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So abseitig verhielt sich der Gerber Maechler auch weiter gegen den vom Schicksal gezeichneten Inspektor Neefe. Nie verletzte er ihn durch Feindseligkeit, nie tat er ihm Abbruch durch ein abschätziges Wort, aber nie auch spielte ein Schimmer wohlwollender Güte nach ihm hin. Dieser Mann, den die Macht des schicksalhaften Blutstromes von den Ahnen her in sein Leben gespült hatte, war endgültig aus dem Kreis seines Daseins geschleudert worden, auf Nimmerwiedersehen. Für immer war der Einfluß dieses minderwertigen Geschlechtes auf sein Haus gebrochen und nie mehr sollte es die Lebenskreise seiner Familie stören. Er hatte sich frei gerungen von dieser dunklen Macht und war auch frei geworden von der hochgeschwungenen Wirrnis des väterlichen Geistes auf geheimnisvoll abergläubischen Wegen, von denen niemand, selbst seine Frau nicht, etwas wußte und die er sich selbst nicht gestand, weil Erinnerung der heimliche Schleichweg ist, auf dem Mächte wieder Gewalt über uns gewinnen.
Das waren die Gedanken Jochen Maechlers auf seinem Heimwege von der Gründungsversammlung des Wilkaner Flottenvereins. Als er in die Feldgasse einbog, schüttete der schöne Frühlingstag gerade die letzte Woge seines abendlichen Lichtes in das junge Grün der Bäume, und von der katholischen Kirche her sang die Kinderstimme einer kleinen Glocke zum Segen der Maiandacht. Jochen schwang beglückt die kurzen Beine seines mächtigen Körpers wie zur Melodie eines himmlischen Freudenmarsches, und da ihn Christine, die im sechsten Monat ging, am Gartenpförtchen entgegenkam und neckisch fragte, ob er nun Admiral geworden sei, flog sein Siegergefühl in fast jungenhafte Verrücktheit, daß er ohne sicherndes Umwenden sie mit einem mörderischen Umarmen fast erdrückte.
»Jochen, der Junge!« hauchte das Christel beschwörend, stieß sich gewaltsam frei und gab ihm eine glückhafte Ohrfeige, indem sie sagte: »Wahrhaftig, wie ein richtiger Seeräuber, der seine eigenen Kinder nicht schont!«
Der so Gemaßregelte nahm lachend ihren Arm und führte sie, von der Flottenversammlung und Neefe erzählend, auf das Hausbänkchen unter dem Frontspieß, wo sie plauderten, bis der Abend grau in die Baumkronen hauchte.
So stiegen Zeiten richtiger Erfüllung über das Gerberhaus in der kleinen Feldgasse. Die Schatten aus dem Leben und Blut seiner Eltern waren wie von der Wand seines Daseins weggestrichen und tauchten nur dann und wann in vertieften Augenblicken oder unwirschen Zeiten als verblaßte, zerblasene Schemen auf: das schwerselige Wesen seiner Mutter mit einem Herzen aus Träumen und Tränen, die Gestalt seines Vaters, der wohl von einer geheimen Schuld beladen, sich in unübersehbare Vielgeschäftigkeit geflüchtet hatte und am Ende doch von der Dunkelheit, die ihn unsichtbar gehetzt hatte und von der er doch eingeholt, unterjocht und im Berggarten erwürgt worden war. Auch das Gespenst der Drude grauselte nicht mehr auf, das Jochen Maechlers Kindheit so mit Finsternis und Angst gepeinigt hatte und in dem er lange, keinem zu sagen, die spukhafte Ursache des leise fressenden Unsegens vermutet hatte, dem endlich das Glück und der Wohlstand des Vaterhauses zum Opfer gefallen war. Denn nicht nur die eigene Kindheit, sondern auch das vorgeburtliche Blut- und Wesenserbe der Eltern bis in die Ahnen hinauf, regiert unterirdisch und überbewußt das Leben der Menschen, sogar dann noch, wenn es zur halbverklungenen Sage geworden oder ganz aus dem Gedächtnis geschwunden ist und nur noch in der Beschaffenheit und dem Rhythmus des Blutstromes wirkt, der im kosmischen Antrieb durch unser Herz pulst.
