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Das Kunstwerk, das Eusebius in den Hübnerhof abgeliefert hatte, erregte bald die Verwunderung von ganz Röhrsdorf, und die Mäuler, die dem Schneider ehedem versteckt oder offen Narrenschellen an die Rockschöße gehängt hatten, klapperten nun überall sein uneingeschränktes Lob aus. Die ersten Kunden, die dem Schneider neue Sachen zur Anfertigung übergaben, traten wohl noch mit dem alten Mißtrauen an ihn heran. Die schweigsame, trauervolle Befangenheit des Meisters, seine wortkarge sachliche Art sahen aber so sehr wie besonnener Ernst aus, daß alle nicht genug staunen konnten über die günstige Verwandlung, die mit ihm vorgegangen war, und jeder verließ mit den besten Hoffnungen das Haus. Über das Dorf hinaus verbreitete sich des Schneiders Ruf, und die Klinke der Schneidertür wurde gar nicht mehr kalt unter der Hand der Kunden. Berge Tücher schichteten sich auf dem Wandbrett, und Mandel radelte an seiner Maschine oder flatterte auf seiner Schneiderbank wie ein Vogel, der sich auf Nimmerwiedersehen über alle Berge davonmachen will.
So und nicht anders war es auch. Mit jedem Stück, das er in Furcht begann und zu seiner schmerzvollen Verwunderung wieder makellos fortgab, entfernte er sich immer weiter aus seinem früheren blühenden Leben. Der mörderische, seelenlose Fleiß fraß sich immer tiefer in ihn hinein. Etwas wie ein kalter Rausch beherrschte ihn in diesem Winkel seines Daseins, in dem nichts, aber auch rein gar nichts gedieh als Spenser, gestreifte Hosen, Flauschröcke oder karierte Westen.
Nicht nur von sich wurde Eusebius durch seine Arbeit ausgeschlossen. Es war, als fahre er auf grauer Bahn auch an den Menschen vorüber und gelange in eine Öde, die sich immer weiter um ihn ausbreitete. Daran trug nun wohl nicht seine unbegreifliche Seelenverfassung allein die Schuld. Auch die Menschen, die sonst ihre zerschlissenen Gewänder in seine heilenden Hände legten, kamen aus Kammern, in denen das Mühlwerk des Lebens schonungsloser zupackt, knorrige Holzfäller, finstere alte Knechte, überlastete, vielgestoßene Mütter. Und während sie mit dem Meister das schwierige Problem berieten, fast hoffnungslos zerlöcherte Hadern wieder in dienstbare Gewänder zu verwandeln, überkam sie unversehens die Redseligkeit der Kranken dem Arzt gegenüber, daß sie, spielend und spottend wohl, wie es dem geringfügigen Anlaß entsprach, von der Lust und der Last ihres Lebens ein wenig die Decke hoben. Diese vielfarbigen Streiflichter des Daseins fing die empfindliche Seele Mandels auf und verwebte sie als ein buntes Gerank in sein Leben, daß manch eine Blöße in ihm übergoldet, manch ein Mißmut getröstet, manch ein heimlicher Schalk in ihm zum Tanz vollführt wurde.
Doch diese gedrückten und freundlich kargen Kunden blieben so nach und nach aus, und bald bog sich die Diele der Schneiderstube unter dem anmaßlichen Schritt der Reichen, ward verdunkelt von den breiten Schatten umfänglicher Leiber und erstarrte in Kälte und Unversöhnlichkeit vor dem wortlosen Hochmut oder plumper Prahlsucht. Wie ein Almosen empfing der Schneider die Aufträge und wurde gleich einem Bettler in alle Winkel geduldet. Denn so ein Mensch, der sich ein neues Kleid machen läßt, bläht sich schon in neuen Hoffnungen und tut, als hätte er den Plan, dem sein neues Gewand dienen soll, bereits erreicht. Er behandelt den Handwerker als eine unerfreuliche, langweilige Zwischenstation, und wenn die Kunst des Meisters die Arbeit zu einem guten Ende geführt hatte, waren gar viele geneigt, den Erfolg nur sich selbst, ihrer schmucken, würdigen Gestalt zuzuschreiben. So zog jetzt das Leben an dem Schneider vorüber wie ein ferner fremder Zug schweigsamer Masken. Nichts kam ihm zu Hilfe in seiner augenlosen Sucht, nichts entführte ihn aus seiner bildlosen Unruhe, aus einem dunklen Erwarten, das ihm oft wie Schmerz wehe tat. Und seit Maruschka im Laufe der Wochen wieder aus der Scheu in ein geruhigeres, sicheres Wesen zurückgekehrt war und wie sonst wirtschaftete, am Tische saß und dem Schneider zur Hand ging, überraschte sich Mandel auf einer bitteren Empfindung, als sei sie schuld an seiner Lage. Nur selten gewitterte eine schwache Hitze um sie, oder lief bei ihrem Eintritt ein leichtes Erhellen durch die Stube.
