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… Ob er im Walde schlafe?
Er wußte, wo der Schlüssel zu der Arbeiterschutzhütte lag, die tief im Dickicht des Waldes steckte.
Ob er nach Wangendorf gehe?
Ob er im Dorfgasthause übernachten solle?
Ob er herumstreiche in der schwülen Nacht bis zum Morgen?
Er konnte ja auch bei einem alten Freunde übernachten.
Grübelnd schritt er im Dorfe herab und merkte nicht, daß es schon stockfinster um ihn geworden war.
Da spannte sich ein Lichtstrahl, wie eine dünne, schimmernde Bogensehne, vor ihm in Brusthöhe durch den lichten Nachtnebel.
Wie vor einer festen Barriere prallte er zurück. Rechts, scheinbar weit abseits, schwamm ein roter, in tausend Strahlen zerfließender Lichtfleck. Geäst wob ein wirres Schattengeflecht vor denselben und sog seine zitternden Fäden bis auf den einen ein, der da vor ihm durch das dichte Dunkel gezogen war.
Unzählige Stäubchen tanzten um denselben. Sie drangen feindselig auf ihn ein, als wollten sie ihn wegsaugen. Da und dort war sein zartes Gewebe schon von ihnen zernagt. Zeitweise verschwand er ganz. Aber immer erschien er wieder und arbeitete sich bebend durch den Nebel.
Wie er auf ihn hinsah, spielte sich in seinem Innern ein ähnlicher Vorgang ab. Aus dem wirbelnden Spiel seiner zwecklosen Zweifel bildete sich in mechanischer Weise ein Entschluß. Er floß keineswegs aus seiner entschiedenen Neigung. Gleichgültig strahlte ihn sein verschwommener Wille durch die vergällte Abgespanntheit seines Wesens hin.
Was konnte er denn sonst klügeres thun? Man sah ja keine Hand vor den Augen.
»Ich muß eben eim Dorfe blein,« sann der Schindelmacher träge.
In diesem Augenblicke ward drüben, hinter dem Astwerk, eine Thür aufgestoßen. Schritte polterten heraus. Dann hörte er eine tiefe Stimme:
»Verknucht, heite schmeckt dr Schnåps! – Fenster wie ei em Sacke is, wås?«
»Ju, a echter treicher Märzanabel,« antwortete es krähend.
»Du host schonn ehnder wås gewonna, ha?«
»Ach,« zeterte die hohe Stimme, »wenn Semma Thadees nie met 'm grin' Kenige derzwescha kåm, do riß ich de Tschatscherla alle rei. – Verflucht, wår dår hortig! Wie a Håhn såß a droffe!«
»Nee, verliern derf dar nischt,« erwiderte der Baß breit lachend.
Dann ward die Thür hinter den schweren Tritten wieder zugezogen. Und der alte Schindelmacher war mit dem kümmerlichen Faden Licht in der toten Luft wieder mutterseelenallein.
»Zum Teixel azu,« fuhr er endlich ärgerlich auf, »ich bin ein schiener Kalle. Wås sol 'n wern, wenn ich Ernst macha muß of de Mitwoche, wenn ich bei solchner Tommheet dåtieh, un weß nie woher, wohin. Natierlich muß ich ei der Schenke blein.«
Und schon fühlte er sich an der Leitstange durch den Obstgarten nach dem Gasthause hin.
Als er eintrat, fuhren die drei Spieler, die einzigen Gäste, in die Höh.
»Auch då?« – »Guda Åmd!« – »Dich treibt wohl auch dr Nebel rei, gel Tone?« redeten alle zugleich auf ihn ein.
Er antwortete, so gut er konnte, und setzte sich vorsichtig an einen unerleuchteten Tisch.
Der Gastwirt, der aussah wie ein aufrecht gehender Frosch, stellte ein Licht vor ihn hin. Franz löschte es wieder aus und verzehrte im Dunkel seine trockene Schnitte Brot zu dem Stück Gallert, das er sich bestellt hatte. Nachdem er noch einen Korn getrunken, flüsterte er dem Gastwirt ins Ohr, ob er bei ihm übernachten könne.
