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Der Oktober war gekommen. Der Amtmann hatte alle Hände voll zu tun. Am Krankenhaus mußte ein Neubau erstellt werden; denn der Anfragen waren so viele, daß kaum der Hälfte entsprochen werden konnte. Die Anstalt blühte und gedieh über alle Erwartung. Nun waren es nicht mehr nur die ganz Armen und ganz Hilfsbedürftigen, die hineinwollten, sondern die reichen Bauern auf den großen Höfen um Waldhausen herum wollten ihre Kranken auch da haben, und schickten ganze Wagen voll Obst und Holz und Korn, um dem Hause ihre Dankbarkeit zu zeigen, wo ihre Kranken so gut verpflegt wurden. Der Amtmann war in der besten Stimmung. Nur eins konnte ihn plötzlich sehr verstimmen; das war, wenn die Rede auf Herrn Delmys nahe Abreise kam. Es vermied deshalb jedermann, davon zu sprechen; denn im ganzen Haus konnte keiner den Gedanken ertragen, daß Herr Delmy fortgehen sollte.
In großer Erregung trat eines Morgens der Amtmann zu seiner Frau ins Wohnzimmer. »Unser Herr Pfarrer hat sein Amt niedergelegt!« rief er ihr schon unter der Tür entgegen. »Wir müssen gleich an eine Pfarrerwahl gehen. Aber nun bitte ich dich, Frau, wie kommt einem denn das Nächstliegende, das Beste, das Einzige nicht gleich in den Sinn? Warum haben wir denn noch nie daran gedacht, Herr Delmy müsse unser Pfarrer werden?«
»Daran habe ich schon sehr lange gedacht«, sagte ruhig die Frau Amtmann.
»Na, warum sagst du denn kein Wort davon?« fragte der Amtmann halb ärgerlich, aber doch sehr befriedigt über die volle Zustimmung.
»Weil ich dachte, es sei besser, die Sache komme dir selbst in den Sinn; und daß sie dir in den Sinn kommen mußte, wußte ich schon, es war ja gar nicht anders möglich«, erklärte die Frau Amtmann.
»Aber ob er will, ob es ihm nicht zu wenig ist, bei uns zu bleiben? Er hat wohl andere Aussichten! Da muß ich gleich ins klare kommen, da muß auch gleich gehandelt werden.«
Damit lief der Amtmann zur Tür hinaus und stieg unverzüglich die Treppe hinauf nach Herrn Delmys Zimmer.
»Herr Delmy«, sagte er eintretend, »ich muß Ihnen einen Vorschlag machen. Soeben ist unsere Pfarrerstelle freigeworden, bleiben Sie bei uns, werden Sie Pfarrer von Waldhausen! Sie mögen freilich viel glänzendere Aussichten haben, das sagte ich mir schon; aber wir können Sie nicht mehr entbehren, und Sie können ja soviel Gutes hier tun! Man wird Ihnen mit großem Vertrauen entgegenkommen, und Ihr Arbeitsfeld wäre nicht so sehr klein. Aber eine Hauptfrage ist ja, ob Sie es in unserer ländlichen Abgeschiedenheit für die Länge aushalten werden. Nun, Herr Delmy, Sie schweigen? Haben wir gar nichts zu hoffen?«
Herr Delmy stand einen Augenblick noch stumm vor dem Amtmann; daß er einen Eindruck von dem Gesprochenen empfangen hatte, konnte man daran sehen, daß alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen war.
»Herr Amtmann!« sagte jetzt Herr Delmy, »Sie haben mich so sehr überrascht, daß ich mich besinnen mußte, ob ich auch recht höre. Was Sie mir vorschlagen, ist der tiefste Wunsch meines Herzens. Ich kann mir kein lieblicheres Los denken, als in dem schönen Waldhausen zu bleiben und als Pfarrer in dieser Gemeinde zu wirken, mit der mich schon soviele Bande eng verknüpfen; sollten die Leute von Waldhausen mich wünschen und wählen, würde ich mit hoher Freude dem Rufe folgen. Aber eines, Herr Amtmann: Sie haben großen Einfluß in Ihrer Gemeinde, Sie müßten mir versprechen, den nicht für mich zu gebrauchen. Nie würde ich eine Wahl annehmen, die Sie durch Ihre Fürsprache herbeigeführt hätten, wie sehr es mich auch freut, daß Sie glauben, mich nicht mehr entbehren zu können. Sie müßten mir Ihr Wort darauf geben, daß Sie durchaus nichts dafür tun wollten, weder in Wort noch Tat, daß die Waldhauser mich zu ihrem Pfarrer machen sollten.«
»Gut, ich verspreche es!« rief der Amtmann aus, hocherfreut über Herrn Delmys freudige Zusage, und dachte, daß damit das einzige Hindernis am Gelingen seines Planes beseitigt sei.