Der tätige Sehkreis Jochen Maechlers war von dunklen Erinnerungen und albhaften Berückungen nun frei, und er ging kurzbeinig, aber unbeirrbar den Weg, der ihm von seiner Erfahrung aufgedrungen worden war, als ein sicherer Mann, den es jedoch nie gelüstete, in Flößerstiefeln über die Daseinsgebirge zu wandern, die Sterne des Himmels vom Firmament in seinen Habersack zu streichen und vor das Weltentor zu schütten.
Wohl von dem Schicksal seines viel talentierten hochgeschwungenen Vaters her, der im Alter von dem Städtchen fast vergessen worden war, dem er seine Lebenssorge und Lebenskraft gewidmet hatte, war das Mißtrauen des Gerbers in den Bestand aller Menscheneinrichtungen entstanden, mögen sie Staat, Provinz oder Gemeinde, ja, wenn er sich's genau überlegte, sogar Familie sein. Ihm war zuwider, was er »Katzenlicht« nannte, jede gespreizte Lebensaufmutzerei, jedes öffentliche Klugkochen und jedes Bedeutungsrennen. »Wer über seinen Zaun brüllt, kriegt erst Streit mit dem Nachbar und verfängt sich bald in Händel mit der ganzen Welt«, das war seine Lebensmaxime, nach der er handelte. Er war für sich nicht ohne höhere Lebensansichten, räumte ihnen aber keine weiteren Wirkungen auf sein Tun ein, als die Kraft seiner Arme reichte und die Wahrung seines bürgerlichen Wohlergehens zuließ. Kurz, er war ein idealistischer Philister, der auch von seiner geliebten Christel, einer reichen Sattlerstochter aus Görlitz, nicht aus solcher engen Daseinsbemessung heraus manöveriert werden konnte.
Jeder praktisch-tüchtige Mann aber, der seinen Besitz ehrenhaft, fleißig und nüchtern förderte, war seiner Hochachtung sicher. Was aber für den einzelnen gilt, dem müssen gezwungen auch Familien, Gemeinden, Völker und Staaten folgen, und das Heraufkommen Deutschlands sah er als die Wirkung dieser einzig richtigen Lebensweisheit an. Denn das Reich stand in jener Zeit auf einer Höhe des Glanzes, durch den das ganze Volk wie von einer Betäubung ergriffen wurde. Die Flottenvorlage war genehmigt. Immer neue Schlachtschiffe liefen vom Stapel. Der Handel und die Industrie brachten immer neue Goldströme in das Land. Die genialische, großangelegte Persönlichkeit des Kaisers schwebte mit seiner absolut beanspruchten Souveränität im Schimmer eines Gottesgnadentums, die alle entzückte. Die Manöver der großen Armee waren theatralisch-hervorragende Schaustellungen vor dem In- und Auslande. Seine Reden brachen bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit immer wieder hochtönend hervor und vermehrten die Zahl der Liebediener und Unterwürfigen bis in die höchsten Stellen hinauf. Alles war durch den Wunsch und die Einstellung an allerhöchster Stelle magnetisiert. Jedes selbständige Denken im Dienst des vaterländischen Verantwortungsgefühls war verpönt und wurde als hochverräterische Auflehnung verfolgt. Natürlich pflanzten sich diese Verhältnisse im verstärkten Maße nach unten fort und erzeugten eine böse, bedenkliche Streberei, die je nach der Art der Menschen ausbrach: als prahlerisch-protzige Erbpacht des einzig wahren Patriotismus mit hochgeschwollenen Reden bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen mit Fahnen, Musik und Hurramärschen, als duckmäuserische Kriecherei, scheelsüchtiges Aufpasserwesen, wendig-gaukelndes Konjunkturbandentum im Geschäft, und die als Geltungs- und Machthunger in den Beamtenmassen grassierten. Allen gemein aber war die reinmaterialistische Lebenseinstellung als Sinn des Menschendaseins überhaupt. Denn die Zeit spielt auf den Menschen, die Melodie kommt aus dem Wesen des einzelnen.