Das waren die einzigen Augenblicke, in denen Eusebius seinen alten eiligen Herzschlag in sich und ein fernes buntes Herandämmern um sich verspürte. Dann sank ihm die Arbeit aus den Händen, lange sah er in unbestimmbare Weiten und schluckte an einem Seufzer durch die Nase.
In den Stunden, die solchen gnädigeren Augenblicken folgten, sah er auch seinen Amadeus wieder etwas im Schein des früheren bunten Lebens. Dann ergriff den Eusebius die Trauer über die unverschuldete Lieblosigkeit, die er seinem Jungen antat, daß er ihn vernachlässigte bis in ein armes Wort hinein, und er rief ihn zu sich heran, streichelte ihm wie in den guten Tagen den Scheitel und redete zu ihm. Aber waren sonst seine Worte wie bekränzte Eimer aus dem inneren Brunnen heraufgestiegen, jetzt brachte er es nicht weiter als zu alltäglichen Fragen nach seinem Ergehen oder zu erzwungenen Späßen, wie man sie aus Höflichkeit fremden Kindern bietet. Die glänzende Straße, die aus den jungen Wundern seines Söhnleins zu ihm herübergeführt hatte, schien abgebrochen, und dem Vater war die glückliche Hand gelähmt, mit der er nach den Heimlichkeiten seines Kindes gelangt hatte. Seine Inbrunst zu Amadeus war wohl nicht vergangen, aber sie lag wie alles Blühende seines Daseins von dem Grauen, Gestaltlosen in ihm gefangen, und er spürte sie wie alles, was ihn umgab, gleich einem Brennen und Drängen. All diese herzlichen Anläufe endeten damit, daß Amadeus bei seinem Vater saß und seinem Fleiß zuschaute, bis er von seinem verschwiegenen Spiel fortgelockt wurde. Mit einem langen Blick sah ihm der alte Mandel nach und versank dann wieder in den grauen Rausch seines Schaffens. Aber wenn er meinte, sein Amadeus sei ferne von ihm, so täuschte er sich. Gerade diese Verhaltenheit seiner Liebe, diese Ruhe seiner Trauer brachte ihn dem Kinde näher. Ungestört durch die Kapriolen und jähen Einfälle konnte sich Amadeus seines Vaters bemächtigen und ihn nach Gutdünken in die Wandelbilder seiner Seele einreihen.
Wenn er ihn so in stiller Emsigkeit arbeiten oder in gemessener Sicherheit mit den Kunden verhandeln sah, verloren sich die verwirrenden Wirbel ganz, durch die das russische Abenteuer ihn entstellt hatte, und aus der ersten Zeit seines Lebens sank ein heroischer Glanz um ihn. Die Abenteuer von Hamburg und Hildesheim leuchteten für ihn wieder aus des Eusebius Augen, und entfernte sich der Schneider zu einem Ablieferungsgang, so schien es dem Knaben, er wandere mit seinem Pfefferrohrstock zu neuen Unternehmungen aus, oder er besuche seine himmlische Mutter. Nach solcherlei Ahnungen war das Junglein wieder wie verwunschen, und in sein versonnenes Gesicht trat ein Ausdruck des Glückes vor all dem Singen, das in ihm erwachte.
So wurde dem Amadeus die Welt seines Lebens immer wieder innerlich geboren, und er wurde nicht müde, die Kraft zu versuchen, die ihm seit Maruschkas Austreibung unversehens wieder in die Kehle geraten war und die ihm auch trotz ihrer unvermuteten ärgerlichen Rückkehr, wie es schien, treu geblieben war. Die Gewalt seiner Lieder schlug in ihn zurück, und wenn er wollte, vermochte er in seine Verzückungen unterzutauchen. Ja, so herrlich lebte der Sang, den Eusebius sich geschworen hatte, seinem Jungen nicht mehr zu verwehren, in der Schneiderstube wieder auf, daß die Bohlen der Schrotwand von ihm getränkt wurden. Im Lichte bebten seine Lieder auf unfaßbare Weise, und zwischen den drei Menschen flochten sie abermals einen rätselhaften Atem; aber ihre Wirkung blieb in den beiden Großen einstweilen gleichsam unterirdisch, gestaltlos. Nur aus des Amadeus Augen strömte ihr Strahlen klar und leuchtend. Freilich wehte aus diesem Licht den Eusebius oft ein buntes Ahnen an, daß er den grauen Rausch seines Fleißes doppelt trostlos empfand und zugleich sein früheres, vielfarbiges Leben in seinem Kinde in unerreichbaren Weiten spielen sah.