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Die Köksch

Eine Skizze

Keine Stadt hat so saubere dralle Köchinnen oder »Kökschen« aufzuweisen als Hamburg. Wenn sie in ihrem hellen Kattunkleid, das bei jedem Schritt von Stärke knittert und rauscht, über die Straße eilen, reißt jeder Fremde verwundert die Augen auf. Tragen sie dann noch die bekannten »Mützen« – ein großer Teil hat diese in letzter Zeit als »Sklavenstempel« verworfen (leider!) – und lassen die kurzen, aufgebauschten Ärmel ein paar starke, gesunde, runde Arme frei, so lacht selbst dem Hamburger das verwöhnte Herz im Leibe. Das ist die echte Hamborger Köksch, die wir lieben, mag eine kleine Anzahl Hochtrabender noch so sehr dagegen wettern.

Diese echte Sorte hat aber nicht nur Murr in den Knochen, sie hat auch Haare auf den Zähnen. 102 Und davon ist die Anna eine, die forsche Anna, die obendrein noch Mut im Leibe hat.

Gestern abend, als sie die Küche in Ordnung hatte und sich selbst auch ein wenig ausstaffiert, setzte sie sich auf den schlohweiß gescheuerten Trittstuhl und sann über ihr Schicksal nach. Und zwar weilten ihre Blicke träumend auf dem Ringfinger der linken Hand. Sie war schon einmal verlobt gewesen. Warum nicht? Gilt es vom Manne: »Wer niemals einen Rausch gehabt, das ist kein braver Mann!« – so für sie noch viel mehr: »Wer niemals einen Ring gehabt, das ist kein braves Weib!« Aber wenn sich so'n Mann denn absolut nicht kuschen will, dann nicht! Da läßt sie ihn laufen!

Zwei harte Steine malen schlecht, und Anna ist ein sehr harter. Sie kann nur einen Mann gebrauchen, der ihr das Regiment gutwillig überläßt. Er wird nicht schlecht dabei fahren; denn sie versteht den Kitt – heißt: die Arbeit, und weiß in der Welt Bescheid.

Nun ist es aber wieder durchaus natürlich, daß diese weichlichen Männer sich ungern an ein so hartes Stück, wie es die Anna ist, heranwagen. Selbst dann zagen und zaudern sie noch, wissen in ihrer langsamen Art die Gelegenheit nicht wahrzunehmen, sich der forschen und schnellen Maid zu erklären, wenn sie es längst eingesehen, daß ihnen gerade diese Hälfte zum sicheren Fortkommen fehlt. 103

Die elektrische Klingel riß sie aus ihrem Denken auf.

»Goden Obend, Tütendreiher! Dat sull doch erst to morgen freuh sien. Na, denn man rinn!«

Der breitschultrige, gutmütige Mensch schleppte den schweren Korb mit Krämerwaren in die Küche. »Tütendreiher,« hatte sie wieder gesagt! Warum mußte sie ihn nur immer foppen? Aus allen Ecken seines großen Herzens hatte er sich sein bißchen Mut zusammengesucht, um ihr heut abend den ganzen Inhalt auszuschütten. Dies war nun schon der zweite Dämpfer.

Anna staute alle gefüllten Düten sofort in den Schrank oder schüttete den Inhalt in einen der blaugemusterten Krüge.

»Worum bringt dat denn de Jung nich? He is doch nich krank?«

Er ließ sich auf den Stuhl nieder und folgte ihrer Tätigkeit mit großen Augen. Donnerwetter! Wenn die ja sagen würde, die wollte den Kram schon haltern. Und dann würde sein Vater auch mit dem Gelde rausrücken!

»Hm? Is he krank?« fragt sie nochmals, weil er gar so stumm dasitzt.

