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Siebentes Kapitel.
Geständnisse. Ein neuer Schwiegersohn und Vertrauter.


Alfred ließ sich am nächsten Tage bei dem »Plantageur« nicht lange erwarten. Der Ungeduld des Letztern kam er dennoch nicht zu früh. Papa ging rasch auf den jungen Herrn zu, machte ihn niedersitzen, und redete ihn dringlich und verlegen an: Ich habe Sie hieher bemüht, weil ich keine Ruhe habe, so lange ich nicht vor Ihnen gerechtfertigt dastehe. Wenn Sie gestern meinen republikanischen Redensarten Gehör und Glauben geschenkt haben, so mußten Sie auf die Vermuthung kommen, ich sey ein Narr geworden. Dem ist nun eben nicht so. Aber – ich will es nicht läugnen – der Umschlag, der sich wieder so unverhofft im Lande gemacht hat, jagt mir eine Galgenangst ein, und diese Angst hat mir zur Verstellung gerathen. Was kann der arme Kapitalist, was kann der ruhige Bürger, den die Wühler einen Geldsack und Heuler nennen, was kann er eben thun, als mit den Wölfen heulen, um sein armseliges Geldsäcklein, seinen sauer verdienten [134] Spargroschen vor den Theilungsmännern in Sicherheit zu bringen? Das thun viele unserer Mitbürger; nicht alle sind so aufrichtig, es zu gestehen. Denken Sie deßhalb nicht schlecht von mir; in klemmen Zeiten ist jedes Mittel erlaubt, um zu retten, was noch zu retten ist. Sie glauben nicht, mit welchen Sorgen ich mein Haupt niederlege, mit welcher Furcht ich's wieder von dem Kissen erhebe. Der Hecker und der Struve sind noch gemüthlich an uns vorübergegangen; auch der von unserm Landesausschuß für Freiburg ernannte Civilkommissär scheint sich galant benehmen zu wollen. Aber, wer steht für die Zukunft? Wir wissen nicht, ob eine Republik kommt, oder eine Säbelherrschaft, oder der Communismus in höchsteigener diebischer Person? Ob wir von den schwäbischen Soldaten in Asche gelegt, oder von dem Pöbel bis auf's Hemde ausgezogen werden? Ein Herr von meiner Bekanntschaft hat mir schon heute Morgen einen mächtigen Floh in's Ohr gesetzt, indem er behauptete, diese ganze Revolution werde überhaupt zu nichts führen, und bald niedergeschlagen seyn; aber wir arme Geldsäcke würden ungeheuer blechen müssen, und das Ende der Geschichte werde uns die Haut kosten. Jetzt bedenken Sie: ich besitze nur eine Haut, und möchte dieselbe so lang erhalten als möglich; ferner besitze ich ein bischen Vermögen, und möchte dasselbe nicht in den Schlund des Aufruhrs werfen. Endlich bin ich Vater von vier Töchtern, und das brutale Durcheinander der Pöbelfurie ist der weiblichen Tugend und Ehre nicht besonders zuträglich. Ach, Herr Alfred, Sie wissen nicht, welche Wucht von Sorgen und Aengsten auf den Schultern eines Vaters von vier Töchtern ruht!

[135] Worauf Alfred mit Ruhe und Besonnenheit: »Was ich nicht aus Erfahrung weiß, kann ich immerdar begreifen und mir vorstellen. Seyn Sie meiner ganzen Theilnahme versichert. Noch mehr: ich sage Ihnen freimüthig und ohne Hinterhalt, daß ich mit Freuden bereit wäre, Ihnen die schwere Last einigermaßen zu erleichtern, wenn Sie geneigt wären, Ihre Tochter Mathilde mir für's Leben anzuvertrauen.«

