joseph Giehrl, dem früh verstorbenen, unvergeßlich liebenswürdigen Pianisten und Menschen, gewidmet, der sie an einem seiner Klavierabende im Museum spielte. Sie gibt sich unvergleichlich epigonenhafter als die Symphonie, wie ja Strauß von vornherein im Orchester zuerst die Spuren der späteren Eigenart zeigt. Der zweite Satz, Adagio cantabile (1.) und der dritte, das zierliche Scherzo, Presto 2/4, wäre immerhin noch im Konzert spielbar; das Finale ist vollständig Mendelssohn, wie auch der Moll-Mittelsatz des Adagio (2.):
Endlich entstammt der Wende vom sechszehnten zum siebzehnten Lebensjahr jene Serenade für Blasinstrumente, später als Opus 7 gedruckt, die noch eine Rolle in seinem Leben spielen sollte. Das einsätzige, seinem Lehrer, Hofkapellmeister Meyer, gewidmete Werk erfordert dreizehn Spieler: je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, vier Hörner und Kontrafagott. In den ruhig gehaltenen Teilen ist manches unverkennbar mozartisch, während sich in den bewegteren neben Schuberts Weise die von Schumanns ruhigsten Stunden geltend macht. Das Ganze ist von großem und feinem Reiz. Jedem bleibt das anmutige Dominantthema im Gedächtnis:
In jene Zeit fällt die erste innerliche Berührung mit dem Genius Richard Wagners, in dessen heilsamer Scheu der Knabe auferzogen war. Sie hat auch bei ihm ihre kleine Vorgeschichte. Man kann im äußeren Leben von Richard Strauß eine Vorbedeutung darin sehen, daß schon seine ersten Schritte in die Öffentlichkeit im Zeichen Wagners standen. Bei den bekannten, vom »alten Schönchen« veranstalteten Kinderfesten im Odeonssaal, die einen wesentlichen Bestandteil des Altmünchener Faschings bildeten, trat der Knabe schon 1870, noch nicht sechsjährig, in der Gruppe der Friedensboten aus Rienzi auf, die ihre Melodie mit geändertem Text sehr hübsch vorgetragen haben sollen. Und im folgenden Jahr war er ebendort in einer ähnlichen Kindergruppe als Minnesänger aus Tannhäuser tätig. Da er alles nur innerhalb des oben bezeichneten musikalischen Geistes auffaßte, kommt Wagner, den er nur nach diesem Maßstab beurteilt, schlecht bei ihm weg. So schreibt er 1879 an Thuille über Lohengrin: »Die Einleitung besteht aus einem A-dur-Gesäusel der Geigen in der höchsten Lage, was zwar klingt, aber furchtbar süß und krankhaft, wie die ganze Oper – nur die Handlung ist schön.« Als am 9. November 1880 Wagner als Zuschauer seines Tristan im Hoftheater bejubelt wurde, kümmerte sich Strauß nicht um die Anwesenheit dieses seines Schwarzen Manns. Er wiederholte öfter gegen Thuille eine damals gern gehörte Prophezeiung: »Du kannst sicher sein, in zehn Jahren weiß kein Mensch mehr, wer Richard Wagner ist.« Manchmal freilich muß auch der schlechte Theaterplatz zu dem ungünstigen Eindruck mitgewirkt haben. Die Mitglieder der Hofkapelle hatten zu ihrer Verwendung Dienstplätze abwechselnd im Parkett und Stehparterre; hier in furchtbarem Gedränge fünf Stunden stehend, hörte der Knabe 1878 oder 1879 unvorbereitet den Siegfried und gab seinen Eindruck an Thuille u. a. folgendermaßen wieder, im selben Brief, in dem er an der Stummen »herrliche, wahrhaft noble schöne Melodien, strenge Form, schöne Instrumentation, herrliche Harmonisierung« lobt, womit Thuille schon damals nicht übereinstimmte:
»Gelangweilt habe ich mich wie ein Mops, ganz grauenhaft habe ich mich gelangweilt, so fürchterlich, daß ich Dir's gar nicht sagen kann, es war scheußlich. Die Einleitung ist ein langer Paukenwirbel mit Bombardon und Fagotten, die in den tiefsten Tönen brüllen, was so dumm klingt, daß ich gerade hinausgelacht habe. Von zusammengehörigen Melodien keine Spur. – Ich sage Dir, eine Unordnung ist da drin, Du machst Dir nicht den leisesten Begriff. – Bei dieser Stelle (Mimes »War's dir noch nie?