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III. Kronprinzessin von Österreich-Ungarn

Am Morgen des 6. Mai 1881 trafen wir in Wien ein. Da nach altem Brauch die Braut des Kronprinzen die Hauptstadt erst unmittelbar vor der Trauung betreten soll, fuhren wir nach Schönbrunn, der kaiserlichen Sommerresidenz, die damals noch etwas außerhalb der Stadt lag.

Der Kaiser, die Kaiserin und sämtliche Mitglieder der kaiserlichen Familie empfingen mich in der Galerie von Schönbrunn. Als ich eintrat, waren aller Augen auf mich gerichtet. Kaiser Franz Joseph trat auf mich zu, umarmte und begrüßte mich in väterlich gütiger Weise. Er stellte mir sodann alle Erzherzöge und die fremden Prinzen vor. Die Kaiserin, die ich schon von Brüssel her kannte, machte mich mit den Erzherzoginnen bekannt. Nachdem diese zeremonielle Vorstellung vorüber war, umringten mich die Geschwister meiner Mutter und deren Kinder, die alle meines Alters waren, um mich in ihre Arme zu schließen. Ihr wohlwollendes und zärtliches Entgegenkommen bedeutete für mich eine Beruhigung; ich vermochte in ihren Augen zu lesen, daß ich sie schon gewonnen hatte. In ihrer Nähe fühlte ich mich vom ersten Augenblick an sicher und heimisch. Eine nur fehlte in diesem Kreise, die ich schmerzlich vermißte – meine Schwester Louise. Sie hatte am 30. April eine Tochter, Dorothea, geboren und war deshalb verhindert, an den Festlichkeiten teilzunehmen, welche Beruhigung, welche Freude, welche Unterstützung wäre es für mich gewesen, wenn ich sie an meinem Hochzeitstage um mich gehabt hätte!

Nachdem ich meine neue Familie kennengelernt, wurde mir die hohe Geistlichkeit, alle Minister, die Hofwürdenträger und der gesamte Hofstaat vorgestellt. Eine lange Reihe von Damen und Herren zog an mir vorüber, meist Träger der alten Adelsnamen der Monarchie. Die große Marschalltafel vereinigte dann die ganze glänzende Gesellschaft. Es war der Beginn der Festwoche, die für uns veranstaltet wurde.

Am 7. Mai fand in der kleinen Galerie von Schönbrunn eine Familientafel statt, an der alle Mitglieder des Kaiserhauses, mein Onkel, der Prinz von Wales, der nachmalige König Eduard VII. von England, mein Vetter Prinz Wilhelm von Preußen mit seiner Gemahlin und viele andere Fürstlichkeiten teilnahmen. Der Kronprinz und ich saßen zur Seite des Kaiserpaares. Der Tisch war reich mit schwerem Gold gedeckt und bot ein prachtvolles Bild; nur die Blumen des Tafelschmuckes waren mit der verschwenderischen Fülle, die ich von Zuhause gewohnt war, nicht zu vergleichen. Das Ballfest am Abend erhöhte noch den Eindruck der Herrlichkeit. Aber das Zeremoniell, das viel strenger als in Brüssel war, erschien mir drückend.

Der 8. Mai begann mit dem Empfang der vielen Abordnungen von allen Völkerschaften der Monarchie in ihren malerischen Kostümen, die uns ihre Glückwünsche und Geschenke darbrachten. Die Stadt Prag ließ mir eine edelsteingeschmückte Kassette mit prächtigen Ansichten überreichen, Galizien sandte einen wundervoll geschnitzten Schrank, eine andere Abordnung brachte mir einen mit allen Wappen der Kronländer gezierten Paravent. Der Vorbeimarsch der Deputationen und die Empfänge währten Stunden, der Cercle mußte bis zum Nachmittag verlängert werden. Am Abend sollte in Schönbrunn ein großes, von der Stadt vorbereitetes Volksfest gegeben werden. Der Bürgermeister hatte den Kaiser gebeten, entweder bei diesem Fest oder nachmittags im Prater zu erscheinen. Der Kaiser hatte sich für die Praterfahrt entschieden, zu der der ganze Hof befohlen wurde. Der Himmel verfinsterte sich gegen Mittag, trotzdem stand eine dichtgedrängte Menschenmenge auf dem ganzen Weg. In 62 Equipagen begab sich der Hof zur bestimmten Stunde in den Prater. In dem ersten Wagen saßen Kaiser Franz Joseph und mein Vater, in dem zweiten der Kronprinz und ich, in dem folgenden meine Mutter und die Kaiserin. Schon am Praterstern gab es eine Stockung. Die Wagen, die bis dahin Schritt fahren mußten, kamen der ungeheuren Menschenmenge wegen nicht mehr vorwärts, sie waren plötzlich im Gewühl festgekeilt. Wiederholt erhob sich Kaiser Franz Joseph in seinem Wagen und rief: »Ich bitte etwas Platz zu machen.« Aber auch das half nicht, die Neugier und Begeisterung des Volkes waren stärker. Schließlich bahnte sich Fürst Hohenlohe, der erste Oberhofmeister, den Weg bis zum Kaiser und meldete, es sei angesichts des Menschengewühls unmöglich, die beabsichtigte Wagenfahrt fortzusetzen. Ein Truppenaufgebot machte mühsam einen Seitenweg soweit frei, so daß die Hofwagen von der Allee ablenken und die Sophienbrücke erreichen konnten. Tausende von Wienern, die den ganzen Tag deshalb im Prater zugebracht hatten, wurden so um das prächtige Bild der Ausfahrt des ganzen Hofes gebracht. Den Schluß des Tages bildete das Volksfest im Park von Schönbrunn, wo ein feenhaftes Feuerwerk die ganze Umgebung in Licht badete und unsere Initialen R und S auf dem dunklen Nachthimmel erstrahlen ließ.

Inzwischen hatte die Stadt Wien für meinen Einzug und feierlichen Empfang gerüstet. Blumengewinde umschlangen jedes Haus, überall wehten die belgischen Farben. Von allen Seiten regnete es Blüten und wir fuhren auf Rosenblättern. Bei der Elisabethbrücke war ein Triumphkuppelbau entstanden. Mein Einzug mußte – so verlangte es die Vorschrift – von der Favorita, Maria Theresias einstigem Lustschloß, nun als Theresianum Erziehungsanstalt für die Söhne des Adels, aus erfolgen. Am Morgen des 9. Mai brachte man mich mit meiner Mutter dorthin.

Die prachtvolle Staatskarosse, welche bereits der großen Kaiserin Maria Theresia gedient hatte, von acht herrlichen schlohweißen Lippizanerhengsten in prunkvollen Goldgeschirren gezogen, holte mich und meine Mutter in der Favorita ab. In feierlichem Zug, unter Kanonendonner, Glockengeläute und nicht endenwollendem Jubel, der von Liebe und Treue der Bevölkerung zum Herrscherhaus Zeugnis gab, zog ich in die Hauptstadt meines künftigen Kaiserreiches ein. Die goldfunkelnden Wagen und Pferde, die Vorreiter, Lakaien und Kutscher in ihrer steifen spanischen Mantelgala mit gepuderten Allongeperücken bildeten ein einzigartiges Schauspiel. Über die Augustinerstraße führte der Weg zur Hofburg. Truppen in voller Parade hielten die Straßen frei. Am Abend fand ein Galadiner statt, und die Illumination der ganzen 5tadt beschloß den Einzugstag.

*

Am frühen Morgen des 10. Mai, meinem Hochzeitstag, kam meine Mutter zu mir, um sich mit mir in die Hofkapelle zu begeben, einer heiligen Messe beizuwohnen und in tiefer Andacht die heilige Kommunion zu empfangen.

Dann begann meine Mutter, unterstützt von meiner lieben Toni, mich mit aller Sorgfalt und Liebe anzukleiden. Mein Brautkleid aus schwerem Silberbrokat war ein Wunder an Schönheit, Girlanden und Silberrosen waren in meine Courschleppe eingewebt. Ein langer Schleier aus Brüsseler Spitzen, das Geschenk der Stadt Brüssel, war mit einer Diamantagraffe festgehalten. Myrthen und Orangeblüten durchflochten das herrliche Diadem, das Kaiser Franz Joseph mir überreicht hatte. An der Seite trug ich den Sternkreuzorden. Er war an eine Brillantmasche befestigt, die einst Kaiserin Maria Theresia getragen hatte. In der Hand hielt ich das wundervolle Gebetbuch in spitzenumhülltem Einband, das mir meine Mutter mitgab, sowie den goldenen, edelsteingeschmückten Fächer der Brüsseler Damen mit reizenden Malereien auf Elfenbein.

Meine liebe kleine Schwester trat ein, mich zu bewundern. Sie war in ihrem rosa Kleidchen, mit ihren großen Augen und langen blonden Locken das schönste kleine Mädchen, das man sich vorstellen konnte. Erstaunt, mich so zu sehen, rief sie begeistert: »Du bist eine entzückende Braut! Wie schön du bist!«

Ich aber fühlte mich in diesem Augenblick eher wie eine Märtyrerin. Mein Vater trat mit ernstem Ausdruck auf mich zu: »Meine Tochter«, sagte er, »vergiß nie deine Pflichten gegen Gott, deinen Gatten und das Vaterland! Sei deiner Stellung würdig, werde die Mutter deiner Völker, ein Schutzengel für alle die, welche Ursache haben zu weinen und die leiden. Erinnere dich, daß die schönste Krone die der Tugend ist.«

Wie recht hattest du, lieber Vater! Es gibt nur eine Krone, die uns niemand rauben kann – jene, die erfüllte Pflichten verleihen.

Ich kniete vor meinen Eltern nieder, um ihren Segen zu empfangen und sie um Vergebung des Kummers zu bitten, den ich ihnen etwa je bereitet. Dann drückte ich mein geliebtes Schwesterchen und meine gute Toni fest an mein Herz, küßte Onkel und Tante von Flandern, die stets so gütig zu mir gewesen – dann war ich bereit.

Es schlug zehn Uhr. Man meldete den Beginn der Zeremonie. Pagen aus dem Theresianum übernahmen das Tragen meiner Schleppe. Der feierliche Zug bewegte sich durch die Säle und die mit flämischen Gobelins geschmückten Gänge der Hofburg, um sich in die Augustinerkirche zu begeben. Alles war in Festtracht, in goldflimmernden Uniformen, mit allen Orden geschmückt. Der ungarische und polnische Adel in seinen malerischen Kostümen, die Damen in kostbaren prachtvollen Courschleppen mit reichem Geschmeide. Nach dem großen Vorantritt kamen Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth, die ihren Sohn Rudolf in ihrer Mitte führten. Dann folgte ich zwischen meinen Eltern. Hinter uns gingen alle geladenen Fürstlichkeiten und die Mitglieder des Kaiserhauses in endlosem Zug.

Die von offiziellen Persönlichkeiten dicht gefüllte Augustinerkirche erglühte in Purpur. Alle Bänke, Sitze und vergoldeten Sessel waren mit Samt bedeckt, die Wände mit schwerem, rotem Damast überspannt, mit kostbaren, altflämischen Gobelins behängt, der Boden war mit Teppichen belegt.

