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IV. Politische Reisen

Zu Beginn des Frühjahrs 1884 war eine Auslandsreise für uns geplant, der dann viele politische Repräsentationsreisen folgen sollten. Glücklich über die Aussicht, aus dem engen Gesichtskreis, in dem wir unfreiwillig lebten, herauszukommen, eine andere Welt mit eigenen Augen zu sehen und Neues zu erfahren, wurden sogleich alle einschlägigen Bücher angeschafft, um wohlvorbereitet und orientiert die Reise zu genießen. Ich konnte den Augenblick kaum erwarten. So rückte der Tag der Abreise nach Konstantinopel heran.

Dort rüstete man zu einem großartigen Empfang, obwohl man unserem Erscheinen etwas mißtrauisch entgegensah. Seitdem Graf Kalnoky Minister des Äußeren geworden, war die Annäherung an Rußland wieder in das Programm der auswärtigen Politik aufgenommen worden. Der Sultan, welcher tiefer sah, als man zu glauben geneigt war, verhehlte seine Besorgnis nicht. Er fürchtete, Österreich und Rußland hätten sich in dem Plan der Aufteilung der Türkei gefunden. Unser Besuch war dazu bestimmt, dieses Mißtrauen zu zerstreuen.

Unser Botschafter Baron Calice, den Mangel an Räumlichkeiten im Jildis-Palast, der Residenz des Sultans, kennend, schlug vor, daß wir an Bord S. M. S. »Miramar« wohnen sollten. Der Sultan gestattete dies jedoch nicht; er fürchtete Konspirationen und ein Zusammentreffen mit politischen Persönlichkeiten, die ihm feindlich gesinnt sein konnten. Er zog es vor, uns in seiner unmittelbaren Nähe zu haben, um uns wie auch seine eigenen Großen beobachten zu können. Er bestimmte daher den neuesten und bequemsten Pavillon von Jildis-Kiosk zu unserer Wohnung und ließ alle für die Bequemlichkeit seiner Gäste nötigen Vorbereitungen auf das strengste überwachen.

Unser Botschafter hatte in seinen Berichten den Sultan als einen unberechenbaren Sonderling gekennzeichnet und besonders sein geradezu krankhaftes Mißtrauen gegen jedermann betont. Weder seinen Ministern und Marschällen, noch seinem Oberzeremonienmeister, die er alle durch ein Netz von Spionen überwachen lasse, traue er, am wenigsten natürlich den Fremden; überall wittere er Verrat und Verschwörungen. Erst kürzlich habe ein Pascha fünfzehntausend Pfund und den Osmanjeorden erhalten für seine Mitteilung, daß drei Botschafter Zusammenkünfte gehabt hätten, um über die Absetzung des Sultans und die Einsetzung einer Regentschaft zu beraten. – Nach alledem waren wir nicht wenig gespannt, den Sultan kennenzulernen und uns aus eigener Anschauung ein Urteil über ihn zu bilden.

In allerletzter Stunde beantragte der Sultan noch eine Verschiebung unseres Besuches, da er den merkwürdigen Aberglauben hegte, daß das pünktliche Einhalten einer Abmachung Unglück bedeute. Auch da war die Angst um sein Leben im Spiel.

Der 14. April war für unsere Reise nach dem Osten bestimmt. An einem kalten Regentag verließen wir die Hofburg. Entlang der Donau, an Budapest vorbei, über die unendlichen Flächen der Pußta, durch das üppige Banat ging unsere Fahrt. Bei Mehadia erhoben sich schneegekrönte Berge, von denen wilde Gießbäche in die waldigen Täler stürzten. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, dunkle Wolken stürmten, vom Wind getrieben, herbei, krachend bogen sich die Bäume. Ungeheure Ströme von Wasser überfluteten den Boden, peitschend schlugen Regen und Hagel an die Scheiben des Waggons. Blitz folgte auf Blitz, begleitet von wuchtigen Donnerschlägen; die ganze Natur war in ein Flammenmeer gehüllt. Sogar der fahrende Zug mußte seine Geschwindigkeit vermindern. Ebenso rasch, wie es gekommen war, verflüchtigte sich das unheimliche Gewitter. Abends versank die Sonne hinter blutigen Wolkenbänken. Ihre letzten Strahlen fielen noch auf heimatlichen Boden. Wir waren an der Grenze in Vêrciorova angelangt.

Am frühen Morgen fuhren wir in Bukarest ein. Die Strecke durch Rumänien war traurig und eintönig; das Land wenig bevölkert, zeigte nur armselige, schilfgedeckte Lehmhütten, die von Walachen bewohnt waren. Nach dieser monotonen Landschaft war der Anblick von Giurgevo überraschend. Wie ein Meer lag der breite Strom der Donau vor uns. Am Ufer wartete die reizende Jacht des Fürsten von Bulgarien, die uns rasch an das gegenüberliegende Ufer brachte.

Hier empfing uns der Fürst mit großem Gefolge. Er war ein wenig ernst und zurückhaltend. Er konnte unsere flüchtige Durchfahrt durch sein Land und die Vermeidung eines Aufenthaltes in seiner Hauptstadt nicht begreifen, um so weniger, als er nach dem Bekanntwerden unseres Reiseplanes seine Jacht, seinen Palast und einen Sonderzug zur Verfügung hatte stellen lassen. Am Ballhausplatz in Wien hatte man unseren Aufenthalt in Bulgarien nicht gewünscht aus Rücksicht für den Zaren, den erbitterten Feind Alexander von Battenbergs, und auch, weil der Besuch dem Sultan peinlich gewesen wäre. Aber für den Fürsten bedeutete das Durchfliegen seines Gebietes, wie er unsere Durchreise nannte, eine bittere Enttäuschung. Er fühlte sich um so mehr gekränkt, als wir ja seine serbischen und rumänischen Nachbarn besuchen sollten. Gegen die politischen Beweggründe, die unsere Reise vorgezeichnet hatten, konnten wir nicht ankämpfen, obwohl wir dem sehr sympathischen Fürsten gern die Freude bereitet hätten, seine liebenswürdige Einladung anzunehmen. Es war ein Vergnügen, unter seiner Führung Bulgarien bis Varna zu durchfahren.

Der Fürst widmete seine Aufmerksamkeit hauptsächlich mir und, da er sehr gebildet war, unterhielt ich mich vorzüglich mit ihm. Der Kronprinz versenkte sich unterdessen in die Lektüre der letzten vertraulichen Berichte des Botschafters am osmanischen Hof, die auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers dem Kronprinzen in Abschrift mitgegeben worden waren. Wiederholt unterbrach der Kronprinz seine Beschäftigung, um jagdliche Fragen an den Fürsten zu richten, der selbst ein begeisterter Jäger war und viel von den bulgarischen Jagdgebieten zu erzählen wußte, durch welche der Zug sich bewegte. In den sumpfigen Niederungen erblickte man Herden von Büffeln, die sich im Schlamme wälzten. Zwischen dem Röhricht zeigten sich unzählige Schwimmvögel, Pelikane, Reiher und Trappen, ungewöhnlich groß und von herrlichem Gefieder. Wie uralte Monumente erhoben sich in den Balkangebirgen riesige Eichen, über denen Adler und Geier ihre Kreise zogen.