Aber diesmal schien es, als sollte es dem Amtmann nicht so leicht werden, einen Zweck, den er sich einmal vorgenommen hatte, zu erreichen. Er wollte sein Wort halten, das er Herrn Delmy gegeben hatte, nirgends für ihn zu reden und niemand für ihn zu gewinnen zu suchen. Nur hier und da wollte er sich doch mit diesem oder jenem besprechen und hören, an wen man etwa denke und ob die Leute überhaupt einen bestimmten Wunsch oder Gedanken an irgend jemand hätten. Aber es war ganz merkwürdig, wie die Waldhauser in dieser ganzen Zeit sich gegen den Amtmann benahmen, geradezu als wäre eine Verschwörung gegen ihn im Gange. Jeder wich ihm aus, und faßte er einmal irgendeinen fest an und wollte im Gespräch nun auch die Pfarrerwahl berühren, so tat dieser, als habe er darin noch gar keine Meinung, und sobald er nur konnte, brach er ab und lief von dem Amtmann weg. Sogar der Vorsteher und der Gemeindeamtmann gaben gar keinen rechten Bescheid, als der Amtmann sie einmal geradezu fragte, an wen sie dächten, und sagten nur ein paar ganz allgemeine Worte von den letzten Herren Vikaren, die seien ja alle recht gewesen; aber der Amtmann merkte gut, daß sie etwas im Hinterhalt hatten.
So gingen die Wochen dahin, und der Wahlsonntag nahte. Jetzt hielt es der Amtmann nicht mehr aus. Von einem Menschen wenigstens konnte er erfahren, was denn eigentlich unter der Hand und hinter seinem Rücken ausgemacht wurde; denn daß die Waldhauser diesmal durchaus hinter seinem Rücken handelten, verstand er schon.
Er wandte sich an seinen Gärtner: »Was hört Ihr denn von der Pfarrerwahl, Joseph; will man bei den letzten Vikaren bleiben, und welchen wollen denn die Leute eigentlich?«
Joseph erklärte, er wisse nicht, was vorgehe, nur soviel könne er merken, daß sie einen wollten, der sicher dem Herrn Amtmann nicht recht sei; denn wenn sie alle die Köpfe zusammensteckten und über die Sache redeten, soviel sie nur könnten, im Wirtshaus oder wo es sei, und er, Joseph, komme dazu, so sage keiner ein Wort mehr und alle täten, als redeten sie von den gleichgültigsten Dingen, und das sei nur – setzte Joseph hinzu –, weil er beim Herrn Amtmann angestellt sei, das sehe er deutlich, der solle nichts erfahren.
»Aber habt Ihr selbst denn nie fragen können, wen sie zum Pfarrer haben wollen, könnt Ihr das nicht jetzt noch tun?«
»Sie geben mir keinen Bescheid«, antwortete Joseph; »sie sagen, es solle jeder tun, was er für das Beste halte, und ähnliche Reden; nur vom Feldmauser habe ich einmal die Antwort bekommen, es denke jeder zuerst an seinen Vorteil, und ich habe so bei mir gedacht, er trage nicht vergebens einen Rock vom letzten Vikar auf dem Leib.«
»Joseph«, sagte der Amtmann kurz, »ich will Euch nicht beeinflussen, ich gebe meine Stimme Herrn Delmy; tut, was Ihr wollt.«
»Herrn Delmy? Unserem Herrn Delmy?« fragte Joseph erstaunt. »Ja dem, dem geb ich sie auch, wenn man das tun kann.«
Der Wahlsonntag war gekommen. Der Amtmann zog seinen Rock an, um zur Kirche zu gehen.
