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Der Schiffszimmermann

Eine Hamburger Geschichte.

Er ist alt geworden und hat sich sein ganzes Leben bitter mit Not, Sorge und Gefahr herumschlagen müssen. Gott hat es ihm nicht leicht gemacht, das Alter in Ehren zu erreichen. Er hatte seinen Gott wohl hundertmal aufgegeben, aber dann, in ruhigen Stunden, den Weg wieder zu ihm gefunden.

Jetzt liegt das alles weit hinter ihm. Seitdem von den Dampfern, diesen eisernen Särgen, die Segelschiffe immer mehr verdrängt werden, ist er nicht mehr hinausgefahren. Seine Frau ist ihm gestorben, als er nicht daheim war. Erst viel später erfuhr er davon.

Dann richtete er sich in der Hafengegend eine kleine Werkstatt ein und fand für Elbfischer und Ewerführer genug zu tun. Er machte alle vorkommenden kleinen Arbeiten; bald drehte er Dollen, beizte und ölte Riemen, oder er spleißte Taue. 62 Dazu geht seine Tochter, die Dore, zum Aufwarten aus. So kommen sie aus, sogar gut, besser als er es früher gedacht.

Und jetzt, da das Alter ihm auf dem Rücken sitzt und schon etwas niederdrückt, jetzt lebt er ruhig hin und lebt gern. Er trägt die vielen Jahre, wenn er sie auch zuweilen merkt, ohne Last, ohne Beschwerde. Der Weg zu seinem Herrgott liegt offen und licht vor seinen ruhigen Augen; nun wird er, nun kann er ihm nicht mehr verloren gehen!

Hat nicht Gott an ihm selbst etwas Großes vollbracht?

Als er es damals in der schrecklichen Sturmnacht erfahren, wie es um seine Tochter stand – umbringen wollte er sie! Er hat sie verflucht und das Kind gehaßt! Das haarscharfe Schnitzmesser in der schwieligen Faust stand er da, bereit zum Morden!

Und wie anders jetzt. Was wäre ihm das Leben ohne die kleine Gesa? Wie hatte ihn Gott allmählich zur Einsicht gebracht, daß es keine Schande, sondern ein Unglück! »Alle Stunden sind nicht gleich!«

Nun erzählte er es jedem, es sei seine Gesa, wenn das kleine flinke Ding in dem kurzen blaßblauen Röckchen aufjubelnd vor dem Kellerfenster umherspringt. Sieht er ihr Kleid nicht flattern, 63 oder hört er ihr feines, lustiges Stimmchen nicht zwischen dem Gekreisch und Gejohle der anderen Kinder heraus, so geht er unruhig vor seiner Drehbank auf und ab, bis er sie wieder hört oder sieht.

Elf Jahre ist sie alt, und doch noch so klein und zart. Ihn bangt um sie. Was kostet es für Anstrengungen, wie viele Bitten und Versprechungen, ehe sie an den Tisch geht, um zu essen. Seine Tochter sorgt nicht genug um sie. Er hat es ihr mehrfach vorgehalten. »Jä! wenn sie doch mit Gewalt nicht essen will, denn kann auch kein Arzt da was bei tun.« Das ist ihre Antwort. Nun bekommt sie jeden Morgen ein frisches Ei mit Zucker abgerührt. Das nimmt sie gern – Gott sei Dank! Aber den Zucker muß sie sich selbst anrühren und Großpapa darf dabei die Tasse halten.

Wenn er sie des Abends ins Bett gebracht hat, sitzt er noch bis zu ihrem Einschlafen vor dem Lager. Dann sagt er ihr Kinderlieder vor, wie:

»Puttheuneken! Puttheuneken!
Wat deihst op unsen Hoff?
Du plückst uns all de Bleumeken
Du makst dat gor to grow!
Mien Vatting ward di kriegen,
Mien Mutting ward di slan!
Puttheuneken! Puttheuneken!
Wie ward di dat bloß gahn!«

oder sie singen: »Guter Mond, du gehst so stille« 64 zweistimmig, denn Gesa kann schon sehr nett singen. So schläft sie gewöhnlich ein.