»Wellst dn a Bette?«
»Was kostsn?«
»Femf Biehma.«
Von dem erleuchteten Tische her rief neugierig der Krähende: »Wås hått ihr 'n dat zu pischpern?«
»Nuch, Franz Tone wil …«
Der Schindelmacher packte den Gastwirt so erschrocken bei der Hand, daß dieser schnell abbrach und lachend log: »A thut mr beichta.«
»Do warscht de nie viel Bieses härn,« meinte der wohlwollende Baß.
»Gut,« begann der Alte darauf noch leiser als zuletzt. »Wo isn?«
»Of dr Biehne. Du warscht wohl fenda.«
»Ich denk wol.«
Als nach einer Weile die Spieler schreiend über etwas stritten, schlich Franz sich unbemerkt ins Bett.
In tiefer Nacht erwachte er.
Eine wohlige Müdigkeit rieselte durch seine Glieder. Behaglich reckte er sich.
Plötzlich schnellte er in die Höh, als ertappe er sich über etwas Bösem.
»Liegt ener aso, der wås Grußes vierhåt?« sann er erzürnt. »Wer weech liegt, bleit weech.«
Er verließ sofort das Bett, kleidete sich notdürftig an, ging in die Scheuer und legte sich dort in das harte Stroh.
* * *
Entkräftet war der Tag schlafen gegangen. Krank stand er auf. Er lag regungslos über den Bergen, in weiße Gewänder gehüllt. Unendlich müde hob er aus den zerwühlten Kissen der Nachtschatten sein Angesicht, das wie überwacht aussah in seiner gleißenden Blässe. Und ein geräuschloser Fieberatem ging von ihm aus, der sich erstickend über die Erde breitete. Diese kauerte zu seinen Füßen und sah in stummer Begierde zu ihm auf. Wie traurig war sie, die gestern noch so gelacht hatte mit kecken Morgenwinden. Ihre leichtesten Gedanken, die Vögel, wie gebannt in Bangen. Wohl begannen sie zu singen; doch unwirsch brachen sie ab.
* * *
Fern hüben dann die Glocken an. –
Wenn du Schmerzen leidest, die kein Heldenmut tragen, kein Schrei fassen kann, fängst du wohl an, in dumpfer Verzweiflung, mit heißem Atem ein leises Lied durch die geschlossenen Zähne zu stoßen. Dann gehen wankende Töne hin. Mit einem Hauchen setzen sie ein, mit einem Hauchen enden sie. Dazwischen liegen lange Pausen irrer Stummheit.
So, durch die Höhen, klang das Morgenlied des fieberkranken Tages, ein Lallen der Wehrlosigkeit. –
* * *
»Nie amol Tau is heite Nacht gefålla,« sagte während des Frühstücks der Gastwirt zu dem ihm gegenübersitzenden Schindelmacher.
»Nie amol Tau,« wiederholte dieser dumpf wie eine Anklage gegen das Schicksal, und hielt im Kauen inne.
Jene leere, trostlose Starrheit umfing ihn wieder, die sieben Jahre auf ihm gelegen hatte:
Oh, sie warn mir nischt macha, nischt… kroch es schlaff über den öden Plan seines Bewußtseins.
»Dir wårsch wol zu warm im Bette?« schwatzte der Gastwirt weiter.
Doch des Alten ganze Aufmerksamkeit war in kalter Brunst auf sein Inneres geheftet: Un was drnoch … jaja? – und er nickte der Gewißheit seiner Enttäuschung zu.
»Ja, ja!« wiederholte er laut und sah hart auf den Gegenübersitzenden.
»Nu,« sagte der Gastwirt, welcher das als Antwort betrachtete, »do brauchst de auch nischt zu bezahla.«
»Gelt nischt, do host de recht,« fuhr er in dem Wirbel seines souveränen Grames fort. »Åber … åber …« er wollte drohen, furchtbar und toll, und doch war es nur ein Schmerzensruf. Die Wunden seiner Demütigung, die er in der Geducktheit empfangen hatte, legten sich um seine Seele wie ein mit tausend Nadeln gespicktes Netz.