Herr Delmy wird wenigstens zwei Stimmen bekommen«, sagte er zu seiner Frau, »die meine und Josephs; sonst hab ich wenig Hoffnung. Was den Waldhausern in die Köpfe gefahren ist, weiß ich nicht; so haben sie sich noch nie gegen mich betragen, daß sie mir alle seit Wochen aus dem Wege gehen, und ich konnte von mir aus nichts tun, ich hatte Herrn Delmy mein Wort gegeben.«
Die Frau Amtmann setzte sich still und traurig ans Fenster und schaute zu, wie die Wähler von allen Seiten der Kirche zuschritten.
Die Kinder standen in der höchsten Spannung an allen Fenstern herum; denn ob Herr Delmy heute zum Pfarrer in Waldhausen gewählt und so für immer bei ihnen bleiben werde, oder ob er sie in kurzer Zeit verlassen und vielleicht nie mehr zurückkehren sollte, das war für alle vier eine Frage von solcher Wichtigkeit, daß sie vor Angst und Erwartung kein Wort mehr redeten. Alle vier schauten mit gespannten Blicken bald auf die Uhr, bald auf die schwarzgekleideten Männer, die sich immer noch da und dort zeigten und dann zusammentreffend gleich mit Armen und Händen in der Luft herumfuhren, wie um sich gegenseitig zu überzeugen, und sodann der Kirche zugingen.
Herr Delmy saß still in seinem Zimmer und las.
Bei der alten Base war am Abend vorher der Kesselflicker wieder einmal angekommen. Jetzt stand er mitten in der Stube, und Gatti band ihm mit großer Anstrengung das rote Halstuch um, das ihm Tilli geschenkt hatte; denn er wollte auch gehen und helfen, einen Pfarrer für Waldhausen zu wählen, und Gatti wollte den Vater auch festlich angezogen sehen; denn es hatte jetzt Augen dafür, ob einer gut und sauber aussah oder nicht. So wanderte der Kesselflicker nach vielen Jahren zum erstenmal wieder zur Kirche; und er kam sich so ganz verändert vor, wie er so als Wähler in seinem neuen Halstuch dahinging, und auf dem Wege wurde es ihm immer wohler. Gatti begleitete ihn im neuen Sonntagsrock von Tilli und sah so sauber und geputzt aus, daß es der Vater zu öfteren Malen mit Wohlgefallen und Erstaunen ansehen mußte. Wie nun die beiden so miteinander der Kirche zuwanderten, schauten ihnen die Leute ganz verwundert nach und sagten untereinander, es sehe gerade so aus, als ob das Wunder, das an diesem Kinde geschehen sei, nun auch noch am Vater zu wirken anfange.
Vor der Kirchentür blieb Gatti stehen, und der Kesselflicker trat mit festem Schritt hinein.
Es vergingen wohl zwei Stunden und mehr noch. Gatti wich keinen Augenblick von seinem Posten an der Tür.
Jetzt gab es eine Bewegung in der Kirche; einige der Männer kamen heraus und redeten miteinander. Gatti hatte genug gehört. Atemlos stürzte es nach dem Amthaus hinauf und in die Stube hinein mit dem lauten Ruf: »Er ist's! Er ist's!«
»Wer? Was?« riefen die Kinder entgegen.
»Herr Delmy ist unser Pfarrer, Herr Delmy!« rief das Gatti.