Jochen Maechler, der allem Politisieren, das er als »Mundkrätze« bezeichnete, aus dem Wege ging und um jede Parteiklappermühle einen großen Bogen machte, ja sogar kein stillversessener Zeitungshaspler war, spürte, sozusagen mit den Poren, aus den weiten Untergründen seines Wesens alle Daseinsflunkerei, alles Prahlfahren, alles Jämmerliche und Mißduftige, das aus den Verhältnissen und Zuständen jener deutschen Epoche auch in das Leben des kleinen Wilkau griff; aber es rückte ihn nicht eine Handbreit aus seiner heimlichen Sicherheit und verborgenen Abgewogenheit seines Wesens, die er nur spontan ausübte, ohne sie von anderen zu verlangen. Auf Grund seines Mißtrauens in alle Menscheneinrichtungen, nahm er alle Schwächen der Menschen hin, ohne sie darum zu verachten.
Der Kaufmann Stiller in der Rehberger Straße fuhr eines Sonntags im Jagdwagen, einen riesigen Falben vorgespannt, mit seiner aufgetakelten Frau in sausendem Galopp über das Katzenkopfpflaster des Schloßplatzes zum Militärkonzert nach Trensdorf unterm Ägster, daß dem vollen Weibe der überquellende Busen nur so bubberte.
Der ausgescherte Major von Cochann wieselte sich in das reiche Haus einer achtzigjährigen Witwe, die im geschlechtlichen Altersdelirium nach einem Kavalier verlangte, schwängerte ihr zerfeuertes Herz mit ausgesuchten Liebesfaxen und leitete dabei unauffällig ihr großes Vermögen in seinen Besitz. An den Abenden aber, die ihn nicht an den Dienst bei der uralten Närrin banden, saß er im »Goldenen Greif« mit den Kammerherrn, Obersten, Kapitänen, kurz dem verbrauchten adligen Gerümpel zusammen, schwärmte in Regiments-, Manöver- und Fürstenerinnerungen, war einer der feurigsten Patrioten und traktierte die alte, knappgehaltene Gilde oft so reichlich, daß man seinen Schönheitsfehler mit der magnetisierten Leiche schonend übersah.
Wenn Jochen Maechler, von einem späten Geschäftsgänge heimkehrend, an dem hell erleuchteten Weinlokal vorüberschritt und die laute Fröhlichkeit eines der improvisierten Festlein hörte, schwoll ihm nicht die tiefe Furche des Grimmes in die wulstige Stirn, sondern er schüttelte nur lächelnd den Kopf und griff im Gange weiter aus, um schneller vorüberzukommen. Das Plätschern vollgesogener Schwämme störte ihn so wenig, wie das jüdelnde Herumklettern auf hohen Gerüsten und dreckigen Hühnerleitern des Erfolges. Höchstens schloß er unwillig die Augen und bespeichelte seine Lippen mit der Zunge; aber zum Ausspucken ließ er es nicht kommen. Er hielt sich zu allen ehrlich-tätigen, besonnen-ruhigen Männern, welches Standes sie immer sein mochten, wenn er auch mit niemand, aus seiner unheilbaren Einsamkeit heraus, in ein nahes Freundschaftsverhältnis trat.
Nur wenn auf der Straße der verbogene Inspektor Neefe vor ihm auftauchte, mußte er einen bitterkalten Hauch bezwingen, der seine Brust zum Spannen brachte, denn dann hoben in seinem Innern die eingelullten schlaflosen Dämonen das Haupt und schnoben unhörbar ihren Atem durch ihn, so als lägen sie noch über Maechlers Leben hinaus auf der Lauer. Vielleicht gewitterte das gleiche ahnende Empfinden durch den zerwürgten Inspektor, wenn es auch sich ganz anders äußerte. Denn sowie er auf der anderen Straßenseite dem Gerber grußweit nahekam, ruckte es ihn noch grimmiger in seine Schiefheit, und dabei riß er devot seinen Hut mit gefausteter Hand von dem Kastenkopfe, daß die erzwungene Unterwürfigkeit eher aussah, als schicke er sich an, einen Stein nach dem Meister zu werfen. Der aber reckte sich in sieghafter Güte aus seinem Widerwillen auf, erwiderte freundlich den Gruß und ging in großschrittiger Würde seines Weges, ohne neugieriges Umsehen, wohin es den Unseligen wieder treibe. Denn nachdem Neefe durch die Fäuste Witschels vom Tode zwar berührt, aber als verpfuschtes Werkstück beiseitegeschleudert worden war, hatte er sich nach der Niederlage wieder soweit erholt, daß er begann, seine alten Lebensgewohnheiten wieder aufzunehmen. Aber während er früher stößig mit großsprecherischer, lärmender Heiterkeit durch die Straßen Wilkaus geeilt war und, mehr oder weniger dick aufgedonnert, sich zur Erreichung seiner ehrgeizigen Ziele an die verschiedenen Personen angeworfen hatte, ging er jetzt vorsichtig die alten Wege, als ein vom Unglück Verfolgter, der mühselig mit Gottes Hilfe bereit sei, den Rest seiner Kraft dem Wohl der Allgemeinheit zu widmen, nistete sich in Stuben ein, nahm Ratlosen die Führung gefährlicher Geschäfte ab und arbeitete so unter der Decke, im Halbdunkel, an der Sucht nach Geltung weiter, deren verheimlichte Glut, wenn er allein war oder sich unbeobachtet glaubte, als verzehrendes Feuer aus seinen Augen brach und in sein unschönes Gesicht die Züge rachsüchtigen Neides grub.
