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Viertes Kapitel.
In der Stauffer Mühle

Jörli war frühe aufgestanden, wie er es auf dem Berge gewohnt war. Jetzt stand er reisefertig im Hof und wartete auf die Frau Meisterin, daß er sich bedanken und seine Mandoline wieder zurückerhalten konnte. Jetzt trat der Müller aus dem Hause. Es gefiel ihm, daß der Bube schon so früh aus den Federn war. Nicht unfreundlich erwiderte er dessen Morgengruß. »Geh' hinein,« setzte er dann hinzu, »die Frau rüstet für dich das Morgenessen.« Jörli gehorchte. Die Thür stand offen. Drinnen in der Stube stand die Müllerin und ordnete den Tisch. Sie hörte den Schritt des Buben. »Komm nur herein,« sagte sie freundlich, »sieh, hier sitzest du nun neben mir am Tisch, denn du bleibst bei uns, Jörli, wir haben schon Arbeit für dich, und ich denke, du willst sie recht machen.«

Jörli wußte nicht, wie ihm geschah. Schon daß er in einer Mühle wohnen sollte, wo er das ganze Getriebe des Mühlwerks sehen konnte, war für ihn eine beglückende Aussicht, und dazu noch bei der guten Frau zu bleiben, das war noch ein viel größeres Glück. Er konnte gar nichts sagen, aber seine Augen strahlten so vor Freude, daß die Müllerin lächelnd sagte: »So freut's dich? Das ist recht, und mich freut's auch.«

Beim Morgenessen, als ihre Leute alle versammelt waren, teilte die Frau ihnen mit, daß Jörli nun zum Hause gehöre und überall mitzurechnen sei. Nach dem Essen nahm sie den Jörli bei der Hand. »Komm mit mir,« sagte sie und führte ihn in den Hof hinaus, vor die Hütte, wo der große Sultan sich ausgestreckt sonnte. Er sprang auf und knurrte ergrimmt.

»Komm her, Sultan,« sagte die Herrin und zeigte auf den Jörli an ihrer Hand, »sieh' den an, der gehört zu mir, komm und lecke ihm die Hand!« Dann streichelte sie Jörlis Hand ganz langsam und freundlich. Der Sultan schaute eine Weile aufmerksam zu, dann kam er ganz zahm heran und leckte Jörlis Hand.

»Du guter Sultan, du,« sagte Jörli und legte seine Hand auf dessen Kopf, »nun wollen wir gute Freunde sein, gelt?« Der Hund wedelte mit dem Schwanz und beleckte nochmals Jörlis Hand.

»Er hat's verstanden, jetzt hält er die Freundschaft, du kannst sicher sein,« sagte die Müllerin, streichelte den Sultan belohnend und ging dann mit Jörli weiter, er mußte im Hofe alle Räumlichkeiten kennen lernen. Dann ging sie mit ihm in den Keller und nachher im ganzen Hause herum, damit er jeden Raum und seine Bestimmung kenne, denn sie hatte im Sinn, ihn so recht als ihren eigenen persönlichen Bedienten und Begleiter heranzuziehen. Jörli hatte offene Augen und achtete genau auf alles, was die Müllerin ihm vorwies. Nach der Besichtigung aller Wohnräume, deren Benutzung sie erklärte, führte sie den Buben nach dem Boden hinauf, machte rasch den Laden auf und schaute die Landstraße hinauf und hinab – sie sagte nichts mehr. Da dachte Jörli, das müsse er auch thun, kam nahe heran und schaute auch hinaus. »O, der Laden will fallen!« rief er und hielt ihn aus allen Kräften fest. Die Frau griff gleich auch zu; sie sah eine große Gefahr.

»Lauf, lauf, Jörli, was du kannst und hol einen Burschen, einen kräftigen; der Laden ist furchtbar schwer, fällt er hinunter, so kann er einen totschlagen.« Jörli schoß die Treppen hinab. »So geht's, wenn man seine Gedanken anderswo hat,« sagte die Müllerin für sich, »täglich habe ich den Laden aufgemacht und nichts gesehen.«

Schneller als sie sich's gedacht, war die Hilfe da; es war gut, denn so kräftig die Müllerin war, in der peinlichen Stellung hätte sie den ungeheuren eichenen Laden nicht mehr lang zu halten vermocht. Jörli hatte mit richtigem Blicke sich gleich an den Rechten gewandt, an den Zimmermeister, der unten in dem Mühlwerk zu arbeiten hatte. So kam die Sache gleich in volle Ordnung. Die Müllerin war von dieser Entdeckung eines drohenden Unglücks und der schnellen Abhilfe so erfüllt, daß sie gleich den Müller aufsuchen und ihm erzählen mußte, was sie an dem Buben für eine Stütze ins Haus bekommen habe, und so viel hatte sie in ihrer Freude von des Buben Scharfsinn, seiner Gewandtheit und seinem eigenen Ausdenken der Dinge zu berichten, daß der Müller endlich trocken sagte; »Mach nur, daß du in acht Tagen nicht zuviel zurücksingen mußt von deinem Lobgesang; es ist heute der erste Tag, daß der Bub da ist.«