Jetzt brach ein unerhörter Jubel los. Die Kinder jauchzten und schrien vor Freude alle durcheinander, und Tilli und Lex hüpften in hohen Sprüngen im Zimmer herum, als könnte nur durch diese außerordentliche Bewegung die nie dagewesene Freude bewältigt werden. Selbst die Mutter war von der glückverbreitenden Überraschung so ergriffen, daß sie erst kein Wort sprechen konnte. Jetzt wies sie Tilli an, Gatti hinauf zu Herrn Delmy zu führen, damit es die Freude habe, diesem selbst die Nachricht zu überbringen. In höchstem Glück stürzten die Kinder die Treppe hinauf und klopften in der Aufregung so schrecklich an die Tür, daß Herr Delmy drinnen zusammenfuhr und halb erschrocken den Hereingerufenen entgegensah. Die Kinder sprangen ganz nahe zu ihm heran, dann sagte das Gatti freudestrahlend: »Sie sind unser Herr Pfarrer.«
Einen Augenblick stand Herr Delmy ganz bleich und unbeweglich und sprach kein Wort. Dann nahm er Gattis Hand in die seinige: »Und du bringst mir die Nachricht, Gatti! Das freut mich! – Oh, das freut mich!« wiederholte er wie für sich. »Du bist mir der rechte Vertreter derer, von denen ich wünschte, gerufen zu werden.«
Herr Delmy nahm an jede Hand eines der Kinder und kam die Treppe herunter, wo er mit der Frau Amtmann und den anderen Kindern zusammentraf; denn diese hatten vom Fenster aus einen Boten heranlaufen sehen und wollten ihm entgegenkommen. Eben sprang er keuchend die Steinstufen herauf; es war Joseph, abgesandt vom Amtmann, der keine Ahnung hatte, daß Gatti ihm schon zuvorgekommen war. Joseph mußte berichten, daß Herr Delmy einstimmig zum Pfarrer gewählt sei, daß auch nicht eine einzige Stimme gefehlt habe. Mit Staunen und Rührung schauten die Frau Amtmann und Herr Delmy sich an. Wie war das möglich! Wie konnte es nur zugegangen sein! So mußten sie sich fragen und sich freuen und wieder fragen, wie sie nun im stillen Wohnzimmer zusammen saßen, während die Kinder draußen ihrer freudigen Aufregung ein wenig Luft machen mußten.
Unterdessen war der Amtmann drunten in der Kirche von einem Erstaunen in das andere gefallen, als er bemerkte, welche Wendung die Pfarrerwahl nahm; und wie es nun zum Endergebnis kam und Herr Delmy mit allen Stimmen von der ersten bis zur letzten berufen war, da stand der Herr Amtmann in einer Verwunderung da, wie in seinem ganzen Leben noch nie. Wie die Sache zustandegekommen war, mußte er wissen, ehe er nach Hause ging. Er sandte darum den Joseph mit der Nachricht und wandte sich einem Trüppchen von Männern zu, die mit besonders vergnügten Gesichtern dastanden und sich besprachen. Als der Herr Amtmann zu ihnen trat, grüßten sie ihn alle sehr untertänig und verteilten sich dann gleich nach allen Seiten, als habe keiner einen Augenblick zu verlieren.
Jetzt trat der Gemeindeamtmann aus der Kirche; der Amtmann ging rasch auf ihn zu.
»Nun, Herr Gemeindeamtmann«, redete er ihn an, »wie sind wir denn zu unserem Pfarrer gekommen? Eine solche Überraschung habe ich noch nicht erlebt.«
»Ja, ja«, entgegnete bedächtig der Gemeindeamtmann, »es geht manchmal anders, als man denkt, das habe ich auch schon erfahren; es geht so in der Welt, es geht so – nichts für ungut, Herr Amtmann, ich bin ein wenig eilig, es ist schon spät.« Der Gemeindeamtmann hatte schon während des Sprechens sich immer ein wenig entfernt, jetzt ging er ziemlich eilig davon. Dem Amtmann kam es sonderbar vor, daß heute keiner Zeit hatte zu reden, sie mußten doch alle wie er von dem Ereignis erfüllt sein.
Jetzt lief der Feldmauser hart an ihm vorbei.
»He, guter Freund!« rief der Amtmann aus. »Steht einen Augenblick still!«
Der Angerufene kehrte zurück, machte aber eine Gebärde, als ob auch er eilig sei; aber jetzt war der Amtmann entschlossen, seinen Mann festzuhalten.
»Sagt einmal, Mauser, wollt Ihr die Woche auf meine Felder kommen? Da sind Mäuse drin, daß es wimmelt.«
»Ja, gern, Herr Amtmann, recht gern«, antwortete der Feldmauser bereitwillig.