«) war eine Katz krepiert und sogar Felsen wären vor Angst vor diesen scheußlichen Mißtönen zu Eierspeisen geworden. Die Geigen erschöpfen sich in ewigen Tremolos und das Blech in Geigenpassagen, und sogar das Trompetensordino hat Wagner angewandt, um alles nur recht scheußlich und infam zu machen. Mir haben die Ohren gesummt von diesen Mißgestalten von Akkorden, wenn man sie überhaupt noch so nennen kann; und der letzte Akt ist langweilig zum Verre… Die Szene zwischen Siegfried und Brunhild immer nur Adagio; ich dachte mir, kommt denn kein Allegro; nein, dieses grauenhafte Geheul und Gewinsel von einer Septime in die None herunter, dann wieder hinauf, so – geht's immer fort. Diese letzte Szene ist … Finde keine Worte, Dir das alles Schreckliche zu schreiben; und wenn Du die ersten Szenen des ersten Aktes gehört hast, hast Du das ganze Gewäsch gehört; denn es wiederholt sich alles wieder. Das einzige, was wenigstens gestimmt hat, war der Gesang des Waldvogels. Der Anfang des dritten Aktes ist ein Lärm zum Ohrenzerreißen. Die ganze (…) kannst Du in 100 Takten ausdrücken; denn immer das gleiche, und immer gleich langweilig, immer gleich langw… Scheußlich, hundemäßig pppp.« – Der erste Eindruck, den Strauß von der Größe Wagners erhielt, war rein szenisch: die Verwandlung des Venusbergs in das Wartburgtal. Tristan war ihm beim unvorbereiteten Anhören ein völliges Chaos. Neugierig griff er dann im Winter 1880/81 zur Orchesterpartitur. Zwar fand er von seinem formalen Standpunkt aus noch nicht die Brücke zu ihr; denn noch drei Jahre später findet er Harmonik und Kontrapunkt darin mangelhaft. Aber trotzdem ging ihm die Erkenntnis einer von anderer Voraussetzung ausgehenden künstlerischen Vollendung des Werkes auf. Tage und Nächte studierte er es heimlich in wachsender Ergriffenheit und erklärte es, leise aus der Partitur spielend, seinem bis dahin gleichfalls konservativen Schulkameraden Aschenbrenner. Aber trotz aller Vorsicht überraschte sie eines Tages Vater Strauß, der in einer Pause beim Üben die verpönten Klänge gehört und nun im Schlafrock, sein Horn unter dem Arm, ins Zimmer trat. Er erzählte auf der Orchesterprobe die schlimme Mär, wie er den Sohn gefunden, besorgt hinzufügend: Gesünder wäre ihm jedenfalls, Reissigers Felsenmühle zu studieren. Richard machte sich bald auch über die Walküre her; nach der mächtigen Wirkung dieser Lektüre verlief aber das Anhören des Werkes selbst für ihn eindruckslos, besonders der mit großer Spannung erwartete erste Akt. Da merkte er denn, daß ihm die Werke selbst unendlich viel mehr sagten als ihre damalige Münchener Wiedergabe. Der künftige Regisseur, der sich später in Weimar entfaltete, begann sich kritisch in ihm zu regen. –
Schon früh trat Strauß' Talent in München an die Öffentlichkeit. In den letzten beiden Jahren seiner Gymnasialzeit, 1880/82, wurden zwei kurze Stücke von ihm, Chor aus Elektra und Festchor, bei Prüfungskonzerten des Gymnasiums aufgeführt; die Hofopernsängerin Cornelie Meysenheym sang im Museumssaal drei seiner Lieder. Auch zwei größere, viersätzige Werke des Unterprimaners fanden ihre Uraufführung: am 14. März 1881 spielte sein Lehrer Walter in seinem Quartettabend im Museumssaal das 1880 geschriebene Streichquartett, am 30. desselben Monats dirigierte Levi im Konzert der Musikalischen Akademie die d-moll-Symphonie. Straußens Mitschüler am Gymnasium wunderten sich, daß man ihm hernach in der Klasse so gar nichts Besonderes anmerkte; Strauß war eben schon damals der durchaus sachliche Charakter, der er geblieben ist. Er konnte sich nach dem Erfolg so völlig ungezwungen geben, weil es seinem Empfinden so entsprach; im Geist war er schon längst bei der folgenden Arbeit. Man denke sich den Gegensatz: gestern vor 1800 Personen herausgejubelt und von dem dirigierenden Generalmusikdirektor selbst mit Beifallklatschen öffentlich ausgezeichnet, – und heute in der Schulbank stehend, vielleicht in dem zu Atomen vernichtenden Ton der meisten damaligen Münchener Gymnasialherrscher etwa auf die ungeheure Wichtigkeit des versus pseudoepikataprozeleusmaticus gestoßen.