Hinterbein machte große, aber nicht unfreundliche Augen, stand vom Stuhle auf, legte seine Hände auf die Schultern Alfreds, und antwortete aufrichtig: Hören Sie, das heißt doch einmal gesprochen, wie ein Mann von Ehre spricht. Ich habe es von Ihnen nicht anders erwartet. Daß meine Tochter Mathilde von Tag zu Tag mehr Ihnen ihr Herz zuwendete, je mehr die Zeit, das Andenken an ihren verlebten Bräutigam bleichte, war mir nicht unbekannt. Ihr gestriges Benehmen, verehrter Herr, ließ mir ebenfalls keinen Zweifel über Ihre Gesinnungen. Ich wußte von da an, daß Sie nicht zögern würden, Ihre Werbung an der rechten Stelle vorzubringen, und mit Vergnügen gebe ich meine Einwilligung. Wollte Gott, Ihr Freund, der Sekretär, hätte seiner Zeit gehandelt, wie Sie es thun. Ein Mann muß mit der Leidenschaft nicht spielen, und, hat er sein Wort gegeben, es halten, wie ein alter Deutscher.

Die beiden Herren umarmten sich, und Alfred benutzte die Rührung des »Plantageurs«, um ihn zu bitten: »Vergeben Sie meinem armen Freunde; er ist wahrlich unglücklich und gestraft genug.« – So mag er zusehen, wie er mit seinem Gewissen zurechte kommt. Ich verzeihe ihm; aber meine arme Cymbel ...! – Papa fuhr sich mit der Hand über Stirn und [136] Augen, nahm schnell eine Prise, und sprach weiter: Lassen wir das. Die Zeit drängt, und ich will Ihnen vertrauen, daß mir am Herzen liegt, baldigst meine Töchter aus hiesiger Stadt an einen sichern Ort zu bringen. Dieses darf jedoch nicht auf einen Klumpen, ja nicht mit Aufsehen geschehen. Die Nachbarschaft soll gar nichts davon merken. Sind einmal die Töchter fort, so rette ich dann mein bischen beweglich Hab und Gut, und mache mich selber endlich durch, so gut es gehen mag. Für's Erste wünsche ich unsere Mathilde und die Cornelia zu entfernen. Mathilde ist Aristokratin durch und durch, und haßt das Rebellenwesen wie die Sünde. Cornelien ist die Freiheit ebenfalls verleidet – Sie wissen vielleicht, warum – und zudem fürchtet sie sich, wie auch ich mich fürchte, vor der Heimkehr des ungeschliffenen Vetters Titus, der unter den heutigen Umständen sicher nicht ausbleibt, und im Stande wäre, mein armes Mädchen mit Gewalt zu seiner Gattin zu pressen, wie die Engländer es mit ihren Matrosen thun. Daher müssen die genannten Dämchen fort, unverzüglich fort, und ich denke, daß sie zu Staufen bei der alten Valentine oder besser, viel besser zu Helmsheim in der Familie meines Freundes, des Amtmanns Pillnitz, eine kurze Zeit ungestört sich aufhalten könnten. Um jeden Verdacht zu vermeiden, als wolle ich selber mich mit meinem Gelde flüchtig machen, darf ich nichts mit der Sache zu thun haben. Mit meinem Schwager ist nichts anzufangen; ebenso wenig mit der Tante. Beide leben nur in ihrem Kinde, und kümmern sich nicht um die Revolution. Wenn's ihnen nur nicht schwer heimkommt! Ein zweiter Sturm auf Freiburg würde viel schrecklichere Folgen haben, als der erste.