»Gut! Nun gehen wir, denk ich, ein Stück Weges zusammen; kommt, ich kann Euch gleich im Vorbeigehen das Feld zeigen, wo die meisten Mäuse sind«, sagte der Amtmann.
Auf diese unmittelbare Aufforderung hin konnte der Feldmauser nicht zurückbleiben, obschon er versuchte, ob er etwa damit entwischen könne, daß er dem Amtmann sagte, er komme ihm schon nach, er wolle nur noch seinen Nachbar erwarten.
»Dann wart ich auch«, bemerkte der Amtmann und stellte sich breit und fest hin, so daß der Mauser sah, es sei ihm Ernst. Hierauf kehrte er um und sagte, der Nachbar werde aber wohl schon gegangen sein.
»Gut, so gehen wir«, sagte der Amtmann, sich in Bewegung setzend, »und nun sagt mir, Mauser, Ihr habt ja unserem neuen Herrn Pfarrer auch die Stimme gegeben, wie kamt Ihr dazu?«
Das war gerade die Frage, die der Mauser befürchtet hatte. Er schob seine Kappe hin und her auf dem Kopf, so, wie um durch deren Festsitzen die nötige Sicherheit zu gewinnen, und sagte dann: »Ja, man tut eben so nach seiner Ansicht, ich will ja nicht sagen, daß der Herr Amtmann einen Besseren gewußt hätte.«
»Nein, das hätte ich nicht, auf der ganzen Welt nicht«, erklärte der Amtmann; »ich habe ihm, denk ich, meine Stimme auch gegeben, da ihm keine einzige gefehlt hat.«
Jetzt ging dem Mauser ein ganz neues Licht auf; denn es war ja richtig: der Pfarrer war einstimmig gewählt worden.
»Ja so, Herr Amtmann, das ist etwas anderes«, sagte der verwunderte Feldmauser; »jetzt weiß ich selber nicht, wie alles so gegangen ist.«
»Erzählt mir doch einmal alles, was gemacht und geredet worden ist in dieser Sache«, sagte der Amtmann nun; »aber verbergt mir nichts, hört Ihr, und dann nach der Anstrengung kommt Ihr mit mir zu einem Glas guten Wein.«
Der Feldmauser war sehr erleichtert, daß die Angelegenheit eine solche Wendung nahm, und fing nun gleich geläufig an zu erzählen, wie man eine Liste umhergeboten hatte mit den drei Vikaren darauf. Aber auf einmal habe es geheißen, man wisse einen viel besseren Pfarrer, nur müsse man nicht davon reden; denn der Herr Amtmann wolle ihn für sich behalten und nicht aus seinem Hause lassen. Darum sage er auch kein Wort von ihm, wenn er schon wisse, daß es keinen besseren Menschen gebe. Man habe auch Beispiele von ihm erzählen gehört, die habe mancher nicht glauben wollen. Wie der Herr zum Beispiel einmal lieber selber hergehalten habe, als daß das bösartige Kesselflickerkind eine Ohrfeige vom Herrn Amtmann erhalten sollte. Aber das Kind habe es selbst erzählt und noch viel dazu, wie der Herr so gut und liebreich sei, wie ein Engel vom Himmel, und das Kind habe alles gut wissen können; denn es habe ihn täglich gesehen. So hätten sie doch alle denken müssen: wenn dieser Herr gegen jemand, wie das zerlumpte Kesselflickerkind, so sein könne, so wollten sie auch gern mit ihm zu tun haben, und wenn sie ihn eben zum Pfarrer machen könnten, so könnte dann jeder zu ihm kommen und auch etwas von ihm haben. »Und so«, schloß der Feldmauser, »kann es uns ja der Herr Amtmann nicht übelnehmen, daß wir den Pfarrer so hinter seinem Rücken wählten; denn es mußte ja doch jeder annehmen, der Herr Amtmann wolle ihn nicht hergeben, weil er gar nicht für ihn redete.«
»So, das ist gut gegangen«, sagte der Amtmann, nun ihm durch den Feldmauser alles so klar geworden war. »Hätte der Amtmann den Waldhausern den Herrn Delmy recht warm empfohlen, so hätten sie gesagt: ›Aha, der will den loswerden!‹ und wir hätten unseren Herrn Pfarrer nicht einstimmig bekommen, vielleicht hätten wir ihn jetzt gar nicht. Es ist gut, daß ihr in Waldhausen nicht nur einen Amtmann, sondern daß ihr noch so ein Kesselflickerkind habt, das euch zuweilen den Weg zeigt.«
»Ja, das ist wahr«, sagte der Mauser aufrichtig.
