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Die hölzerne Wasserrinne stand so weit von dem Schindeldache der Scheuer ab, daß von der untergehenden Frühjahrssonne nur ein schmaler, roter Lichtstreifen auf die Tenne geworfen wurde. Er kam etwa in der Mitte des Raumes zu Boden und verlor sich einen Augenblick in den krausen, weißen Holzspähnen, wie sie das Schnittmesser des alten Franz Tone quietschend hinwarf. Dann arbeitete sich das rote Licht aus dem Wirrwarr heraus, holperte zitternd über die Spähne und kroch wie erschöpft an der Tennwand hinauf, dem Bauer, der breit und träge dort lehnte, über die Lederhosen. Das mochte dem kraftlosen Abendlichte am schwersten fallen, denn die Hosen des Bauern waren spiegelblank gearbeitet und es fand keinen Halt. Die paar Falten querüber nutzten ihm auch nicht viel; denn wenn es sich irgendwo festgesetzt hatte und Atem schöpfte, noch ein wenig höher zu rücken, fuhr der Bauer mit dem Beine jedesmal auf die Seite, daß das arme Licht wieder auf die Tennwand zurückfiel. Aber was sich so ein Lichtstrahl vornimmt, das macht er, ob es einem Bauern recht ist oder nicht, besonders wenn ihn das Frühjahr schickt. So ließ auch der Lichtstreifen in der Scheune nicht nach, dem Bauern am Beine hinaufzurücken, geraden Weges auf den blanken Uniformknopf zu, an dem die eine Seite des gelbgegriffenen Bauchlatzes hing. Und einmal vergaß sich der Bauer, weil das Schnittmesser des Schindelmachers an einen großen Ast gekommen war. Da rückte der Lichtstrahl gar ungestört weiter und saß bald mitten auf dem blanken Knopfe, balancierte darauf hin und her, sah sich eine Weile lustig um, daß es in dem dämmerigen Räume blitzte und hüpfte dann eilig mit einem langen Satze hinaus, der Sonne nach … zitternd. Ihn fror, und die Sonne blies gerade ihre letzte glühende Wolke in die schwarzen Wipfel des nahen Berges.
Dann war es Abend und tief im Walde lachte allein noch ein höhnischer Häher.
»Wies schnell Obnd werd,« sagte der Bauer.
»Nu ja, dås is eim Frihjåhre schon ni andersch: schnell donkel, schnell helle; bale wie bei a Kindern, Lachn und Flerrn ei em Säckla,« erwiderte der Alte, indem er ächzend an dem Ast herumschnitt.
»Knitsch!« fuhr der Bauer erleichtert auf.
»Wupps, dårch wår er,« setzte Franz Tone fort, ließ das Schnittmesser mit der rechten Hand los und fuhr sich mit derselben über die schmale Stirn mit den wulstigen Falten. Dabei schob er die großschildige Mütze zurück, daß auf jeder Seite des Kopfes ein großes Bündel eisgrauer Haare hervorquoll.
»Månchmol is schwer, gell ock,« nahm der Bauer das Gespräch über die Arbeit wieder auf.
»Wenn a Åst kemmt wie der, åch jå.«
Der Schindelmacher hatte schon den großen Mund mit den langen, gelben Zähnen geöffnet und nachdem er die Antwort, auf welche er gewartet, beendet hatte, stieß er ein rauhes Stöhnen aus, lang und behäbig.
»Wie lange machst dn schon Schendln, Franz Tone?«
»Genau … zu Johanne warns … verzig … femf und verzig Jåhr.«
»A hibsche påår Jåhrlan.«
»Jo, datt wårscht du noch a Junge … mecht ma sprecha,« fügte der Alte respektierlich hinzu.
»Un sen thust de jetze?«
»Alt?«
»Jo.«
»Achtunsechzig of a 17 da Juni.«
»Dås wär grade heite iber acht Tage; of de Mittwoche hättste dein' Geburtstag!?«
»Nu – ja – ja – –«
Die Antwort kam zögernd, gedrückt, und Franz warf dabei wuchtig das Schnittmesser zu Boden.
»Åber ma sieht dir'sch nich å, wenn der Koop auch a weng zu Gråbe gieht.«
»Ich glebs, Kroner … åber ich weß.«
»Nu dås schon.«
»Das heeßt, ich fiehls,« fügte der Alte mit einem Ernst hinzu, der zu den alltäglichen Worten gar nicht paßte.
»Påßt dir'sch n etwan nich?«
»Passa – – ach nu! – – wer frejt mich n drum?« Dann warf sich der Schindelmacher in die Späne, schob beide Hände unter den Kopf und spreizte die Beine.