An der Schwelle der Kirche empfing uns der Kardinal Fürst Schwarzenberg in vollem Ornat, umgeben von den Erzbischöfen und Bischöfen, dem ganzen hohen Klerus und einer zahlreichen Geistlichkeit. Er reichte das Weihwasser und führte uns zu dem vor dem Altar bereiteten Brautschemel. Links vom Altar erhob sich der Thron für die Monarchen Österreichs und Belgiens. Auf Hunderten größerer und kleinerer Leuchter flimmerten Wachskerzen. Die tiefen Akkorde der Orgel durchbrausten das Gotteshaus. Unter großer Assistenz begann das Hochamt, welches der Kardinal zelebrierte. Dann brach die Orgel ab, die Chöre verstummten, lautlose Stille herrschte. Sich umwendend ergriff der Kardinal das Wort zu einer feierlichen Ansprache: »Die Ehe ist nicht, wie die Welt häufig behauptet, ein Vertrag, der den Ehegatten gegenseitig Rechte verleiht, sondern das Geheimnis, das die Seelen zweier Wesen für die Ewigkeit bindet.«

Dann erscholl unser beider feierliches »Ja«. Wir wechselten die Ringe. Es waren dieselben, die einst Kaiserin Maria Theresia, unsere Ahnfrau, und ihr Gemahl Kaiser Franz getragen. In diesem Augenblick erzitterten die Kirchenfenster von dröhnenden Geschützsalven, alle Glocken der Stadt erklangen und verkündeten weit hinaus über die ganze Hauptstadt die feierliche Eheschließung. Wie ein einziges, ungeheures Tosen ging der Jubelschrei durch das Volk. Die Regimentskapellen spielten die Hymnen beider Länder. Ich war Kronprinzessin von Österreich-Ungarn.

Meine Blicke suchten die meiner Eltern. In ihren Augen leuchtete stolze Genugtuung und Befriedigung, sie lächelten mir zu. Eine neue Lebensperiode öffnete weit ihre Tore. Ich trat ein, die besten Vorsätze im Herzen, nicht von dem Wunsche geleitet, in eigenem Glück und Wohlergehen zu schwelgen, sondern in der festen Absicht, die Erwartungen, die man von mir hegte, nicht zu enttäuschen.

Mein belgischer Hofstaat trat von meiner Seite zurück, meinem neuen den Platz einräumend.

Der feierliche Akt war beendet. Wir erhoben uns. Am Arm meines Gatten durchschritt ich mit demselben Zeremoniell wie vorher alle Räume; wir kehrten in die Hofburg zurück. Dort versammelten sich das Kaiser- und Königspaar, das Erzhaus und alle Fürstlichkeiten, um uns ihre Glückwünsche auszudrücken. Nach dem nicht enden wollenden Cercle folgte ein Galadejeuner in den prächtigen Zeremoniensälen.

Nach dieser Feierlichkeit wurde mein Brautkleid gegen ein Nachmittagskleid vertauscht. Die Trennungsstunde schlug. Ich nahm Abschied. Aller Augen standen voll Tränen – wir konnten uns von meinen Eltern, meiner geliebten Schwester, meiner unvergeßlichen Toni Schariry und allen Belgiern, die uns begleitet hatten, nicht losreißen. Da erschien der Kronprinz. Er teilte uns mit, daß die Abfahrtszeit gekommen sei und nicht länger verschoben werden könne, und so führte er mich fort.

Es war nebelig und trüb. Fröstelnd und völlig erschöpft, lehnte ich in den Kissen des Wagens. Allein mit einem Mann, den ich kaum kannte, überkam mich im Zwielicht des hereinbrechenden Abends ein Gefühl furchtbarer Bangigkeit. Die Stunde schien nicht enden zu wollen. Der Wagen rollte zwischen Feldern auf einsamer Straße durch eine reizlose, melancholische Gegend. Matt nur erhellten die Laternen des Wagens den Weg. Wir wußten uns nichts zu sagen, wir waren uns völlig fremd. Vergeblich wartete ich auf ein zärtliches oder liebevolles Wort, das mich aus meiner Stimmung erlöst hätte. Meine Ermüdung, vermischt mit den verworrenen Empfindungen von Furcht und Einsamkeit, steigerte sich zu einer schweren, hoffnungslosen Verzweiflung. Ungeweinte Tränen brannten in meinen müden Augen.

Bei unserer Ankunft in Laxenburg war am Fuß der Hauptstiege unsere ganze Suite aufgestellt: der Obersthofmeister des Kronprinzen Graf Bombelles, seine Ordonnanzoffiziere Hauptmann Bakalowits und Hauptmann Eschenbacher, sein Sekretär Oberst Spindler und andere Herren. Dazu mein Obersthofmeister Graf Andor Palffy, meine Oberhofmeisterin Gräfin Sitta Nostitz-Thun, meine Hofdamen Gräfin Marie Waldstein und Gräfin Fanny Palffy.

Unsere Räume, zu denen wir sogleich geführt wurden, lagen im Blauen Hof, gegenüber der Schloßkirche. Ich erwartete schöne, freundliche Appartements. In allen Zeitungen war zu lesen gewesen, es seien vierzehn Gemächer, welche man seit Wochen renoviert und neu möbliert habe. Als wir in die für uns vorbereiteten Gemächer traten, schlug uns eine modrige, atembenehmende eisige Kellerluft entgegen. Nicht eine blühende Pflanze, keine Blume, um meine Ankunft zu feiern, um etwas Freude und Heiterkeit in diese ungenügend erleuchteten Zimmer zu bringen! Nichts schien hergerichtet. Nirgends lagen weiche, schmeichelnde Teppiche, kein Toilettetisch, kein Badezimmer, nur ein Lavoir auf einem dreibeinigen Schemel. Ich möchte annehmen, daß man in Laxenburg seit der Niederkunft der Kaiserin Elisabeth im Jahre 1856 nichts verbessert hatte. Die Betten, Matratzen und Vorhänge stammten allem Anschein nach aus dieser Zeit. Nichts erweckte die Empfindung von Wärme und Behaglichkeit.

Verlassen und getrennt von allen denen, die ich liebte, allein, einer völlig fremden Umgebung ausgeliefert, vor Erregung und Anstrengung fiebernd, war mir, als habe niemand daran gedacht, der jungen Frau ein Heim zu bereiten, das der künftigen Kaiserin von Österreich würdig war. Niemand, so fühlte ich hilflos und verlassen in dieser Stunde, hatte an jene kleinen Aufmerksamkeiten gedacht, die nicht viel bedeuten, aber dennoch dem Herzen teuer sind. Zu allem Überfluß empfing mich eine alte, gemein aussehende Kammerfrau, die ein schauerliches, mir ganz unverständliches Deutsch sprach. Sie glich einer Hexe.

*

Welche Nacht! Welche Qual, welcher Abscheu! Ich hatte nichts gewußt, man hatte mich als ein ahnungsloses Kind zum Altar geführt. Meine Illusionen, meine jugendlichen Träumereien waren vernichtet. Ich glaubte, an meiner Enttäuschung sterben zu müssen.

Mich fror, ich zitterte vor Kälte, Fieberschauer durchrieselten mich. Es herrschte ein schreckliches Wetter, Regen und Schnee schlugen an die Fenster – Schnee am 11. Mai, während in Belgien der Frühling siegreich Einzug hielt! Ein brennendes Heimweh bemächtigte sich meiner. Nur ein Gedanke beherrschte mich: Fort! Allein, eine Fremde unter Fremden, kannte ich niemand außer meiner Obersthofmeisterin, Gräfin Sita Nostiz. In meiner Seelenangst wandte ich mich an sie, ihr eröffnete ich mein Leid. Wie eine Mutter nahm diese gütige Frau mich in ihre Arme und sprach zu mir wie zu einem kranken Kind. Voll Mitgefühl für meine Enttäuschung fand sie Worte der wärmsten Zuneigung und aufrichtigen Teilnahme.

Allmählich faßte ich wieder Mut. Von Natur aus unerschrocken und heiter, versuchte ich den Aufruhr meines Herzens zu meistern, das sich gegen den Mangel an Zartgefühl aufbäumte. Ich suchte in Gottergebung den Trost für mein Opfer, das meine Kräfte zu übersteigen schien, und so wurde ich ruhiger.

Gegen Mittag erschien mein Gemahl bei mir. Er sprach über verschiedenes und bat mich dann, ihm bei der Beantwortung der zahlreichen Glückwünsche zu helfen, die fortwährend aus allen Ländern einliefen. Er bat mich, die Antworten in das Französische und Englische zu übersetzen, da ihn diese Arbeit langweile. Das Eis des Schweigens und der gegenseitigen Befangenheit schien zu weichen. Ich begann zu schreiben, zu plaudern und mich aufzuheitern.

Mit Spazierfahrten und Jagden in der Umgebung, mit Empfängen, offiziellen Dejeuners und Diners verliefen meine Flitterwochen. Wo aber blieb das Glück, das frohe und innige Zusammenleben zweier Menschen?

*

So verflossen die Wochen bis zu unserer Abreise nach Ungarn. Ich konnte den Reisetag, der mich von Laxenburg wegführen sollte, kaum erwarten. Ungarn! Nun durfte ich das Sonnenland kennenlernen, das schon meine Kindheit mit farbigen und wunderbaren Träumen umwoben hatte. Nun sollte ich sie hören, diese melodische Sprache, die meine Mutter gesprochen, diese melancholische, bezwingende Musik, diese Lieder voll süßem Rhythmus, die meine Mutter gesungen! Ich würde den Ungarn sagen können, daß ich als Enkelin ihres unvergeßlichen Palatin stolz sei, zu ihrer künftigen Königin ausersehen zu sein, daß mein Herz ihnen entgegenfliege, daß ich mir ihre Liebe und Dankbarkeit gewinnen möchte.

Wir bestiegen den Sonderzug, der uns nach Budapest bringen sollte. Unser Triumphzug begann bereits in Preßburg. In jeder Station steigerte sich die Begeisterung. In Budapest wuchs sie zu wahrem Freudentaumel. Überall wehte die belgische Fahne, sich brüderlich mit der ungarischen Trikolore vermählend, die schönen Klänge der Brabançonne, der belgischen Nationalhymne, mischten sich mit denen des Kaiserliedes.

Ein herrlicher, sonniger Maientag sah unseren Einzug. Vom Bahnhof bis hinauf nach Ofen zu der königlichen Burg, die stolz den mächtigen Strom beherrscht, stand Kopf an Kopf eine unabsehbare, festlich gekleidete Menschenmenge. Alles drängte an unseren Wagen, wollte uns sehen, ein Lächeln erhaschen. Wir kamen kaum vorwärts. Die Luft erdröhnte von brausenden Eljenrufen. Der Empfang übertraf alles, was ich erwartet hatte. Ich war wie berauscht. Verflogen schien mir aller Kummer. Ich war glücklich.