Wie oft horcht er dann nachts auf ihren Atem, ob er regelmäßig, ob nicht zu schnell. Oft fährt er plötzlich aus dem Schlaf und geht zu ihrem Bettchen, beugt sich tief über sie und horcht gespannt, ob sie denn auch noch atme. So hatte er sich nicht um seine Tochter! Lächelnd über die unbegründete, kindliche Furcht steigt er dann ins Bett zurück. Aber er ist doch froh, wenn er ihr erst das Ei in die Tasse schlagen darf und sie emsig darin herumrührt. –

Es ist ein kalter Märztag; die Sonne konnte sich nur am Mittag durch die dichten, bleigrauen Wolken einen trüben Lichtweg bahnen und ist nun, am Nachmittag, längst von dem ewigen, wühlenden Grau erstickt.

Da tritt Gesa ein. Ihr Näschen ist vor Kälte rot angelaufen; Hände und Arme hat sie mit ihrer Schürze umwickelt. Mit dem Ellenbogen stößt sie die Tür hinter sich zu.

»Du, Großpapa, wann kommt Mama wieder?«

»Wat soll sie denn?«

»Ach – ich mein man bloß.«

»Dat wird heut woll spät nachts. – Willst nich'n bischen essen? Da is noch'n bischen Honig.«

»Denn krieg ich ja immer sonne bachsige 65 Fingern – nee, laß man.« Sie stellt sich auf die Hacken und wiegt hin und her, dabei klappt sie unter der Schürze mit den Händen zusammen . . . »Weißt was? – ich möcht' mal sonn' haben . . .« sie lächelt und schnappt mit dem Mund nach dem Schürzenzipfel . . . »wie neulich mals – weißt ja.«

»Jä, Deern, will mal sehn.« Er zieht sein Portemonnaie aus der Tasche und entnimmt ihm, nach längerem Durchsuchen der zerrissenen Fächer, zwanzig Pfennige. »Ja, das geht. Denn gah man mal eben rüber und hol mal für zwei Groschen Kakao!« Er spricht es ihr deutlich vor.

»Ja, ja, ich weiß . . . Du bist doch süß, Großpapa.« Sie faßt nach seinem Hosenträger und reißt ihn hin und her, als ob sie die schwere knochige Gestalt des Großvaters schütteln wollte. Aber sie lacht dabei. »Und nachher sing ich dir auch mein neues Lied vor.«

»Jä – jä, dat doh man! Mußt denn aber auch schön was darzu essen!«

»Uh! Und wie!« Sie schlänkert mit der Rechten, verdreht die Augen und beißt auf die Unterlippe. »Uh! Ich will fressen wie sonn' Scheundrescher! Uh!« Dann läuft sie lachend hinaus und die krumme Steintreppe hinauf.

Er geht daran, das Feuer mehr in Gang zu bringen. Zu einem festen Klumpen zusammengeballt liegt es wie tot. Aber das Herumstökern 66 will auch nichts helfen. Es muß an der drückenden Luft liegen, die wie Blei auf dem Schornstein lastet und den Rauch nicht hinaus läßt. Das Grus will dann absolut nicht brennen, und Kohlen sind keine mehr da. –

»Is das aber man wenig. Uh! was 'ne lüttje Tüt!« So kommt Gesa hereingesprungen.

»Dat is genog! Viel brauchst auch nich.« Er legt Holz in den Ofen und bläst voll Anstrengung in die dösige Glut.

»Will das nich brenn', Großpapa?«

»Dat Grus brennt so slecht bi dit Wetter. Na, werd's woll in Gang kriegen.«

»Sind da denn keine Kohlen?«

»Nee – un ick hew ok keinen Groschen mehr. – Na, geht auch so.«

»Aber mit Kohlen, Großpapa, brennt das denn doch besser, nich?«

»Ja! Denn sost mal sehn, wie das aus'n Schornstein hult.«

»Na so –« Sie will gehen.