Im Juni des Jahres (1881) erschien die etwa 1876 geschriebene Partitur vom Festmarsch Opus 1, im September das Streichquartett im Verlag von Joseph Aibl in München, dessen Inhaber Eugen Spitzweg, eine mehr künstlerisch als kaufmännisch angelegte Natur, Neffe des bekannten Malers gleichen Namens, ein Duzfreund Bülows war. Er blieb auf Jahre hinaus der verdienstvolle freundliche Führer des jungen Talents in die Öffentlichkeit. Im Oktober sandte Spitzweg ein Manuskript zur Begutachtung an den damals als Intendant des Hoforchesters in Meiningen lebendem Freund, der dadurch zuerst an Richard Straußens Dasein erinnert wurde. Der Meister konnte vom Namen als dem seines alten Gegners nicht angenehm berührt sein; nannte er Franz Strauß doch mehrfach unter den drei bis vier Männern, die ihm eine, in München lange erwogene, Rückkehr dahin unmöglich machten. Er schrieb zurück: »Klavierstücke von R. Str. haben mir gründlichst mißfallen – unreif und altklug. Lachner ist ein Chopin an Phantasie dagegen. Vermisse alle Jugend in der Erfindung. Kein Genie nach meiner innigsten Überzeugung, sondern höchstens ein Talent, wo 60 aufs Schock gehen.« Spitzweg druckte im November ohne Bülows Inanspruchnahme die Bläserserenade, die Strauß dann die Gunst des Meisters dauernd gewinnen sollte.
Anfangs August 1882 erledigte er am Ludwigsgymnasium sein Absolutorium, besuchte dann zum erstenmal Bayreuth und hörte vom Herbst ab Vorlesungen an der Universität, Philosophie bei v. Prantl, Ästhetik bei Carrière, Kulturgeschichte bei Riehl, Shakespeare bei Muncker, ohne tieferen Eindruck. Mehr Anregung gab Jodls gehaltvolle und formvollendete Schopenhauervorlesung, und noch weit einflußreicher auf sein Denken wurde später die private Lesung von Schopenhauer, Nietzsche, Stirner. Gleichzeitig betätigte sich der junge Student in dem von seinem Vater geleiteten Orchesterverein »Wilde Gungl« an der ersten Violine, bis Oktober 1883, dann wieder nach seiner Rückkehr von Berlin April 1884 bis September 1885, wo er nach Meiningen ging. Die älteren Herren gewannen den bescheidenen Kameraden lieb und hatten auch ihre Freude, wenn er beim ersten Spielen einer schwierigen Passage einmal »mit Kopfsprung ankam«, oder sein Vater ihm vom Dirigentenpult aus ein zorniges »Ruhig!« herabzischte, wenn er mit leisem Pizzikato immer wieder die Stimmung seiner Geige prüfte und den alten Herrn dabei im Auge behielt, ob er es wohl hörte.
Vom ersten Herbst seines Universitätsstudiums ab war es auch, daß man begann, von dem liebenswürdigen Talent auswärts Notiz zu nehmen. Ende November leitete Franz Wüllner, der seit 1877 das Münchener Hofkapellmeisteramt mit dem Dresdener vertauscht hatte, an einem Übungsabend des dortigen Tonkünstlervereins die Bläserserenade, wodurch Bülow auf sie aufmerksam wurde. Im gleichen Herbst und Winter, 1882/83, schrieb Strauß die Violoncellsonate, vollendete das Konzert für Violine und das für Waldhorn, das sein Vater zu Hause öfter blies, und das dessen einstiger Schüler Bruno Hoyer im Münchener Tonkünstlerverein mit Klavierbegleitung aus der Taufe hob; Franz Strauß selbst fand das täglich als Übung von ihm geblasene, öfter darin vorkommende es² für den Konzertsaal zu gewagt. Ferner begann er seine zweite Sinfonie in f-moll, die nachmals große Verbreitung erlangte, und veröffentlichte zum erstenmal Lieder: Acht Gedichte aus Hermann Gilms »Letzte Blätter«.