Nach verhältnismäßig kurzer Fahrt hatten wir Varna, die bulgarische Hafenstadt, erreicht. Das Meer war in alle Farben des Regenbogens getaucht, und die Sonne beleuchtete die blitzenden Türme und Zinnen. Die ganze Bevölkerung war herbeigeeilt, um uns zu sehen. Varna hat keinen eigentlichen Hafen, so daß große Schiffe nicht anlegen können, und bei Sturm ist dann das Ein- und Ausschiffen unmöglich. Weit draußen auf der Reede lag die schmucke weiße Kriegsjacht »Miramar«. Eine Dampfbarkasse brachte uns an Bord, wo wir vom Offizierskorps, lauter ausgesuchten Herren, empfangen wurden. Da einer dieser Offiziere noch lebt und ich mich seiner gern erinnere, der Sohn des anderen aber durch seine Treue und Hingebung sich Verdienste um Kaiser Karl erworben hat, will ich sie nennen: es sind Seidensacher und Schonta. Auch General Sever Pascha, der uns im Auftrag des Sultans entgegengekommen war, begrüßte uns an Bord.

Nach dem Empfang gingen wir in unsere entzückend ausgestatteten Kabinen, um uns für die Seereise bequem einzurichten. Als wir abends wieder auf Deck kamen, strahlte uns die Stadt in tausendfarbigem Lichtglanz entgegen. Ganz Varna sowie alle Schiffe waren beleuchtet. Musik drang über das Meer, immer näher und näher, bis eine ganze Flottille blumengeschmückter Boote die »Miramar« umschwärmte. Zwischen uns und den Booten entspann sich nun eine wahre Blumenschlacht.

Sever Pascha wollte gern auf der »Miramar« bleiben, allein es war nicht genug Platz, um ihn und seine Begleitung entsprechend unterzubringen. Der General kehrte daher an Bord seiner Jacht »Jizzedin« zurück. Wir hatten das Gefühl, in ihm weniger ein Ehrengeleite als eine Art Beobachter erblicken zu müssen, der dem mißtrauischen Sultan über jeden unserer Schritte berichten sollte.

Als wir am nächsten Morgen bei herrlichem, warmem Wetter auf Deck kamen, befanden wir uns schon auf hoher See. Delphine sprangen, das Schiff begleitend, aus den Fluten. Die Küste blieb nicht lange außer Sicht – bald steuerten wir in den Bosporus, der sich wie ein breiter, Europa und Asien trennender Strom öffnet. Die Ufer erheben sich, und man erkennt die starke Zitadelle von Riwa; ihr gegenüber steht wie eine Schildwache am Eingange des Bosporus die europäische Festung Kilia. Beide Ufer bieten entzückende Überraschungen. Weich zerfließen im duftigen Blau die Umrisse der Hügel, reizend schwimmen, in Violett und Rosa gehüllt, die in Gärten gebetteten Ortschaften vorüber, terrassenförmig senken sich die blütenüberdeckten Hänge bis herab zu den Fluten des Meeres. Zwischen Sykomoren, Zypressen, Platanen und Pinien, von denen Katarakte von Rosen und Glyzinien herabströmen, leuchten die kreideweißen Marmorpaläste der kaiserlichen Prinzen, Botschafter und Paschas, die Villen der vornehmen Türken, die sich längs der Küste ihre Sommerhäuser erbaut haben. Man weiß nicht, wohin man seine Blicke wenden soll. Immer großartiger, immer mannigfaltiger wird der Reiz, der von Asiens und Europas Ufern ausgeht, bis zu dem unvergeßlichen Augenblick, da man staunend die wunderbarst gelegene Stadt der Welt vor sich hat: die stolze Hauptstadt des türkischen Reiches, das Byzanz des Altertums, das Stambul der Osmanen, die Pforte der Glückseligkeit der Perser, das einzige, herrliche Konstantinopel. Magisch wirkt der Anblick der riesigen Paläste Çiragan, Dolma-Bahçe, der goldenen Kuppeln und Moscheen, der feinen zum Himmel ragenden Minarets. Worte vermögen den überwältigenden Eindruck des tausendmal geschilderten Bildes nicht wiederzugeben.

Zwischen den zwei Erdteilen langsam fahrend, von Kriegsschiffen und Lloyddampfern begleitet, durch einen Wald von Schiffen aller Nationen in Flaggengala, unter den brausenden Zurufen unzähliger Kehlen und dem dumpfen Dröhnen der Geschütze fiel der Anker in die Tiefe. Die osmanische Standarte flatterte um die Masten, die Meeresbrise entrollte den Halbmond und den Stern.

Unsere Ankunft war ein großes Ereignis. Zu Wasser und zu Land strömte die Bevölkerung herbei. Hunderte von Barken, mit reichgekleideten Türken besetzt, umschwärmten die »Miramar«. Der Lärm, die bunte Bewegung, die wechselnden Bilder, die Beleuchtung, all das neue, unerwartet Entzückende wirkte betäubend auf mich ein.

Ein vergoldetes Galaboot, von zwölf stattlichen Albanesen gerudert, brachte uns bis zu den vom Meer bespülten Stufen des kaiserlichen Palastes Dolma-Bahçe, vor dessen riesigen goldstrotzenden Toren die Mitglieder der österreichischen Botschaft und der belgischen Gesandtschaft uns erwarteten. Nach erfolgter Vorstellung bestiegen wir einen mit sechs herrlichen arabischen Rapphengsten bespannten Wagen. Während der Fahrt wurden wir von den Fenstern aus mit Rosenöl begossen – eine orientalische Sitte, die die höchste Auszeichnung und Huldigung bedeutet.

Der Weg, der zum Jildis-Kiosk, der Residenz des Sultans, führt, ist gut angelegt. Er steigt langsam zwischen grünen Wiesen und Hügeln an. Dort lagerten geheimnisvolle Frauengestalten in blauen, violetten, roten und rosa mit Pelz gefütterten Seidenmänteln auf Teppichen; unter dem weißen Gazeschleier, der sie vortrefflich kleidet, leuchten große dunkle Augen. Eine ungeheure Menge in buntesten Trachten belebte alle Straßen. Am Eingangstor zum Jildis-Kiosk standen, wie aus Erz gegossen, Janitscharen.

Kaum hatten wir das Palais betreten, als uns der Sultan entgegeneilte und uns einlud, in sein Empfangszimmer zu treten und an seiner Seite Platz zu nehmen. Der Kronprinz hatte die österreichische Generalsuniform angelegt, den weißen Waffenrock mit Goldkragen, scharlachroter Hose mit Goldlampas und den Hut mit grünen Federn. Ich trug eine lichte, hochgeschlossene Toilette von dünnem Wollstoff mit goldenen Kornähren bestickt, dazu einen Hut aus weißem Stroh, mit Straußenfedern garniert, und ziemlich viel Schmuck. Meine zarte weiße Haut, die blauen Augen und mein leuchtend blondes Haar, das lose aufgesteckt war, all das verfehlte seine Wirkung auf den Sultan anscheinend nicht. Seine Blicke kehrten immer wieder, während er mit uns sprach, zu mir zurück.

Der Sultan war in die Marschallsuniform seiner Armee gekleidet und trug den Fez auf dem Kopf, zahlreiche Großkreuze schmückten seine Brust. Ein krummer Säbel in einer rotsamtenen, reich mit Gold verzierten Scheide hing an seiner Seite herab und schleifte am Boden. Er hatte weiße Handschuhe an, als er uns die Hand reichte. Abdul Hamid war mittelgroß, eher mager, sein Bart war schwarz, die Nase lang und gebogen. Er hatte den echten Typus seiner Rasse, wie man ihn auf den alten Bildern der Osmanen sieht. Sein schwarzes Auge war durchdringend, sein Blick ernst und schwermütig. Abdul Hamid war 42 Jahre alt, doch schien er älter. Unser Gespräch wurde Französisch geführt, eine Sprache, welche der Monarch zwar verstand, aber nicht beherrschte. Munir Pascha fungierte als Dolmetsch; wenn er eine unserer Äußerungen besonders treffend übersetzte, nickte der Sultan lächelnd und zustimmend mit dem Kopf. Er führte das Gespräch mit sichtlichem Interesse.