»Willst du noch erst wieder rausgehn? – Na, geh man, wenn das Wasser kocht, dann klopf ich an' Fenster.«

»Denn bin ich schon längst wieder hier.« Wie der Wind ist sie draußen und springt die Kellertreppe hinauf.

Sie will schon Kohlen bringen, denkt sie. Als 67 erst einige schmutzige Jungen auf Holzpantoffeln, mit einem Sack über den Nacken, von Schute zu Schute sprangen, die liegen gebliebenen Kohlen einsammelnd, hat sie ihnen von oben, vom Rand der hohen Kaimauer, zugerufen, daß sie es nicht dürften! Die aber haben ihr geantwortet, daß sie es wohl dürften! In die Schuten, die da ganz hinten im Strom liegen, gehen sie auch gar nicht. Die sind ganz voll Kohlen, aber da darf niemand beigehen.

Dann hat Gesa den Großpapa fragen wollen, ob sie auch dort einsammeln darf. Sie wagte es aber schließlich nicht, weil es ihr wiederholt streng verboten war, auch nur zu nahe ans Wasser zu gehen. Nun, denkt sie, es ist auch einerlei – wenn sie nachher mit der Schürze voll Kohlen kommt, wird es ihn um so mehr freuen.

Mutig springt Gesa die breite steinerne Treppe hinunter, die zum leichtschaukelnden Ponton führt.

Das sanfte Schwanken der Brücke macht sie einen Augenblick unsicher. Sie hat sich vorher nie hier heruntergewagt . . . Aber Großpapa wird sich freuen, wenn sie Kohlen bringt – doch! Sie will weiter! Die anderen Kinder tun's ja auch.

Mit gepreßtem Aufatmen gewinnt sie ihr festes Wollen wieder und geht vorsichtig auf dem Rand einer zunächst liegenden eisernen Kastenschute entlang, sich mit den Händen an den Griffen der Wellblechluken festhaltend. Dann läuft sie 68 erleichtert über den Vorderteil des bedeckten Schiffes und springt in die nächste leere Schute.

Aber wie sie sich mit etwas unheimlichem Gefühl in dem großen Raum auch umsieht – hier ist nichts zu holen. In der Mitte liegt ein Stapel dicker, viereckiger Stauhölzer mit Lappen alter Persennige bedeckt. Auf dem sauber gefegten Boden ist nicht eine Kohle zu entdecken.

Gesa klettert zwischen den hervorstehenden Knieen an der Bekleidung der Schute in die Höhe und springt gewandt in die nächste über. Da kommt sie recht. Emsig sammelt sie die verstreut liegenden Kohlen in ihre reine Schürze. Aber wie schmutzig ist diese bald und gar erst ihre sonst so saubere Hand.

Nein, nun will sie keine mehr aufnehmen, es könnte ihre Schürze zerreißen – es sind schon ordentlich welche . . .

Doch mit dem Überklettern geht's jetzt nicht so leicht, da sie nur eine Hand frei hat. So steigt sie vorn die paar Stufen zum Bord der Schute in die Höhe und balanziert ängstlich darauf fort. An der Längsseite, wo sich die Schuten aneinander reiben, tritt sie auf die nächste über.

Einmal ist's gelungen. Ein paar Schritte kommt sie auch auf dem schmalen Bord der nächsten vorwärts. Da aber stutzt sie. Vor ihr ist ein kleiner Fleck mit einer dünnen Eiskruste bedeckt, die 69 die Sonne noch nicht ganz aufzutauen vermochte. Darauf will sie lieber nicht treten, sie könnte ausgleiten und . . . Ihr wird angst. Nein! sie will umkehren.

Behutsam dreht sie sich um – da verliert sie das Gleichgewicht und stürzt zwischen die beiden Schuten.

Einen Augenblick halten die Kleider sie über Wasser, doch dann zieht der schnelle Elbstrom sie unter die Schuten. . . .