Jäh sprang er auf, daß sein Stuhl krachend umfiel.
»Ich weß wol, du, ich weß wol. Åber … Aber …«
»Ha, Tone, was kemmt denn iber dich?«
Doch der Krampf seiner empörten Gedanken löste sich nicht.
»Florian dreht sich em! … nee! nee!« lachte er heiser. »Florian stieht uf, stieht uf!« und er begann erregt durch die Stube zu schreiten.
»Åber Tone!« redete der Gastwirt vorwurfsvoll und faßte ihn am Arme.
»Ju, ju, Schenke, du host recht.«
Er kam zu sich und schaute mit furchtsamen Augen auf ihn nieder. Dann aber brach plötzlich sein wunder Gram noch einmal auf:
»Wås zu viel is, is zu viel. Ich ertrags nemme!«
Nun wußte der Gastwirt alles.
»Komm,« sagte er ablenkend, »loß dr a Kaffee nie kalt warn. Aerger dich nie. s is nie zu ändan.«
»Nee, mir is dr Aptit verganga,« wehrte der Alte ab.
»Na, da zieh dr a Spenser å, då giehn mr ei de Kerche. s ward bale achte sein. Eh mr of Wangdorf komma, is neine.«
»Jo, Schenke, ich gieh mit. Met Got wil ichs åfanga.«
* * *
Aber in der Kirche fand er doch nicht, was er suchte.
Der Pfarrer predigte über den Spruch bei Matth. 16, 24:
»Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.«
Verloren saß der Schindelmacher da und hörte die Worte von Duldung, Ergebung in den Willen Gottes, von Verzeihung und Milde. Sie stießen ihn zurück in sein unerträgliches Joch. Gott sollte ihn segnen und wies ihn ab.
»Er wird euch nicht über eure Kräfte versuchen,« rief der Prediger.
»Aber 's härt nie, nie uf un ich dertrag's nich mehr,« antwortete der Schindelmacher für sich.
Der Geistliche fuhr fort, mit seiner singend-weinerlichen Stimme zur Selbsterniedrigung zu ermahnen. Eintönig tauchte aus dem trägen Fluß seiner kraftlosen Gedanken der Kanzelspruch fortwährend auf, gleich einer faul platzenden Blase. Die Gemeinde schlief ein. In dem Lichtstreifen, der vom Fenster her wie ein leuchtender Riesenfächer schräg in das heilige Zwielicht der Kirche hing, spielte sorglos der Staub, törichte Menschenworte im ewig lebendigen Licht.
Der Alte ward immer unruhiger.
Er hustete und schneuzte sich, um seine Erregung abzuleiten. Leise floß das sanfte Wimmern von der Kanzel – – – und wieder: »Wer mir nachfolgen will … .«
Der Schindelmacher griff in alle Taschen und suchte etwas. Kaum hielt er es mehr aus.
Es war, als würde er verspottet, vor der ganzen Gemeinde als Wüterich bloßgestellt. Ach! und »sie« waren vielleicht auch da; diese süßen Worte heiligten ihren Haß und ermunterten ihren schmutzigen Geiz … plötzlich begann er ganz körperlich die Unsumme der kleinen, giftigen Seelenwunden zu fühlen, welche ihre Peinigung ihm geschlagen, in den Zeiten seiner Geducktheit.
Oh, und diese lautkreisenden Worte wühlten wie weiche Fäden in ihnen herum, ein unerträgliches Gefühl, so daß er die Beine zusammenpressen mußte, weil sich plötzlich ein Bedürfnis einstellte.