Jetzt waren sie zu Hause angekommen, und der Amtmann nötigte seinen Begleiter freundlich in sein Haus hinein, daß er sein wohlverdientes Glas Wein trinke.
Unterdessen war das Gatti heimgekehrt und traf seinen Vater, wie er festlich ausruhend im roten Halstuch unter seiner Haustür stand.
»Gatti«, sagte er, wie das Kind herankam, »ich habe heut so neue Gedanken, es ist mir so, als müsse etwas Neues beginnen, es kam mir so auf einmal, wie ich so mit dir gegen die Kirche hinging, so im Sonntagsgewand, und du so gut in der Ordnung, wie ich dich noch nie gesehen habe. Ich habe nun so gedacht, wenn ich mein Gewerbe nun wieder im Haus triebe, nicht mehr auf der Straße, und du dann so alles in Ordnung hieltest, daß es wieder einen Haushalt abgäbe, wo eine Ordnung wäre; was meinst du?«
»O ja! O ja, Vater!« jubelte das Gatti, »das kann ich schon! Das will ich schon! Oh, dann führen wir eine rechte Haushaltung, wie die anderen Leute, und dann kommt der Herr Pfarrer auch zu uns! Ich will auf der Stelle anfangen, Vater, und alles in Ordnung machen«, und Gatti schoß in seinem Unternehmungseifer schon zur Tür hinaus, um gleich des Vaters Werkstatt von allen Spinnweben zu befreien.
Aber noch zur rechten Zeit, damit nicht der festliche Sonntag für Gatti noch zu solchem Arbeitstag umschlage, kam Tilli herbeigerannt, und unter der Tür, wo noch der Vater stand und das Gatti nun auch wieder erschien, verkündigte das Tilli mit lauter Stimme, seine Gatti müsse auf der Stelle mit ihm nach Hause kommen, da werde gleich zu Mittag gespeist und dann werde eine Ausfahrt auf dem großen, zweispännigen Landwagen gemacht, um den Freudentag festlich zu begehen, und der Papa habe gesagt, das Gatti müsse mit dabei sein.
»Das wird doch nicht sein!« sagte der Kesselflicker in der höchsten Verwunderung.
»Doch, doch!« versicherte Tilli, »Papa hat mich selbst geschickt, das Gatti muß schnell kommen.« Und nun rannten die beiden Kinder in hoher Freude davon, dem Amthaus zu.
Eine halbe Stunde nachher trat der Kesselflicker wieder unter seine Haustür hinaus; er wollte hier den Wagen erwarten; denn er konnte annehmen, die Gesellschaft würde nach dieser Seite fahren, wo die Straße gut war. Der Kesselflicker hatte den Hut aufgesetzt, um ihn vor dem Herrn Amtmann und seiner Familie abziehen zu können; denn, hatte er drinnen der alten Base erklärt, man müsse jetzt darauf sehen, manierlich zu sein, wenn man nun so mit der Herrschaft in nähere Beziehungen komme.