»Wer ei a Spenn liejt un keens kån a nie meh wecka, der hots gut,« sagte er dann langsam und sein Auge sah dabei starr auf die braunen Balken der Decke.
»Du meenst … thut …«
Franz Tone nickte nur stumm.
»Solche Gedanka muß ma met dr Peitsche fat treiba.«
»Ja – – åber wohin!«
»Wo se her sen.«
»Wenn se åber aus dir selber komma?«
»Ach, kee Pferd beißt sich selber.«
Der Schindelmacher antwortete nichts. Er sah Kroner nur bitter lächelnd von der Seite an.
Eine Weile glühte dann sein schwarzes, großes Auge unter den starken Brauen hervor. Im nächsten Moment aber lag wieder die alte, starre Müdigkeit über dem breiten, grobfaltigen Gesichte mit den grauen Bartstoppeln.
»Dir werds aso nie giehn – dir, haha, dir! – ich weßt auch nie, wie dås komma sellde,« lachte er, sich verhöhnend, und spuckte aus, indem er den Kopf zur Seite drehte.
»Mir nie, host recht, Mån,« stieß es Kroner in wachsender Erregung hervor und schnellte sich aus der lehnenden Stellung auf, »mir nie, ich wer mich auch hitta un wer aso zeitlich eis Ausgedenge kricha wie Du. So lange ich a Pflug derhal, geb ich n nie aus a Hända. – – Hä, gell ock, jetze steckt ma sich noch s Brot alleene eis Maul, wenn ma hengert, aso viel wie ma will. Drnoch mußt de zåhme thun un aus nr fremda Hand frassa, wie ein Pinscher.«
»Recht host de! – Recht – Recht – Recht …«
Der Alte war dabei hastig aufgesprungen, als ob der Bauer eine tiefe Wunde seines Leibes mit spitzem Messer aufgewühlt habe.
Er schlug sich schwer auf die Brust und schrie das erstemal »Recht« gequält heraus. Dann wurde seine Stimme immer leiser und er sah sich ratlos vor die Füße, nachdem er ganz still geworden war.
»… recht, ålls, ålls,« nahm er die Unterhaltung wieder auf, »aus m Herze briet mirsch, was de redtst. – – – Aber, mei Guder, wenns Handpferd fahlt, ha, wenn dirsch die Watsche gitt, datt gieht wohl de Kurasche wie der Mettichnebel, dat gieht se – – – ha, un wås n drnoch?« –
»Nu, Tone, do råfft ma sich eben wieder uf.«
»Womit n? …«
Der Bauer schwieg und sah ihn betroffen an.
Franz aber ward plötzlich erregt, als habe er starken Schnaps getrunken, er ergriff eine Schindel und brach sie freihändig in der Mitte entzwei.
»Nu, un du wellst sprecha, du wärscht schwach!« erwiderte Kroner mit unverhohlener Verwunderung den fragenden Blick des Alten.
»Wie ein Låppa,« war die dumpfe Antwort. »Siehch, ich zerschlag dr met dr Hand en Kiesel-steen zu Polver, åber s Laba, s Laba – hach, dås Laba!! – wenn ma s Laba verlorn hot, weß ma, was is – – «
»Tone, verflucht, Tone, du werscht erre oder bests schon. Do fuchtelst de fir mr rum wie tolle un hast s Laba verlorn? – Tone! – Tone!« –
»Verlorn! – – es is nich andersch; ich kan mir nich halfa. Dås wår o jem Marja. – – –
De Sonne schien schreje ei de Stube, do wach ich uf. – Ålls is stelle eim Hause. Dronda dr Meiler klåppert schon.
Ha, Tone, denk ich, macht dirsch n wås vir? Heller, lichter Tag; un de Gatte, s Weib, schleft noch?
Ich dreh mich um un seh of se. Wie ein Steen schleft se. Es muß r ei der Nacht schlecht geworn sen, denk ich, se is går zu blech.
Da gorjelt de Kuhe eim Stålle; a beßla druf de andre. Se hiejan vr Hunger.
Jetz werd se ufsprenga wie dr Teifel! Un ich free mich schon iber de grußa Aja, die se macha werd, wenn se sieht, daß se verschlofa hot un daß ich schon offe bin. – Denn ich hå mich schnell aus m Bette gemacht un stieh, blos de Hosa of a Benn, vir ihr un hal a Odem å: – – – jetz! – – – jetz! – – – jetz! – De Kihe grasseln wieder.
Se riehrt sich nie.