[137] »Ueber diesen Punkt kann ich Sie beruhigen,« bemerkte Alfred: »die Württemberger ziehen sich in den Seekreis zurück, verlassen höchst wahrscheinlich das Land; ich habe dieses aus guter Quelle. Wenn ich übrigens Sie recht verstanden habe, so wünschen Sie einen Geleitsmann für die genannten Damen zu finden, und Herr Doktor nebst Frau Tante sollen da aus dem Spiele bleiben? Wenn nun ich Ihnen dienen kann ...?«

Sie sind ein Goldmann, Sie verstehen halbe Worte! machte Hinterbein erfreut, und fuhr geheimnißvoll, als fürchte er den Horcher an der Wand, fort: Auf der Eisenbahn darf nicht gefahren werden; wie ich höre, sind Spione allerwärts vertheilt, die unterwegs oder an der Grenze alle Personen aufgreifen, die im Verdacht stehen, Geld zu haben, dem jetzigen Wesen nicht hold zu seyn, und ihr bischen Gut und Blut salviren zu wollen. Darum traue ich mich nicht auf die Bahn, darum sollen auch meine Töchter mit anderer Gelegenheit fort; nur nicht mit meinem Wagen, nur nicht mit meinen Pferden. Wenn Sie daher, mein Schwiegersohn in petto, für einen Kutscher sorgen wollten, der ein verschwiegener, ein zuverläßiger Mann ... Wenn derselbe heute Nachmittag jenseits der Dreisam hielte, meine Töchter erwartend, die sich, spazierend, dahin verlieren würden ... wenn Sie selber dann die Mädchen an den Ort ihrer Bestimmung bringen wollten ... am Abend mit dem Wagen zurückkehrten, und mir hier im Hause ohne alles Aufsehen Bericht abstatteten ... ich wäre Ihnen ewig dankbar! – Auf diese Weise geschähe mein Wille, und meine Person wäre hier in loco immer zu sehen und zu finden, [138] als dächte ich gar nicht daran, meinen Aufenthalt mit einem andern zu vertauschen.

»Obschon ich für jetzo nicht an die Gefahren glaube, welche Sie auf der Eisenbahn befürchten, und obschon überzeugt, daß Sie, sammt Familie, ohne Hinderniß nach Basel gelangen könnten, so werde ich doch, geehrt durch Ihr großes Vertrauen, alles vorbereiten und Ihren Wünschen entsprechen.« Mit diesen Worten umarmte Alfred noch einmal den Vater seiner Braut, und ging, die Bitte desselben in Vollzug zu setzen. – Wie gern hätte er seiner Mathilde ein paar Worte freundlicher Botschaft gesagt! Aber sie war nicht sichtbar, und Alfreds Zeit gemessen. Dafür begegnete ihm Cymbeline, die vielleicht seiner gewartet haben mochte, denn sie vertrat ihm ängstlich den Weg, und fragte leise und erröthend: »Ich bitte, Herr Alfred ... nehmen Sie's ja nicht übel ... aber ich kann mir nicht helfen, die Frage muß heraus, und wenn Sie mich für das albernste Gänschen auf der Welt hielten ... Wie geht es dem Herrn Sekretär? Wie wird es um ihn stehen? Ach, ich habe so viel Angst um ihn, da ich weiß, wie er von der Revolution denken und sprechen mag ... da ich gehört habe, daß ihn Viele erschrecklich hassen, weil er der alten Regierung ergeben! O sagen Sie ihm doch ... er soll sich nicht muthwillig in Gefahr bringen ... es sei Niemanden zu trauen ...! Aber von mir sagen Sie ihm nichts… gewiß nicht, ich bitte Sie recht schön darum!« Nach dieser konfusen Anrede, nach dieser verwirrten Frage – ohne eine Antwort nur abzuwarten – entfloh Cymbeline, wie eine gescheuchte Taube, und kaum [139] noch hatte Alfred Zeit, ihr einen warmen Gruß an seine Braut nachzurufen.