Jochen Maechler dagegen, den er von allen Wilkauern am meisten haßte, ließ ihn ungestört auf seinen Schleichwegen bei Hexenlicht und diente mit gelassener Umsicht seinem Geschäft und Leben, das an immer längerem Seil sich bergauf tummelte. Von allen Seiten aus den umliegenden Dörfern brachten die Bauern die Häute in die Lohgerberei auf der Feldgasse; denn Jochen Maechler hatte sich von dem neumodischen, chemischen Schnellverfahren zum Garwerden des Leders abgewendet und war zu der bewährten Behandlung und der guten handwerklichen Art zurückgekehrt, wie sie wohl sein Großvater mütterlicherseits, der alte Wennrich, geübt hatte, dessen Ruf aus halbvergessenen Zeiten wieder aufklang und Maechlers Tüchtigkeit ein immer wachsendes Vertrauen erwarb, obwohl der Entgelt für sein langwieriges, genaues Verfahren höher war wie anderwärts. Dafür aber hielten die Zugblätter und Riemen, die Flegelkappen und Schürzen aus Maechlerschem Leder doppelt so lange. Die Fleischer luden ihre Häutefuhren am liebsten bei ihm ab, weil die Abwicklung eines Geschäfts mit dem gütig-bestimmten Meister fast ein Vergnügen bedeutete, obwohl Maechler bei Bemessung des Preises immer hart am Daumennagel herunterschnitt. Die kollerigen Fleischer sahen sich in ihren Handelskapriolen durchschaut und nahmen doch dem Gerber seine sanfte Schlauheit nicht übel, sondern bewunderten ihn sogar, wenn er mit unauffälliger Wendigkeit ihrer dreimal gesiebten Pfiffigkeit doch überlegen gewesen war. Ohne je einen übers Ohr zu hauen, verstand er es, seinen Vorteil zu wahren. Er wußte, daß eine Hand die andere wasche, aber er verwandte nie schmutziges Wasser dazu. Die heisere Klingel der Lederausschnittstube pinkte den ganzen Tag, denn die Schuhmacher, Riemer und Sattler der nahen und weiteren Umgegend fanden den Weg auf die Feldgasse, wo sie meist von Christine, der hübschen, drallen Frau, heiter und klug bedient wurden. Daß sie, als Tochter eines Sattlers, gleichsam vom Bau war, erhöhte das Vertrauen der Kunden in die sachgemäße Behandlung ihrer Wünsche. Ja, manchem kam es vor, er sei irgendwie, vielleicht von der siebenten Ecke her, mit ihr verwandt. Man machte sich lustig über dies seltsame ferne Herzensspiel, von dem das öde Geschäftsklappern im Gerberhause auf der Feldgasse so schön belichtet wurde, und pries Jochen Maechler als einen seltenen Mann, der auf den Füßen einfacher handwerklicher Tüchtigkeit vorwärts kam, als würde sein Lebenswagen von zwei Rappen gezogen.