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Der Alte hat schon mehrfach ans Fenster geklopft, aber Gesa läßt sich weder hören noch sehen. Schon wird er unruhig und will hinaus, da kommt man ihm auf der Treppe mit der Nachricht entgegen: Gesa sei ins Wasser gefallen, aber ein Arzt sei schon da und mache Wiederbelebungsversuche . . .

Anscheinend gleichgültig hört er es an, wie etwas Fremdes, das ihn nicht kümmert. Nichts verrät nach außen, was in ihm vorgeht.

Wie ist das möglich?! Der abgehetzten Frau will es gar nicht in den Kopf. Wenn sie das gewußt, hätte sie nicht so geeilt, die Erste zu sein. Die Dore hatte mal gesagt: »Wenn miene Gesa mal wat tostött, was Gott verhüt'! dann wird mein Vadder woll verrückt; sonn' Berg hält er von die Kleine.« 70

Aber ganz im Gegenteil, meint die Frau, es rührt ihn gar nicht. Nachdem er sie einen Augenblick angesehen, geht er ohne Aufregung zurück und erscheint gleich wieder mit einer scharfen Bürste.

»Damit unner de Feut bosten – düchdig rieben – dat helpt –.« Er sagt es dumpf, abgebrochen und ohne die leiseste Spur äußerlicher Erregung.

Auf der Straße kommt ihnen ein Haufen Menschen entgegen. Ein befreundeter Ewerführer trägt Gesa auf den Armen. Der Arzt hat sie aufgegeben. Auch dies bringt keine Änderung in das Benehmen des Alten.

»Is se all dot?« fragt er wie abwesend und nimmt dem Ewerführer die kleine Leiche ab. Sorgsam trägt er sie in die Wohnung, als habe er es mit einer Schlafenden zu tun. Leise legt er sie auf das weiße Bett.

Erstaunt sind mehrere Neugierige gefolgt.

»Goht man!« sagt er und zeigt nach der Tür. Einige versuchen es nochmals, ihn zu trösten, doch er schiebt sie ohne weiteres hinaus und schließt die Tür hinter ihnen.

Er will allein sein mit ihr.

Dann richtet er sich groß auf und holt ein paarmal tief Atem. Seine Augen irren durchs Zimmer, als habe er noch alles nicht begriffen. Endlich geht er ans Lager. Stumm steht er eine 71 Weile und schaut der Kleinen in die halbgeöffneten, verglasten Augen. Seine faltige Hand legt sich leise darauf, als gelte es, einen zarten Schmetterling zu fangen. Sanft drückt er die kleinen Augen zu, dann fährt seine Hand zitternd über das feuchtkalte Gesichtchen.

Seine Augen erweitern sich, immer höher schieben sich die vollen grauen Brauen die Stirne hinauf, immer faltiger wird diese. Seine Zähne sind fest zusammengebissen, aber die Lippen stehen dabei krampfhaft starr auseinander.

Es kommt Bewegung in seine Gestalt; die Hand gleitet schneller über den nassen, kleinen Körper. Dann beginnt er mit zitternden Händen sie zu entkleiden. Ein Stück Zeug nach dem anderen hängt er beim Ofen über die Leine. Er sucht trockene Wäsche hervor und zieht ihr alles neu und rein an. Darüber ihr bestes lichtgrünes Kleid mit dem dunkelgrünen samtnen Gürtel und ebensolchen Armaufschlägen und Schleifen.

Er trocknet und kämmt das feuchte Flachshaar, doch es bleibt klebrig, es will nicht trocknen. Da zieht er einen Stuhl herbei und setzt sich nieder. Seine Hände spielen mit dem Haar und streichen ab und zu darüber hin; vielleicht, daß die Wärme seiner Hand ihm die Feuchtigkeit nimmt. . . .

Elf Jahre sind's, da saß er am Bette seiner Tochter, Gesas Mutter. Auch sie hatte man 72 damals aus dem Wasser gezogen und sie ihm triefend ins Haus getragen. Nur hielt Dore seine Hand in der ihren, nur war seine Brust damals so kalt, so unerbittlich, während seine Tochter weinte und schluchzte und ihn um Verzeihung anflehte.

