Rudolf Steiner
Die Pforte der Einweihung
Rudolf Steiner

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Sechstes Bild

Dieselbe Szenerie wie im vierten Bilde. (Der Geist der Elemente steht an derselben Stelle. Vor ihm Frau Balde; später German. Johannes in Meditation.)

Frau Balde:
Du hast mich rufen lassen;
Was willst du von mir hören?

Geist der Elemente:
Zwei Männer schenkte ich der Erde.
Es ward durch dich befruchtet
Der beiden Männer Geisteskraft.
In deinen Worten fanden sie
Belebung ihrer Seelen,
Wenn trocknes Sinnen sie gelähmt.
Was du gegeben ihnen,
Verschuldet dich auch mir.
Es reicht ihr Geist nicht aus,
Zu lohnen mir den Dienst,
Den ich an ihnen tat.

Frau Balde:
Es kam durch Jahre
Der eine Mann in unser Häuschen,
Zu holen sich die Kraft,
Die seinen Worten Feuer gab.
Er brachte später auch den andern mit.
Und so verzehrten beide
Die Früchte, deren Wert
Mir damals unbekannt.
Doch wenig Gutes
Erfuhr von ihnen ich als Gegengabe.
Sie schenkten unsrem Sohn
Erkenntnis ihrer Art.
Es war recht gut gemeint,
Doch unser Kind
Empfing dadurch den Seelentod.
Erwachsen war es in dem Licht,
Das Vater Felix aus den Quellen,
Den Felsen und den Bergen
Durch Geisterspruch erhalten.
Vereint damit ward alles,
Was mir gewachsen in der Seele
Seit meinen ersten Kinderjahren.
Des Sohnes Geistessinn
Erstarb im finstern Schatten
Der dunklen Wissenschaft.
Und statt des heitern Kindes
Erwuchs ein Mensch
Mit öder Seele
Und leerem Herzen.
Und nun verlangst du gar,
Dass ich bezahle,
Was sie dir schulden.

Geist der Elemente:
Es muss so sein.
Hast du gedienet erst
Dem Erdenteil in ihnen,
Verlangt der Geist durch mich,
Dass du das Werk vollendest.

Frau Balde:
Es ist nicht meine Art,
Zu weigern, was ich soll;
Doch sage mir zuerst,
Ob Nachteil mir erwächst
Aus meinem Liebesdienst.

Geist der Elemente:
Was du auf Erden erst für sie getan,
Es raubte deinem Kinde seine Seelenkraft.
Was du nun ihrem Geiste gibst,
Ist dir im eignen Selbst verloren;
Und dein Verlust an Lebenskraft
Wird an dem Leib sich dir
Als Hässlichkeit erweisen.

Frau Balde:
Sie nahmen meinem Kinde
Die Kräfte seiner Seele,
Und ich soll wandeln
Als Scheusal vor der Menschen Blicken,
Dass ihnen Früchte reifen,
Die wenig Gutes wirken!

Geist der Elemente:
Doch wirkst du zu der Menschen Heil
Und auch für eignes Glück.
Der Mutter Schönheit und des Kindes Leben,
Sie werden euch in höherer Weise blühn,
Wenn in den Menschenseelen
Die neuen Geisteskräfte keimen.

Frau Balde:
Was soll ich tun?

Geist der Elemente:
Du hast so oft die Menschen inspiriert,
So inspiriere jetzt die Felsengeister;
Du musst in dieser Stunde dir
Entringen eines deiner Märchenbilder
Und anvertrauen es den Wesen,
Die mir in meiner Arbeit dienen.

Frau Balde:
Es sei – –
Es war einmal ein Wesen,
Das flog von Ost nach West
Dem Lauf der Sonne nach.
Es flog hin über Länder, über Meere;
Es sah von seiner Höhe
Dem Menschentreiben zu.
Es sah, wie sich die Menschen lieben
Und hassend sich verfolgen.
Es konnte nichts das Wesen
In seinem Fluge hemmen,
Denn Hass und Liebe schaffen
Das gleiche stets vieltausendfach
Doch über einem Hause,
Da musst' das Wesen halten.
Darinnen war ein müder Mann.
Der sann der Menschenliebe nach
Und sann auch über Menschenhass.
Ihm hatte schon sein Sinnen
Ins Antlitz tiefe Furchen eingeschrieben.
Es hatte ihm das Haar gebleicht.
Und über seinem Kummer
Verlor das Wesen seinen Sonnenführer
Und blieb bei jenem Mann.
Es war in seinem Zimmer
Noch, als die Sonne unterging;
Und als die Sonne wiederkam,
Da ward das Wesen wieder
Vom Sonnengeiste aufgenommen. –
Und wieder sah es Menschen
In Lieb' und Hass
Den Erdenlauf verbringen.
Und als es kam zum zweiten Mal,
Der Sonne folgend über jenes Haus,
Da fiel sein Blick
Auf einen toten Mann.

(Hinter einem Felsen spricht German, so dass er unsichtbar bleibt.)

German:
Es war einmal ein Mann,
Der zog von Ost nach West;
Ihn lockt' der Wissenstrieb
Hin über Land und Meer.
Er sah nach seinen Weisheitsregeln
Dem Menschentreiben zu.
Er sah, wie sich die Menschen lieben
Und hassend sich verfolgen.
Es sah der Mann sich jeden Augenblick
An seiner Weisheit Ende.
Doch wie stets Hass und Liebe
Die Erdenwelt regieren,
Es war in kein Gesetz zu bringen.
Er schrieb viel tausend Einzelfälle,
Doch fehlte alle Überschau.
Es traf der trockne Forscher
Auf seinem Weg ein Lichteswesen;
Dem war das Dasein schwer,
Da es in stetem Kampfe war
Mit einer finstern Schattenform.
Wer seid ihr denn
So frägt der trockne Forscher.
Ich bin die Liebe,
So sagt das eine Wesen;
In mir erblick den Hass.
So sprach das andre.
Es hörte dieser Wesen Worte
Der Mann nicht mehr.
Als tauber Forscher zog fortan
Von Ost nach West der Mann.

Frau Balde:
Wer bist du denn,
Der meine Worte
So unerwünscht
In seiner Art entstellt?
Es klingt wie Spott,
Und spotten ist nicht meine Art.

German: (hervortretend)
Ich bin der Geist des Erdgehirns;
Im Menschen lebt von mir
Ein zwerghaft Abbild nur.
Es wird so manches drin gedacht,
Das Spott nur auf sich selber ist,
Wenn ich es in der Grösse zeige,
Wie es in meinem Hirn erscheint.

Frau Balde:
Darum verspottest du auch mich!

German:
Ich muss recht oft
Dies Handwerk üben;
Doch hört man mich meist nicht.
Ergriffen hab ich die Gelegenheit,
Einmal auch da zu sein,
Wo man mich hört.

Johannes: (aus der Meditation)
Dies war der Mann,
Der von sich sagte,
Das Geisteslicht sei wie von selber
In sein Gehirn gedrungen.
Und Frau Felicia, sie kam,
Gleich ihrem Mann,
Wie sie im Leben ist.

(Vorhang fällt.)


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