Die genannte Violoncellsonate, Werk 6, Hans Wihan, dem späteren Begründer des Böhmischen Streichquartetts zugeeignet, ein auch heute noch wirkungsvolles und oft gespieltes Stück, ist im Stil etwas bunt. In dem oft glänzend gesteigerten Allegro folgt nach einem schon ziemlich an echten Strauß gemahnenden Höhenschwung des Violoncells:
ein Dominantthema des Klaviers, wie es so ziemlich wohl bei jedem Romantiker, vom jungen Weber bis Rheinberger, vorkommen könnte. Zwischen den lebensprühend frischen, rhythmisch sehr bewegten beiden Allegri steht ein nachdenklicher Mittelsatz, der sich in einzelnen Taktgruppen zu ernster Schönheit, etwa eines Cherubini, erhebt. Darin einige mit Schumannscher Logik herbeigeführte Härten.
Das Finale, in der ersten Version:
nurmehr im Besitz des Autors, bringt in der zweiten, gedruckten, ein Mittelthema, das ganz an die frühere Opernromantik anklingt:
In dem jetzt wieder häufiger gehörten Violinkonzert in d-moll, Werk 8, macht sich der Zwang der großen Sonatenform geltend. Das breit angelegte Allegro ist voll Charakter, Inspiration, vornehmer Persönlichkeit im Rahmen des so oft mit dem Wort Eklektizismus vermeintlich abgetanen Edelgeschmacks einer Kompositionstechnik, die von romanischen und deutschen Größen viel gelernt hat, wogegen das Lento ma non troppo, der zweite Satz, sich der durch feine Abtönung stimmungsvollen Schablone nähert; man könnte auf mindestens fünfzehn gute Komponisten, auch französische, bei seinem ungenannten Anhören raten. Das Schlußrondo, Presto, zuletzt Prestissimo, geht von der Violintechnik als solcher aus und ist mit seinen glänzenden Stakkati ein Typus des aus der Gigue in der alten Suite hervorgegangenen leichtbeschwingten Finale im Virtuosenstil.
Dem Charakter des Instruments gemäß weit knapper gestaltet ist das formschöne, brillante Waldhornkonzert. Seine solistische Mundgerechtheit verdankt Strauß wohl dem häufigen Musizieren seines Vaters im Haus, der das Werk, wie alles, auf hoch B-Horn blies. Der erste Satz ist im Ton breit angelegt, trotz schnellen Tempos und knappster Form. Gleich das erste längere Solo bringt ein edel geartetes Gesangsthema:
Das Thema des romanzenartigen zweiten könnte recht gut einer französischen ernsten Opernnummer entnommen sein. Das feurige letzte Allegro schließt sich dicht an das Andante an; das fröhliche Ende seines Schlußpresto bezeichnet am besten den Charakter des ganzen Satzes.
Dichterisch in Idee und Ausführung wirkt gegen den Schluß hin, wie in einigen Takten erst das Thema des ersten Satzes, dann ebenso kurz, wie ein ernster Traum, das des zweiten wiederkehrt, das sofort von den lustigen Geistern des Presto 6/8 des im Tempo gesteigerten alten Giguenrhythmus wieder vertrieben wird.
Das erste gedruckte Liederheft, Opus 10, die acht Gedichte aus dem Zyklus »Letzte Blätter« von Hermann v. Gilm wirkt tonsetzerisch entschieden bedeutend, wenn auch zuweilen die erst werdende Vertrautheit mit dem eigensten Wesen des Kunstlieds, neben der freien Betätigung der Begabung überhaupt, darin zutage tritt. Diesen Mangel zeigt z. B. die Wahl eines Textes wie der von »Geduld«, der die alle Übersichtlichkeit der Form ausschließenden Einzelheiten einer seelischen, förmlich »spezifizierten Schlußnota« bietet, oder eines so nachdenklichen Sinngedichts wie »Georgine«. »Die Nacht« beweist, welch schönes und echtes Lied Strauß schon damals schreiben konnte, sobald der Dichter ihm mit wertvoller Rhythmik entgegenkam. Den vorwiegend instrumental Empfindenden erkennt man unter anderem daran, daß zuweilen bei einem, dem Wesen des Liedes nach, in der Singstimme selber auf Steigerung hindrängenden Text, diese nur in der Harmonik eintritt. Großen Sinn für das Gesangvortragsmäßige beweist »Nennen soll ich, sagt ihr, meine Königin?« und meisterhaft trifft »Die Zeitlose« die äußere und innere Herbststimmung in der Begleitung.
Endlich gehört derselben Zeit noch ein anspruchsloses, aber ungemein reizvolles Opus an, die Stimmungsbilder für Klavier, Werk 9. Das erste, »Auf stillem Waldespfad«, bei seinem Vortrag noch heute im Konzertsaal wirksam, führt sehr geschickt zwei Themen durch, die zuletzt gleichzeitig auftreten.