Nun standen wir also dem Manne gegenüber, von dem wir so viel Ungünstiges gehört hatten. Er überschüttete uns mit Zeichen seines Wohlwollens und seiner Gunst. Er überreichte dem Kronprinzen und mir die Großkreuze seiner Orden, in Brillanten von morgenländischer Pracht. All seine Angst und Furcht, von der man uns erzählt hatte, schien in dem Augenblick unseres Zusammentreffens von ihm gewichen. Er war, wie auch Baron Calice bestätigte, von sonst nie gesehener heiterer Laune.

Der Kronprinz wunderte sich, in der Höflingsschar – im Gegensatz zu westlichen Höfen – so wenig Offiziere der Armee und Marine zu sehen. Baron Calice erklärte dies durch das Mißtrauen, welches der Sultan gegen seine Armee hege; er setze diese absichtlich zurück. Zur Entschuldigung müsse man aber anführen, daß beide Vorgänger des Sultans, Abdul Afis am 4. Juni 1876 und Murad V. nur drei Monate später, am 31. August, gewaltsam entthront und beseitigt worden waren. Abdul Afis waren in seinem Palast nach der Entthronung die Adern geöffnet worden. Es gab also wirklich Gründe zum Mißtrauen.

Am nächsten Tag sollten wir am Moscheegang des Sultans, dem Selamlik, teilnehmen. Das Schauspiel war prächtig und höchst eigenartig. Die ganze Garnison war ausgerückt. Der Sultan war sehr unpünktlich, wohl in der Absicht, einem eventuellen Attentat zu entgehen. Er verließ seinen Palast sonst nie, nur für Moscheebesuche machte er eine Ausnahme. Er kutschierte selbst im offenen Wagen prachtvolle arabische Schimmelhengste. Seine olivene Gesichtsfarbe war sichtlich bleich, man sah ihm die Erregung an, die er stets empfand, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigen mußte.

Für den Abend nach dem großen offiziellen Diner war mein Besuch im Harem angesagt. Ich sah ihm mit Spannung entgegen. Am Arm des Sultans schreitend, wurde ich auf der Stiege von der Lieblingsfrau des Sultans, der Sultanieh, empfangen, die mir, gefolgt von sechs Sklavinnen, eine häßlicher wie die andere, entgegengekommen war. Junge schöne Eunuchen standen mit brennenden Fackeln an den Wänden zu beiden Seiten der Treppe. Ich wurde in einen riesigen, grell erleuchteten, teppichbelegten, aber sonst fast leeren Saal geleitet, an dessen Wänden sich Diwane entlang zogen. Hier wurde ich von der Mutter des Sultans, seinen Töchtern und der Oberzeremonienmeisterin, die einen großen Stock hielt, begrüßt. Betäubend durchdrang der Duft des Rosenöles die Luft. Bei meinem Eintritt spielte eine Frauenkapelle die österreichische und die belgische Volkshymne. Man reichte mir Blumen und Rosenölfläschchen. Der Sultan setzte sich zwischen seine Mutter, die Sultanieh, seine Töchter und die anderen Frauen und Begleiterinnen. Ich mit meiner Damensuite, der Botschafterin und einigen anderen Europäerinnen, nahm auf einem anderen Diwan Platz; Stühle gab es nicht. Es wurden kleine, zierliche elfenbeineingelegte Tischchen aufgestellt, auf denen wertvolle alte Porzellanschalen in goldenen, diamantbesetzten Hülsen mit dem köstlich duftenden Kaffee standen; dann wurden die verzuckerten Erdbeer- und Aprikosenpastillen gereicht.

Diesmal hatte ich große Abendtoilette angelegt. Ich glaube mich zu entsinnen, daß ich ein hellblaues Damastkleid trug, das meine Schultern freigab; um die Taille eng anliegend bauschte es sich üppig nach rückwärts, um in einer großen Schleppe zu enden. Wieder hatte ich sehr viel Schmuck genommen; die Haare, in langen Locken geordnet, hielt ein Diadem zusammen. Vielleicht fand die Sultanieh, daß meine Eleganz allzusehr das Interesse des Sultans erregte – sie heuchelte auf einmal ein Unwohlsein, stand auf und wollte sich entfernen. Der Sultan, sehr unangenehm berührt, befahl ihr zurückzukehren und sich zu setzen, was sie auch murrend tat. Die Frauen des Harems waren entschleiert. Keine war groß, schön oder schlank, alle hatten zu starke, runde Körperformen, wohl aber schöngeformte kleine Brüste. Eine Entschädigung für ihre fehlenden Reize bildeten jedoch ihre herrlichen Kleider. Ihre türkischen Trachten aus schweren, glänzenden Seidenstoffen, in den grellsten Farben zusammengestellt, waren mit kostbaren Gold- und Silberstickereien geziert. Die Sultanieh selbst war europäisch angezogen. Sie trug ein Silberbrokatkleid mit langer, gestickter Schleppe; ihr Schmuck, der nur aus Diamanten bestand, war prachtvoll. Die Familie des Sultans und der übrige weibliche Hofstaat trug eine Menge Perlen, Diamanten und andere Edelsteine. Alles glitzerte und blitzte. Es war feenhaft und einzig in seiner Art. Den Anblick solcher Luxusentfaltung solcher Farbenpracht kann nur der Orient bieten.

Die nächsten Tage widmeten wir der Besichtigung der Stadt, wir lenkten unsere Schritte zunächst zu dem stärksten Anziehungspunkte Konstantinopels: der Hagia Sophia, der größten und ältesten Basilika des Christentumes. Sowohl das Äußere wie auch das Innere wirken mit mächtigem Zauber auf die Seele ein. Die Dimensionen der Riesenkuppel, der Säulen und Arkaden haben etwas Erschütterndes. Man stößt auf unzählige Schätze aus griechischen und römischen Tempeln; heidnische, christliche und mohammedanische Elemente vereinen sich zu einer schweren, seltsam mächtigen Pracht. Grüner und rosa Porphyr, rosa und weiße Steine aus den Steinbrüchen von Sizilien und dem Sinai, gelbe aus dem Archipel, purpurrote aus Phrygien bezaubern die Phantasie. Die starren Bilder der Goldmosaiken vermischen ihre mystisch bezwingende Wirkung mit der labyrinthischen Ornamentik der Teppiche. An einer der Wände ist ein uraltes Webstück befestigt, von dem es heißt, daß es zu jenen zählt, auf denen Mohammed zu beten pflegte. Erst als Mohammed II. mit dem Schwert in der Hand an der Spitze seiner Kriegsscharen Konstantinopel eroberte und in die Hagia Sophia drang, wurde sie in eine Moschee verwandelt. Zur Erinnerung an diese Tat, durch welche die Kirche unter die Herrschaft des Halbmondes gelangte, betritt der Vorbeter an jedem Freitag mit bloßem Schwert die Kanzel.

Wunderbar ist die Aussicht, die man von der Terrasse des alten Serails genießt. Korallenfarbig leuchten in der Sonne die Moscheen. Von allen Minarets rufen die Muezzins zum Gebet. Stambul hebt sich wie in Gold getaucht gegen den azurnen Himmel, und das Goldene Horn erstreckt sich kobaltblau bis zu dem anderen Gestade, wo ernste, dunkle Zypressen ihre langen violetten Schatten in all das Licht werfen.

Im Serail befindet sich das Museum und die Schatzkammer. Die Kostbarkeiten, die dort aufbewahrt werden, übertreffen alle Vorstellungen. Unter denselben befand sich der Turban eines Sultans aus dem 15. Jahrhundert, mit den prachtvollsten Diamanten geziert. Meine Bewunderung entlockte mir laute Rufe des Entzückens.