Jetzt rollte der Wagen heran. Vorn auf dem hohen Sitz saß der Herr Amtmann und neben ihm sein Sohn Max. In der Mitte die Frau Amtmann und der Herr Pfarrer, zwischen ihnen Elsa. Auf dem hintersten Sitze saßen Lex und Tilli, das Gatti in ihrer Mitte, strahlend vor Freude. Wie hätte es sich auch nur denken können, daß es jemals da hinaufkäme, wenn es den Zweispänner vorbeirollen sah und die Amtmannskinder anstaunte, die da oben mit Vater und Mutter und Herrn Delmy saßen, und es ihnen nachschaute, solange nur noch ein Pünktchen von ihnen zu sehen war, so schön kam dem Gatti die Sache vor. Und nun saß es selbst da oben, mitten unter den Amtmannskindern, und vor ihm saß Herr Delmy und wandte sich alle paar Minuten mit der größten Freundlichkeit nach den Kindern um, sich zu versichern, daß noch keins von den dreien verlorengegangen sei; denn sie saßen nicht besonders ruhig auf ihrem hohen Sitz. Und aus allen Türen und Fenstern schauten die Waldhauser heraus und grüßten ehrerbietig, und alle mußten sich aufs höchste verwundern, wie denn des Kesselflickers Gatti zu der Ehrenfahrt des neuen Herrn Pfarrers auf des Amtmanns Zweispänner kam. Das war nun auch ein Festtag, den Gatti sein Leben lang nicht vergessen wird. Auch das schöne Nachtessen bei der Heimkehr mußte es noch mitmachen, und erst spät am Abend kehrte es heim, noch von Lex und Tilli begleitet, die ihm helfen mußten, seine großen Pakete nach Hause zu tragen; denn der Herr Amtmann hatte angeordnet, daß es alle Reste des Nachtessens mitnehmen sollte, damit der Vater und die alte Base auch noch ein wenig Festtag haben könnten.
Es dauerte aber gar nicht lange, so kamen die Waldhauser zu einer neuen Verwunderung; denn gleich nach seinem Ehrentag fing Gatti mit der größten Kraftanstrengung in seinem Häuschen herumzuputzen und zu kratzen an, und Schmutz und Fetzen und Spinngewebe wurden da haufenweise hinausgeworfen, und dann fing Gatti im höchsten Eifer an einzurichten und neu aufzubauen.
Jetzt wurde auch das Tilli von dem Einrichtungsfieber ergriffen. Jedes Hausgerät, dessen es habhaft werden konnte, schleppte es vor die Mutter und fragte: »Kann ich das Gatti in den neuen Haushalt bringen?« Und was nur entbehrlich war, wurde dahingetragen, so daß das Gatti in der kürzesten Zeit in einem ganz wirtlichen Häuschen saß und es von oben bis unten musterhaft in der Ordnung hielt. Dem Kesselflicker gefiel seine saubere, helle Werkstatt so gut, daß er gar nicht mehr hinauswollte und so ins Arbeiten hineinkam, daß er sich sogar zum Spengler (Klempner) aufschwang. –
An diesem fröhlich gedeihenden Haushalt hat der Amtmann eine so große Freude, daß er niemals an dem Häuschen vorbeigeht, ohne bei dem Spengler einzutreten und eine kleine Weile bei ihm in der Werkstatt zu sitzen. Hier nimmt die Arbeit mit jedem Tage zu; denn der Amtmann hat den Spengler jetzt als Lieferanten aller in sein Fach einschlagenden Artikel für das große Krankenhaus eingesetzt. Der Amtmann tritt aber nie in das Häuschen ein, ohne nach Gatti zu fragen und ihm ein freundliches Wort zu sagen, wenn es erscheint. Wird aber in seinem Hause irgendein Festtag gefeiert, an dem man sich wieder aufs neue des errungenen Herrn Pfarrers erfreut, dann sagt der Amtmann: »Gatti soll mithalten; wo wäre unsere Freude ohne seine Mitwirkung?« Und das Tilli holt im Triumph seine Freundin herbei.
Tilli und Gatti sind die besten Freunde geblieben. Gatti ist glückselig, wenn Lex und Tilli es in seiner Häuslichkeit besuchen und sie alle dann zusammen um den Schiefertafeltisch sitzen und ihre Angelegenheiten beraten; denn irgend etwas haben die drei immer noch vor. Nur ein Glück gibt es für Gatti, das dieses noch übersteigt; das ist, wenn der Herr Pfarrer bei ihm eintritt und sich an seiner guten Ordnung und am Gedeihen seines ganzen Haushaltes mit einer Herzlichkeit freut, als wäre das Gatti sein eigenes Kind.
In ganz Waldhausen aber ist kein einziger Mensch, der seinen Herrn Pfarrer wieder hergeben würde, und der Herr Pfarrer hat eine solche Liebe und Fürsorge für seine Waldhauser, daß er sie nie mehr verlassen würde – und wenn er auch geradezu einen Ruf nach Berlin bekäme.
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