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Am andern Morgen sprang Christine ins Erwachen, wie ein gefangener Vogel aus der Hand in die freie Luft geworfen wird. Sie lächelte glücklich und verwundert über dieses plötzliche Losfahren ins Leben, blieb aber liegen, schloß die Augen und dehnte die Arme über den Kopf, um das etwas nachzuschmecken, was ihr geträumt hatte. Doch es gelang ihr nicht, in den Traum zurückzufinden. Sie kam da nur in ein unermeßliches Lichtwogen hinein, in dem allerhand Wunderliches mit ihr geschehen war, so Wunderliches, als hätte sie mit ihrem ganzen Leibe glücklich gesungen. Ja, er bebte jetzt noch davon, daß sie versucht war, dieses geheimnisvolle Traumlied, das sie noch durch ihren Körper fast unerträglich wollustvoll vibrieren fühlte, mit wacher Stimme hinauszusingen. Allein, es wurde nur eine Art inbrünstiger Jubelschrei, daß Christine über ihre unbegreifliche Verrücktheit erschrak, die Arme herunterriß und sich mit einem Ruck im Bett aufsetzte.
Mein Gott, da war sie ja in ihrer Stube, die schon von dem hellsten Sonnenschein ganz erfüllt war und drüben, das Bett ihres Mannes war leer, und an dem hoch an die Wand geschleuderten Deckbett erkannte sie, daß er leidenschaftlich vom Lager aufgesprungen war. So mußte sie ihn doch irgendwo im Hause werkeln hören. Es war ganz still. Nur draußen vor den Fenstern sang der Wind in den entlaubten Bäumen, gemächlich und in sich versunken. Da erinnerte sie sich, daß ja gestern Samstag gewesen war und also heute Sonntag sei, sprang aus dem Bett und lief, wie sie war, in die Wohnküche, wo sie an dem auf dem Tisch stehenden Krug, der Tasse und dem Brot, erkannte, daß Jochen sich das Frühstück selbst bereitet hatte, wohl weil der Gute sie aus dem tiefen Schlaf nicht hatte wecken wollen. Sonst hätte sie wohl über den komischen Mann ein wenig weiblich überheblich gelächelt, der stockstill sich selber hausfraulich bedient und dann irgendwohin verschwunden war. Aber nach dem Ereignis des gestrigen Abends fand sie sich in diese Überheblichkeit nicht mehr zurück. Denn dieser gutmütige, pflaumenweich wehrlose, geheimnisvoll verschlungene Jochen hatte sich in dem Kampf mit dem Inspektor als ein kluger, wehrhafter Mann erwiesen, vor dem der plärrende, von Hinterhältigkeit geschwollene Neefe fast aller Vorzüge entkleidet schien, die sie ihm in einer Verblendung zugesprochen hatte, welche sie jetzt nicht mehr begriff. Und während Christine emsig durch das Haus wirtschaftete, um die vertrödelten Schlafstunden wieder einzubringen und allem den schuldigen Sonntagsglanz zu geben, sann sie über das merkwürdige, unbegreifliche Rätsel nach, wieso sie von einem noch nie gefühlten sicheren Glück erfüllt sei, obwohl der ganze mit Neefe ausgeheckte Plan fast vollkommen gescheitert war. Am Ende wurde sie an die Ahnung geführt, sie habe die ganzen sieben Jahre ihrer bisherigen Ehe nur so mit Jochen wie mit einem vertrauten Fremden hingelebt, seit gestern aber sei ihr Wesen von der Tiefe her richtig verbunden und in der Nacht Hochzeit gefeiert worden. Als Christine von diesem Gedanken berührt wurde, erschrak sie anfangs bis ins Herz. Sie mußte sich setzen, die Augen schließen, und die Stube, ja ihr ganzes Leben taumelte um sie. Denn das Leben spielt in abgründiger Härte mit uns, auch wenn wir schuldlos sind. Dann aber rettete sie ihr singend wogender Leib wieder in den Glanz, aus dem sie am Morgen so jäh ins Erwachen gerissen worden war, und mit einemmal wußte sie, daß der Traum sie die ganze Nacht fliegend durch eine unendliche Lichtwelt geführt habe und vielerlei mit ihr geschehen sei, an das sie aber nicht mehr sich erinnern konnte.