Das Arbeitsfeld des Meisters wuchs von Monat zu Monat, und er war genötigt, einen und noch einen Gesellen einzustellen, die aber auswärts sich behausen und beköstigen mußten, weil Jochen als geborener Einzelgänger das enge, familiäre Zusammenleben mit Fremden nicht ertrug, und sein Christel ließ ihm darin den Willen, obwohl sie es von ihrem Vaterhause anders gewohnt war und im stillen ausgerechnet hatte, wieviel durch Einwohnen und Hausbeköstigung der Gesellen an Lohn gespart werden könnte. Sie rechnete diese Einstellung ihres Jochen zu den vielen Marotten, die dem lieben Mann aus dem Blute seiner Ahnen, den böhmischen Brüdern, anhingen. Die Eigenart dieser Menschen, die seit undenklichen Zeiten, wie die Leute sagten, in der Niederlausitz saßen, waren ihr aus dem Kundenkreis ihres Vaters bekannt und so vertraut, daß die Eltern sie oft neckten und meinten, der böhmische Bock stoße sie, wenn gelegentlich ein unbezwinglicher Widerspruchsgeist sich ihrer bemächtigte. In dieser Nerosemi-Zeit, wie sie es nannten, wurde sie von allen vorsichtig, wie ein schalenloses Ei, behandelt, denn bei dem kleinsten Anlaß feuerte dann das liebe, gute Kind nur so um sich. In der Ehe mit dem schwerblütigen Jochen hatte sich diese gelegentliche Heftigkeit ihres Wesens in weibliche List verwandelt, die ihren Widerspruch schlau einzufädeln und unauffällig durchzusetzen verstand und ihr unterhöriger Mann, der meistens dieses Spiel hinter der Wand durchschaute, gab sich in seiner Liebe den Anschein, als merke er von allem nichts.
Deswegen gedieh alles in dem Maechlerhause ohne Reibung und Unfrieden, und der Meister konnte ungehindert an der Ausbreitung seines Geschäftes arbeiten, und wie sein liebes Christel sich immer voller in die reifende Mütterlichkeit dehnte, wurde der Fleiß des Gerbers fast zur beseligten Hingabe, weil ihn nicht mehr allein der Eigennutz wach hielt, sondern die väterliche Sorge um das Wohlergehen seines Geschlechts in die weite Zukunft leitete.
Mit Behagen sah er sein Weib in allen freien Augenblicken am Fenster oder auf der Bank unterm Frontspieß über die Näharbeit an kleinen Sachen gebückt, ging schmunzelnd vorüber oder versuchte wohl gar, hinzutretend, mit seinen braunen, bärenmäßigen Tatzen die zierlichen Jäckchen, Hemdchen oder Bettchen anzugreifen, obgleich er schon im voraus wußte, wie jeder dieser neckischen Versuche endete. Mit zornigem Blick, einem Klaps oder, wenn er gar nicht abließ, mit einem Stoß wurde er in die Flucht geschlagen, weil er sich um »Hühnermilch« nicht zu kümmern habe, sondern auf seine Häute aufpassen solle. Und als er einmal, der Sicherheit halber ein paar Schritte entfernt stehend, mit verhaltenem Prusten fragte, was für Schleifen auf das Taufbettchen kämen, rote oder blaue, weil rote für Mädchen und blaue für Knaben gewählt wurden, senkte das Christel erst bloß stumm den Kopf, und da er, nun herauslachend, die Frage wiederholte, riß sie sich endlich ärgerlich auf. »Natürlich blaue, du Alb«, rief sie in komischem Zorn, »und nun faß Boden!«
Nach solch heiterem Geplänkel saß der Gerber in der Nacht noch länger an seinem Schreibschrank, und Christel hörte vom Bett aus das bekannte Geldschwirren, aber nicht mehr so leidenschaftlich und wirbelig wie sonst, und einmal fing Maechler nach dem Zuschließen sogar etwas wie Gesang an, das heißt, er brummelte leise, wie ein ungeschmiertes Scheunentor, und verlor sich dann unhörbar aus der Stube irgendwohin. Christel meinte, in sich hineinlachend, er gehe hinaus und zähle die Sterntaler am Himmel. Über dem schlief sie ein.
Jochen aber schlich sich in die Schlitzkammer zu seinem Schatz und füllte mit seinem sicher errechneten Überschuß einen neuen Strumpf auf. Dann saß er noch in Traumsinnen eine Weile auf dem wackeligen Stuhl, der nach seiner Einbildung auch von seiner Mutter benutzt worden war, und dankte ihr für den Lebensweg, auf den sie ihn verpflichtet hatte, und für den Segen, der ihm aus dem Maechlergebet erwuchs.
In tieferen Gedanken verschloß er die Schlitzkammer, und in verstohlenem Hinabschreiten über die Stiege gingen rhythmisch die letzten Worte des Gebetes durch ihn hin: »Droben Gnade, drunten Recht.«