Acht Tage dauerten die Festlichkeiten, Soireen, Empfänge und Besuche aller öffentlichen und kirchlichen Institute. Unter allen Kundgebungen zählt zu meinen schönsten, unauslöschlichen Erinnerungen der erhebende Tag, an dem der Empfang im Magnaten- und Abgeordnetenhaus stattfand. Zu diesem Fest trug ich die Nationaltracht der ungarischen Damen, den golddurchwirkten Schleier und die Schürze. Mein Kleid und mein Courmantel waren aus hellblauem, goldgesticktem Brokat. Als Schmuck hatte ich das prachtvolle ungarische Geschmeide, Kollier, Ohrringe, Gürtel, Kette und Miederspangen angelegt, das ein Geschenk der Stadt Budapest war. Man hatte dazu fast eineinhalb Kilo Gold, zweiunddreißig große, tausend kleinere Brillanten, dreihundert Opale und vier prachtvolle Rubine verwendet.

So betrat ich den großen, dicht gefüllten Parlamentssaal, in dem uns der Kardinal, Fürstprimas von Ungarn, umgeben von den Großen des Landes in ihren herrlichen, edelsteinübersäten Magnatenkostümen empfing. Die Schönheit der Männer, ihr vornehmes Aussehen entzückte mich; die meisten waren groß und schlank und hatten wunderbar gleichmäßige Züge. Schon in Belgien hatte ich unter Leitung meiner Mutter eine Rede in ungarischer Sprache auswendig gelernt. Ich wollte der Nation für den ergreifenden Empfang danken und meine Freude aussprechen, eine zweite Heimat gefunden zu haben, eine Heimat, die ich schon in meiner Kindheit lieben gelernt hatte. Ich wollte mein Gelöbnis erneuern, treu für das Ansehen, das Gedeihen des tausendjährigen Vaterlandes zu wirken. Ich wollte Ungarn bitten, mir jene Gefühle zu schenken, welche Volk und Thron aneinanderschmieden.

Kaum hatte ich die ersten Worte gesprochen, so mußte ich innehalten, um den Ausbruch der nicht enden wollenden Begeisterung abzuwarten, den meine Worte hervorriefen. Endlich, nach Minuten stürmischer Kundgebungen, gelang es mir, ohne den Faden meiner Rede verloren zu haben, sie fortzusetzen. Aber auch diesmal war es unmöglich, sie zu beenden. In leidenschaftlicher Begeisterung wurden die Kalpaks in die Luft geworfen, brausender Beifall durchzitterte den Saal, die Schranken der Etikette wurden durchbrochen – hingerissen und zugleich ehrerbietig drängten sich die Magnaten um mich, jeder wollte mir die Hände küssen.

Der Kronprinz, geschmeichelt und befriedigt von dem Eindruck, den ich hervorgerufen hatte, beglückwünschte mich. Mein Obersthofmeister Graf Andor Palffy war sehr stolz auf seine Prinzessin, lobte mich sehr und wünschte mir weitere Erfolge.

Durch solche Kundgebungen lernte ich die Empfindungen kennen, welche die Herzen meiner Eltern erfüllten, wenn ihnen ihr Volk zujubelte – nur mit dem Unterschied, daß der feurige Enthusiasmus der ungarischen Nation, ihre überschwengliche Bezeugung der Treue und Verehrung im Westen unbekannt ist.

Diese eine Woche hatte genügt, um aus meinem jugendlichen Denken alles zu verwischen, was bittere Enttäuschungen hinterlassen hatten. Aber die Anstrengungen dieser Lage und die großen Eindrücke trugen zu einer Erkrankung bei. Das lange Aufbleiben, die ununterbrochenen Repräsentationspflichten, die Angst, einen Fehler zu begehen, meinen Gemahl nicht zufriedenzustellen – das war eine zu schwere Last für meine siebzehn Jahre. Als ich in Schönbrunn anlangte, mußte ich mich zu Bett legen. Die Ärzte verordneten vierzehntägige vollkommene Ruhe. Meine Schwester Louise, die ihr Wochenbett beendet hatte, eilte auf meinen Wunsch zu mir. Ich hatte das Bedürfnis, ihr mein Herz auszuschütten. Als sie bei mir eintrat, erschien sie mir wie ein Sonnenstrahl. Die Jahre der Trennung und der Entfremdung waren ausgelöscht, Unsere gleichen Erlebnisse schmiedeten uns inniger aneinander. Auch ihre Ehe war ihr ja, wie mir die meine, aus politischen Gründen in unreifen Jahren aufgedrängt worden. Louise und ich blieben einander ergebene Freundinnen, eng verbunden, bis zu der unglücklichen Stunde, da unsere Wege sich trennen mußten. Prinzessin Louise mußte nach ihrer Trennung vom Prinzen Philipp 1906 aus dem Sachsen-Coburg-Gothaischen Familienverband ausscheiden.

*

Kaum war ich wiederhergestellt, begann die Fortsetzung der geplanten Festlichkeiten. Anfang Juni reisten wir nach Prag, das für die nächste Zeit zu unserer Residenz bestimmt war. Die nationale Empfindlichkeit der Tschechen, die unseren Besuch unmittelbar nach dem in Ungarn forderten, hatte meine Erkrankung schon als einen Vorwand, sie zurückzusetzen, aufgefaßt. Graf Taaffe, der Minister des Inneren, förderte die Slaven der Monarchie in jeder Weise. Auf unser baldiges Erscheinen in Prag legte man besonderes Gewicht. Die Stadt, die damals noch vorherrschend deutsch war, zeigte leider schon erbitterte Nationalitätenkämpfe zwischen Deutschen und Tschechen. Unser Bestreben sollte es sein, ausgleichend und vermittelnd zu wirken und so zu zeigen, daß die Dynastie über den Parteien stand. Deshalb wurde der Kronprinz zum Kommandanten der 18. Infanteriebrigade ernannt.

Unser Empfang in Prag war ebenso feierlich wie aufrichtig. Die Stadt war festlich beflaggt, Triumphbogen überspannten die Straßen, in denen eine unabsehbare Menschenmenge wogte. Am Bahnhof begrüßte uns der Kardinal Fürst Schwarzenberg, der uns getraut hatte. Feldzeugmeister Freiherr von Philippovich erwartete uns an der Spitze der Truppen. Unter den Klängen der Volkshymne und der Brabançonne hielten wir unseren Einzug. Wie ein Zittern der Freude und der Befriedigung ging es durch die Menge. Von patriotischen Kundgebungen geleitet, zogen wir in den Hradschin, der mächtigen Residenz der Könige von Böhmen, ein.

Von den Empfangsräumen und Privatzimmern, die zu unserer Verfügung standen, genoß man eine wundervolle Aussicht auf den Lauf der Moldau und auf die Stadt, deren Tore, Türme und Kirchen im Sonnenlicht funkelten. Der Kronprinz hatte in Wien bei Portois & Fix moderne Möbel gekauft, die er mir schenkte, um mein Zimmer wohnlicher und weniger steif als in Laxenburg zu gestalten.

Im Hradschin wurden wir von der dort lebenden Witwe Kaiser Ferdinands I., der 78jährigen Kaiserin Maria Anna, begrüßt. Sie hatte nach dem 1875 erfolgten Tode ihres Gemahls ein sehr zurückgezogenes Leben geführt und sich hauptsächlich der Wohltätigkeit gewidmet, wir brachten etwas Abwechslung in ihr einförmiges stilles Dasein. Ich mußte sie oft besuchen. Sie erzählte von Wien, von der Zeit, da sie Kaiserin gewesen, und gab mir Ratschläge für meine verantwortliche Stellung. Als Tochter Viktor Emanuels von Sardinien war sie ihrer Heimat immer treu geblieben. Trotz fünfzigjährigem Aufenthalt in Österreich hatte sie nicht Deutsch gelernt, man mußte sich im Gespräch mit ihr der französischen oder italienischen Sprache bedienen.

Nun begann eine anstrengende Zeit. Wochenlang mußten wir Deputationen aus allen Städten Böhmens empfangen. Diners, Audienzen, Theatervorstellungen, Besuche von Anstalten, Wohlfahrtsinstituten, Museen füllten unsere Tage auf das gründlichste aus. Die Ermüdung durch diese unausgesetzten Repräsentationspflichten, im Verein mit der veränderten Lebensweise, griffen meine Gesundheit aufs neue an. Eine Luftveränderung durch einen Aufenthalt im Gebirge wurde vorgeschlagen, wir bezogen eine Villa bei Salzburg, um die Sommermonate mit unserem Gefolge dort zuzubringen.

Ende Juni sah ich Salzburg wieder. Die belebende Luft der Gebirgslandschaft, die heimliche Ruhe erwärmten mein Herz, das der Frost des Lebens berührt hatte. Ich erholte mich rasch und konnte mit meinen Damen die herrliche Gegend durchwandern. Die Umgebung von Salzburg bietet dem Wanderer reiche Freuden, die ich in vollem Maße auf mich einwirken ließ. Meine Umgebung war bestrebt, mir alles zu gönnen, was mir Vergnügen bereitete. Wir beschäftigten uns viel mit Musik und Malerei und studierten die Geschichte und die Gebräuche des Landes, während der Kronprinz im Hochgebirge jagte, wohin ich ihn, der Anstrengungen wegen, nicht begleiten durfte. Ich benützte die Abwesenheit meines Gemahls, um mich von der mir widerwärtigen Dienerin zu befreien, die man mir als Kammerfrau zugeteilt hatte. Mit Hilfe der Herren meines Gefolges gelang es mir, sie zu entlassen, ohne dadurch den Kronprinzen zu reizen. Gräfin Nostitz, die alles vermied, was mir Unannehmlichkeiten bereiten konnte, und mir stets Beweise ihrer Sorgfalt gab, suchte ein passendes junges Mädchen aus gutem Wiener Bürgerkreise für meinen Dienst und stellte in der Folge ein wohlerzogenes weibliches Personal für mich zusammen.

In der Nähe von Salzburg befindet sich Schloß Kleßheim, wo wir oft weilten. Es war der Sommersitz des Bruders des Kaisers, des Erzherzogs Ludwig Viktor. Sein Schloß war meist mit Gästen gefüllt. Er versammelte interessante und angenehme Menschen um sich.

Ende August riefen uns unsere Pflichten wieder nach Prag. Ich war fest entschlossen, mir ein wohnliches Heim zu gründen, zwischen meinem Mann und mir aufrichtige und freundschaftliche Beziehungen zu schaffen. Ich begann, seinem militärischen Beruf, den von ihm bevorzugten Wissenschaften und auch seinen Jagden mein ganzes Interesse zu widmen. Aber meine Ansichten, meine Gewohnheiten, mein Geschmack zählten nicht, ich mußte sie begraben. Ich hatte nur das zu tun, was mir vorgeschrieben wurde und was der Kronprinz anordnete. Es hieß, zu folgen und sich zu beugen. Wie anders hatte ich mir meinen Wirkungskreis vorgestellt: ein Leben voll Interessen, voll Tätigkeit, voll Pflichten! Statt dessen lebte ich in einer Welt von Konventionen und äußerlichen Formen.