Das machte aber keinen Eindruck auf die Frau, die gute Meinung von ihm und die Liebe, die sie schon zu ihm gefaßt hatte, hätte kein Mensch mehr aus ihrem Herzen reißen können. In ihrer Freude mußte sie auch den Mägden mitteilen, welch ein Gewinn für das Haus die Anstellung dieses Buben sei, wie genau Jörli alles ausführe, was er zu thun habe, und wie er selbst sehe, was überall not thut; das komme daher, daß er seine Gedanken immer bei der Sache habe und nicht bei hundert andern Dingen. Diesen Ruhm hörten die Mägde nicht gern, denn sie fanden, es sei alles im Hause in Ordnung gewesen, bevor so ein lumpiges Büblein erschienen sei. Und daß er ihnen die Bemerkung der Meisterin über das Zusammenhalten der Gedanken eingebracht hatte, machte sie erst recht zornig; dem wollten sie's eintränken.

Dem Jörli ging es von Tag zu Tag besser; er kannte nun den ganzen Gang der Wirtschaft, wußte, wie alles sein mußte, wie eins aufs andere folgte, und wo jedes Ding seinen Platz hatte. Er war bald die rechte Hand der Müllerin; sie verließ sich auf den Buben wie auf sich selbst und ihre Liebe nahm mit jedem Tage so zu, daß sie ihrem Mann kaum mehr von etwas anderem erzählte, als von ihrem Buben. Der Müller hörte schweigend zu, nur zuweilen wiederholte er trocken: »Noch sind keine acht Tage um.«

Als diese um waren und noch einige dazu, traf der Müller eines morgens in der ersten Frühe auch den Jörli, der eben geschäftig vom Hinterhof, wo die Hühner und Enten ihren Wohnsitz hatten, hergelaufen kam.

»Zwanzig kleine Hühnchen sind in der Nacht aus den Eiern gekrochen,« rief Jörli siegreich, die Besorgung der Hühner und Enten war ihm von der Müllerin ganz übergeben worden.

»Es scheint, deine Familie macht dir Freude,« sagte der Müller. »Wundert es dich nicht auch, wie's in der Mühle zugeht? Willst du einmal hinein mit mir?«

Jörlis Gesicht leuchtete auf vor Freude. Schon lange hatte er das gewünscht, aber die großen Müllerburschen waren nicht sehr freundlich zu ihm, und vor dem Meister hatte er noch immer eine leise Scheu, und deshalb noch nie gewagt, näher als unter die offene Thür der Mühle zu gehen und hineinzugucken.

»So komm,« sagte der Müller, der die stumme Antwort verstand.

Einen Augenblick zögerte Jörli noch, dann sagte er ein wenig zaghaft: »Darf ich auch kommen, wenn ich noch zuerst der Meisterin die Freude sage?«

»So lauf, es scheint, die Familie geht vor,« sagte der Müller und diesmal ging ein leises Lächeln über sein Gesicht, das hatte Jörli noch nie gesehen. Er lief, so schnell er konnte, brachte seine Freudennachricht der Müllerin, und kam dann in Sprüngen der Mühle zugerannt. Unterdessen waren auch die Burschen zur Arbeit gekommen, es war alles in der rührigsten Thätigkeit. Der Müller führte den Jörli an alle Stellen, wo etwas zu sehen war, und beantwortete eingehend alle Fragen des Buben, der mit der gespanntesten Aufmerksamkeit jeden Trichter und jeden Lederriemen betrachtete. Bei jedem neuen Gegenstand suchte er auszufinden, wozu er wohl da sei und wie das alles so ineinander arbeitete. Wo der lange Kaspar stand, einer der Müllerburschen, der um seines ungewöhnlichen Wuchses willen so genannt wurde, war eine besonders zusammengesetzte Maschine im Gang. Jörli staunte und bewunderte und kniete nieder, um von allen Seiten die Sichtung der verschiedenen Mehlarten, welche hier stattfand, zu betrachten. Der Müller entfernte sich einen Augenblick und überließ den Buben seinen Betrachtungen. Als er zurückkehrte, sagte Jörli, noch immer in Bewunderung dastehend: »Wenn man diesen Riemen hinten fest anziehen würde, dann müßte es viel rascher rund um gehen; es ist, wie wenn zuweilen alles einen Augenblick still stehen wollte.«

Der Müller kam herzu und schaute sich die Sache an.

»Wozu hast du Augen im Kopf, wenn du sie nicht brauchst?« fuhr der Müller den langen Kaspar an. »Schäm dich vor dem jungen Buben, der nur herankommt und gleich sieht, was fehlt, und du läßt laufen, was ganz verkehrt ist, und arbeitest nun seit drei Jahren am gleichen Platz.« Der Meister machte nun selbst die Sache in Ordnung und ging dann mit Jörli weiter. Dem letzteren warf der lange Kaspar einen bitterbösen Blick nach.