Jetzt ist's anders. Jetzt liegt seine Gesa still, kalt – tot auf dem Bette, und in seinem Innern wühlt und streitet alles. Ihm ist's, als wollte sich seinem gequälten, tobenden Gehirn das »Schuldig« abringen.

Die Tochter war ihm geblieben; es wäre ihm kein Schmerz gewesen, hätte er sie damals verloren. Aber nun, wo das Frühlingskind wie ein echter Frühling Lust und Sonnenschein in sein trübes Leben gebracht hat, nun wird es ihm genommen!

Ist's doch, als zischelten häßliche Stimmen ihm jenen schweren Vaterfluch in die Ohren, der voll bitteren Hasses in jener Stunde zwischen den Zähnen hervorgedrungen. Er erwartet jeden Augenblick, daß ihn von einer Seite ein wuchtiger Keulenschlag treffen möge, der ihn daniederstreckt. Eine ungeheure Last ruht auf ihm, die ihn ängstigt, drückt, quält. Es würgt ihm an der Kehle – stöhnend springt er endlich vom Stuhl auf und sieht sich betäubt rundum.

Es ist Nacht draußen. Wie lange hat er so gesessen und geträumt? . . . Ganz dumpf ist ihm im Kopf. Liegt denn wirklich eine Zeit von elf 73 Jahren zwischen jener Nacht und jetzt? Elf Jahre, in denen er sich wie ein glückliches Kind über dasselbe Kind gefreut, um das er seine eigene Tochter verflucht hatte?

Und nun ist es hin! Tot! wirklich tot! – Ist es nicht, was er gewünscht hatte?

Er greift sich aufstöhnend nach dem Kopf. Diese Finsternis klagt ihn an. Er tastet nach Streichhölzern und zündet die Lampe an.

Er geht zum Bettchen und beleuchtet die kleine Leiche. Wirklich kalt, stumm und – tot. Da geht es ihm taub durch den Kopf: eine Tote muß doch einen Sarg haben. Und einen richtigen Sarg muß Gesa haben, kein einfaches Brett, wie er es auf dem Meer oft zurechtgeschnitten.

Wie er die Lampe auf die Drehbank stellt, fällt sein Blick auf die alte Seemannskiste, sein Erinnerungsstück. Als er vor vielen Jahren nach Ostindien gefahren war, hatte er sich mehrere Bretter von festem Teakholz eingehandelt und sich einen großen Werkzeugkasten daraus gezimmert. Schon Hunderte hat man ihm geboten, daß er die starke Kiste herausgäbe; sie war, sie blieb sein Stolz. Alle Reisen hatte sie mit ihm gemacht, alle Kämpfe erfahren, allen Stürmen getrotzt – das edle Holz der indischen Eiche war widerstandsfähiger denn Eisen! Keine Spur von Vernichtung, kein Wurm hat sich daran gewagt! 74

Hat die Kiste bisher sein Bestes, sein Werkzeug enthalten, war sie ihm das Wertvollste gewesen, so mag sie nun sein Liebstes aufnehmen, es für immer bergen: er will für Gesa einen Sarg daraus zimmern!

Schon ist er bei der traurigen Arbeit. Schnell ist die Kiste auseinandergerissen und in acht schmale Bretter zerschnitten. Sogar zu einem hohen Deckel reicht's: seine Gesa soll keinen »Näsendrücker« haben.

Hastig fügt er die Bretter aneinander; mit Anstrengung bohrt er vor und treibt mit kräftigen Schlägen die Nägel ein.

Kalter Schweiß tritt auf seine Stirn, keuchend atmet er, ungestüm greift er nach allem.