Endlich: »Amen.«
Füße polterten. Die Schläfer fuhren in die Höh, rissen die Augen auf, sahen eine Weile verständnislos umher, beugten sich dann vor, gähnten auf die Pultfläche, schlugen ein Kreuz dabei und sprachen: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«
Der Schindelmacher griff auch mit erregter Hand sein Kreuz auf die Brust, spuckte dabei ärgerlich aus und dachte: Aus Bichla håt er 's; aber verstiehn thut er vom Laba nie ein'n Dreck. Wie kennt er aso tomm marn? – Dann blieb er erleichtert sitzen in dunkler Freude, daß ihm sein Entschluß noch geblieben trotz der Predigt. Mit einem dankbaren Kniefall gegen den Altar verließ er endlich als letzter das Gotteshaus.
Der Platz vor demselben war schon leer. Sperlinge hüpften träge auf dem Sande umher und pickten Brotkrümchen auf. Die Sonne hing hoch am Himmel in dumpf-kochender Glut. Zitternder Dunst lag um die Berge. Ferne Gegenstände sahen darin eigentümlich langgezogen aus: die Bäume, als ob sie auf den Zehen stünden, die Häuser mit unnatürlich gereckten Feueressen. Dazwischen, wie in Ungeduld vielfach gewunden, die Felder.
Ganz in der Weite der Eschberg, wie der mühkrumme Rücken eines Lastträgers, darauf, gleich unförmigen Steinkrappen, Hütte um Hütte: eins, zwei, drei … bis acht. Von dem letzten links abseits, der Brocken neben dem schwarzen Strich, das war es! – – – Darüber, hinter dem blassen Streifen, im Bogen der Wald.
Ob man die Fenster sieht? – etwas Weißes? – Sie müßte schon lange zu waschen angefangen haben, wenn sie seinen Willen erfüllen wollte.
Der Schindelmacher sah nach einem weißen Punkte so lange aus, bis seine Augen schmerzten; aber er bemerkte nichts, und in seiner Seele entstand ein Knäuel aus krankhafter Sehnsucht, Enttäuschung, Haß, Zittern und wilder Empörung … in den immer, immer aus den von der Predigt aufgerissenen Wunden langsam, Tropfen um Tropfen, ein stachelndes Gift fiel.
Währenddessen gingen die Leute auf dem Dorfwege, der zugleich Chaussee war, hin und her; Lastwagen fuhren knarrend; eine Droschke rollte vorüber.
Vom Kantorhause herüber drang aus einem weitgeöffneten Fenster lachendes Klavierspiel; Kühe brüllten; Hunde bellten.
Alle diese Geräusche flössen als verschwommenes Brausen an seinem von innen her geschlossenen Ohr vorüber.
Von Zeit zu Zeit starrte seine Seele mit krankhafter Gespanntheit auf das Aeußere durch alle Sinne; dann sank sie zurück in dumpfem Gram; dann wand sie sich in Ingrimm; dann tobte sie mit allen Gedanken; stand endlich starr in greller Klarheit … aber nur, um die Skala der Paroxismen aufs neue zu durchlaufen.
Er begann jede Herrschaft über sich zu verlieren. Durch die Enttäuschungen seines verfehlten Lebens war sein Wille wie toll geworden.
Nur ganz weit in der Innenferne lag in wandelloser Ruhe eine blasse Fläche, seine einzige Gesundheit. Ein zitterndes Locken hing über ihr, wie winkende, welke Arme, ein Himmel, gleich einem süßbrechenden Auge. Und während sich die robusten Glieder seines alltäglichen Wesens in vergifteter Wildheit wanden, wallten alle Feiertagstöne seiner Seele dorthin in wortfremder Stille.
So spielen Frühlingslichter über den stier hinbrausenden Wellen eines entfesselten Baches.
Als er von dem Kirchplatz herabschritt, wußte er wieder nicht, wohin er gehen sollte. Ein Gefühl, dem Ekel gleich, hielt ihn ab, in sein Dorf zurückzukehren. Aber was thun? – –
Laufen – – – laufen – – nach Ringsdorf, da geht die Bahn vorüber; man wartet auf die Ankunft der Züge und sieht, wer aussteigt … man geht nach Eisenthal an den Hochöfen vorüber … die Chaussee entlang und sieht das Auf- und Zugehen, betrachtet die Pferde … mein Gott! – mein Gott! – Himmeldonnerwetter! wenn ich nach Hause komm und alles ist beim Alten …
Aber er fürchtete sich doch vor seiner Wildheit, und er fürchtete sich vor seiner müden Friedseligkeit, die die erste Furcht gebar … und … »ich muß, ich muß« … .