Der Sultan benutzte jede Gelegenheit, um mir Beweise seiner Zuneigung zu geben. Am nächsten Abend, als ich eben im Begriff war, mich für ein großes Diner anzukleiden, sandte er mir ein prachtvolles Diadem in scharlachrotem Samtetui. Es waren die wundervollen Steine, die meine Bewunderung hervorgerufen hatten, die darin funkelten. Die Freude meiner neunzehn Jahre war grenzenlos. Nur ein orientalischer Fürst ist imstande, auf solche Weise zu geben. Abdul Hamids Liebenswürdigkeit für mich kannte keine Grenzen – ich gestehe, daß er mit dem Kronprinzen kühler umging.

Im Auftrag des Grafen Kalnoky hatte der Kronprinz die Frage des Baues der Orientbahn und deren Durchführung durch türkisches Gebiet zur Sprache gebracht, doch sah der Sultan darin eine Bedrohung der Unabhängigkeit seines Landes, da sie den Mächten die Möglichkeit bot, ihre Armeen rasch vor die Tore Konstantinopels zu führen. In dieser Angelegenheit vom Kronprinz gefragt, wollte er die Bitte nicht rundweg abschlagen, drückte sich jedoch so ausweichend aus, daß ihm eine abschlägige Antwort noch immer offen blieb. Er vermied es, wo immer er konnte, mit dem Kronprinzen allein zu sprechen.

Einmal in Konstantinopel, muß man natürlich in den Bazaren gewesen sein. In diesem ungeheuren Labyrinth scheinen alle Schätze des Orients aufgetürmt zu sein. Jedes Handwerk hat seine Gasse. Grelle rote und gelbe Lederwaren, persische und indische Schals, Gold- und Silberarbeiten, mit Edelsteinen besetzte Waffen, die kostbarsten Teppiche, Tücher und Pelze wurden angeboten. Ich vermochte kaum der Versuchung zu widerstehen, all diese verlockende Herrlichkeit zu erwerben.

Das Ganze war ein Tausend-und-eine-Nacht für meine Jugend. Noch nie, auch später nicht, hatte ich so bunte, berauschende Tage verlebt. Im Glanz der Feste, unter dem Eindruck der Wirkung, den meine Erscheinung offenbar ausübte, begann ich zum erstenmal meiner selbst bewußt zu werden. In diesem strahlenden, leuchtenden Konstantinopel war ich, die blonde nordische Prinzessin, selber verwandelt. Beglückt erlebte ich einen um den anderen dieser Märchentage. Der Sultan ließ keinen meiner Wünsche unerfüllt. Wir durften auf die bequemste Art die Schönheit der zauberischen Gegend bewundern, zu Wagen, zu Schiff und zu Pferd.

Bis zur Stunde unserer Abreise überhäufte uns der Sultan mit Beweisen seiner Gunst und Freigebigkeit. Ich erhielt zwei prachtvolle arabische Schimmel für meinen Stall; zwölf Ölgemälde, den Jildis-Kiosk darstellend, viele Aquarelle mit Ansichten der Stadt, Gruppenbilder aus dem Harem; wertvolle Seidenteppiche, eingelegte türkische Waffen, ein Kaffeeservice in Silberfiligran, goldene Tabakieren, mit Edelsteinen besetzt. Dazu große Kisten mit Kaffee, Reis, Tabak, den Obstpastillen, die mir so gut geschmeckt hatten, und Rosenöl! Dieser Geruch hat mich noch lange verfolgt; ich konnte ihn aus meinen Kleidern und Haaren kaum wieder entfernen.

Der Abschied fiel mir schwer; der ganze wunderbare Charme des Orients hatte mein Herz mit Entzücken erfüllt.

Der Kronprinz wollte Konstantinopel nicht verlassen, ohne einen Jagdausflug in Kleinasien zu unternehmen. Er hatte viel von den Schwierigkeiten der Wildschweinjagd gehört, und gerade das reizte ihn. Es wurden alle Vorbereitungen getroffen, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Wir schifften uns wieder auf der »Miramar« ein, den Kurs nach den Dardanellen in das Marmarameer nehmend, um Anatolien zu erreichen. Der Sultan hatte uns geraten, die Besichtigung der interessanten Stadt Brussa nicht zu versäumen. Allein der Kronprinz entschied anders, und dieser Ausflug unterblieb der Jagd wegen. Ich war bitter enttäuscht, entschädigte mich aber dadurch, daß ich die Prinzeninseln anlaufen ließ. Im Türkischen hießen sie die Roten Inseln, weil ihre kupferhaltige Erde in feurigen Tönen glüht. Prinzeninseln nennt man sie, weil sie in der byzantinischen Zeit als Verbannungsort für entthronte Kaiser und Kaiserinnen dienten. Prinkipo, die größte unter ihnen, ist wegen ihres milden Klimas und der herrlichen Flora ihrer Gärten von reichen Kaufleuten, die dort ihre Villen haben, bewohnt. Das Christus-Kloster, zu dem man auf Eseln reitend durch Myrthen, Oleander und Terebinthen-Haine gelangt, besitzt den sanften, wehmütigen Reiz des Verfalles. Der Frühling entfaltete den ganzen Zauber seiner Farben.

Nach drei in den schwierigsten Dornengestrüppen verbrachten Tagen kehrte der Kronprinz zurück, um mit mir die Rückreise anzutreten. Noch einmal tauchte Konstantinopel vor uns auf wie eine Erscheinung, in deren Bann man unentrinnbar gekettet bleibt, ein Traum, in dem man immer weiter leben möchte. Ich kann nicht sagen, wie traurig mich die Abreise machte. Noch lange klang der Nachtigallenruf in meinem Ohr, noch lange sah ich die Fülle der Blumen und fühlte das Entzücken all dieser Poesie und märchenhaften Huldigungen. Doch es war an der Zeit, sich loszureißen und neuen Pflichten entgegenzugehen. In dieser Stimmung erreichte ich Varna, wo es hieß, das liebgewonnene Schiff mit all seinen Erinnerungen an einen sorgenlosen, köstlichen Aufenthalt, an Tage von Sonne, Farbe und Glanz zu verlassen. Das Lebewohl war schmerzlich.

In Varna hatte sich der Fürst van Bulgarien abermals eingefunden. Er hatte für den Kronprinzen eine Überraschung vorbereitet und ihm in Rustschuk eine Jagd auf Raubvögel ermöglicht, die er von Bord seiner Jacht aus selbst mitmachte.

Weiter ging die Reise nach Bukarest. Diesem Besuch war eine erregte diplomatische Korrespondenz vorausgegangen. Zwischen König Karol von Rumänien und Milan von Serbien herrschte ein sehr gespanntes Verhältnis; keiner gönnte dem anderen unser offizielles Erscheinen. Beide Regenten wetteiferten in Vorbereitungen und festlichem Entgegenkommen. Sie hofften durch die Gewinnung unserer Sympathien zugleich auch unsere Vermittlung für die Ziele ihrer Politik zu erreichen. König und Königin von Rumänien bemühten sich herzlich, ihre Freude über unser Kommen zu zeigen, wir fanden in der Aufnahme, die uns im Lande zuteil wurde, alle Bürgschaft für freundliche Beziehungen und eine ehrliche Gesinnung. Unsere Besuche an beiden Höfen waren von dem guten Willen geleitet, den Boden für die Zukunft vorzubereiten.