Seine Straße weiter verfolgend, sagte indessen Alfred zu sich selber: »Welch ein himmlisches Wesen, diese Cymbeline! Mißhandelt, schwer beleidigt und gekränkt, hängt sie noch immer, ich seh' es deutlich, an dem Bösewicht von Fritze. O du guter, fleckenloser Engel! Wenn unsere Sitten es erlaubten, ich würde neben meiner Mathilde dich zur Ehe nehmen, um dich zu belohnen für deine unendliche Treue, für deine gränzenlose Hingebung.«

Alfred hatte sofort Gelegenheit, der ihm so eben gestellten Bitte zu entsprechen. In der nächsten Gasse begegnete er dem Sekretär. Fritze hatte sich in der Residenzstadt, vor dem Ausbruch der Revolution, viel entmuthigter gezeigt, als er heute in dem revolutionirten Freiburg einherging. Den Hut verwegen auf's rechte Ohr gedrückt, den Kopf emporgereckt, als hätte er über alle Dächer hinauszusehen, mit dem Spazierstock fechtend, gleich dem leichtsinnigsten Primaner, kam er des Weges, jeder Zoll ein Aristokrat. Den Freund begrüßend, machte er ihm Vorwürfe, daß er am verwichenen Abend unsichtbar geblieben. Alfred entschuldigte sich, fragte aber beinebst nach dem Befinden und Gebahren des »schönen Fritze«. – Vornehm und etwas verächtlich den Mund aufwerfend, erwiederte Friedrich,: »Was soll ich sagen? Es ist alles aus den Fugen gewichen, und ich komme mir vor, wie jener komische Professor, der einmal auf dem Katheder sagte: Ich sehe hier viele Leute, die nicht da sind! – So geht's auch mir. Mein Präsident – fort. Meine Räthe und anderweitige Assessoren – über alle Berge! [140] Eine neue Behörde eingesetzt, die ich zu kennen gar nicht die Ehre habe. Eine leere Kanzlei, worinnen ich mich herumtreibe, wie ein Gespenst, ohne zu wissen, wer da Koch oder Kellner. Ueberall sonst triumphirende Gesichter, die mir widerwärtig, oder blasse Schafsköpfe, die ich hinter die Ohren schlagen möchte, weil sie elend und feig all diesem Umsturz und Kehraus zusehen, statt sich zu wehren. Da hin ich doch wahrlich, ohne Ruhm zu melden, ein anderer Kerl; spritziger als jemals, eingefleischter Royalist, wie noch nie. Habe schon ein paarmal Händel gehabt, gebe den rebellischen Burschen um kein Haar nach, und es wird noch besser kommen. Sie wollen mich zum zweiten Aufgebot nehmen; aber »gehorsamer Diener!« Wird nichts gereicht, keine Flinte mehr ungerührt. Dann spricht man bereits davon, uns Staatsdiener in Eid und Pflicht der provisorischen Regierung nehmen zu wollen. Davor soll mich Gott bewahren! Lieber den Kopf herunter als meinen Großherzog verläugnen, und den Bösewichtern Treue schwören!«

Worauf Alfred, obschon ihm die Eile in den Sohlen prickelte: Alles schön und gut; aber klug seyn ist die Hauptsache. Ueberwache deine unkluge Zunge. Jeder Tag hat seinen Abend; auch dieser Aufruhr wird den seinigen finden. Warte das ab, aber gehe von hier weg, meinetwegen auf den Feldberg hinauf. Hier dürfte es deiner unbesonnenen Freimüthigkeit schlecht ergehen. Wenn du deinen Kopf verlierst, ist der guten Sache damit schlecht gedient. Mit dem Kopfabhauen fängt auch keine Revolution ihr »A. B. C.« an. Wie aber, wenn man dich in's Gefängniß steckte, und dich darinnen brummen ließe eine halbe Ewigkeit?