Längst lag Wangendorf hinter ihm, rundum Felder mit stillen Aehren. Der Fernendunst war von den Bergen niedergeglitten, der heiße Himmel hing tief und hatte jene hellgraue Farbe, die Eisenplatten vor dem Glühen zeigen. Die Luft, welche der alte Franz atmete, war wie ein brennender Trank. Die starren Berge lagen im Dunst gleich ohnmächtigen Schemen. Da und dort über die blaugrüne, regungslose Aehrenweite, ein Strauch, einer wie eine drohende Faust, einer wie eine hilfesuchende Hand mit schmerzgekrümmten Fingern … über allem aber die nadelzitternde, beklemmende Glut …
Das Kochen und Drohen, das Zittern und Flehen, das Entgleiten aller stillen Stärke war in ihm und um ihn. Er floh vor diesem marternden Zustand und traf ihn doch überall an, wohin er sich wendete.
Aber wenigstens wenn er so hinschritt in eilendem Gang, fühlte er sich geborgen in der rauhen Schale seiner Leibesgewalt.
So eilte er aus Notwehr durch Dörfer, über Wiesen, auf waldnahen Wegen.
Dann steuerte er nach vollen Gasthäusern. In dem Lärm, der das in seiner Vielfältigkeit eintönige Getriebe seiner Seele übertönte, fand er Ruhe. Irgendein Wort, von einem Nebentische schallend, riß ihn auf und trieb ihn wieder fort.
Von neuem wanderte er.
Bald war er sich des Gelingens sicher: dann streichelte er die Wangen spielender Kinder und gab ihnen Geld; bald schien ihm alles umsonst: dann schleppte er sich müde fort, immer mit sich leise redend; bald kam die Empörung über ihn; dann spuckte er fortwährend aus und erwiderte den Gruß Vorübergehender mit heiserem Lachen.
Unendlich oft blieb er stehen, um nach dem einsamen Haus auf dem Eschberge zu lugen, ob flatternde Wäsche neben ihm hänge. Er wußte genau, daß es zwecklos sei, in dem glühenden Dunst nach Fernem zu schauen, und that es doch immer in sehnsuchtskranker Friedseligkeit.
Dienstag früh stand er in dem vier Meilen entfernten Wiedenhof auf.
Er frug die Wirtin, deren langes Gesicht aus lauter senkrechten Falten bestand, wie weit es nach Buchdorf sei.
»Acht gude Stunda. Wella Se heite noch hin?«
Er nickte.
»Nu, dat sehn Se, dåß Se sich of de Strümpe macha. Heite kemmt a Water; åber ein derbes.«
Er bezahlte dem Weibe und ging.
Aus dem kochenden Dunst waren düstere Wolken mit schmutzigroten Rändern geworden. Sie saßen fast auf der Erde. Das Laub der Sträucher und Bäume hing welk. Die Schwalben flogen matt an der Erde. Die Pferde auf den Straßen trotteten mit krummen Knien und gesenktem Kopfe in einer Wolke von Staub und Bremsen. Wenn sie der träge Fuhrmann mit der Peitsche anspornte, so schlugen sie nur mürrisch mit dem Schwanze, ohne sich im mindesten zu beeilen. Die Finken stießen lange, leidende Rufe aus. Die Schwüle ward unerträglich.
Doch sie spornte ihn an, und je reicher sein Schweiß rann, desto mehr griff er aus.
Mit starken Schritten ging er auf sein Ziel los, wie mit geschlossenen Augen und Ohren. »Ich muß, ich muß!«
Nur dieser Ausruf. Das war alles in seiner Seele. Sein ganzes Leben hing daran.