Auch »An einsamer Quelle« ist klangschön und phantasievoll; die folgenden: »Intermezzo«, »Träumerei«, »Haidebild«, zeigen gleichfalls den feinen Klavierpoeten und ausgezeichneten Techniker.
Für Straußens Eigenart bezeichnender ist wieder die etwas später entstandene, ungedruckte Konzertouvertüre, c-moll, ein interessantes Werk von großem Schwung, später mit Unrecht vernachlässigt. In dem Anfang,
mit der scharfen Dissonanz im vierten Takt, steckt schon ein gutes Stück echter Strauß.
Der Bande des Gymnasiums ledig, konnte der junge Tonsetzer, der damals mindestens als vornehmer und formgewandter Epigone immerhin große Beachtung verdiente, äußerlich freier seine Flügel regen. Schon im ersten Winter, Anfang Dezember des Jahres 1882, begleitete er seinen Lehrer Benno Walter mit der Münchener Pianistin Eugenie Menter nach Wien, um daselbst das Violinkonzert wenigstens mit Klavier vorzuführen. Vorher stattete man in heiterster Reisestimmung dem dortigen Zerberus lebender Tonsetzer, Professor Hanslick, Besuch ab. Er fand in dem Werk ein »nicht gewöhnliches Talent«, während sein kritischer Genosse, der Schriftsteller Max Kalbeck, sich ablehnend verhielt. Anfang Februar gab ein Abend Walters im Münchener Museumssaal Anlaß zur Wiederholung. Den folgenden Winter, 1883/84, verlebte Strauß in Berlin, wo er fleißig Theater und Konzert besuchte und in dem Kreise von Paul Thumann, Reinhold Begas, Anton v. Werner, Adolf v. Menzel anregenden Verkehr fand, als liebenswürdiger Mensch und glänzender Kammermusikspieler hochgeschätzt. Seine Erfolge mehrten sich. Bald nach Beginn der Münchener Konzertspielzeit brachte Hermann Levi die Uraufführung der ihm gewidmeten Konzertouvertüre; der damalige erste Cellist des Hoforchesters, Hans Wihan, spielte Anfang Dezember erstmalig in Nürnberg die Cellosonate, die Strauß kurz darauf als Gast des Dresdener Tonkünstlervereins dem Cellisten Boeckmann dort begleitete. Ende des Monats führte Bülow die Bläserserenade in Meiningen auf, wodurch das Werk erst in weiteren Kreisen bekannt wurde.
Durch Bülows Impresario Wolff erfuhr Strauß, daß das Werk auf der Konzertreise mit der Herzoglichen Kapelle noch für mehrere andere Städte bestimmt sei. Bülow schreibt später, im Dezember 1884, an seinen Wiener Agenten Albert Gutmann: »Richard Strauß' Serenade für Bläser op. 7 (junger Münchener, klassische Schule) zeigt unsere Bläser in ihrem virtuosen Glanz.« In Berlin selbst spielte am 21. März 1884 Robert Radecke in einem Konzert des Hoforchesters die Konzertouvertüre. Inzwischen vollendete Strauß die in München begonnene f-moll-Symphonie, seine zweite, die ihn bereits als Meister der klassisch-romantischen Form zeigt, und begann sein Klavierquartett c-moll.
Bei Bülows Aufführung der Bläserserenade in Berlin mit dem Meininger Orchester lernte er den Meister persönlich kennen. Dieser forderte ihn auf, ihm für die gleiche Besetzung von dreizehn Bläsern eine Suite zu schreiben, deren Satzschema er ihm dann durch Spitzweg zustellen ließ. Strauß konnte es nurmehr für die letzten beiden Sätze benutzen, die es als Gavotte, Introduktion und Fuge bestimmte, so rasch hatte er die beiden ersten schon skizziert. In dieser erst 1911 gedruckten Suite, deren erste beide Sätze er Präludium und Romanze überschrieb, ist Umfang und Beweglichkeit der Blasinstrumente weit mehr ausgenutzt als in der Serenade. Der Sprung von einem in jeder Hinsicht gebundenen Stil zum motivisch, harmonisch, rhythmisch und stimmungsmäßig ungleich freieren, wie er von der Serenade zur Suite sich vollzieht, gehört zu den überraschendsten in Straußens Entwicklung. Die Melodie im ersten Satze
ist sicher eine seiner italienischesten; sie kehrt in der Introduktion des letzten Satzes als flüchtige Erinnerung wieder. In diesem ist das Fugenthema in nicht ganz mustergültiger Weise beantwortet;
die Gegensätzlichkeit der Antwort wird aber durch die Änderung der Instrumentalfarbe vermehrt. Es ist fast unbegreiflich, daß trotz der Seltenheit neuer Bläserstücke das liebenswürdige und gehaltvolle Werk fast niemals zu Gehör kommt.