[141] »Das wäre fatal, ungeheuer fatal!« machte Friedrich sehr überrascht: Aber dennoch werd' ich nicht davon laufen, will diese Freude den übermüthigen Freischärlern nicht machen! Und wenn alle meine Vorgesetzten und Collegen durchgebrannt sind, so will ich wenigstens nicht vom Platze weichen, und dem Sturm unverzagt die Brust bieten!« – Und das sollst du nicht, und darfst es nicht, das befiehlt dir Jemand, der für dich und deine Freiheit und dein Leben zittert! antwortete ihm ernsthaft und entschlossen Alfred: Und als Friedrich mit spöttischer Verwunderung fragte: »Sieh doch, wer ist denn dieser Jemand, der mich in die schmählichste Flucht jagen möchte?« antwortete ihm Alfred schnell und eilfertig: Ich nenne dir das edle Herz nicht, ich darf dir es nicht nennen. Genug, daß keines auf Erden für deine Wohlfahrt bekümmerter schlägt. Hörst du wohl? Ich muß schweigen, aber wenn du nicht von selbst erräthst, wer mit Lieb' und Angst dich warnt, bist du ein Tropf! – Alfred jagte von dannen, und Friedrich, sein Gehirn zermarternd, sah ihm lange nach. Ob er errathen, ob er den guten Geist erkannt, der ihm die Weisung gab, dem gefährlichen Boden zu entrinnen? – –

Alfred hatte bald den Mann gefunden, dessen er bedurfte, und die Abrede war schnell gemacht. Als ein eifriger Bote kehrte er unverzüglich nach dem Hause des »Plantageurs« um. Wiederum schaffte es der Zufall, daß ihm Raphael begegnen mußte. Der Hoftheater-Direktor studirte tiefsinnig in einem Briefe, und rannte dem Alfred so zu sagen auf den Leib. – Oho, oho! rief der Angerannte: Wichtige Depeschen, die am hellen Tage dich in einen Nachtwandler verstellen? – [142] »So ist es auch;« gab Raphael darauf: »Es ist seltsam, daß ich just heute früh, aus dem Bette steigend, sehr kläglich mich erinnerte, daß meines Bleibens in hier ja leider nicht auf die Dauer sein könne; daß ich also von meiner jungen und ewigen Liebe würde scheiden müssen, ohne vielleicht meinen Herzensbund auf bürgerlichem Wege, vor dem Papa und vor dem Pfarrer, in Richtigkeit gebracht zu haben. Und kaum hatte ich deßhalb einige geeignete Thränen vergossen, und meinen Kaffee getrunken, so bringt mir der Briefträger dieses Schreiben von unserm Hoftheatersekretär. Es ist die Antwort auf die Klage und Frage, so ich an das Schicksal gestellt, indem es besagt, daß unser Herzog, allerlei Unterthanenrevolutionen fürchtend, plötzlich auf Reisen gegangen ist, und auf weitere zwei Monate die Wiedereröffnung unsers Hoftheaters vertagt hat. Mein Auftrag, ein singhaftes Subjekt für unsere Bühne aufzubringen, fällt hiemit von selbst weg. So habe ich denn freie Zeit hinlänglich, um zu lieben und zu werben, um zu heirathen oder zu sterben. Wie sich doch das trifft! Und da das mathematische Gesetz, von welchem du immer sprichst, in der That seine Verheißungen verwirklichen zu wollen scheint, so bitte ich dich, liebster Alfred, bei dem Papa Hinterbein ein gutes Wort für mich einzulegen. Denn ich weiß schon – das süße Katharinchen hat mir's zwischen Thür und Angel gesteckt, du Schelm – daß der ehrenwerthe Herr Alfred seine Zwecke vollkommen erreichte, und im Staatsrath des ›Plantageurs‹ eine ausgezeichnete Stellung einnimmt.«

Alfred, der, von Raphael festgehalten, vor Ungeduld beinahe aus der Haut fuhr, machte sich gewaltsam [143] von dem breiten Redner los, und entsprang mit den Worten: Heut Abend ... Morgen früh ... Uebermorgen ... wie du willst und befiehlst! – Und wiederum stand Einer da, der dem flüchtigen Läufer nachsah, und sich das Gehirn zermarterte, ohne auf den Grund von Alfreds rücksichtsloser Eile zu kommen. – –