»Nee, nee, krank is he nich.«

»So – dat wär' ok woll 'n bitten veel för em. Wi kriegt hier nämlich Beseuk, un deshalb mut ick all'ns so'n bitten weder opfülln. Denn bruk ick 104 doch nahher nich um jeden Dreck öber de Strot.«

»Nee – hm – dat's wohr. – Wi harrn dat ja ok gern herbrögt.«

»Na, dat is ober beter, wenn de Loperie nich nödig is.«

Er schaut auf die blitzblanken, kupfernen Behälter, die oben auf dem obersten Bort stehen; er sieht auf den schneeweißen Marmorboden, auf die blinkenden Messingteile des Herdes. Wie war das alles instand! Ihm wurde es hier so behaglich, daß er sich zurücklegte und mit halboffenen Augen träumte. Außer der Tätigkeit Annas hörte er die Küchenuhr ticken und die Gasflammen singen, und dies alles machte ihn immer müder, träumender, daß er bald seinen Vorsatz vergessen hätte.

»Ick – Anna – wulln Se nich bald – ick mein man so – ob Se nich bald heiraten wulln?«

Anna lachte hell auf.

»Aber gewiß will ick heiraten! Gewiß! Wenn ick bloß erst 'n Mann har. Mien Beden möt doch mal helpen:

Alle Morgen früh,
fall ich auf die Kniee.
Lieber Gott! Hör mir doch an
und geb mir bald einen Mann!
Hest du ok keen Swattkopp mehr,
Ei, so gew den Rotkopp her! 105

Aber so'n Prüntjehöker dörf dat nich sien, de mi jeden Dag Kandis versprickt un . . .«

»Dunnerwetter! Den hew ick weder vergeten! – Dat is doch ok rein to dull!«

Der Prüntjehöker hatte ihn wieder mächtig angepackt. Ob sie das im Ernst meinte?

»Dat – dat Se mi bi jede Gelegenheit glieks utlachen dohn, dat – deiht mi leed, kann ick nich recht find'.«

»Na, na! Se kamen mi öberhaupt hüt ganz anners vör. Is wat nich in Ornung?«

»Ja, ja . . .«

»Ja. Aber 'n bitten komisch kamen Se mi vör. Hebben Se sick woll argert?«

»Ja, gewiß hew ick mi argert! Wat hett de Kerl mi glieks optoschrieben! Son' . . .«

»Werker hett Se opschreeben?«

»Ach, dat wär hier eben; hier an de Eck von Goosmark un Dammdohrstrot. Ick hew den swer'n Korw op'n Nacken un goh ganz richtig op'n Fohrweg. Dor staht dor aber so veel Lüd, de all in'e Bohn stiegen wölt, un ick will doch nich stunn'lang dor stohn un lur'n; na, ick pett denn eben mal son' tein Schreet lang op'n Trittewor. Glieks fött mi ein an' Rocksarm un röpt, as ob ick dow wär:

›Wie haißen Sie??‹

Ick dreih mi um: ›Wat is denn los?‹ segg ick.

›Ich frage Sie, wie Sie haißen?!‹ 106

›Wat is denn los? Wat is denn los?‹ segg ick.

›Sie sünd hier auf'n Trittewar gegangen,‹ und dorbi wiest he mit'n Bleistift an'e Eer, as wenn he de Börgermeister wär.

›So,‹ segg ick, ›denn kann ick ja weder dahl gahn,‹ un will ok all runner petten. Dor treckt he mi weder trüch un seggt, ick soll keine dumme Witze machen. Na, ick segg em denn mien Nam und goh.

Nu seggen Se mi mal, wat hett de Kerl mi optoschrieben?«

Annas Mut und Tatkraft war bei dieser Erzählung erwacht und wegen der Ungerechtigkeit aufs höchste gestiegen.

»Wat? De Kerl! Son' . . .! Na, teuw! Denn will ick mi mal ansehn! Dat dörft wi uns nich gefallen laten! Son' . . .! son' . . .!« Sie lief schimpfend in der Küche immer auf und ab. Für einen Mann, der sich so was ruhig gefallen ließ, mußte sie einspringen! Und besonders, wenn es der gutmütige Krukkrämer . . . Na, einerlei! Sie wird sich so was nicht gefallen lassen!