Auch in Belgrad wurde alles aufgeboten, um jeden Schatten einer Mißstimmung fernzuhalten. Der König wollte zeigen, daß er die Auszeichnung der Familie Obrenoviæ zu würdigen verstand. Sein Palast war durch Wiener Firmen ganz neu ausgestattet, seine Stallungen hatte er mit neuen Wagen und sehr schönen Pferden füllen lassen. Zur Besorgnis seiner Umgebung schreckte er vor den großen Ausgaben nicht zurück. Trotz des schlechten Wetters strömten etwa zwanzigtausend Menschen herbei, doch wurde das geplante große Volksfest unter freiem Himmel durch den Regen vereitelt. König Milan und seine Gemahlin Natalie waren beherrscht von dem Gedanken, alles für unser Wohlergehen aufzubieten. Bei dem großen Diner betonte der König die Wichtigkeit inniger Beziehungen zu dem Hause Habsburg-Lothringen. Wie überall, so bemühte sich der Kronprinz auch hier, den erhaltenen Weisungen des Kaisers folgend sowohl in seinen Ansprachen als in seinem Umgang mit maßgebenden Persönlichkeiten Vertrauen zur Monarchie zu erwecken, und mir fiel dabei die Aufgabe zu, ihm durch meine Persönlichkeit Sympathien zu gewinnen.

Als wir in Wien anlangten, konnten wir dem Kaiser nicht genug von dem Empfang in Konstantinopel erzählen. In warmen Worten telegraphierte er dem Sultan seinen Dank und sandte ihm als Gegengeschenk einen in Pergamon ausgegrabenen kostbaren Sarkophag. Ich aber dachte noch lange an jene zauberhafte Zeit zurück.

*

Der Orientreise folgte eine Zeit der Ruhe. Der Kronprinz schloß sein Buch: »Eine Orientreise« ab, das eine Schilderung der Fahrt nach Ägypten im Jahre 1880 und seiner dortigen Jagdabenteuer enthält. Er hatte eine gute Feder; man las seine Arbeiten gern. In wissenschaftlichen Kreisen begrüßte man das Erscheinen des Buches als einen willkommenen Anlaß, dem Kronprinzen eine größere Huldigung zuteil werden zu lassen; er wurde zum Ehrendoktor der Universität Wien ernannt. Der Kronprinz war sich jedoch bewußt, daß diese Auszeichnung für ihn nicht dasselbe bedeutete wie für einen anderen Sterblichen. Einem Herrn, der ihm gratulierte, schrieb er: »Das einzige, das mich bedrückt, ist das beschämende Gefühl, durch meine dilettantenhafte Arbeit und die Geringfügigkeit meiner bisherigen Leistungen im Dienste der Wissenschaft den Doktortitel nicht zu Recht verdient zu haben.« Andererseits freute er sich aber unendlich über diese Auszeichnung und sah in ihr einen Ansporn zu weiterer Betätigung. Doch zu wissenschaftlichen Arbeiten gehört Ruhe und Muße, und diese fehlten ihm. Sowohl durch die Repräsentationspflichten als auch durch seine zunehmende Jagdleidenschaft wurden wir von einem Ende der Monarchie zum anderen getrieben. Wir mußten Kärnten, Krain und Tirol, wo schon lange kein Mitglied der kaiserlichen Familie mehr erschienen war, und auch fremde Höfe aufsuchen.

Auch die militärischen Übungen und Manöver in Bruck an der Leitha erforderten alljährlich unsere Anwesenheit. Für diese Zeit hatte uns Graf Harrach in sein Schloß eingeladen; er bot alles auf, um es uns bequem und behaglich zu machen. Den Landsitz dieses liebenswürdigen Edelmannes mit seinem gepflegten Park und seinen Auen hatte ich sehr gern. Hier konnte ich mich ungezwungen bewegen. Mit Interesse nahm ich an allen militärischen Begebenheiten teil und verfolgte alle Übungen; überall war ich zu Pferd oder zu Wagen anwesend. Ich bemühte mich, alle Truppenkörper nach ihren Farben, Namen und Nummern kennenzulernen, dem Offizierkorps sowie den Angehörigen der Offiziere mein Interesse zu zeigen. Mit der Zeit gelang es mir, jedes Regiment und sehr viele Offiziere wiederzuerkennen. Ich war sehr stolz auf diesen Erfolg meiner Bemühungen, weil ich dadurch meine Teilnahme an der militärischen Laufbahn des Kronprinzen beweisen und ihm oft eine Unterstützung bei den Besichtigungen und Empfängen sein konnte. Auch in diesem Kreis waren wir äußerst beliebt, und oft wurden uns spontane Huldigungen zuteil. An eine erinnere ich mich besonders lebhaft: Ich weilte mit dem Kronprinzen unter vielen Offizieren, um einem Regimentsfest beizuwohnen; da wurde ich auf einmal in die Höhe gehoben, mit Blumen überschüttet und unter allgemeinem Jubel durch ein Spalier lachender, strahlender Offiziere in den Speisesaal getragen. Die kleine Szene fand den Beifall des Kronprinzen, dem derlei Kundgebungen schmeichelten und Spaß machten.

Als wir Bruck verließen und uns, wie alljährlich, zu Kaisers Geburtstag nach Ischl begaben, hatten wir einen schweren Wagenunfall. Die Pferde scheuten, gingen durch, wir wurden aus dem Wagen hart auf die Straße geschleudert – es war ein Wunder, daß wir mit leichten Verletzungen davonkamen.

In Ischl hatten wir die seltene Gelegenheit, die Kaiserin zu sehen, die jeden Sommer einige Wochen dort weilte. Dieser Aufenthalt behagte mir an sich wenig. Die »Villa am Gries«, unser Absteigequartier, war sehr primitiv, kalt und feucht und unbequem eingerichtet. Dazu der oft Tage lang strömende Regen. Die kleine Stadt, von der Traun überschwemmt, bot dann einen düsteren und traurigen Anblick, es mußten Brücken und Stege gebaut werden, um über die Straße zu gelangen; selten nur durchbrach die Sonne die tiefhängenden Wolken, die die Berge umhüllten.

An klaren Tagen unternahm ich weite Fußtouren mit der Kaiserin, die von früh bis abends dauerten und höchst beschwerlich und ermüdend waren. Die Kaiserin war eine hervorragende Fußgängerin; nur wenige konnten mit ihr Schritt halten. Niemals nahm sie unterwegs eine Mahlzeit, höchstens trank sie einmal etwas Milch oder den Saft einer Orange. Sie rastete nie. Es war überhaupt die Gewohnheit der Kaiserin, sich so selten wie möglich niederzusetzen. In ihren Gemächern befanden sich kaum Sessel; sie brauchte sie nicht, sie ging unablässig auf und ab. Ihre Hofdamen waren oft vor Erschöpfung dem Zusammenbrechen nahe.

Der Kaiser und der Kronprinz begleiteten uns äußerst selten. Sie fanden kein Vergnügen an diesen ausgedehnten Märschen und zogen den Pirschgang in die wildreichen Gems- und Hirschreviere vor. Wenn sie von diesen Ausflügen heimkehrten, bildeten ihre Jagderlebnisse den Gesprächsstoff. Wenig erfreulich war mir die Anwesenheit des Bruders der Kaiserin, Herzog Ludwig in Bayern mit seiner Gemahlin Henriette Wallersee Herzog Ludwig in Bayern hatte sich 1859 unter Verzicht auf sein Erstgeburtsrecht mit Henriette Mendel, die zur Freifrau v. Wallersee erhoben wurde, vermählt. Seine Tochter Marie, seit 1877 mit Graf Heinrich von Larisch vermählt (1896 geschieden), war in die Vetsera-Affaire verwickelt. und ihrer Tochter Marie, die zu dieser Zeit meist in Ischl waren. Schon bei der ersten Begegnung mit dieser Familie empfand ich Antipathie. Ihr selbstbewußtes Auftreten, ihre wegwerfenden Bemerkungen, ihr zynisches Lächeln und ihre oberflächliche Konversation ließen sie mir unangenehm erscheinen. Es war schwer, sich bei allen Mahlzeiten, während der wir verwandtschaftlich verkehren mußten, zu beherrschen, um sie nicht meine Abneigung fühlen zu lassen.