Der Kronprinz war durch seine militärischen Pflichten sehr in Anspruch genommen. Er brachte seine Tage mit den Offizieren in der Kaserne zu. Meistens kam er erst um drei Uhr zu einer Mahlzeit nach Hause. Nach aufgehobener Tafel ging er auf die Jagd, ritt aus oder arbeitete mit seinen Offizieren. Ich sah ihn eigentlich nur während der gemeinsamen Jagdausflüge. Man brach dann zeitig auf und kehrte erst spät abends todmüde zurück. Die nächstliegenden Jagdgebiete waren Hostiwitz, Hoøelitz und Beraun, wo es Rotwild, Wildenten, Rebhühner, Hasen und Fischottern gab. Die Jagd war die Haupt- und Lieblingsbeschäftigung des Kronprinzen, die sich zu einer alles beherrschenden Leidenschaft ausbildete. Deshalb wurden nur solche Herren eingeladen, die mit der gleichen Passion der Jagd huldigten. Unter ihnen befand sich auch der Jagdmaler Franz von Pausinger, dessen ausgezeichnete Darstellungen der Tierwelt in der Tat von dem hervorragenden Talent des bedeutenden Künstlers zeugen. Pausinger zeichnete im Auftrag des Kronprinzen eine Menge jagdlicher Szenen, von denen er viele in meiner Gesellschaft geschaffen hat.

Als unsere Heirat im Winter 1880 auf einige Zeit verschoben worden war, hatte der Kronprinz einen Ausflug in die Levante unternommen, die er in dem Buch »Eine Orientreise« schilderte. Aber auch an den heiligen Stätten von Jerusalem und Bethlehem dachte der Kronprinz nur an die Jagd. Dort war es, wie er erzählte, wo er einen toten Esel erstand, den er ins Gelände schleifen ließ, damit er als Lockspeise für Geier, Schakale und Feneks diene. Sogar bei den Pyramiden von Gizeh wurde mit Hilfe von Arabern eine Schakaltreibjagd veranstaltet, auf der viele dieser Tiere erlegt wurden. Der Kronprinz hatte zahllose gebleichte Schädel und Jagdtrophäen mitgebracht, die dann alle in unseren Räumen aufgehängt wurden.

Der Kronprinz war merkwürdig mißtrauisch. Wenn er zuhaus war, durfte ich ihn keinen Augenblick verlassen. Ich mußte in seinem Zimmer bleiben, auch während er Offiziere und andere, mir bisweilen unsympathische, Leute empfing. Da ich dabei weder lesen noch schreiben konnte, beschäftigte ich mich mit Handarbeiten für wohltätige Zwecke oder zeichnete. Briefe schreiben durfte ich nicht, sogar die an meine Eltern wurden vor ihrer Absendung gelesen.

Während der Jagdausflüge, an denen ich nicht teilnehmen konnte, wurde ich streng überwacht. Der Kronprinz hatte den Befehl gegeben, während seiner Abwesenheit niemand außer meinen Damen bei mir vorzulassen. Selbst die Herren meines Gefolges konnte ich nur in Anwesenheit meiner Obersthofmeisterin empfangen. Die männliche Dienerschaft durfte nur unter Begleitung meiner Kammerdienerinnen meine Zimmer betreten. Die einzige Freiheit, die mir gestattet wurde, bestand in Ausfahrten mit der diensttuenden Hofdame. Ich kutschierte meine Lippizaner selbst, was mir viel Vergnügen bereitete.

Die Einladungen zu den prachtvollen Jagden auf den ausgedehnten, wundervollen Besitzungen des böhmischen Hochadels waren mir eine willkommene Abwechslung. Von Aufmerksamkeiten und Zuvorkommenheiten überhäuft, verbrachte ich immer sehr anregende Stunden in ihrem interessanten Kreis. Mit manchen von ihnen verbindet mich heute noch aufrichtige Freundschaft.

Schon damals hatte ich die Wichtigkeit der Beziehungen zwischen Adel und Dynastie erkannt. Leider verstand der Wiener Hof weder den hohen Adel zu schätzen noch ihn an sich zu ziehen. Einige Mitglieder der kaiserlichen Familie ausgenommen, hatten weder der Kaiser noch die meisten Erzherzöge Sympathie und Verständnis für den Adel. Seine Selbständigkeit, seine Stellung, sein stolzes Auftreten erregten Mißfallen. Es war ein großer Fehler, sich den Adel zu entfremden. So verlor er gegenüber Dynastie und Volk an Bedeutung.

Auch der Kronprinz hatte für den Adel nicht viel übrig. Leider hatte er seine Ansichten in einer 1878 erschienenen Broschüre niedergelegt. Unter dem Schutz der Anonymität sprach er sich rückhaltlos aus. Er schilderte die österreichische Aristokratie als eine zwar mächtige, aber untätige und verfallene Gesellschaftsklasse, welche sich vom Staats- und Militärdienst zurückhalte, um ein Nichtstuerleben zu führen. Er schrieb unter anderem kritisierend: »Die Sommermonate werden auf den Schlössern zugebracht. Besuche und Sport füllen die Tage. Im Herbst bilden Jagden die Hauptbeschäftigung, der Winter wird in der Stadt zugebracht, um Bälle, Soireen und Theater zu genießen, und im Mai beginnt der Landaufenthalt aufs neue.« Dies Programm, meinte der Kronprinz, genüge dem Adel völlig, spurlos gingen die Probleme der Zeit an den Trägern der großen Namen vorüber.

Ich gebe zu, daß manche Mitglieder des Adels über ihrem frivolen und egoistischen Leben vergaßen, daß ihre Stellung ihnen ernste Verpflichtungen auferlegt. Aber ein so hartes Urteil, wie das aus der Feder des Kronprinzen, machte sich nicht gut, zumal er ja selbst viel seinen Vergnügungen und besonders der Jagd lebte. Der Unterschied lag wohl mehr in der Lebensauffassung als in den Lebensformen.

Unsere Besuche auf den Schlössern des Adels endeten nicht selten mit peinlichen Auseinandersetzungen. Von Natur leicht aufbrausend und äußerst eifersüchtig, geriet der Kronprinz in Zorn, sobald er nur das geringste Zeichen von Bewunderung und Interesse bemerkte, das mir galt. Heimgekehrt, mußte ich mich dann auf mein Zimmer zurückziehen und durfte nur die diensthabende Hofdame sehen. In meiner Unerfahrenheit verstand ich überhaupt nichts von dem und fragte meine Oberhofmeisterin, ob denn alle jungen Frauen in der Abwesenheit ihres Gatten so streng bewacht würden. Solche Vorkommnisse trugen nicht dazu bei, unsere Beziehungen inniger zu gestalten.

*

Ein politisch wichtiges Ereignis forderte unsere Rückkehr nach Wien. Das italienische Königspaar hatte sich zu einem offiziellen Besuch angesagt. Der erste Schritt hierzu war nicht von Wien ausgegangen; der österreichische Botschafter in Rom hatte die Weisung erhalten, in der Angelegenheit keinerlei Initiative zu ergreifen. Es waren aber verschiedene Umstände eingetreten, die es der italienischen Dynastie wünschenswert erscheinen ließen, mit Österreich in freundschaftliche Beziehungen zu treten.

Der Irredentismus in Italien, der den Besitz von Triest und Trient anstrebte, stand in enger Verbindung mit der republikanischen Partei des Landes, so daß der König keine Ursache hatte, diesen Bestrebungen Gehör zu geben. Außerdem war die öffentliche Meinung auf das äußerste gegen Frankreich erbittert, dessen schroffes Vorgehen in Nordafrika die italienischen Interessen empfindlich schädigte. Französische Truppen waren in Tunis eingerückt, in ein Gebiet, dessen Besitz Italien anstrebte. Der Bey von Tunis war im Jahr 1881 gezwungen worden, die französische Oberherrschaft anzuerkennen. In Italien erscholl ein einstimmiger Ruf der Entrüstung. Aber Italien allein war nicht stark genug zum Kriegführen. So suchte der König im Interesse seines Landes und zur Befestigung seiner eigenen Stellung den Anschluß an die Mittelmächte. Die italienische Regierung erhielt aber von Bismarck die Antwort, daß der Weg nach Berlin über Wien führe.

König Humbert war schon im Februar 1881 in Wien gewesen. Er kam Ende Oktober wieder, um mit Kaiser Franz Joseph persönlich die Bedingungen für die Aufnahme Italiens in den Zweibund zu besprechen.

Am 27. Oktober, einem prachtvollen Herbsttag, empfingen der Kaiser und der Kronprinz, umgeben von allen Erzherzogen, das italienische Königspaar am Südbahnhof. Kaiserin Elisabeth, ich und alle Erzherzoginnen erwarteten sie in der Hofburg. Die Begrüßung war sehr herzlich. Am selben Tag fand ein Galadiner, eine Festvorstellung und Illumination statt.

Am folgenden Tag ließ mich Kaiserin Elisabeth zu meinem großen Erstaunen zu sich rufen. Sie teilte mir in ihrer etwas zurückhaltenden Art mit, daß ich schon alle Herzen gewonnen habe, und daß sie glücklich sei, eine Schwiegertochter zu besitzen, die sie würdig vertreten könne. Sie knüpfte daran den Wunsch, ich möge in Zukunft das ihr so lästig fallende offizielle Erscheinen an ihrer Stelle übernehmen.

Kaiserin Elisabeth verabscheute die Etikette und flüchtete gern in die Einsamkeit, fern von den Sitten und Gebräuchen des kaiserlichen Hofes. Sie beabsichtigte, sich nicht mehr zu zeigen und den Festlichkeiten und Zeremonien fernzubleiben. Diese Sklaverei, diese Marter, wie sie die Pflichten ihrer Stellung nannte, sei ihr verhaßt. Sie war als junges Mädchen nicht zu der hohen Bestimmung erzogen worden, zu der sie später berufen wurde. Sie war der Ansicht, daß Freiheit jedes Menschen Recht sei. Ihre Vorstellung vom Leben glich einem schönen Feentraum von einer Welt ohne Gram und Zwang.

Ich erkannte die Schwere der Verantwortung, die mir aufgebürdet wurde, und unterschätzte die Schwierigkeiten dieses Auftrages nicht. Aber ich mußte mich dem Wunsch der Kaiserin fügen und bat sie nur, mir, der erst Siebzehnjährigen, ihre Unterstützung nicht zu versagen.