Denn vor dem Gewitterkampf ist der Himmel eine einzige, drohende Wolke.
Um Mittag ruhte der Schindelmacher einige Stunden. Dann brach er rasch wieder auf.
Das erste Murren fiel aus den Wolken. Der Wind kam. Der Staub wirbelte schwach-zerreißende Schleier. Die Blätter wurden unruhig und begannen zu zittern. Schauer rannen fiebernd über stille Wasser. Man goß das Feuer in den Häusern aus. Furchtsam redeten die Menschen. Schnell schloß der Tag sein Auge und flüchtete ins Weite. Die Schatten des Abends kamen bebend.
Der Schindelmacher schritt den Eschberg hinauf.
Sein Herz schlug und die ersten großen Tropfen pochten auf die angstvoll tönenden Holzdächer. Er beeilte sich.
»Wenn's åber nie is, wenn's åber nie is,« zitterte es durch ihn hin aus Angst vor dem, was dann kommen mußte.
»Åch nee! – Åch nee!«
Aber seine Beine wurden stumpf, je näher er dem Hause kam.
Es war, als fielen seine Füße in weichenden Boden. Er mußte hart auftreten, um nicht umzufallen. Nun donnerten seine Schritte an dem erleuchteten Fenster vorüber.
Josepha und Ullrich saßen am Tisch.
Das Schüttern jagte sie auf. Aber ihre Thür blieb geschlossen.
Jetzt stand Franz im finstern Hausflur still und atmete einigemal schwer und unschlüssig.
Dann trat er mit kalter Betäubtheit in seine Stube … – – – –
Muffige Luft wie immer!! –
Er wollte ein Streichholz anzünden. Allein seine Hände wurden geworfen, daß ihm die Schachtel zu Boden fiel. Aechzend bückte er sich und griff mit steifen, absterbenden Fingern umher. Als er sie fühlte, vermochte er seine Hand nicht zu schließen.
Endlich – endlich zischte das Licht auf … .
– Der Sturm begann donnernd. –
Alles wie er es verlassen hatte: das Bett zerwühlt, vor Schmutz starrend; die Spinnennester hingen wie schwere Staubbeutel in den Ecken; der Fußboden schwarz wie Stalldielen; unter dem Tisch seine zerlumpte, stinkende Wäsche.
Gierig sah er auf alles. Mit hungrigen Augen sog er. Immer von neuem begann er die Verwahrlosung zu betrachten. Er genoß sie wie ein rauschendes Gift. Davon züngelte es in ihm auf: heiß, erstickend.
Der Sturm wuchs draußen. Der Wald heulte auf. Der erste Blitz! Und ein Donner, daß das Häuschen bebte. Das war ein Stoß vor die Brust des Alten. Ein gellender Kommandoruf.
Der Schindelmacher erblaßte noch mehr und stutzte eine Weile. Doch nun begann ein furchtbares Wetter: die Regengeißel, mit ihren Millionen von peitschenden Strähnen prasselte unaufhörlich über den Rücken der Sturmwölfe hin, daß sie, in Tollheit aufschreiend, durch die Luft jagten und die Blitze aus ihren lechzenden Rachen stießen. Die Felsen stöhnten mit scharfkantigen Kehlen, die Wasser lachten in plärrendem Wahnsinn.
Dieser Jubel der Vernichtung riß das Flimmern der Betäubung aus der zusammengeschnürten Brust des Alten und entfachte seine Wut zur Raserei.
»Haha!«
Es stieß ihn zur Thür hinaus.
Schrill lachte er, wie ein entgleisender Zug pfeift.
Neben der Thür im Hausflur lehnte ein eiserner Pürdel, wie ihn Steinmetzen zum Steinespalten benützen. Den ergriff er. Und als sein Arm den schweren Hammer spielend in die Luft schwang, kam das volle Bewußtsein seiner unbändigen Kraft wie eine wilde Verzückung über ihn.