Im Verlauf des Jahres 1884 hatten wir noch einen politischen Freundschaftsbesuch bei den rumänischen Majestäten auf dem romantischen Waldschloß Pelesch zu absolvieren, der mir viel Anregung bot und die mir persönlich so wertvolle Verbindung mit Königin Elisabeth, der Dichterin Carmen Sylva, vertiefte. Dank den unerschöpflichen Jagdrevieren dieser rumänischen Gebirgsgegend dürfte der Kronprinz von diesem Aufenthalt ebenso erfüllt heimgekehrt sein wie ich.

*

Wenn nur immer die Repräsentationspflichten und der militärische Wirkungskreis des Kronprinzen es erlaubten oder es sich mit den offiziellen Reisen verbinden ließ, benutzte er jede Gelegenheit, der Jagd nachzugehen. Dieses Vergnügen war bei ihm zu einer Leidenschaft geworden, mit der ich beständig in Widerstreit lag, da sie alle die Zeit in Anspruch nahm, die einem familiären Beisammensein hätten gewidmet sein können. Allerdings ließ es der Kronprinz nie daran fehlen, auch bei noch so kurzer Abwesenheit seiner flinken Feder zu überantworten, was er mir sonst an Herzenswärme entgehen ließ.

Ich erhielt viele Briefe, wie etwa die folgenden:

Berlin, den 19. Oktober 1884.

Theuerster Engel!

Innigsten Dank für Brief und Telegramm. Nach einem sehr mühsamen, gehetzten, sehr kalten, aber interessanten Ausflug nach Lithauen, bin ich heute früh wieder hier eingetroffen.

Es geht mir eigentlich gut, nur bin ich sehr erfroren und etwas müde. Die Nächte in der Eisenbahn, besonders heute, waren sehr empfindlich kalt, und das habe ich nicht gern, besonders nach der warmen Zeit im herrlichen Siebenbürgen.

Die Elchjagd war an einer ganz anderen Gegend, als ich es mir erwartet hatte, noch weiter nach Norden, knapp an der Ostsee. Die Gegenden sind interessant, fürchterlich öde und düster, nichts als Sumpf und niederer Wald. Die Elchjagd selbst war sehr hübsch, lange nicht so leicht, als ich es mir erwartet hatte. Der Elch ist ein ganz unglaubliches Thier, das häßlichste, was man sich nur vorstellen kann, aber dabei imposant groß. Ich schoß meinen Hirsch in einem Triebe, als er eben durch einen Arm des Njemen, deutsch Memel, durch watete; ich gab ihm vier Kugeln. Alles andere werde ich Dir erzählen.

Heute bleibe ich bis fünf Uhr nachmittag in Berlin, fahre dann nach Hubertusstock, wo ich morgen pürsche; nachmittags reise ich hierher, werde am Bahnhof speisen und mit dem 5 Uhr 17 Zug abreisen. Übermorgen gegen 10 Uhr bin ich in Laxenburg, worauf ich mich schrecklich freue.

Dich und Erzsi Erzsi = Erzsébet, d. h. ungarisch Elisabeth. aus ganzem Herzen umarmend, bin ich Dein treuer Coco Coco = familiärer Rufname für Kronprinz Rudolf.

Mürzsteg, den 28. Dezember 1884.

 

Theuerster Engel!

Innigsten Dank für die Telegramme, ich bin so froh zu hören, daß es Dir und der Kleinen ganz gut geht. Gebe um diese Tage sehr acht auf Dich, ich denke fort und fort an Dich und sehne mich schon sehr nach dem 31. nachmittag.

Die heutige Jagd fiel recht schlecht aus. Ich schoß nur drei Thiere und fehlte gar nichts. Die Kälte hat seit gestern und heute früh sehr nachgelassen, ich glaube wir bekommen Thauwetter.

Der Kaiser wünscht, daß wir dem Leopold [Prinz Leopold von Bayern] und Onkel Nando [Ferdinand IV., Großherzog von Toskana] ein Diner geben; es wäre am 31. um halb sechs Uhr. Wenn sie Lust haben, könnte auch Philipp und Louise Die mit dem Prinzen Philipp von Sachsen-Coburg-Gotha vermählte Schwester der Kronprinzessin. kommen. Ein sehr gutes Menü – eine gute Suppe, Austern mit Langouste etc. etc. Als Weine: Den neuen weißen Burgunder mousseux und wenn der noch nicht da ist, dann Burgunder. Außerdem unter jedem Fall neuen Bordeaux, Cherry, Crystal Champagner – Cognac mousseux, türkischen Kaffee. Wenn die Philipps kommen, dann sind wir sechs Personen, da der Kaiser nicht kommt. Sage Buk, daß ich bei meiner Ankunft ein Schaffel-Bad und den Friseur haben möchte und Artillerie-Uniform anziehen werde.

Hast Du nicht vergessen der Familie Mepey kondolieren zu lassen.

Lasse Spindler sagen, daß ich die bestellten Bücher von C. E. Franzos auf meinem Tische finden möchte.

Aus ganzem Herzen Dich und die Kleine umarmend bin ich
Dein treuer Coco.

*

Österreich-Ungarn befand sich zu jener Zeit in einer der verheißungsvollsten Perioden seiner Außenpolitik. Graf Kalnokys Plan war es, nun den Ring der südosteuropäischen Freunde der Monarchie zu schließen und die russischen Einflüsse zurückzudrängen.

Nach unseren politischen Reisen von 1884 galt es daher, zu Beginn des folgenden Jahres auch die südwestlicheren Balkanländer, Montenegro und Griechenland, zu besuchen, besonders, weil Fürst Nikita von Montenegro große Sympathien für Rußland zeigte und weil sich in Athen Großfürst Paul, der Bruder des Zaren Alexander II., seit längerer Zeit aufhielt.

Die beiden Höfe, denen unsere Besuche zugedacht waren, zeigten sich offiziell hocherfreut, in Wirklichkeit aber war dort jene zwiespältige Haltung der Balkanstaaten, an der schließlich die Monarchie sich im wahrsten Sinne des Wortes verbluten sollte.

Als der österreichisch-ungarische Gesandte dem König Georg unseren geplanten Besuch mitteilte, geriet dieser in Verlegenheit und bat, den sonst sehr willkommenen Besuch wenigstens um zehn Tage zu verschieben. Die innerpolitische Situation Griechenlands war damals besonders verwickelt. »Ich bin seit langem krank«, sagte der König dem Gesandten, »habe Bronchialkatarrh, kann nur mühsam sprechen, kaum aus den Augen sehen, und nun hat sich der Zustand auch auf das Gehör geworfen; Sie sehen die Spanischen Fliegen, die ich hinter den Ohren trage. Seit Tagen konnte ich meine Räume nicht verlassen und ich wäre außerstande, die kaiserlichen Hoheiten so zu empfangen, wie ich es gerne möchte. Und dann – Sie kennen ja meine Lage!«

Man mußte höflichkeitshalber auf den Gesundheitszustand des Königs Rücksicht nehmen. Nach einigem diplomatischen Schriftwechsel wurde unser Reiseprogramm dahin geändert, daß nach dem Besuche des Fürsten Nikita ein uns sehr willkommener Abstecher an die syrische Küste eingeschoben wurde, von dem wir dann erst Mitte März über den Piräus zurückkehren sollten.