Nach München zurückgekehrt, vollendete er das äußersten Fleiß und große Gestaltungskraft erfordernde Klavierquartett und schrieb sein erstes Chorwerk, Wandrers Sturmlied, das erst drei Jahre später in Köln zur Aufführung kam.
So sehen wir in den Jahren 1883/84, mit Ausnahme der als Nachzügler geltenden Violinsonate, die letzten größeren Werke entstehen, in denen Strauß noch wesentlich Epigone ist: die erste gedruckte Symphonie, Werk 12, Wandrers Sturmlied, Werk 14, und das Klavierquartett, Werk 13.
Die f- moll-Symphonie enthält zwei Elemente, die sich für den unbefangenen Hörer zur Einheit verbinden, als Hauptbestandteil sehr viel echten Strauß in Themen, Durchführung, Instrumentation; nur tritt hier der deutliche Ausdruck von persönlichen seelischen Motiven, Einfällen, Stimmungen noch im Rahmen der strengen Form auf. Kaum zu verkennen sind oft Ernst und kräftiger Trotz im ersten Satz, übersprudelnde, der eigenen hohen Geschicklichkeit frohe Lebenslust und glänzende Keckheit im zweiten und vierten, sinnige tiefe Verträumtheit im dritten. Dazwischen erscheinen Motive im Charakter Schumanns und Mendelssohns bis nahe an das Zitat oder die Porträtstudie heran. So im ersten Satz Mendelssohns:
Im dritten Schumann mit dem holden Melos:
Ebenso Mendelssohn-Schumann im zweiten Thema des gedankenreichen, glänzenden Scherzo und Schumann im zweiten des Finale, das im Rhythmus dem Anfangsthema von dessen Erster Symphonie ähnelt. Durch Abänderung solcher Stellen hätte Strauß dem Originalwert der Symphonie jede Einschränkung erspart; in ihnen äußert sich die Ehrlichkeit eines Geistes, der sie als unmittelbaren Ausdruck der Huldigung an jene Großen empfand, ohne die Einbuße an eigener Geltung dabei zu bedenken.
Einen dauernden Platz im Spielplan der größeren deutschen Chorvereine hat sich später Wandrers Sturmlied, nach Goethes Worten »Wen du nicht verlässest, Genius –«, für sechsstimmigen Chor und Orchester erworben. Die Wahl des Chors zum Ausdruck innerlichster Jugendlyrik – es handelt sich um den Abschied von Friederike Brion, gegen dessen Schmerz der Dichter in der Natureinsamkeit Stärkung sucht, Spätherbst 1771 – erfordert solche Erhebung über das Zunächstliegende und liegt daher im ganzen dem norddeutschen Wesen um so viel näher, daß Brahmsens Vorbild in Nänie und Schicksalslied für die Eingebung der Motive und den Aufbau des Ganzen maßgebend erscheint. Auch wer in der fast beständigen Vielstimmigkeit von Chor und Orchester Stellen von durchsichtigerem Satz herbeisehnt, wird finden, daß das anhaltend Hochgespannte der poetisch-musikalischen Stimmung es dem Autor nicht anders nahelegen konnte. Die Macht einer vollbürtigen, ausdrucksmächtigen Tondichterpersönlichkeit fesselt auch heute noch beim Anhören dieses Jugendwerks.
Das Klavierquartett in c-moll, Werk 13, zeigt vor allem bedeutende Kompositionstechnik; es lebte kaum jemand außer Strauß, der es damals hätte schreiben können. Das erste Allegro ist schon äußerlich bewegt und leidenschaftlich unruhig. Sehr bald meldet sich mit seinen Sextengängen Brahms:
Es folgt ein virtuos gesetztes Scherzo mit einer echt straußisch spritzigen Klavierfigur:
Der dritte Satz, Andante, romanzenhaft, bringt ein scherzoartiges zweites Thema, das den durchgehenden 4/4 Takt in 12/8 zerlegt. Vollständig schumannisch beginnt das Finale und wird es fast noch mehr im Mittelthema in As und Es, mit seinen Synkopen (Bindungen auf gute Taktteile hinüber).