»Haha!« überschrie er die Donner, welche wie Eisenstangen klirrten, »Bums! – Krach! – Zisch! – Zisch!
Besser! Mehr, mehr! – – Ålls zerschlon mr, gell ok, ålls, ålls! – Helft mr, helft mr! Arm missa se warn!«
Beschwörend breitete er die Arme nach dem empörten Himmel. In tollem Tanzschritt stürmte er dann über den Flur. Die Thür der Wirtsleute war noch immer verschlossen.
»Uf!« schrie er und stieß mit dem Fuß daran.
»Aler, blei draußa, ich råt drsch!« drohte Ullrich mit überschnappender Stimme von innen her und räusperte sich zweimal Mut ein.
Doch zwei Schläge mit dem Pürdel. In Trümmer fiel die Thür in die Stube.
»Nu åber raus!«
Mit einem kampfbereiten, anfeuernden Fluch fuhr Josepha von der Bank auf. Der Kleine stürzte sich mit einem Messer auf den eindringenden Schindelmacher. Der fing ihn mit einem Griff an der Brust auf, rannte ihn einigemal an die Wand, daß er lallende Gurgeltöne ausstieß, und warf ihn dann mit einem mächtigen Schwunge hinaus, den Blitzen zum Fraß vor. Wimmernd schlug der Gezüchtigte in die tiefen Pfützen.
Entsetzt sank das Weib über den Tisch, in wahnsinniger Angst das Holz desselben küssend.
Indessen hatte Franz draußen den Kleinen aus seiner Betäubung wieder aufgestoßen und trieb ihn nun mit drohenden Flüchen ins Weite. Denn alles Stille schien aus dem grauköpfigen Alten geschwunden zu sein. In schlenkernden Sätzen sprang er dem Fliehenden nach; seine Seele schäumte in wut-röchelnden Gedanken, jedes Glied, jede Fiber seines Lebens tobte für sich. Er raffte Erde auf und warf sie knirschend von sich; er stöhnte. Aber kein Schrei war so rauh und laut, kein Fluch so wild, keine Gebärde so rasend, um das ganze Lechzen seines Innern zu fassen. Er hätte sich auf die Erde werfen und heulend um sich beißen mögen.
Plötzlich erinnerte er sich, daß das Haus noch stehe, und erschrak. Fliegend rannte er zurück.
Als Josepha den polternden Schritt des Schindelmachers hörte, riß sie sich auf. Sie begann zu beten, lief umher, griff nach allem und ließ alles wieder fallen. Endlich raffle sie einen langschäftigen Stiefel ihres Mannes auf und lief verstört-wiehernde Laute ausstoßend an dem Schnaubenden vorbei ins Freie.
»Naus! – s wår de hechste Zeit. Wer sich noch a mol reiwågt, den derwerg ich wie en'n Karneckel!« brüllte er ihr nach.
Nun begann er alles zu verwüsten: er schmetterte die Fenster hinaus und zerschlug alles Gerät. Aus den Kasten nahm er die Kleider und riß sie in Fetzen. Dabei fiel ein goldgefüllter Strumpf zur Erde. Als er das Geld sah, ward er wie wahnsinnig. Ausspeiend trat er immer wieder darauf, daß die Maschen platzten und die Münzen in der Stube umherrollten.
»Verfluchtes Geld!« und stieß immer aufs neue den Absatz seines rechten Fußes in den Reichtum, »dreimål verfluchtes Geld! Schenderknechte seid ihr finklicha Hunde! Wåmpatiere, die de Menschablutt glått macht.«
Und er bückte sich und warf alles hinaus.
Dann stürzte er sich wieder auf sein Zerstörungswerk. Die ruhelosen Donner trommelten ihn zu neuem Sturm, und die Blitze leuchteten wie willige Fackeln. In Raserei schlug er um sich. Sein Gesicht war verzerrt. Von Zeit zu Zeit lachte er in rauhem Triumph.
Jetzt war alles vernichtet. – Stolz und still sah er eine Weile auf sein furchtbares Werk.
Plötzlich!