Of emål fengts ein mr å zu kruban un leeft wie tausend Omsa azu eis Herze, dåß dås stieht un fr a Augenblick nie weeß, solls weiter schlon oder plåtza … …
Un ich komm mir vir, wie a zusåmmageschnarrt Klempla, wie n taube Nuß.
Gatte!
Ich kan nie andersch; ich muß rufa.
Åch, wie klång dås: wie wenn jemand ganz aus dr Weite um Helfe schreit: huch, zittrich, ganz schwach.
Åber wie dås Wort raus is, werd mei Angst wie ein Berg, un ich weß ålls, un starb åb.
Ei meiner Brost åber werds gliehnich un stieht langsam uf, langsam dås ållerinwendigste, dås hender dr neinta Haute.
Eim Schlonge bliebs stecka. Ich mocht schlenga wie ich wollde, nie vorwärts, nie zurecke gings.
Plotze werd mr ålls egal.
Gatte!
Ich greif of ihre Sterne … a Steen ei dr Nacht. – – –
Steif gieh ich naus.
Draußa mach ich s Maul uf, do wurde der heße Bessa eim Schlonge zu Odem un fuhr gliehnich aus m Maule ei alle Luft.
Siehch, Pauer, dås wår mei Laba. – –
s Herze fånd sich wieder, åber leer; de Gedanka, åber kalt.
Dr Treibriema wår atzwee, der vo arnd woher, wås mr noch nie wessa, ei die Schlenkermaschine, da Menschaleib do, Senn brängt.
Ich ackerte. Ich seete. Ich hackte. Ich hub Korn. Un mir warsch, als wenn ich das ålls nie that, nee, ein anderer, fremder, der mir ganz egal war.
Ein mir aber wårsch wie ei em Pusche, wenn kee Leftla gieht – – – dunkel, derstorba.
Etz met der Reihe dr Jåhre, s sen r siebne, jetz is wohl schon a wing andersch. Ich kån mei Unglecke fiehla, immer mehr, deßthålbich säte ich vrhin, ich fiehl mei Alder. Dat åber, wo ich aus Rand un Band wår, dat hå ich da Bockstreech gemacht …« Er brach ab und stand wie erstarrt still.
»Gude Nacht, Pauer!«
Gewaltsam riß er seine Augen vor dem Abgrunde zurück, in den sie zu sehen schienen und streckte Kroner zum Abschiede seine bebende Hand hin.
»Gude Nacht, Tone!« Kroner ergriff dieselbe und hielt sie fest. »Åber, du host doch a Kend!« »Die Seffla? – Du mein!«
Er rief es wie mit schmerzgelähmter Zunge. Als er aber sah, daß Kroner betroffen-verwundert aufhorchte, setzte er mit ängstlicher Hast hinzu: »Kend, ja, ja; mes Weibs Schwasters Mädla, de Ullrich Seffla, a gut Kend, gut, gut, dr Mån auch, wås Ullrich is, der erscht, nu då, då.«
Es sollte überzeugend klingen und die Bitterkeit schrie doch aus den leisen Worten, die der Arme mit den bebenden Lippen hinsprach.
»Kriegst du etwa nie genung zu assa?« riß Kroner ihn aus dem Brüten auf.
»Pauer, sogår wås andersch krieg ich.«
»Un kee warm Stibla?«
»Se han en grußa Ufa ei ihrer Stube.«
»Kee Licht?«
»Die stecka mirsch noch, wenn ich alleene nich schnell mach … … s härcht doch niemand?!«
Bestürzt über die Worte, welche er gegen seinen Willen gesprochen hatte, sah er sich um; dann wünschte er: »Gude Nacht, noch a mol.«
Stumm reichte ihm der Bauer die Hand.
Ehe er Worte finden konnte, war der Schindelmacher durch das Hofthürchen verschwunden. Langsam, gedankenvoll folgte ihm Kroner.
»Tone!« rief er dann plötzlich, einen Entschluß fassend. Mit derselben ängstlichen Eilfertigkeit, welche beim Abschiede an dem Schindelmacher zu bemerken gewesen war, drehte er sich im Gehen um: »Ich muß gehn, ich komm sest zu spet.«
Damit hastete er fort.
»Ja, aso is?« – sann Kroner – »o ihr Hunde! s Wertschoftla emsonst un jetzt mecht a schon thut sein! – Dås is ja eben! – nee Kroner, de Åbwäschern kån mr s Heft aus der Hand nahma, sonst niemand.
Ja, do gleb ich dr ålls, armer, aler Tone.«
Damit ging er ins Wohnhaus.