So fiel mir die schwierige Aufgabe zu, die Königin von Italien überallhin zu begleiten, ihr Wien und seine Sehenswürdigkeiten zu zeigen, obwohl ich selbst noch fast eine Fremde war. Diese wundervolle Frau, Königin in ihrem ganzen Wesen, war sehr gebildet, in der Literatur und Kunstgeschichte wohl bewandert und stellte mir infolgedessen recht eingehende Fragen. Als wir eine der alten Kirchen besuchten, verlor ich die Fassung und wurde verlegen – ich kannte weder deren Geschichte noch die Zeit ihrer Erbauung. Da ergriff die Königin meine Hand und sagte mir freundschaftlich: »Mein liebes Kind, erlauben Sie mir, Ihnen folgendes zu raten: Studieren Sie eingehend alles, was sich auf Ihr Land bezieht! Auf diesen Kenntnissen beruht die Größe einer Herrscherin. Das Interesse an allem und jedem erweckt Sympathie und Liebe.« Der gute Rat der Königin erfüllte mich mit Dankbarkeit. Sehr bald suchte ich diese Lücken meines Wissens auszufüllen.

Am Abend dieses Tages hatte ich auf Befehl der Kaiserin die Ehre, den Sternkreuz-Orden an die Schulter der Königin Margherita zu heften.

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Die großen Anforderungen, die ununterbrochen an mich gestellt wurden, hatten meine sonst so kräftige Gesundheit abermals erschüttert. Ich war seit Oktober in voller Entwicklung, ohne daß mir die Möglichkeit geboten war, mich zu pflegen und ein wenig zu schonen. Ich hatte keine Ruhe, man verlangte unser Erscheinen bald da, bald dort. Wir mußten uns zeigen, lächeln, sprechen, empfangen, Einladungen annehmen, Feste und Theater besuchen.

Im November 1881 waren wir auf der Reise nach Siebenbürgen, wo der Kronprinz ein Schloß als Ausgangspunkt für die Bären- und Wildschweinjagden in den Karpathen gemietet hatte. Unsere Ankunft in Siebenbürgen, in diesem schönen, unbekannten Land, das von der Dynastie zurückgesetzt wurde, rief aufrichtige Freude hervor. Bauern und Frauen aus dem Volk mit ihren Kindern knieten am Weg nieder und küßten mein Kleid. Die Magnaten überboten einander in schönen Empfängen. Sie holten uns selbst ab und lenkten die nach ungarischer Art eingespannten Viererzüge; einige von ihnen begleiteten uns mit den vielen, reich geschmückten Banderien.

Das Land ist sehr interessant, und seine Geschichte hängt eng mit der Ungarns zusammen. Siebenbürgen war stets ein Teil Ungarns, jedoch ein selbständiger Staat, in dem die Magyaren und Sachsen die führende Rolle spielten. Ein gemeinschaftlicher tausendjähriger Bestand vereint Transsylvanien mit Ungarn. Träger einer alten Kultur, Herren der Städte, der Industrie und des Handels, bilden die Magyaren und Sachsen die Herrenschicht des Landes. Die Walachen, jetzt Rumänen genannt, spielten damals eine nur untergeordnete Rolle.

Die siebenbürgische Bevölkerung ist schön und ihre Tracht sehr malerisch. Unter den jungen Bauern begegnet man auffallenden Erscheinungen mit so regelmäßigen Zügen, daß sie an klassische Skulpturen gemahnen. Dieses legendenreiche Land und seine schwermütigen Bewohner fesselten mich. Seit den ersten in Siebenbürgen verbrachten Tagen entstand eine immer inniger werdende Zuneigung zwischen mir und dem Volk. Bei jedem Aufenthalt steigerte sich mein Interesse für dieses Gebiet der Monarchie.

Bei unserer Rückkehr nach Prag waren meine Tage den Besuchen von Kirchen, Klöstern, Schulen, Spitälern und Wohltätigkeitsanstalten in und außerhalb der Stadt gewidmet. Kaiser Franz Joseph legte großes Gewicht auf die Tätigkeit der Kronprinzessin und ihre Beziehung zu allen Klassen der Bevölkerung. Das war nicht leicht. Das Bürgertum und die intellektuellen Kreise zeigten ein zurückhaltendes Wesen. Was das Volk anbelangt, so ist es nicht so rasch zu gewinnen und zu führen wie die Ungarn. Doch hätte man mit Gerechtigkeit und Ausdauer einen günstigen Einfluß auf diese im Grunde loyale und tüchtige Bevölkerung ausüben und das Gleichgewicht der Nationalitäten herstellen können.

Es blieb mir wenig Zeit für meine Lieblingsbeschäftigungen. Die langen Winterabende waren dem Studium der ungarischen und kroatischen Sprache gewidmet, die der Kronprinz und ich zusammen lernten. Der Winter in Prag war hart, es herrschte grimmige Kälte; selten nur drang die Sonne durch die grauen Nebel des Moldautales. Ich war an ein so strenges Klima nicht gewöhnt. Ein schwer zu bekämpfendes Heimweh nach meinen Eltern und der lieben kleinen Schwester erfaßte mich.

Beim Herannahen der Karwoche berief mich die Kaiserin nach Wien, um sie wieder zu vertreten. Sie wollte sich den Mühen nicht unterziehen und diese Corvée, wie sie die Zeremonien nannte, nicht mehr mitmachen.

Die Feierlichkeiten der Karwoche waren schön und ergreifend. Sie stammten aus der Zeit der Größe der Habsburger. Das unter Karl V. eingeführte Zeremoniell wurde noch mit dem ganzen spanischen Prunk eingehalten. Die Feierlichkeiten begannen am Mittwochnachmittag mit einer wundervoll gesungenen Mette in der Hofburgkapelle. Der Kaiser, die ganze kaiserliche Familie, die Hofwürdenträger, der Adel, die Geheimen Räte und Kämmerer, das diplomatische Korps, die Minister, Generale und Offiziere nahmen daran teil. Die Damen waren schwarz gekleidet und trugen sechs Meter lange Courschleppen; ein schwarzer Spitzenschleier bedeckte die Haare, fiel bis auf die Schleppe herab und umhüllte die ganze Gestalt. Diese Toilette kleidete große und schlanke Frauen vortrefflich, aber sie war nicht leicht zu tragen. Man mußte erst lernen, sich in ihr zu bewegen, zu gehen und zu grüßen. Das dreimalige Niederknien, das Herabneigen zu dem am Boden liegenden Kreuz am Karfreitag mußte eingeübt werden und hat mancher Dame des Hofes schwere Stunden bereitet.

Am Gründonnerstag folgten wir zur Erinnerung an die rührende symbolische Handlung unseres Heilandes seinem Beispiel. Unter Beihilfe der Erzherzöge wusch der Kaiser zwölf Greisen, ich als Vertreterin der Kaiserin unter Beihilfe der Erzherzoginnen zwölf Greisinnen, die man aus dem Armenhaus ausgewählt hatte, die Füße. Das zwölfmalige Niederknien und Aufstehen war eine Kunst, aber, im Geiste der Demut getan, sicher verdienstlich. Die Auferstehungsprozession am Samstag bildete den Abschluß der Zeremonien. Sie war ein Schauspiel von seltener Prachtentfaltung – eine großartige Kundgebung des Glaubens.

Ich habe mich diesen Aufgaben nie zu entziehen gesucht. Ich hielt sie für meine Pflicht, für einen frommen Beweis meiner Ehrfurcht vor den seit Jahrhunderten überlieferten Gebräuchen der katholischen Kirche.

Im Juni wollte das Kaiserpaar den Besuch des Königs und der Königin von Italien erwidern. Der Kronprinz und ich sollten den Kaiser begleiten – ich in Vertretung der Kaiserin, die dadurch dieser Verpflichtung enthoben war. Um meiner Aufgabe halbwegs gewachsen zu sein, nahm ich italienische Stunden und vertiefte mich in die Geschichte des Landes. Ich freute mich unsagbar auf diese Reise. Welches Glück für mich, Rom zu sehen, die ewige Stadt!

Aber plötzlich wurde alles abgesagt.

Die politischen Schwierigkeiten, die diesem Besuch entgegenstanden, werden verständlich, wenn man sich erinnert, daß der Vatikan sich weder mit der 1860 erfolgten Annektion der Gebiete des Kirchenstaates, noch mit der Usurpation Roms im Jahre 1870 hatte abfinden können. Die Spannung zwischen dem Heiligen Stuhl und dem König des geeinigten Italien war im Gegenteil seit der Thronbesteigung Leos XIII. nur noch schärfer geworden. Der Heilige Vater fühlte sich selbst in den Mauern des Vatikans schutzlos und erwog die Verlegung seines Sitzes in ein anderes katholisches Land. In einem Briefe an den Kaiser Franz Joseph aus dem Jahre 1881 beklagte sich der Papst über die Feindseligkeit der Regierung gegen das Papsttum; er betonte seine eigene Unsicherheit in seiner Residenz und verhehlte dem Kaiser den Plan einer Verlegung seines Sitzes nicht.

Die Verhandlungen über den Beitritt Italiens zum Zweibund wurden zwar vor der Öffentlichkeit streng geheimgehalten, doch war ihr Verlauf dem Vatikan genau bekannt. Wie schwer mußte den Papst die Nachricht treffen, daß der Kaiser von Österreich und apostolische König von Ungarn sich mit König Humbert, dem »Bedrücker der Kirche«, verbünde! Die Erwiderung des Besuches König Humberts durch den Kaiser in Rom mußte dem Papst als eine Kränkung erscheinen. Kaiser Franz Joseph beantragte deshalb, seinen Besuch in Monza oder Florenz zu machen. Diesen Vorschlag lehnte nun aber die italienische Regierung ab. Es war unmöglich, auf den Papst Rücksicht zu nehmen und gleichzeitig den König zu befriedigen. Daher unterblieb diese Reise ganz – eine Entscheidung, die beide Teile kränkte.

Wir verblieben mehrere Wochen in Wien, die ausgefüllt waren von Besuchen aller möglichen Wohlfahrtsanstalten, nicht nur im Zentrum der Stadt, sondern auch in den Vororten und Arbeitervierteln. Mein häufiges Erscheinen trug mir bald die Zuneigung der Bevölkerung Wiens, besonders der Arbeiter und Kleinbürger, ein.

Einen Teil des Sommers des Jahres 1882 verbrachten wir auf dem kaiserlichen Schloß in Reichstadt in Nordböhmen. Das Schloß ist von herrlichen, wildreichen Wäldern umgeben, die für einen Weidmann, wie den Kronprinzen, von besonderer Anziehungskraft waren.

Später reisten wir noch nach Siebenbürgen. Der Zug rollte durch die unabsehbare Pußta. Unendliche Flächen goldener Ähren wiegen sich und wogen im Wind, und am Horizont verschwimmt Himmel und Erde in dem blauen Dunst der Ferne. Lange Reihen von großen weißen Rindern mit gewaltigen gebogenen Hörnern schreiten einher. Da und dort hebt sich gegen den tiefblauen Himmel ein hochragender Ziehbrunnen ab. Das Ziel unserer Reise war das schöne Schloß Boldogfalva des Grafen Kendefy, im Süden Siebenbürgens. Der Kronprinz hatte das Schloß als Ausgangspunkt für seine Gemsjagden in den Karpathen gemietet. Ich benutzte die Tage, die ich allein mit meinen Damen verbrachte, um in der reizenden kristallklaren Szamos zu fischen.