Treffen die wuchtigen Hammerschläge dröhnend aufs Holz, ist es ihm, als pochte es an seinem Gewissen. . . . Aber ist er denn schuldig? Hat sein Fluch sich vererbt auf das unschuldige Kind? . . . Er fragt es sich immer und begreift es doch nicht. Er fühlt eins, das ihn schrecklich martert, peinigt, das in ihm frißt und nagt: Er soll sie nie, nie wiedersehen! Nie wieder ihr die Tasse halten! Nie wieder mit ihr singen und lachen!

Unablässig hallen die Schläge durch den unheimlichen Raum. Das Bett erzittert, die kleine Leiche gleitet immer tiefer in die Kissen. Der Alte arbeitet unermüdlich, bis der Sarg fertig ist. Die 75 etwas langen grauen Haare kleben ihm um die Stirn und spielen ihm vor den Augen – er läßt sich kaum Zeit, sie zurückzustreichen.

Endlich gönnt er sich eine Atmungspause und stößt ein Fenster auf. Der frische treibende Frühlingswind treibt den dunklen Vorhang ins Zimmer und schlägt ihn unter die Decke. Die unruhige Flamme des kleinen Lämpchens qualmt hoch auf; schon ist der bugige Zylinder zur Hälfte geschwärzt.

Es will Tag werden. Die ersten Dampfpfeifen der kleinen Schlepper tönen herein. Immer lauter wird's draußen; das streitende Hasten und Jagen nach dem täglichen Brot beginnt von neuem.

Und wieder geht der Alte an die Arbeit. –

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Den Donner auch! Vier Taler hat die Madam ihr gegeben! Na, verdient hat sie sie auch, die ganze Nacht hindurch . . . So denkt Dore, als sie endlich mit Hallo der Dienstboten das Gesellschaftshaus verläßt. Man hat sie überall gern, denn sie scheut die Arbeit nicht. Nötig gehabt hätte sie's auch heute nicht, noch erst den ganzen Kram mit aufzuwaschen und beim Silberklären zu helfen. Aber die Mädchen packten ihr ihren Armkorb ordentlich voll, und dafür tat sie es dann schon gern. 76

Dore nimmt sich im stillen vor, für Vater und Gesa leise den Kaffee zu bereiten, ihnen aus dem Korb ein nobles Frühstück hinzustellen. Dann erst will sie sich hinlegen und den Vater wecken. Sie wird sich dann schlafend stellen, aber doch beobachten, wie der Vater vergnügt die Leckerbissen betrachtet. So kommt sie ihrer Wohnung näher.

Da sieht sie von draußen die Lampe brennen. Was mag das bedeuten? So früh pflegte der Alte nicht mit der Arbeit zu beginnen. . . . Voll Angst läuft sie die Kellertreppe hinunter und öffnet die Tür, hastig tritt sie ein und prallt entsetzt zurück, da sie den Vater einen Sarg lackieren sieht.

»Vadder! Was is . . .!?« Sie muß sich an der Tür halten, so zittern ihr die Kniee.

Ohne von seiner Arbeit aufzublicken, murmelt der Alte: »Gesa ehr . . .«

»Nee!!« schreit Dore. Sie läuft auf den Alten zu und packt ihn am Arm. »Vadder! . . .«

Er streicht ruhig weiter; nichts verrät nach außen seinen furchtbaren inneren Kampf. »Doch!« sagt er fest und zeigt mit dem triefenden Pinsel auf das Bett hinter der offenstehenden Tür.

Aufkreischend wankt Dore zu dem Bett und fällt in die Kniee.

»Ach Gott! Ach Gott! Womit hew ick dat verdeent?! . . .«

Der Alte wendet sich zu ihr, seine Gestalt 77 erzittert, zum ersten Male blinken Tränen in seinen Augen.

»Nich verdeent . . . dat schenkt he uns so! . . . dat schenkt he uns so! . . .« Der Pinsel ist ihm entfallen, er packt mit beiden Händen nach dem Sarg, und über seine faltigen Wangen perlen Tränen . . . .

– Diesmal aber hat er den Weg zu seinem Gott nicht wiedergefunden! –

 

 

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