An dieser Stelle sei nun gleich die dem Geist des Werkes nach hierhergehörige, wenngleich drei Jahre später, 1887/88, geschriebene Violinsonate in Es, Werk 18, angeschlossen. Strauß hat sie seinem Vetter Robert Pschorr gewidmet, wohl schon im Einfühlen an den in deutscher Romantik lebenden, früher ja durchaus gemeinsamen musikalischen Sinn des Hauses geschaffen, und sich so in die Jahre vor dem Entspringen seiner eigensten neuen Triebkräfte zurückversetzt, wenngleich dies mit sprühender Lebendigkeit geschah. Als Ganzes ist die Sonate in diesem Sinn noch heute sehr wirkungsvoll. Das Allegro ma non troppo, 4/4 Rhythmus mit Triolen gemischt, zeigt schumannsche Schreibart, auch in der Harmonik, die aber frei und erweiternd behandelt ist; das Ganze gibt sich äußerlich sehr bewegt und dabei reich an innerer Wärme. Der zweite Satz »Improvisation«, auch einzeln herausgegeben, ist ein zartsinniges Notturno, an Chopin erinnernd. Das letzte Allegro atmet wieder schumannsche Frische gleich im ersten Thema:
Schumann hätte den zweiten Takt so:
geschrieben. Das Mittelthema des Finale gibt sich leicht und scherzoartig, so daß auch hier die ideale Viersätzigkeit gewahrt ist.
Gerade ein durchaus konservatives Werk, die Bläserserenade Opus 7, hatte Strauß die Bekanntschaft Bülows vermittelt, die ihn in der Folge in das Lager des Fortschritts hinüberführen und dadurch sein ganzes inneres Leben anders gestalten sollte. Strauß war 20, Bülow 54 Jahre alt, als sie sich kennen lernten, und bald die edle väterliche Neigung des vom Leben furchtbar mitgenommenen großen Menschen und Künstlers für den bescheidenen Jüngling erwachte. Es baut sich hier von selbst eine seelische Entwicklung auf, mit allmählichem Ansteigen, teilweisem Rückgang und abermaliger Steigerung, bis zum tiefergreifenden letzten Abschied. Schon im Juni 1884 schrieb Bülow an Spitzweg günstiger als bisher über Strauß aus Anlaß des Hornkonzerts. Er rät aber, ihn angesichts des mangelnden geschäftlichen Erfolgs der bisher verlegten Arbeiten zu ermahnen, sich, wenn er »als Komponist einmal populär, verlegerumworben geworden, sagen wir so um 1889 [fernblickende Worte, denn in diesem Jahr dirigierte Strauß seinen Don Juan], ein wenig zu revanchieren«. Damals glaubte also Bülow im Grunde schon an sein Durchdringen. Am 18. November des Jahres (1884) sollte Bülow mit dem Meininger Orchester im Münchener Odeon eine Vormittagsmusik geben. Auf eine briefliche Bitte von Franz Strauß, die Bläsersuite seines Sohnes bei dieser Gelegenheit zu probieren, ließ Bülow durch Spitzweg sagen, er wolle das Werk vor der Reise mit den Musikern studieren; der Komponist möge es dann vom Blatt dirigieren. Als Richard nun Bülow am Tage vor dem Konzert in München aufsuchte, bestätigte ihm der Meister, daß eine Probe nicht möglich sei. Strauß, der noch nie einen Taktstock berührt, mußte also wohl oder übel »auf Bülows Befehl« ohne vorherige Schwimmübung ins Wasser springen. Am Vormittag des 18. holte Strauß den übermüdeten, »wie im Haschischtraum befindlichen« – so schrieb Bülow an seine Frau – und schlecht gelaunten Meister vom Hotel ab. »Ich dirigierte mein Stück in einem leichten Dämmerzustand,« erzählte Strauß später in der Weihnachtsnummer 1909 der »Wiener Neuen Freien Presse«, »ich weiß nur mehr, daß ich nicht umgeschmissen habe.« Bei dieser Gelegenheit versuchte Vater Strauß, Bülow, der sich während dieser Nummer zigarettenrauchend im Künstlerzimmer aufhielt, zu danken. Durch die gleichzeitige Tätigkeit als Reisegeschäftsführer, Dirigent und Klavierkonzertspieler, wobei die Kapelle ohne Leitung spielte, bei fast täglichem Ortswechsel, war Bülow in dem oben angedeuteten nervösen Zustand. »Wie ein wütender Löwe stürzte er auf meinen Vater los: Sie haben mir gar nichts zu danken, schrie er, ich habe nicht vergessen, was Sie seinerzeit hier alles mir angetan haben, hier in dem verfluchten München. Was ich heute tat, habe ich getan, weil Ihr Sohn Talent hat, nicht für Sie.