Wir reisten von Wien bei grimmiger Kälte ab, um uns in Pola mit allen Zeichen eines festlichen Aktes an Bord der Kriegsjacht »Miramar« zu begeben. Unsere Fahrt ging längs der dalmatinischen Küste und bot uns all den Zauber der leuchtend blauen Adria und des kahlen weißen Karstes. Durch den Felsenkessel der weitverzweigten Bocche steuerte unser Schiff Cattaro zu. Tausendfach gab das Echo der montenegrinischen Berge den Schall der Salutschüsse wieder. Zum Empfang war die Marinarizza aufgestellt, die traditionelle Bürgergarde aus der venezianischen Zeit, in einer köstlichen Kleidung, halb Uniform, halb Rokoko-Kostüm.

Nach einer kurzen Besichtigung der Stadt empfingen wir an Bord den Besuch des Fürsten Nikita von Montenegro. Er sowie alle Herren seiner Suite waren im Nationalkostüm der Schwarzen Berge: weißem Mantel, blauen Pumphosen, reich in Gold gestickter, roter Weste und kleinem, schirmlosem Käppi erschienen. Er kam uns äußerst liebenswürdig entgegen und lud uns zu einem Besuch in seiner Landeshauptstadt ein. Unseren Weisungen entsprechend sagten wir uns für die Rückreise an.

Am folgenden Tag zog die albanische Küste mit ihren hochragenden, schneebedeckten Gebirgen vor unseren Augen vorüber. Aus blauen Fluten tauchte das romantische Stück Erde empor, das gleich einer Königin im Ionischen Meer herrscht: das zauberhafte Korfu. Im Hafen lag die Jacht »Nixe« vor Anker. Sie war Eigentum des Erzherzogs Ludwig Salvator, der bald zu uns an Bord kam.

Schon damals führte Erzherzog Ludwig Salvator ein Einsiedlerleben. Selbst seine Familie sah ihn nur bei außergewöhnlichen Anlässen. Wenn er erschien, sah er so verwahrlost aus, daß er allgemeines Entsetzen hervorrief; sein Bart und seine Haare waren struppig und hingen in langen Strähnen herunter. Als er die »Miramar« in Galauniform betrat, war er vollkommen ungepflegt. Wiewohl sein Äußeres grotesk war, kam man leicht darüber hinweg, da sein Humor und überlegener Geist gewinnend wirkten. Er erklärte uns alle Einzelheiten des englischen Turmschiffes Dreadnought, das neben uns an der Boje lag – es war der erste Vertreter jener Klasse von Seeriesen, die für den weiteren Kriegsschiffbau maßgebend wurde.

Die folgenden Tage führten uns an den weißen Riesen des Peloponnes vorbei, um die zackigen Riffe des Kap Matapan und an Kreta vorüber. Manchmal tauchten, uns begleitend, Delphine vor dem Bug des Schiffes auf. Diese Tiere gelten den Seeleuten als heilig; es verfällt, sagen sie, einem frühen Tod, wer einem Delphin etwas zuleide tut. Der Kronprinz aber unterhielt sich mit einem seiner Herren damit, auf diese harmlosen Tiere, zur größten Besorgnis unserer Matrosen, zu schießen.

Vier Tage verbrachten wir bei ruhiger See, bis eines klaren Morgens die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die Gebirgskette des Libanon beleuchteten. Die syrische Küste war erreicht.

Von Beirut aus unternahmen wir die prachtvolle Tour, die ich mir sehnlichst gewünscht hatte, über den Libanon nach Damaskus zu den Gestaden des Euphrat. Ich genoß in vollen Zügen die wechselreichen Szenerien dieser Landschaft.

Wie froh war ich, daß die Änderung unseres Reiseprogramms uns auch noch die Zeit gönnte, die kleinasiatische Küste anzulaufen. Die wundervolle Bucht von Makri umfing uns mit dem aromatischen Duft ihrer Vegetation. Die Schneeketten im Inneren des Landes vereinten sich mit der blauen Fläche des Meeres zu einem ganz einzigartigen Bild.

Dann kam Rhodos mit seiner stolzen Burg Lindos. Ein gigantischer Bau, von starken Mauern umschlossen, erhebt sie sich auf einem Felsen, der nach drei Seiten steil ins Meer abfällt: Auf einem der Felsen stand ein hellenischer Tempel. Marmorquadern, Kapitäle, Säulentrommeln, Mauern mit dorischem Gebälk erzählten von entschwundener Größe. Zwischen den Steinen und Fliesen, den Stufen und herumliegenden Trümmern drängten sich Meerzwiebeln und Anemonen hervor. Auch hier Blumen im herben Wind, Sonne über goldbraunen Marmortrümmern und weit draußen die silberne Flut des bewegten Meeres.

Doch dieses Bild entschwand. Die »Miramar« erreichte den griechischen Archipel. Bei hohem Seegang und heftigem Sturm fuhren wir in den Piräus, den Hafen Athens, in dem uns viele Kriegsschiffe in Flaggenschmuck mit Salut begrüßten. Der österreichisch-ungarische Gesandte erwartete uns schon. Er wurde sogleich vom Kronprinzen empfangen und über die augenblickliche Situation auf das eingehendste befragt.

Bald erschien der König von Griechenland in österreichischer Uniform mit seinem Sohn an Bord, um uns in seinem Land herzlich willkommen zu heißen und uns abzuholen. Die innere Krise war eben beigelegt worden, der König gesundheitlich wiederhergestellt und wesentlich beruhigter, als zur Zeit unserer ersten Ansage. Am Festland war ein Bataillon in malerischer Nationaltracht aufgestellt. Der König geleitete uns zur Bahn, wo ein Hofzug unser wartete. Nach kurzer Fahrt durch eine mit Olivenbäumen bewachsene Gegend hielt der Zug in Athen. Von Königin Olga und Großfürst Paul am Bahnhof begrüßt, fuhren wir im offenen Wagen zur Residenz.

Der Empfang seitens der Bevölkerung war nicht so enthusiastisch, wie wir es erwartet hatten. Kurz vor unserer Ankunft war durch österreich-feindliche Zeitungen die Nachricht ausgestreut worden, daß das nördliche Mazedonien und Saloniki, das von zahlreichen Griechen bewohnt wurde, von Österreich-Ungarn annektiert werden solle. Man behauptete, daß wir bei unserem Aufenthalt in Konstantinopel über dieses Abkommen mit der Türkei einig geworden seien und mit Rußland in Verhandlungen ständen. Die Durchführung derartiger Plane wäre eine Vernichtung der schönsten Hoffnungen des Hellenismus gewesen. Diese Nachrichten hatten auch zur anfänglichen Abneigung des Königs gegen unseren Besuch beigetragen und waren die Ursache der Mißstimmung im Volk. Dagegen berührte uns das ungezwungene, verwandtschaftlich natürliche Benehmen innerhalb der königlichen Familie sehr sympathisch. Das gütige Wesen der Königin zog mich an; ich bin ihr stets verbunden geblieben.

Wir besichtigten auch die Durchsticharbeiten des Isthmus von Korinth, die den Kronprinz lebhaft interessierten. Der Bau war für die Schiffahrt von größter Bedeutung, da durch diesen Kanal der Umweg der Umschiffung der Südspitze Griechenlands vermieden wurde. Sämtliche Arbeiten, die wir in Augenschein nahmen, hätten in eineinhalb Jahren beendet werden sollen. Es erwies sich später, daß die fünfundzwanzig Millionen Franken Aktienkapital nicht hinreichten; die technische Durchführung der Arbeiten war mangelhaft, der Fortgang schleppend. Tatsächlich ist die Durchbohrung des Kanals von Korinth erst im Jahre 1893 vollendet worden. Ich habe das Glück gehabt, gelegentlich einer späteren Fahrt nach Griechenland als erste die Flagge der österreichischen Kriegsmarine durch den Kanal wehen zu lassen.

Nach dem Piräus zurückgekehrt, nahmen wir herzlichen Abschied vom griechischen Königspaar und schifften uns aufs neue ein. Die Klippen des verrufenen Kap Matapan tauchten vor uns auf; den Peloponnes entlang fahrend erreichte die »Miramar« die Insel Korfu, wo uns der österreichisch-ungarische Konsul Baron Warsberg empfing.