Alles Uebrige, welches zwischen Papa und seinem neuen Tochtermann verabredet worden, ging wie nach dem Schnürchen von Statten. In der Mittagsstunde hielt ein hübscher Zweispänner jenseits der Dreisam. Eine Minute darauf erschien dort um die Wege ein feiner langer wohlgekleideter Herr. Noch eine Minute, und von der entgegengesetzten Seite kamen zwei spazierende Damen, denen der Herr höflichst entgegenschritt. Während solcher Komplimente näherte sich ein Bursche, der just aussah wie des »Plantageurs« Barthelmä, der harrenden Kutsche, und versorgte darinnen ein niedliches Köfferchen. Wie ein Geist verschwand er dann, und leicht, wie Sylphiden, huschten die fraglichen Damen in die Kutsche, der feine Herr war mit einem Schritt ihnen gegenüber im Schatten des Vordachs, und die Rosse säuselten, vom Kutscher dringlich aufgemuntert, mit dem Gefährt auf der Landstraße von dannen. Keine spiesbürgerliche oder Denunziantenseele war Zeuge der schnellen Abreise gewesen. – Dafür kamen bald den desertirenden Dämchen und ihrem Begleiter einige hundert Zeugen entgegen: ein Bataillon gesinnungstüchtiger Soldaten, die nach dem gelobten Lande Karlsruhe zogen, um dort die Saturnalien der Freiheit feiern zu helfen. Ein bunter Truppenkörper, voran die Musik eines Dragonerregiments, ein melancholischer Major zu Pferde, der wie ein Gefangener von seinen [144] Leuten beaufsichtigt wurde; sodann Infanteristen und Kanoniere, die von ihrer Batterie entwichen, durcheinander. Alle mit Rosen und Blumensträußen geschmückt, von Bauern und Handwerksgesellen begleitet, in der Nachhut einige Reiter, die mit Waffen und Gepäck zu der Revolution übergetreten. – Die Kutsche mußte halten, damit der bunte Troß ohne Belästigung vorbei konnte. Mathilde zitterte sehr und schmiegte sich in die Ecke, während Cornelia unbefangen, und Alfred so gleichgültig als möglich den Zug ins Auge faßte. Dennoch mußten sie sich gefallen lassen, daß ihnen ein kecker Soldat zurief: »Gelt, ihr Aristokraten, das Ding da will euch nicht behagen?« und daß ein anderer dem geputzten Herrn seinen Blumenstrauß mit dem Spott: »Da schmeckt einmal, wie die Freiheit schmeckt!« in's Gesicht warf. Für Alfred's Geduld eine harte Prüfung; für die Frauen eine große Angst. Jedoch ging auch dieses vorüber, und ein weiteres Ungemach stellte sich auf der ganzen Fahrt nicht ein. Im Gegentheil langten Mathilde und Alfred recht fröhlich und selig an dem Bestimmungsort an, und Cornelia, die Zeugin ihres herzlichen Einverständnisses, trauerte zwar über dem Grabe ihrer eigenen Hoffnungen, schaute aber nicht neidisch auf der Seligen Glück.

Es war ziemlich spät am Abend, da Alfred geheimnißvoll bei dem Papa Hinterbein einschlich, um demselben von der wohlgerathenen Reise Meldung zu thun, und ihm an's Herz zu legen der Töchter Bitte, sie doch bald, bald nach der Schweiz entführen und mit den Schwestern wieder vereinigen zu wollen. Als bei dieser Gelegenheit Alfred bemerkte, daß er durch den Augenschein sich überzeugt habe, wie auf der Eisen [145]bahn der Verkehr ganz frei und ungehindert bestehe, wie vordem, wollte Papa es schier nicht glauben, und schüttelte ängstlich und bedenklich den Kopf. Der gute Mann hatte ja sogar seinen alten Freund Triller, der nach Straßburg sich begab, nicht bis zum Bahnhof begleitet, um nicht dort als ein, des Fluchtversuchs verdächtiger Aristokrat und Geldsack verhaftet zu werden! –