»Denn Korw! Denn Korw bring ick trüch! Un op'n Trittewor will ick gohn, ganz hen! Mal sehn, wer mi wat seggt!«

»Nee, nee, dat geiht nich. Dat kann ick nich leiden. Eegentlich har he ja ok ganz recht, aber he har mi doch dat in' annern Ton seggen künnt. Se 107 söll'n sick dorüm nich in'e Patsch setten. Geben Se denn Korw man leiber her.«

Aber Anna war im besten Fahrwasser. Sie wurde bald grob, selbst gegen den, den sie eigentlich schützen wollte.

»Röhren Se mi nich denn Korw an! Denn bring ick noch hüt Obend trüch. Wi hebbt noch 'n Barg olle Zeitungen hier ling'n, un dormit will ick em vull packen, bit boben hen! Dormit will ick op'n Trittewor gohn! Is deselbe Kerl noch dor, denn renn ick em um! Renn em um, dat he op'n Rück' to liggen kümmt!«

Alle beschwichtigenden Worte des guten Menschen halfen nichts. Seinen Vorsatz mußte er bald aufgeben und geduckt, ohne den Korb, heimschleichen. Hätte er ihr die Sache doch nur nicht erzählt! –

Nicht viel später schleppte Anna den schweren vollgepackten Korb die Dammtorstraße entlang, dem Gänsemarkt zu. Das Korbgeflecht piepte bei jedem Schritt, den sie tat, aber sie trat kräftig vorwärts und benutzte immer die Mitte des nur schmalen Trottoirs.

Ihre Arme liefen bei dem naßkalten Wetter rot auf, als wolle das unruhige erregte Blut die Haut sprengen. Man konnte glauben, es würde sieben Meilen gegen den Mond spritzen, pikte man ihr mit einer Nadel in den Arm.

Allerdings, wer das gewagt hätte, würde in 108 den nächsten Minuten die Engel im Himmel singen gehört und Annas derbe Hand gefühlt haben. Ebenso stand ihr der Zorn auf dem roten Gesicht geschrieben, und alles ging ihr gern aus dem Wege.

Ein Arbeiter, den sie unsanft angestoßen, fragte sie lachend:

»Hallo, Mine, kann ick 'n bitten in dien Korw sitten?«

»De is all ganz vull Löpels, dor geiht kein Sleiw mehr rinn!« Sie warf ihm die Antwort ins Gesicht und eilte nur noch erregter weiter. Wenn ihr doch so einer in den Weg treten wollte! Dem wollte sie bei: freies Leben! Hamborger Köksch is ok kein Hund!

Richtig! Aus der Buchstabenstraße – wie Anna stets die ABCstraße nennt – kommt ihr eine blanke Uniform entgegen. Ihr stieg die Wut wieder bis in den Hals. Der sollte sie bloß anticken!

Und er kam auf sie zu.

»Du, Mile, goh mol eben 'n bitten von'n Trottewor dol. Süh, ick dörf dat nich lieden. Ick verswinn hier gliek bie 'n Valentinskamp um 'e Eck, denn kannst ja weder ropgahn.«

Da stand Anna da, wie aufs Auge geschlagen. Sie setzte den Korb hin, sah sich den Menschen 109 genau an, schlug mit den Händen zusammen und stemmte die Arme in die Seiten.

»Süh! Dat lat ick mi gefalln! Dat is doch mol 'n Hamborger Jung!«

»Dat's 'n Büx! Kennst denn › blauen Lappen‹? – Junge! Junge! Hest du 'n por Arms.« Dabei konnte er es nicht unterlassen, sie zu drücken und zu kneifen.