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In diesem Jahre fanden die deutschen Kaisermanöver in Breslau statt. Da der Kronprinz seinerzeit die Einladung zu der Hochzeit des Prinzen Wilhelm abgelehnt hatte, war eine erneute Absage ausgeschlossen. Kaiser Franz Joseph legte großes Gewicht auf die Annäherung der künftigen Herrscher. Wir sollten uns bemühen, das Verhältnis der beiden Monarchien wärmer zu gestalten, wobei meine nahe Verwandtschaft mit der Kronprinzessin Victoria, meiner Tante, dieser Absicht zustatten kommen sollte. Der Kronprinz, einmal für diese Idee gewonnen, ließ es dann an dem nötigen Auftreten nicht fehlen. Er verstand es, wenn es ihm lohnend erschien, bei aller Pracht- und Machtentfaltung, seinem Erscheinen, eine persönliche, gewinnende Note zu verleihen, die dann selten ihre Wirkung verfehlte. Auch von mir verlangte er für diesen Besuch ausgesuchteste Eleganz der Toiletten und des Schmuckes. Die Gespräche wurden eingehendst vorbereitet, von mir und dem Kronprinzen gemeinsam durchberaten und dann festgelegt.

Als wir nach Breslau kamen, fanden wir drei Generationen des deutschen Kaiserhauses versammelt: den greisen Kaiser Wilhelm, seinen Sohn, den Kronprinzen Friedrich mit seiner Gemahlin Victoria, den Prinzen und Prinzessin Wilhelm von Preußen und sämtliche anderen Mitglieder der Familie Hohenzollern. Unsere Aufnahme war herzlich, ja freundschaftlich. Mich zog besonders die Güte der kunstsinnigen und feingebildeten Prinzessin Victoria an. Ich habe mich mit ihr und ihrer Tochter Charlotte sehr gut verstanden; unsere freundschaftliche Zuneigung und unser Gedankenaustausch brachte uns viele ungetrübte Stunden. Unsere Freundschaft dauerte bis zu ihrem Tode.

Das militärische Bild, das sich uns bot, war herrlich. Die schönsten Regimenter der deutschen Armee waren aufgeboten, um dem österreichischen Kronprinzen ein eindrucksvolles Schauspiel zu bieten. Die Parade kommandierte der Kronprinz Friedrich, der ein prachtvolles englisches Pferd ritt. Niemand sah ihm die Todeskrankheit an, deren Keim wohl schon damals in ihm lag und der er kurz nach dem Ableben seines Vaters zum Opfer gefallen ist.

Gegen Ende September führte uns die Eröffnung einer interessanten Ausstellung nach Triest. Aus diesem Anlaß kam der Kaiser mit den Mitgliedern der kaiserlichen Familie selbst in die Hafenstadt. Es war das fünfhundertste Jahr der Zugehörigkeit Triests zu Österreich. Der politische Charakter der kaiserlichen Reise war natürlich geeignet, die eben angebahnten guten Beziehungen zu Italien zu gefährden. Man betrachtete die Feier als Demonstration, und einige fanatische Irredentisten beschlossen, die Gelegenheit zu benutzen, um auf die kaiserliche Familie ein Attentat zu verüben.

Während wir uns Triest näherten, wurde in Nabresina, auf der Höhe des Karstplateaus, ein Mann verhaftet, der uns nach dem Leben getrachtet hatte. Es war ein Triestiner, Wilhelm Oberdank, der von seinem Regiment desertiert und nach Italien geflüchtet war, um sich dort der radikalen Dichtung des Irredentismus anzuschließen. Als er von unserem bevorstehenden Besuch erfuhr, wollte er sich, mit Bomben versehen, nach Triest begeben, um seine dunkle Tat auszuführen; andere Verschwörer folgten auf verschiedenen Wegen. Oberdank wurde aber durch einen Doktor Fabris Basilisko, der sich eine Zeitlang in Rom als Irredentist ausgegeben hatte, an die österreichische Regierung verraten, auf unserem Gebiet verhaftet und dann hingerichtet. Den anderen Verschwörern gelang es, zu entkommen.

Am Abend des zweiten Tages beabsichtigte der Lloyd Triestmo ein Fest auf dem Dampfer »Berenice« zu geben. Das Deck war in einen herrlichen Ballsaal verwandelt, und das ganze Schiff und der Hafen zu unserem Empfang geschmückt worden. Eben im Begriff, mich anzukleiden, erfuhr ich die Absage des Balles und zugleich den Grund. Im letzten Augenblick hatte man entdeckt, daß irgend jemand von der Mannschaft dem Schiff ein Leck beigebracht hatte. Wäre man nicht rechtzeitig auf das eindringende Wasser aufmerksam geworden, so hätte das Schiff sinken müssen, während das Fest sich in vollem Lange befand. Der Vorfall konnte geheimgehalten werden, da an diesem Abend Sturm und Unwetter herrschten und die Absage dadurch begründet erschien. Man kann sich aber vorstellen, unter welchen Vorsichtsmaßregeln das Festprogramm der folgenden drei Tage abgewickelt wurde.

Für uns war als Wohnsitz Schloß Miramare bestimmt. Welch paradiesischer Fleck Erde! Dieses Feenschloß mit seinen blendenden Terrassen, seinem Blick auf das schillernde Meer, seinen immergrünen üppigen Gärten, seiner unvergleichlichen Stille versetzte meine Seele in eine ungewohnt frohe Stimmung. Das war eine Entschädigung für die Trockenheit eines Zusammenlebens ohne gegenseitiges Verständnis, ohne geistige Erhebung, ohne Liebe und Glauben. Auf diesem kahlen Felsen hatte Erzherzog Maximilian dieses entzückende Märchenschloß, diesen blühendsten Park entstehen lassen für seine Gemahlin, meine Tante Charlotte. Hier hatten sie Jahre des ungetrübten Glückes verlebt, bis sie als Herrscher von Mexiko dem unheilvollen Wagnis entgegenschifften. Hier war es auch, wo die arme Kaiserin Charlotte zusammenbrach, als sie, nach all ihren Erwartungen und tapferen Kämpfen grenzenlos enttäuscht, begriff, daß ihr Gemahl hilflos dem Verderben preisgegeben war.

Während unseres Aufenthaltes in Miramare machten wir viele Feste mit. Die gelungensten waren stets die an Bord von Kriegsschiffen. Die prächtigen Eskaders lagen gegenüber dem Schloß vor Anker. Wir besuchten sie oft, und aus dieser Zeit stammt das warme Interesse, welches ich der Flotte stets entgegengebracht und das ich ihr bis zu ihrem tragischen Ende treu bewahrt habe.

Unser rastloses Leben lief weiter. Nach kurzen Jagden in den Donauauen waren wir abermals nach Siebenbürgen unterwegs, wo uns die Bevölkerung mit überschwenglicher Freude empfing. Wir hatten in allen Kreisen die Herzen gewonnen. Der ganze Adel des Landes war herbeigeeilt, um uns zu huldigen; unter ihm lernte ich vorzügliche Menschen kennen, Männer von Seelenadel und Vaterlandsliebe.

Wir hatten uns bemüht, das Schloß Görgény Szent Imre, welches der Kronprinz als Jagdhaus gekauft hatte, so bequem und gemütlich als möglich einzurichten, um unsere stets zahlreichen Gäste empfangen zu können. Der Kronprinz verbrachte viele Tage auf der Jagd. Der Schwierigkeit und Gefahren der Bärenjagd halber konnte ich ihn nicht begleiten. Dies gab mir Zeit, Pläne zu schmieden für die notwendigsten Maßregeln zur Verbesserung der dürftigen Lebenslage der ärmlichen Bevölkerung. Einige meiner Vorschläge wurden aufgenommen und durchgeführt. Das war mein schönster Lohn. Die Verhältnisse in Siebenbürgen waren unsagbar primitiv. Ich begriff nicht, warum man früher niemals sein Augenmerk diesem Land zugewandt hatte.

Der militärische Dienst rief den Kronprinz nach Prag zurück. Dort hatte ich die Freude, meine Schwester Louise und ihren Gatten einige Wochen als unsere Gäste bei uns zu sehen. Ihre Anwesenheit half mir über das gefürchtete Alleinsein mit dem Kronprinzen hinweg.

Weihnachten und Neujahr sahen uns in diesem Winter im Schloß Gödöllö bei Budapest, wo der Kaiser und die Kaiserin sich aufhielten und unsere Anwesenheit während der Feiertage verlangten. Diese schöne Zeit, wenn alle Glocken in nächtlicher Stille ertönen und ihr Schall feierlich Friede und Versöhnung verkündet, ist das Hochfest der Familie. Unser warteten wohl ein reichgezierter Baum und kostbare Geschenke auf den Gabentischen, aber das Beste von allem fehlte: die Liebe, die Innigkeit des Familienlebens.

Wir verblieben noch in Ungarn, um als Gäste meines Schwagers und meiner Schwester auf ihren schönen Besitz unweit Gödöllö zu gehen. Prinz Philipp hatte Jagden für den Kronprinzen veranstaltet. Bei ihnen fand man stets eine angenehme zwanglose Gesellschaft, sie waren zuvorkommende Gastgeber. Um diese Zeit herrschte grimmige Kälte. Der Schnee lag meterhoch; die ganze Gegend war ein Eisfeld. Dennoch begleiteten wir die Herren im offenen Schlitten, der einige Male umkippte. Meine Schwester war schon recht abgehärtet, ich aber noch nicht, und bei dieser Gelegenheit erfror ich Hände und Ohren.

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All dies war nicht sehr angezeigt für den Beginn meiner Schwangerschaft. Obwohl ich kräftig und gesund war, wurde mir Ruhe, ein sehr regelmäßiges Leben ohne Ermüdung und Aufregung verordnet. Man untersagte mir außer meinen Spaziergängen jede Bewegung, selbst die Wagenfahrten. Ich mußte auch auf alle Besuche der Wohltätigkeitsinstitute, die ich gegründet hatte, verzichten; diese Entbehrung fiel mir am schwersten, da ich mich nun nicht mehr selbst von deren Fortschritten überzeugen konnte und mich auf andere verlassen mußte. Meine treue Oberhofmeisterin, die sehr besorgt war, mich in guter Stimmung zu erhalten, umgab mich mit tausend Beweisen ihrer mütterlichen Zuneigung. Sie verschaffte mir schöne Bücher, interessante künstlerische Werke und versuchte auf jede nur mögliche Weise mir über die Einförmigkeit des mir verordneten Lebens hinwegzuhelfen. Meine beiden Hofdamen trugen auch dazu bei; sie waren sehr begabt, die eine spielte meisterhaft Klavier, die andere zeichnete und malte.

Nun sollte also die Leere meines Herzens ausgefüllt werden! Vielleicht, so hoffte ich, würden an der Wiege unseres Kindes Bande der Zuneigung sich knüpfen, die bisher unserer Ehe versagt waren.

Besuche meiner Schwester und einiger Mitglieder des Kaiserhauses unterbrachen die Eintönigkeit der mir endlos erscheinenden Wintertage.