Als das ganze Innere der Mühle besichtigt war, ging der Meister auch noch mit dem Buben hinaus und zeigte ihm das Räderwerk, für das der Jörli eine besondere Begeisterung zeigte. Wie viele, viele Stunden lang hatte er auch über die Zusammensetzung eines solchen Kunstwerks nachgedacht, wenn er droben ganze Tage lang an seinem Bach gesessen.

»Nun hast du alles gesehen, jetzt gebe ich dir eine Arbeit drinnen in der Mühle, ich will sehen, wie du die machst,« sagte der Müller.

Sie traten wieder ein und bald war Jörli mit allen Gedanken in die angewiesene Arbeit vertieft.

Es waren seither bald wieder acht Tage vergangen. Die Müllerin hatte wohl bemerkt, warum ihr der Jörli so abhanden gekommen war, denn jedesmal, wenn sie nach ihm rief, hieß es, er sei drüben beim Meister und habe in der Mühle zu thun. Der Bube fehlte ihr, wo sie ging und stand, und zu jeder Stunde des Tages. Aber sie wußte, wo er war und war voller Freude, daß ihr Mann nun wohl erfahren würde, wie der Jörli sei und was man an ihm habe. So war es nun schon eine Woche lang fortgegangen. Ihr Mann hatte nie ein Wort von dem Buben gesagt, und wie sehr es auch die Müllerin wunderte, wie es wohl drüben mit Jörlis Arbeit ging, sie fragte kein Wort, sie hätte doch nur die Antwort erhalten: noch seien nicht acht Tage um und vor Ablauf dieser Zeit ließ ihr Mann ja kein Urteil gelten.

Nun kam endlich der Samstag Abend. Kaum hatte sich die Müllerin zu ihrem Mann an den kleinen Tisch gesetzt, so sagte sie schnell: »Und nun, wie ist's mit dem Jörli? Es ist mir so, als sei er die Woche nicht selten um dich gewesen.«

»Das ist ein Wetterbube, sag' ich dir!« fuhr der Müller los, der nur auf die Frage gewartet hatte, »ein solcher ist mir noch gar nie unter die Finger gekommen! Augen hat der wie ein Falk; wo's fehlt, sieht er auf den ersten Blick; aber wie er gleich merkt, wie man helfen kann, das ist mir noch nie vorgekommen bei einem, der noch keinen Blick ins Handwerk gethan. Es ist geradezu, wie wenn der Bube auf die Welt gekommen wäre mit dem Stempel: »Müller« im Gehirn. Und das ist ein armer, verlaufener Bube, ein Fremder für mich, – o!« – Der Müller stöhnte tief auf. »Nur einen noch habe ich gekannt, der hatte ein solches Auge wie ein Adler und ein Geschick, eine Hand! Ja, was der in die Finger nahm, wie kam es akkurat und nett heraus! Er konnte, was er wollte. Aber was hat der gewollt!« Der Müller stöhnte noch lauter und völlig ingrimmig.

»Stauffer,« unterbrach die Frau jetzt den Mann, der so aufgeregt geworden war und so viel hintereinander geredet hatte, wie seit manchem Jahr nicht mehr, – »wir wollen das Vergangene liegen lassen. Wir wollen uns nun freuen, daß der arme Bube gerade zu uns kommen mußte, wir können ihn gut brauchen und haben ihn beide gern. Wir wollen teilen, nimm du ihn einen Tag in die Mühle und ich nehme ihn einen für mich ins Haus. So haben wir beide Freude und er lernt alles.«

»Was meinst du denn?« sagte der Mann immer noch viel lebhafter, als er sonst sprach, – »drinnen im Hause hat er nichts mehr zu lernen; was er lernen konnte, hat er in den acht Tagen besser gefaßt als die beiden Mägde zusammen in acht Jahren. Hinten im Hühner- und Entenstall sieht es so sauber und geordnet aus, wie noch nie, seit der Hof steht, das habe ich mir selbst angesehen, und daß man mit der Sonne heraus muß am frühen Morgen, weiß der Bube wie kein anderer der ganzen Schar. Jeden Morgen ist er zuerst auf dem Platz. Aus dem mach' ich einen Müllerburschen, wie ich noch keinen hatte. Wer weiß, ob ich ihn nicht noch die Mechanik erlernen lasse. Ich denke an allerhand Erweiterungen des Gewerbes, er muß Tag für Tag drüben sein und sich einarbeiten.«

Die Frau wollte nicht weiter um den Jörli kämpfen, es war ihr ja lieb genug, daß er ihrem Manne so das Herz abgewonnen hatte wie keiner mehr, seit er den verloren, der sein Stolz war. Auch hoffte sie schon Mittel und Wege zu finden, um den Buben auch wieder in ihre Hand zu bekommen, denn ihn so ganz herzugeben, war gar nicht ihre Meinung. Fürs erste wollte sie sich mit dem allabendlichen Zusammensein mit dem Jörli begnügen, wenn sie sich mit ihm auf die Bank vor dem Hause hinsetzte und er ihr seine Lieder singen mußte. Das war ihr die liebste Stunde des Tages geworden. Sie ließ aber den Jörli erst singen, wenn der Müller ins Haus eingetreten war, sie wußte zu gut, daß er die Musik nicht ertragen konnte.

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