Anna befolgte ihren alten Erfahrungssatz: Von 'n ehrlichen Minschen darf man sick girn mol kniepen loten!

»Na, denn atüs, Mile; un teuw man, bit ick um de Eck bin.«

Anna sah ihm staunend nach, dann nahm sie ihren Korb wieder auf und schritt über die Straße, durch den Hemdsärmel in die Königstraße. Da war sie dann bei dem Krukkrämer angelangt.

Der empfing sie voll banger Ahnung. »Na, wo is 't afgohn?«

»Ah, fein, großardig! Ji Mannslüd weet doch ok mit gor nix fardig to warden. Mi wull de Konstobler denn Korw noch mit anfoten helpen. Ick segg jo: ick mutt man komen! denn geiht de Krom immer.«

»Na, wenn dat man wohr is. – Dat möten 110 S' mi vertellen; setten Se sick man op den Stohl, he is 'n bitten wackelig, aber hüt abend ward he sachts noch holln.«

»Könt wie glieks probieren.« Plumps! ließ sie sich auf den Stuhl fallen, der unter ihr krachte; doch er wagte nicht zu zerbrechen, und Anna erzählte ihre Begegnung. Natürlich mit reichlichen Zutaten, die sie zur Heldin machten.

»Na, wenn Se denn immer so 'n Glück haben, denn –«

»Glück haben? Nee, Hein! Mot, Korosch hew ick!«

»Na, jä – wenn Se denn immer de Korosch hebbn, denn – denk ick – – – Na, Lütt, wat wullt du denn?«

Ein kleiner Kunde mußte ihn nun stören. Es war in ihm zum festen Entschluß geworden: heut abend wollte er sich ihr erklären! Er gab dem Kleinen die geforderten »Boltje« und war froh, als er wieder mit Anna allein war.

»Ick meen man, wenn Se so veel Korosch hebben –«

»Jo, dat hew ick jo bewiest. Ober sall ick Ihnen mol watt seggn? Se kann dor an een Saak rum, un kön' dor nich mit to Stand komen. Ick hew dat jo all langs markt. Sall ick Ihnen mal 'n bitten helpen?« 111

»No, jä – wenn Se dat dohn wulln. Se kön'n ja ok alls so god.«

Wer da hätte lauschen können, der hätte gehört, wie eine Hamborger Köksch allen emanzipiertesten Frauen weit voraus ist. Sie kleidet sich nicht etwa äußerlich wie ein Mann, dringt auf Studium und Wahlrecht: sie packt das Leben frisch an, und – wo der Mann stockt, greift sie ein. Warum nicht auch bei der Brautwahl? Warum soll eine Hamburger Köksch sich nicht ihren Bräutigam selbst wählen dürfen? Für das Wahlrecht war Anna jedenfalls zu haben!

»Hör mol to, min Jung, du geföllst mi ja all lang. Ja, alles wat recht is. Sünst har ick mi ock nich immer so lang ankieken loten, denn för dat Ankieken mit so lurige Oogen bün ick ganz un gor nich. Leeber mol toslan, ick will mi woll wehr'n. Wenn du mi wullt, worüm süll ick nich jo seggen? Gewiß! segg ick, hier, nimm min Hand! Wenn du wullt, ok alle beide, da!«

Und Hein ergriff sie freudig – alle beide. »Jo – jo – jo –« stammelte er ein über das andere Mal. Er sah sie wieder so »lurig« an und machte Miene, sie an sich zu drücken, aber – die Toonbank stand zwischen ihnen. Da besann er sich auf seine Manneskraft – denn er hatte nicht umsonst den breiten Buckel – und hob das gewiß nicht 112 leichte Stück mit einem Wuppdi auf die Toonbank. Da saß sie.

Anna lachte und war über diesen seinen Kräftebeweis so erfreut, daß sie ihn umschlang und ihm den ersten Kuß gab.

Sowas tut nur eine Hamborger Köksch.

 

 

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