« – Bald darauf geschah jenseits des Ozeans ein wichtiger Schritt in die Öffentlichkeit. Theodor Thomas, der bekannte Vorkämpfer deutscher Musik in Amerika, hatte Franz Strauß in München besucht und die Partitur der eben vollendeten f-moll-Symphonie kennengelernt; er brachte sie am 13. Dezember (1884) in einem-Konzert der Neuyorker Philharmonischen Gesellschaft zur Uraufführung. Schon einen Monat später, am 13. Januar (1885) folgte Franz Wüllner im Kölner Gürzenichkonzert. Das Hornkonzert brachte Bülow in Meiningen, ebenso gleich darauf bei der Konzertreise der Kapelle in Bremen. Auch in seiner Eigenschaft als vielversprechender Dirigent war Strauß bei dem Meister in Erinnerung geblieben. Da der unter ihm als Hofmusikdirektor wirkende, ihn oft auch vertretende Professor Fr. Mannstädt nach Berlin an die Spitze des Philharmonischen Orchesters berufen ward, um »Gartenkonzerte im geschlossenen Raum zu dirigieren«, schrieb Bülow Anfang April an Spitzweg, trotzdem sich eine Anzahl namhafter Musiker um die Stelle bewarb: »Sehr eventuell: würde Richard III. gratis, interimistisch zu seiner Bildung als Praktiker – während meiner Urlaube in Ost und West die Meininger Hofkapelle dirigieren mögen, dabei auch den Gesangverein üben lassen?« Strauß richtete einen bewegten Dankbrief an den Meister, der nun allmählich immer wärmer gegen den neuen jungen Freund wird. Bereits Anfang Juni gibt er ihm aus Frankfurt, wo er am Raffschen Konservatorium einen mehrwöchigen Klaviervortragskurs abhielt, mit der Anrede: »Geehrtester, lieber Herr Strauß!« Ratschläge, dort die Tochter des Herzogs, die im Klavierspiel ausgebildete Prinzessin Marie, die andere Bewerber vorgeschlagen hatte, für sich zu gewinnen. Während Strauß dann an jenem Klavierkurs teilnahm, schrieb Bülow gerade am 21. Geburtstag seines Schützlings, den 11. Juni 1885, an Herzog Georg von Meiningen: »Darf ich mit Herrn Richard Strauß für nächste Saison abschließen? Der Gehalt von R. M. 1500 genügt ihm; ich erwarte mit Bestimmtheit, daß seine Leistungen Eurer Hoheit genügen werden. Der ungemein begabte junge Mann (ist er doch auch der Enkel des berühmten Bier-Pschorr) weilt seit mehreren Tagen hier. Sein einziger Fehler besteht in seiner Jugend: 22 Jahre, doch sein ganzes Wesen empfiehlt ihn dem Respekte der Hofkapelle, die ihn bereits als Komponisten schätzen gelernt hat. Gestern hat er der Prinzessin ein neues Variationenwerk [in a-moll] von sich vorgespielt, das Ihrer Hoheit sehr behagt hat.« Und an Strauß selbst bald darauf: »Es freut mich, von allen Seiten den überaus günstigen Eindruck konstatiert zu sehen, den das anspruchslose Auftreten Ihrer Persönlichkeit als Träger eines so hervorragenden Talentes hier gemacht hat.« – In der Antwort konnte Strauß die Annahme seiner Sinfonie in Frankfurt, Berlin, wo sie dann von einigen ersten Blättern als eines der besten Erzeugnisse des letzten Jahrzehnts anerkannt wurde, in München und Mainz mitteilen. Außerdem wurde er durch die Preiskrönung seines c-moll-Klavierquartetts unter 21 begutachteten Werken von Seiten des Berliner Tonkünstlervereins erfreut. Die Preisrichter waren Wüllner, Rheinberger und der konservative Berliner Hofkapellmeister Dorn, der es erst an die achte Stelle setzte. Als sich Herzog Georg dann in München im Hotel Bayrischer Hof aufhielt, fuhr Strauß von Feldafing, wo er bei seinem Onkel Georg Pschorr in den Ferien weilte, zur Audienz dahin und bekam sehr bald darauf seine Ernennung zum Herzoglichen Hofmusikdirektor in Meiningen zugesandt. Sein endgültiger Eintritt in die mit einer so staunenswerten Vorprobe begonnene Dirigententätigkeit war damit gegeben.