Es konnte indessen nicht fehlen, daß in dem Lauf der Woche dem furchtsamen Papa eine tröstlichere Ansicht der Dinge wurde, indem doch nicht zu läugnen war, daß recht viele Freiburger den Weg unter die Füße nahmen – daß sie nämlich sich auf die Eisenbahn setzten – um vor der Republik, die sie fürchteten, sich zu flüchten in die Republik, die ihre Hoffnung war: in die Schweiz. Eine ausgemachte Thatsache ferner, daß jene Freiburger völlig ungehindert ziehen konnten, mit Geld und Gepäck, mit Weib und Kindern; und daß ihnen unbenommen blieb, je nach Gefallen zurückzukommen und wieder abzureisen. Die Briefe, die Baarsendungen liefen pünktlich hin und her, wie in der vormärzlichsten Zeit. Das benahm den Hinterbeinischen Sorgen den giftigsten Stachel, und der wackere Mann machte sich nach und nach vertraut mit dem Vorsatz, herzhaft und unverzagt durchzugehen. Einstweilen blieb er fein zu Hause, schaute fleißig aus allen Fenstern, damit die Nachbarn von seiner Anwesenheit und von dem zufriedenen Gesicht, so er zu dem neuen Wesen machte, Notiz nähmen. Zu andern Stunden ordnete er seine Bücher und Papiere, besprach sich mit Alfred, und ließ sich durch den lustigen Raphael nach Belieben amusiren. »Stulpenstiefel« spielte mit [146] ihm Piket, erzählte ihm dir närrischsten Geschichten, und Katharinchen half getreulich mit; denn der Kindskopf von Hoftheaterdirektor wuchs ihr immer tiefer in die Seele hinein, weil er leichtsinnig und lebendig wie sie in den Tag lebte. Dem Friedensmann, der alles so geruhig seinen Weg gehen sah, war heiter zu Sinn, da er liebte, und seine Liebe von keinem Donnerwetter bedroht wußte. Der »Plantageur« verzog nämlich keine Miene, und ließ das unbekümmerte Pärchen gewähren. Der aufdringliche Hannsdennel war nach Karlsruhe gegangen, »um das gouvernement provisoire mit attention zu observiren;« der Sattlermeister versorgte den Nachbar Hinterbein geziemend mit Neuigkeiten, und für des Lebens Lust und Annehmlichkeit schafften, wie schon gesagt, Raphael und Katharinchen Rath. Der Doktor Faust mit Gattin und Erstgebornem holte sich ebenfalls alltäglich eine Portion Munterkeit aus dem reichen Vorrath Raphaels, und kein Mensch hätte geglaubt, daß zwischen diesen letzteren Herren je ein Zwist gewesen wäre. Cymbeline allein war die ganz stille Person im Hause. Nur wenn am spätern Abend Alfred eintraf, wurde auch Cymbeline vergnügter, wechselte dann und wann einige Worte mit ihm. Sie fragte nur nach dem Sekretär. Leider konnte ihr Alfred nicht immer Auskunft geben, da er selber das Leben eines Kuriers führte. Er ließ nämlich keinen Tag aus, ohne eine Fahrt nach dem Zufluchtsort Mathildens zu machen, um sich zu überzeugen, daß Alles dort wohl stand.

Manchmal, wenn er die Rührigkeit seines Lebens betrachtete, seufzte er aus vollem Herzen: »O Liebe, wie belebst du, wie peinigst du deine Lehrjungen! Wie ruhig war ich einst, und wie renne und jage ich jetzo, [147] wie ein armes gehetztes Roß! Es ist keine Kleinigkeit, so über alle Berge hinaus verliebt zu seyn, und ich bereue jetzt tief, so oft im Leben die Knechte der Liebe mit Spott gegeißelt zu haben. Jetzt weiß ich, wie die Liebe thut. Hätt' ich's noch anzufangen, ich würde mich schön bedanken. Da ich nun aber selbst ein verlorner Knecht bin, so möcht' ich um alle Goldgruben der Welt meine Sklaverei nicht hingeben!«


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