Für den zweitägigen Besuch der Insel war ein ungeheures Programm von Besichtigungen und Festlichkeiten entworfen worden, das im voraus mit unserem Obersthofmeister Grafen Bombelles verabredet worden war. Der Kronprinz entschied plötzlich anders. Im letzten Augenblick hatte er sich entschlossen, nicht in Korfu zu landen, sondern die albanische Küste anzulaufen, um an Wildschwein- und Wildtaubenjagden teilzunehmen. Die Verlegenheit, in die Baron Warsberg den Behörden wie auch der Bevölkerung gegenüber dadurch geriet, war höchst peinlich. Er hatte einen möglichst festlichen Empfang ausgedacht, überall hatten die Musikkapellen in den letzten Wochen schon die österreichische Volkshymne eingeübt – nun sollte alles abgesagt werden. Ich schlug deshalb dem Kronprinzen vor, ohne ihn die Stadt und Umgebung zu besuchen.

Ein bildschönes Brautpaar hieß mich willkommen. Sie trugen eine seit dem Mittelalter unverändert gebliebene bunte Tracht. Dann kamen vier Männer und vier Frauen in feierlichem Zuge; jede der Frauen trug einen Korb gefüllt mit Myrthen, Kamelien, Rosen und Obstblüten, die Männer aber stellten mir in Kübeln die vier Hauptbäume der Insel, die Olive, den Lorbeer, die Orange und den Quercus zu Füßen. Ich nahm diese mit nach Lacroma, pflanzte sie dort ein und sah sie nach Jahren schön entwickelt wieder.

Den Kronprinzen holte ich in Albanien ab. Nach einem heftigen Gewitter und Sturm fuhren wir wieder in die Bocche di Cattaro ein, um den Besuch des Fürsten Nikita, unserem Versprechen gemäß, in seiner Hauptstadt zu erwidern. Längs altersgrauen, von Efeu umsponnenen Bastionen führt die kunstvoll gebaute Straße durch südliche Vegetation in weiten Serpentinen immer höher und höher. Auf allen Kuppeln und Gipfeln war österreichisches Militär sichtbar. Immer spärlicher wurde die Vegetation; nur manchmal sah man noch eine dunkle Zypresse, einen verkrüppelten Ölbaum oder duftende Rosmarinsträucher, die letzten Vorposten des Südens in dieser trostlosen Felsödnis. Aber immer großartiger wird das Panorama; die Schneehäupter der herzegowinischen Alpenwelt, die Cernagora mit dem Durmitor wachsen zum Himmel empor, und unten entrollt sich die Bocche mit ihren Inseln und Buchten.

Endlich erreichten wir die durch einen Stein bezeichnete Grenze Montenegros. Hier erwartete uns der Fürst der Schwarzen Berge, umgeben von seinen Ministern, Würdenträgern und seiner berittenen Perjanikengarde, deren wundervolle Pferde und silbergeziertes Sattelzeug einen merkwürdigen Kontrast zu der Einöde, in der wir uns befanden, bildeten. Nach freundlicher Begrüßung, von der glänzenden Reiterschar begleitet, erreichten wir bald einige graue Häuser. Es war Njegus, die Wiege des montenegrinischen Herrscherstammes, einst Hauptstadt der Cernagora; sie führt den Namen: Die fromme Stadt. In einem einstöckigen Haus hat hier Fürst Nikita das Licht der Welt erblickt. Wir sahen viele stattliche Krieger in vollem Waffenschmuck, von wildem, sonnverbranntem Aussehen. Von allen Seiten schlossen mächtige Felsmassen den Weg ein, im Nordwesten ragte der sagenumwobene Lovcen. Von der Paßhöhe aus, auf der noch viel Schnee lag, sah ich die zackigen Berge Albaniens und am Fuße derselben ein mächtiges silberglitzerndes Binnenmeer, den Skutarisee.

In dem breiten Tal zu unseren Füßen zeichneten sich, in spärlichem Grün gebettet, einige Ziegeldächer ab. Das war die Hauptstadt, der wir zustrebten: Cetinje, der Falkenhorst der Schwarzen Berge. Bei einem kleinen Dorf erwartete uns die wunderschöne Fürstin Milena, um mit uns in die festlich beflaggte Stadt einzureiten, Cernagoren bildeten Spalier; sie trugen ein ganzes Arsenal von Dolchen und Pistolen. Nach Landessitte wurde uns Salz und Brot gereicht. Wir stiegen im Konak ab, einem einstöckigen Hause mit einigen besseren Räumlichkeiten. Vor unserem Fenster tanzte unter lautem Geschrei die Menge den Kola, ihren Nationalreigen. Am Hauptplatz sahen wir das Ministerium, ein einstöckiges Gebäude, auf beiden Seiten von einem Pulverturm flankiert. In seinem Inneren war ein langer Gang, von dem die erste Tür in das Ministerium des Äußeren, die zweite in das Ministerium des Inneren führte usw., bis alle Portefeuilles erschöpft waren.

Am Abend leuchteten und glühten die Felsspitzen, die Cetinje umsäumen, von allen Höhen loderten Höhenfeuer auf. Als auf dem Borovinski Vrh unser von der Krone überragtes Monogramm von tausend Lichtern glühte, trat der Fürst auf den Balkon seiner Residenz und brachte ein »Zivio!« auf seine Gäste aus. Nach dreistündigem Aufenthalt erfolgte unter Glockengeläut und Salut unsere Abreise. Der Fürst begleitete uns bis an die Landesgrenze.

Dieser kurze Besuch hat mir den nachhaltigen Eindruck hinterlassen, daß hier ein Volksstamm in einem Staat vereinigt sei, der trotz seiner geringen Größe eine gewisse Macht auf dem Balkan repräsentiere. Volk und Fürst waren eine festgefügte Einheit. Das Land war nicht reich und nicht europäisch zivilisiert, und doch war man sofort eingenommen von der Würde und dem adeligen Stolz, der diese Bergbewohner beseelte. Diese Eigenschaften, gepaart mit vorzüglichen Gaben von Schönheit und Körperkraft, die die Dynastie Montenegros besonders auszeichneten, waren auch der Grund für das hohe Ansehen, das der Fürst und sein Haus bei vielen europäischen Höfen genoß.

Bei unserer Weiterfahrt längs der Küste besuchten wir alle größeren Plätze Dalmatiens; das brachte mir noch unendlich viel Schönes. An den vielen Inseln vorbei glitten wir nach Fiume, wo die Salutschüsse der Eskader uns begrüßten. Abbazia war dann der Endpunkt der wundervollen Reise.

In jenen Jahren war Abbazia erst im Entstehen. Der Direktor der Südbahngesellschaft, der sich um das Aufblühen dieses Erdenfleckes bemühte, hatte unsere Anwesenheit erbeten, um dem im Bau befindlichen Hotel meinen Namen zu geben. Der stille, freundliche Küstenstrich, von den Wellen des Quarnero bespült, gefiel mir unendlich. Ich wollte gern zur Gründung dieses südlichen Kurortes beitragen. Ich erwärmte mich mehr und mehr für das Projekt, und es gelang mir durch Propaganda in Zeitungsartikeln und mit Hilfe erfahrener Mitarbeiter, aus Abbazia und seinen benachbarten Fischerdörfern den vielbesuchten schönen Kurort zu schaffen.

Unsere Reise, überaus reich an herrlichen Eindrücken, war beendet. Die Sehnsucht nach Lorbeer und Oleander, nach Wärme und südlichen Farben blieben dem Kronprinzen und mir stets als Vermächtnis dieser Zeit zurück.

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