Dem Kronprinz gab mein Zustand zunächst Anlaß, sich soviel wie möglich zu entfernen. Jagd und Militärdienst gaben dazu den Vorwand. Sein Hang zu unbeschränkter Selbständigkeit, seine Neigung zu rastlosem Leben konnten sich jetzt ungehemmt entfalten. Seine reiche schriftstellerische Tätigkeit vermehrte, obgleich sie ihn befriedigte, seine innere Unruhe. Die geistigen Fähigkeiten des Kronprinzen traten stärker und stärker hervor, und in der Ungebundenheit, mit der er sich gab, erschien er als das Urbild eines liberalen Fürsten, wie es der Zeit vorschwebte. Seine originellen und scharfsinnigen Feuilletons und das große Werk »Die österreich-ungarische Monarchie in Wort und Bild«, das er angeregt hatte und leitete, gab ihm Gelegenheit, viel mit hervorragenden und wertvollen Männern, mit Schriftstellern und Leuten von der Presse zu verkehren; leider aber auch mit sogenannten Freunden, die er da und dort kennengelernt hatte – einer Art Menschen, die sonst nicht an den Hof kam. Ich fürchtete sie damals instinktiv, obwohl ich sie nicht nach ihrem Wert oder Unwert zu beurteilen vermochte.

Und doch fand sich in diesen Monaten meiner Erwartung ein wärmerer Ton zwischen meinem Gatten und mir. Im Gemüt des Kronprinzen war eine neue reine Saite angeschlagen. Mit einem zaghaften Glücks- und Dankgefühl empfand ich das. Alle Menschen zeigten mir Freundlichkeit, selbst durch die Schranken des Zeremoniells spürte ich eine Güte, die mir, vor allem beim Kaiser, wohl tat.

Als der Kronprinz nach Wien gereist war, um seinem kaiserlichen Vater das zu erwartende Ereignis mitzuteilen und zugleich den dort weilenden Prinzen Wilhelm von Preußen zu begrüßen, schrieb er mir:

Wien, den 29. April 1883

Theuerster Engel! In allen hier wiedergegebenen Briefen wurde die Originalorthographie beibehalten.

Innigsten Dank für Deinen lieben Brief und die Telegramme. Der Kaiser läßt Dich vielmals grüßen und Dir gratulieren, er hat eine fürchterliche Freude; Mama habe ich nach Baden-Baden geschrieben. Ich konnte Dir unmöglich früher schreiben, kein Augenblick freie Zeit blieb mir übrig.

Wilhelm unterhält sich sehr gut; ich muß ihm 3000 fl leihen – auf unbestimmte Zeit! Den Kaiser unterhalten diese Geschichten sehr gut. Heute abends fahren wir nach Steyermark, Mittwoch kommen wir zurück; an diesem Tage abends habe ich noch ein Diner beim Prinzen Reuß, dann reise ich ab. Donnerstag früh bin ich in Prag; an demselben Tage abends 7 Uhr kommt Wilhelm an.

Sage Spindler Oberst Heinrich Ritter von Spindler, Chef des Sekretariats des Kronprinzen., daß am Donnerstag abends 8 Uhr ein sehr gutes Souper dinatoir für drei Personen bereit sein muß.

Am Freitag früh ist die Parade. Für Freitag muß ein sehr gutes Diner vorbereitet werden.

Beiliegenden Brief schicke dem Hofrat Ehmig; falls Ehmig nicht mehr in Prag ist, soll Spindler den Brief dem alten Fürst Rohan übergeben oder ihn nach Sichrow schicken. Beiliegenden Zettel gebe Dorntreil oder Spindler, es ist die Verteilung der Pferde für die Parade.

Ich muß schließen, da ich mit Wilhelm in die Kunstausstellung fahren muß. Aus Neuberg werde ich Dir morgen länger schreiben.

Gebe sehr gut acht auf Dich und den Waclaw »Waclaw« im tschechischen Volksmund etwa wie im Deutschen »Michel«; gemeint ist der erhoffte Knabe. sei sehr vorsichtig und denke an mich.

Aus ganzem Herzen Dich umarmend Dein treuer
Rudolf

Im April wurde im ganzen Reich verkündet, daß ein Thronfolger zu erwarten sei. Die Nachricht löste überall freudigen Widerhall aus. Einem alten Brauch zufolge mußte die Geburt des Thronerben in der Nähe der Haupt- und Residenzstadt erfolgen. Unser Aufenthalt in Prag näherte sich somit seinem Ende, und wir übersiedelten nach Laxenburg, das zu unserem Sommersitz bestimmt wurde. All die häßlichen Eindrücke, welche dieser Ort in mir wachrief, sollte das kostbare Kleinod, das ich unter dem Herzen trug, auslöschen. Meine Gedanken und Tage waren ausschließlich der Erwartung meines Kindes und den Vorbereitungen gewidmet. Je näher der bedeutungsvolle Zeitpunkt kam, um so emsiger war ich in der Auswahl meines Personals, der Wäsche, der Wiege, der Amme, der Zimmer. Nichts durfte fehlen. Ich wollte meinem Erstgeborenen einen würdigen Empfang bereiten.

Nach zweijähriger Trennung sollte ich endlich meine geliebte Mutter wiedersehen. Sie kam am 4. August. Wir waren, als sie mich in ihre Arme schloß, beide zu ergriffen, um sprechen zu können. Kaum hatte sie sich in ihre Gemächer zurückgezogen, eilte ich zu ihr, glückselig, sie in meinem Heim, unter meinem Dach zu haben. Ich lechzte nach Nachrichten von meinem Vater, von der lieben kleinen Schwester, von all denen, die ich zurückgelassen hatte und vermißte. Doch was mich am meisten bedrückte, blieb zwischen uns unausgesprochen. Ich durfte meiner Mutter mein Leid nicht anvertrauen, sie hätte mich feige gescholten – sie, die lächelnd, ohne Klage ein gleichschweres Los würdig ertrug.

Die warme Stimme der Königin, ihre strahlende Erscheinung, die alle Herzen im Sturm gewann, versagten ihren Zauber auch auf den Kronprinzen nicht. Ich hoffte, es würde ihr gelingen, die angebahnte Innerlichkeit unseres Zusammenlebens zu festigen, ihn zu einer anderen Auffassung von der Ehe zu bringen als jene, die er bislang bewiesen hatte. Ich war gewillt, ihm Freundin und Gefährtin zu sein, mit ihm zu arbeiten und die Liebe und Zuneigung des Volkes zu erringen.

Meine Schwester Louise und die nächsten Verwandten meiner Mutter waren gleichfalls nach Laxenburg gekommen. Die folgenden Wochen verstrichen im engen Familienkreis. Kein Mißton störte sie.

Es war an einem glühenden Spätsommertag. Die Sonne schien in die offenen Fenster, als wollte sie die Neuangekommene mit ihrem Strahlenglanz umfangen – Prinzessin Elisabeth, die an jenem Sonntag um 7 Uhr früh das Licht der Welt erblickt hatte. Die Geburt war schwer, während sechsundzwanzig Stunden hatte ich zu leiden gehabt; das Kind war stark und gut entwickelt. Kurz nach meiner Niederkunft verkündeten einundzwanzig Kanonenschüsse der Monarchie, daß ich einem Mädchen das Leben geschenkt hatte. Die Bestürzung des Kronprinzen war schmerzlich – er hatte bestimmt einen Thronerben erwartet. Meine teure Mutter, die mir während der ganzen Zeit beigestanden, erfaßte sofort die peinlich werdende Situation und verhinderte mit großer Gewandtheit jedwede Vorwürfe. Sie reichte mir selbst meine Tochter mit den Worten: »Gott segne dein Kind, wie ich euch beide aus vollem Herzen segne!« Die Kleine war entzückend, ein wahres Prachtkind. Aus tiefster Seele dankte ich Gott dem Herrn für den Schatz, den er mir geschenkt, und nahm mein Kind in meine Arme.

Drei Tage später fand die feierliche Taufe im Beisein des Kaisers, der Kaiserin und der gesamten kaiserlichen Familie statt. Mein Kind erhielt den Namen meiner heiligen Vorfahrin aus dem Hause Arpad, Elisabeth, den auch meine Schwiegermutter trug. Ich vertraute mein Kind dem Schuh der Heiligen an, deren rührende Legende die deutsche und ungarische Geschichte schmückt.

Zur Feier dieses Ereignisses wurde eine weitgehende Amnestie gewährt, und Asyle für Findelkinder, Mütter- und Säuglingsspitäler, die meinen Namen trugen, wurden gegründet. Der Kaiser ließ fünfzigtausend Gulden an Waisenkinder verteilen. Die Städte des Reiches wetteiferten, mich zu beschenken; die Stadt Wien überreichte mir ein Armband aus Brillanten und Smaragden.

Am zwölften Tag nach meiner Entbindung verließ mich meine Mutter, um sich nach Ungarn in ihr geliebtes väterliches Heim zu begeben. Die Leere, die ihre Abreise hinterließ, wurde ausgefüllt durch das Glück meiner jungen Mutterschaft. In dem lieben Lächeln und den Blicken des Kindes stand für mich der Himmel offen.

Meine Überraschung war groß, als ich zum erstenmal aufstand und sich meine Kleider als viel zu kurz erwiesen. Ich war stark gewachsen und nun ein wenig größer als der Kronprinz.

Mein Wochenbett war noch nicht beendet, noch war ich nicht völlig genesen, als man schon wieder mit Anforderungen an mich herantrat. Nach altem Brauch sollte ich am zwanzigsten Tag nach meiner Entbindung die erste Ausfahrt nach Wien unternehmen. Ich wurde von der Bevölkerung mit nicht enden wollendem Jubel begrüßt. Wien war geschmückt, die Fenster der Häuser waren dicht besetzt und mein Wagen wurde mit Blumen überschüttet. Nach diesem anstrengenden Tag wurde mir noch ein Monat Erholung gegönnt.

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Im Spätsommer dieses Jahres hatte der Kronprinz die Elektrische Ausstellung eröffnet. Er war ein sehr guter Redner, der äußerst aktuell zu sprechen verstand. Seine Worte: »Und ein Meer von Licht erstrahle aus dieser Stadt und neuer Fortschritt gehe aus ihr hervor!« fanden einen begeisterten Widerhall und werden heute noch zitiert, um die geistige Haltung jener Epoche zu kennzeichnen.

Wien fand seinen Thronfolger an der Spitze der modernen Ideen. Immer stärker konzentrierte sich das Interesse der Intellektuellen auf ihn. Vielleicht war er damals auf der Höhe seines Lebens. Noch widerstand seine Gesundheit seinem aufreibenden Beruf und seiner Lebensweise. Er fand den größten Gefallen an den Problemen der europäischen Politik und der Wissenschaft, und ihre Leuchten erblickten in Kronprinz Rudolf das Bekenntnis der Dynastie zu Fortschritt und Freisinn.