»s Dach! s Dach!« jubelte er und stürmte auf den Boden.
Der Pürdel sauste gegen die Schindeln, daß ganze Scharen ins Freie flogen. Der Sturm zwängte sich durch die Löcher. Der Dachstuhl ächzte.
»Pack å! – Pack å!« stachelte der Schindelmacher den Sturm ungeduldig an. Aber noch widerstanden die schwankenden Balken. Da schmetterte der Alte noch die Bretter der Giebelwand hinaus.
Das war kein Mensch mehr, es war ein Teil der blinden Naturkraft geworden. –
Nun begann der Dachstuhl zu wippen.
»Los! – los! – schmeiß a em, verflucht! schmeiß a em!« eiferte er begeistert und rettete sich hinab. Endlich krachte es ohrenzerreißend, und der Wind floh johlend mit dem Dache davon., um es dann prasselnd auf eine nahe Steinbrücke zu werfen. Die Steine der nachstürzenden Feueresse fielen polternd auf den Bretterbelag des Bodens. Die Regenflut rann plätschernd die Stiege herunter, und bald sickerte das Wasser durch alle Risse der Decke.
»Haha!«
Der Schindelmacher hüpfte zwischen den Trümmern umher, klatschte in die Hände und lachte glücklich.
»Arm missa se warn. Wås ich gegan hå, kån ich auch wieder nahma. Haha!«
Aber noch standen die Feldfrüchte, ein schöner Reichtum.
Pfeifend ergriff er die Sense und begab sich an die Arbeit.
Was der Sturm und Regen nicht vernichtet hatte, mähte er nieder. Die Sense funkelte im Schein der ferneren Blitze. Seine Haare hingen in Strähnen wirr über sein Gesicht. Die Kleider beschmutzt, in Fetzen; aus vielen Wunden blutend, die er sich an Nägeln und Holzsplitten gerissen, so arbeitete er rastlos fort.
In der Ferne irrte das Wimmern der Vertriebenen.
– – – – – –
Dann fiel der Regen leiser. Die Blitze hoben ein paarmal noch ihr bleiches Haupt mit müdem Zucken. Der Himmel hellte sich auf, und der Wald atmete erleichtert. Zuletzt war es ganz still wie in dem Herzen eines schlafenden Kindes, und man hörte nichts als das Sausen der ruhlosen Sense.
Langsam rückte der Schindelmacher schrittweise vor.
Der Rausch war von ihm gewichen, und wenn er sich aufrichtete, fuhr er schwer mit der Hand über seine wulstige Stirn, um etwas Quälendes wegzuwischen.
– – – – – –
Der Morgen kam eben. Man sah, wie die Sohle seines glühenden Fußes den Wald berührte.
Da sank der letzte grüne Halm unter der vernichtenden Schneide des alten Franz.
Er warf die Sense hin und ging ins Haus zurück.
Während er hinwandelte, sank die schwache Reue vollends zurück, und ein seelisches Lachen kam über ihn.
Er fühlte sich stark, genesen von den Wunden seiner Demütigung.
Die Last seiner peinigenden Dumpfheit und Erniedrigung war abgewaschen.
Süßer, verlockender lag die blasse Fläche in der Ferne seines Bewußtseins.
Mit heimverlangenden, brünstig vorgestreckten Armen schritt die Sehnsucht seiner Seele jener flimmernden Unfaßbarkeit entgegen.
Ihr Gang war frei und schwebend wie der Flug der Falter; denn sein Wesen hatte das Gehäuse seines verfehlten Lebens zerschlagen, das sie gefangen gehalten.
Mit dem wiedergeschenkten Lächeln seines friedseligen Kindergemüts schritt er durch das Thor des Todes.
In der Ecke, wo sein Weib gestorben war, steckte ein langer Nagel. Daran schlang er einen Strick.
»Gatte, etz komm ich!« flüsterte er voll furchtsamen Glückes und legte den Kopf in die Schlinge.
Darauf kam die Sonne und drückte ihm die Augen zu. – –