Wenige Tage nach Eröffnung der Elektrischen Ausstellung, die übrigens ein finanzieller Mißerfolg wurde, erforderten politische Gründe unsere Anwesenheit in Berlin. Ich mußte mich von meinem Kind losreißen und den Kronprinzen begleiten. Es war ein schweres Opfer, aber die Pflicht verlangte es. Der äußere Anlaß zu diesem Besuch war die Silberne Hochzeit des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und seiner Gemahlin Victoria.

Der Kronprinz liebte Deutschland nicht und begab sich nur auf Befehl des Kaisers, seines Vaters, dahin. Er besaß eine gewisse ehrerbietige Verehrung für den greisen Kaiser Wilhelm, dessen Würde, dessen ritterlich liebenswürdige Art er schätzte. Fürst Bismarck aber erdrückte ihn; er ertrug weder seine beispiellose Willenskraft, seine Überlegenheit, seinen genialen Blick, noch seinen Eindruck von absoluter Sicherheit. Gegen den Prinzen von Preußen vollends hegte der Kronprinz eine ausgesprochene Abneigung, die sich bei jeder neuen Begegnung verstärkte. Man kann sich vorstellen, mit welch gemischten Gefühlen ich den Kronprinzen nach Berlin begleitete.

Der österreichisch-ungarische Minister des Äußeren Graf Kalnoky hatte in mehrstündiger Unterredung dem Kronprinzen seine politischen Ansichten auseinandergesetzt. Bismarcks Bestreben war, das deutsch-österreichische Bündnis verfassungsmäßig festgelegt zu sehen; auch hatte er in Wien bekanntgegeben, es sei Kaiser Wilhelms Wunsch, das Bündnis als gegen alle Feinde gültig zu erklären. Dem Grafen Kalnoky gefiel dieser Plan nicht, und er begrüßte die Reise des Kronprinzen, da dieser eine abschlägige Antwort überbringen sollte und dennoch durch seine persönliche Liebenswürdigkeit jede Reibung vermeiden konnte. Obwohl sich der Kronprinz seiner Aufgabe mit Geschick entledigte, ergaben sich doch in einem längeren Gespräch mit Fürst Bismarck so bedeutende Meinungsverschiedenheiten, daß der Gegensatz unüberbrückbar schien und sich sogar verschärfte.

Nur das Verhältnis zum deutschen Kronprinzenpaar war von einer gewissen Übereinstimmung der Ideen getragen, besonders was mich und die Kronprinzessin betraf. Bei Kronprinz Rudolf hingegen sprachen auch hier jene Schranken mit, die dem Herzen jedes Österreichers seit 1866 gesetzt waren. Wir erfuhren bei unserem Besuch in Berlin vom Jubelpaar eine ungemein herzliche und verständnisvolle Aufnahme. Meine Tante, die Kronprinzessin Victoria, berichtete damals unter anderem ihrer Mutter: »Er [Kronprinz Rudolf] sprach mit wundervoller Klarheit, Klugheit und gesundem Menschenverstand, ist vollkommen au fait über alles und mit verschiedenen schwierigen Botschaften an den Fürsten Bismarck betraut worden. Er ist sich vollkommen klar, daß seine Ansichten mehr mit unseren als mit denen des Kaisers oder Willys übereinstimmen.« Das war liebenswürdig von meiner Tante, aber es beweist auch, wie sehr Kronprinz Rudolf auf die Menschen zu wirken verstand.

Während unserer Anwesenheit in Berlin, inmitten dieses Wirbels von offiziellen Empfängen, Ausfahrten und Festen waren die Stunden bei meiner Tante Victoria eine wahre Erholung. Gegen sie wurde bereits damals Krieg geführt. Man behauptete von ihr, sie sei ehrgeizig, stolz und intrigant. Man vergaß, daß, wenn eine Prinzessin einen Kronprinzen heiratet, es selbstverständlich ihr Wunsch ist, Kaiserin oder Königin zu werden; ihr Ehrgeiz ist dann wohl gerechtfertigt. Meine Tante Victoria wurde verkannt. Wie fast alle bedeutenden Frauen, welche keine Gelegenheit haben, ihre Fähigkeiten zu entfalten, litt sie unter ihrer Untätigkeit. Sie hatte von ihrer Mutter, der großen Königin Victoria, Klugheit und den diplomatischen Scharfsinn für verwickelte politische Vorgänge geerbt. Sie war ein gerader, offener Mensch; ihr Urteil war gesund, sie vertrug keine Schleichwege. Zwischen der Partei ihres Sohnes Wilhelm und den Ideen ihres Mannes, welche meine Tante teilte, stand eine Scheidewand. Ihre Ideen kreuzten sich, es erwuchsen Gegensätze, das Vertrauen zwischen Mutter und Sohn begann zu wanken. Wehmütig sprach sie mit mir darüber bei meinen Besuchen.

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Auf der Rückreise nach Wien, wo wir fortan residieren sollten, verbrachten wir einige Tage in Prag. Wir wollten Böhmen nicht verlassen, ohne von der Stadt, wo wir zwei Jahre geweilt hatten, herzlichen Abschied zu nehmen. Ich glaube, daß unser Aufenthalt gute Erinnerungen hinterließ, denn wo immer ich mich seither im Lande zeigte, wurde ich freundlich aufgenommen.

Für den Winter mußten wir unseren Wohnsitz von Laxenburg in die Hofburg verlegen. Die für uns bestimmten Räume waren düster und unfreundlich, denn alle Fenster gingen in einen Hof. Ich bemühte mich, sie etwas wohnlicher herzurichten und ihnen den Stempel schlechten Geschmackes zu nehmen, der all den Einrichtungen der kaiserlichen Schlösser anhaftete, die man in den letzten Jahrzehnten getroffen hatte. Niemand am Wiener Hof, nicht einmal das Herrscherpaar, hatte Interesse an alten Gemälden, antiken Möbeln, Tapisserien und Kunstgegenständen. Alle Veränderungen, die ich vorschlug, wurden abgelehnt; sie riefen das Entsetzen der Hofleute hervor, welche diese häßlichen Möblements, die dem Geschmack der Siebziger Jahre entsprachen, bei weitem den herrlichen Antiquitäten vorzogen, die reichlich in den Hofmobiliendepots vorhanden waren. Maßgebend für diese Haltung waren die persönliche Schlichtheit des Kaisers und die gänzlich anders gearteten Interessen der Kaiserin.

Es gab in der Hofburg weder Badezimmer noch Wasserklosetts, nicht einmal eine Wasserleitung. Beim Waschen bediente ich mich einer Gummiwanne, vor welcher auf zwei Holzschemeln große gefüllte Eimer standen, mit denen ich mich überschütten lassen konnte. Das schmutzige Wasser und die Leibstühle wurden durch die Gänge an allen zufälligen Passanten vorbeigetragen. Noch nie hatte sich jemand gegen solche primitive Einrichtungen aufgelehnt – daher nahm jeder an, daß auch ich mich fügen würde.

Unsere Küche befand sich im selben Stockwerk, nur durch einige Räume von unseren Wohnzimmern entfernt, in die ständig der Speisengeruch eindrang. Das Essen war derb und sagte mir keineswegs zu, aber es gab eine ziemliche Revolution, als ich mir einen französischen Koch engagieren ließ.

Nach drei Jahren Kampf gelang es mir endlich, die anderen mittelalterlichen Einrichtungen abzuschaffen. Ich ließ auf meine Kosten zwei Badezimmer mit allem Zubehör herstellen, erntete dafür freilich keinen Dank, vielmehr eine herbe Kritik. Auch die Beleuchtung war geradezu schauerlich. Abscheuliche Petroleumlampen, die nach wenigen Stunden erloschen, verbreiteten einen üblen Geruch; ein Rußregen fiel in allen Zimmern oder die Zylinder sprangen. Dann mußten die Lampen entfernt werden und man saß im Dunkeln, bis das Unglück behoben war. Es war nur gut, daß ich derlei Zwischenfälle nicht ernst nahm, sondern darüber lachte.

Den Winter dieses Jahres verbrachten wir ohne Ortswechsel in Wien. Der Kronprinz hatte das Kommando der 25. Truppendivision übernommen und war zum Feldmarschalleutnant ernannt worden. Die Hauptstadt überbürdete uns mit Repräsentationspflichten. Hatte ich einen freien Augenblick, so eilte ich zu meinem Kinde und nahm es in meine Arme; es war köstlich, mit ihm zu spielen wie vor einigen Jahren mit meiner kleinen Schwester. Das reizende Baby im Bade strampeln zu sehen, seinen rosigen, kleinen Körper zu bewundern, sein Einschlafen zu beobachten, all das war mir eine unaussprechliche, durch nichts getrübte Freude. Die Stunden bei dem süßen kleinen Kind waren der einzige Lichtblick in meinem Eheleben, das sich trotz aller Hoffnungen immer düsterer gestaltete.

Für ein Leben in der Wärme eines jungen Eheglücks, das mir auch als künftiger Landesmutter schon um des guten Beispiels willen geboten erschien, hatte der Kronprinz keinen Geschmack und Sinn. Es war damals überhaupt Mode, sein Leben anders als in der Familie zu verbringen, und ich weiß heute, daß ich nicht allein die Folgen dieser Lebensauffassung zu ertragen hatte. Die verführerischen Lockungen einer so blendenden Großstadt, wie Wien es damals war, konnten auf eine Natur, wie den Kronprinzen, der im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses und somit auch des der mondänen Welt stand, ihre Wirkung nicht verfehlen.

Selbst jung, schön und bewundert, fragte ich mich, ob denn diese Welt, die den Kronprinzen so anzog, nicht auch mir ähnliches bedeuten würde wie ihm. Wahrscheinlich waren es Regungen der Neugier oder einer Eifersucht in mir, die den Kronprinzen veranlaßt haben mochten, mich zu einem seiner »Ausflüge« mitzunehmen. Nur einmal ließ ich mich dazu herbei, ihn, als fesches Bürgermädel verkleidet, zu begleiten. Zunächst erschien mir solches Unternehmen nicht ohne Reiz. War ich aber schon einigermaßen erstaunt, wie wenig der Kronprinz dabei die Vorsichtsmaßregeln des Inkognito beobachtete, so war meine Enttäuschung erst recht groß, als wir die verschiedenen Cafés chantants und andere fragwürdige Lokale in und außerhalb der Stadt zusammen aufsuchten. Die Luft war überall erstickend; ein Geruch von Knoblauch, schlechtem Fett, Wein und Tabak betäubte mich. Man saß bis zum Morgengrauen an ungedeckten, schmutzigen Tischen, neben uns spielten Fiakerkutscher Karten, pfiffen und sangen. Man tanzte, Mädchen sprangen auf Tische und Sessel und sangen immer wieder die gleichen sentimental-ordinären Schlager, die ein furchtbares Orchester nicht müde wurde zu begleiten. Gern hätte ich mich darüber amüsiert, aber den Aufenthalt in dieser verrauchten Kneipe fand ich zu abstoßend, unwürdig und noch dazu langweilig. Ich begriff nicht, was der Kronprinz darin fand.

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